Zur Ausstellung
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ZUR AUSSTELLUNG Schönheit als Notwendigkeit Gewobenes und Gemaltes aus der Sammlung Otten Bis 29. Juli 2011 Nach Ausstellungen über die Russische Avantgarde und Gottfried Honegger widmet der Otten Kunstraum seine dritte Schau der Gegenüberstellung von Gewobenem und Gemaltem. Die Verbindung von Kunst und Leben, die Frage nach der gesellschaftlichen Relevanz von Kunst sowie eine reduzierte gegenstandsfreie Formensprache verknüpft mit der Suche nach dem Essentiellen – diese Themenstränge ziehen sich wie der sprichwörtliche rote Faden durch die Präsentationen im Otten Kunstraum. Ein Umhang aus Peru gefertigt in der Nasca-Periode im Zeitraum von 200-600 nach Christus, ein Poncho aus Guatemala, faszinierende Seidenstoffe in Ikat-Technik aus Süd-Ost-Asien und Flachgewebe aus Persien werden in der aktuellen Ausstellung gemeinsam mit Malereien und Grafiken von Eduardo Chillida, Marie-Antoinette Courtens, Adolfo Estrada, Helmut Federle, Jakob Gasteiger, Gottfried Honegger, Johannes Itten, Lluis Lleo, Alexander Konstantinow und Sean Scully gezeigt. Die ungewöhnliche Verbindung zwischen gegenstandsfreien modernen und zeitgenössischen Werken und alten Textilien aus unterschiedlichen Kulturkreisen mag auf den ersten Blick erstaunen, zu unterschiedlich scheinen die Beweggründe aus denen heraus die Ausstellungsobjekte entstanden sind. Auf den zweiten Blick eröffnen sich bei aller Verschiedenheit visuelle Verwandtschaften, die erstaunlich sind, und die über den reinen Sehgenuss hinaus zum Nachdenken anregen. Die dialogische Hängung im Otten Kunstraum schafft zahlreiche Querverbindungen, wirft Fragen auf, und macht sichtbar, was die beiden Schwerpunkte der Sammlung Otten miteinander verbindet: Reduzierte Formensprache, Harmonie der Farben, Ordnung und Struktur, Ästhetik, Kontemplation, Spiritualität und Poesie. Das Weben gehört zu den ältesten handwerklichen Fähigkeiten und Kulturtechniken des Menschen. Unter Weben versteht man die Verkreuzung zweier Fadensysteme, die im rechten Winkel zueinander stehend, miteinander verflochten werden. Die in der Ausstellung gezeigten Textilien wurden für den eigenen Gebrauch hergestellt, um sich zu kleiden oder um Kinder und Tiere zu tragen, und sie wurden für rituelle Handlungen verwendet. Flächen, Formen und Farben der Textilien signalisieren kulturelle Zugehörigkeit. Gegenstandsfreie moderne und zeitgenössische Kunstwerke entziehen sich in der Regel der Lesbarkeit. Bezeichnenderweise waren es Künstler und Architekten, die als Erste auf die in unserem Kulturkreis exotisch wirkenden arabischen, asiatischen und afrikanischen Textilien aufmerksam wurden. Davon geben Teppiche in den Malereien von Vermeer oder Lacroix Zeugnis. Der expressionistische Künstler Ernst Kirchner war im Besitz von Kelims und von Henri Matisse existiert ein Foto, welches ihn in seiner Wohnung umgeben von Raphia-Textilien aus dem Kongo zeigt. Generell lässt sich sagen, dass die außereuropäische Volkskunst einen großen Einfluss auf die Künstlerinnen und Künstler der Moderne ausgeübt hat. (Dr. Ingrid Adamer, Kuratorin) Angeregt durch meinen textilen Beruf und begünstigt durch meine rege Reisetätigkeit, begann ich vor über 30 Jahren mit dem Sammeln alter Textilien aus unterschiedlichen Kulturkreisen Asiens, Afrikas und 2 Lateinamerikas. So wuchs über die Jahre hinweg eine Sammlung heran. Mit dem Suchen und Finden der jeweiligen Stoffe waren stets aufregend schöne Momente verbunden. Wilhelm Otten Wenn wir die Abstraktion als die Suche nach dem Wesentlichen verstehen, so wird dies bei der Textilkunst besonders deutlich. Die Kreationen dieses ursprünglich traditionellen Handwerks (…) erzählen uns von Zeitlosigkeit und Aktualität. Adolfo Estrada Die Ausstellung im Otten Kunstraum zeigt, dass das Gewobene einst Teil der Volkskultur war. Sie zeigt auch, dass Stil Identität und Heimat schafft. (Unausgesprochen ist die Frage: „Warum war Gewobenes einst Kunst, warum ist heute Gewobenes meistens banal, Handelsware?“) Das Gemalte, die Bilder sind abstrakt, konkret, ohne literarische Beigaben. Nur so wird Sehen zum kreativen Akt. Das Abstrakte im Gewobenen und im Gemalten gibt uns Sehfreiheit, Empfindungsfreiheit. Gottfried Honegger Die Sammlung Otten ist der Glücksfall einer Zusammenführung von Objekten aus einem Bereich, der lange als „kunstfern“ gegolten hat, mit Werken der bildenden Kunst. Sie erlaubt uns, wahrzunehmen, dass und warum das Wesen künstlerischer Gestaltung nicht vor den Grenzen des Kunstbetriebs, so wie man ihn in der Moderne verstanden hat, Halt macht. Elisabeth von Samsonow Eröffnung Schönheit als Notwendigkeit Gewobenes und Gemaltes aus der Sammlung Otten Samstag, 2. Oktober 2010, 18–1 Uhr anlässlich der Langen Nacht der Museen Tag der offenen Tür Samstag, 20. März 2010, 11–18 Uhr freier Eintritt Katalog Zur Ausstellung erscheint ein reich bebilderter Katalog in deutscher und englischer Sprache mit Texten von Elisabeth von Samsonow, Adolfo Estrada und Gottfried Honegger im Verlag für Moderne Kunst Nürnberg. 