178 Walter Borchers eine Anerkennung von polnischer Seite erreicht. Das polnisch denkende Polen hat diese Lösung nicht erstrebt. Die Sowjetunion konnte einen doppelten Erfolg buchen. Neben dem be- trächtlichen Vorrücken seiner eignen Grenze nach Westen hat es im Be- sitz von Königsberg und mit der Kontrolle der pommerschen Häfen eine Stellung erreicht, die mit Leichtigkeit weiter ausgebaut werden kann. Pommern aber ist auf diese Weise wieder in das Spiel der Kräfte ein- geschaltet worden, die sein Schicksal von je bestimmten, den Kampf um den Ostseeraum. Auf diesen Platz hat es die Geschichte gestellt, hier spielte es eine Rolle, die ihm keine epochalen Entscheidungen zugestand, ihm aber das Gewicht gab, die Entscheidungen mit zu bewirken. Nicht als den bahnbrechenden Strom, aber auch nicht als den abseits liegenden stillen Seitenarm, sondern mitten im Flusse des Geschehens, so müssen wir Pommern sehen, wollen wir sein wahres Gesicht erkennen.

Walter Borchers: Pommersche Geschichte im Spiegel gewirkter Wandbehänge In mehreren Jahrhunderten, in verschiedenen Ländern und aus verschie- denen Anlässen sind Teppiche gewirkt worden, die Persönlichkeiten und Begebenheiten der pommerschen Geschichte zum Vorwurf haben. In der herzoglichen Residenzstadt Stettin des Landes Pommern, in dem dänischen Helsinger und im kurfürstlich-brandenburgischen Berlin entstanden im 16. und 17. Jahrhundert Teppiche, ja Tcppichfolgen, die aus dynastischen Erwägungen heraus, aus Gründen der fürstlichen Repräsentation, zur Ver^ herrlichung der pommerschen Herzogsfamilie der Greifen, des dänischen Königshauses und eines Vertreters des Hohenzollerngeschlechtes, nämlich des Großen Kurfürsten, dienten und zum Schmuck fürstlicher Innenräume bestimmt waren.1 Merkwürdigerweise waren es keine deutschen Künstler, schon gar nicht Pommern, welche die Entwürfe oder die fertigen Teppiche lieferten, vielmehr die Niederläuder Peter Heymans und Hans Knieper und ein emigrierter Franzose Pierre Mercier d. J. aus Aubusson.

1) H. G ö b e 1, Wandteppiche. Die germanischen und slawischen Länder. Berlin 1934. Teil III, Bd III. S. 137 f.; J. Lessing, Der Croyteppich. Jb. d. preuß. Kunstsammlungen. Berlin 1902. S. 227 f. Pommersche Geschichte im Spiegel gewirkter Wandbehänge 179

Am 20. Mai 1551 stellte Herzog Barnim XI. von Stettin Peter Heymans als Tapetmacher an. Aus Rechnungsbelegen können wir ungefähr seine Tätigkeit rekonstruieren. Er war einer der vielen umherreisenden nieder- ländischen Künstler der damaligen Zeit, die in den Niederlanden gelernt hatten, für fürstliche Herren arbeiteten, in Deutschland neue Anregungen empfingen und auf deutsche Wünsche eingingen. In den Nachlaßinventaren des Herzogs Philipp von Pommern- vom 26. 2. 1560 und des Herzogs Johann Friedrich um 1600, ebenso in dem Wolgaster Schloßinventar von 1593 wird eine Reihe von Wandbehängen geschildert, die aus der Werk- statt dieses Künstlers stammen. Unter diesen wird in dem Inventar von 1560 ein Behang erwähnt mit der „peregrinatio domini Boguslai zum Heiligen Lande". Dieser Teppich ist mehrere Male verzeichnet, und wir wissen, daß der Karton dazu, „ein groß Gemälde, druf die Historie wie Herzog Bugislaf sich aufm Meer mit den Türken geschlagen", noch 1593 in Stettin „in dem Gewölbe gegen die Wasserkunst aufm alten Hause hing". Herzog Bogislaw X., auch der Große genannt, regierte von 1454—1523; er war wohl der bedeutendste pommersche Herzog, der sich auch gegen die selbstherrlichen Städte Pommerns durchzusetzen wußte und das gesamte Land zum erstenmal geeint verwaltete. Seine zweite Gemahlin, aus könig- lichem Geblüt, war die Tochter des Königs Kasimir von Polen. Bogislaw machte eine Pilgerfahrt zum Heiligen Lande und bestand unterwegs einen siegreichen Kampf gegen türkische Seeräuber. Dieses Ereignis wurde in Europa mit Bewunderung aufgenommen und Bogislaw selbst zu einem großen Helden gestempelt. Als er 1492 nach Europa zurückkehrte, wurde er im Auftrage des Dogen von Venedig gemalt, in St. Marcus mit einem Tedeum laudamus empfangen und vom Papst Alexander VI. aus dem Geschlecht der Borgia in einer Weihnachtsmesse in Rom mit einem geweihten Hut und einem Prunkschwert geehrt; beides vermachte Bogislaw bei seiner Rückkehr der Stettiner Ottokirche. Seine Erlebnisse wurden, wie Thomas' Kantzow, der pommersche Chronist, vermeldet, gemalt, Dieses Gemälde wurde an einem Pfeiler der Stettiner Ottokirche aufgehängt. Leider sind Teppich und Bild nicht mehr vorhanden, so daß