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Das Oper aus Datensicht Aspekte des Umgangs mit einer heterogenen Datenlage im BMBF-Projekt Freischutz¨ Digital“ ”

Daniel R¨owenstrunk · Thomas Pr¨atzlich · Thomas Betzwieser · Meinard Muller¨ · Gerd Szwillus · Joachim Veit

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Zusammenfassung Das vom BMBF gef¨orderte Pro- 1 Einfuhrung¨ jekt Freischutz¨ Digital setzt ein genuin digitales Edi- tionskonzept fur¨ musikalische Werke in einem multi- In kaum einer Gattung der Musik ist in den vergan- medialen Archiv u. a. mit Notentexten, Textbuchern¨ genen Jahrzehnten die Notwendigkeit der Ver¨anderung und Aufnahmen in Form von Ton- und Videodokumen- g¨angiger Editionsmethoden so deutlich geworden wie ten um. Dies erm¨oglicht eine dichte Verknupfung¨ und im Bereich der Oper. Die Vielschichtigkeit dieses Kul- Annotierung der Inhalte. Durch die Ver¨offentlichung turph¨anomens l¨asst sich mit simplen, auf den Kompo- der Ergebnisse unter einer Open-Access-Lizenz in ei- nisten des Werks zentrierten klassischen Editionen nicht nem Grid-basierten System mit Persistent Identifiern abbilden. So verwundert es kaum, dass neue Konzep- entsteht eine stabile Referenzierbarkeit und langfristi- te, in denen die autorunabh¨angige Uberlieferung¨ sowie ge Verfugbarkeit¨ fur¨ nachnutzende Forschungsprojekte. Produktions- und Rezeptionskontexte eine große Rolle Die Potentiale dieses Konzepts werden dadurch evident, spielen, verst¨arkt die M¨oglichkeiten digitaler Editions- dass detailierte Codierungen der musikalischen Texte formen einbeziehen. zur adhoc-Darstellung beliebiger, auch varianter Aus- schnitte der Partituren genutzt werden k¨onnen. Ebenso k¨onnen das mit seiner Genese gleichberechtigt integriert, Annotationen der Datenobjekte (Text, Bild und Ton) erstellt und – aufgrund von Forschungser- gebnissen zur zeitlichen und spektralen Segmentierung akustischer Datenstr¨ome – Notentexte und Aufnahmen mittels automatisch erstellter Verlinkung synchron an- gezeigt bzw. abgespielt werden.

Schlusselw¨ ¨orter Digitale Musikedition · Audio · Segmentierung · Genetische Edition · MEI

Benjamin W. Bohl · Daniel R¨owenstrunk · Joachim Veit Musikwissensenschaftliches Seminar Detmold/Paderborn Gartenstr. 20, 32756 Detmold Tel.: +49 5231 975-876 E-Mail: [email protected] Abb. 1 Graphische, logische und akustische Dom¨ane der Meinard Muller¨ · Thomas Pr¨atzlich Oper Der Freischutz¨ . International Audio Laboratories, Erlangen

Thomas Betzwieser · Solveig Schreiter · Janette Seuffert 1 Institut fur¨ Musikwissenschaft, Goethe-Universit¨at Frankfurt Das BMBF-Projekt Freischutz¨ Digital , das sich der paradigmatischen Konzeption und Umsetzung ei- Gerd Szwillus Institut fur¨ Informatik, Universit¨at Paderborn 1 http://www.freischuetz-digital.de 2 Daniel R¨owenstrunk et al. nes genuin digitalen Editionskonzepts am Beispiel der Erfolgsoper Carl Maria von Webers widmet, weitet A A A A A A K 1 K 2 K 9 K13 K15 K 19 K 26 Kx1 ED-kl D1849 unter den neuen Bedingungen die Perspektive, in- Ouvertüre 1. Introduzione dem erstmals die graphische, logische und akustisch- 2. Terzetto con Cori 3. Walzer performative Dom¨ane [2] musikalischer Werke in eine 4. 5. Aria historisch-kritische Edition einbezogen werden. Damit 6. Duetto 7. Allegretto sind nicht nur durch die Tonaufnahmen inhaltlich neue 8. Scena ed Aria 9. Terzetto Bereiche in die Edition einzubinden, sondern gleichzei- 10. Finale 11. Entre Act tig heterogene Datenkorpora und -typen, die zudem in 12. Cavatina 13. Romanza ed Aria sehr unterschiedlicher Tiefe erschlossen sind, zu bear- 14. Volkslied 15. Jägerchor beiten und auf unterschiedlichsten Ebenen miteinander 16. Finale zu verknupfen.