Methodik der Provenienzrecherche am Beispiel der Sammlung des Kunsthändlers , Amsterdam

Nina Senger – (Berlin) und Katja Terlau – (Köln)

Wie kann man heute die Kunstwerke aus einer Wenige Tage nach dem Einmarsch der deut- großen verschollenen Kunstsammlung finden, die schen Wehrmacht begab sich Jacques Goudstikker nach Jahrzehnten längst über die ganze Welt ver- mit seiner Frau Desirée und seinem dreijährigen streut sind? Nach der Washingtoner Konferenz Sohn Eduard mit einem der letzten Schiffe auf die für Vermögenswerte aus der Zeit des Holocaust Flucht nach England. Während der Überfahrt wandte sich 2002 die Schwiegertochter von Jacques stürzte Jacques Goudstikker in eine offene Deck- Goudstikker, Marei von Saher, mit ihren beiden luke und brach sich das Genick. Im Alter von Töchtern an den Raub- und Beutekunstexperten 42 Jahren verstarb er am 16. Mai 1940 an Bord. Clemens Toussaint mit der Bitte um Rat.Die Nach- Zu diesem Zeitpunkt befanden sich in der Kunst- fahren wussten um die Größe der vermissten Kunst- handlung in Amsterdam noch rund 1.400 zurück- sammlung, aber nicht, wie man vorgehen könnte, gelassene Kunstwerke (hauptsächlich Gemälde die einzelnen Kunstwerke zu finden.Zunächst hat- und wenige Bildwerke), darunter waren neben ten die Nachfahren selbst damit begonnen, histo- italienischen, französischen und deutschen über- rische Nachforschungen zur Provenienzgeschichte wiegend altniederländische und flämische Meister eines einzelnen Kunstwerkes zu betreiben, das in des 16. und 17. Jahrhunderts vertreten. Die über- einem amerikanischen Museum aufgetaucht war, lieferte Künstlerliste ist beeindruckend und spie- merkten aber bald, dass hierfür professionelle gelt neben der herausragenden Kenntnis des Hilfe gebraucht wurde. Während der ersten von Händlers einen beachtlichen Kunstbestand wider Toussaint übernommenen Recherchen stellte sich (Rubens, , Hals, Cranach, Bruegel, die Frage nach dem Verbleib der übrigen rund Ruisdael, van Goyen, Bellini, Tintoretto, Boucher, 1.000 vermissten Kunstwerke. Daraus entstand Goya etc.) ein bislang einmaliges Projekt zur Rekonstruktion Bereits wenige Wochen später brachte Reichs- einer singulären Privatsammlung, an dem inzwi- marschall Hermann Göring die Galerie unter seine schen vier international tätige Kunsthistoriker ar- Kontrolle. Die Übernahme des Unternehmens beiten. 1 Mit Auftrag und Vollmacht der Goudstik- war ein Wettlauf mit der Zeit, denn eine derartig ker-Erben stellt sich das unabhängig arbeitende hervorragende Sammlung eines Kunsthändlers Team die Aufgabe, diese einst über 1.400 Werke umfassende Sammlung von europäischem Rang zu rekonstruieren und die fehlenden 1.000 Kunst- werke zu identifizieren und zu lokalisieren. 2

Die Geschichte der Kunsthandlung Jacques Goudstikker Jacques Goudstikker (1897 –1940) galt als der re- nommierteste Händler für niederländische und flämische Malerei des 16.und 17. Jahrhunderts vor dem 2. Weltkrieg. 1919 hatte der jüdische Kunst- händler die Firma von seinem Vater in Amsterdam übernommen. Sein Verdienst war es nicht nur, die deutsche und italienische Malerei des 16.Jahrhun- derts als ergänzenden Sammlungsschwerpunkt in den Niederlanden eingeführt, sondern darüber hinaus sogar Amsterdam maßgeblich als Kunst- markt geprägt zu haben Er galt damit als ein Motor des niederländischen Kunsthandels. Die Kunsthandlung verfügte über mehrere Filialen, Jacques Goudstikker von denen die wichtigste in Amsterdam, Heeren- (30. 8.1897 – 16. 5.1940), gracht 458, ansässig war. (Archiv der Familie)