3 AUZÜGE AUS DEM KATALOG Ausschnitte aus dem Essay Ganz tastendes Auge sein, geschrieben von Prof. Dr. Elisabeth von Samsonow für den Ausstellungskatalog Schönheit als Notwendigkeit. Gewobenes und Gemaltes aus der Sammlung Otten Einleitung Einer Ausstellung wie dieser muss man unbedingt Erläuterungen zur Person des Sammlers vorausschicken. Wilhelm Otten ist nämlich einer der wenigen, die sich ihrem Sammlungsgegenstand – oder jedenfalls einem Teil des Sammlungsbestandes – nicht nur von außen, als Kenner und Genießer nähern, sondern profundes Wissen in Bezug auf Geschichte, Technologie und Kultur der betreffenden Gegenstände mitbringen. Wilhelm Otten hat selbst Textilien produziert und sich im Zuge dessen in Geschichte und Gegenwart der einschlägigen Technologien vertieft. Auf seinen ausgedehnten Reisen war es ihm möglich, seine Wahrnehmung zu verfeinern und sein Verstehen auszudehnen und zu schärfen und damit auch einen künstlerischen Begriff des Textils auf ein gut gegründetes, breites Fundament zu bauen. Die Kennerschaft sowie das Zusammentragen von Gegenständen und dem dazugehörigen Wissen ergeben nun die Voraussetzung für das, was man eine veritable Sammlerleidenschaft nennt. Diese nun erstreckt sich bei Wilhelm Otten auf geradezu unfehlbar logische Weise von der antiken Textilie bis hin zur abstrakten Moderne und Gegenwart. (…) Kulturphilosophische Bemerkungen (…) Die Zusammenstellung von textilen und malerischen Objekten aus unterschiedlichen Zusammenhängen, so wie sie sich in der Sammlung Otten kombiniert finden, offenbart aber auch, dass die Herstellung des Reizvollen, Anziehenden und als interessant und schön Empfundenen nicht nur auf die AkteurInnen in den Ateliers der bildenden Kunst beschränkt ist. Die Handwerker, die craftsmen und craftswomen der unterschiedlichen Zeiten und unterschiedlichen Kulturen ließen sich in ihrem Tun nicht nur von der schieren Notwendigkeit des Broterwerbes und dem bloßen Zwang auferlegter Ausführungsgebote steuern, sondern leisteten sich genau jenen Luxus, der den Inhalt der bildenden Kunst in privilegierter Weise ausmacht. Auch wenn der Rahmen, innerhalb dessen sich der ästhetische Akt vollzieht, zweifellos ein anderer im Rahmen der Überlieferung einer handwerklichen Produktion und wieder ein anderer innerhalb des modernen Kunstbetriebes ist, so gibt es doch Überschneidungen und Überlappungen, die für beide Seiten profitabel sind. (…) Die Exponate Ein peruanisches Nasca-Tuch von allerbester Qualität mit Werken von Helmut Federle oder Eduardo Chillida zusammenzustellen, hat schon selbst etwas von einer künstlerischen Geste. Das Auge darf sich gewissermaßen eingeladen fühlen, in Hinsicht auf seine hoheitliche Tätigkeit den Reiz von Ähnlichkeiten, Abweichungen, Varianten und nicht zuletzt der unterschiedlichen Materialien auszuspielen. Es darf also ganz tastendes Auge sein. Die Nasca-Kultur ist vor allem durch gigantische Erdzeichnungen der Weltöffentlichkeit bekannt geworden. Darüber hinaus konnten zahlreiche Artefakte gesichert werden, vor allem Keramiken mit geometrischem Dekor. Textilienfunde sind eher spärlich; das in der Sammlung Otten befindliche Stück vereint also höchste Qualität und Seltenheit. Es ist ein Museumsstück. In der Konfrontation eines solchen Tuches mit zeitgenössischer abstrakter Malerei lässt sich der Moment der Radikalisierung noch einmal wahrnehmen, die Emphase, die in der Herauslösung der Abstraktion aus Bedeutungs- oder 4 Handlungszusammenhängen vorliegt. Die sanfte Zentralisierung, die augengesteuerte Geometrie des Nasca-Tuches steht Federles Gemälde „Corner Field“ aus dem Jahr 1995 gegenüber wie ein vergrößerter Ausschnitt, der die Ornamentqualität unterläuft und damit eine erweiterte Freiheit der Form behauptet. Federles Farbigkeit ist gedeckt, eigensinnig gegen verdächtige Buntheit gedreht, und interferiert vortrefflich mit den Naturfarben der älteren Textilien. Federle ist, wie man weiß, selbst großartiger Kenner und Sammler von Textilien, darunter sehr schön ausgesuchte Navajo-Decken mit scharf gezeichnetem abstraktivem Dekor und amerikanische Quilts. In Bezug auf die entweder sehr alten oder eher traditionell gefertigten Textilien darf die Vermutung ausgesprochen werden, dass die Gestaltung von Flächen, Farben und Ornamenten nicht nur die Gefälligkeit gesteigert, sondern darüber hinaus auch eine Bedeutung gehabt haben könnte. Ein Teil dieser Semantik ist der Wiedererkennungseffekt, also eine einfache Zeichenhaftigkeit, die entweder eine kulturelle Zugehörigkeit signalisiert oder einen sozialen Sinn einführt. Dann gibt es noch jene Ebene der Bedeutung,