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OSAMA

PRESSENOTIZ OSAMA ist der erste lange Spielfilm, der nach dem Ende der -Herrschaft in gedreht wurde. Die Darsteller sind Laien, die Hauptfigur ist – wie in so vielen von Zensur reglementierten Kulturen – ein Kind, ein junges Mädchen. Siddiq Barmak, der Regisseur und Drehbuchautor, wurde für dieses Werk in Cannes mit Standing Ovations gefeiert und mit der „Mention Spéciale“ der „Quinzaine des Réalisateurs“ bedacht. „Mein Film ist eine Hommage an die Geduld der Afghanen, die so viel Leid erfahren haben. Der Preis gilt ihrem Widerstand und ihrer unzerstörbaren Hoffnung auf die Zukunft“ so Barmak bei der Preisverleihung. Barmaks Hauptdarstellerin schlägt sich als Junge verkleidet unter dem Namen OSAMA durch eine von Männern domi- nierte Welt. Sie versucht so den Lebensunterhalt für ihre Mutter und Großmutter zu verdienen. Ihre Weiblichkeit lässt sich trotz der Verkleidung nicht verbergen. Das Scharia-Gericht beschließt ihre Zwangsheirat mit einem um Jahre älte- ren Mullah. Er schenkt ihr zur Hochzeit ein Schloss, das ihre Zukunft für immer zu verriegeln scheint. Der Film endet hier und der Zuschauer ist an das Anfangszitat von Nelson Mandela erinnert: Ich werde verzeihen. Aber ich werde nie vergessen. In seiner poetischen Sprache macht der Film den physischen und psychischen Terror spürbar, dem Frauen unter dem extremistischen Regime ausgesetzt waren. Dabei umgeht Barmak allerdings jede Schwarz-Weiß-Malerei und zeigt, dass auch Männer von dem Regime unterdrückt und instrumentalisiert wurden. Das Werk ist ein Stück Aufarbeitung und Bewältigung jüngster afghanischer Geschichte.

TEAM DARSTELLER Buch, Regie, Schnitt Siddiq Barmak Tochter Marina Golbahari Kamera Ibrahim Ghafuri Mullah Mohmmad Nadre Khwaja Regieassistenz Kaweh Moinfar Der Junge „Espandi“ Mohmmad Arif Herati Homayoun Payz Mutter Zubaida Sahar Mirwais Rekab Großmutter Hamida Refah Razi Mohebi Talib Gul Rahaman Ghorbandi Kameraassistenz Reza Sheakhi Milchverkäufer Mohmmad Nabi Nawa Mehdi Amiri Alle Schauspieler und Statisten sind Laiendarsteller aus Bildgestaltung Vahid Ramagh . Ton Behrouz Shahmat Farokh Fadaee Tonmischung Mastaneh Mohajer PRODUKTION Hussein Mahdavi Barmak Film, Afghanistan Set Designer Akbar Meshkini in Co-Produktion mit leBrocquyFraser Productions Ltd., Schnittassistenz Mastaneh Mohajer Irland und NHK, Japan Produktionsleitung Siamak Alagheh Band und Abubakr Atef Afghanistan, Irland, Japan 2003 Script Supervisor Agheleh Rezaei Länge: 83 Minuten, Farbe, Format: 1:1,85, 35 mm, Musik Mohammad Reza Darwishi deutsche Fassung Filmentwicklung Studio Filmsaz

Synchronproduktion Studio Babelsberg AUSZEICHNUNGEN Synchronregie Joachim Kunzendorf Besondere Erwähnung der Camera-d’Or-Jury, Synchronproduzentin Christa Kistner Cannes 2003 Mischung Manfred Arbter Preis der französischen Arthouse-Kinos 2003 verleihgefördert von Filmboard Berlin Brandenburg Fellini-Medaille der UNESCO für Siddiq Barmak

INHALT

KURZINHALT

Nach der Machtübernahme durch die Taliban stehen in Familie ernähren. Als „Junge“ fängt sie an für einen Afghanistan tausende Witwen und alleinstehende Frauen Milchmann zu arbeiten, der mit dem im Krieg gefallenen vor einem unüberwindlichen Problem: Wie sollen sie ihren Vater der Familie befreundet war. Lebensunterhalt verdienen, wenn sie nur in Begleitung Durch die Verkleidung ist das Mädchen gezwungen, an männlicher Verwandter das Haus verlassen dürfen? den religiösen Riten der Männer teilzunehmen und die Eine Mutter beschließt, ihre 12-jährige Tochter als Sohn Koranschule zu besuchen. Doch die männlichen Verhal- zu verkleiden, damit sie sie zu ihrer Arbeit begleitet. Als tensweisen sind ihr fremd. Und die Furcht vor der die Mutter ihre Arbeit verliert, muss das Mädchen die Enttarnung wächst mit jedem Tag.