wir uns kein Urteil über sie hinsichtlich Form und Inhalt erlauben können. Auf diesem Teppich des niederländischen Tapetmachers Heymans wird im Auftrage eines pommer- schen Herzogs ein Urahn gefeiert, der weit über das pommersche Land hinaus als Held in der europäischen Welt einen Namen hatte. Es war also kein zeitgenössisches, sondern mehr ein historisierendes Thema, bei dem das persönliche Erlebnis eines Herrschers außerhalb seines Landes mit den Heiden wohl als eine denkwürdige Historie Beachtung fand. Neben diesem Teppich werden in den Inventaren von 1560 und 1593 weitere erwähnt, die aus der gleichen Heymansschen Werkstatt herrühren: unter Nr. 14 „ein Stück, druf zwen wilde Männer mit dem pomrischen Wappen in Gold gewirkt". Unter Nr. 15 erscheint ein „klein kurz Rück-

12* 180 Walter Borchers laken, darauf polnisch und pomrisches Wappen", unter Nr. 23 „ein lang Rückenstück in der Mitte m. gn. H. pomrisches Wappen", unter Nr. 25 „ein Rückenstück, darin ein Greif" (das pommersche Wappentier), unter Nr. 27 „ein Stück Rückenlaken mit dem pomrischen Wappentier und Helmzier", unter Nr. 29 „ein Rückenstückle darin ein Greif und pfalzgräflich Wappen". In dem Inventar von 1593 werden folgende Wandbehänge aufgezählt: Nr. 24 „ein lang Rückenstück, in der Mitte das pomrische Wappen mit der Jahreszahl 1541", Nr. 28 „ein Stück mit dem pomrischen Wappen und Helmzier, ao 1542 gemachet", Nr. 37 „ein gewirkt Tepich mit 4 Greifen und dem Rautenkranz und darin Herzog Ernst Ludwig Konterfei u. I. F. G. 16 Ahnen" (wahrscheinlich stammt dieser letzte Teppich von der Hand eines anderen Tapetmachers, vermutlich von Simon von Kalleberge, der seit 1560 im Dienste der pommerschen Herzöge stand). Es sind hier nur einige Wandteppiche angedeutet, die das pommersche Wappen, ferner das Wappentier des Landes, den Greifen, und die Wappen der Fürstenhäuser tragen, die mit dem pommerschen Herzogshaus in ver- wandtschaftlichen Beziehungen standen, so die der regierenden Häuser Polens, Sachsens und die der Pfalzgrafen. Aus der Werkstatt des Peter Heymans stammt ferner der wohl beachtlichste und noch erhaltene große Wandbehang in den Maßen 432x680 cm, sign. P. H. und datiert 1554, der in dem Wolgaster Schloßinventar von 1593 als „ein Tepich (druf die Taufe Christi) mit den Sächsischen und Pomrischen Herren auch Lutheri und anderen Gelahrten Conterfei zu Stettin gemalet", angegeben wird2 (Abb. 1). Es ist ein Bildteppich, der unter dem Namen Croy-Teppich allgemein bekannt geworden ist und der nach dem Tode des letzten Pommernfürsten, des ehemaligen Titularbischofs Bogislaw von Croy, 1684 zum Gedenken an seine Mutter Anna von Pommern der Universität Greifswald vermacht wurde. Das Thema dieses Croy-Teppichs ist im Grunde genommen ein Familienereignis: die Verbindung der protestan- tischen Fürstenhäuser Pommerns und Sachsens, der Greifen und der Wettiner, durch die Hochzeit des Herzogs Philipp von Pommern mit Maria von Sach- sen. Wie es zu dieser Ehe kam und wie es bei dieser Hochzeit zuging, das schildert Thomas Kantzow in seiner niederdeutsch geschriebenen Chronik. Als Herzog Philipp sich zu verehelichen gedachte, befragte er seine Räte. Es wurde ihm Maria von Sachsen, die Schwester Johann Friedrichs, vor- geschlagen. Durch ließ er schriftlich bei dem Kur- fürsten anfragen, und dieser war nicht abgeneigt. Man kam überein, daß Maria mit 20 000 Joachimsthalern Mitgift ausgestattet werden sollte und 2) H. Bethe, Die Kunst am Hofe der pommerschen Herzöge. Berlin 1937. S. 40ff. Abb. 24/25; Ch. Steinbrucker, Der Croyteppich der Universität Greifswald. In: Unser Pommerland. 1930. H. 1 S. 21 f.; M. Wehrmann, Der Meister des Croyteppichs. In: Monatsblätter. Hrsg. v. d. Ges. f. pommersche Gesch. u. Altertumskunde 1916. S. 45—46; Ch. Steinbrucker, Von deutschen Bild- teppichen. Baden 1937. S. 20; H. Schmitz, Bildteppiche. Berlin 1921. S. 142 ff.: Der Kunstbrief, Der Reformationsteppich der Universität Greifswald. Berlin 1947. Pommersche Geschichte im Spiegel gewirkter Wandbehänge 181 daß Herzog Philipp am Fastnachtsabend nach Torgau reisen und sofort das Beilager halten sollte, sofern ihm Maria gefiele. Anno 1536 wurde die Hochzeit vollzogen und beide, wie es heißt, durch Dr. Martin Luther zu- sammengegeben. Auf der Hochzeit waren neben den Herzögen von Sachsen, Pommern, Mecklenburg und Grubenhagen der Fürst von Anhalt, ferner Luther, Melanchthon, Bugenhagen und viele andere Geistliche und Ge- lehrte der ev. Kirche anwesend, und es heißt