Mauerblümchen Groß in Form Kinotriumph Für Eine Britische Show-Frau: Jane Horrocks Spielt „Little Voice“
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
FILM Mauerblümchen groß in Form Kinotriumph für eine britische Show-Frau: Jane Horrocks spielt „Little Voice“. anche Filme sind nach hundert Mi- nuten gnädig zu Ende, ohne daß Msie die Frage beantwortet hätten, warum es sie überhaupt gibt (oder warum man nun etwas darüber erzählen sollte, außer um einen Text abzuliefern). Bei an- deren, bei „Little Voice“ etwa, stellt sich die Frage nicht, weil Seele und Sinn der Unternehmung sich auf den ersten Blick „Little Voice“-Star Horrocks (r.) mit Annette Badland: Ihr Herz gehört ihrem Daddy offenbaren: Diesen Film gibt es, weil es Jane Horrocks gibt, er ist nur für sie und Fransen kulleräugig in die Welt, ganz Taubenzüchter Billy (Ewan McGregor), der um sie herum zusammengebastelt. scheues Reh, wie es im Buche steht, mit sie für stumm hält, rühren ihre seelentiefen Zu bewundern ist also, wenn man dafür winzigem Stimmchen kaum zu einem Wort blauen Augen so sehr, daß er sich mit einer Sinn hat, eine kindlich zarte, ja schmächti- fähig, doch glücklich versponnen in die Montagebühne vor ihr Dachfenster heben ge britische Schauspielerin und Sängerin Traum- und Erinnerungswelt ihres Dach- läßt, um ihr seine Liebe zu erklären. mit einer verblüffenden Spezialbegabung, boden-Zimmers in dem tristen nordengli- Dem anderen jedoch, Ray Say (Michael einem geradezu chamäleonhaften Stimm- schen Seebad, wo die Geschichte spielt. Caine), einem verkommenen Provinz-Re- Imitationstalent: Wenn sie aus voller Brust Ihr Familienname könnte gut Wingfield vueagenten und Gelegenheitsliebhaber ih- einen Song von Judy Garland, Shirley Bas- sein, denn Laura Wingfield, dem klassi- rer bumslustigen Mutter (Brenda Blethyn), sey, Billie Holiday oder Marlene Dietrich schen Rührstück-Sensibelchen aus der geht Lauras Judy-Garland-Stimme, als er anstimmt, ist der Kontrast zwischen ihrer „Glasmenagerie“ von Tennessee Williams, sie eines Nachts zufällig hört, so macht- elfenhaften Figur und dem voluminösen ist sie in manchem nachgebildet – nur daß voll durch Mark und Bein, daß er sein Organ von einer Wirkung, die im Lauf von ihre Glücks-Innenwelt nicht aus Glasfigür- sprichwörtliches letztes Hemd und zuletzt sieben Jahren zu einer bemerkenswerten chen besteht, sondern aus der Schallplat- sogar seinen Oldtimer-Cadillac verscher- Karriere geführt hat. Sie gipfelt nun in der tensammlung ihres verstorbenen Vaters. belt, um das ängstliche, kontaktgestörte Verfilmung des Theaterstücks „The Rise Da sitzt sie dann nachts, wenn alle Welt Mauerblümchen als Nachtclub-Star groß and Fall of Little Voice“, dessen Titel ei- schläft, anbetungsvoll vor dem lächelnden herauszubringen. Natürlich ist der kurze gentlich schon verrät, daß auch solche Phä- Foto ihres Daddys, hört sich wieder und Weg zum Ruhm alles andere als glaubhaft, nomene ihr Verfallsdatum haben. wieder seine Lieblingsnummern an und doch reich an Gelegenheiten für das Duo Dieses schlicht gestrickte Bühnen-Vehi- beginnt irgendwann, allein für sich (und Blethyn und Caine, mit komödiantischer kel, verfaßt von Jim Cartwright, filmisch für ihn) mit ihrer mirakulös aufblühenden Hemmungslosigkeit über die Stränge zu aufbereitet von Mark Herman, tut sein Be- Stimme diese Lieder zu singen. schlagen, und natürlich erweist sich im Au- stes, um den Gegensatz von Körper und Zwei Männer werden auf das scheue genblick von Lauras Triumph, der zugleich Stimme ins Rührselige zu steigern: Jane Vögelchen aufmerksam: Den einen, den ihr Scheitern bedeutet, die Darstellerin als Horrocks als Laura schaut unter blonden schüchternen Telefontechniker und Hobby- Show-Frau von echtem Format. Über Jane Horrocks, 35 und im soge- nannten wirklichen Leben Mutter von zwei Kindern, ließe sich noch sagen: Ihre erste auffällige Filmrolle hatte sie vor neun Jah- ren in Mike Leighs „Life is Sweet“ als ma- gersüchtiges Girlie, das sich über und über mit Nutella beschmierte; im Wechsel zwi- schen komödiantischen Fernsehauftritten und Experimentiertheater-Abenteuern (als Lady Macbeth zum Beispiel mußte sie in jeder Vorstellung auf offener Bühne pin- keln) ist sie vorangekommen; seit der Pre- miere von „Little Voice“, 1992 im Londo- ner National Theatre, gilt sie als Star. Ihre „Little Voice“-Darbietung ist, auch im Film, ein Show-Business-Triumph mit klassischer Show-Business-Doppelmoral, die da lautet: Auch der schönste Show-Bu- siness-Triumph ist Staub und Asche gegen die aufrichtige Liebe eines Brieftauben- „Little Voice“-Stars Caine, Blethyn: Immer volle Pulle züchters. Urs Jenny 222 der spiegel 25/1999.