LANGINHALT

Was tut eine Frau, die das Haus ohne männliche Beglei- Die Sitten der Männerwelt bleiben ihr fremd, ihre Stimme tung nicht verlassen darf, aber keine männlichen Ange- ist zu hoch, ihre Bewegungen zu mädchenhaft. Sie lebt in hörigen mehr hat? Nach der Machtübernahme durch die ständiger Furcht vor Entdeckung. Der Milchverkäufer zeigt Taliban stehen in Afghanistan tausende Witwen und ihr, wie Männer ihre religiösen Waschungen vornehmen alleinstehende Frauen vor einem unüberwindlichen und er achtet in der Moschee darauf, dass sie sich den Problem: Wie sollen sie ihren Lebensunterhalt verdienen, Ritualen entsprechend verhält. Trotzdem unterlaufen ihr wenn sie nicht allein aus dem Haus gehen dürfen? Fehler. In Kabul filmt ein ausländischer Reporter den einheimi- Als die Taliban sie gemeinsam mit allen anderen Jungen schen Jungen Espandi, der sich etwas Geld als Glück- in die Koranschule holen, scheint die Enttarnung nur noch wunschbote verdient, und wird Zeuge einer Massende- eine Frage der Zeit zu sein. Espandi, der gemeinsam mit monstration afghanischer Frauen gegen das neue Regime. ihr und ihrer Mutter während der Frauendemonstration Der Junge rettet sich zusammen mit einer Frau und ihrer geflüchtet war, erkennt sie trotz ihrer Verkleidung wieder Tochter vor den Wasserwerfern in einen nahe gelegenen und hilft, ihr Geheimnis zu wahren. Um sie vor weiteren Hauseingang. Von dort aus beobachten sie, wie die Übergriffen zu schützen, gibt er ihr den Namen Osama Taliban den Protestmarsch mit brutaler Gewalt beenden. und zeigt ihr, wie sie sich als Junge verhalten muss. Doch Die Mutter des 12-jährigen Mädchens weiß, dass sie in die Hoffnung, es könne ihr gelingen als Junge zu beste- ständiger Gefahr schweben, denn ihr Mann und ihr hen, ist kurz. Osama fällt auf, wird öffentlich bloß gestellt Bruder sind in den russisch-afghanischen Kriegen getötet und bestraft. Dabei entdeckt ein alter Mullah, dass sie ein worden. Wer soll sie aber in der Öffentlichkeit durch die Mädchen ist. Sie wird als Verräterin ins Gefängnis gewor- Straßen begleiten, wenn sie unerlaubt ihrer Arbeit im fen, wo bereits unzählige Frauen auf ihre Verurteilung Krankenhaus nachgeht. warten. Auf Anraten der Großmutter wird die Tochter als Sohn Beim öffentlichen Prozess wird sie Zeugin, wie die Todes- verkleidet, um als männlicher Begleitschutz auf der Straße urteile an dem ausländischen Reporter sowie einer west- zu dienen. Als das Krankenhaus, in dem die Mutter illegal lichen Ärztin vollstreckt werden. Sie selbst wird dazu ver- arbeitet, geschlossen wird und sie auch eine private Pfle- urteilt, den alten Mullah, der sie in der Koranschule ent- gestelle verliert, muss das Mädchen die Familie ernähren. tarnt hat, zu heiraten. Bei einem Milchverkäufer, der mit dem im Krieg gefalle- Sein Hochzeitsgeschenk ist ein Vorhängeschloss, das ihr nen Vater befreundet war, kommt sie als „Junge“ unter. die Zukunft verschließt. INTERVIEW MIT SIDDIQ BARMAK

Was war der Ausgangspunkt für Ihren Film? Die Großmutter sucht im wahren Leben ihren Sohn, der in SB: Ich habe während meines Exils in Pakistan eine Pakistan von der Polizei verhaftet und ins Gefängnis Geschichte gelesen, die als Basis für diesen Film diente. gesteckt wurde, die Mutterdarstellerin ist wie ihr Mann Ein Mädchen verkleidet sich als Junge, um für die Familie arbeitslos und schlägt sich so durch. Die Kinder habe ich unter großer Gefahr etwas Geld zu verdienen. fast alle auf der Straße aufgelesen.

Wie haben Sie recherchiert? Wie haben Sie mit ihnen gearbeitet? SB: Ich habe mit einigen Frauen gesprochen, die ein ähn- SB: Sie kannten nicht das komplette Drehbuch, sondern liches Schicksal erlitten und von den Mullahs zur Ehe nur die jeweiligen Situationen. Manchmal war die erste gezwungen wurden. Die Mullahs nahmen keine Rücksicht Aufnahme die natürlichste, da musste ich die Szene nicht darauf, ob diese Frauen schon verheiratet oder gar Mütter wiederholen. Die Emotionalität war echt. Dann wieder waren. Sie „rekrutierten“ ihren „Frauen-Nachschub“ größ- habe ich einige Vorgaben gemacht. Aber fast alle Dialoge tenteils aus den Flüchtlingslagern. Nur wenige Opfer sind improvisiert, gerade bei den Darstellern der Taliban befreiten sich nach dem Sturz des Terror-Regimes aus der gab es eine große Improvisationsfreiheit. Zwangsehe, die meisten schämen sich, fühlen sich stig- matisiert und trauen sich nicht, diese Männer zu verlas- Wo fanden Sie diese Männer? sen. Es gibt kaum eine Chance für sie, einen anderen SB: Das sind größtenteils Taliban aus einem Flüchtlings- Ehemann zu finden. Ein Teufelskreis. camp nahe Kabul, einfache Soldaten aus den Provinzen, die aus Angst vor Rache in die Hauptstadt flohen. Sie Unter welchen Produktionsbedingungen mussten Sie wollen eigentlich nur friedlich leben, sind keine überzeug- arbeiten? ten Taliban, sondern schlossen sich ihnen nur aus wirt- SB: Es fehlt an jeglicher filmischer Infrastruktur in mei- schaftlicher Not an. Einer von ihnen wollte erst nicht vor nem Land. Die Taliban haben alles zerschlagen, wir müs- die Kamera treten, weil für ihn die Taliban jetzt Ungeheu- sen bei Null anfangen. Ich hatte das Glück, Mohsen er sind und er seinen Fehler korrigieren möchte. Wir dür- Makhmalbaf zu treffen und erzählte ihm von meinem fen diese Menschen nicht in Bausch und Bogen verdam- Traum, diesen Film zu realisieren. Er hat mich zu Beginn men, sondern sollten versuchen, sie in die Gesellschaft zu aus eigener Tasche finanziell unterstützt und dann die integrieren. Kontakte zu den Co-Produzenten in Japan und Irland auf- gebaut. Für westliche Verhältnisse war der Film mit Und wie haben Sie die Darsteller bezahlt? 310.000 Dollar billig, zumal wir auf 35mm-Material dreh- SB: Sie erhielten Geld und während des Drehens auch ten. eine Versorgung mit Lebensmitteln wie Öl, Zucker oder Tee. Der Hauptdarstellerin haben wir ein Haus gekauft, in dem Wie haben Sie die Laiendarsteller gefunden? sie jetzt mit ihrer insgesamt dreizehnköpfigen Familie lebt. SB: Die Hauptdarstellerin Marina Golbahari bat mich auf der Straße um ein Almosen. Mir fielen sofort ihre faszinie- Sie sind Filmbeauftragter der afghanischen Regierung, renden Augen auf, in ihnen lag Tragik, Melancholie und wo liegen Ihre Aufgaben? eine große Traurigkeit. Als ich sie fragte, ob sie in einem SB: Vor allem darin, die Verbreitung von Film und langfris- Film mitspielen will, wusste sie erst gar nicht, was ich tig die Möglichkeit zur Produktion zu stärken, gerade die meinte. Film und Fernsehen waren ihr fremd. Sie hatte steckt noch in den Kinderschuhen. Das wird sich ändern. nur einmal beim Betteln im Café einen Fernseher gesehen. Viele junge Männer haben sich das technische Wissen Aber bei den Dreharbeiten reagierte sie instinktiv richtig. selbst beigebracht, drehen mit der DV-Kamera und erzäh- Die Menschen in meinem Film spielen nicht nur, sie kön- len ihre Geschichten. Neben Makhmalbaf unterstützten nen auf eigene Erfahrungen zurückgreifen. So wurde uns auch die Franzosen und natürlich das Goethe-Institut Marinas Vater von den Taliban zum Krüppel geschlagen. aus Deutschland in der praktischen Arbeit. In Kabul gibt INTERVIEW MIT SIDDIQ BARMAK