weiter: „Es begaben sich auch die beiden Fürsten Herzog Barnim und Herzog Philipp in das evangelische Bündnis, daß sie das Evangelium wollten bekennen und beschirmen." Aus der Kenntnis der Zeilen dieser pommerschen Chronik gewinnt der Bild- teppich für den Beschauer an Klarheit. Dargestellt sind in Lebensgröße 22 Männer, Frauen und Kinder einer Epoche, die wir mit dem Begriff Re- formationszeit kennzeichnen. Die Vertreter der beiden Fürstenhäuser Sachsen und Pommern erscheinen getrennt rechts und links von der Rednerkanzel Luthers in einem imaginären Raum. Es sind dies die Kurfürsten Friedrich III. der Weise von Sachsen (f 1525), Johann der Beständige (f 1537), Johann Friedrich der Großmütige (f 1554) mit seiner Frau Sybille von Jülich- Cleve, seinen drei Söhnen, Johann Friedrich, Johann Wilhelm und Jo- hann Friedrich d. J. und seinem Bruder Johann Ernst von Coburg (f 1553)'. Außerdem befindet sich im Hintergrund Margarete von Anhalt, die Mutter der Maria von Sachsen (f 1521) und der Praeceptor Germaniae, Philipp Melanchthon. Die pommersche Familie eröffnet den Reigen mit Herzog Georg (f 1531), dem Vater Philipps I. Es folgen dessen Bruder Barnim XL f 1573), der Schutzherr der in Pommern und Mitregent, und sein Neffe Philipp I. von Pommern-Wolgast (f 1560). Es erscheinen ferner die drei Gemahlinnen, die Pfalzgräfin bei Rhein (f 1527), Mutter Philipps und Gemahlin Georgs I., Anna von Braunschweig-Lüneburg (f 1568), Ge- mahlin Barnims XL, und schließlich Herzogin Maria von Sachsen (f 1583), Gemahlin Philipps L, ferner die Kinder Philipps: Johann Friedrich, Bo- gislaw, Ernst Ludwig, Amalie und Barnim. Zwischen Barnim und Philipp steht der Reformator des Nordens, der Gelehrte Dr. Pommer, Johannes Bugenhagen, der aus der Stadt Wollin stammt. Die Namen der fürstlichen Damen und Herren sind in der unteren Bordüre angegeben; auf der pommerschen Seite steht dazu noch das Geburtsdatum der Kinder. Auffällig ist, daß die Familie Herzog Philipps dominiert. Wir gehen nicht fehl in der Annahme, daß er, ein Freund der Künste, diesen Teppich in Auftrag gab. über allen steht auf einer Pfeilerkanzcl über den vier Evan- gelistensymbolen Martin Luther in seiner Amtstracht, vor sich die auf- geschlagene Bibel. Die erhobene Rechte zeigt auf Christus am Kreuz und auf eine Inschriftkartusche mit Rollwerkrahmung: „Sihe das ist Gottes Lam, das der Welt Sünde tregt, diser ists von dem ich euch gesagt habe. Joh. I. Und wie Moses in der Wüste eine Schlange erhöhet hat, also mus des Menschen Son auch erhöhet werden, auf das alle, die an in glauben iB2 Walter Borchers nicht verloren werden sondern das ewige Leben haben. Johan. III, MDLIIII." Die Inschrift ist in Majuskelantiqua gehalten. Dieser Kartusche entsprach auf der anderen Seite eine zweite, die mit der Taufe Christi geschmückt war, wie es in dem Inventar von ,1593 heißt. Sie ist leider von einem Dieb herausgeschnitten worden. An ihre Stelle ist eine Inschrifttafel gesetzt, welche die Geschichte dieses Teppichs in wenigen Sätzen erzählt. Der Raum der Kanzel wird durch eine Marmorsäule mit Stundenglas und durch eine Fensternische mit Rautenscheiben angedeutet. Sie empfängt von rechts Licht und wird durch einen Sockel gegliedert, der die Gestalt Moses mit den Gesetzestafeln zeigt. Die Symbole des Alten und des Neuen Bundes werden somit hier vereinigt dargestellt. Der Hintergrund dieses durch die Säulengliederung aufgeteilten Teppichs ist ferner geschmückt mit den großen Wappen der "Wettiner wie der Greifen, von prachtvollem Akanthusblattwerk umrahmt und von kleineren Wappen der angeheirateten Frauen, von Füll- hörnern mit Früchten, Blättern, Blumen und Ähren umgeben. Die Fürsten stehen auf schachbrettartig gemustertem Boden ein wenig beziehungslos in auf Schau berechneter Attitüde nebeneinander. Sie erscheinen reich ge- kleidet in der Tracht der Renaissance mit Brokatgewändern, Pelzmänteln, geschlitzten Puffärmeln und Beinkleidern, langen Strümpfen, Federhüten, und mit kostbaren Ringen und Ketten geschmückt. Die Damen sind an- getan mit langen Faltenröcken mit eingewebten Mittelschürzen und reichen Miedern. In dieser Gesellschaft wirken die Kurfürsten Friedrich und Jo- hann von Sachsen in ihren langen Mänteln ein wenig altmodisch, aber sie gehören ja auch schon einer älteren Generation an. Auffallend ist das schwankende, unsichere, nicht feste Stehen der fürstlichen Repräsentanten. Man hat nicht das Gefühl, daß der Künstler großes anatomisches Wissen um diese Dinge