ZUR AUSSTELLUNG

Schönheit als Notwendigkeit Gewobenes und Gemaltes aus der Sammlung Otten Bis 29. Juli 2011

Nach Ausstellungen über die Russische Avantgarde und Gottfried Honegger widmet der Otten Kunstraum seine dritte Schau der Gegenüberstellung von Gewobenem und Gemaltem. Die Verbindung von Kunst und Leben, die Frage nach der gesellschaftlichen Relevanz von Kunst sowie eine reduzierte gegenstandsfreie Formensprache verknüpft mit der Suche nach dem Essentiellen – diese Themenstränge ziehen sich wie der sprichwörtliche rote Faden durch die Präsentationen im Otten Kunstraum.

Ein Umhang aus gefertigt in der Nasca-Periode im Zeitraum von 200-600 nach Christus, ein Poncho aus Guatemala, faszinierende Seidenstoffe in -Technik aus Süd-Ost-Asien und Flachgewebe aus Persien werden in der aktuellen Ausstellung gemeinsam mit Malereien und Grafiken von Eduardo Chillida, Marie-Antoinette Courtens, Adolfo Estrada, Helmut Federle, Jakob Gasteiger, Gottfried Honegger, Johannes Itten, Lluis Lleo, Alexander Konstantinow und Sean Scully gezeigt. Die ungewöhnliche Verbindung zwischen gegenstandsfreien modernen und zeitgenössischen Werken und alten Textilien aus unterschiedlichen Kulturkreisen mag auf den ersten Blick erstaunen, zu unterschiedlich scheinen die Beweggründe aus denen heraus die Ausstellungsobjekte entstanden sind. Auf den zweiten Blick eröffnen sich bei aller Verschiedenheit visuelle Verwandtschaften, die erstaunlich sind, und die über den reinen Sehgenuss hinaus zum Nachdenken anregen. Die dialogische Hängung im Otten Kunstraum schafft zahlreiche Querverbindungen, wirft Fragen auf, und macht sichtbar, was die beiden Schwerpunkte der Sammlung Otten miteinander verbindet: Reduzierte Formensprache, Harmonie der Farben, Ordnung und Struktur, Ästhetik, Kontemplation, Spiritualität und Poesie.

Das Weben gehört zu den ältesten handwerklichen Fähigkeiten und Kulturtechniken des Menschen. Unter Weben versteht man die Verkreuzung zweier Fadensysteme, die im rechten Winkel zueinander stehend, miteinander verflochten werden. Die in der Ausstellung gezeigten Textilien wurden für den eigenen Gebrauch hergestellt, um sich zu kleiden oder um Kinder und Tiere zu tragen, und sie wurden für rituelle Handlungen verwendet. Flächen, Formen und Farben der Textilien signalisieren kulturelle Zugehörigkeit. Gegenstandsfreie moderne und zeitgenössische Kunstwerke entziehen sich in der Regel der Lesbarkeit.

Bezeichnenderweise waren es Künstler und Architekten, die als Erste auf die in unserem Kulturkreis exotisch wirkenden arabischen, asiatischen und afrikanischen Textilien aufmerksam wurden. Davon geben Teppiche in den Malereien von Vermeer oder Lacroix Zeugnis. Der expressionistische Künstler Ernst Kirchner war im Besitz von Kelims und von Henri Matisse existiert ein Foto, welches ihn in seiner Wohnung umgeben von Raphia-Textilien aus dem Kongo zeigt. Generell lässt sich sagen, dass die außereuropäische Volkskunst einen großen Einfluss auf die Künstlerinnen und Künstler der Moderne ausgeübt . (Dr. Ingrid Adamer, Kuratorin)

Angeregt durch meinen textilen Beruf und begünstigt durch meine rege Reisetätigkeit, begann ich vor über 30 Jahren mit dem Sammeln alter Textilien aus unterschiedlichen Kulturkreisen Asiens, Afrikas und

2

Lateinamerikas. So wuchs über die Jahre hinweg eine Sammlung heran. Mit dem Suchen und Finden der jeweiligen Stoffe waren stets aufregend schöne Momente verbunden. Wilhelm Otten

Wenn wir die Abstraktion als die Suche nach dem Wesentlichen verstehen, so wird dies bei der Textilkunst besonders deutlich. Die Kreationen dieses ursprünglich traditionellen Handwerks (…) erzählen uns von Zeitlosigkeit und Aktualität. Adolfo Estrada