¨ Neben der Bereitstellung einer m¨oglichst breiten Abb. 2 Musikalische Quellen (Angabe der Siglen) und Nummern der Oper mit Markierung der erstellten MEI- Datenbasis unter einer Open-Access-Lizenz und der Codierungen. Darstellung der Potentiale dieses genuin digitalen Edi- tionskonzepts legt das Projekt eine genetische Edition des im digitalen Medium und Grundlagenfor- jekte ensteht ein multimediales System, das neben tex- schungen im Bereich der zeitlichen und spektralen Au- tuellen Informationen auch strukturierte Daten, Meta- diosegmentierung vor, deren Ergebnisse in die Edition daten, Audio, Video und Bildmaterial erfassen kann. einfließen. Die Konzeption und Implementierung einer Im Rahmen des Projekts werden s¨amtliche Objekte in interaktiven Benutzerinteraktion und verschiedene Va- Form von XML-Dateien abgespeichert und gegebenen- rianzanalysen zur Demonstration der Nachnutzbarkeit falls durch Bild-, Audio- oder Videodateien erg¨anzt, bilden weitere, in diesem Artikel nich n¨aher beschriebe- wobei textuelle Objekte nach den Richtlinien der Text ne Ziele des Projekts. Encoding Initiaitve2 (TEI) und musikalische Objekte nach denen der Music Encoding Initiative3 (MEI) co- diert werden. Codierungen der Partituren werden exem- 2 Datengrundlage plarisch vollst¨andig fur¨ das Autograph und in den ande- ren Quellen fur¨ die Nummern 6, 8 und 9 angelegt (vgl. Die im Projekt aufzubauende und anzureichernde Da- Abbildung 2). Die XML-native Dokument-Datenbank tenbasis ist (in Anlehnung an Frans Wierings Mo- eXist 4 dient hierfur¨ in Kombination mit dem Bildser- dell eines multidimensionalen und multimedialen Ar- ver Digilib5 als Datenspeicher mit speziell fur¨ diese Da- chivs [13]) eine Sammlung unterschiedlichster Materia- tenstrukturen angelegten Indizes. lien, die zum Verst¨andnis des Werkes und somit zur Edition beitragen kann. Der Freischutz¨ – bestehend aus Ouverture¨ und 16 Nummern mit eingeschobenen Multidimensionalit¨at. Relationen innerhalb des Ar- gesprochenen Dialogen – ist in mehreren Partituren chivs sind sowohl zwischen Datenobjekten als auch in- uberliefert¨ und basiert auf dem von Friedrich Kind nerhalb der Objekte selbst m¨oglich. Zum Beispiel sind verfassten gleichnamigen Libretto. Es sind somit ne- mehrere Textschichten, Fassungen und Varianten, Am- ben den Notentexten auch die librettistischen Quellen, biguit¨aten oder auch mediale Repr¨asentationen des Ob- daruber¨ hinaus auch Briefe, Pressetexte, Tagebuchein- jekts miteinander in Beziehung zu setzen. Hierfur¨ ist tr¨age, Abbildungen oder andere Informationen z. B. zu es erforderlich, die Granularit¨at der Auszeichnung der Personen oder Institutionen von Interesse. Dabei wird Objekte in XML an die Beziehungstiefe anzupassen und dem Postulat Wierings, eine m¨oglichst vollst¨andige Er- Objektidentit¨aten in Form von IDs auf den unterschied- fassung und Aufbereitung dieser Datenobjekte zu ge- lichen Ebenen der Codierung zu schaffen. Annotatio- w¨ahrleisten, Rechnung getragen, indem zum Beispiel nen k¨onnen als komplexe Beziehungsobjekte zwischen musikalische Inhalte nicht ausschließlich durch den No- diesen Objektidentit¨aten gesehen werden und bieten – tensatz (grafische Dom¨ane), sondern auch durch eine uber¨ direkte Referenzen zwischen Objekten hinaus – die Semantik erfassende Codierung (logische Dom¨ane) die M¨oglichkeit, Relationen zu bewerten, zu kommen- und durch Aufnahmen von Auffuhrungen¨ und anderen tieren oder zu gewichten. Durch eine eigenst¨andige ID akustischen Realisationen (akustische bzw. performati- der Annotationen im Archiv k¨onnen diese wieder als ve Dom¨ane) beschrieben werden. 2 http://www.tei-c.org 3 http://www.music-encoding.org Multimedialit¨at. Aufgrund der Forderung nach einer 4 http://www.exist-db.org umfassenden Integration unterschiedlichster Datenob- 5 http://digilib.sourceforge.net Das Gesamtkunstwerk Oper aus Datensicht 3

