Methodik Der Provenienzrecherche Am Beispiel Der Sammlung Des Kunsthändlers Jacques Goudstikker, Amsterdam
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Methodik der Provenienzrecherche am Beispiel der Sammlung des Kunsthändlers Jacques Goudstikker, Amsterdam Nina Senger – (Berlin) und Katja Terlau – (Köln) Wie kann man heute die Kunstwerke aus einer Wenige Tage nach dem Einmarsch der deut- großen verschollenen Kunstsammlung finden, die schen Wehrmacht begab sich Jacques Goudstikker nach Jahrzehnten längst über die ganze Welt ver- mit seiner Frau Desirée und seinem dreijährigen streut sind? Nach der Washingtoner Konferenz Sohn Eduard mit einem der letzten Schiffe auf die für Vermögenswerte aus der Zeit des Holocaust Flucht nach England. Während der Überfahrt wandte sich 2002 die Schwiegertochter von Jacques stürzte Jacques Goudstikker in eine offene Deck- Goudstikker, Marei von Saher, mit ihren beiden luke und brach sich das Genick. Im Alter von Töchtern an den Raub- und Beutekunstexperten 42 Jahren verstarb er am 16. Mai 1940 an Bord. Clemens Toussaint mit der Bitte um Rat.Die Nach- Zu diesem Zeitpunkt befanden sich in der Kunst- fahren wussten um die Größe der vermissten Kunst- handlung in Amsterdam noch rund 1.400 zurück- sammlung, aber nicht, wie man vorgehen könnte, gelassene Kunstwerke (hauptsächlich Gemälde die einzelnen Kunstwerke zu finden.Zunächst hat- und wenige Bildwerke), darunter waren neben ten die Nachfahren selbst damit begonnen, histo- italienischen, französischen und deutschen über- rische Nachforschungen zur Provenienzgeschichte wiegend altniederländische und flämische Meister eines einzelnen Kunstwerkes zu betreiben, das in des 16. und 17. Jahrhunderts vertreten. Die über- einem amerikanischen Museum aufgetaucht war, lieferte Künstlerliste ist beeindruckend und spie- merkten aber bald, dass hierfür professionelle gelt neben der herausragenden Kenntnis des Hilfe gebraucht wurde. Während der ersten von Händlers einen beachtlichen Kunstbestand wider Toussaint übernommenen Recherchen stellte sich (Rubens, Rembrandt, Hals, Cranach, Bruegel, die Frage nach dem Verbleib der übrigen rund Ruisdael, van Goyen, Bellini, Tintoretto, Boucher, 1.000 vermissten Kunstwerke. Daraus entstand Goya etc.) ein bislang einmaliges Projekt zur Rekonstruktion Bereits wenige Wochen später brachte Reichs- einer singulären Privatsammlung, an dem inzwi- marschall Hermann Göring die Galerie unter seine schen vier international tätige Kunsthistoriker ar- Kontrolle. Die Übernahme des Unternehmens beiten. 1 Mit Auftrag und Vollmacht der Goudstik- war ein Wettlauf mit der Zeit, denn eine derartig ker-Erben stellt sich das unabhängig arbeitende hervorragende Sammlung eines Kunsthändlers Team die Aufgabe, diese einst über 1.400 Werke umfassende Sammlung von europäischem Rang zu rekonstruieren und die fehlenden 1.000 Kunst- werke zu identifizieren und zu lokalisieren. 2 Die Geschichte der Kunsthandlung Jacques Goudstikker Jacques Goudstikker (1897 –1940) galt als der re- nommierteste Händler für niederländische und flämische Malerei des 16.und 17. Jahrhunderts vor dem 2. Weltkrieg. 