24 Die Spanier in (1586-1598) „… dass sich die armen Untertanen jederzeit neutral ver- halten haben …“ – Die Spanier in Moers (1586-1598) Prof. Dr. Ralf-Peter Fuchs

1. Zur Einführung: „Jammer und schen Krieg“, Ernst von Wittelsbach, zum Elend“ in Neuss Niederrhein weitergezogen. Der Graf von Es mag uns nur lückenhaft gelingen. Moers, Adolf von Neuenahr, der dem pro- Aber versuchen wir einmal, die Perspek- testantischen Protagonisten in diesem tive der Einwohner von Moers einzuneh- Krieg, Gebhardt Truchsess von Waldburg, men, als sie im Hochsommer 1586 davon zur Seite gesprungen war, war einer ihrer hörten, dass sich der Herzog von Parma Hauptgegner. Er befand sich nicht mehr als berühmter Feldherr eines königlich- in seiner Residenzstadt, sondern war spanischen Heeres in ihrer Nähe befand längst selbst als Oberbefehlshaber von und ihnen drohte, unmittelbar in Kampf- angeworbenen Truppen zu Eroberungen handlungen, die zu dieser Zeit von ver- von Orten in der weiteren Umgebung schiedenen Kriegsparteien ausgetragen unterwegs. wurden, hineingezogen zu werden. Vor allem auf das Schick- Einer der engen sal, das die Einwohner Vertrauten des Gra- von Neuss nur wenige fen von Moers, Her- Tage zuvor erlitten mann Friedrich von hatten, ist in diesem Pelden-Cloudt, wohl Zusammenhang ein- der Sohn des vor- zugehen. Selbst Men- maligen Moerser schen, die sich eher Drosten, war von ihm wenig um das scher- zum Kommandan- ten, was die Mächti- ten der Stadt Neuss gen bewegte, dürften eingesetzt worden, mit Blick darauf von um diese strategisch Angst und Schrecken wichtige Festung, die ergriffen gewesen Die Eroberung von Neuss 1586 erst im Mai 1585 von sein. Truppen des Grafen erobert worden war, zu halten. Adolf von Truppen des Herzogs von Parma, - Statthalter der Niederlande im Auftrag fen sich damit Nachruhm, wie man an des Königs Philipp II. von Spanien, hat- ihrer Erwähnung in Geschichtswerken ten in den Monaten zuvor militärische dieser und späterer Jahre sehen kann. Gebietsgewinne durch Kämpfe und Be- Cloudt unternahm von Neuss aus zahl- lagerungen im Raum Geldern erzielt reiche Ausfälle, die ihn weiter ins Territo- und waren zur Unterstützung des katho- rium des Erzstifts Köln führten, wie etwa lischen Erzbischofs von Köln im „Kölni- nach Zons, Worringen und Deutz. Die Spanier in Moers (1586-1598) 25