Bestandteil der Datenbasis gesehen und als Grundlage zwischen den eine Taktposition markierenden Recht- fur¨ weitere Forschung genutzt werden. ecken auf den Faksimiles, den Abschnitten einer Ton- aufnahme, die auf Basis einer automatischen zeitlichen Offenheit. Die Verfugbarkeit¨ der Daten wird uber¨ eine Segmentierung (vgl. Abschnitt 5) eine akustische Re- Publikation s¨amtlicher Projektergebnisse innerhalb des pr¨asentation eines Taktes darstellen, und den Takt- TextGrid-Repository6 unter einer Open-Access-Lizenz strukturen in der Codierung des musikalischen Inhalts der Creative Commons Organisation7 sichergestellt. werden diese drei Dom¨anen in Relation gebracht. Ei- Neben der durch die Grid-Technologie zu erwartenden ne feinere Aufl¨osung der Entsprechungen in Form von hohen Verfugbarkeit¨ bietet das System Persistent Iden- Positionen einzelner Zeichen auf dem Faksimile oder tifier fur¨ s¨amtliche Objekte und damit eine stabile Re- kurzerer¨ Abschnitte im Audio, zum Beispiel auf Basis ferenzierbarkeit jedes ver¨offentlichten Zustands der Da- einer Z¨ahlzeit, ist denkbar und wunschenswert,¨ aber zur tenobjekte. Uber¨ definierte Schnittstellen k¨onnen die- Zeit aufgrund fehlender oder nicht pr¨aziser Automatis- se Daten in anderen Kontexten nachgenutzt werden, men nicht ohne manuelle Korrektur zu realisieren. ebenso wie das Projekt selbst zum Beispiel die Daten Codebsp. 1 Codierung der Quelle (beispielhaft). der digitalen Texteditionen der Carl-Maria-von-- Gesamtausgabe (WeGA) nutzt.8 1 3 3 Digitale Musikedition 5 ... und Umsetzung eines genuin digitalen Editionskonzepts 9 fur¨ musikalische Werke; dies bezieht neben den Metho- den zur Erarbeitung der Edition auch die Analyseme- thoden und Darstellungsformen derselben mit ein. Zu Codebsp. 2 Codierung der Core-Datei (beispielhaft). der verbesserten Verfugbarkeit¨ der Materialien durch Publikation (vgl. Bohl et al. in [4] inbes. S. 271–272), ... die in Form des Autographs, einiger Kopistenabschrif- 4 ten mit zum Teil autographen Eintragungen und we- 6 ... niger Drucke in die Edition einfließen, wird die Daten- basis im Wesentlichen durch die Aufnahme der akus- 8 tischen Dom¨ane und die Erfassung des musikalischen Textes in Form einer semantischen Codierung erwei- tert. Zusammen mit umfangreichen strukturierten und 12 prosaischen Metadaten und den bereits in fruheren¨ di- gaben zu Taktpositionen auf den Abbildungen der No- 16 tenschriften (vgl. [4], S. 273) ergibt sich so ein den For- ... derungen Wierings nach einer umfassenden multime- 18 dialen Erfassung der Datenobjekte (siehe Abschnitt 2) 20 entsprechendes Gesamtbild der musikalischen Quellen. Die verschiedenen Dom¨anen der musikalischen Ob- Zwischen den Notentexten werden Beziehungen auf jekte (logisch, graphisch und akustisch) werden in un- verschiedenen Ebenen der Codierung erstellt und be- terschiedlicher Tiefe erschlossen. Verbleiben die Infor- schrieben; dies erstreckt sich 1. uber¨ Notendokumente mationen zu Struktur und Inhalt in der graphischen in ihrer Gesamtheit, wie z. B. innerhalb eines Stem- und akustischen Dom¨ane auf der Ebene eines Taktes mas zur Darstellung der Filiation der Texte, 2. ein- als strukturierender Einheit, werden in der logischen zelne Nummern oder Dialoge, wenn diese im Rahmen Codierung s¨amtliche in den Notenschriften enthalte- einzelner Auffuhrungen¨ an die spezifischen politischen nen musikalischen Zeichen erfasst. Uber¨ Referenzen oder personellen Gegebenheiten eines Opernhauses an- 6 http://textgrid.de gepasst wurden, 3. gr¨oßere zum Teil nicht zusammen- 7 https://creativecommons.org h¨angende Abschnitte des Notentextes, um z. B. die 8 http://weber-gesamtausgabe.de Schreibgewohnheiten bezuglich¨ der Bogensetzung des 4 Daniel R¨owenstrunk et al.