1919 hatte der jüdische Kunst- händler die Firma von seinem Vater in Amsterdam übernommen. Sein Verdienst war es nicht nur, die deutsche und italienische Malerei des 16.Jahrhun- derts als ergänzenden Sammlungsschwerpunkt in den Niederlanden eingeführt, sondern darüber hinaus sogar Amsterdam maßgeblich als Kunst- markt geprägt zu haben Er galt damit als ein Motor des niederländischen Kunsthandels. Die Kunsthandlung verfügte über mehrere Filialen, Jacques Goudstikker von denen die wichtigste in Amsterdam, Heeren- (30. 8.1897 – 16. 5.1940), gracht 458, ansässig war. (Archiv der Familie) AKMB-news 2/2005, Jahrgang 11 27 Der Amsterdamer Kunsthändler Jacques Goudstikker von internationalem Rang war gefragt. Über den Kriegsjahre mit jüdischem Gütesiegel mehr als Münchner Bankier Alois Miedl,der bereits vor der 5.000 weitere Gemälde handeln und das Reich mit Invasion den Amsterdamer Kunsthandel sondiert Ware aus den Niederlanden versorgen. Der eta- hatte, und über seinen Chefeinkäufer Walter An- blierte Name und die über Generationen aufge- dreas Hofer besaß Göring privilegierten Zugriff baute Infrastruktur eines jüdischen Unterneh- auf die wertvollen Galeriebestände. Von den zu- mens wurden von einem Nazi-Händler damit in rückgebliebenen Mitarbeitern der Galerie und von maximalen Gewinn umgewandelt. der jüdischen Mutter Jacques Goudstikkers, die Nach dem Zweiten Weltkrieg fanden die Ame- von den neuen Machthabern mit Deportation be- rikaner die Verstecke mit der Kunstsammlung von droht wurde, erzwangen Miedl und Göring die Hermann Göring. Die Alliierten retournierten Zustimmung zum Verkauf des Unternehmens und daraufhin um die 300 aufgefundene Werke mit erwarben am 13. Juli 1940 die Kunsthandelsgesell- Goudstikker-Provenienz zu treuen Händen an schaft N.V. Goudstikker mit ca. 1.400 Gemälden den niederländischen Staat mit der Maßgabe,diese und allen sonstigen Sachwerten zu einem Preis von an die rechtmäßigen Eigentümer zurückzuführen. 2,5 Millionen Gulden. 3 Die junge Witwe Desirée Diesem Auftrag ist der niederländische Staat bis Goudstikker von Halban-Kurz (1912 –1996), eine heute nicht nachgekommen. Da die Firma Goud- berühmte österreichische Opernsängerin und als stikker nach dem Krieg als Feindvermögen unter Erbin von Jacques Goudstikker Hauptaktionärin Verwaltung des niederländischen Staates stand der Kunsthandlung, hatte dem Verkauf des Unter- und dieser sich weigerte,die Übernahme der Firma nehmens aus dem Exil ausdrücklich widerspro- Goudstikker durch Miedl/Göring als Zwangs- chen. Mit der zügigen „Arisierung“ 4 des Unter- verkauf anzuerkennen, prozessierte Desirée von nehmens war der Reichsmarschall Adolf Hitler Saher 6 sieben Jahre lang in der Hoffnung, die aus zuvorgekommen und umging so zugleich den Deutschland zurückgekehrten Kunstwerke zu- „Führervorbehalt“. rückzuerlangen.Aus wirtschaftlicher Not und weil Hermann Göring beteiligte sich an dem Ankauf sie die hohen Prozesskosten nicht länger tragen des Unternehmens mit zwei Millionen Gulden und konnte, gab die Witwe Goudstikkers 1952 schließ- übernahm dafür fast 1.000 Gemälde aus dem lich auf. Sie zog die Klage zurück und einigte sich Warenbestand der Galerie. Die Wertfestsetzung mit dem niederländischen Staat in einem soge- dieser Position war natürlich eine Farce, denn sie nannten „Vergleich“. Dieser Vergleich bezog sich bezog sich ausschließlich auf die