AKMB-news 2/2005, Jahrgang 11 27 Der Amsterdamer Kunsthändler Jacques Goudstikker

von internationalem Rang war gefragt. Über den Kriegsjahre mit jüdischem Gütesiegel mehr als Münchner Bankier Alois Miedl,der bereits vor der 5.000 weitere Gemälde handeln und das Reich mit Invasion den Amsterdamer Kunsthandel sondiert Ware aus den Niederlanden versorgen. Der eta- hatte, und über seinen Chefeinkäufer Walter An- blierte Name und die über Generationen aufge- dreas Hofer besaß Göring privilegierten Zugriff baute Infrastruktur eines jüdischen Unterneh- auf die wertvollen Galeriebestände. Von den zu- mens wurden von einem Nazi-Händler damit in rückgebliebenen Mitarbeitern der Galerie und von maximalen Gewinn umgewandelt. der jüdischen Mutter Jacques Goudstikkers, die Nach dem Zweiten Weltkrieg fanden die Ame- von den neuen Machthabern mit Deportation be- rikaner die Verstecke mit der Kunstsammlung von droht wurde, erzwangen Miedl und Göring die Hermann Göring. Die Alliierten retournierten Zustimmung zum Verkauf des Unternehmens und daraufhin um die 300 aufgefundene Werke mit erwarben am 13. Juli 1940 die Kunsthandelsgesell- Goudstikker-Provenienz zu treuen Händen an schaft N.V. Goudstikker mit ca. 1.400 Gemälden den niederländischen Staat mit der Maßgabe,diese und allen sonstigen Sachwerten zu einem Preis von an die rechtmäßigen Eigentümer zurückzuführen. 2,5 Millionen Gulden. 3 Die junge Witwe Desirée Diesem Auftrag ist der niederländische Staat bis Goudstikker von Halban-Kurz (1912 –1996), eine heute nicht nachgekommen. Da die Firma Goud- berühmte österreichische Opernsängerin und als stikker nach dem Krieg als Feindvermögen unter Erbin von Jacques Goudstikker Hauptaktionärin Verwaltung des niederländischen Staates stand der Kunsthandlung, hatte dem Verkauf des Unter- und dieser sich weigerte,die Übernahme der Firma nehmens aus dem Exil ausdrücklich widerspro- Goudstikker durch Miedl/Göring als Zwangs- chen. Mit der zügigen „Arisierung“ 4 des Unter- verkauf anzuerkennen, prozessierte Desirée von nehmens war der Reichsmarschall Saher 6 sieben Jahre lang in der Hoffnung, die aus zuvorgekommen und umging so zugleich den Deutschland zurückgekehrten Kunstwerke zu- „Führervorbehalt“. rückzuerlangen.Aus wirtschaftlicher Not und weil Hermann Göring beteiligte sich an dem Ankauf sie die hohen Prozesskosten nicht länger tragen des Unternehmens mit zwei Millionen Gulden und konnte, gab die Witwe Goudstikkers 1952 schließ- übernahm dafür fast 1.000 Gemälde aus dem lich auf. Sie zog die Klage zurück und einigte sich Warenbestand der Galerie. Die Wertfestsetzung mit dem niederländischen Staat in einem soge- dieser Position war natürlich eine Farce, denn sie nannten „Vergleich“. Dieser Vergleich bezog sich bezog sich ausschließlich auf die Abschreibungs- ausschließlich auf die in den Niederlanden ver- werte der Gemälde in den Büchern der Galerie. bliebenen Gemälde aus der Miedl-Transaktion Hunderte von Kunstwerken hatte das Unterneh- und nicht auf die von Göring übernommenen men bereits in den zehner und zwanziger Jahren Kunstwerke. Mit dieser Regelung wurde es der des Jahrhunderts erworben und nach Steuern bis Witwe gestattet, den Rest des in den Niederlanden auf einen Gulden abgeschrieben. Göring wollte blockierten Verkaufserlöses,der sich in den Kriegs- einem jüdischen Kunsthandel natürlich keinen jahren um die Hälfte reduziert