Behind the Candelabra : Steven Soderbergh
Autor(en): Arnold, Frank
Objekttyp: Article
Zeitschrift: Filmbulletin : Zeitschrift für Film und Kino
Band (Jahr): 55 (2013)
Heft 333
PDF erstellt am: 04.10.2021
Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-864157
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AN EPISODE IN THE LIFE BEHIND THE CANDELABRA OF AN IRONPICKER Steven Soderbergh Danis Tanovic
Die Geschichte spielt im verschneiten ist so eine filmische Nachinszenierung mit Glamour & Glitter: Der Mann, der auf Roma-Dorf Poljice im Norden von Bosnien. dokumentarischem Charakter entstanden. der Bühne an einem Flügel sitzt, trägt einen Nazif und Senada leben mit ihren zwei kleinen Wir nehmen am täglichen Überlebenskampf Glitzeranzug und voluminöse Ringe an den Töchtern Sandra und Semsa in einem ebenso teil wie am zermürbenden Werweis- Fingern, auf dem Flügel prunkt ein goldener karg eingerichteten Haus. Es ist eng. Es ist sen, als es darum geht, die Mittel für die Kerzenhalter. Seine Zuhörer, überwiegend bitterkalt, das Holz ist alle - also geht Nazif Operation aufzutreiben. Und wir raufen uns Damen gesetzten Alters, unterhält er in den Wald, fällt einen jungen Baum und im Geist auch ein bisschen die Haare, scheinen zwischen den einzelnen Stücken mit kleinen heizt mit dem Holz die winzige Stube für ein doch auf der einen Seite Logik und eine Geschichten. Bei einem späteren Auftritt darf paar Stunden. Nazifbringt seine Familie mit auch nur minimalst vorausschauende sein Publikum die fünf Meter lange Schleppe dem Verkauf von Schrotteisen über die Runden. Handlungsweise ebenso ausser Kraft gesetzt wie seines Hermelinmantels bewundern und Der Nachbar bittet um Hilfe beim Menschlichkeit und medizinisches Berufsethos staunen, wenn er auf der Bühne einem Rolls Zerlegen eines Autos, also packt Nazif mit der auf der anderen. Royce entsteigt. Kein Zweifel, dieser Mann Axt mit an, rackert sich ab für ein paar Mar- Bei aller Empörung ob des Vorkommnisses mag es exzentrisch. Liberace war kein ka, wobei ein Teil davon schon wieder weggeht und der Abweisung durch die Ärzte unbegabter Pianist, vor allem aber war er ein für den anschliessenden Schnaps in der stellen sich aber doch auch einige Fragen: begnadeter Entertainer, der sich seinen Beinamen Kneipe. Es ist ein Leben von der Hand in den Soll die Diskriminierung von Roma angeklagt «Mr. Showmanship» wirklich verdient Mund - ein Seiltanz ohne Netz. werden, gibt der Film letztlich zu wenig hatte. Das Exzentrische beschränkte sich Das kann nur so lange gut gehen, wie Hintergrundwissen, um Anteil am Schicksal nicht nur auf seine Bühnenauftritte, er be- nichts Unvorhersehbares passiert. Als die der Familie zu nehmen. Senadas Schwägerin sass ein Dutzend Luxusautos, und die Innenräume schwangere Senada aber ärztliche Hilfe besitzt eine Krankenversicherungskarte seiner überaus geräumigen Villa waren braucht und das Spital in der nächstgelegenen - wieso nicht auch Senada? Und wenn es ähnlich überladen ausgestattet wie sein Stadt eine Notoperation verweigert, weil anscheinend Ämter gibt, die sich für Senada Outfit. Er hatte seine eigene Fernsehshow, die Familie nicht krankenversichert ist und engagieren und Nazif diese in Anspruch zu Gastauftritte in populären Serien wie die Operation bar bezahlen muss, herrscht nehmen weiss, weshalb dann nicht auch für «Batman», «Kojak», «The Monkees», der «Mup- Notstand. Man weist sie ab, einmal, zweimal ihn selbst, der - wie er erzählt - vier Jahre im pet Show» und verkörperte in Tony Richard- - und erst beim dritten Mal und mithilfe einer Krieg gedient und dort seinen Bruder verloren sons Hollywoodsatire the loved one 1964 List wird Senada behandelt und ihr Leben hat, aber keine Rente erhält? Dass die den Inhaber eines Bestattungsunternehmens. endlich gerettet. medizinische Dienstleistung letztlich mittels Das öffentliche Leben voller Glamour Der bosnische Regisseur - der für eines kleinen Betrugs erhalten wird, ist hatte auch eine verborgene Seite: Zeit seines seinen Erstling no man's land (2001) vielfach zwar mehr als verständlich, aber was für ein Lebens trat Liberace