Guido Goldschmiedt (1850-1915). Ein Jüdischer Chemiker Zwischen Wien
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JIŞÍ PEŠEK – NINA LOHMANN Guido Goldschmiedt (1850–1915). Ein jüdischer Chemiker zwischen Wien und Prag I. Einleitung Die äußerst produktive Zusammenarbeit der Historiker der Universität Wien und der Prager Karls-Universität seit dem Ende des Kalten Kriegs aktualisiert die Frage nach einem historischen Vorbild für eine solche Kooperation. In diesem Kontext bietet sich die Epoche der Habsburger- monarchie an: Fragen wir also nach der Beziehung der beiden Universitä- ten in jener »traumhaften« Zeit um 1900. Besonders geeignet für einen solchen Vergleich erscheint dabei das Verhältnis der Wiener Universität zu der damaligen Prager Deutschen Universität, also zur deutschsprachigen Hälfte der im Jahre 1881/1882 geteilten Prager Karl-Ferdinands-Univer- sität.1 Diese relativ kleine, allerdings in einer Reihe von Fächern exzel- lente Universität an der Moldau war bis zum Ende der alten Monarchie durch vielfältige personelle Kontakte mit der Wiener Alma Mater und an- deren österreichischen Universitäten verbunden. In dieser engen Verbin- dung spielte nicht zuletzt das Wiener Ministerium für Cultus und Unter- richt eine große Rolle, da es die Personalpolitik aller zisleithanischen Hochschulen maßgeblich dirigierte. Viele Personalrochaden zwischen Wien und Prag und umgekehrt müssen also nicht nur als Ergebnis zielge- richteter Entscheidungen einzelner Wissenschaftler bzw. als Umsetzung der Personalpolitik einzelner Fakultäten und Hochschulen betrachtet werden, sondern vielmehr als Ergebnis der Strategie und Taktik der hohen Wiener Ministerialbürokratie und allgemeiner der Hochschulpolitik. Die Prager Deutsche Universität konnte sich in diesem Sinne zwar mit mehreren berühmten Namen schmücken (an dieser Stelle seien Albert Einstein und Ernst Mach als die vielleicht prominentesten Bei- spiele genannt); die meisten wichtigen Wissenschaftler verbrachten aber nur einige Jahre in ihrem Dienst und zogen dann weiter an größere und wichtigere Universitäten.2 Die Universität Wien war in diesem Kontext 1 Vgl. Jişí PEŠEK/Ludmila HLAVÁČKOVÁ/Alena MÍŠKOVÁ, The German University in Prague 1882–1918, in: František KAVKA/Josef PETRÁŏ (Hg.), A History of Charles University, Praha 2001, Vol. II., 163–174; Jişí PEŠEK/Alena MÍŠKOVÁ/ Ludmila HLAVÁČKOVÁ/Petr SVOBODNÝ/Jan JANKO, The German University of Prague 1918–1939, in: ebd., 245–256. Zur Teilung der Prager Universität: Ferdi- nand SEIBT (Hg.), Die Teilung der Prager Universität 1882 und die intellektuelle Desintegration in den böhmischen Ländern, München 1984. 2 Vgl. Jişí PEŠEK, Die Prager Universitäten im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts: 80 Jişí Pešek – Nina Lohmann stets das beliebteste und begehrteste (und auch – im Vergleich mit den wichtigsten Universitäten im Deutschen Reich – erreichbarste) Ziel der aufstiegshungrigen Prager Aspiranten.3 Dabei spielte natürlich eine nicht unwesentliche Rolle, dass die meisten Prager Professoren auf ihrem Karriereweg eine Etappe in Wien und weitere an anderen öster- reichischen oder deutschen Universitäten verbracht und dort dauer- hafte Freundschaften und Fachkontakte geknüpft hatten. Entscheidend