hatte, zu überneh- Gewinn zubilligen und erwarb den unschätzbaren men um damit ihre Immobilien und den Restbe- Gemäldebestand des Unternehmens zum Buch- stand der Galerie (ca. 165 Kunstwerke) käuflich wert und nicht zum Handelswert der Ware.Zur Re- zurückzuerwerben. Dabei handelte es sich aller- finanzierung seiner „Investition“ verkaufte Göring dings um minderwertige Depotware, die Werke die ihm entbehrlichen Gemälde mit großem Ge- also, die Miedl nicht haben wollte oder welche er winn in deutschen Auktionshäusern 5 und schaffte nicht verkaufen konnte. Nach Rückkauf der Im- die 300 wertvollsten Meisterwerke in sein Jagd- mobilien und des Rumpfunternehmens vom nie- schloss „Karinhall“.Mit unverhohlenem Stolz gab derländischen Staat und nach Verrechnung aller er im Vorfeld der Nürnberger Prozesse später zu entstandenen Verfahrenskosten stand die Witwe Protokoll,dass er dabei einen „gewaltigen Schnitt“ Goudstikkers finanziell mit leeren Händen da. gemacht habe. Der Gemäldebestand der Galerie Dem gegenüber steht der Verlust von ca. 1.200 Ge- dürfte in zeitgenössischen Relationen bereits das mälden von unschätzbarem Wert, der Umsatzver- fünf- bis zehnfache an Wert betragen haben. lust eines über Generationen gewachsenen Unter- Alois Miedl fungierte fortan als Geschäftsführer nehmens und die Vernichtung eines etablierten der Galerie und übernahm das Unternehmen, die Firmennamens. Immobilien und den Restbestand an Gemälden Nach diesem „Vergleich“ mit der Witwe wurden zum Differenzbetrag von einer halben Million die aus Deutschland zurückgekehrten Meisterwerke Gulden. Das Kapital lieh er sich bei Göring. Die vom niederländischen Staat nicht restituiert, Firma Goudstikker war bei Übernahme durch die sondern an Museen und Botschaften verteilt oder Nazis der wohl renommierteste Kunsthandel der teilweise sogar verkauft. Etwa 70 Werke wurden Niederlande. Dieser Name war sprichwörtlich vom holländischen Staat in Auktionen veräußert. Gold wert und so konnte Miedl während der Heute befinden sich noch ca.235 Werke von Goud-

28 AKMB-news 2/2005, Jahrgang 11 Der Amsterdamer Kunsthändler Jacques Goudstikker stikker in der „Stichting Nederlands Kunstbezit“ (SNK). Nach Auffassung der heutigen Erben kam die damalige Übereinkunft auf unrechtmäßige Weise zustande, der Verbleib der von Göring übernom- menen Kunstwerke blieb ungelöst, die verschol- lenen Werke wurden nicht thematisiert. Der heu- tige Verbleib der vielen hundert Kunstwerke in öffentlichen oder privaten Sammlungen ist daher per se problematisch. Die Fragen nach NS-ver- folgungsbedingtem Entzug, Zwangsverkauf oder unrechtmäßigem Besitz erfolgten mit der Wieder- aufnahme der Thematik im Zuge der Washingto- ner Konferenz von 1998.Seitdem sind viele Artikel über die Sammlung Goudstikker erschienen. 7 Die Rachel Ruysch Erben von Jacques Goudstikker strengten Mitte (1664 – 1750), Blumenstill- leben auf grauem Stein- der neunziger Jahre erneut eine Verwaltungsklage tisch, 1690, Öl/ Leinwand an, die jedoch wegen Verjährung von den nie- auf Holz, 28 x 35 cm, Staat- derländischen Gerichten abgewiesen wurde. Die liche Kunstsammlungen niederländische Regierung hat inzwischen eine Dresden, Gemäldegalerie Alter Meister, Inv.