Die Ausstellung im Otten Kunstraum zeigt, dass das Gewobene einst Teil der Volkskultur war. Sie zeigt auch, dass Stil Identität und Heimat schafft. (Unausgesprochen ist die Frage: „Warum war Gewobenes einst Kunst, warum ist heute Gewobenes meistens banal, Handelsware?“) Das Gemalte, die Bilder sind abstrakt, konkret, ohne literarische Beigaben. Nur so wird Sehen zum kreativen Akt. Das Abstrakte im Gewobenen und im Gemalten gibt uns Sehfreiheit, Empfindungsfreiheit. Gottfried Honegger

Die Sammlung Otten ist der Glücksfall einer Zusammenführung von Objekten aus einem Bereich, der lange als „kunstfern“ gegolten hat, mit Werken der bildenden Kunst. Sie erlaubt uns, wahrzunehmen, dass und warum das Wesen künstlerischer Gestaltung nicht vor den Grenzen des Kunstbetriebs, so wie man ihn in der Moderne verstanden hat, Halt macht. Elisabeth von Samsonow

Eröffnung Schönheit als Notwendigkeit Gewobenes und Gemaltes aus der Sammlung Otten Samstag, 2. Oktober 2010, 18–1 Uhr anlässlich der Langen Nacht der Museen

Tag der offenen Tür Samstag, 20. März 2010, 11–18 Uhr freier Eintritt

Katalog Zur Ausstellung erscheint ein reich bebilderter Katalog in deutscher und englischer Sprache mit Texten von Elisabeth von Samsonow, Adolfo Estrada und Gottfried Honegger im Verlag für Moderne Kunst Nürnberg.

3

AUZÜGE AUS DEM KATALOG

Ausschnitte aus dem Essay Ganz tastendes Auge sein, geschrieben von Prof. Dr. Elisabeth von Samsonow für den Ausstellungskatalog Schönheit als Notwendigkeit. Gewobenes und Gemaltes aus der Sammlung Otten

Einleitung Einer Ausstellung wie dieser muss man unbedingt Erläuterungen zur Person des Sammlers vorausschicken. Wilhelm Otten ist nämlich einer der wenigen, die sich ihrem Sammlungsgegenstand – oder jedenfalls einem Teil des Sammlungsbestandes – nicht nur von außen, als Kenner und Genießer nähern, sondern profundes Wissen in Bezug auf Geschichte, Technologie und Kultur der betreffenden Gegenstände mitbringen. Wilhelm Otten hat selbst Textilien produziert und sich im Zuge dessen in Geschichte und Gegenwart der einschlägigen Technologien vertieft. Auf seinen ausgedehnten Reisen war es ihm möglich, seine Wahrnehmung zu verfeinern und sein Verstehen auszudehnen und zu schärfen und damit auch einen künstlerischen Begriff des Textils auf ein gut gegründetes, breites Fundament zu bauen. Die Kennerschaft sowie das Zusammentragen von Gegenständen und dem dazugehörigen Wissen ergeben nun die Voraussetzung für das, was man eine veritable Sammlerleidenschaft nennt. Diese nun erstreckt sich bei Wilhelm Otten auf geradezu unfehlbar logische Weise von der antiken Textilie bis hin zur abstrakten Moderne und Gegenwart. (…)

Kulturphilosophische Bemerkungen (…) Die Zusammenstellung von textilen und malerischen Objekten aus unterschiedlichen Zusammenhängen, so wie sie sich in der Sammlung Otten kombiniert finden, offenbart aber auch, dass die Herstellung des Reizvollen, Anziehenden und als interessant und schön Empfundenen nicht nur auf die AkteurInnen in den Ateliers der bildenden Kunst beschränkt ist. Die Handwerker, die craftsmen und craftswomen der unterschiedlichen Zeiten und unterschiedlichen Kulturen ließen sich in ihrem Tun nicht nur von der schieren Notwendigkeit des Broterwerbes und dem bloßen Zwang auferlegter Ausführungsgebote steuern, sondern leisteten sich genau jenen Luxus, der den Inhalt der bildenden Kunst in privilegierter Weise ausmacht. Auch wenn der Rahmen, innerhalb dessen sich der ästhetische Akt vollzieht, zweifellos ein anderer im Rahmen der Überlieferung einer handwerklichen Produktion und wieder ein anderer innerhalb des modernen Kunstbetriebes ist, so gibt es doch Überschneidungen und Überlappungen, die für beide Seiten profitabel sind. (…)

