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Tages-Anzeiger – Mittwoch, 4. Dezember 2013 25 Kultur & Gesellschaft

Leser fragen Der imperfekte Mann Soll ich so bleiben, Lloyd Cole, der englische Songwriter, sang im Zürcher Viadukt seine verhaltenen Lieder über das Ende wie ich bin? der Liebe. Und erzählte im Gespräch, weshalb er die USA nicht mehr mag. Wenn ich endlich beschliesse, so zu bleiben, wie ich bin, könnte sich für mich vieles ändern. Ist dies eine Falle? Und: Wie kann ich ihr entkommen? Von Jean-Martin Büttner D. G. Er kommt einem vor, als sei er gar nie jung gewesen, als habe er sein ganzes Lieber Herr G., Leben zurückgeschaut. In seinen ele- das ist aber eine komplizierte Figgi-Müh- ganten Liedern klingt an, was seine Kol- le-Frage. Wenn Sie, damit sich etwas für legin Joni Mitchell das Behagen der Me- Sie ändert, beschliessen wollen, so zu lancholie genannt hat. «Ich kann das be- bleiben, wie Sie sind, warum sollte das stätigen, aber nicht gross kommentie- dann eine Falle sein, der sie entkommen ren», sagt Cole dazu: «Nur wenige mei- möchten? Und wenn Sie ihr entkommen ner Songs blicken nach vorn.» Er lacht wollen, warum sollten Sie es dann über- und wartet auf die nächste Frage. Ruhig haupt beschliessen wollen? Ich nehme sitzt er am Beizentisch, blaue Augen, zur Vereinfachung der Ausgangslage mal schwarzer Pullover, graues Haar. Auch an, Sie wollten einfach nur etwas über wenn er redet, und er tut das gern, wirkt die Dialektik von Ändern und Gleichha- er in sich gekehrt. ben wissen. Ja? Bestens. Also: Beginnen Lloyd Cole, der 52-jährige Engländer, wir mit einer der bekannteren Herr-­ Philosoph, Anglist und Songwriter seit Keuner-Geschichten Bertolt Brechts. bald vierzig Jahren, muss sich nicht Falls Sie sie nicht kennen – sie geht so mehr damit abfinden, dass das Beste (das tut sie freilich auch, wenn Sie sie vorbei ist. Er weiss, dass er den Erfolg kennen): «Ein Mann, der Herrn K. lange seiner ersten Platte nie mehr erreichen nicht gesehen hatte, begrüsste ihn mit wird, «Rattlesnakes» von 1984, auf der er den Worten: ‹Sie haben sich gar nicht , Simone de Beauvoir verändert.› ‹Oh!›, sagte Herr K. und er- oder Truman Capote zitierte, ohne prä- bleichte.» Zu erfahren, dass man über tentiös zu klingen. Er hat viele gute die Zeit derselbe geblieben sei, der man Songs geschrieben, aber keine bessere immer schon war, sollte einem also Single als «Perfect Skin», diesen voll- schwer zu denken geben, meint Brecht. endeten Popsong über die Frau mit den (Ich übrigens auch.) Statt, wie geplant, Augen wie Sünde. Seither hat er sich in lustige Ereignisse zu sein, werden Klas- der Erfahrung seines Lebens eingerich- sentreffen deshalb oft zu geradezu trau- tet und singt davon. matischen Erlebnissen: dann nämlich, wenn es einem scheint, als sei die Zeit Songs mit Eigenleben stehen geblieben. Das ergibt dann kein Er tut das mit einer Ironie, die das Senti- wohliges Gefühl des Wiedererkennens, mentale auf Distanz hält: «Standards» sondern eines der Beklemmung. Um der heisst sein letztes Album, dabei enthält Er singt mit der Präzision eines Mannes, der das Abschiednehmen gewohnt ist: Lloyd Cole. Foto: Kim Frank zu bleiben, der man ist, müsste man sich es fast nur Eigenkompositionen. Ein küh- psychisch einbalsamieren lassen oder ner Titel, oder? «Nur wenn man ihn ernst was er seinem Publikum schuldig ist. osten der USA. Ob es ihnen noch gefalle, Kleid, während er ungebraucht daneben zum Zombie seiner selbst werden. Das nimmt.» Was macht einen Standard aus? Über dreissig Songs führt er auf, spielt die