-Nr. 3149, beratende Restitutionskommission, besetzt mit 1953 erworben (Archiv der pensionierten Richtern und prominenten Histo- Autoren). rikern, ins Leben gerufen. Der seit Anfang 2004 der Kommission vorliegende „Goudstikker-Fall“ ist die bislang bedeutendste Restitutionsforde- rung, mit welcher sich der niederländische Staat erneut zu befassen hat. Eine abschließende Bewer- tung und Entscheidung,wie die Regierung mit den verbliebenen 235 Kunstwerken zu verfahren ge- denkt, wird Anfang 2006 zu erwarten sein. Desirée und ihr Sohn Eduard von Saher sind inzwischen verstorben,so dass die Schwiegertochter Marei von Saher und die beiden Enkelinnen Goudstikker das Erbe verwalten. Von ihnen wird heute der alte – d.h. der bis Mai 1940 in der Galerie verbliebene – Kunstbestand beansprucht. Darunter fallen im Besonderen die ca. 1.000 nicht in die Niederlande zurückgekehrten Kunstwerke, die für die Erben bis heute als verschollen gelten. Die primäre Aufgabe dieses Goudstikker-Pro- jekts besteht nun darin, diese Werke zu identifizie- Rückseite des Gemäldes ren und zu lokalisieren,um dann mit einhergegan- von R. Ruysch mit Auf- gener Klärung der Provenienzen eine Einigung mit kleber der Galerie, dort vermerkt Goudstikker heutigen Besitzern herbeizuführen. Die Sammlung Inv.-Nr. 686 (Archiv der Goudstikker ist dabei ein besonderes Beispiel für Autoren) einen bedeutenden Sammlungsbestand mit zahl- reichen Meisterwerken von sehr namhaften Künst- regelmäßig erschienenen und aufwändig gestalte- lern, die folglich ihre Spuren hinterlassen haben. ten Ausstellungskataloge dokumentieren das ex- Eine Recherchierbarkeit der Kunstwerke in der Li- klusive Angebot dieser Kunsthandlung und dienen teratur zusammen mit einem großen Bestand ebenfalls zur Rekonstruktion der Bestände. überlieferter Archivalien schafft daher in diesem Wenngleich viele der verschollenen Werke über Fall verhältnismäßig gute Arbeitsbedingungen. die ganze Welt verstreut sind, tauchen doch zahl- In einer schwarzen Lederkladde, dem soge- reiche davon in Europa wieder auf.Die meisten Bil- nannten „Black Book“, hatte Jacques Goudstikker der werden in Museen, privaten Sammlungen und in Vorbereitung der Flucht selbst noch bis zum im Kunsthandel in Deutschland gefunden.Die zur 10. Mai 1940 Einträge vorgenommen. Hier finden Rekonstruktion einer derartig großen Sammlung sich alle relevanten Angaben zu den Werken, wie notwendigen Recherchen gestalten sich sehr auf- Künstler, Titel, Maße und Herkunftsangaben. Die wändig und zeitintensiv. Eine Aufarbeitung etwa

AKMB-news 2/2005, Jahrgang 11 29 Der Amsterdamer Kunsthändler Jacques Goudstikker

der Museumsbestände und eine umfassende Do- bank eingearbeitet, Detailangaben übernommen. kumentation aller bekannten Provenienzen ist für Goudstikker selbst hatte im Black Book nicht auf diese Recherchetätigkeit unerlässlich. Allerdings Reproduktionen in seinen Katalogen hingewie- schafft häufig nur der direkte Informationsaus- sen, glücklicherweise jedoch auf Illustrationen tausch mit dem heutigen Besitzer eine schnelle seiner Kunstwerke in anderen Veröffentlichun- Klärung fraglicher Provenienzen. gen. Grundsätzlich notierte er: Inventarnummer (= Black Book-Nummer), Künstler, Titel (oft ab- Das Forschungsprojekt Goudstikker gekürzt), Bildträger, Maße, Herkunft des Werkes Von insgesamt 1.241 Kunstwerken, die im Black sowie dessen Kaufpreis.Diese Angaben wurden er- Book von Jacques Goudstikker vermerkt, aber gänzt um Hinweise auf Zertifikate, Ausstellungen, nicht abgebildet sind, sind 848 Ausgangspunkt Publikationen sowie Anteilshaber oder Kommis- der Recherchen, die in einer klar strukturierten sionäre. Nachdem die Suche nach Abbildungen Systematik optimal erfasst