Abschreibungs- ausschließlich auf die in den Niederlanden ver- werte der Gemälde in den Büchern der Galerie. bliebenen Gemälde aus der Miedl-Transaktion Hunderte von Kunstwerken hatte das Unterneh- und nicht auf die von Göring übernommenen men bereits in den zehner und zwanziger Jahren Kunstwerke. Mit dieser Regelung wurde es der des Jahrhunderts erworben und nach Steuern bis Witwe gestattet, den Rest des in den Niederlanden auf einen Gulden abgeschrieben. Göring wollte blockierten Verkaufserlöses,der sich in den Kriegs- einem jüdischen Kunsthandel natürlich keinen jahren um die Hälfte reduziert hatte, zu überneh- Gewinn zubilligen und erwarb den unschätzbaren men um damit ihre Immobilien und den Restbe- Gemäldebestand des Unternehmens zum Buch- stand der Galerie (ca. 165 Kunstwerke) käuflich wert und nicht zum Handelswert der Ware.Zur Re- zurückzuerwerben. Dabei handelte es sich aller- finanzierung seiner „Investition“ verkaufte Göring dings um minderwertige Depotware, die Werke die ihm entbehrlichen Gemälde mit großem Ge- also, die Miedl nicht haben wollte oder welche er winn in deutschen Auktionshäusern 5 und schaffte nicht verkaufen konnte. Nach Rückkauf der Im- die 300 wertvollsten Meisterwerke in sein Jagd- mobilien und des Rumpfunternehmens vom nie- schloss „Karinhall“.Mit unverhohlenem Stolz gab derländischen Staat und nach Verrechnung aller er im Vorfeld der Nürnberger Prozesse später zu entstandenen Verfahrenskosten stand die Witwe Protokoll,dass er dabei einen „gewaltigen Schnitt“ Goudstikkers finanziell mit leeren Händen da. gemacht habe. Der Gemäldebestand der Galerie Dem gegenüber steht der Verlust von ca. 1.200 Ge- dürfte in zeitgenössischen Relationen bereits das mälden von unschätzbarem Wert, der Umsatzver- fünf- bis zehnfache an Wert betragen haben. lust eines über Generationen gewachsenen Unter- Alois Miedl fungierte fortan als Geschäftsführer nehmens und die Vernichtung eines etablierten der Galerie und übernahm das Unternehmen, die Firmennamens. Immobilien und den Restbestand an Gemälden Nach diesem „Vergleich“ mit der Witwe wurden zum Differenzbetrag von einer halben Million die aus Deutschland zurückgekehrten Meisterwerke Gulden. Das Kapital lieh er sich bei Göring. Die vom niederländischen Staat nicht restituiert, Firma Goudstikker war bei Übernahme durch die sondern an Museen und Botschaften verteilt oder Nazis der wohl renommierteste Kunsthandel der teilweise sogar verkauft. Etwa 70 Werke wurden Niederlande. Dieser Name war sprichwörtlich vom holländischen Staat in Auktionen veräußert. Gold wert und so konnte Miedl während der Heute befinden sich noch ca.235 Werke von Goud- 28 AKMB-news 2/2005, Jahrgang 11 Der Amsterdamer Kunsthändler Jacques Goudstikker stikker in der „Stichting Nederlands Kunstbezit“ (SNK). Nach Auffassung der heutigen Erben kam die damalige Übereinkunft auf unrechtmäßige Weise zustande, der Verbleib der von Göring übernom- menen Kunstwerke blieb ungelöst, die verschol- lenen Werke wurden nicht thematisiert. Der heu- tige Verbleib der vielen hundert Kunstwerke in öffentlichen oder privaten Sammlungen ist daher per se problematisch. Die Fragen nach NS-ver- folgungsbedingtem Entzug, Zwangsverkauf oder unrechtmäßigem Besitz erfolgten mit der Wieder- aufnahme