Komponisten zu beleuchten, oder auch 4. einzelne No- ten oder Dynamikangaben, wenn hier Unterschiede in den Quellen zu verzeichnen sind. Dabei bleiben quellen- immanente Beziehungen, die z. B. Korrekturspuren im Notentext oder Unsicherheiten bei der Interpretation Abb. 3 Korrektur Webers im Handexemplar des Librettos. der Bogensetzung beschreiben, innerhalb der Quellen- codierungen verzeichnet. Abweichungen der Notentexte untereinander werden in einer zus¨atzlichen Datei ab- edierten Texts im Vordergrund, sondern vielmehr die gelegt, der sogenannten Core-Datei (COmparison-RE- Aufbereitung der einzelnen Zeugen und deren Entste- sults- oder auch Kern-Datei).9 In der Core-Datei wird hungs- und Uberarbeitungsgeschichte.¨ Unter den Ab- der Notentext der Oper mit allen seinen uberlieferten¨ schriften des Friedrich Kindschen Librettos liegt ein von Varianten und Lesarten mittels Parallel Segmentati- Weber in Auftrag gegebenes Exemplar – sein Hand- on10 erfasst (vgl. Codebeispiel 2, Zeilen 7–16), wobei exemplar – vor, das mit zahlreichen Eintragungen We- hier lediglich die wichtigen Parameter wie Notenh¨ohe bers einen einzigartigen Einblick in den Schaffenspro- und -dauer, B¨ogen und Artikulation in normalisier- zess des Komponisten von der Entstehung der Abschrift ter Form berucksichtigt¨ werden. Unsicherheiten z. B. bis zur Urauffuhrung¨ der Oper gibt. in der Bogensetzung und alle weiteren Parameter der Notentexte verbleiben innerhalb der einzelnen Quel- Codebsp. 3 Mehrfache Korrektur Webers (vereinfacht) lendateien, die sich auf die entsprechende Variante in der Core-Datei beziehen (vgl. Codebeispiel 1, Zeilen 2 Nimmt 7–8). Auf diese Weise entsteht neben den diplomatisch 4 ubertragenen¨ Quellencodierungen eine Codierung des aller seiner Kinder Werktextes in all seinen Auspr¨agungen, die s¨amtliche 6 Quellen bis auf die Ebene einzelner Zeichen in Bezie- hung setzt. 8 meiner auch mit Liebe Auf Basis dieser Auszeichnungen k¨onnen die Noten- 10 wahr! texte wieder in Notensatz dargestellt und durch Para- metrisierung des Renderings an verschiedene Situatio- In vier Schritten – im Codebeispiel 3 uber¨ die Anga- nen angepasst werden. So lassen sich einzelne Quellen ben des Sequenzschrittes in den seq-Attributen zu er- in G¨anze oder variante Stellen ausschnitthaft in Anno- kennen – uberarbeitete¨ Weber die letzte Zeile der zwei- tationen, die gewichtete Beziehungen zu jedem Element ten Strophe der Cavatine Nimmt aller seiner Kinder ” der Codierung beinhalten k¨onnen, anzeigen und ggf. wahr!“. Er strich zun¨achst den Abschnitt aller seiner ” einzelne Aspekte hervorheben. Das Ziel herk¨ommlicher Kinder“ (Zeilen 3–6) und fugte¨ uber¨ der Zeile meiner ” Editionen, einen sowohl fur¨ Wissenschaft als auch die auch mit Liebe“ ein (Zeilen 7–10). Zu einem sp¨ateren Praxis gultigen¨ edierten Notentext zu erstellen, kann Zeitpunkt strich er die Hinzufugung¨ und stellte die ur- durch diese M¨oglichkeiten dahingehend erweitert wer- sprungliche¨ Form wieder her, indem er den Text mit den, dass nun mehrere gultige¨ edierte Texte dargestellt Punkten entsprechend markierte (vgl. Abbildung 3 und und fur¨ den Nutzer ad¨aquat eingerichtet werden k¨onnen [12], S. 321–322). Diese sehr detaillierte Auszeichnung (vgl. [4], S. 272). Es ist offensichtlich, dass fur¨ Analysen der Handschrift nach den Richtlinien der TEI und die und Anwendungen, etwa bei musikalischer Suche, die Verknupfung¨ des Textes mit den Faksimiles des Doku- Strukturen der Core-Datei in z. B. einem Datenbank- ments erm¨oglicht die Darstellung des Librettos in Tran- Index eine spezielle Berucksichtigung¨ finden mussen.