für den Wunsch vieler erfolgreicher Professoren, die Prager Universität wieder zu verlassen, war allerdings keinesfalls die inneruniversitäre akademische Atmosphäre: Die relativ gut ausgestattete Prager Universität war im Gegenteil für viele Forscher schon dadurch angenehm, dass es hier (im Vergleich zu Wien, Leipzig oder Berlin) keinen Massenbetrieb gab und jeder Professor die Möglichkeit hatte, seine wissenschaftlichen Themen mit ganzer Kraft und viel Zeit anzu- gehen. Auch die Belastung durch außerakademische Funktionen war hier kleiner als in Wien. Der wichtigere Faktor für das Bestreben, die Prager Universität zu verlassen, war vielmehr die Position der deutschsprachigen Gesell- schaft, also auch der Deutschen Universität, in der weitgehend schon »tschechisierten« böhmischen Metropole. Die Prager Agglomeration umfasste um 1900 schon etwa 600.000 Einwohner4, davon war jedoch nur ein Zehntel deutscher Zunge (von diesem waren mehr als die Hälfte Juden, die als Verbindungsglied zwischen den beiden Sprachgemein- schaften galten).5 Die deutsche akademische Gesellschaft bewegte sich Versuch eines Vergleichs, in: Hans LEMBERG (Hg.), Universitäten in nationaler Konkurrenz. Zur Geschichte der Prager Universitäten im 19. und 20. Jahrhundert, München 2003, 145–166; DERS., Prag und Wien 1884 – ein Vergleich zwischen den Universitäten und deren Rolle für die Studenten aus den Böhmischen Ländern, in: Andrei CORBEA-HOISIE/Jacques LE RIDER (Hg.), Metropole und Provinzen in Alt- österreich (1880–1918), Wien 1996, 94–109. 3 Vgl. Jişí PEŠEK/Alena MÍŠKOVÁ, Die Prager Deutsche Universität und die Gesell- schaft zur Förderung deutscher Wissenschaft, Kunst und Literatur in Böhmen als ein kulturell-politisches Doppelzentrum der deutschböhmischen Gesellschaft, in: Michaela MAREK/Dušan KOVÁČ/Jişí PEŠEK/Roman PRAHL (Hg.), Kultur als Ve- hikel und Opponent politischer Absichten. Kulturkontakte zwischen Deutschen, Tschechen und Slowaken von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die 1980er Jah- re, Essen 2010, 189–210, hier 193f. 4 Jişí PEŠEK, Urbanisierung und Assimilation in Prag von der Dualismuszeit bis zum Zweiten Weltkrieg, in: Südostdeutsches Archiv 34–35 (1991/1992), 43–54; DERS., Od aglomerace k velkomĩstu. Praha a stşedoevropské metropole 1850–1920 [Von der Agglomeration zur Großstadt. Prag und die mitteleuropäischen Metropolen 1850–1920], Praha 1999. 5 Vgl. Gary B. COHEN, The Politics of Ethnic Survival. Germans in Prague 1861–1914, Princeton/NJ 1981, 86ff., 116–136, 152–162; Robert LUFT, Nationale Utraquisten in Böhmen. Zur Problematik ›nationaler Zwischenstellungen‹ am Ende des 19. Jahrhun- derts, in: Maurice GODE/Jacques LE RIDER/Françoise MAYER (Hg.), Allemands, Juifs et Tchèques à Prague. Actes du colloque international de Montpellier 1994, Montpellier 1996, 37–40. Guido Goldschmiedt 81 also quasi auf einer »deutschen Insel« bzw. in der slawisch belagerten »deutschen Festung« in Prag. Diese Situation war für manche – beson- ders nichtjüdische – deutsche Gelehrte, viel mehr noch für ihre Ehe- frauen und Kinder, schwierig bis unerträglich. Das lag nicht zuletzt daran, dass das Prager Milieu um 1900 auf- grund eines ausgeprägten deutschen wie tschechischen Nationalismus hoch konfliktgeladen