rechts Siddiq Barmak es wieder neun Kinos, einige existieren auch in anderen eine Komödie, eine sehr schwarze Komödie. Denn die Städten bzw. werden wieder aufgebaut. Auf dem Land Bevölkerung hat nach all dem Leid auch mal das Recht behelfen wir uns mit dem „Mobile Cinema“, mobile Vor- auf Lachen. führmöglichkeiten für Spiel-, Dokumentar- und Bildungs- filme. In den einzelnen Provinzen existieren Kulturzentren, Wie sehen Sie die Zukunft des afghanischen Kinos? von denen aus das „Mobile Cinema“ eingesetzt wird. SB: Da bin ich optimistisch. Ich fühle mich als Botschafter meines Landes, mein Film vermittelt Informationen, öffnet Was machen Sie als nächstes? ein Fenster zum Verständnis des afghanischen Volkes. Die SB: Ich arbeite an der filmischen Umsetzung von ver- Taliban haben zwar unser großes Kulturerbe, die berühm- schiedenen Geschichten eines in Dänemark lebenden Exil- ten Buddha-Statuen im Bamian-Tal, dem Erdboden gleich- Afghanen. Die Handlung spielt in der Vergangenheit, sagt gemacht, aber es ist ihnen nicht gelungen, das Bewusst- aber viel über die Gegenwart aus. Wahrscheinlich wird es sein für unsere Kultur zu zerstören. BIOGRAFIEN

SIDDIQ BARMAK (Buch, Regie, Schnitt) kamera. Alle seine Arbeiten werden unter der Taliban- Siddiq Barmak wird am 7. September 1962 in Afghanis- Herrschaft konfisziert und zum größten Teil vernichtet. tan geboren. Er studiert Regie an der Universität Moskau Nach dem Sturz der Taliban und der Wahl der Übergangs- und schließt das Studium 1987 mit dem Diplom ab. Er regierung kehrt Barmak in seine alte Position als Direktor kehrt nach Afghanistan zurück und kämpft 1989 für die bei „Afghan Film“ zurück. Neben seiner dortigen Tätigkeit Mudschaheddin in Nordafghanistan. Nach einem kurzen gründet er die Buddha Film Organisation. Anfang April Aufenthalt in Pakistan kehrt er 1992 nach Kabul zurück. 2003 übernimmt Barmak außerdem die Leitung der Bis 1996 ist er Direktor der staatlichen Produktionsfirma Afghanischen Kinder-Erziehungs-Bewegung (ACEM), des- und des Filmarchivs „Afghan Film“. sen Leiter zuvor der iranische Regisseur Mohsen Barmak führt bei mehreren Kurzfilmen Regie und schreibt Makhmalbaf war. Schwerpunkt der ACEM sind Aktivitä- Drehbücher, unter anderem das zu „Uruj“, dem ersten ten, die Kinder an literarische, kulturelle und künstlerische afghanischen Spielfilm nach dem Ende der sowjetischen Bereiche heranführen. Besatzungszeit. Thema des Filmes ist der Widerstand des Filmografie (Auswahl) afghanischen Volkes gegen die sowjetischen Invasoren. Kurzfilme: Der Film wird von Noor Hashem Abir unter schwierigsten Billiard (Super 8, 20 Minuten, 1980) Bedingungen realisiert. Er entsteht in der Zeit des mörde- Wall (35 mm, 10 Minuten, 1983) rischen Bürgerkrieges in der Nähe von Kabul und im Circle (35 mm, 20 Minuten, 1984) Panshir Tal. Während der Fertigstellung des Filmes rücken Stranger (35 mm, 38 Minuten, 1986) die Taliban immer näher. „Uruj“ erlebt seine Uraufführung Dokumentarfilme: in einem Kabuler Kino, bevor die Taliban endgültig die The Disaster of Withering (22 Minuten, 1988) Stadt erobern. Mit dem Fall Kabuls an die Talibanmilizen The Hadith of Conquer (Video, 115 Minuten, 1991) verlässt Siddiq Barmak 1996 erneut Afghanistan und The Invasion File (Video, 38 Minuten, 1997) geht ins Exil nach Pakistan. Er schließt sich den Truppen Spielfilm: um Massoud an und begleitet die Kämpfe mit der Video- Osama (35 mm, 83 Minuten, 2003)

IBRAHIM GHAFURI (Kamera) 2001 The Day I Became A Woman – Ibrahim Ghafuri wurde 1960 in Teheran geboren und Regie: Marzieh Meshkini begann seine filmische Karriere 1978. Bis 1987 arbeitete 2001 Reise nach Kandahar – er als Kamera-Assistent. Als Kameramann führte er bei Regie: Mohsen Makhmalbaf einer Reihe namhafter iranischer Spielfilme die Kamera. 2000 Schwarze Tafeln / Takhte Siah – Filmografie (Auswahl) Regie: Samira Makhmalbaf 2003 Osama – Regie: Siddiq Barmak 1999 Der Apfel – Regie: Samira Makhmalbaf 2003 Um Fünf am Nachmittag – 1998 Die Stille – Regie: Mohsen Makhmalbaf Regie: Samira Makhmalbaf The Love Squadron – Regie: Saeed Hajimiri 2002 11'09"01 – Episode von Samira Makhmalbaf The Wind and Anemone – Regie: Seyyed Zia-o-Din Dorri

MARINA GOLBAHARI (das Mädchen) Zentrum für Straßenkinder in Kabul zur Schule. Sie lernt Marina Golbahari wurde 1991 in Golbahar (Teil der Lesen und Schreiben mit dem Ziel, Schauspielerin zu wer- Parwan Provinz) im Norden Kabuls geboren. Sie ist eines den. Nach „Osama“ spielt sie in einem afghanischen von 13 Mitgliedern einer sehr armen Familie. Sie geht im Kurzfilm mit. „OSAMA“ UND DIE GESCHICHTE DES AFGHANISCHEN FILMS