¨ skription in den unterschiedlichen Schreibschichten und zeigt in Kombination mit Tagebucheintr¨agen Webers, die im Rahmen der Digitalen Edition der WeGA er- 4 Genetische Textedition fasst sind und in die Edition integriert werden, deutlich die einzelnen Stufen der Uberarbeitung¨ auf. Um einzel- Aufbauend auf mehreren authentischen und autorisier- ne Schichten der Uberarbeitungen¨ fur¨ die Darstellung ten Quellen zum Libretto des Freischutz¨ erstellt das und die uber¨ einen Index aufgebaute Suche verfugbar¨ zu Projekt eine genetische Edition der textuellen Grund- machen, wird die alle Schichten umfassende Codierung lage der Oper. Hierbei steht nicht die Erarbeitung eines in der Datenbank vorprozessiert und in dabei entste- henden einzelnen Dateien zwischengespeichert. 9 vgl. http://freischuetz-digital.de/datamodel.html 10 vgl. http://www.tei-c.org/release/doc/tei-p5-doc/en Zusammenh¨ange zwischen den Libretti werden ¨ahn- /html/TC.html#TCAPPS lich wie innerhalb der musikalischen Quellen in Form ei- Das Gesamtkunstwerk Oper aus Datensicht 5

(a) Ouvert üre Akt I Akt II Akt III 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16

(b) Ack1951 Boe1972 Bru1957 Dav1990 Elm1944 Fur1954 Gui1957 Har1995 Hau1985 Heg1969 Jan1994 Joc1960 Kei1958 Kle1973 Kle1955 Kub1979 Leo1972 Mat1967 Mue1950 Orl1946 Pen1998 Saw1972 Abb. 4 Begriffsbeziehungen rund um die Wolfsschlucht im Wei2001 Sch1994 Ros1956 Libretto und den Referenztexten. Mor1939 Kri1933 Kna1939 Abb. 5 (a)1MAufteilung4M 1D der6D 18M Oper in Akte und27M Nummern. (b)38M ner Core-Datei erfasst. Mit Hilfe eines von Raffaele Vi- Segmentierung von Audioaufnahmen anhand einer Referenz- glianti (Washington) speziell fur¨ diese Arbeit entwickel- segmentierung (Kle1973). ten Werkzeugs, dem CoreBuilder,11 k¨onnen Bezuge¨ zwi- schen Versen oder sogar einzelnen W¨ortern hergestellt Bursch oder aber auch Schutze¨ beinhalten; wobei diese werden; die Core-Datei erfasst dabei lediglich die sub- Ergebnisse mit einer gewichteten Relevanz in das Such- stanziellen Abweichungen zwischen den Quellen (nicht ergebnis aufgenommen werden. etwa die Interpunktion oder Orthographie) in Form von Referenzen, da grunds¨atzlich von einer Entsprechung der Libretto-Texte ausgegangen werden kann. Fur¨ die 5 Audio-Segmentierung Nutzung der Core-Datei in der Pr¨asentationssoftware des Projekts, Edirom Online,12 werden diese Abwei- Neben den Notentextdaten existiert eine Vielzahl von chungen interpretiert und in Anlehnung an die Core- Einspielungen in Form von Audio- oder Filmaufnah- Datei der Musik in eine normalisierte Version des Li- men. Die verschiedenen Aufnahmen k¨onnen sich stark brettos mit allen Fassungen uberf¨ uhrt.¨ in der musikalischen Ausgestaltung des Tempos, der Zus¨atzlich zur textgenetischen Edition des Libret- Dynamik oder der Stimmung der Instrumente unter- tos, das in ¨ahnlicher Weise wie in der Ver¨offentlichung scheiden. Weiterhin k¨onnen auch erhebliche struktu- Prima la musica e poi le parole des -Projekts relle Abweichungen auftreten. Zum Beispiel wurde in neben der Musikedition gleichberechtigter Bestandteil der Ara¨ der Schellackplatten aus Kostengrunden¨ das der Pr¨asentation ist (vgl. [3], S. 267), steht das Bezie- Konzept der “Kurzoper” eingefuhrt,¨ welches eine Oper hungsgeflecht, in dem das Werk in zweierlei Richtungen gekurzt¨ unter “Beibehaltung der Struktur und der dra- – im Hinblick auf die ruckw¨ ¨arts verweisende Stoffge- maturgisch wichtigen Passagen” [1] wiedergeben soll- schichte und nach vorne mit dem Blick auf die Rezep- te. Insbesondere wurden hierbei Wiederholungen und tion – situiert ist, im Mittelpunkt. So lassen sich moti- ¨ahnlich klingende Passagen gestrichen. In manchen vische und stoffgeschichtliche Bezuge¨ zu fruheren¨ Wer- Aufnahmen k¨onnen aber auch ganze Nummern oder ken wie z. B. dem Gespensterbuch (1811) von August Dialoge fehlen. Apel und Friedrich Laun herstellen und aufzeigen. Die- Eine zentrale Aufgabenstellung besteht darin, ei- se intertextuellen Referenzen werden in Form von