Die Exponate Ein peruanisches Nasca-Tuch von allerbester Qualität mit Werken von Helmut Federle oder Eduardo Chillida zusammenzustellen, hat schon selbst etwas von einer künstlerischen Geste. Das Auge darf sich gewissermaßen eingeladen fühlen, in Hinsicht auf seine hoheitliche Tätigkeit den Reiz von Ähnlichkeiten, Abweichungen, Varianten und nicht zuletzt der unterschiedlichen Materialien auszuspielen. Es darf also ganz tastendes Auge sein. Die Nasca-Kultur ist vor allem durch gigantische Erdzeichnungen der Weltöffentlichkeit bekannt geworden. Darüber hinaus konnten zahlreiche Artefakte gesichert werden, vor allem Keramiken mit geometrischem Dekor. Textilienfunde sind eher spärlich; das in der Sammlung Otten befindliche Stück vereint also höchste Qualität und Seltenheit. Es ist ein Museumsstück. In der Konfrontation eines solchen Tuches mit zeitgenössischer abstrakter Malerei lässt sich der Moment der Radikalisierung noch einmal wahrnehmen, die Emphase, die in der Herauslösung der Abstraktion aus Bedeutungs- oder

4

Handlungszusammenhängen vorliegt. Die sanfte Zentralisierung, die augengesteuerte Geometrie des Nasca-Tuches steht Federles Gemälde „Corner Field“ aus dem Jahr 1995 gegenüber wie ein vergrößerter Ausschnitt, der die Ornamentqualität unterläuft und damit eine erweiterte Freiheit der Form behauptet. Federles Farbigkeit ist gedeckt, eigensinnig gegen verdächtige Buntheit gedreht, und interferiert vortrefflich mit den Naturfarben der älteren Textilien. Federle ist, wie man weiß, selbst großartiger Kenner und Sammler von Textilien, darunter sehr schön ausgesuchte Navajo-Decken mit scharf gezeichnetem abstraktivem Dekor und amerikanische Quilts. In Bezug auf die entweder sehr alten oder eher traditionell gefertigten Textilien darf die Vermutung ausgesprochen werden, dass die Gestaltung von Flächen, Farben und Ornamenten nicht nur die Gefälligkeit gesteigert, sondern darüber hinaus auch eine Bedeutung gehabt haben könnte. Ein Teil dieser Semantik ist der Wiedererkennungseffekt, also eine einfache Zeichenhaftigkeit, die entweder eine kulturelle Zugehörigkeit signalisiert oder einen sozialen Sinn einführt. Dann gibt es noch jene Ebene der Bedeutung, die sich uns weitgehend entzieht oder über die wir notgedrungen nur spekulative Deutungen besitzen. Einige der historischen Textilien mögen sich durch ihr Erscheinungsbild bereits als spezifische, entweder rituelle oder anderweitig semantisch belegte Gegenstände ausweisen, was als Umstand in den Hintergrund tritt, sobald man sie herausgelöst aus ihrem jeweiligen Kontext betrachtet, sie also dem Zusammenhang, dem sie entstammen, entfremdet. (…)