Die Filmproduktion hat in Afghanistan kaum Tradition, seit teln, technischen Geräten und ausgebildeten Filmema- der Erfindung der Kinematografie wurden insgesamt nur chern. Für die Produktion von „Osama“ spendete bei- etwa 45 Filme produziert. Das erste Kino wurde in den spielsweise das iranische Ministerium für Kultur und 20er Jahren unter Emir Amanullah gebaut. Gezeigt wur- Bildung Rohmaterial und die Filmausrüstung, trug die den damals Stummfilme aus anderen Ländern. In Kabul Entwicklungskosten für das Material und sorgte dafür, und den großen Städten der Provinzen wie Kandahar oder dass die einzige BLI Kamera, die in Afghanistan existierte, Herat gab es bis zur Machtübernahme durch die Taliban repariert wurde. Das Makhmalbaf Filmhaus bot während- 1996 Filmvorführungen in Kinos. Gezeigt wurden Filme dessen Hilfestellung durch Filmausbildung in Kabul, aus den Nachbarländern Iran, Pakistan und Indien. schickte ein iranisches Team zur Unterstützung bei den 1955 wurde das Projekt „Mobile Cinema“ ins Leben geru- Dreharbeiten und beteiligte sich auch finanziell. fen, das Filme in ländliche Regionen brachte. In den 60er Beide Institutionen legten darüber hinaus einen Grund- Jahren war dieses System weit verbreitet, zur gleichen stock für die filmische Ausbildung: das Ministerium stifte- Zeit wurde auch Afghan Film gegründet, eine staatliche te eine Bibliothek mit 2.000 Büchern über Filmkunst und Institution zur Filmproduktion. Literatur sowie 300 Videobänder, das Makhmalbaf Film- Während der sowjetischen Besatzung wurden überwie- haus gründete eine weitere Film-Bibliothek in Kabul durch gend sowjetische Propagandafilme gezeigt, um die Bevöl- die Spende von 2.000 Bänden internationaler Filmliteratur kerung politisch zu beeinflussen. und unterstützt junge Filmemacher durch Sachspenden In den vielen Jahren der Kriege brach die filmische Infra- wie eine PD 150 Digital Kamera, einen Videoprojektor, struktur zusammen. Die Kinos wurden zerstört und die Fernseher und Videos. Produktion kam weitgehend zum Erliegen. In den Kinos laufen weiterhin überwiegend Filme aus Nach der Machtübernahme durch die Taliban wurden die Indien, doch das Bewußtsein für eine eigenständige letzten existierenden Kinos und die Videotheken geschlos- afghanische Filmproduktion und Bilderkultur wächst. Beim sen, nahezu alle Filme wurden vernichtet. Ein generelles Länderschwerpunkt „Afghanistan Unveiled“ der diesjähri- Bildverbot wurde durchgesetzt. Malerei und Fotografie gen „femme totale“ stellten zwei junge Kamerafrauen das waren im Namen der Religion verboten, das afghanische Dokumentarfilmprojekt „Afghanistan Unveiled“ vor, das Fernsehen sendete nicht mehr und die wenigen Zeitungen 2003 dem Leben von Frauen in ländlichen Regionen bestanden aus Texten ohne Bilder. Filmschaffende verlie- nachspürte und parallel die Wirkung der erlebten Schick- ßen das Land und gingen ins Exil nach Pakistan oder in sale auf die afghanischen Kamerafrauen dokumentierte. den Iran. „Osama“ ist der erste Spielfilm einer neuen Ära des Seit dem Ende der Taliban-Herrschaft lebt das filmische Filmschaffens in Afghanistan und der erste afghanische Schaffen wieder auf. Nach seiner Rückkehr aus dem paki- Spielfilm, der bei dem Internationalen Filmfestival von stanischen Exil übernahm Siddiq Barmak im letzten Jahr Cannes gezeigt wurde. „Osama“ wurde dort mit einer neuerlich die Leitung der staatlichen Produktionsgesell- besonderen Erwähnung der Camera-d’Or-Jury bedacht schaft Afghan Film. Unter dem Taliban-Regime hatten hier und gewann außerdem den Preis der französischen Mitarbeiter ihr Leben riskiert, als sie in dem bunkerähn- Arthouse-Kinos. Siddiq Barmak erhielt für den Film die lichen Gebäude der Institution falsche Wände einzogen, Fellini-Medaille der UNESCO. mit Koransuren beschrifteten und so 8.000 Filmrollen vor dem Zugriff der Taliban bewahrten. Afghan Film setzt heute vor allem auf die Ausbildung jun- „Alle kulturellen Schritte, die wir machen, ger Leute und bemüht sich darum, die Voraussetzung für können Gewehre ersetzen.“ eine eigenständige afghanische Filmproduktion zu schaffen. Ohne Unterstützung aus anderen Ländern ist dies nicht Siddiq Barmak anläßlich der Vorführung von „Osama“ bei umzusetzen. In Afghanistan fehlt es an finanziellen Mit- den Hofer Filmtagen 2003 FRAUEN IN AFGHANISTAN

