Schwarze Orchideen Und Andere Blaue Blumen. Reformsozialismus Und Literatur in Der DDR
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UvA-DARE (Digital Academic Repository) Schwarze Orchideen und andere blaue Blumen. Reformsozialismus und literatur in der DDR Delhey-Dauterstedt, Y. Publication date 2002 Link to publication Citation for published version (APA): Delhey-Dauterstedt, Y. (2002). Schwarze Orchideen und andere blaue Blumen. Reformsozialismus und literatur in der DDR. in eigen beheer. General rights It is not permitted to download or to forward/distribute the text or part of it without the consent of the author(s) and/or copyright holder(s), other than for strictly personal, individual use, unless the work is under an open content license (like Creative Commons). Disclaimer/Complaints regulations If you believe that digital publication of certain material infringes any of your rights or (privacy) interests, please let the Library know, stating your reasons. In case of a legitimate complaint, the Library will make the material inaccessible and/or remove it from the website. 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J Subjektivitat und Wirklichkeit in literarischen Texten Inzwischenn dürfte deutlich geworden sein, dass es den Schriftstellem, die sich im Herbst 1989 mitt der Reform des Sozialismus in der DDR beschaftigten, nicht direkt um soziale oder politi- schee Konzepte im eigentlichen Sinn ging. Ihre Aufmerksamkeit galt doch im wesentlichen der Literatur,, der sie allerdings eine besondere gesellschaftliche Funktion zuschrieben. Literatur wurdee in ein dialektisches Verhaltnis zur gesellschaftlichen Wirklichkeit gestellt. Von ihr wurdenn Impulse zur Veranderung der Gesellschaft erwartet - anfangs im Hinblick auf das zu erreichendee Ziel der sozialistischen Gesellschaft, spater um die gesellschaftliche Stagnation, inn die die DDR in zunehmendem Mafie geriet, zu überwinden. Diese Einschatzung resultierte auch,, wie gezeigt wurde, aus der gesellschaftlichen Funktion, die der Literatur in der DDR vonn ihrer Gründung an zugedacht war und durch die die direkte gesellschaftliche Relevanz derr Literatur vorausgesetzt wurde. Es war keine Frage, mit der sich der einzelne Schriftsteller beschaftigenn musste. In der Auseinandersetzung, die die Schriftsteller fuhrten, ging es eher umm die Diskrepanz zwischen diesem Anspruch und dem tatsachlichen Einfluss, den die Lite- raturr auf gesellschaftliche Prozesse hatte. Dass sich dieser Anspruch, wie auch die Auseinan- dersetzungg mit ihm, an gesellschaftlichen Idealen der Moderne und Vormoderne orientierte, istt hinreichend bekannt. Gesellschaftliche Wirklichkeit wird dabei als Totalitat gedacht, in der sichh dem Einzelnen die Gesellschaft in ihrer ganzen Komplexitat idealerweise als sinnerfullter Zusammenhangg darstellt. Unter dieser Pramisse kann Literatur jedoch nicht als eigenstandiges Mediumm erscheinen. Sie dient der Auseinandersetzung mit auBerliterarischen, auf soziale, historische,, ideologische oder philosophische Themen zielenden Fragestellungen.' Einee Beschaftigung mit dem literarischen Werk, die sich auf solche Fragestellungen konzen- triert,, lauft Gefahr, das Esthetische Interesse an der Literatur zu vernachlassigen. Gesucht wer- denn dann Interpretationszusammenhange, die über den Text hinausgehen, ohne die Eigen- heitenn des Mediums selbst wahrzunehmen. AuBerdem besteht die Möglichkeit, dass die im literarischenn Werk dargestellte Welt gleichrangig mit der wirklichen Welt erscheint, da sie nichtt verschieden voneinander wahrgenommen werden. Die imaginierte Welt wird dann zwar nochh nicht als ebenso existent betrachtet wie die reale, in ihrem Bezug auf diese reale Welt hebtt sich allerdings der Unterschied auf. Letzteres kann nicht nur die Literatur selbst, sondern auchh die Auseinandersetzung mit ihr entscheidend bestimmen, was sich an der Literatur aus derr ehemaligen DDR gut zeigen lasst. Bei der Betrachtung und Beurteilung dieser Literatur 11 Für die Bedeutung des TotalHatsbegrifis iur die Literaturwissenschaft vgl.: Hans Peter Hernriann: .Wider- sprüchlicbee Zusammenhinge. Über den Totaütatsbegriff und den Sinn kritischer Gesellschaftstheorie fur die Literaturwissenschaft'.. In: Rüdiger Scholz und Klaus-Michael Bogdal: Literaturtheorie und Geschichte. Zur DiskussionDiskussion materialistischer Literaturwissenschaft. Opladen 1996, 332-352. Herrmannn vertritt die Aunassung, dass die Restituierung dieses geschichtsphilosophischen Begrifis vor allem Georgg Lukacs zuzuschreiben ist. Für Urn hangt mit der Wiederaumahme der Totalitatskategorie als Sinnbegriff einn "gravierender Verlust an konkreter Geschichtlichkeit"(340) zusammen, womit er bereits mehr die historisch- gesellschaftlichee Seite betont Das ist jedoch das Problem mit der Totalitatskategorie: sie bindet auch die Litera- turr an diesen Rahmen. 