"This Is the Modern World". Pour Une Histoire Sociale Du
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"This is the Modern World". Pour une histoire sociale du Rock / For a Social History of Rock Music. Université Charles-de-Gaulle Lille 3 (Lille, France) - Organization Committee: Martine Aubry, Lille 3, IRHIS; Arnaud Baubérot, Paris Est-Créteil, CRHEC; Laurent Brassart / Florence Tamagne / Mélanie Traversier / Sylvie Vérité, Lille 3, IRHIS, 13.06.2013-15.06.2013. Reviewed by Kaspar Maase Published on H-Soz-u-Kult (August, 2013) Bücher, die eine Geschichte der Rockmusik ganisatoren, FLORENCE TAMAGNE (Lille) und AR‐ oder zumindest bestimmter Kapitel daraus ver‐ NAUD BAUBEROT (Paris), gleich in ihrer Einfüh‐ sprechen, gibt es aus der Feder von Musikwissen‐ rung fest. Entsprechend schlugen sie vor, nicht schaftlerInnen und -expertInnen in großer Zahl. über die Definition von „rock music“ und deren Ganz selten wurde bisher jedoch versucht, die Abgrenzungen zu debattieren, sondern pragma‐ Entwicklung dieser Hauptrichtung populärer Mu‐ tisch-heuristisch-quellenbezogen nichts auszu‐ sik ins Zentrum komplexer gesellschafts- oder so‐ schließen, was sich selbst diesem musikalischen zialhistorischer Untersuchungen zu stellen. Zu Genre zuordnete. Und die Frage, was „social histo‐ den weitesten Vorstößen in diese Richtung zählen ry“ bei einem solchen Gegenstand meinen könne, die Arbeiten des Musikwissenschaftlers Peter Wi‐ wurde in den Vorträgen gar nicht erst angespro‐ cke und des Historikers Bertrand Lemonnier. Vgl. chen. Peter Wicke, Jazz, Rock und Popmusik, in: Doris Doch ganz offenbar ergibt sich aus der Viel‐ Stockmann (Hrsg.): Volks- und Popularmusik in falt und Disparatheit der Ansätze zu einer Ge‐ Europa, Laaber 1992, S. 445-477, als elektroni‐ schichte der Rockmusik eine große Motivation zu sches Dokument: URL: <http://www2.hu-berlin.de/ Austausch und Diskussion. Von allen fünf Konti‐ fpm/textpool/texte/wicke_jazz-rock-popmu‐ nenten waren ReferentInnen gekommen und das sik.htm> (20.06.2013); vgl. außerdem die populä‐ Programm umfasste 36 Vorträge. Angesichts sol‐ rere Darstellung in Peter Wicke, Von Mozart zu cher Fülle kann dieser Bericht auch nur versu‐ Madonna, Leipzig 1998; Bertrand Lemonnier, chen, einige allgemeinere Beobachtungen zum L’Angleterre des Beatles. Une histoire culturelle Forschungsfeld zu formulieren. des années soixante, Paris 1995. Ist das überhaupt Im multidisziplinären Programm bildeten machbar und wie könnte es systematisch ange‐ HistorikerInnen nur eine – und keineswegs die gangen werden? Derartige Fragen wurden im größte – Gruppe. Musikwissenschaft und Musi‐ Aufruf zur Konferenz „‚This is the Modern World‘. kethnologie, Soziologie, Politikwissenschaft, Kul‐ Pour une histoire sociale du Rock / For a Social tur- und Medienwissenschaften, Amerikanistik, History of Rock Music” empirisch wie theoretisch Anglistik und Romanistik waren als Fächer eben‐ ausdifferenziert und stießen auf breite Resonanz. falls vertreten. Einige Beiträge kamen von nicht‐ Dass die Tagung jedoch nur ein Anfang sein und akademischen Experten und viele Teilnehmer einen Impuls geben könne, stellten die beiden Or‐ sind in außeruniversitären Kulturprojekten enga‐ H-Net Reviews giert, bis