Frage erweist sich als rhetorisch. liegt («Butterfly»), er dokumentiert in war das «einerseits». Andererseits kann «Nicht wenn die Leute einen Song spie- sich durch sein Repertoire, die bekann- «Wir sind von Amerika ausgelaugt», sagt genauen Zeilen, wie man sich im besten man sich auch nicht beliebig verändern. len, sondern wenn sie ihn singen.» Das ten Stücke machen froh, die neuen Stü- er, man überlege sich einen Umzug nach Einvernehmen auseinanderlebt: «Jane is Und die mit dem grössten Getöse ange- liebt er an seinem Beruf, er wird es auf cke machen sich gut. Man hört jede Schottland. fine, always fine / We’re unhappy most kündigten Konversionen sind bei nähe- der Bühne wiederholen: dass Lieder ein Silbe, die er zu den träumerisch gestri- Was ihn und seine Frau, «die linkste of the time / We don’t talk, we don’t fight rem Hinsehen doch oft nur schlecht ka- Eigenleben entwickeln wie Kinder. Was chenen Akkorden seiner Gitarre vor- Person Amerikas», abstösst: die lauthals / I’m just tired, she’s way past caring». schierte 360-Grad-Kehren. passiert mit einem Song, wenn er ihn trägt, die geschmeidigen Vokale. Mühe- verkündigte Beteuerung der Amerika- Es geht ihr immer gut, sie sind kaum je ohne Begleiter spielt, alleine mit Gitarre los gleiten die Stücke ineinander, er ner, im besten Land der Welt zu leben, glücklich, sie reden nicht und streiten Peter Schneider wie auf seiner laufenden Tour? «Du fin- singt geschmackvoll und wohltempe- obwohl sie das teuerste aller schlechten nicht mehr, er ist müde, ihr ist es egal. Der Psychoanalytiker dest heraus, ob er stark genug ist.» riert, der Mann im Imperfekt. Gesundheitssysteme hätten und ihr Bil- Also trinken sie spanischen Wein und beantwortet jeden Mittwoch Eine bleiche Sonne scheint auf das Das Publikum lauscht, klatscht und dungswesen eine Katastrophe sei. «Sie hören Platten die ganze Nacht. («Why I Fragen zur Philosophie Zürcher Industriequartier, noch ein paar lacht im richtigen Moment. An der Bar feiern den freien Markt und lassen ihre Love Country Music»). des Alltagslebens. Stunden bis zum Auftritt. Am Vortag beim Eingang hantieren sie lautlos, alle Institutionen kollabieren.» Wir sind hässlich, singt er auch, aber spielte er in Frankfurt, am nächsten wissen sich zu benehmen, und wenn wir haben ja die Musik: «We are ugly, but Morgen wird er nach München fahren, einer Lärm macht, wird er zurecht­ Im Schatten der Minibar we have the music.» Nur ist das nicht Senden Sie uns Ihre Fragen an seit bald drei Monaten gibt er fünf Kon- geschwiegen. Der Sänger stimmt die Gi- In seinen Liedern macht Cole keine Poli- von ihm, sondern von . [email protected] zerte pro Woche, tagsüber fährt er tarre. «Würde ich das nicht selber ma- tik. Wie bei Songschreibern üblich er- Lloyd Cole würde so etwas nie schrei- Europa ab. Er beginne die Abende zu chen», sagt er, «wäre ich ein Rockstar.» zählt er von der Liebe, mit der Präzision ben, sein Hang zum Vergangenen mil- Fazit: Gleichbleiben ist nicht gut, zählen, gibt er zu, seine Stimme habe ge- Später erzählt er von seinem Sohn, der eines Mannes, der sich im Abschiedneh- dert die Konturen. Der einzige Misston aber Veränderung ist nicht beliebig litten, das Reisen setze ihm zu, die Wie- auch ein Rockstar werden möchte; der men auskennt. Er singt vom einsamen an seinem Konzert kommt von den rum- möglich. Man kann halt nur mit den derholungen nützten ihn ab. Vater wirkt nicht begeistert. Schatten der Minibar in einem Holiday pelnden Vorortszügen über dem Via- Pfunden wuchern, die man hat. Und Davon merkt man am Abend