war. Selbstverständlich fehlte auch in dieser spezi- fischen Konstellation nicht der in ganz Europa in dieser Zeit verbrei- tete Antisemitismus. Im Vergleich zu der ausgeprägt antisemitischen Atmosphäre im kaiserlichen Wien oder gar in Graz wurde in Prag die »christliche« Aversion gegen die Juden aber durch den Nationalitäten- kampf zwischen Deutschen und Tschechen weitgehend überdeckt (so finden wir jüdische Politiker etwa auch in den Leitungsgremien der tschechischen nationalistischen Parteien, und jüdische Unternehmer spielten eine große Rolle in der Prager deutschen Politik).6 Das machte Prag für jüdische Professoren, die in ihrer bisherigen Karriere durch antisemitische Vorurteile der Politik oder der Ministerialbürokratie ge- bremst worden waren, durchaus attraktiv. Die Prager Deutsche Universität war also auch dadurch spezifisch, dass sie im mitteleuropäischen Vergleich eine Hochschule mit einem extrem hohen Anteil an jüdischen oder zumindest sich als jüdisch- stämmig definierenden Dozenten und Studenten war.7 Dies galt zwar vor allem für die Medizinische und die Juristische Fakultät; allerdings wurden auch einige Fächer der Philosophischen Fakultät, die zu dieser Zeit sowohl geisteswissenschaftliche Fächer als auch die Mathematik und Naturwissenschaften umfasste, in dieser Epoche des Nationalis- mus und Antisemitismus als »jüdisch« bezeichnet.8 So auch die Chemie, welche wir für unser Beispiel gewählt haben. Diese war um 1900 eine noch junge Wissenschaft. Erst in den 1840er 6 Zur Lage der Prager jüdischen Bevölkerung, zum Antisemitismus in Prag und zu den Motiven der jüdischen Studenten, Prag als Studienort zu wählen, vgl. Jan HAVRANEK, Structure sociale des Allemands, des Tchèques, des chrétiens et des juifs à Prague, à la lumière des statistiques des années 1890–1930, in: GODE/LE RIDER/MAYER (Hg.), Allemands, Juifs et Tchèques, 71–81; Wilma IGGERS, Juden zwischen Tsche- chen und Deutschen, in: Zeitschrift für Ostforschung 37 (1988), 428–441; Kateşina ČAPKOVA, Jewish Elites in the 19th and 20th Centuries. The B nai B’rith Order in Central Europe, in: Judaica Bohemiae 36 (2000), 119–142; Trude MAURER, Juden im Prager deutschen Bürgertum, in: Judaica 58 (2002), 172–187. 7 Vgl. Jişí PEŠEK, Jüdische Studenten an den Prager Universitäten 1882–1939, in: Marek NEKULA (Hg.), Franz Kafka im sprachnationalen Kontext seiner Zeit, München 2006, 211–225. 8 Vgl. Aleksandra PAWLICZEK, Akademischer Alltag zwischen Ausgrenzung und Er- folg. Jüdische Dozenten an der Berliner Universität 1871–1933, Stuttgart 2011, hat für Berlin 1871–1933 die Quote der jüdischen bzw. »jüdischstämmigen« Dozenten auf 24,1 Prozent beziffert. Als »jüdische Fächer« galten in Berlin besonders Expe- rimentalpsychologie, Sozialhygiene, Mathematik und Geschichte (301). Mit dem »latenten Antisemitismus« paarte sich in Berlin auch der Antikatholizismus (467). 82 Jişí Pešek – Nina Lohmann Jahren hatte sie sich an der Prager Universität in ihrer modernen Ausrich- tung etabliert: zunächst an der Medizinischen, seit 1848 an der Philoso- phischen Fakultät, seit der Reform des medizinischen Studiums 1873 dann parallel an beiden Fakultäten.9 Gerade die Position einer jungen und bisher nicht in festen Machtstrukturen »versteinerten«