hatte oder Wert darauf legte, die Beinpartien genau und klar zu gestalten, während er im Gegensatz hierzu die Gesichter besonders prägnant geformt hat. Die Bordüre dieses riesigen Teppichs ist in der Art der Brüsseler Bordüren gearbeitet und mit Hohlkehlen, Früchten-, Blumen- gewinden und Gehängen ausgestattet, dazu mit den Wahlsprüchen der fürstlichen Häuser: Verbum domini manet in aeternum (Sachsen), pro lege et grege w. G. w. [wie Gott will] (Pommern). Die horizontalen Rahmen- leisten sind mit Spruchkartuschen geschmückt und durch Wappensymbole unterteilt. (Aufgerichtetes Kreuz mit der ehernen Schlange = Wappen Melanchthons, weiße Rose mit Kreuz und rotem Herz = Wappenzeichen Luthers, goldene Harfe auf blauem Grund = Wappen Bugenhagens.) Wir lesen; „Er ist den übelthetern gleich gerechet und hat vieler Sunde ge- tragen und hat für die Ubelthetter gebeten. Esaie am 53."; ferner: „Ao MDXVII hat der ehrwirdig Doctor Martin Luther zu Wittemberg an- gefangen Gottes Wort lauter und rein zu predigen, bis er ao MDXLVI den 18ten Febru christlicher Bekenntnis vorschiden ist im 63. Jar seins Alters", schließlich: „Im Jar nach Christi Geburt MDXXXV ist in Pomer- Pommersche Geschichte im Spiegel gewirkter Wandbehänge 183

landt das Licht der Gnaden das Göttlich Wort angezundt undt durch D(ominum) Johan Bugnhagn gepredigt." Wie schon angedeutet, zeigt die untere Rahmenleiste die Namen der Fürsten mit der Überschrift: mina illustrissiorum ducum ac principum Saxoniae und Illustrissimorum ducum ac principum Pomeraniae nomina. Der Croy-Teppich bedeutet wohl eines der hervorragendsten - denkmäler auf niederdeutschem Boden, einzigartig in Größe, Inhalt und Komposition. Er ist nicht nur ein Denkmal fürstlicher Macht, sondern darüber hinaus durch den glaubensmäßigen Inhalt auf eine weit höhere Ebene gehoben. Die Tatsache der lutherischen Reformation, die sich überaus einschneidend in der Geschichte Europas wie der ganzen Welt auswirkte, hat hier ihren Niederschlag gefunden. Wir stehen an einer Zeitenwende. Das zeigt sich z. B. in der Person des pommerschen .Herzogs Georg, des Vaters Philipps I., der sich noch nicht zum Luthertum bekannt hatte, der vielmehr Anhänger der römisch-katholischen Kirche bis zu seinem Tode blieb. Philipp I. dagegen richtete sich nach Wittenberg aus, holte, sich eine sächsische Prinzessin zur Frau in seine Heimat und wurde glücklich mit ihr. Er stand im Schatten seines Schwagers Johann Friedrich von Sachsen, der in der Schlacht von Mühlberg 1547 seinem Gegner Kaiser Karl V. unterlag und fünf Jahre lang dessen Gefangener war. Seine Gefangennahme bedeutete für den Protestantismus und die protestantischen Länder mehr als eine Niederlage. Pommern bekannte sich zum Luthertum. Schon 1534 wurde auf dem Landtag von Treptow a. d. Rega der Anfang gemacht, den Dualismus „in der Religion zu einmütigem, christlichem Stand" zu führen. Pommern war Mitglied des Schmalkaldischen Bundes, wenn auch seine Stellung innerhalb der deutschen Politik unsicher war. Durch die Anlehnung an das kurfürstliche Haus der Wettiner und an das neue geistige Zentrum Wittenberg wurde Pommern, das ja durch seine Grenzlage gegen die Slawen teilweise nach dem Osten ausgerichtet war, mit der Reichspolitik verknüpft. Das ehemals katholische Land löste sich von Rom und gestaltete sein Leben nach neuen, geistigen Prinzipien, die für Jahrhunderte bis zum Zweiten Weltkrieg ihre Geltung nicht verloren. Einer der bedeutendsten Männer, die diesen Prozeß in die Wege leiteten, war Johannes Bugenhagen, ehemals Stadtpfarrer in Wittenberg, dessen pommersche Kirchenordnung, 1535 gedruckt, richtung- weisend wurde. Mehrere Jahre nach der Freilassung des Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen wurde der Teppich in Auftrag gegeben; wahrscheinlich wurde 1554 der Karton geliefert und 1556 der Teppich fertiggestellt. Er ist un- gewöhnlich reich gewirkt, vorwiegend in den Farben braun und blau und mit Gold- und Silberfäden durchzogen. Wenn wir auch nicht den Künstler kennen, der den Entwurf geliefert hat, so wissen wir doch heute, daß die Vorlagen für die fürstlichen Repräsentanten auf Porträts von Lukas Cra- 184 Walter Borchers nach d. J. zurückgehen (z. B. für Friedrich den Weisen, Johann den Be- ständigen, Johann Friedrich und schließlich Bugenhagen), vielleicht sogar auf Bilder von Albrecht Dürer (z. B. Amalia von der Pfalz. Das Bild dieser Prinzessin hing ursprünglich im Wolgaster Schloß und ging ver- loren, jedoch ist eine