Gleichwohl hat sich die moderne Abstraktion seit Kandinsky, forciert im American abstractionism, als eine Bewegung definiert, der am spirituellen Gehalt der Kunst gelegen ist. So weit ich sehe, lässt sich der größte Teil der von Wilhelm Otten versammelten KünstlerInnen einem solchen Bekenntnis zuordnen, was eine über die visuelle Botschaft hinausreichende Begründung dafür sein kann, abstrakte zeitgenössische Kunst mit historischen außereuropäischen Textilien zusammenzustellen. In beiden Fällen, in der Kunst und in den Textilien, bleibt der symbolische oder spirituelle Gehalt impliziert oder auch kryptisch und macht genau in diesem Modus den appeal aus. Einen persischen Masandaran aus dem frühen 20. Jahrhundert mit einem Werk von Sean Scully aus der Sammlung Otten zu konfrontieren, ergibt eine atemberaubende Übereinstimmung, eine Konsonanz, aus der sich allerdings kein einfacher Schluss ziehen lässt. Man tut gut daran, zunächst dem Gebot der meditativen Betrachtung Folge zu leisten und die Ähnlichkeiten im Formempfinden, die diese Gegenüberstellung inspiriert hat, auf sich wirken zu lassen. Streifen oder Blöcke als Bildelemente dominieren Textilien ebenso wie abstrakte Bilder. Die freie Rhythmik der Farbwiederholung in den Streifenkolonnen der peruanischen Aimaras der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts etwa hat eine Präzision, die aus der gekonnten Abweichung von der Regel kommt. Sean Scully, der sein Pastell auf einfachste Kontrastwirkung beschränkt, spielt ebenfalls mit der Entropie der Ordnung, wenn er die Streifen unterschiedlich breit und in Winzigkeiten unregelmäßig setzt. Mittels einer Variation von Streifenkolonnen unterschiedlicher Stärke verleiht er dem Bildraum eine irritierende und anziehende Plastizität. Die Papierarbeiten, die in dieser Ausstellung den Textilien gegenüberstehen, stammen im Übrigen nicht unbedingt aus der kleinformatigen Gattung: „Gravitación N 9“ von Eduardo Chillida beispielsweise ist auch hinsichtlich der eingesetzten Mittel – Tinte auf Papier – von minimalistischem Kalkül, wobei die Großzügigkeit des Formats im Verein mit der Einfachheit der Komposition durchaus Monumentalität besitzt. Der Titel ist insofern beispielhaft gewählt, als der Künstler mit ihm in der Tat eine Erhöhung bzw. eine Potenzierung der Bildbotschaft erreicht. Die Abweichung ist hier in der Linkslastigkeit der Komposition (Effekt der Gravitation, hier als Eigenschaft des Bildraumes) keine zufällige oder untergeordnete visuelle Größe, sondern Inhalt des Werks. In Jakob Gasteigers dreidimensionaler, skulpturaler Malerei in sattem Krapprot wirkt die „Architektur“ der parallelen dünnen Farbstege, im rechten Winkel zueinander gesetzt, wie eine malerische Meditation über das Gewebe. Der „Kamm“, mit dem der Künstler die Strukturen in die dicke Malschicht kratzt, verfremdet die farbige

