<<

Kultur

POP Alle Macht den Mädchen Vor zwei Jahren traten fünf junge britische Frauen an, die Popwelt zu erobern. Inzwischen sind die die erfolgreichste Mädchenband der Welt, nächste Woche erscheint ihr zweites Album. Die Botschaft lautet: „Schreien macht Spaß.“

s sah nicht so aus, als ob dieser Au- Botschaft: Wenn die Plattenbosse käufli- tische Teenie-Magazin „“, über gust-Tag im Jahr 1995 ein guter Tag ches und verkäufliches Sexspielzeug enga- die fünf zu schreiben. „Unsere Leserinnen Efür Ashley Newton werden würde. gieren wollten, dann sollten sie doch den haben Frauenbands immer gehaßt“, sagte Der Vize-Chef von Virgin Records in Lon- Plastikpuppen den Vertrag geben. ein Redakteur, „sie haben Angst, daß die don stand nervös in seinem eigenen Vor- Die kleine Demonstration war auch für ihnen die Jungsidole wegnehmen.“ Das zimmer herum und blickte aus dem Fen- jene Journalisten inszeniert, die Virgin zur war durchaus kein abwegiger Gedanke: Als ster. 18.05 Uhr. Die fünf Mädchen hätten Vertragsunterzeichnungsparty eingeladen die deutsche Mädchenformation „Funky schon längst dasein sollen, um ihren Plat- hatte. Ein paar Minuten später erschienen Diamonds“ 1996 im Vorprogramm der tenvertrag zu unterzeichnen. Nichts zu se- die fünf Heldinnen. Sie unterschrieben, Backstreet Boys auftrat, raste das weibliche hen.Vielleicht, so fürchtete er schwitzend, und dann warfen die Mädels jubelnd die Publikum – vor Wut und vor Eifersucht. hatten sie doch bei der Konkurrenz von Puppen die 15 Stockwerke hinunter. Lang- Frühere Frauen-Vokalgruppen wie die London Records unterschrieben, die am sam trieben die Gummi-Barbies im drecki- Pointer Sisters, die Supremes oder Ba- Vortag die Mädchen noch mal mit einem gen Kanalwasser, nackt und mit begriffs- nanarama richteten sich vornehmlich an Angebot gelockt hatte. stutzig geöffnetem Mund. eine männliche und ältere Zielgruppe. Der Dann hielten zwei Stretchlimousinen Spätestens nach diesem Abend kannte Trick der Spice Girls – oder ihrer Manager: vor dem Eingang der Plattenfirma. Die Au- fast jeder in der Londoner Musikszene den Sie setzten auf Frauensolidarität statt auf totüren gingen auf – und fünf aufblasbare Namen der fünf: Spice Girls. Und zwölf Konkurrenz. „If you wanna be my lover, Sexpuppen purzelten heraus. Die deutliche Monate später waren sie weltberühmt. Ihre you gotta get with my friends“, sangen sie erste Single „“ wurde Nummer in ihrem Hit „Wannabe“, und die Freunde, eins in 31 Ländern und verkaufte bis heu- das waren keine Jungs, sondern die jeweils te 4,5 Millionen Exemplare, das Video 1,1 anderen Spice Girls. Auch die Zielgruppe Millionen. Im November vergangenen Jah- der 10- bis 15jährigen Mädchen hängt nach- res veröffentlichten die Spice Girls ihr er- mittags mit den besten Freundinnen zu- stes Album „Spice“, und zum erstenmal sammen und telefoniert abends stunden- stieg ein britisches Debütalbum auf Platz lang miteinander. Jungs sind da oft noch eins in der amerikanischen Hitparade ein. Randprogramm oder ferne Theorie. Weltweit verkauften die Spice Girls 18 Mil- Außerdem haben die Spice Girls, im Ge- lionen CDs mit ihrer fröhlich-leichten gensatz zu sämtlichen Boygroups, eine of- Bubble-gum-Musik. fensive Botschaft zu bieten. „Girl Power“ Nun wollen die Mädchen ihre Weltherr- bedeutet: alle Macht den Mädchen. Im we- schaft auf dem Popmarkt ausbauen: Gera- sentlichen meinen die Mädels damit, daß de hat die Single „Spice up your Life“ El- jede Frau sie selbst sein soll, statt sich ir- ton Johns Diana-Trauerlied „Candle in the gendwelchen, im Zweifelsfall von Män- Wind“ in England von Platz nern erfundenen Normen zu eins der Charts verdrängt.Am beugen. Die Spice Girls pro- kommenden Montag erscheint „Das Leben fitieren vom Bedürfnis der „Spiceworld“, das zweite Al- ist zu kurz“, Teenager nach unabhängigen, bum, Weihnachten kommt behaupten fröhlichen und erfolgreichen „Spiceworld The Movie“ in die Spice weiblichen Vorbildern. Die die britischen Kinos (Deutsch- Teenie-Mädchen der Gegen- landstart: 8. Januar), und näch- Girls, „also wart warten nicht mehr auf stes Frühjahr sollen die Spice hab Spaß den Prinzen im Porsche – sie Girls erstmals auf Tournee ge- und sei wollen lieber selbst einen hen. Jedes Ereignis macht Sportwagen fahren. Werbung für das nächste. schillernd“ „Sie, die es wagt, gewinnt“, „Unser Plan ist“, sagt das heißt es auf dem weißen und Spice Girl Geri, „der ganzen Welt Würze pastellfarbenen Cover des Debütalbums, zu geben.“ oder „Die Zukunft ist weiblich“ oder Die Mädchen füllen eine Marktlücke. „Schweigen ist Gold, aber Schreien ist Sie haben die Girlgroup etabliert – als Ge- Spaß“. Der Titel der neuen Single fordert: genstück zu Boygroups wie früher Take „Gib Deinem Leben Würze!“ Das Spice That oder jetzt die Backstreet Boys. An- Girl Victoria formuliert die Girl-Ideologie