werden müssen. Hinzu zur Identifizierung der Werke mittels Black Book kommen ca. 165 Kunstwerke aus einem soge- und Goudstikker-Katalogen abgeschlossen war, nannten Pensionsfond, der in separaten Archi- erfolgte die systematische Recherche in der Fach- valien dokumentiert ist. Die Suche nach diesen literatur wie Werkverzeichnissen, Bestandskata- ca.1.000 Kunstwerken diente als Aufgabenstellung logen, Monografien usw. Gleichzeitig werden die zur Entwicklung einer geeigneten Datenbank.Von im Internet bereitgestellten Plattformen wie den restlichen ca. 400 Kunstwerken hatte Desirée http://www.lostart.de oder http://www.nepip.org, Goudstikker ca. 165 Positionen nach dem Krieg die Websites einzelner Museen oder das artnet zurückerworben, 235 Kunstwerke befinden sich (http://www.artnet.com) konsultiert. heute im Besitz der SNK.Diese rund 400 Positionen Parallel zu den erläuterten Arbeitsschritten wur- sind nicht Gegenstand des Forschungsprojekts. den die Recherchen im Rijksbureau voor Kunsthis- torische Documentatie (RKD) in Den Haag wie Die Datenbank auch in der Galerie Pieter de Boer in Amsterdam Auf Grundlage der Software Faust 5 Professional aufgenommen. von Doris Land Software wurde eine auf unsere Bedürfnisse zugeschnittene Datenbank entwi- Goudstikkers Fotodokumentation und ckelt. Faust ermöglicht die Erfassung sehr hetero- das Bildarchiv gener Datenbestände in einer einzigen Datei. Im März 1951 versteigerte das Amsterdamer Auk- Andere Datenbankformate wie z.B. Access sind tionshaus Frederik Muller & Co. im Auftrag von importierbar, gescannte oder digital aufgenom- Desirée Goudstikker unter einer einzigen Los- mene Vorlagen direkt in die Datenbank einbind- nummer nicht nur die Bibliothek der Kunsthand- und voll recherchierbar. Trotz seiner hohen Kom- lung Goudstikker, sondern auch einen umfang- plexität lässt Faust eine extreme Komprimierung reichen Bestand an originalen Fotografien von der Daten zu. Bilddateien können getrennt vom Werken, die einst zum Bestand der Firma zählten. Hauptprogramm auf einen Datenträger (CD- Hinzu kamen ca. 100.000 Reproduktionen von ROM) ausgelagert werden. Kunstwerken in öffentlichen und privaten Samm- Aktuell liegen ca. 3.850 Einträge vor, die sich lungen, die Goudstikker für den eigenen Bedarf zusammensetzen aus Angaben zu dem einzelnen archiviert hatte. Die Galerie de Boer sicherte sich Kunstwerk,darüber hinaus zu Literatur,Personen, die originalen Goudstikker-Fotos sowie das Bild- Archivalien,Institutionen (Archive,Auktionshäu- archiv. Das RKD übernahm die Bibliothek Goud- ser, Bibliotheken, Galerien, Museen), Ausstellun- stikkers und ca. 1.500 Karteikarten zu einzelnen gen und öffentlichen wie privaten Sammlungen. Werken. Wie die Aufteilung im Detail vonstatten Aber auch Korrespondenzen sowie Website- und ging, ist heute jedoch schwierig zu klären, Gesprächsauswertungen werden berücksichtigt. Goudstikkers Angaben aus dem Black Book Rijksbureau voor kunsthistorische wurden in die Datenbank übertragen und dienen documentatie (RKD) als Referenz für alle weiteren Recherchen. Es Das Bildarchiv im RKD ist mit mehr als sechs schloss sich eine Auswertung der Kataloge der Millionen Fotos, Reproduktionen und Ektachro- „Collectie Goudstikker“ an. Diese aufwändig ge- men die weltweit größte Sammlung von visuellem stalteten, in limitierter Auflage herausgegebenen kunsthistorischem Material. Es wurde 1932 ge- und oftmals von Goudstikker signierten Bände, gründet.Jährlich kommen ca.50.000 Abbildungen in denen alle Kunstwerke präzise beschrieben und hinzu. Die Presse-Dokumentation des RKD ent- in Auswahl hochwertig reproduziert wurden, hält darüber hinaus ca. zwei Millionen Zeitungs- liegen in verschiedenen Bibliotheken vor. Black ausschnitte und kleinere Drucksachen wie Anzeigen Book und Kataloge wurden miteinander vergli- und Einladungskarten. Der jährliche Zuwachs be- chen,gefundene Abbildungen digital in die Daten- trägt hier ca. 52.000 Positionen. Die Bibliothek ist