spätere Zeichnung erhalten geblieben). Als Meister des Kartons könnte Hans Krell in Frage kommen, der von Cranach be- einflußt war und Vorbilder für sächsische Teppiche geliefert hat. Die Studien zu den Bildnissen der drei Söhne Philipps — datierte Bilder aus dem Jahre 1553, unverkennbar im Stil Cranachs — sind bis zum Zweiten Weltkrieg in dem berühmten Stettiner Visierungsbuch erhalten gewesen.3 Der Croy-Teppich ist unter dem Gesichtspunkt zu betrachten, daß die Augsburger Konfession um 1530 für den Bestand der lutherischen Kirche von ausschlaggebender Bedeutung wurde, da von nun an die höchste aus- übende geistliche Gewalt auf eine neue Schicht überging, und zwar auf verschiedene Fürstenhäuser Deutschlands, wie z.B. auf die Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg, die Herzöge von Braunschweig und Pommern. Sie wurden Hüter und Schützer der neuen Kirche, sie waren ihre Förderer, und in diesen neuen Eigenschaften ließen sie sich auf dem Teppich konter- feien. Dabei ist wesentlich, daß das gesprochene Wort zu einer neuen Bedeutung wurde, wie ja die umfangreichen Legenden auf dem Teppich beweisen. Man wendet sich im Ikonographischen nur langsam von dem Vor- bild der römisch-katholischen Kirche ab, aber es entsteht eine neue Bild- welt mit abstrakten allegorischen Tendenzen — auch das zeigt sich in diesem einzigartigen Bildteppich. Wird hier also ein zeitgenössisches Ereignis, eine fürstliche Hochzeit darge- stellt, auf der aber auch Personen auftreten, die schon verstorben waren, so führt uns der dänische Königsteppich in eine vergangene Zeit (Abb. 4). Auf ihm ist kein Ereignis der pommerschen Geschichte dargestellt, sondern eine Persönlichkeit, die in der pommersch-nordischen Geschichte eine besonders tragische Rolle gespielt hat. Es ist Herzog Erich von Pommern, König von Dänemark. Erich I. (1382—1459) kam als Adoptivsohn der kinderlosen Unionskönigin Margarethe siebenjährig nach Skandinavien. Er war der Sohn des Herzogs Wratislaw VII. von Pommern-Stolp und einer Nichte der Königin Margarethe. Schon 1389 scheint man ihm als Thronfolger in Schweden gehuldigt zu haben, während die eigentliche Thronbesteigung in Dänemark und Schweden erst 1396 erfolgte. In Kalmar in Südschweden wurde er zum König von Dänemark, Schweden und Norwegen gekrönt, und zwar in einem Alter von 15 Jahren. Als seine Tante im Jahre 1412 verstarb und Erich nicht mehr in seinen Plänen behindert war, steuerte

3) Ehemals im Besitz des Landesmusenms Stettin.

Nebenstehend: Abb. 1. Croy-Teppich. Von Peter Heymans. 1556. (Aufnahme aus dem Germ. National-Museum Nürnberg.)

Abb. 2. Übergang des Großen Kurfürsten nach Rügen. Wandteppich von Pierre Mercier d. J. und Casteels. 1695. (Aufnahme Foto Marburg.) Die Eroberung Stettins. Abb. 3. Wandteppich von Pierre Mercier d. J. und Casteels. 1686. (Aufnahme Foto Marburg.) Abb. 4. Dänischer Königsteppich. Von Hans Knieper. 1581. (Aufnahme aus dem National-Museum Kopenhagen.) Pommersche Geschichte im Spiegel gewirkter Wandbehänge 185 er einen politischen Kurs, der von den Bahnen seiner Pflegemutter ab- wich. Das zeigte sich schon in der Frage der Thronfolge. Erichs Streben war darauf gerichtet, Skandinavien und Pommern aufs engste zusammenzu- schmieden, so daß man in der nordischen Forschung von einem baltischen Imperialismus gesprochen hat. Erich verfolgte eine Politik, bei der ihm. Pommern wichtiges Land innerhalb der deutschen Ostseeküste bedeutete. In seinen hochfliegenden Plänen hatte das pommersche Herzogtum keinen Platz, das durch innere Streitigkeiten entzweit war. So wurde diesen inneren Spannungen des Landes ein Ende bereitet. Mit König Wtadyslaw Jagiello von Polen schloß er 1419 ein Angriffsbündnis ab mit dem Zweck und Ziel, den Ordensstaat zu zerstören. Seine geheimen Wünsche und Bemühungen, in Skandinavien die Erbmonarchie zu Gunsten der pom- merschen Herzöge aufzurichten, stießen auf Widerstand im schwedischen Volk. Sein Kampf gegen die Hanse wurde ihm mehr als gefährlich, ja wurde sein Unglück. Sein Charakterbild ist von der hansisch-lübischen und von der schwedischen Geschichtsschreibung ins Negative verzeichnet worden.4 Sein historisches Wirken ist in Skandinavien nicht ganz spurlos vorübergegangen. Noch heute führt die Stadt Malmö in ihrem Wappenschild den Greifen, das pommersche Wappentier, das er der Stadt 1437 zum Gedächtnis seines Geschlechtes verliehen hatte. Seiner Politik war kein Erfolg beschieden, sie endete mit einem Fiasko. Er kehrte notgedrungen in sein Heimatland Ostpommern zurück auf die Burg Rügenwalde, und zwar als Privatmann, beladen mit einem wahren Schatz von Gold und Silber, wie der Chronist schreibt. Die Persönlichkeit dieses Mannes wurde, wie schon angedeutet, auf einem Teppich dargestellt, der zu einer Folge gehörte, die von Hans Knieper, einem Tapetmacher aus Antwerpen, zum Ruhme des dänischen Herrscherhauses für den großen Saal des Schlosses Kronborg gefertigt wurde.5 Laut Vertrag vom 9. Dezember 1581 wurde dieses Projekt einer