ALL ACTION fangs glaubte kaum jemand, daß sich die so: „Das Leben ist zu kurz, also hab Spaß Spice-Girls-Barbiepuppen Girlband fürs Teeniepublikum durchsetzen und sei schillernd“ – Feminismus als Leh- Zeugnis des neufeministischen Zeitgeists würde. So weigerte sich zunächst das bri- re von Fun und Freiheit.

240 der spiegel 44/1997 Popidole Spice Girls*: Prinz Charles den Hintern tätscheln und in Topfpflanzen pinkeln CAMERA PRESS DIGITAL

Und so tätschelt mal die eine medien- Mädchen noch Jungen zu vermitteln. Heu- die ein Gesangslehrer ihnen empfohlen wirksam Prinz Charles den Hintern, redet te ist der ulkig inszenierte Aufstand längst hatte. eine andere über ihren Vibrator und gibt Mainstream. Allerdings mochten die Mädchen ihre wieder eine andere zu, Nasenpopel unter Das hatten die Entdecker der Mädchen Förderer nicht besonders. So trug etwa Bob den Tisch zu werfen. Die Spice Girls rüh- schon im Februar 1994 erkannt. Damals gern den rettungslos überholten „Miami men sich damit, auf Topfpflanzen zu pin- plazierten Bob Herbert und sein Sohn Vice“-Stil, also Anzüge in leuchtenden Far- keln, und sagen öfter mal „fuck“. Dazu Chris zweimal eine Anzeige in „The ben, und darunter ein T-Shirt: kaum der tragen sie kurze Kleider oder bauch- Stage“, der Pflichtlektüre für Möchtegern- passende Mann für die neunziger Jahre. freie Oberteile – eine maßvoll wilde Mi- Stars: „Bist du 18 bis 23 mit dem Talent zu Die fünf waren selbstbewußt genug, Vater schung aus Frechheit und femininem Auf- singen und zu tanzen?“ – mit ähnlichen und Sohn vor die Tür zu setzen. Mit ihren begehren. Inseraten werden auch Mitglieder von Boy- Co-Songschreibern kamen sie nämlich viel „Alles in allem ist das so gefährlich und groups gesucht. besser zurecht. Die vermittelten die Mäd- machtvoll wie Enthaarungscreme“, höhn- Aus 400 Mädchen wählten die Herberts chen im März 1995 an Simon Fuller, der te der britische „Independent“, und natür- beim Vorsingen und -tanzen 5 aus und mal die erfolgreiche Popsängerin Annie lich fällt es da schwer zu widerspre- nannten die Formation „Touch“. Bis auf Lennox gemanagt hatte. Die Herberts wur- chen. Das weibliche Gegenmodell zu den Geri hatten alle Schauspielschulen besucht. den ausbezahlt, die Formation umbenannt Spice Girls – lieb, schüchtern und ange- Die beiden Manager mieteten ein Haus für in Spice Girls. paßt – wäre nach Madonnas Dauerprovo- die Mädchen, organisierten Tanz- und Ge- Fuller schickte verschiedenen Platten- kationen der vergangenen 15 Jahre weder sangsunterricht und ersetzten nach einer firmen Fotos und ein paar Musikschnipsel Weile die offenbar zu untalentierte Mi- und heizte so in kurzer Zeit ein Wettbieten * Mel B, Mel C, Geri, Emma, Victoria. chelle Stephenson durch Emma Bunton, an.Virgin bekam den Zuschlag – angeblich