Gerüchten über seine preisgekrönte Danis Tanovic - stiess bei der Licht wirft es auf die Roma? Und etwas ratlos angebliche Homosexualität vehement Zeitungslektüre auf das Fait divers und be- nimmt man auch zur Kenntnis, dass nach entgegen, entsprechende Gerichtsurteile fielen schloss, einen Film daraus zu machen. Dazu dem Notstand alles wieder ins alte stets zu seinen Gunsten aus. Selbst sein Tod spürte er die Roma-Familie auf, um die Fahrwasser zurückgleitet - in dasselbe Von-der- am 4. Februar 1987 wurde von seinem Leibarzt Geschehnisse in einem Reenactment mit den Hand-in-den-Mund-Leben. Und so drängt noch als "Herzversagen" etikettiert, bis authentischen Protagonisten nachzudrehen sich nach dem Ende des Films die Frage auf: eine staatlich angeordnete Autopsie die wahre - mit Ausnahme der Vertreter/innen der Zementiert Tanovic mit seinem Film nicht Todesursache enthüllte: die Immunschwäche Institutionen, die - nachvollziehbarerweise - ihre viel eher herrschende Vorurteile, als dass er Aids. Reaktionen nicht vor der Kamera wiederholen aufrüttelt und Dinge aufzeigt, die es auf BEHIND THE CANDELABRA ist kein wollten. Tanovic lebte in der Folge ein gesellschaftlicher und politischer Ebene zu bio-pic im traditionellen Sinne mit Aufstieg paar Tage mit Senada und Nazif, machte sie verändern gälte? und Fall; vielmehr konzentriert sich der Film mit sich und der Kamera vertraut, um dann auf einen einzigen Lebensabschnitt, die Jahre Doris Senn in nur zehn Tagen, vorwiegend an den 1977 bis 1984, gesehen aus der Perspektive Originalschauplätzen und möglichst ohne von Liberaces damaligem Liebhaber Scott R,B: Danis Tanovic; K:Erol Zubcevic; S:Timur Makarevic; Wiederholung, um jegliches "Schauspielern" zu Thorson (auf dessen 1988 veröffentlichtem T: Samir Foco. D (R): Senada Alimanovic (Senada), Nazif vermeiden, die Geschichte abzudrehen. autobiografischem Buch das Drehbuch Mujic (Nazif), Sandra Mujic (Sandra), Semsa Mujic (Semsa). Aus Tanovics Low-Budget-Projekt (der P: SCCA/pro.ba, ASAP Films. Bosnien-Herzegowina basiert). Eine Liebesgeschichte also mit ihren Film soll nur 17 000 Franken gekostet haben) 2013.74 Min. CH-V: trigon-film, Ennethaden Höhen und Tiefen, von sehnsuchtsvollen FILMBULLETIN 6.13 NEU IM KIND
Blicken am Anfang, der Verführung, der Machbarkeit von Illusionen verschafft Gemälde - Liberace selbst. Verbunden mit sexuellen Ekstase bis hin zur häuslichen Routine haben. Aber: Liebe macht blind. Wenn ihm dem Vorschlag einer Adoption wirkt das in der gemeinsamen Abende vor dem der Hausboy erklärt, dass es vor ihm schon der Tat höchst seltsam: Sex mit dem eigenen Fernseher, der Langeweile, der Eifersucht und viele junge Liebhaber gegeben habe (und Sohn, oder gar mit sich selber? Scott führt schliesslich der unschönen Trennung. nach ihm sicherlich noch viele andere), dann das in die Abhängigkeit von Drogen, die Wenn der Film beginnt, schreibt man ist das offenbar etwas, was Scott lieber ihm der smarte Schönheitschirurg (ein toller das Jahr 1977, der Zuschauer kommt sich aber verdrängt. Der Hausboy ist im Unrecht, wenn Auftritt von Rob Lowe) verschreibt. wie in die prüden fünfziger Jahre versetzt vor, er hinzufügt, er selbst würde noch da sein, Soderbergh genügen zwei mit einer mobilen jedenfalls in die Zeit vor 1968 und vor der wenn Scott schon lange weg wäre - gleich Handkamera gefilmte Szenen, um Scotts Be- sexuellen Revolution. So wird etwa Scott von darauf zahlt ihn Liberaces Manager wusstseinszustand, das Abdriften in die seinen Pflegeeltern gefragt, ob er wieder zu Seymour aus. Aber mit seinem ersten Satz wird Paranoia, zu zeigen, beredter Kontrast zur «seinen San-Francisco-Freunden» gehe und er gleichwohl recht behalten. Der Film zeigt klassischen Inszenierung, mit der der Film sonst meinen damit seine sexuelle Orientierung; Liberaces Noch-Liebhaber Billy schmollend arbeitet. und einer dieser «San-Francisco-Freunde» im Bild, kurz bevor er zugunsten von Scott Als alles schon längst vorüber ist, Scott meint, die älteren Damen, die in Las Vegas abserviert wird, und zeigt gegen sein Ende ist mit seiner Abfindungsklage gescheitert gebannt dem Auftritt