hin zu Auftritten als Musiker. Diese Viel‐ wie die von lokalen Aktivisten ins Netz gestellten falt und Eigenart der Interessen und Zugänge und „von unten“ wachsenden Internetarchive zur zum Thema kennzeichnete die Tagung auch inso‐ Geschichte regionaler Musikszenen (JEZ COLLINS, fern, als kaum ein Beitrag spezialistische Züge Birmingham). Daneben entstehen regionale Da‐ trug, die Teilnehmer anderer Provenienz ausge‐ tenbanken; sie erschließen der Forschung Materi‐ schlossen hätten. Kritisch wurde dazu angemerkt, al, das aber im Kontext begrenzter Fragestellun‐ dass man zwar häufig auf bestimmte musikali‐ gen zusammengestellt wurde (JOANNE ELART / sche Eigenschaften von Kompositionen, Genres PASCAL DUPUY, Rouen). Wie beweglich und kaum oder Bands einging, dass es jedoch keine einzige zu fassen die Gegenstände historischer Populär‐ streng musikologische Analyse gab. musikforschung sind, machte Linehan daran Vielleicht das bemerkenswerteste Ergebnis deutlich, dass Musikunternehmen identische Ein‐ der Konferenz ist: Es gibt in diesem Feld kein nati‐ spielungen eines Titels in verschiedensten Kon‐ onalgeschichtliches Paradigma; über Rockmusik texten auf den Markt bringen. LUC ROBÈNE (Ren‐ kann man offenbar nur im Horizont weltweiter nes) zeigte, dass hinter dem Namen einer Band kultureller Transfers, Beziehungen und Koevoluti‐ ständig wechselnde Musiker stecken und dass die‐ onen sprechen. Selbst Beiträge zum „rock se Geschichte selbst von Beteiligten nicht zuver‐ français“ stellten ihren Gegenstand fraglos in den lässig rekonstruiert werden kann. Die meisten Zusammenhang mit der Präsenz internationaler Beiträge nutzten Tonträger, Musikvideos, Fanzi‐ Trends in Frankreich und mit den Austauschpro‐ nes und Zeitschriften sowie Fotografien als Quel‐ zessen der Frankophonie (SCOTT HENDERSON, St. len. Schon die für die Popmusik zentralen Events Catharines; CÉCILE PREVOST-THOMAS, Paris; wie Konzerte und die Aktivitäten des Publikums PHILIPPE GONIN, Burgund) oder verglichen ihn dort sind selten umfassend dokumentiert und mit der anglophonen Welt (DAVID LOOSELEY, wurden nur in einer Studie analytisch herangezo‐ Leeds). Systematisch vertrat diese Perspektive gen (SOLVEIG SERRE, Paris). MOTTI REGEV (Raanana) mit seiner These einer Fragt man nach systematischeren oder theo‐ kohärenten Weltgeschichte des Rock und Pop seit retischen Zugängen zu einer Sozialgeschichte der den 1960er-Jahren, der ein übereinstimmendes Rockmusik, dann kann man eine ganze Reihe von Muster nationaler/regionaler Adaptionsprozesse Perspektiven benennen, die einzelne Studien ver‐ der vom Rock’n’Roll ausgehenden Impulse unter‐ folgten – ohne dabei explizit auf geschichts- und liege. Andere empirische Studien bezogen sich auf kulturwissenschaftliche Theoriedebatten Bezug Konzepte der Hybridisierung am Beispiel des zu nehmen. Im Vordergrund stand die weit ge‐ „anatolischen Rock“ (HOLGER LUND, Ravensburg) fasste Frage nach Rockmusik in politischen Kon‐ und der Transkulturation (CLAUDE CHASTAGNER, texten. Untersucht wurden Musikprojekte als Montpellier). postkoloniale (IFALIANTSOA RAMIALISON, Paris) Ein Panel widmete sich der Frage nach Archi‐ und humanitäre Interventionen (LUIS VELASCO ven und Methoden. Nationalbibliotheken