30 AKMB-news 2/2005, Jahrgang 11 Der Amsterdamer Kunsthändler Jacques Goudstikker mit etwa 450.000 Bänden die größte kunsthistori- ben. Alle relevanten Auktionskataloge wurden di- sche der Niederlande. Hier finden sich u.a. viele gital aufgenommen und liegen als PDF-Datei vor. Auktionskataloge in mehrfacher Ausführung.On- Darüber hinaus wurden die Katalogeinträge wie line hält das RKD eine Künstler-Datenbank mit auch die Abbildungen in die Datenbank eingear- mehr als 220.000 Einträgen sowie ca.70.000 Kunst- beitet. werken in Wort und Bild bereit (http://www.rkd.nl). Ein Schwerpunkt liegt auf der niederländischen Weitere Archive Kunst des 17. Jahrhunderts.Nicht nur der immens Quellenmaterial im Zusammenhang mit der große Bestand an Bildmaterial macht das RKD zu Kunsthandlung Goudstikker findet sich außerdem einem einmaligen Fundort, auch die darüber hi- in den National Archives in Washington, im Ge- nausgehenden Hinweise (Fotos, Ausschnitte von meentearchief in Amsterdam 8, in der Stichting Auktions- und Ausstellungskatalogen,Einladungs- Nederlands Kunstbezit (SNK) im Nationaal Ar- karten, Zeitungsrezensionen usw.) sind wichtige chief in Den Haag 9 sowie im Bundesarchiv Ko- Bausteine für die lückenlose Erforschung der Pro- blenz 10. Die Aktenlage im Fall Goudstikker ist venienzen einzelner Kunstwerke. Diese Bestände somit als gut zu bezeichnen. werden sukzessive in die RKD-Database aufge- nommen, die kostenlos online abrufbar ist. Stand der Recherche – Ausblick Bis jetzt konnten von den ca. 1.000 gesuchten Archiv Galerie de Boer Kunstwerken über 500 visualisiert bzw. identifi- Bei Übernahme der original Goudstikker-Fotos ziert, von diesen wiederum ca. 100 lokalisiert wer- und des Bildarchivs durch die Galerie de Boer wur- den. Über 30 Gemälde wurden inzwischen resti- den diese aus ihrem ursprünglichen Zusammen- tuiert, so z.B. das „Stilleben mit blauer Kanne“, hang der Kunsthandlung Goudstikker herausge- 1890 – 91, von James Ensor aus der Staatsgalerie rissen und alphabetisch nach Künstlern in den Stuttgart, das gegen eine angemessene Entschä- Archivbestand von de Boer aufgenommen. Ein digungszahlung an die Nachfahren von Jacques Problem stellen hierbei die Ab- bzw. Neuzuschrei- Goudstikker in Stuttgart verblieb. Das Israel Mu- bungen dar, da oftmals auf einen entsprechenden seum in Jerusalem übergab im Februar 2005 eine Hinweis „an der alten Stelle“ verzichtet wurde, so Zeichnung von Edgar Degas. Aus deutschem Pri- dass es im ungünstigen Fall fast unmöglich ist, ein vatbesitz wurden Werke von , Werk unter seiner neuen Zuschreibung zu finden. Arent de Gelder und Jacob van Ruisdael an Marei Sehr viele Kunstwerke konnten jedoch anhand von Saher restituiert.Zahlreiche Restitutionen aus des Bildarchivs der Galerie de Boer visualisiert und großen deutschen Museen stehen unmittelbar be- somit eindeutig identifiziert werden. vor (z.B. das Gemälde von Rachel Ruysch aus der Von den 1.241 im Black Book