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Menschen

Nachruf auf Dieter Gerlich

m 15. Oktober verstarb völlig über­ nen, sondern auch die Personen mit A raschend Dieter Gerlich auf einer so unterschiedlichen Lebensläufen zu Wanderung im Schwarzwald. Seine einer Gemeinschaft verschmolzen. Leidenschaft war die Wissenschaft. Aus dieser­ Keimzelle erwuchs über Sein Lebenswerk galt den Experi­ die Jahre eine Gemeinschaft in der menten zur Untersuchung moleku­ Laborastrophysik, welche die Tradi­ larer Stöße. Sein wissenschaftliches tion der Forschergruppe fortführt. Leben nahm auch nach seiner Eme­ Dieter Gerlich war ein sehr koope­ ritierung weiter Fahrt auf. Sein Tod rativer Wissenschaftler, der seine Ent­ beendete unvermittelt sein großes wicklungen bereitwillig mit anderen wissenschaftliches Wirken. teilte und vielen Labors den Start zu Dieter Gerlich wurde am 29. Sep­ herausragenden wissenschaftlichen tember 1944 in Eichenbrück (heu­ Untersuchungen ermöglichte. Er tiges Wągrowiec, Polen) geboren. war nicht nur freigiebig mit seinem Im Januar 1945 floh die Familie nach Wissen und seinen Ideen. Er stellte , siedelte 1947 nach Braunlage, Dieter Gerlich vielen Gruppen ganze Apparaturen 1952 nach Badenweiler und schließ­ oder Teile zur Verfügung. Der 22-Pol- lich 1959 nach Ionenspeicher entwickelte sich quasi­ um. Nach dem Abitur 1964 nahm eine lebenslange Zusammenarbeit zum Exportschlager. Nach seiner er das Studium der Physik und Ma­ und Freundschaft verband. Freunde Emeritierung 2009 genoss er das thematik in Freiburg auf. Dieter war und Konkurrenten griffen die Tech­ Leben als wissenschaftlicher Vaga­ ein begeisterter Bastler und Tüftler nologie auf. So etablierten sich GIB- bund, da er sich seinen zahlreichen und konzipierte bald die ersten Ex­ Instrumente als Standardwerkzeug in Zusammenarbeiten (Tucson, Prag, perimente in der Arbeitsgruppe von zahlreichen Labors und sogar in kom­ Basel, , Köln/Novisad, Gar­ Christoph Schlier. Zusammen mit merziellen Massenspektrometern. ching, KIT,…) mit voller Kraft wid­ seinem Betreuer Ernst Teloy baute er Neben der Weiterentwicklung men konnte. Ihn erfüllte die wissen­ den ersten ­Oktopol-Ionenleiter auf. von GIB-Instrumenten machte sich schaftliche Diskussion mit seinen ­Diese bahnbrechende Entwicklung Dieter Gerlich die Speicherung von Kollegen mit größter Genugtuung, sollte ihn sein ganzes wissenschaft­ Ionen in inhomogenen elektrischen da er sein Gegenüber nach eigenem liches Leben begleiten. Radiofrequenz-Feldern zunutze, um Bekunden dringend zur Schärfung In seiner Promotion untersuchte Stöße zwischen Ionen und Molekülen seiner eigenen Gedanken brauchte. Dieter Gerlich Einzelstöße zwischen bei thermischen Energien zu unter­ Insofern waren diese Zusammen­ Protonen und dem Wasserstoffmole­ suchen. Diese Technik erwies sich arbeiten von einem Geben und Neh­ kül in einer Kreuzstrahlapparatur. als ideales Instrument zur Simulation men charakterisiert. Ausgehend von dieser Forschung der kalten interstellaren Ionen­chemie. In Basel gelang es durch die Ent­ waren Fragen nach der Bildung und Die Grundlagen der Ionenführung wicklung der Laser Induced Inhibi­ dem Zerfall von Molekülen der Kern und -speicherung hat er 1992 in einem tion of Cluster Growth genannten seiner wissenschaftlichen Arbeiten. Übersichtsartikel zusammengefasst, Spektroskopiemethode, das elek­ + Als Experimentator interessierte ihn den viele Kollegen anerkennend als tronische Spektrum von C60 in der aber zuerst die Frage, welche Expe­ „Bibel“ bezeichnen. Die Untersu­ Gasphase aufzunehmen und damit rimente die gewünschte Information chung der Strahlungs­assoziation in erstmals einen Träger der diffusen liefern können. Die Umsetzung dieser Tieftemperaturspeichern, beispiels­ interstellaren Banden zu identifizie­ + + Ideen in einzigartige Apparaturen war weise C + H2 → CH2 + hν, markiert ren. Diese Entdeckung ist eine wis­ lebenslang seine zentrale Motivation. eine seiner herausragenden wissen­ senschaftliche Sensation, die maß­ In dem von ihm entwickelten Okto­ schaftlichen Leistungen. geblich auf Dieter Gerlichs Entwick­ pol-Ionenleiter werden integrale und Nach seiner Berufung 1993 auf eine­ lungen beruht. Im September wurde differentielle Wirkungsquerschnitte C4-Professur an die TU er 76 Jahre alt. Sein Tod riss ihn aus für entsprechende Stoßsysteme er­ gründete er zusammen mit dem As­ all diesen Aktivitäten, zu früh und mittelt. Diese Guided Ion Beam (GIB) trophysiker ()­ völlig unerwartet. Wir werden ihn Technologie installierte er 1978/1979 die durch die DFG geförderte For­ nicht vergessen und mit dem einen als Postdoktorand auch in der schergruppe für Laborastro­physik. oder anderen Bier am Lagerfeuer auf Arbeits­gruppe des späteren Nobel­ In Erinnerung sind die gemeinsamen, ihn anstoßen. preisträgers Y. T. Lee (UC Berkeley) sehr lebhaften Seminare der Forscher Prof. Dr. Stephan Schlemmer, in Zusammenarbeit mit dem Dokto­ aus Chemnitz und Jena, bei denen Universität zu Köln randen Scott Anderson, mit dem ihn nicht nur die verschiedenen Diszipli­

© 2020 Wiley-VCH GmbH Physik Journal 19 (2020) Nr. 12 67