Im Verlauf der afghanischen Geschichte standen die Strukturen zum Ziel hatte, sondern die Unterdrückung Lebensbedingungen der Frauen wiederholt im Zentrum eigenständiger Verantwortung und Teilnahme am öffent- von Reformbestrebungen, die vor allem wegen der starken lichen Leben. Vordergründig sollte durch eine strenge Traditionen der Familien und Stämme in ländlichen Geschlechtertrennung und die Umsetzung der Scharia die Gebieten nicht durchgesetzt werden konnten. Versuche Ehre und der Schutz der Frauen gewährleistet werden. des Staates, die bestehenden Strukturen aufzubrechen Eine extreme Auslegung des Koran wurde dazu genutzt, und die Situation von Frauen – von oben – durch jegliche Freiheiten und Rechte von Frauen zu beschneiden. Verordnungen und Erlasse zu verändern, stießen auf Besonders in den Städten hatte dies drastische Rück- erbitterten Widerstand. schritte zur Folge. Amanullah Shah erließ in den 20er Jahren Gesetze, die Die rigorose Trennung der Geschlechter führte zu dramati- die existierende Rechtslage bei Eheschließung zu Gunsten schen Einschränkungen in existentiellen Bereichen: der der Entscheidungsfreiheit von Frauen änderten. Unter sei- Zugang zu medizinischer Versorgung wurde Frauen in ner Regierung wurden Schulen für Mädchen eingerichtet weiten Teilen verwehrt, ebenso wurden Bemühungen um und der Zwang zum Tragen der Burkha abgeschafft. Nach Alphabetisierung und Bildung von Mädchen rückgängig seinem Sturz wurden all diese Reformen rückgängig gemacht, und nach den langen Kriegsjahren wurde vielen gemacht und die Bildungseinrichtungen für Mädchen und Frauen die wirtschaftliche Existenzgrundlage entzogen. Die Frauen wieder geschlossen. praktischen Auswirkungen waren sehr vielseitig: In Herat Trotz aller Widerstände in der Bevölkerung besserten sich und Kabul wurden die Badehäuser für Frauen geschlos- die Ausbildungs- und Berufsmöglichkeiten von Frauen in sen, was insbesondere für Ärmere eine sehr empfindliche den folgenden Jahrzehnten schrittweise. 1959 erhielten Einschränkung bedeutete. Für Frauen, die in den Kämpfen sie das Recht, sich unverschleiert in der Öffentlichkeit zu und Kriegen ihre Männer und Brüder verloren hatten und zeigen, 1964 wurde Frauen das Wahlrecht zugesprochen. auf sich gestellt waren, fehlte die Basis zur Lebens- In der Praxis wurden diese Rechte allerdings nur verein- sicherung, da ihnen die männlichen Verwandten fehlten, zelt umgesetzt. ohne die sie in der Öffentlichkeit nicht erscheinen duften. Die pro-sowjetische Regierung begann 1978 damit, die Der Zwang, die Burkha, den Ganzkörperschleier, zu tra- sozialen Reformen mit staatlicher Autorität und Gewalt gen, wurde zum Symbol der Unterdrückung durch das umzusetzen. Die Stellung der Frau wurde zum zentralen Taliban-Regime. Thema. Dabei wurde ignoriert, dass die traditionelle Als die Nordallianz Kabul eingenommen hatte, wurde Situation der Frauen in ländlichen Gebieten nicht nur die diese Nachricht von einer weiblichen Radiostimme ver- Unterordnung unter männliche Gesetze bedeutete, sondern breitet, der ersten seit fünf Jahren. In Kabul und anderen auch Anerkennung und Einbindung in eine starke Frauen- Städten nahmen Frauen die öffentlichen Räume wieder in gemeinschaft. Während Frauen in den Städten zunehmend Besitz, im Exil lebende Afghaninnen kehrten in ihre öffentliche Ämter bekleideten und sich in Politik, Wissen- Heimat zurück. Viele von ihnen nehmen jetzt ihre früheren schaft und Kunst einen Namen machten, wehrten sich die Positionen in Ämtern, Universitäten und anderen Berufen Patriarchen der Provinzen gegen eine Verbesserung der wieder ein. Situation von Frauen. Nach dem Koran haben Mann und Frau den gleichen Während des folgenden Krieges und Bürgerkrieges in Rang vor Gott. Die Frau wurde nach dem Islam als Gattin Afghanistan wurden Frauen zur Kriegsbeute für rivalisie- des Mannes erschaffen. Mit der Heirat wird sie Mitglied rende Gruppen, mit denen nicht nur die Würde der Frauen in der Familie ihres Mannes. Der frühe Islam kannte verletzt, sondern auch die Ehre ihrer Familien getroffen Gebote und Verbote für beide Geschlechter. In der Praxis werden sollte. zählen heute jedoch fast nur noch die Vorschriften für Mit der Machtübernahme durch die Taliban wurden die Mädchen und Frauen. Frauen Afghanistans Opfer einer Politik, die nicht mehr In den ländlichen Gebieten ist es nach wie vor schwierig, ihre persönliche Sicherheit und Einbindung in familiäre Veränderungen umzusetzen. Häusliche Gewalt, erzwungene FRAUEN IN AFGHANISTAN

Eheschließungen zum Teil minderjähriger Mädchen, bemüht sich zwar – nicht zuletzt, weil sie die internatio- Diskriminierung vor Gericht und andere Verletzungen der nale Anerkennung und Unterstützung braucht – um eine Rechte von Frauen sind nach einem Bericht von Amnesty Verankerung der Frauenrechte in der neuen Verfassung International auch zwei Jahre nach dem Ende der Taliban- des Landes, allerdings wird es dauern, bis sich auch die Herrschaft an der Tagesordnung. Die Übergangsregierung Stammesrechte verändern werden. AFGHANISTAN

Islamischer Staat Afghanistan Einwohner: knapp 27 Millionen 71 % der Bevölkerung sind Analphabeten Hauptstadt: Kabul Lebenserwartung: 47 Jahre (Männer), 45 Jahre (Frauen) Größte Stadt: Mazar-i Sharif durchschnittliches Jahreseinkommen / Einwohner: 550 $ Amtssprachen: Paschtu und Dari Religion: fast 100 % Muslime Bevölkerung: 40 % Pashtunen, 25 % Tadschiken, Wichtigste Exportgüter: Erdgas, Trockenfrüchte, Nüsse, 15 % mongolstämmige Hesoren, 5 % Usbeken, Teppiche, Wolle, Fette außerdem Aimak, Nuristanis, Balutschen, Turkmenen, Wichtigste Importgüter: Maschinen, Fertigwaren, Kirgisen und andere. Mineralien, Öl HISTORISCHER ÜBERBLICK