62 2 kamm dem realen gesellschaftlichen Kontext eine Bedeutung zu, ohne den diese Texte nicht adaquatt interpretieibar sein sollten.2 Literatur wurde als Informationsquelle gesehen und ge- deutet,, durch die man ein realistisches Bild vom Leben in der DDR vermittelt bekam.3 Das magg bis zu einem gewissen Grad auch richtig sein, dennoch produzierte diese Methode auch ihree eigenen blinden Flecken, zum Beispiel wenn Kommentatoren bei einem Werk wie dem vonn Wolfgang Hilbig (1941), auf das weiter unten noch eingegangen wird, immer wieder von derr Tatsache ausgingen, dass Hilbig früher ein 'einfacher Arbeiter' war. Erzahlkonstellationen werdenn in diesem Verfahren nur allzu leicht an biografische Informationen über den Autor gekoppelt.. Der Text fungiert als Illustration der Realitat, als authentischer Bericht subjektiver -- und jetzt ein wichtiger Begriff in diesem Zusammenhang - Erfahrung dieser Wirklichkeit. Diee persönliche Erfahrung im Umgang mit der Realitat wurde je langer je mehr zu einem Schlüsselwortt der Literatur aus der ehemaligen DDR. Mit ihm gewinnen das Subjekt und die subjektivee Erkenntnis neben und gegenüber der objektiven Erkenntnis, die der Marxismus fur sichh in Anspruch nahm, an Bedeutung. Literaturhistorisch verdient diese Tatsache kaum be- sonderee Erwahnung - Aufklarung und Romantik waren diesbezüglich bedeutend revolutiona- rer.. Im Hinblick auf eine Literatur, die, unter Berufung auf die Tradition des Sozialistischen Realismus,, den gesellschaftlichen Prozess in seiner historischen Entwicklung darstellen woll- tee oder sollte, ist die Orientierung an der subjektiven Erfahrung allerdings schon bemer- kenswert.. Letztlich war diese Literatur zwar auf die Selbstbefreiung des Individuums gerich- tet,, sie sollte j edoch bekanntlich als kollektive Emanzipation auf gesellschaftlicher Basis statt- finden,, womit jede Einzelperspektive von vornherein ausgeschlossen war.4 Soo gesehen bleibt die Erlangung subjektiver Standpunkte in der ostdeutschen Literatur ein literaturasthetischh befreiender Schritt aus der ideologischen Instrumentalisierung durch die offiziellee Kulturpolitik. Dass damit auch andere philosophische, gesellschaftliche, historische undd literaturasthetische Konzepte Eingang fanden, mag aus den bisherigen Ausführungen bereitss deutlich geworden sein. An dem Wirklichkeitsbezug der ostdeutschen Literatur - und dannn vor allem dem der 'reformsozialistischen' Autoren - anderte sich dahingegen und trotz derr in den siebziger Jahren entstehenden "Autorpoetiken" (Grant) - wenig. Wiewohl sich Autorenn wie Franz Fühmann, Volker Braun oder Christa Wolf- aber auch jemand wie Heiner Mullerr oder Christoph Hein - auf eigene literaturasthetische Positionen stützten, bezogen sie sichh in ihren Konzepte mit der im literarischen Werk dargestellten Wirklichkeit letztlich im- merr auf die gesellschaftliche. Literatur wird so zum Katalysator des gesellschaftlichen Han- delns.. Die Vorstellung basiert allerdings auf einem Ursache-Wirkungs-Verhaltnis zwischen 22 Vgl. Bemhard Greinen 'DDR-Literatur als Problem der Literaturwissenschaft'. In: Klussmann/Mohr (1983), 231-255,233. 33 Vgl. Wolfgang Emmerich: 'Für eine andere Wahmehmung der DDR-Literatur. (...)*. In: Emmerich (1994), 205:: "Diese Literatur ist und bleibt, gerade weil eine unbehinderte empirische Kultur- und Sozialforschung fehl- te,, ein unersetzbares Auskunftsmhtel dazu, 'wie es eigentlich gewesen ist'. Und gerade die Auslandsgermanistik bleibtt auf die DDR-Literatur als Dokumentationssammlung zur (historischen) Landeskunde im Sinne eines Ar- chivss verschrifteter Erfahrung angewiesen - so wie jede Kulturgeschichtsschreibung zur DDR, wo immer sie veranstaltett wird." 44 Bemhard Greiner weist in seiner Studie darauf hin, dass die Betrachtung des Subjekts weitgehend aus der For- schungg zur DDR-Literatur ausgeblendet blieb. Er sieht - die Studie wurde 1983 publiziert - darin einen mögli- chenn Schwerpunkt fur die künftige literaturwissenschaftliche Beschaftigung mit dieser Literatur. Vgl. Greiner. In:: Klussmann/Mohr (1983), 251. ** Zur Problematik