nichts, Coles Frau ist Amerikanerin, die Fa- Inn («Late Night, Early Town»), er be- dukt. Er meidet alles Hässliche: ein Sän- muss aus dem etwas machen, was sich dazu ist Cole zu professionell und weiss, milie lebt in Massachusetts im Nord­ singt den Schmetterling unter ihrem ger der Sublimation. nicht ändern lässt, ohne dass man sich auf bizarre Weise verbiegt. Insofern kann es tatsächlich zu dem paradoxen Gegen Effekt kommen, dass gerade die Ein- Ein Schweizer Lehrstuhl in China? sicht in das unabänderlich Gegebene wird ermittelt erst die Möglichkeit für Veränderungen schafft. Der Beschluss, (irgendwie) zu Schweizer Literatur stösst präsentieren und mit jungen men; fünf verschiedene Übersetzer sind bleiben wie man (irgendwie) ist, ist Gegen US-Musiklegende Bob Dylan ist ­Lesern diskutieren konnten. an der Arbeit. «Lila lila», «Der Koch» dann keine Falle, und man muss ihr da- in Frankreich ein Ermittlungsverfahren in China auf reges Interesse. Die Pro Helvetia hat für Übersetzun- und «Der letzte Weynfeld» sind gerade her auch nicht entkommen. Zumal die- wegen umstrittener Äusserungen über Davon zeugen Reisen, gen und Autorenreisen in den Jahren erschienen. ser Beschluss ja nicht bedeutet, auf eine Kroaten eingeleitet worden. Dem ­Lesungen, ­Übersetzungen 2009 bis 2012 rund 100 000 Franken Dieser Markt ist prinzipiell ja riesig; irgendwann in Stein gemeisselte Essenz 72-Jährigen werde wegen eines Inter- aufgewendet, wie Angelika Salvisberg, dennoch sollte man keine sechsstelligen seines Lebens zurückzukommen, son- views in der französischen Ausgabe der und ein geplanter Kongress. Leiterin der Abteilung Literatur und Verkaufszahlen erwarten, wie Suter sie dern das, was man geworden ist, zu Musikzeitschrift «Rolling Stone» Belei- ­Gesellschaft, sagt. Sie will die Zusam- im deutschen Sprachraum erzielt. Das interpretieren. digung und Aufruf zum Hass vorgewor- Von Martin Ebel menarbeit mit dem Shanghaier Verlag literarische Publikum in China hat sich Jeder Interpretation sind Grenzen ge- fen, hiess es aus Justizkreisen in Paris. Im Juli dieses Jahres haben China und «punktuell fortsetzen», was bedeutet: gespalten in einen kleineren Teil, der setzt – das weiss man noch aus dem Anzeige erstattete der Rat der Kroaten die Schweiz ein Freihandelsabkommen Die Reihe als solche wird nicht weiter­ anspruchsvolle Werke liest, und einen Deutsch- oder Philosophieunterricht –, in Frankreich (CRICCF), der sich zu- geschlossen. Weniger bekannt in der Öf- geführt. Bedauerlich, weil die Aktion grösseren, der Handy-Romane und aber diese Grenzen sind flexibel. Man nächst nicht äussern wollte. fentlichkeit ist, dass bereits seit Jahren ­guten Anklang gefunden hat und ein Internet-Fortsetzungsgeschichten kon- kann so viele neue Anläufe nehmen, wie Das aus dem Englischen übersetzte besondere Literaturbeziehungen zwi- ­solcher Kulturaustausch mit langem sumiert. man will, und die Ergebnisse können Interview erschien im Oktober 2012. schen den beiden ungleichen Ländern Atem betrieben werden muss. Immerhin mit gutem Grund immer wieder etwas Bob Dylan sprach darin unter anderem bestehen. Im Rahmen eines Überset- möchte Pro Helvetia laut Salvisberg Grosses Treffen im Frühling anders aussehen. Und genauso, lieber über den Rassismus in den USA. In der zungsprojekts, das von Pro Helvetia und ­versuchen, auch andere Verlage und Eine weitere Grossaktion ist auf univer- Herr G., ist es auch im richtigen Leben. betreffenden Passage verglich er die dem Literarischen Colloquium Berlin Zeitschriften für Schweizer Literatur zu sitärem Niveau zu erwarten. Im April Verfolgung der Juden unter der NS- gefördert wurde, sind zehn Titel von interessieren. 