der spiegel 44/1997 241 Kultur auch, weil die Firma keine andere große Wer nach einer Spice-Girls-CD verlangt Gruppe im Programm hatte und so alles in oder einer Spice-Girls-Pepsi, der bekennt die fünf Mädchen investieren konnte. sich zur „Girl Power“ und wird Teil des Erfolgversprechend schien vor allem neufeministischen Zeitgeists. Jeden Tag jene Idee, die die Spice-Girls-Manager von verdienen die Mädchen 440000 Mark mit den Boygroups – und diese unter anderem Spice-Produkten, ständig kommen neue von der New Yorker Truppe Village People Fanartikel auf den Markt. Zu Weihnachten – kopiert hatten: Jedes Mitglied steht für ei- beispielsweise bringt Polaroid einen Foto- nen bestimmten Typ. Das ist die optimale apparat namens „Spicecam“ heraus. Popmixtur aus Heterogenität (jede ist an- Ihren Charme verdanken die Spice Girls ders) und Homogenität (fünf Freundinnen auch ihrer aufgekratzten Widersprüchlich- sollt ihr sein). keit. Jede Bemerkung ist genauso ernst ge- Bei den Spice Girls ist das so aufgeteilt: meint wie ironisch, mal verstehen sie sich Geraldine Halliwell (Geri), 25, war mal als Künstlerinnen, mal erklärt Victoria, ihr Nacktmodell, ist rothaarig, sexy und Haupttalent bestehe darin, beim Tanzen diejenige, die ständig „Girl im Minikleid niemanden ih- Power“ brüllt. Melanie Brown ren Slip sehen zu lassen. Sie (Mel B), 22, ist unbefangen, di- 13 Ex-Freunde demütigen junge Männer, die rekt und das Mädchen von erzählten von sie mit einem blöden Spruch der Straße. Melanie Chisholm gemeinsamen anmachen, und sie lassen zu, (Mel C), 21, ist die burschiko- Nächten, Geris daß lizenzierte Spice-Girls- se Sportlerin, die Adidas-Ho- Barbiepuppen in den Spiel- sen trägt und Flic-Flacs macht. Nacktfotos zeugläden angeboten werden. Victoria Addams, 22, ist die wurden so oft Sie sind stolz auf Fanbriefe, in einzige, die aus der besseren wie möglich denen Mädchen verkünden, Gesellschaft kommt und mit gezeigt daß ihnen erst die Spice Girls einem Rolls-Royce zur Schule das Selbstbewußtsein gaben, gefahren wurde; sie trägt am ihrem Freund den Laufpaß zu liebsten Gucci und Prada und lächelt nie. geben. Und sie lassen sich ungerührt von Emma Bunton, 21, die jüngste und mit 1,55 der Punk-Designerin Vivienne Westwood Meter die kleinste, ist als einzige auch noch beschimpfen: Die warf ihnen vor, daß sie blond. die moralisch verwerfliche Einstellung ver- Das ist eine peppig-clevere Mischung, körperten, man müsse sich nur mit Ellen- für jeden Mädchengeschmack ist etwas da- bogen den Weg nach oben bahnen, selbst bei. Alle Spice Girls sind nett anzusehen, wenn keinerlei Können das rechtfertige. abschreckend schön ist