5

Paste zu einer Variante von Haar oder Faserigem. In starkem Seitenlicht entfaltet eine solche Malerei ihren großen Reiz als dreidimensionaler, Zen-Garten-artiger Raum. Alexander Konstantinow erreicht einen vergleichbaren Effekt mit ganz anderen Mitteln, indem er feine Wasserfarbenlinien auf Papier derartig verdichtet, dass sich die Bildfläche unmittelbar in ein Textil zu verwandeln scheint. Überhaupt lässt sich an diesem subtilen Werk anschaulich machen, was die Devise Gottfried Sempers wirklich meint, wenn er davon spricht, dass die „textilen Künste vorauszuschicken“ seien. Sempers Idee des „Stoffwechsels“ – heute würden wir sagen: „Medienwechsel“ – als Grundlage der Künste darf für diese Gegenüberstellung von Textilien mit Werken der bildenden Kunst insofern programmatischen Status beanspruchen, als Ähnlichkeit der Struktur bei gleichzeitiger Unterschiedlichkeit der Trägermaterie das sie vereinende, allgemeine Merkmal der Exponate ist. Adolfo Estradas monumentale Komposition „Pintura 0220“ schert aus der Reihe der Arbeiten, die ganz unmittelbar Merkmale zitieren (wie Parallelität der Linien, Gekreuztes, Schraffur und Balkenkolonnen etc.) ein wenig aus, und dennoch kann in der Sicherheit, mit welcher die ausgesuchten warmen Farben gegen die schwarzen geometrischen Formen gesetzt sind, eine Geste von jener Kraft registriert werden, die etwa das Nasca-Tuch gestaltet hat. An diesem Werk lässt sich so etwas wie ein Weg von der Abstraktion in die Architektur erkennen. Durch seine Ausmaße bildet es darüber hinaus genau in dieser Eigenschaft – nämlich an Architektur zu erinnern – eine Klammer für die Exponate aus so unterschiedlichen Horizonten. Die Künstlerin Marie-Antoinette Courtens ist mit mittelformatigen Aquatinta-Radierungen vertreten, die man als feine Tuch-Bilder bezeichnen könnte. Mit ihrer zarten Binnenzeichnung und delikaten Farbwertabstufungen innerhalb der kontrastierenden Flächen erinnern sie von ferne an eine Bleichwiese. Die von der Künstlerin variierten Anordnungen rechteckiger Flächen geben der Tuch-Assoziation ihren abstrakten Wert zurück, indem sie darauf hinzuweisen scheinen, dass auch das Tuch selbst als bloße Fläche ein abstraktes Format hat. Hier tritt also eine sich unauffällig machende Verwandtschaft zwischen den Textilien und den Bildern zutage, dass sie sich nämlich alle in ein Rechteck einschreiben, also in das „Feld“ als primitive Ordnungsidee. Auf Lluis Lleós „Petit Sense Titol“ teilen sich zwei Felder in ein Rechteck, das beinahe quadratische Maße hat. Die Malerei mit Ölfarben und Bienenwachs auf Leinwand erreicht eine wunderbare Brüchigkeit der Malhaut mit Farbflächen, die an den Rändern brüchig sind und ausfransen wie bei einem uralten Textil. Besonders schön, wie der blaue Streifen zwischen dem schwarzen und dem Pompeji-roten Block sitzt, wobei letzterer eine rätselhafte Struktur aufweist (Kreise? Kugeln?). Gottfried Honegger, dem bereits eine eigene Schau im Otten Kunstraum gewidmet war, trägt zu dieser Ausstellung eine Arbeit aus den frühen siebziger Jahren bei, die eine minimale Abweichung des monochromen dunklen Rot an einem Streifen am rechten Bildrand zeigt. Die Komposition erinnert an Barnett Newmans abstraktive Bilder. Der kleine Reiz der Rotabweichung öffnet das Reich der Farben und erwirkt damit das Sehen des Sehens als Effekt der Abstraktion, den zu erreichen sie sich weithin verschrieben hat. Betrachtet man Ottens Textilien neben den Bildern, die er gesammelt hat, so lässt sich klar erkennen, dass seine Sammlertätigkeit von klaren Prinzipien geleitet gewesen sein muss. Neben äußerst streng und minimalistisch komponierten Textilien treten wenige Beispiele eines etwas opulenteren Konzepts von Abstraktion, wie beispielsweise die Bakuba-Matten aus dem Kongo und ein berückend schöner Kaschmir- Schal. Ein guatemaltekischer, der seinem Träger gewiss das Aussehen einer rätselhaft attraktiven Pyramide gegeben hatte, bildet schließlich mit seinem Zacken-Dekor die Brücke zu den herrlichen , die einen Sammlungsschwerpunkt des Asienkenners Wilhelm Otten ausmachen. Ich selbst habe an der Grenze zwischen Bangladesh und Birma, unweit der Chittagong Hill Tracts, in welchem Gebiet weithin bewunderte Weberinnen zu finden sind, in der Mitte der neunziger Jahre gesehen, wie Ikats produziert werden. Es waren nun keine spektakulären Stoffe, die dieser einfachen Produktion entsprangen, aber dennoch hüte ich meine eigenen

6

Erwerbungen im Andenken an ihre so intelligente und zugleich einfache und arbeitsintensive Herstellung gut. (…)

Zweifelsohne profitiert die Sammlung Otten von dem ungebrochenen oder auch wiedererwachten Interesse der Gegenwart am Textilen, das die Bindungs- oder Gewebestruktur einer komplexen medialen Welt nicht nur symbolisch vertritt, sondern darüber hinaus die Vorstellungskraft der Betrachter entschieden fordert. Insofern das Textil also auch eine imaginative und mentale Leistung anregt, ist es Werken der abstrakten Kunst also durchaus ebenbürtig. Die Sammlung Otten ist der Glücksfall einer Zusammenführung von Objekten aus einem Bereich, der lange als „kunstfern“ gegolten hat, mit Werken der bildenden Kunst. Sie erlaubt uns, wahrzunehmen, dass und warum das Wesen künstlerischer Gestaltung nicht vor den Grenzen des Kunstbetriebs, so wie man ihn in der Moderne verstanden hat, Halt macht.

