DAV Panorama 3/2009 44
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DAV Panorama 3/2009 Meisterschaft: Nur starke Alpinisten können den Prachtfels von Zinalrothorn und Weißhorn (hinten) genießen. 44 DAV Panorama 3/2009 Wallis | Unterwegs Große Grate im Wallis Bei den Das Hochtouren-Erleben voll ausschöpfen, das kann man an den großen Gipfeln des Wallis. Die namhaften Hörner bieten Touren, die zu den Traumzielen jedes ambitionierten Bergsteigers zählen – und zur Hohen Schule. Von Robert Bösch (Fotos) und Andi Dick (Text) 45 DAV Panorama 3/2009 Götterdämmerung: Die Sonne verjagt die Nacht vom Colle Gnifetti, die Monte-Rosa- Überschreitung kann beginnen. s gibt mindestens zwei Arten dafür vorbereiten, akklimatisieren und der Gipfelstation der Klein-Matter- von Hochtouren – und so tren- trainieren. Aber da solches Verhalten ja horn-Seilbahn nur knapp vierhundert nen sich im Wallis die Berg- dem Hochgebirge unangemessen wäre, Höhenmeter Vierzig-Grad-Firn zum steiger in zwei Klassen. Die wollen wir nicht an diese Mär glauben. Gipfel sind. Die aber bei Blankeis auch Normalweg-4000er-Samm- Wahrhafte Hörner-Jäger kommen top- zur Rutschbahn oder Steigeisen-Test- ler, die hier die „leichtesten“ Viertau- fit ins Wallis und steigern sich langsam, strecke werden können. Und auf dem Esender der Alpen finden – was auch beginnend mit angemessenen Zielen. langlauftauglichen Plateau Rosa sind immer das heißen mag angesichts 1991 vier Bergsteiger bei klarer Sicht, dünner Luft, Kälte, Wettergefahr und aber starkem Sturm erfroren, die nicht Gletscherspalten. Man trifft sie an Ankommen: Breithorn bedacht hatten, dass „leicht“ auf 4000 Breithorn, Bishorn, Allalin, Weißmies und Monte Rosa Metern immer ein sehr relativer Be- und auf der „Spaghettirunde“, wie die Zum Beispiel mit dem Breithorn, griff ist. berühmte Zwölf-Viertausender-in-ei- dem „leichtesten Viertausender der Wer der Akklimatisationstour al- ner-Woche-Tour auf der italienischen Alpen“. Kunststück, wenn es von pine Würze geben will, quert das Pla- Südseite des Monte Rosa im Bergfüh- rerjargon heißt. Und es gibt die Hörner-Jäger. Die Freudensprünge: Power-Alpinisten mit den S-Klasse- luftiges Spiel für Könner an der Zielen. Täschhorn, Zinalrothorn, Dufourspitze Weißhorn, … – 3000 Meter über dem Tal aufgetürmte Gneis-Obelisken, scharf wie Haizähne, unnahbar wie Burgmauern. Himmelstürmende Firn- grate und eisüberkrusteter Fels, teils eisenfest, teils unglaublich mürbe, for- dern echte Könner. Bieten aber Lini- en, die sich direkt in die Seele schrei- ben, Grate und Überschreitungen für die Ruhmeshalle. Wer sich gründlich vorbereitet hat, in Form ist und mit Pe- trus im Reinen, der darf antreten zum großen Tanz. Angeblich soll es auch noch eine dritte Art von Hochtouristen geben: die Matterhorn-Bergsteiger. Das sol- len die sein, die unbedingt aufs Matter- horn wollen, sich aber nicht gründlich 46 DAV Panorama 3/2009 Wallis | Unterwegs teau Rosa bis hinüber zur Roccia Nera In ein bis zwei Tagen kann man und überschreitet die fünf Gipfel des vom Breithorn über ein Teilstück der Breithorns, die wie ein kariöser Mam- Weltverloren: „Spaghettirunde“ Viertausender sam- mut-Backenzahn über Zermatt aufra- melnd hinüberschlendern zur