aufgeführten und Staatlichen Gemäldesammlung Dresden, ein Ge- gesuchten ca.1.000 Werken konnten schon über mälde von Dirck Hals aus dem museum kunst 500 Kunstwerke mit einer Abbildung nachgewie- palast in Düsseldorf und eine Zeichnung von Cor- sen werden. Zusätzlich gefundene Abbildungen in nelis Pietersz Bega aus der Hamburger Kunsthalle. den Bildarchiven des RKD dienen nicht nur der Nicht nur deutsche, sondern auch internationale Bestätigung der Identifizierung, sondern enthal- Museen nehmen ihre Verantwortung damit wahr, ten oftmals wichtige Notizen zum Besitzer und verfolgungsbedingt enteignete Kunstwerke an ihre dem letzten bekannten Standort. rechtmäßigen Eigentümer zurückzugeben. Das in Liegt noch keine Abbildung in der Datenbank diesem Beitrag beschriebene Forschungsprojekt vor,ist die Recherche aufwändiger,denn es müssen liefert sowohl den Erben als auch den aktuellen Detailangaben des Kunstwerkes, wie Titel, Maße, Besitzern der gesuchten Kunstwerke die wissen- Datierung,Ausstellungsangaben usw.,mit den Ab- schaftliche Grundlage, ohne die ein verantwor- bildungen und Hinweisen in den Bildarchiven ge- tungsvoller Umgang mit einer schwierigen Hin- nauestens abgeglichen werden, um das gesuchte terlassenschaft deutscher Zeitgeschichte nicht Kunstwerk eindeutig zu identifizieren. möglich wäre und trägt damit zur unmittelbaren Umsetzung von „just and fair solutions“ substan- Auktionskataloge ziell bei. Eine weitere wichtige Quelle, um Werken aus der Sammlung Goudstikker auf die Spur zu kommen, 1. Nina Senger, Berlin, übernahm die wissenschaftliche sind die zahlreichen Kataloge verschiedener Auk- Leitung des Projekts und recherchiert als Provenienz- tionshäuser besonders aus den vierziger und fünf- forscherin nach spezifischen Kunstwerken; Jan Tho- ziger Jahren, die oftmals in mehreren Exemplaren mas Köhler,Berlin/Amsterdam,betreut technisch die in der Bibliothek des RKD vorliegen und hand- umfangreiche Goudstikker-Datenbank und bearbei- schriftliche Notizen aufweisen,die Aufschluss über tet die öffentlichen Bildarchive in Amsterdam und erzielten Preis und im besten Fall den Käufer ge- Den Haag; Katja Terlau, Provenienzforscherin, Köln,

AKMB-news 2/2005, Jahrgang 11 31 Der Amsterdamer Kunsthändler Jacques Goudstikker

untersucht den Verbleib von Goudstikker-Werken de teruggave van roofkunst na 1945. Zwolle 2002; in deutschen Museen und Sammlungen; Clemens Presse: Riding, Alan: Heirs Claim Art Lost to Nazis Toussaint,New York, koordiniert die Ergebnisse mit in Amsterdam. Another Collection Joins the Dis- den Goudstikker-Erben und betreut gemeinsam mit puters Over Who Owns War’s Cultural Booty. In: dem Rechtsbeistand der Familie die Verhandlungen The New York Times, 12.1. 1998, S. E6; Heyting, zur Rückführung der aufgefundenen Kunstwerke. Lien: Elke week een ontdekking. In: NRC Handels- 2. Die beiden Autorinnen hielten anlässlich des 11.Tref- blad, 18. 3. 2005, S.19; Schweighöfer, Kerstin: Detek- fens des „Arbeitskreises Provenienzforschung“ am 14. tiv auf Görings Spuren. In: Art: das Kunstmagazin und 15. 4. 