Mitte des 18. Jahrhunderts wird Afghanistan, bis dahin Die Mudschaheddin stürzen 1992 Nadschibullah und pro- unter persischer Herrschaft, zu einem selbständigen Emi- klamieren den Islamischen Staat Afghanistan unter einer rat mit der Hauptstadt Kandahar. Kabul wird 1773 neue Mehrparteienregierung. Doch zwischen den verfeindeten Hauptstadt des Landes. „Regierungsparteien“ gehen die erbitterten Kämpfe weiter. Im 19. Jahrhundert bemühen sich Russland und die von 1994 dringen die Taliban von Pakistan aus ins Land. Sie Britisch-Indien aus operierende britische Kolonialmacht finden zunächst vielerorts Unterstützung, da ihre Herr- wiederholt um die Kontrolle des afghanischen Gebietes. schaft in weiten Gebieten des Landes die Bandenkriege 1921 wird Afghanistan unabhängiges Königreich unter beendet. Die meisten Stammesführer bleiben an der Amanullah Shah. Amanullah bemüht sich um weitreichen- Macht, in den ländlichen Regionen ändert sich an der de Reformen, kann diese bei den Stammesfürsten jedoch existierenden Rechtsordnung wenig. kaum durchsetzen. Nach seinem Sturz 1928 kommt es bei Die Taliban nutzen ihre weitreichende Kontrolle über das Auseinandersetzungen der Reformgegner zu bürgerkriegs- Land zur gnadenlosen Abrechnung mit ihren Gegnern. Ihr ähnlichen Kämpfen. Regime ist in seiner Radikalität einmalig in der islami- 1933 wird Zahir Shah König von Afghanistan und regiert schen Welt. Männer müssen ihre Bärte wachsen lassen, das Land vierzig Jahre lang. Außenpolitisch setzt Zahir Frauen dürfen keine Schule besuchen und nicht einmal auf eine Politik des Ausgleichs zwischen den Großmäch- Ärzte konsultieren. Jede Anlehnung an westliche Verhal- ten, innenpolitisch auf vorsichtige Reformen. 1964 setzt tensweisen, insbesondere Musik, Unterhaltung und modi- er eine von ihm selbst entworfene Verfassung in Kraft, die sche Attribute, ist unter schwere Strafen gestellt. 1996 die Rechte der Königsfamilie deutlich beschneidet und erobern die Taliban Kabul und drängen die ihnen feindlich 1965 die Wahl eines ersten Parlamentes ermöglicht. gesinnten Truppen in Richtung Norden zurück. Angesichts 1973 wird Zahir Shah in Abwesenheit gestürzt. Es folgen des Vormarsches der Taliban schließen sich dort einige blutige Auseinandersetzungen zwischen pro-kommunisti- Truppen zur Nordallianz zusammen. schen Militärs und den Anhängern des autoritären Nach den Terroranschlägen in den USA greifen die Verei- Präsidenten Prinz Mohammad Daoud. Ein Putsch bringt nigten Staaten in die afghanischen Auseinandersetzungen 1978 pro-sowjetische Militärs an die Macht. Noch im ein. Unter ihrer Führung gelingt es der Nordallianz, die gleichen Jahr unterzeichnen Afghanistan und die Sowjet- Taliban zurück zu drängen. Ende des Jahres 2001 über- union einen Freundschaftsvertrag, der auch militärischen nehmen die früheren Stammesführer wieder die Kontrolle Beistand vorsieht. Versuche, das Land zu modernisieren, über weite Teile des Landes. Die Taliban verschwinden rufen erneut Widerstand hervor. Pakistan, der Iran und die von der politischen Bühne. USA unterstützen zu diesem Zeitpunkt bereits bewaffnete Vertreter konkurrierender Kräfte Afghanistans vereinba- Gruppen, die den Widerstand organisieren. ren, dass eine Loja Dschirga unter Ex-König Zahir Shah 1979 marschieren auf Aufforderung von Präsident Amin (1933 - 1973) eine Übergangsregierung etablieren soll. sowjetische Truppen in Afghanistan ein. In der Folge wird Die Loja Dschirga wählt Hamid Karsai zum Präsidenten. Amin liquidiert und Babrak Karmal als neuer Partei- und Zahir Shah verzichtet auf Staatsämter. Der neuen Staatschef eingesetzt. Bei den Kämpfen zwischen den Regierung gehören zahlreiche Warlords an, die für den Invasoren und den islamisch orientierten Mudschaheddin Bürgerkrieg mitverantwortlich waren. werden in Afghanistan 1, 5 Millionen Menschen getötet, Am 3. November 2003 übergibt der Vorsitzende der Ver- mehr als eine Million erleidet schwerste körperliche fassungskommission den Entwurf einer neuen Verfassung Schäden. Die Zahl der Flüchtlinge wird auf fünf Millionen an Präsident Hamid Karsai, Ex-König Mohammed Zahir geschätzt. Trotz technischer Überlegenheit müssen die Shah und den Uno-Gesandten für Afghanistan. sowjetischen Truppen schwere Verluste hinnehmen. Afghanistans offizieller Name soll in Zukunft Islamische 1989 ziehen sie sich aus dem zerstörten Afghanistan Republik Afghanistan lauten. Im Dezember 2003 stimmen zurück. Der amtierende pro-sowjetische Präsident 500 Delegierte auf der Loja Dschirga über die Verfassung Nadschibullah bleibt zunächst weiter an der Regierung. ab. Wahlen könnten im Sommer 2004 stattfinden.