2014 wird in Hangzhou ein Kongress zur Herrschaft mit den Auseinandersetzun- Schweizer Autoren in China veröffent- Schweizer Literatur stattfinden, für den Das Gedicht gen zwischen Kroaten und Serben. licht worden, nämlich je ein Buch von Nach Asien über Umwege Germanisten aus ganz China anreisen. «Wenn du Ku-Klux-Klan-Anhänger als Hugo Loetscher, Peter Stamm, Rolf Dieses Interesse ist längst da. Peter Organisator ist Professor Fan Jieping, Vorfahren hast, spüren Schwarze das, Lappert, Monique Schwitter, Daniel Stamm ist inzwischen in drei chinesi- der Thomas Hürlimanns «Vierzig Ro- Vielleicht liegt sogar heute noch. Genauso wie Juden Goetsch, Lukas Bärfuss, Thomas Hürli- schen Verlagen im Programm, auch in sen», aber auch Robert Walsers «Spa- Nazi-Blut und die Serben kroatisches mann, Melinda Nadj Abonji, Alain einem Kinderbuchverlag (mit «Warum ziergang» übersetzt hat. Nicht weit von es am Fragen Blut spüren können», sagte Bob Dylan. Claude Sulzer und Peter Weber. wir vor der Stadt wohnen»). Unabhängig Hangzhou, in der Küstenstadt Ningbo, Der 72-Jährige wurde bereits Mitte Erschienen sind die Bücher im Trans- von der Schweizer Reihe ist der dritte lehrt Chen Wei (er hat Lapperts «Nach Wie eine Fremdsprache ­November in Paris vernommen, an- lation Publishing House in Shanghai in Verlag über den Erfolg Stamms in den Hause schwimmen» ins Chinesische wie das Verständnis der Fremdsprache schliessend wurde ein Ermittlungs­ Auflagen zwischen 4000 und 6000 Ex- USA auf den Autor von «Sieben Jahre» übertragen). Seine Studenten werden bei wachsender Müdigkeit verschwimmt verfahren eingeleitet. emplaren, die Übersetzer sind überwie- aufmerksam geworden, der dort ja als seit Jahren mit Schweizer Literatur «ge- ein Donnergrollen, kleine Explosionen Der Sänger gab damals drei Konzerte gend chinesische Universitätsgermanis- «one of the most exciting European wri- füttert»; als Nächstes plant er die Auf- zischende Laute zwischendurch in der französischen Hauptstadt und ten, die «ihre» Titel auch gleich mit ters» gilt, so die «New York Times». Auch wertung seines helvetischen Schwer- aus Mündern, die sich bedenkenlos wurde mit dem französischen Verdienst- ihren Studenten im Seminar behandelt auf Umwegen kann Literaturvermittlung punkts zu einem Lehrstuhl für Schwei- verziehen orden Légion d’honneur geehrt. Der haben. Einige waren schon im Überset- funktionieren. zer Literatur. öffnen und schliessen ohne Verständnis Prozess soll von einer auf Presserecht zerhaus Looren zu Gast oder beim Einem hiesigen Erfolgsschweizer gilt Man kann lediglich hoffen, dass die für die Lawine von Verständnislosigkeit. spezialisierten Strafkammer in Paris ver- ­Literaturfestival Leukerbad; umgekehrt gerade eine verlegerische Grossaktion kulturfördernden Institutionen der Wie das Verständnis ermattet handelt werden. Ein Vertreter von Dy- führten mehrere Reisen Schweizer Au- von Shanghai Translation Publishing Schweiz diesem chinesischen Interesse bei bohrendem Kopfschmerz. lans Plattenfirma Sony-BMG in Frank- toren nach Shanghai, Ningbo, Hang- House: Innerhalb weniger Monate sol- nicht nur freundlich zuschauen, son- reich erklärte auf Anfrage, nichts von zhou und in andere chinesische Städte, len gleich fünf Romane von Martin Su- dern es nach ihren Möglichkeiten unter- Ursula Krechel (*1947). Aus: dem Fall zu wissen. (AFP) in denen sie an Universitäten ihre Bü- ter auf den chinesischen Markt kom- stützen. Landläufiges Wunder, Suhrkamp 1995.