7

Biografien der KünstlerInnen

Eduardo Chillida Geboren 1924 in San Sebastián, gestorben 2002 in San Sebastián 1943–1946 Architekturstudium am Colegio Mayor Ximénez de Cisneros, Madrid 1947 Abbruch des Architekturstudiums; Chillida beschließt Künstler zu werden; Besuch der privaten Kunstakademie Circulo de Bellas Artes, Madrid 1968–1970 monumentale Arbeiten in Edelstahlguss 1983 Ehrenmitglied der Royal Academy of Arts, London 1984 Projektierung der Fundación Chillida in Zabalaga 1993 Mitglied der American Academy of Arts & Sciences, Cambridge; Ehrenmitglied der American Academy of Arts and Letters, New York Zahlreiche Arbeiten im öffentlichen Raum u. a. die Skulpturen „Peine del Viento“ am Westende der Bucht „La Concha“, San Sebastián (1976) und „Berlin“ vor dem Bundeskanzleramt Berlin (1999)

Marie-Antoinette Courtens Geboren 1944 in Oss, lebt und arbeitet in Tilburg und Ibiza 1960–1965 Academie voor Industriële Vormgeving, Eindhoven 1967–1968 Academie Sint Joost , Breda 1975–1976 Atelier Stanley Hayter, Paris 1977–1978 Vrije Academie, Den Haag 1978–1979 Atelier Albert Ribas, Barcelona

Adolfo Estrada Geboren 1942 in Buenos Aires, lebt in La Bisbal (Spanien) Studierte Malerei im Atelier von Ignácio Colombres 1962 Umzug nach Madrid; Kurs an der Real Academia de Bellas Artes, San Fernando

Helmut Federle Geboren 1944 in Solothurn, lebt und arbeitet in Camaiore und Wien 1964–1969 Allgemeine Gewerbeschule, Basel 1979–1983 Aufenthalt in New York 1999–2007 Professor, Staatliche Kunstakademie, Düsseldorf Zahlreiche Projekte in Zusammenarbeit mit Architekten u. a. 2005 Novartis Campus – Forum 3, Basel , Arbeitsgemeinschaft Diener & Diener Architekten, Helmut Federle, Gerold Wiederin

8

Jakob Gasteiger Geboren 1953 in Salzburg, lebt und arbeitet seit 1976 in Wien 1969–1973 Hochschule für Musik und darstellende Kunst, Salzburg 1990 Anton-Faistauer-Preis für Malerei 1995 24. Österreichischer Grafikwettbewerb Innsbruck, Preisträger 1999 26. Österreichischer Grafikwettbewerb, Preis der Landeshauptstadt Innsbruck 2005 Nominierung: Großer Kunstpreis des Landes Salzburg

Gottfried Honegger Geboren 1917 in Zürich, lebt und arbeitet in Zürich 1932 Kunstgewerbeschule Zürich 1933–1936 Arbeit als freier Grafiker 1939 Aufenthalt in Paris, tätig als freier Maler 1958 Umzug nach New York, arbeitet als freier Grafiker 1960 Umzug nach Paris 1999 Ernennung zum Chevalier de l ‘Ordre de la Légion d’Honneur durch Kulturministerin Catherine Tasca, Paris Diverse Kunst am Bau-Projekte und Skulpturen im öffentlichen Raum, u. a. eine Skulptur im Kreisverkehr, Schwefel, Hohenems (2009)

Johannes Itten Geboren 1888 in Süderen-Linden (Berner Oberland), gestorben 1967 in Zürich 1909/1910 Wintersemester an der École des Beaux-Arts, Genf 1910–1912 mathematisch-naturwissenschaftliches Studium, Universität Bern 1917–1919 leitet eine eigene private Kunstschule in Wien, die „Itten-Schule“ 1919 durch Walter Gropius als einer der ersten Lehrer an das Staatliche Bauhaus in Weimar berufen (tätig bis 1923); entwickelt seine allgemeine Gestaltungslehre und führt den Vorkurs als neues Element im Ablauf der Künstlerausbildung ein 1926 Gründung der eigenen „Modernen Kunstschule“ in Berlin 1934 Schließung der Berliner Itten-Schule durch das Nazi-Regime 1938 Emigration nach Holland; wird als Direktor des Kunstgewerbemuseums und der dazugehörigen Schule nach Zürich berufen, die er bis 1953 leitet 1949 Auftrag zum Aufbau des „Museums Rietberg für außereuropäische Kunst“, Zürich (Eröffnung 1952, Leitung bis 1956) 1961 fasst seine Erfahrungen und Erkenntnisse in der Farbenlehre in dem Buch „Kunst der Farbe“ zusammen; auf dem Gebiet der Formen- und Gestaltungslehre folgt das Buch „Mein Vorkurs am Bauhaus“

Alexander Konstantinow Geboren 1953 in Moskau, lebt und arbeitet in Moskau 1970–1980 Ausbildung in Moskauer Kunstateliers Zahlreiche Installationen im öffentlichen Raum u. a. die Projekte „Glacier“ in Lech am Arlberg (2005) und „Wandering Forest“ für die Kulturhauptstadt Luxemburg 2007 (2006)

9

Lluis LLeó Geboren 1961 in Barcelona Lebt und arbeitet in New York Als Maler in der dritten Generation hat Lluis Lleó von seinem Vater und Großvater das Interesse für traditionelle Techniken vermittelt bekommen.