4) Dem Satz von E. Dänell (in seinem Buch „Die Blütezeit der deutschen Hanse"): „Ein unköniglicher, ein moralisch und geistig geringwertiger Mann trat vom poli- tischen Schauplatz ab", steht eine Ehrenrettung von C. Carlsson gegenüber in seinem Aufsatz „König Erich der Pommer und sein baltischer Imperialismus" (Baltische Studien, N. F. Bd 40, Stettin 1938, S. 17). Er sagt: „König Erich war kein unbedeutender oder wertloser Mensch. Er wußte, was er wollte; eine klare und durchdachte Auffassung — mag sein, daß sie, mit den Augen der Nachwelt betrachtet, in manchen Stücken das Gepräge des Übermuts trägt — war für sein ganzes Wirken richtunggebend. Seine politischen Pläne zeigten eine imponierende Folgerichtigkeit, und man könnte wohl sagen: Großzügigkeit. Mit zäher Energie verfolgte er die Ziele, die er sich einmal gesteckt hatte. Persönlich strahlte er in den Tagen seines Glückes einen unwiderstehlichen Scharm aus. ,Unköniglich' war er nicht, ,geistig geringwertig' auch nicht. Es ist ein Gebot der historischen Wahr- haftigkeit, das auch heute noch herrschende scharf negative Urteil über ihn einer Revision zu unterziehen". So lautet das Urteil eines modernen Schweden. 5) H. G ö b e 1 a. a. O., S. 227 ff. I8ö Walter Borchers

Königs-Teppichfolge aufgenommen, und in deutscher Sprache wurden Aus- sehen und Form dieser Behänge festgelegt. Es heißt da: „Oben eines jeden Königs Haubt, die Zeit der Regierung, im gleichen auch wie und woh dieselbige gehalten und entlich was das Ende derselbigen gewesen; under den Füßen aber das Herkommen, aber dabey auch des Reichs Insignial." So erscheint Herzog Erich in Renaissancekleidung mit Barett, Mantel und Halskette vor einem landschaftlichen Grund, zu seinen Füßen die ver- lorene Krone mit Szepter, im Hintergrund das Meer, auf dem dänische Koggen und Ruderboote mit dem Danebrog sichtbar sind, über seinem, Haupt schweben Früchte und Blumengehänge. Zart gegliederte schmale Leistenbordüren mit Vasenmotiven, Masken, Kartuschen, Muscheln und Tuch- gehangen rahmen das Mittelfeld ein. Ober- und unterhalb dieses Bilder- rahmens setzt sich der Teppich in ornamental aufgegliederten Feldern mit Vasen und Blumenmotiven, Voluten, Gehängen und Tiermasken fort. Die Mitte des unteren Feldes wird unterbrochen durch ein gekröntes Wappenschild mit dem gerafften Thronmantel als Unterlage. Oberhalb des eigentlichen Bildes sind drei gegliederte Felder sichtbar, von denen die beiden äußeren mit grotesken Fruchtgehängen, Blattranken, Voluten und Tieren symmetrisch und rhythmisch gefüllt sind. Das Mittelfeld zeigt eine Le- gende in Frakturbuchstaben, dazu die Überschrift „Erich 9. Hertzog zu Pommern" und darunter ungelenke Verse, die von dem deutschen Hof- poeten Friedrich Werner verfaßt sind: „Konigin Margrethe, mein Mumb fromb,erwarb mir der drey Reiche Chron, nach Graf Gehrdts thott, wegen Schlesswig mitt Holstein fast lang fuerte Krieg, die sach endtlich ver- tragen wardt. Die Reich doch waren beschwert hartt, welches ufstandt bracht, Schweden entfiell. An all Ohrtt widrig lief das Spiell. Dorüber kam in sorg und gfahr, Entwich, verließ die Reiche gar, verstarb hernach in privat standt zu Rugwaldt in mein vaterlandt". Das Groteskenwerk an den beiden Seiten und in den unteren Bordüren ist, wie Göbel nachgewiesen hat, formal der flämischen Kunst entlehnt, die ihrerseits Florentiner Renaissancemerkmale übernommen und umgewandelt hat. Typisch ist die reiche Behandlung der Landschaft und dazu die Füllung des Vorder- bzw. Mittelgrundes durch ver- schiedenartige Vertreter der Tierwelt. Ein pommerscher Herzog des ausgehen- den Mittelalters, der durch seine Tante König von Dänemark, Schweden und Norwegen wurde, eine unglückliche Politik führte und in seinem Alter auf die Rügenwalder Herzogsburg zurückkehrte, wird hier nicht als ein Mann des Mittelalters, sondern in zeitgenössischer Tracht als Renaissancefürst darge- stellt. Er, der Pommer, durfte als König von Dänemark in der genealogischen Reihe der Dänenkönige nicht fehlen. So steht Erich mit ein wenig zur Seite geneigtem Kopf und wehmutsvoller Gebärde, fast ein wenig pathetisch in einer Landschaft, die unendlich reich und üppig durch Gräser und Blumen und Bäume angedeutet ist. Fast wirkt dieses Rahmenwerk der Natur wie eine Pommersche Geschichte im Sfiegel gewirkter Wandbehänge 187