von Liberace lauschen, in genau derselben Einstellung Scott - nicht und muss sein Geld mit niederer Arbeit wüssten gar nicht, dass er schwul sei, schmollend, sondern wütend - und Liberace, verdienen, wirft er in einer Buchhandlung einen genauer gesagt, sie wollten es nicht wissen: der dem jungen Cary schöne Augen macht. Blick in den Band «The Wonderful Private «Man sieht nur, was man sehen will.» Dieser Liberace erweist sich als durchaus World of Liberace» und liest «ich verlor meine Satz kommt zwar an anderer Stelle des Films ironiefähig, wenn er etwa zu Scotts Schilderung Unschuld mit sechzehn an eine Bluessän- vor, er könnte aber Motto für das Ganze sein. seiner Kindheit mit wiederholtem Aufenthalt gerin» und «die grosse Liebe meines Lebens In den USA wurde behind the der Mutter in der Psychiatrie und war Sonja Henie» - alles Lüge, wie er weiss. candelabra Ende Mai, fünf Tage nach seiner seinem eigenen im Waisenhaus meint: «Fehlt Der Film kontrastiert das mit der Weltpremiere beim Filmfestival von Cannes, nur noch das Feuer im Waisenhaus!» - iko- Zeitungsschlagzeile, die den Aids-Tod von Rock Hudson vom Bezahlfernsehsender HBO ausgestrahlt, nografisches Bild des viktorianischen (am 2. Oktober 1985) vermeldet. der als Geldgeber eingesprungen war, nachdem Melodrams und zahlreicher früher Filme. Dabei war es schon der überraschende die Studios dem Projekt keine Das von Randy Newman so treffend Anblick von Liberace ohne Perücke, der Scott Kinochancen einräumten. Soderbergh meinte im besungene Gefühl des Künstlers, «lonely (und den Zuschauer) ziemlich zu Beginn Gespräch, das seien rein kommerzielle at the top» zu sein, verknappt der Film zu des Films gleichermassen erstaunte wie Erwägungen gewesen, aber wenn man den Film einem Monolog Liberaces, in dem er erschreckte: «the face behind the mask». Doch sieht, kann man sich durchaus fragen, ob darüber klagt, dass alle an seinem Erfolg wenn am Ende Scott bei Liberaces Beerdigung dafür nicht eher die Verdrängung einer partizipieren wollten. Sein Talent habe er von sich dessen Aufstieg in den Himmel unangenehmen Wahrheit ausschlaggebend war. Gott, verkündet er, gibt aber auch zu, dass - umgeben von Tänzerinnen - imaginiert, In Anbetracht von Liberaces Auftreten die Idee mit dem Kerzenleuchter, der bei dann darf man an John Fords «Print the wäre ein camp-geprägter Film naheliegend seinen Bühnenauftritten als Markenzeichen auf Legend!» denken: Der Mythos hat sich längst gewesen, etwas Schrilles, wie myra dem Flügel thront (und der dem Film seinen verselbständigt und wird auch die Wahrheit breckenridge, das die Figuren dem Spott Originaltitel gab), aus einem Film stammt - überleben. preisgibt. Zu Beginn scheint der Film wohl nicht zufälligerweise aus a song to Frank Arnold tatsächlich dahin zu tendieren, etwa wenn remember von Charles Vidor, der Holly- Liberaces Hausboy bei Scotts erstem Besuch mit woodbiografie seines Lieblingskomponisten R: Steven B: Richard nach seinem Hinterteil herumwedelt und bewusst Chopin. Soderbergh; LaGravenese; «Behind the Candelabra - My Life with Liberace» von Scott redet. Da darf das Publikum lachen, Es wohl auch kein dass der gespreizt ist Zufall, Thorson und Alex Thorleifson; K: Peter Andrews S. Glatteis, aber der Film führt es damit eher aufs Anfang vom Ende der Beziehung sich mit Soderbergh); S.Mary Ann Bernard (=S. Soderbergh); A: Howard denn er zeigt seine Protagonisten im Verlauf dem Bild verknüpft, das sich Liberace von Cummings; Ko: Ellen Mirojnick; M: Marvin Hamlisch. D Michael der zwei Stunden durchaus ambivalent. sich und Scott macht; Die Schönheitsoperation, (R): Douglas (Liberace), Matt Damon (Scott), Scott Bakula (Bob Black), Rob Lowe (Dr. Jach Startz), Dan Ay- Scott wirkt zu Beginn wie ein Landei, der Liberace sich unterzieht, verordnet kroyd (Seymour Heller), Debbie Reynolds (Frances Liberace), seine Arbeit als animal wrangler beim Film er gleich auch seinem Liebhaber. Der solle CheyenneJackson (Billy Leatherwood). P: HBO Films;Jerry dürfte ihm gleichwohl ein Wissen um die so aussehen wie der junge Mann auf dem Weintraub. USA 2013.118 Min. V: DCM Filmdistribution