Sean Scully Geboren 1945 in Dublin, lebt in Königsdorf, Barcelona und London 1965–1968 Croyden College of Art, London 1968–1972 Newcastle University, England 1972–1973 Harvard University, Cambridge 1973–1975 lehrt an der Chelsea School of Art und dem Goldsmiths’ College of Art, London 1977–1983 lehrt an der Princeton University, New 1983 Guggenheim Fellowship; amerikanischer Staatsbürger 1981–1984 Lehrauftrag an der Parsons The New School for Design, New York 1984 Fellowship des National Endowment for the Arts 2000 Ehrenmitglied des London Institute of Arts and Letters 2002–2007 Professur an der Akademie der Bildenden Künste, München 2003 Verleihung der Ehrendoktorwürde im Bereich bildende Künste am Massachusetts College of Art in den USA und Irland

10

FACTBOX OTTEN KUNSTRAUM

Öffnungszeiten jeden 1. Donnerstag im Monat 16–20 Uhr, gerne öffnen wir für Sie auch nach Vereinbarung.

Kunst im Freigelände Die Installationen und Skulpturen sind auch außerhalb der Öffnungszeiten zugänglich.

Shop Eine Besonderheit sind die von KünstlerInnen gestalteten Schaleditionen.

Eintrittspreise Erwachsene: € 7,– mit Ermäßigung: € 4,– Schüler/Lehrlinge: € 2,– Kinder: freier Eintritt Gruppen (ab 10 Pers.): € 4,– Kulturpass: freier Eintritt Die öffentliche Führung um 18 Uhr ist im Eintrittspreis enthalten.

Führungen (Preis zzgl. Eintritt) Gruppen bis 25 Personen während der Öffnungszeiten: € 4,– außerhalb der Öffnungszeiten: € 6,– für Schüler: € 2,–

OTTEN KUNSTRAUM Schwefelbadstrasse 2 A-6845 Hohenems T +43 5576 90400 F +43 5576 704200 [email protected] www.ottenkunstraum.at

11

WERKVERZEICHNIS MALEREI UND GRAFIK Schönheit als Notwendigkeit. Gewobenes und Gemaltes aus der Sammlung Otten

Eduardo Chillida Marie-Antoinette Courtens Gravitación N 9 Ohne Titel 1989 2002 Tinte auf Papier Aquatinta-Radierung 120 x 80 cm 98,5 x 68,5 cm

Marie-Antoinette Courtens Adolfo Estrada Ohne Titel Pintura 0220 2003 2002 Aquatinta-Radierung Öl auf Holz 90 x 70 cm 152 x 289,5 cm

12

Helmut Federle Jakob Gasteiger Corner Field Ohne Titel 1995 11.02.2005 Öl auf Leinwand Acryl auf Leinwand 46,5 x 55 cm 200 x 150 cm

Gottfried Honegger Johannes Itten P 633 Komposition mit Grau 1971 1967 Acryl auf Leinwand Öl auf Leinwand 140,5 x 120,5 cm 50 x 40 cm

Alexander Konstantinow Lluis Lleó Ohne Titel Petit Sense Titol 1991 12/1993 Wasserfarben auf Papier Öl , Bienenwachs auf Leinwand

13

61 x 86 cm 97 x 92 cm

Sean Scully 9-11-1996 09.11.1996 Pastell auf Papier 57,6 x 76,4 cm

WERKVERZEICHNIS TEXTILIEN Schönheit als Notwendigkeit. Gewobenes und Gemaltes aus der Sammlung Otten

Guatemala Indien, Kaschmir Poncho Umhang Anf. 20. Jh. 1845–1850 Gewebe, Pashmina (Himalaya Ziegenhaar) 148 x 298 cm Gewebe, Baumwolle 143 x 86 cm