DER WESTLICHE BLICK AUF AFGHANISTAN

Kabul war in den 70er Jahren das Mekka der westeuro- dokumentiert, im öffentlichen Bewußtsein spielten sie päischen, amerikanischen und australischen Hippiegene- aber eine untergeordnete Rolle. ration. Auf ihrem Weg nach Nepal oder Indien blieben Erst die Empörung über die Taliban-Herrschaft brachte Af- viele in dem Land, wo Drogen leicht zu haben waren und ghanistan zurück ins westliche Bewußtsein. Ihr Bilder- das Leben nicht viel kostete. sturm wurde dem Westen vor allem durch die Zerstörung Kabul galt damals als weltoffen, doch abseits der wenigen der grössten bekannten Buddha-Statue bewußt, „die vor entwickelten Großstädte herrschten auch in den 70er kurzem das Mitgefühl der gesamten Welt erregte und alle Jahren noch feudale, mittelalterliche Verhältnisse. Kunst- und Kulturkenner zur Verteidigung der dem Unter- Bis 1978 waren 85% der Bevölkerung besitzlose Bauern gang geweihten Statue mobilisierte. Aber warum brachte und Tagelöhner, die in größter Armut lebten. 90% aller ausser der UN-Hochkommissarin Ogata keiner seinen Männer und 98% aller Frauen waren Analphabeten; die Kummer über die Millionen Afghanen, denen der Hunger- Sterblichkeitsrate bei der Geburt lag bei 22%, während tod droht, zum Ausdruck?“ (Mohsen Makhmalbaf, einer die durchschnittliche Lebenserwartung ca. 34 Jahre der wichtigsten Persönlichkeiten des iranischen Films) betrug. Seuchen wie die Pocken waren auch im Afghanis- Mit dem 11. September 2001 veränderte sich der Blick tan der 70er Jahre noch nicht überwunden. auf Afghanistan ein weiteres Mal. Die USA griff im Rah- Informationen dieser Art waren den jungen Leuten, die men der Anti-Terror-Bekämpfung in die kriegerischen Aus- sich auf die exotische Reise machten, weitgehend unbe- einandersetzungen der Nordallianz gegen die Taliban ein. kannt. Sie fuhren mit der Bahn in der 3. Klasse für 50 $ Dies verlangte nach Erklärungen und Hintergrundinforma- von Istanbul über Persien, Afghanistan und Pakistan bis tionen. Berichte über die militärischen Führer der Nord- nach Neu Delhi. Viele von ihnen blieben in Afghanistan allianz, alte Filmberichte über Kämpfe im Hindukush und hängen. Während der Besitz von Drogen im Persien von Computersimulationen zur Einnahme von Bunkern, in de- Shah Mohammad Reza Pahlawi unter strengster Strafe nen sich Al Quaida verschanzte, bemühten sich um die Be- stand, war das Drogenangebot gleich hinter der persi- leuchtung einer Region, die in Vergessenheit geraten war. schen Grenze vielfältig und Drogen waren problemlos zu Bilder von Zerstörung, Armut und Gewalt dominieren der- bekommen. zeit noch immer die westlichen Medien. Maschinenge- Der Einmarsch der Sowjetunion verschob den Blick: wehre schwenkende Afghanen, Minenfelder und deren Afghanistan wurde für junge Leute politisch interessant. Opfer und die fortgesetzte Unterdrückung der Frauen wer- Es war die Zeit des Kalten Krieges, die westliche Bericht- den internationalen Konferenzen, westlichen Militärein- erstattung verteilte ihre Sympathien entsprechend. sätzen und Dokumentationen über Verhandlungen der Diskussionen in studentischen Wohngemeinschaften wur- Stammesfürsten gegenübergestellt, die dem Westen ein den kontrovers geführt, pro-sowjetische Gruppierungen Bild der Bemühungen um eine friedliche Zukunft des verteidigten den Einmarsch, für andere wurde der Hindu- Landes vermitteln. kush mit seinen zerklüfteten Bergen zum Kennzeichen des Endlich aber kommen Bilder aus dem Land selbst in den Widerstands eines unterdrückten Landes gegen militäri- Westen. Dokumentarische Bilder und Spielfilme, die die sche Übermacht. Gefühle der Menschen zeigen und Verständnis für ihr Mit der Zeit rückte Afghanistan sowohl in den westlichen Leben wecken. Es sind Bilder von der Vielfalt der Lebens- Medien als auch in den Diskussionen junger Leute aus bedingungen verschiedener Stammesgruppen, in den dem Blickfeld. Nach dem Abzug der sowjetischen Truppen Städten und auf dem Land. Bilder von Armut, aber auch richtete sich das westliche Interesse mehr auf die Öffnung von den Schritten nach vorn. Diese Bilder öffnen den und Auflösung der Sowjetunion und den Zerfall der sozia- Blick. Nicht nur in westlichen Kulturen, auch im eigenen listischen Welt. Zwar wurden die kriegerischen Auseinan- Land, das sich durch Filme neue Perspektiven erschließen dersetzungen der Mudschaheddin in den Nachrichten möchte. ERLÄUTERUNGEN

Burkha Schleier, der eine Frau von Kopf bis Fuß bedeckt. Bezeichnung für das islamische Recht. Die Scharia regelt Unter den Taliban war das Tragen einer Burkha Pflicht. rituelle Vorschriften der Religion, das Familien-, Erb- und Strafrecht, sowie die Gesetze zur Regierung und Dari Afghanischer Dialekt des Persischen. Verwaltung eines Staates. Dschihad (Djihad) Anstrengung auf dem Weg Gottes: Schiiten Nach dem Tod Mohammeds konnten sich die Ursprünglich unterteilt der Islam die Welt in zwei Gläubigen nicht auf die Person des Nachfolgers einigen Bereiche: den Dar al-Islam (Geltungsbereich des Islam) und teilten sich in zwei Gruppierungen: die Sunniten und und den Dar al-Harb (Gebiet des Krieges), wohin der die Schiiten. Etwa 10 Prozent der Muslime sind Schiiten. Islam noch nicht vorgedrungen ist. Die "Anstrengung auf Führer der schiitischen Gemeinden sind die Imame, denen dem Weg Gottes" (Dschihad), der Krieg gegen die absolute Autorität zukommt. Ungläubigen, dient der Verteidigung und der Ausbreitung des Islam. Sunniten Abgeleitet von Sunna, der Überlieferung der Gewohnheiten und Aussprüche des Propheten. Etwa 90 Farsi Persische Sprache. Prozent der Muslime sind Sunniten. Sie sehen in dem Hadsch (Hadjdj) Die im islamischen Pilgermonat Du al- rechtmäßigen Leiter der islamischen Gemeinschaft eine Hidjdja stattfindende Wallfahrt der Muslime nach Mekka. gewöhnliche Person, die allerdings außerordentlich gottes- Das am 10. Tag des Du al-Hidjdja stattfindende Opferfest fürchtig und in religiösen Wissenschaften erfahren sein (id al-adha) ist der höchste Feiertag der islamischen Welt. muß.

Imam Der Vorbeter der islamischen Gemeinde in der Taliban Talib bedeutet Koran- oder Theologiestudent. Die Moschee. Bei den Schiiten ist der Imam das Oberhaupt in den Madrassas von Pakistan unterrichteten afghani- der gesamten islamischen Gemeinde. schen Flüchtlinge begründeten die Taliban-Bewegung, die sich von den Mudschaheddin abgrenzt und einen funda- Loja Dschirga Großer Rat. Traditionelle Zusammenkunft mentalistisch orientierten islamischen Staat anstrebt. von Stammesoberhäuptern, Ulema und Vertretern anderer Ihnen schlossen sich mittellose Söldner aus den armen Interessengruppen des Landes. Loja Dschirga ist die wich- Gebieten an, die keine Koranschule besucht hatten und tigste gesetzgebende Körperschaft des Landes. weder lesen noch schreiben konnten.

Madrassa Koranschule. Ulema Wörtliche Übersetzung: Gelehrte, Wissende. Mudschaheddin Gotteskrieger. Die Mudschaheddin führ- Singular: Alim. Ulema sind gelehrte Männer, die gleichzei- ten im Namen des Islam gemeinsam den Heiligen Krieg tig Theologen und Juristen sind. Sie sind für die Ausle- (Dschihad) gegen die sowjetische Besatzung. gung des Koran zuständig. Der Islam ist keine Kirche und hat kein offizielles Lehramt. Die islamischen Gelehrten Mufti Islamischer Gelehrter, der berechtigt ist, religiöse sind keine geweihten Priester, keine Vermittler zwischen Rechtsgutachten (Fatwas) zu bestimmten Fragen abzuge- Mensch und Gott, sondern nur religiös ausgebildete ben. Muslime.