Theaterkulisse, wobei die einrahmenden Bäume das Kulissenartige noch unter- streichen. Mehr als hundert Jahre später entstanden im Auftrage des Großen Kur- fürsten und seines Sohnes Teppiche einer Schlachtenserie, gewirkt von dem französischen Meister Pierre Mercier d. J. aus Aubusson, der laut Anstel- lungsurkunde von 1636 Leiter der Staatlichen Berliner Manufaktur wurde.6 Diese Teppichserie behandelt Taten der Großen Kurfürsten — u. a. die Siege von Warschau und Fehrbellin, die Eroberung der Städte Stettin (Abb. 2) und , den Übergang nach Rügen (Abb. 3), die Einnahme von Wolgast und Anklam. Bis zum Zweiten Weltkrieg war sie, bis auf die Teppiche Warschau und Anklam, ein Schmuck der Großen Galerie des Schlüterschen Schloß - baues in Berlin. Sie hat auch die Fährnisse des Zweiten Weltkrieges über- standen und befindet sich augenblicklich im Kunstgutlager Celle. Die Behänge sind von trüber und schwerer Farbgebung, blaue und graue Töne herrschen vor, von Silberfäden durchzogen. Die Teppiche sind in den Jahren 1693—99 entstanden und qualitativ gleichzusetzen den Arbeiten der französischen Aubusson-Manufaktur, ja diesen überlegen. Die Entwürfe und Kartons stammen zum Teil von niederländischen Malern, die nach Berlin berufen wurden. Es sind das Rütger van Langerfeld, Joseph Frans Casteels und Alexander Casteels, ferner Abraham Jansz Begain. Die Teppiche sind nicht ganz originale Leistungen, sondern entstanden im Anschluß an die berühmte flämische Orlog-Serie mit den Taten Ludwigs XIV. nach Kupfer- stichvorlagen nach Lebrun und van der Meulen. Typisch für jeden Teppich ist die verwirrende Fülle der Gestalten und Bewegungen, über dem lebhaften Menschen- und Schlachtengetümmel setzt sich in der Regel der Mittelgrund ab mit reich gegliederten Stadt- und Landschaftsansichten, über denen sich ein atmosphärischer Himmel öffnet. Im Mittelpunkt jeder Szene steht die Gestalt des Großen Kurfürsten. Jeder Teppich ist von üppigen Bordüren eingerahmt, die, jedesmal neu aus Waffentrophäen, Wappentieren, Tuch- gehängen gebildet und von Palmzweigen durchflochten, ein malerisches Durcheinander und Nebeneinander ergeben. Nach der Schlacht bei Fehrbellin und dem glänzenden Sieg des Großen Kurfürsten über den schwedischen Generalfeldmarschall von Wrangel wurden 1675 die Inseln Usedom-Wollin und die Festung Wolgast, 1677 in einer schweren Belagerung die Festung Stettin genommen und in dem darauf folgenden Jahre 1678 die Festungen Stralsund und Greifswald erobert und der Übergang nach Rügen erzwungen. Im Verein mit Christian von Dänemark gelang es dem Großen Kurfürsten, in dreijährigem, hin- und herwogendem Kampfe ganz Schwedisch-Pommern und Rügen zu erobern.

Der Besitz dieses Landes war für Brandenburg von äußerster Wichtigkeit: denn durch den Westfälischen Frieden war Brandenburg nur in den Besitz 6) H. Göbel a.a.O., S. 811; Ch. S t e i n b r u c k e r , Von deutschen Bild- teppichen, S. 30; H. Schmitz a. a. .0, S. 166. 188 Walter Borchers von Ostpommern gelangt. Westpommern war den Schweden zugesprochen worden, obwohl Brandenburg dank alter Verträge beim Aussterben des pom- merschen Herzogsgeschlechtes die Erbfolge von ganz Pommern antreten sollte. Der Zugang zum Meer war für Brandenburg, das Landmacht war und sich zur Seemacht entfalten wollte, von äußerster Bedeutung; denn dabei spielte das Land Pommern eine gewichtige Rolle. Es war selbstverständlich, daß so zwischen Brandenburg und Schweden Differenzen entstehen mußten, die im Stettiner Rezeß vom 4. 5. 1653 nach unendlich langen Verhandlungen beigelegt wurden, deren Endeffekt die Ziehung einer neuen Grenze zwischen Schweden und Brandenburg war.7 Aber schon sechs Jahre später bekämpften sich beide Staaten auf das heftigste. Zusammen mit dem Heer des deut- schen Kaisers fiel der Große Kurfürst in Schwedisch-Pommern ein und eroberte Treptow, Demmin, Triebsees und Loitz; Stettin konnte nicht ge- nommen werden. Im Frieden von Oliva mußte der Große Kurfürst alle seine Eroberungen wieder herausgeben. 1674, gerade in dem Augenblick, als der Große Kurfürst im Kampf gegen Frankreich am Rhein engagiert war, verheerte unter dem Befehl von Wrangel eine schwedische Armee die Mark Brandenburg. Wie schon gesagt, wurde Wrangel 1675 bei Fehrbellin geschlagen und in einem dreijährigen Kampf Vorpommern erobert, doch mußte der Große Kurfürst im Frieden von Saint-Germain, im Juni 1675, auf die eroberten Städte verzichten und sich mit den Städten Greifenhagen und Bahn zufriedengeben.8