Topic ne gegebene Gesamtaufnahme der Oper in geeignete Maps13 erfasst, kontextualisiert, bewertet und beschrie- Abschnitte zu segmentieren – entsprechend der Auf- ben, die wiederum sowohl Grundlage fur¨ verschiedene teilung von Tracks“ bei CD-Aufnahmen. Im Fall des Darstellungsformen dieser Beziehungen sind (siehe z. B. ” Freischutz¨ ist eine solche Track-Segmentierung meist Abbildung 4) als auch fur¨ eine Erweiterung der Such- eine Verfeinerung der 16 musikalischen Nummern, sie- funktionalit¨at in der Form genutzt werden, dass z. B. he Abbildung 5(a). Andererseits liegen manche Dialo- auch lose Begriffszusammenh¨ange zu m¨oglichen weite- ge als separate Tracks vor. Aufgrund der Variabilit¨aten ren Ergebnissen einer Suchanfrage fuhren¨ k¨onnen. So ist also eine Track-Aufteilung nicht kanonisch. In die- werden Anfragen zu J¨ager uber¨ die Verknupfung¨ der sem Projekt wurde ein referenz-basiertes Verfahren zur Topic Map solche Dokumente finden, die J¨agerbursch, automatisierten Segmentierung entwickelt [10,9]. Hier- 11 https://github.com/Freischuetz-Digital/coreBuilder bei kann ein Benutzer eine Referenzsegmentierung einer 12 https://github.com/Freischuetz-Digital/Edirom-Online Aufnahme vorgeben, die dann automatisch auf andere 13 http://www.topicmaps.org Aufnahmen ubertragen¨ wird. Das Resultat einer sol- 6 Daniel R¨owenstrunk et al.

(a) …

...... (b) Aufnahme 1 0 200 Aufnahme 2 0 Zeit in Sekunden 120

Abb. 6 Ergebnisse einer Strukturanalyse des Hier ” im ird’schen Jammerthal“ (Nr. 4). (a) Notentext. (b) Zwei unterschiedliche Audioaufnahmen. In Aufnahme 2 werden der zweite Dialog und die dritte Strophe ausgelassen. Weiterhin 2 6 10 14 18 erscheint der letzte Dialog in drastisch gekurzter¨ Form. Zeit in Sekunden Abb. 7 Ubertragung¨ von Taktgrenzen von einem Notentext auf eine entsprechende Audioaufnahme. chen Segmentierung ist in Abbildung 5(b) dargestellt. In diesem Beispiel wurde als Referenz eine vorgeschla- 6 Zusammenh¨ange der heterogenen Daten gene Segmentierung einer Aufnahme von Carlos Klei- ber aus dem Jahr 1973 (Kle1973) gew¨ahlt. Die anderen Friedrich Kind fand in verschiedenen Vorlagen Ideen 27 Aufnahmen wurden dann entsprechend segmentiert. und Anregungen fur¨ das Libretto Der Freischutz¨ , das Hierbei stellen Kurzversionen, bei denen viele Segmen- im Wesentlichen auf dem Gespensterbuch von Apel und te nur teilweise oder gar nicht vorliegen, eine besondere Laun basiert (vgl. Abschnitt 4), daruber¨ hinaus aber Herausforderung dar. zahlreiche, nachweisbare Bezuge¨ zu anderen Werken enth¨alt. Diese auf Bildern, Metaphern oder politischen Die so generierte Track-Segmentierung soll in einem und zeitgen¨ossischen Themen basierenden Referenzen weiteren Schritt verfeinert werden. Dies fuhrt¨ zu der stellen die am wenigsten spezifischen Verknupfungen¨ Aufgabenstellung der automatisierten Strukturanalyse, von Datenobjekten im Projekt dar und werden in Form bei der es um die Zerlegung eines Audiodatenstroms in einzelner themenbezogener Relationen in Topic Maps inhaltlich sinnvolle Abschnitte und elementare Einhei- abgelegt. Ein sehr viel engerer Zusammenhang kann ten geht [8]. Hierbei spielen zum einen unterschiedliche zwischen dem Textbuch und der Komposition der Oper musikalische Dimensionen wie Zeit, Rhythmus, Dyna- hergestellt werden, wobei hier aufgrund von rein instru- mik, Harmonie und Klangfarbe und zum anderen auch mentalen Passagen und Wiederholungen der Verse in unterschiedliche Segmentierungsprinzipien wie Wieder- den Singstimmen n:1-Beziehungen zwischen den Text- holung, Homogenit¨at und Novelty eine Rolle. In Ab- abschnitten der Partitur und des Librettos bestehen, bildung 6 ist das Ergebnis einer solchen Strukturana- die in Form einer Konkordanz-Datei abgelegt sind. Die lyse angedeutet. Das diesem Beispiel zugrundeliegende Aufnahmen der