14

Kambodscha Kambodscha Langgewebe für Männerkleidung Langgewebe für Männerkleidung (sompot hol chongkraben) (sompot hol chongkraben) Ende 19. Jh. Ende 19. Jh. Ikat, Seide Ikat, Seide 89 x 227 cm 94 x 330 cm

Kongo, Bakuba Persien, Masandaran Zeremonialtextilie Kelim Anf. 19. Jh. Anf. 20. Jh. Raphiagewebe mit Applikationen Gewebe, Schafswolle, Ziegenhaar 60 x 268 cm 190 x 180 cm

Persien, Masandaran Peru Kelim Umhang (Cushma) Anf. 20. Jh. Nasca-Periode (200–600 n. Chr. ) Gewebe, Schafswolle, Ziegenhaar Gewebe, Alpacawolle 120 x 112 cm 242 x 120 cm

15

Peru, Aimara Peru, Aimara Umhang (Manta) Umhang (Manta) Anf. 20. Jh. Anf. 20. Jh. Gewebe, Schafswolle oder Lamahaar Gewebe, Schafswolle oder Lamahaar 116 x 106 cm 112 X 68 cm

Thailand, Süd Isan Thailand, Süd Isan Langgewebe für Männerkleidung Langgewebe für Männerkleidung (chongkraben hol) (chongkraben hol) Ende 20. Jh. Ende 20. Jh. Ikat, Seide Ikat, Seide 81 x 284 cm 75 x 228 cm

Thailand, Zentral Isan Thailand, Zentral Isan Wickelrock für Frauen (phasin mii) Wickelrock für Frauen (phasin mii) Mitte 20. Jh. Mitte 20. Jh. Ikat, Seide Ikat, Seide 98 x 163 cm (Stoffbahn) 96 x 160 cm (Stoffbahn)

16

Thailand, Zentral Isan Thailand, Zentral Isan Wickelrock für Frauen (phasin mii) Wickelrock für Frauen (phasin mii) Mitte 20. Jh. Mitte 20. Jh. Ikat, Seide Ikat, Seide 84 x 170 cm (Stoffbahn) 90 x 159 cm (Stoffbahn)

Thailand, Provinz Buriram, Süd Isan Thailand, Provinz Buriram, Isan Wickelrock für Frauen (phasin mii) Wickelrock für Frauen (phasin mii) Mitte 20. Jh. Mitte 20. Jh. Ikat, Seide Ikat, Seide 94 x 169 cm (Stoffbahn) 98 x 164 cm (Stoffbahn)

Thailand, Zentral Isan Thailand, Provinz Buriram, Isan Wickelrock für Frauen (phasin mii) Wickelrock für Frauen (phasin mii) Mitte 20. Jh. Mitte 20. Jh. Ikat, Seide Ikat, Seide

17

89 x 164 cm (Stoffbahn) 97 x 137 cm (Stoffbahn)

18

ÜBERSICHT PRESSEBILDER

Eduardo Chillida Marie-Antoinette Courtens Gravitación N 9 Ohne Titel 1989 2002

Adolfo Estrada Helmut Federle Pintura 0220 Corner Field 2002 1995

Jakob Gasteiger Gottfried Honegger Ohne Titel P 633 2005 1971

19

Johannes Itten Alexander Konstantinow Komposition mit Grau Ohne Titel 1967 1991

Lluis Lleó Sean Scully Petit Sense Titol 9-11-1996 1993 1996

20

Indien, Kaschmir Guatemala Umhang Poncho 1845–1850 Anf. 20. Jh.

Kongo, Bakuba Persien, Masandaran Zeremonialtextilie Kelim Anf. 19. Jh. Anf. 20. Jh.

Persien, Masandaran Peru Kelim Umhang (Cushma) Anf. 20. Jh. Nasca-Periode (200–600 n. Chr. )

21

Peru, Aimara Peru, Aimara Umhang (Manta) Umhang (Manta) Anf. 20. Jh. Anf. 20. Jh.

Thailand, Zentral Isan Thailand, Zentral Isan Wickelrock für Frauen (phasin mii) Wickelrock für Frauen (phasin mii) Ikat, Seide Ikat, Seide Mitte 20. Jh. Mitte 20. Jh.

Blick in den Otten Kunstraum Blick in den Otten Kunstraum Foto: Arno Giesinger Foto: Arno Giesinger

22