Capan- gen. Dabei kann man sich ans Balan- Keuchen, Kämp- na Margherita, der höchsten Hütte cieren auf eleganten Firngraten und Europas in 4554 Meter Höhe auf der ans weiträumige Umgehen von Wäch- fen, Klettern – und Signalkuppe des Monte Rosa. Wobei ten gewöhnen, darf aber auch schon aus dem Schlendern konzentriertes besten Fels anpacken: rotbraun, grif- abends mit einem Balancieren wird, wenn man die Vari- fig und gar nicht flach. Fels im Wallis ante über den schneidigen Wächten- kann grausam brüchig sein, vor allem Herzen voll Glück grat des Liskamms wählt. Nach die- in den Wänden – auf manchen Graten sem Anmarsch dürfte man jedenfalls aber ist er einwandfrei bis begeisternd. ins Lager sinken so akklimatisiert sein, dass man die Etwa auf dem Young-Grat, der aus medizinische Forschungsstation auf dem Halbtagsziel Breithorn eine ve- der Hütte nur interessiert besucht und ritable Bergtour macht. Vom legen- nicht konsultieren muss, wie es man- dären Erschließerduo Geoffrey Win- Lichtblicke: gut chen geht, die vom Tal aus direkt hier throp Young und Josef Knubel ent- gesichert am herauf zum Übernachten kommen. Monte-Rosa- deckt, zieht die Himmelslinie durch Grat, hinten der Direkt-Zusteiger können dafür – vo- die wilde Nordwand: zuerst span- Liskamm raussichtlich ab September dieses Jah- nendes Lavieren zwischen Gletscher- res – die nagelneue, futuristisch sil- spalten, dann ein elegant geschwun- berbeschlagene Monte-Rosa-Hütte gener Firngrat an der Licht-Schat- als Zwischenquartier nutzen, die von ten-Grenze und als Finale ausgesetzte Studenten der ETH Zürich als Mus- Kletterei am rostbraunen Gneis. „Eine terbeispiel für zeitgemäßes Bauen im der schönsten klassischen Touren der Hochgebirge konstruiert wurde: 90 Walliser Alpen in einzigartiger Um- Prozent ihrer Energie bezieht sie von gebung“, schwärmt Maurice Brandt der Sonne. im SAC-Führer, und das wird bei aller Wer auf der Regina-Margherita- welschen Begeisterung schon stim- Hütte trotzdem unter Höhenproble- men. Nicht schlecht für den Anfang men leidet, darf sich getrost fragen, jedenfalls – und wer sich aus Respekt ob wohl auch die italienische Köni- vor dem Tourenziel bei den Speziali- gin („regina“) Margherita Schädelweh täten und der wohlsortierten Wein- hatte, als sie zur Einweihung des karte der Gandegghütte zurückgehal- höchsten Hauses in ihrem Land 1893 ten hat, kann ja später noch mal dort hier heraufmarschiert ist. Nach ihr ist einkehren … die Unterkunft benannt, wenn auch, 47 DAV Panorama 3/2009 Riesen-Eiswelt: Durch mächtige Gletscherbrüche geht es hinauf zum Dom, dem höchsten Schweizer Gipfel. wie Maurice Brandt anmerkt, ihr „fi- im Nehmen und haben noch Spaß da- chend heikel trotz eingerichteter Ab- nanzieller Zustupf zum Bau sehr be- bei. Die zweite Etappe im Hörner-Rei- seilstellen; dafür wachsen einem beim scheiden“ war: knapp ein Zehntel der gen beginnt mit der Lenzspitze, deren Nadelhorn-Anstieg die Griffe gerade- Baukosten. Heute ist die Hütte sicher Nordwand als Musterbild einer klas- zu in die Hände. Wer dort oben noch kein Zuschussgeschäft, wie man an sischen Eisflanke taugt: Bis hinüber nicht genug hat, der kann auf dem Na- den Übernachtungs- und Menüprei- sen bald merkt. Auch das italienische