klanglichen Realisierungen der Oper Lied Hier im ird’schen Jammerthal“ (Nr. 4) gliedert stehen in sehr enger Relation zu den Notentexten. In ” sich in eine Einleitung (rot), der drei sich wiederholen- diesem Projekt kommen die in [5] entwickelten Verfah- de Strophen (gelb) folgen. Die Strophen wiederum sind ren der automatisierten Musiksynchronisation zum Ein- durch von den S¨angern gesprochene Dialoge (blau) un- satz; auf diesen Ergebnissen lassen sich direkte Bezuge¨ terbrochen. W¨ahrend diese Struktur direkt dem Noten- zu den Takten der logischen Codierung der Notentexte text entnommen werden kann, stellt die automatisier- in der musikalischen Core-Datei herstellen (vgl. Abbil- te Strukturierung von Audioaufnahmen eine anspruchs- dung 7), wodurch ein synchrones Abspielen“ von Par- ” volle Aufgabe dar. Neben den oben erw¨ahnten musika- titur und Audio m¨oglich wird. lischen und akustischen Variabilit¨aten k¨onnen sich un- Gleichzeitiges Betrachten und H¨oren der verschiede- terschiedliche Interpretationen desselben Musikstucks¨ nen im Projekt verfugbaren¨ Materialien ist wesentlich auch strukturell unterscheiden. Ein Beispiel hierfur¨ ist fur¨ das Verst¨andnis der digitalen Edition und zentrales in Abbildung 6 dargestellt. Zur Bew¨altigung der Struk- Element der Pr¨asentationssoftware. Die einzelnen Ob- turierung werden unter anderem Methoden zur Wieder- jektarten (Libretti und Partituren) untereinander wer- holungsfindung [8,7] und zur Unterscheidung von reiner den uber¨ die Text- und Musik-Core-Dateien in Bezie- Instrumentalmusik, Gesang, und Sprache ben¨otigt [6, hung gesetzt und k¨onnen so parallel und synchron be- 11]. Im Allgemeinen steht man bei der automatisierten trachtet werden: Libretti Vers fur¨ Vers und Partituren Strukturierung von Musikaufnahmen noch vor vielen im Faksimile und im Rendering Takt fur¨ Takt. Wer- ungel¨osten Problemen. den zwei unterschiedliche Datentypen parallel ge¨offnet, Das Gesamtkunstwerk Oper aus Datensicht 7 k¨onnen bei Audio und Partitur ebenfalls die Informatio- bleiben die Ergebnisse des Projekts als solche erkennbar nen der Musik-Core-Datei genutzt werden, um den No- und vor Ver¨anderungen Dritter geschutzt.¨ Zur Demons- tentext synchron zur Aufnahme zu bl¨attern. Dadurch tration einer solchen Nachnutzbarkeit wird das Projekt ist ein Mitlesen der Partitur zu einer Audioaufnahme die Frage nach textueller und akustischer Varianz im oder andersherum eine Klangvorstellung zum geschrie- Rahmen von Kopistenabschriften, Auffuhrungsmateri-¨ benen Notentext – die sogenannte Notational Audiati- alien und Aufnahmen untersuchen und in einer ver- on – m¨oglich. Werden Partitur und Libretto parallel knupften,¨ aber parallelen Publikation zug¨anglich ma- betrachtet, ist ein diskretes Anw¨ahlen der inhaltlichen chen. Dabei k¨onnte z. B. gekl¨art werden, ob eine lokal Ubereinstimmungen¨ uber¨ die Konkordanz m¨oglich. An- erh¨ohte Varianz in der Notenschrift signifikant mit ei- merkungen und die Beziehungen der Topic Maps wer- ner Varianz in der akustischen Realisation des musi- den in eigenst¨andigen Visualisierungen und Navigati- kalischen Abschnitts korreliert, was ein Indiz fur¨ eine onselementen berucksichtigt.¨ Ein direktes Navigieren Interpretationsoffenheit der Schreibweise sein wurde.¨ zu Referenzstellen in anderen Datenobjekten, die uber¨ verschiedene Beziehungsebenen erreichbar sind, wird fur¨ jede Ansicht realisiert werden. So kann z. B. aus Literatur dem Gespensterbuch uber¨ die Topic Map in die Text- 1. Augustin, S.: CD Booklet in Der Freischutz¨ - Kurzfas- Core-Datei und uber¨ die Text-Musik-Konkordanz in sung. Gebhardt Records/Tamino Records (2002). JGCD die Musik-Core-Datei gelangt werden. Von der Musik- 0047, EAN 035122000474 Core-Datei wiederum kann uber¨ die Taktreferenz ei- 2. Babbitt, M.: The use of computers in musicological rese- arch. Perspectives of New Music 3(2), 74–83 (1965) ne Audioaufnahme an der Stelle abgespielt werden, die 3. Betzwieser, T., Buschmeier, G.: Digitale Editionen im einen inhaltlichen Bezug zum Gespensterbuch aufweist; Akademienprogramm. Die Projektpraxis am Beispiel dafur¨ ist keine Erfassung der Gesangstexte in den Auf- OPERA. In: Die Tonkunst 5, 263–269 (2011) nahmen notwendig. 