Mullah Iranische Bezeichnung für islamische Schrift- Wahabiten Die Wahabiten bilden eine fundamentalistisch gelehrte. Traditioneller Vorbeter in der Moschee. politisch-religiöse Bewegung, die 1744 in Arabien aus einem Bündnis zwischen Mohammed Ibn abd al-Wahab, Paschtu Afghanische Sprache. einem rigorosen Prediger, und der arabischen Paschtunwali Stammeskodex der Paschtunen; oftmals Herrscherfamilie Saud entstand. Al-Wahab trat für eine nicht im Einklang mit der Scharia. Rückkehr zur ursprünglichen Reinheit des Islam ein. Er verbot volksreligiöse Bräuche, Tabak, Musik und den Qada Ein nach den Gesetzen des Islam gefälltes Urteil. öffentlichen Umgang zwischen Männern und Frauen. Die Nur der Qazi darf solch ein Urteil sprechen. strenge Kleiderordnung sowie die Verpflichtung der Qazi (Kadi) islamischer Richter, der nach der Scharia Männer, ihre Bärte wachsen zu lassen, sind äußere Recht spricht. Kennzeichen des Wahabismus. Sowohl in Saudi-Arabien als auch in Afghanistan herrscht die wahabitische Scharia Wörtlich: "Der vorgeschriebene Weg". Glaubensrichtung vor. VERORDNUNGEN

Anordnung der Generalpräsidentschaft von Amir Bil • Das Spielen auf einer Musiktrommel vermeiden. Dieses Maruf (Auszüge) *) Verbot soll verkündet werden. Falls es jemand tut, können Kabul, Dezember 1996 die Religionsälteren darüber entscheiden.

• Musik vermeiden. Das Senden über öffentliche Informa- tionsquellen ist untersagt. In Läden, Hotels, Fahrzeugen Arbeitsregeln für das Staatliche Hospital und private und Rikschas sind Kassetten und Musik verboten. Diese Kliniken basierend auf den Prinzipien der Scharia. Angelegenheit soll innerhalb von fünf Tagen überwacht Gesundheitsministerium, im Namen von Amir ul- werden. Wird in einem Laden eine Musikkassette gefun- Momineen Mullah Mohammed Omar. den, wird der Ladenbesitzer ins Gefängnis gesteckt und Kabul, November 1996 der Laden geschlossen. Wenn fünf Leute garantieren, dass der Laden geöffnet werden sollte, wird der Verbrecher • Patientinnen sollten Ärztinnen aufsuchen. Sollte ein Arzt später wieder freigelassen. Wird in einem Fahrzeug eine notwendig sein, sollte die Patientin von ihrem nächsten Kassette gefunden, werden das Fahrzeug und der Fahrer ins Verwandten begleitet werden. Gefängnis gesteckt. Wenn fünf Leute garantieren, wird das • Während der Untersuchung sollten Patientin und Ärztin Fahrzeug freigegeben und der Fahrer später freigelassen. den islamischen Schleier tragen. • Rasieren und Bartstutzen vermeiden. Wenn in eineinhalb • Ärzte sollten abgesehen vom betroffenen Körperteil der Monaten jemand gesehen wird, der sich rasiert und/oder Patientin die anderen Teile weder ansehen noch berühren. seinen Bart gestutzt hat, wird er verhaftet und ins • Das Wartezimmer für Patientinnen sollte sicher und ver- Gefängnis gesteckt, bis sein Bart buschig wird. borgen sein. • Taubenhaltung und das Spielen mit Vögeln vermeiden. • Die Person, die die Patientinnen im Wartezimmer auf- Innerhalb von zehn Tagen muss diese Gewohnheit einge- ruft, sollte weiblich sein. stellt werden. Nach zehn Tagen wird dies überwacht und • Während der Nachtschicht hat der Arzt nicht das Recht, die Tauben und andere Spielvögel werden getötet. die Krankenzimmer von Patientinnen zu betreten, ohne • Götzenverehrung vermeiden. In Fahrzeugen, Läden, dass diese gerufen haben. Hotels, Räumen und anderen Orten sind Bilder / Porträts • Das Zusammensitzen und Miteinandersprechen zwi- abzunehmen. Die Überwacher werden alle Bilder an oben schen Ärzten und Ärztinnen ist nicht erlaubt; wenn eine genannten Orten zerreißen. Diskussion nötig ist, soll sie mit Schleier stattfinden. • Glücksspiel vermeiden. In Zusammenarbeit mit der Si- • Ärztinnen sollen einfache Kleidung tragen, es ist ihnen cherheitspolizei werden die Hauptzentren gefunden und nicht erlaubt, Modisches zu tragen und Kosmetik oder die Glücksspieler ins Gefängnis gesteckt und bestraft wer- Make-up aufzulegen. den. • Ärztinnen und Krankenschwestern ist nicht gestattet, • Sucht ausrotten. Süchtige werden ins Gefängnis das Krankenzimmer von Männern zu betreten. gesteckt und es werden Nachforschungen angestellt, bis • Das Krankenhauspersonal soll pünktlich in der Moschee der Lieferant und der Laden gefunden sind. Der Laden beten. wird verriegelt und Besitzer und Konsument werden ins • Die Religionspolizei hat die Befugnis, jederzeit zu kon- Gefängnis gesteckt und bestraft. trollieren, und niemand kann sie daran hindern. • Britische und amerikanische Haarschnitte vermeiden. Jeder, der diesen Anordnungen zuwiderhandelt, wird nach Leute mit langem Haar werden verhaftet und der Reli- islamischen Regeln bestraft. gionspolizei vorgeführt, um sich das Haar schneiden zu lassen. Der Verbrecher hat den Friseur zu bezahlen. • Musik und Tanz auf Hochzeitsfeiern vermeiden. Im Falle *) Zitiert nach „Taliban – Afghanistans Gotteskrieger und von Zuwiderhandlung wird das Familienoberhaupt verhaf- der Dschihad“ von Ahmed Rashid, Droemersche tet und bestraft. Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München 2002 Texte: Rotraut Greune Gestaltung: Katja Clos

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