2005 in der Hamburger Kunsthalle einen (2005), 7, S. 40 – 43; Medien: Kulturweltspiegel, Vortrag über „Jacques Goudstikker (1897 –1940), WDR, 23. November 1997, Affäre Goudstikker. Der der diesem Artikel zu Grunde liegt. doppelte Kunstraub in Amsterdam, von H. Mäthes- 3. Es existieren zwei frühere Verkaufsvereinbarungen heimer und Falk Madeja; Kultur-Report, ARD, vom 1.Juli und vom 5. Juli 1940, wonach alleine 6. Juli 2003, 22:45 Uhr, Der Fall Goudstikker. Wie Miedl das Unternehmen erwerben sollte. Diese Fas- sich berühmte Museen heute noch mit geraubter sungen wurden jedoch niemals ratifiziert, da Miedl Kunst schmücken, von Joachim Gaertner (http:// den Kaufpreis aus eigener Tasche nicht bedienen www.br-online.de/kultur-szene/capricci/report/ konnte, und schließlich ersetzt durch die Vereinba- thema 030706_2.html). rung mit Miedl und Göring vom 13. Juli 1940. Da- 8. Das Gemeindearchiv der Stadt Amsterdam über- nach übernimmt Hermann Göring alle Kunstwerke nahm Anfang der neunziger Jahre von Eduard und bis auf diejenigen Positionen, die Jacques Goudstik- Marei von Saher den Nachlass Jacques Goudstikker ker gemeinsam mit Dritten besaß, sicherte sich dies- und Desirée Goudstikker-Halban. Dieser beinhaltet bezüglich jedoch ein Vorkaufsrecht, das er in einigen u.a. das Original des Black Book, aber auch das seit Fällen später auch ausübte. Die restlichen Kunst- 1930 geführte Inventarbuch der Galerie. Darüber werke, den Namen und die Infrastruktur des Unter- hinaus liegt hier das persönliche Adressbuch Goud- nehmens sowie alle sonstigen Vermögenswerte, da- stikkers, das Einblick in das Netzwerk und die Be- runter vor allem die Immobilien, übernahm Alois ziehungen zu Museumsdirektoren, Experten, Kunst- Miedl. handels-Kollegen, Partnern und Sammlern gibt und 4. Heuss, Anja: Der Fall Goudstikker: Die Niederlande wiederum aufschlussreich für die Präzisierung von und die Raubkunst. In: Matthias Frehner: Das Ge- ehemaligen Standorten und Provenienzen ist. Das schäft mit der Raubkunst. Fakten, Thesen, Hinter- Findbuch des Bestandes ist online einsehbar unter gründe. Zürich 1998, S.105 –110; ders. siehe in Es- http://gemeentearchief.amsterdam.nl/archieven/ ther Tisa Francini, Anja Heuss und Georg Kreis: oi/inventaris/1341.nl.html. Raubgut – Fluchtgut. Der Transfer von Kulturgütern 9. Alle kurz nach Kriegsende von den Alliierten an in und über die Schweiz 1933 –1945 und die Frage Holland restituierten Kunstwerke wurden von der der Restitution, herausgegeben von der Unabhängi- Stichting Nederlands Kunstbezit (SNK) systematisch gen Expertenkommission Schweiz – Zweiter Welt- aufgenommen, darunter auch eine Reihe von Wer- krieg. Band 1, Zürich 2001, S. 386 – 390. ken mit Goudstikker-Provenienz. Die betreffenden 5. U.a. bei Hans W. Lange, Berlin (1940); Kunsthaus Unterlagen sind nach Vorlage einer Vollmacht im Lempertz,Köln (1941);Adolf Weinmüller,München Nationaal Archief in Den Haag einsehbar (SNK (1941); Heinrich Hahn, Frankfurt (1941); Doro- 2. 08. 42). theum Wien (1944). 10. In seinem Bestand B 323 (B 323/574, Bd.14: Nieder- 6. Desirée Goudstikker war in zweiter Ehe verheiratet lande A-Z) verwahrt das Bundesarchiv Koblenz eine mit August E. D. von Saher. Liste der Treuhandverwaltung München der zwi- 7. Literatur: den Hollander, Pieter: De zaak Goudstik- schen 1945 und 1962 an Holland restituierten Kunst- ker.Amsterdam 1998; Anja Heuss, siehe Anmerkung werke. Sie beinhaltet Kunstwerke aus der Sammlung 4; Aalders, Gerald: Geraubt! Die Enteignung jüdi- Goudstikker, die sich größtenteils in der Sammlung schen Besitzes im Zweiten Weltkrieg. Köln 2000, Göring befanden oder aber für den Bestand der Lin- S.134 –139; Muller, Eelke und Helen Schretlen: Be- zer Sammlung Hitlers vorgesehen waren. twistBezit. De Stichting Nederlands Kunstbezit en

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