4. Bohl, B., Kepper, J., R¨owenstrunk, D.: Perspektiven digi- taler Musikeditionen aus der Sicht des Edirom-Projekts. In: Die Tonkunst 5, 270–276 (2011) 5. Ewert, S., Muller,¨ M., Grosche, P.: High resolution audio 7 Ergebnisse und Ausblick synchronization using chroma onset features. In: Pro- ceedings of the IEEE International Conference on Acou- Im Projekt Freischutz¨ Digital sind Automatismen, stics, Speech, and Signal Processing (ICASSP), 1869– Werkzeuge und Visualisierungen entstanden, die den 1872. Taipei, Taiwan (2009) Umgang mit einer durch die verschiedenen Datentypen 6. Lehner, B., Widmer, G., Sonnleitner, R.: On the reducti- on of false positives in singing voice detection. In: IEEE und deren mediale Auspr¨agungen sehr heterogenen Da- International Conference on Acoustics, Speech and Signal tenbasis erm¨oglichen. Hierbei sind Auszeichnungstiefe Processing (ICASSP), 7480–7484 (2014) und Detailgrad der Informationserfassung wesentliche 7.M uller,¨ M., Jiang, N., Grosche, P.: A robust fitness mea- Herausforderungen fur die computergestutzte Arbeit sure for capturing repetitions in music recordings with ¨ ¨ applications to audio thumbnailing. In: IEEE Transac- mit diesen Daten, die an einigen Stellen immer noch tions on Audio, Speech & Language Processing 21(3), eine manuelle Bearbeitung erfordern. Die so entstande- 531–543 (2013) nen, stark verknupften¨ und annotierten Daten in Form 8. Paulus, J., Muller,¨ M., Klapuri, A.P.: Audio-based music von Quellentranskiptionen und -beschreibungen, Abbil- structure analysis. In: Proceedings of the International Society for Music Information Retrieval Conference (IS- dungen, Aufnahmen, deren Synchronisierung und den MIR), 625–636. Utrecht, The Netherlands (2010) darauf aufbauenden Forschungsergebnisse k¨onnen Aus- 9. Pr¨atzlich, T., Muller,¨ M.: Freischutz¨ digital: A case stu- gangspunkt fur¨ weitere digitale Editionsprojekte sein, dy for reference-based audio segmentation of . In: Proceedings of the International Society for Music Infor- verstehen sich dennoch als offenes, stets zu erweitern- mation Retrieval Conference (ISMIR), 589–594. Curitiba, des und zu korrigierendes multidimensionales Archiv. Brazil (2013) Die Integration des Benutzers in den Arbeitspro- 10. Pr¨atzlich, T., Muller,¨ M.: Frame-level audio segmentation zess einer Edition ist ein Ziel des Projekts, das es in for abridged musical works. In: Proceedings of the 15th International Conference on Music Information Retrieval der verbleibenden Laufzeit zu erarbeiten gilt. Vorgese- (ISMIR). Taipei, Taiwan (2014) hen ist, dem Benutzer die M¨oglichkeit zu geben, mit 11. Saunders, J.: Real-time discrimination of broadcast den aus dem Projekt hervorgegangenen Werkzeugen ei- speech/music. In: Proceedings of the IEEE International gene Fragestellungen an die Datenbasis zu stellen und Conference on Acoustics, Speech and Signal Processing (ICASSP), vol. 2, 993–996. IEEE (1996) die Ergebnisse in eigenen Ver¨offentlichungen wiederum 12. Viglianti, R., Veit, J.: Mind the gap. In: Die Tonkunst 5, nachnutzbar werden zu lassen. Uber¨ das Rechtemana- 318–325 (2011) gement des TextGrid-Systems k¨onnen hierfur¨ Forscher- 13. Wiering, F.: Digital critical editions of music: A multidi- gruppen oder auch Individuen gezielt zwischen priva- mensional model. In: Modern Methods for Musicology, 23–45 (2009) ten und ¨offentlichen Daten unterscheiden. Gleichzeitig