keine. Und die Im Internet gibt es mittlerweile Zehn- spaßigste Marketingidee entstand, wie mei- tausende von Eintragungen zu den Spice stens, zufällig. Ein paar Redakteure des Girls. Die meisten sind Ergebenheits- BBC-Musikmagazins „“ adressen von Fans, auf „Hate Pages“ aber gaben den Mädels kategorisierende Spitz- können die Netzsurfer sich über entstellte namen: Geri wurde wegen ihrer roten Haa- Fotos amüsieren oder die Mädchen per re zu „Ginger Spice“, Mel B wegen der Mausklick ohrfeigen.Vielleicht würden sie gepiercten Zunge zu „Scary Spice“, Mel C gehaßt, weil „wir nicht die allerbesten Sän- hieß „Sporty Spice“,Victoria „Posh Spice“ gerinnen sind“, sagt Geri, „wir sind keine und Emma „Baby Spice“. fünf Mariah Careys“. Mit dem Ruhm wurden natürlich auch Ärger handelte sich die Fünferbande ein paar weniger schöne Dinge in die Spal- auch mit ihren Äußerungen zur britischen ten der Yellow press gespült: 13 Ex-Freun- Politik ein. Ende vergangenen Jahres in- de erzählten von gemeinsamen Nächten, terviewte das konservative Politmagazin ein unerfreuliches Video einer früheren „The Spectator“ die Mädchen, und Geri Probe tauchte auf, Geris Nacktfotos wur- nannte, Reporterglück, die Ex-Premiermi- den so oft wie möglich gezeigt, und von nisterin Thatcher „das erste Spice Girl“. Emma erschien ein Bild, auf dem sie mop- Doch Tony Blair verkündete bald darauf pelig im Badeanzug am Strand steht. Ge- anbiedernd, „Wannabe“ sei eine der zehn meinerweise druckte die Zeitung auch Platten, die er auf eine einsame Insel mit- noch eine Nahaufnahme ihres Hinterns ab. nehmen würde. Auch blieb nicht verborgen, daß das er- Auf dem Parteitag der Liberalen frag- ste und einzige Live-Konzert der Mädchen ten die Delegierten sich gegenseitig ihr in Miami ein Desaster war. Egal: In der Wissen über die Mädchen ab. Und sogar im globalisierten Popkultur verbreitete sich Parlament wurden die Spice Girls zitiert. In der Ruhm der Spice Girls dennoch mit ra- einer Parlamentsrede variierte der dama- sender Geschwindigkeit bis nach Rußland lige konservative Finanzminister Kenneth und Thailand. Überall laufen die gleichen Clarke die bekannteste Zeile aus „Wan- Filme, wird die gleiche Musik gespielt, gibt nabe“ – „All I want, all I really really es die gleiche Mode zu kaufen. Einen ge- want“, begann er und hängte an: „is a lungenen Samstagabend stellen sich Teen- strong economy with low inflation.“ ager in Singapur nicht viel anders vor als Die Spice Girls verlangten „zigazig ha“. Gleichaltrige in London und Herford.Also Was, genau betrachtet, eine fast ebenso haben sie auch die gleichen Idole. starke Aussage ist. ™

der spiegel 44/1997 243