Grenzland darf vom Schweizer Ni- veau profitieren. Erdverbunden: Dafür hat man von hier aus einen ideal hohen Startpunkt für den höchs- Eis, Schnee und ten Gipfel im Revier, die Dufourspit- ze des Monte Rosa, mit 4634 Metern Fels – der Stoff, der zweithöchste Alpengipfel. In einer knappen Stunde ist die Zumsteinspit- aus dem die Hoch- ze erreicht, dann geht es einen Vor- mittag lang auf der Gratkante dahin, touren-Traumziele Tagespensum: gefüllt mal auf Firnschneiden, mal kurz am mit Erlebnis, von Fels, nie schwierig, aber immer anre- gemauert sind Lenzspitze-Nordwand gend. Zur Rechten stürzt die Monte- bis zum Nadelhorn Rosa-Ostwand zweieinhalbtausend Meter in die Tiefe, manchmal gnädig ins Berner Oberland ist ihr schräg ge- verborgen von einem Wolkenmeer, stellter, quadratischer Firnspiegel un- das das tausendköpfige Gipfelgewu- verkennbar. Bei griffigem Firn im ers- sel der Südalpen bis zur Poebene über- ten Morgenschimmer angepackt, ist deckt. Vom Gipfel, der nach dem Er- sie der naturgegebene Weg zum Gip- finder der Schweizer Landeskarte be- fel, auch nicht schwieriger als die Firn- nannt ist, überblickt man das Land der stücke an den Normalwegen der gro- Hörner zur Gänze und kann das nächs- ßen Hörner. te angemessene Ziel wählen. Bei Blankeis oder Eiswandphobie wartet links daneben eine Grat-Al- ternative, die allerdings schon echtes Durchstarten: Nadelhorn Klettern erfordert. Genauso wie der und Dom Übergang zum Nadelhorn, ein zwei- Nadelgrat und Nadel-Horn (doppelt teiliges Erlebnis: Beim Abstieg von der ist spitzer), das klingt alles andere als Lenzspitze sind die Felsen liegend ge- gemütlich – doch Bergsteiger sind hart schichtet, oft verschneit und entspre- 48 DAV Panorama 3/2009 Wallis | Unterwegs delgrat noch ein paar Viertausender- hütte; will man noch den Dom an- Der Festigrat auf den Dom ist viel- chengipfel ernten und hat dann die hängen, muss man etwas früher vom leicht die am wenigsten anspruchs- Wahl der Qual: Geht man bis zum Dir- Grat abzweigen und durch auch nicht volle der hier vorgestellten Touren. Sie ruhorn, führt eine echt unangenehme ganz banales Gelände zur Domhütte verlangt lediglich gelegentliches Fels- Schotterflanke zurück zur Mischabel- absteigen. greifen der Hände, sicheres Gehen im 45-Grad-Gelände und schlappe 1600 Höhenmeter. Vom nächtlichen Morä- Balanceübung: nengestolper über das Aufflammen der elegante Firnschneide am Nadelgrat, rechts gegenüberliegenden Eispyramide des hinten der Dom Weißhorns bei Sonnenaufgang bis zu den keuchenden letzten Schritten zum Gipfel und einem 3100-Höhenmeter- Knieschnackler-Abstieg nachmittags ist hier alles geboten, was eine große Hochtour ausmacht. Drei Warnungen zum Dom, dessen theatralisch-sakraler Bau dem klerikalen Namen Recht gibt: Erstens: Mit der Gipfelwächte sind vor zwanzig Jahren ein halbes Dut- zend Soldaten in den Tod gestürzt, al- so Jausenplatz sorgfältig wählen. Zwei- tens: Wer am 1. August auf den Dom steigen will, darf sich nicht wundern, dass er erdrückt wird von Eidgenossen, die am Nationalfeiertag den höchs- ten komplett auf helvetischem Bo- den stehenden Gipfel erstürmen wol- len. Drittens: Die berühmt-berüchtigte Überschreitung vom Täschhorn zum Dom ist ganz großes Kino.