Die Ereignisse des Krieges, die Eroberung von Stettin, Wolgast, Stral- sund, der Übergang nach Rügen werden auf den Teppichen dargesteRt mit großer Genauigkeit in der Wiedergabe des Landes, der Städte, der Uniformen, der Waffen, wie überhaupt der Kriegführung: die Städtebilder von Stettin, Wolgast und Stralsund sind keine Fantasieerzeugnisse, sondern sind in der Gesamtanlage wie in den Einzelheiten mit ihren Türmen, Be-

7) „Ideo Caesarea Majestas de consensu Electorum, Principum et Statuum Imperii, cum primis Interessatorum, urgoreque praesentis transactionis concedit eidem Serenissimae Heginae & futuris eius heredibus ac successoribus Regibus Regnoque Sueciae, sequentis dicionis pleno iure in perpetuum & immediatum imperii feudum. Primo totam Pomeraniam, vulgo Vor-Pommern dictam, una cum insula Rugia, eis finibus contentas, quibus sub ultimis Pomeraniae ducibus descriptae fuerant; Adhaec e Pomerania ulteriori Stetinum, Gartz, Dam, Golnau & insulam Wollin, una cum interlatente Odera et mari vulgo das frische Haff vocato, suisque tribus oatiis Peene, Swine et Dievenau, atque adjacente utrinque terra ab initio territorii Regii usque in mare Balthicum ea latitudine litoris Orientalis, de qua inter Regios et Electorales Commissarios circa exactionem Limi- tutn et caeterorum minutiorum definitionem amicabiliter convenietur." (Vgl. Ar- tikel 10 des Schweden-Vertrages in Münster von 1648, oder K. Meuke, Das Amt Wolgast. Pommersche Jahrbücher Bd 26, Greifswald 1931. S. 84). 8) W. Hubatsch, Im Bannkreis der Ostsee. Marburg 1948. S. 52 ff. Pommersche Geschichte im Spiegel gewirkter Wandbehänge 189 festigungen und Vororten von ungewöhnlicher Genauigkeit. Wolgast zeigt noch das alte Pommernschloß in der Peene-Mündung und die stolze Petri- kirche, die weit über die Kiemstadthäuser hinausragt. Auf dem Stralsunder Teppich erkennen wir die Stadt am Sund mit der großartigen Silhouette von St. Marien, St. Nikolai und Jakobi; auf dem Stettiner Teppich sehen wir das alte Schloß der Greifen, die Ottokirche, den stumpfen Turm der Jakobi - kirche und die vielen Gäßchen, die von der Oder zum Schloßberg führen, und das weite Oderstromtal mit seinen verwirrenden Wasseradern und den Nebenflüssen der Oder. Für den Kulturhistoriker wie für den Militärexperten sind diese Tep- piche wahre Dokumente. Künstlerisch gesehen, sind es typische Erzeugnisse barocker Malweise und Geisteshaltung in der Betonung der Oberfläche, in der Bewegtheit der Konturen, in der Überschneidung der Linien, in der Fülle des Dargestellten, wie überhaupt in der lebhaften Gestik und Mimik. Es sind erzählende Teppiche, die aus dem Quell der barocken Repräsentation schöpfen. Einzelne Teppiche sind signiert und datiert (1693 Stralsund, der rügensche Teppich 1695). Hier werden also von der preußischen Geschichte her ge- sehen historische Ereignisse auf pommerschem Boden geschildert zur Ver- herrlichung eines Hohenzollernfürsten, nämlich des Großen Kurfürsten. Er- eignisse, die für das Land Pommern von einzigartiger Bedeutung waren, weil sie Wohlstand und Wirtschaft für lange Zeit verheerten und still- legten. Da das pommersche Herzogshaus ausgestorben war, wurde Pommern nunmehr Spielball größerer Mächte. So hat also pommersche Geschichte im Zusammenhang mit Brandenburg gestanden und ihren Niederschlag ge- funden in einer Teppichfolge eines Franzosen, Pierre Mercier d. J., der zunächst in seiner Kunst von der französischen Manufaktur Aubusson ab- hängig war, künstlerisch seinen eigenen Weg ging und seine Heimatmanu- faktur bald in den Schatten stellte. War in dem Knieperschen Teppich die unglückliche Gestalt des Herzogs und Königs Erich empfindsam, aber auch dekorativ in einer üppigen Natur inmitten von Gräsern, Blumen, Blättern und Bäumen dargestellt, so wurde der Große Kurfürst in seinen erfolgreichen Waffentaten in dem schwedischen Vor- und Mittelpommern verherrlicht. Minutiös, aber auch in barocker Lebenfülle und imperatoren- haft werden seine soldatischen Erfolge von dem Teppichwirker nachgestaltet in Anlehnung an die künstlerischen Vorbilder, die von dem Hofe Lud- wigs XIV., des Sonnenkönigs, kamen.