und ver‐ PUFLEAU, Paris), die Auseinandersetzung des Ma‐ gleichbare Einrichtungen versuchen, ihre kleinen, drider Punkrock mit der Franco-Vergangenheit heterogenen und stark von den Zufällen der Er‐ (MAGALI DUMOUSSEAU LESQUER, Avignon), die werbungsgeschichte geprägten popmusikalischen Reaktion der fnnischen Kulturpolitik auf das Vor‐ und popmusikbezogenen Bestände zugänglich zu dringen internationaler Popmusik (TARJA RAU‐ machen (ANDY LINEHAN, London). Dabei müssen TIAINEN-KESKUSTALO, Tampere), die Bedeutung sie sich ebenso mit den Beschränkungen durch französischer Popmusik im Franco-Spanien der Copyrights und Datenschutz auseinandersetzen 1960er-Jahre (ISABELLE MARC, Madrid), politi‐ sche Stimmungen als Ursachen für Aufstieg und 2 H-Net Reviews Niedergang der französischen Rockband „Trust“ Einfluss der US-amerikanischen Beatautoren auf (GEROME GUIBERT, Paris), künstlerische Ausein‐ die britische Rockmusikszene der 1960er-Jahre. andersetzungen mit der Militärdiktatur in Brasili‐ Ideologie und innere Struktur von Rockmusiksze‐ en (HOLLY HOLMES, Urbana-Champaign), der nen untersuchten MENG TZE CHU (Tainan) mit Streit um elektrische Gitarren in der chilenischen dem Blick auf Elitismus unter extremen Metal‐ Popularmusikbewegung der 1970er-Jahre (EI‐ heads und SOLVEIG SERRE (Paris) anhand der Ge‐ LEEN KARMY/MARTIN FARIAS, Santiago de Chile), meinschaftsideologie unter den Fans von „New Positionen südafrikanischer Popmusik zur Apart‐ Model Army“. Erstaunlich wiederum, dass körper‐ heid (SCHALK VAN DER MERWE, Stellenbosch), geschichtliche Aspekte nur im Beitrag von BODO Auseinandersetzungen um Punk-Rock in der spä‐ MROZEK (Berlin) zur transatlantischen Karriere ten Sowjetunion (CHRISTIAN WERKMEISTER, des Twist fokussiert wurden. Auf die Möglichkei‐ Jena), schließlich der Streit um die Frage, wie kri‐ ten eines metahistorischen Zugriffs verwies OLI‐ tisch Rockbands in den letzten Jahren der DDR VIER JULIEN (Paris) mit einer Relektüre klassi‐ auftreten konnten und auftraten (MICHAEL RAU‐ scher Arbeiten zur Geschichte des Rock’n’Roll. HUT, Agder). Eine spezifische transkulturelle Perspektive Weitere Zugänge richteten sich auf die Ent‐ schließlich eröffnete JEFF HAYTON (Urbana- wicklung der Musikindustrie am Beispiel der bri‐ Champaign) mit einer Studie zum London-Touris‐ tischen Electric and Musical Industries Ltd. (EMI) mus der ersten deutschen Punkrock-Fans. (DAVE LAING, Liverpool) und darauf, wie Musiker Eine beeindruckende Vielfalt ertragreicher auf Veränderungen in den Technologien der Mu‐ Aspekte; und doch ließe sich ohne große Mühe sikerzeugung (zum Beispiel Synthesizer) reagier‐ eine Liste ebenso vielversprechender Zugänge er‐ ten (JOHN WILLIAMSON, Glasgow). Selbstver‐ stellen, die in Lille kaum oder nur en passant ver‐ ständlich wurden Zusammenhänge zwischen Ras‐ folgt wurden – von Amateurbands und Clubs über se/Ethnizität und Rockmusikgeschichte angespro‐ Fans und Producer bis zu Studiotechnologien und chen, mit der Frage nach dem Verhältnis des Popmusikkritik. Vom Umfang her erweist sich die Rock’n’Roll zur „Blackness“ (KEIVAN DJA‐ Geschichte der Rockmusik als ein ganzer Konti‐ VADZADEH, Paris) und mit einer Studie zur Ent‐ nent – und noch dazu als ein durch und durch wicklung