Umgekehrt gelang es dem Herzog reitschaft. Die Gespräche führten jedoch von Parma, mit Grave und zwei zu keiner Einigung. wichtige Städte im brabantisch-geldri- schen Raum militärisch in seinen Besitz Lassen wir einmal dahingestellt, ob zu bringen. Nachdem er bereits Truppen die in einer Flugschrift aufgestellte Be- vorgeschickt hatte, um die Belagerung hauptung, Cloudt habe dabei ein Attentat von Neuss vorzunehmen, erreichte er auf den Herzog von Parma durchführen selbst am 10. Juli 1586 die Stadt. Eine wollen, dem dieser nur knapp entgangen bedrohliche Streitmacht von 1500 Rei- war, zutrifft. Am 25. Juli wurde der Angriff tern und 8000 Fußsoldaten stand un- auf Neuss eingeleitet, einen Tag später ter seinem Oberbefehl, mit der er die noch verstärkt, wobei es den Angreifern Übergabe forderte. Hermann Friedrich letztlich glückte, in die Stadt zu gelan- von Pelden-Cloudt, der für die Vertei- gen. Unmittelbar nach dem Eindringen digung der Stadt im Auftrag des Grafen der Soldaten des Herzogs von Parma von Moers zuständig war, widersetzte wurden die Verteidiger grausam nieder- sich zunächst rigoros jeglichen Verhand- gemetzelt. Nachdem ein Feuer in der lungen zur Kapitulation. Erst am 24. Juli, Stadt ausgebrochen war, wurde Gewalt nachdem die Angreifer bereits Laufgrä- auch gegenüber Zivilisten, unter ihnen ben um die Stadt gezogen hatten und Frauen und Kinder, ausgeübt. Der Autor Beschießungen vorgenommen hatten, dieser Flugschrift schreibt hierzu: gab Cloudt Zeichen zur Verhandlungsbe- „Vorbemelter Friderich Herman Clut [= Cloudt] / angemaßter Gubernator / ist / nach dem er auff der gegen Wehr geschos- sen und verwund war / und also auffm beth gelegen / von seinen Feinden gefangen ge- nommen / und haben jm ein Thar krantz umb den halß gehenckt [= einen Teerkranz um den Hals gehängt] / und ein Tharkrantz einer Kronen gleich auff sein haupt gesetzt / und darnach zum fenster am hause hin- auß gehenckt worden / sampt etlichen sei- nen Befehlshabern. Man hat vil Todten / die hin und wider gelegen [= die durcheinander herumlagen] / zusamen bracht / in ein Keller geworffen und verbrandt worden. Nach allem solchen Jamer und Ellendt / hat man lassen herfür kommen, die noch beim leben gewesen / von Burgern / Borgers Weibern und Kin- Alessandro Farnese, Herzog v. Parma (1545-1592) dern / die hat man gefangen genommen / 26 Die Spanier in Moers (1586-1598)

auff das sy sich Rantionirten [= freikaufen Dokument aus dem Stadtarchiv Mülheim, sollten], die sich aber nicht haben können auf das ebenfalls eingegangen wird, zei- Ransaunen [= freikaufen] oder Gelt geben gen, dass in den Nachbarstädten von / die hat man umbracht. Etliche sein inn Moers ebenfalls wichtiges Material über Kellern und Löchern, so eingefallen, sind erstickt und umkommen.“ Es geht aber im Hinblick auf eine nur Die sprichwörtliche Grausamkeit der nicht leicht auszuleuchtende Phase der Spanier schien sich damit bewahrheitet Stadtgeschichte auch darum, Kontexte zu haben. Natürlich ist der Wahrheitsge- aufzuzeigen. Im Folgenden soll dies über halt einer auf die Verbreitung von Sen- ein Kapitel geschehen, das sich mit den sationen hin ausgerichteten Flugschrift, Gründen der Präsenz Spaniens am Nie- die im Übrigen für die katholische Seite derrhein am Ende des 16. Jahrhunderts Partei ergriff, im Detail zu hinterfragen. auseinandersetzt (Kap. 2). Daraufhin soll Eines aber ist klar. Als Alexander Farne- kurz auf die in diesem Zusammenhang se, Herzog von Parma, nur wenige Tage bislang noch weitgehend unbeachtete, später mit seinen Kriegern vor den To- für Moers aber wichtige Rolle der Herzö- ren der Stadt Moers stand, und auch hier ge von Kleve als Lehnsherren der Grafen den Einlass verlangte, hatten sich be- von Moers, die sich für neutral erklärten, reits Nachrichten verbreitet, dass nicht eingegangen werden (Kap. 3). nur den in Neuss einliegenden Soldaten unter dem Oberkommando eines Beauf- Im Anschluss soll ein intensiverer tragten des Grafen Adolf von Neuenahr Blick auf die spanische Besatzung in Furchtbares widerfahren war, sondern Moers erfolgen, wobei die Bedingun- auch den dortigen Einwohnern, unter ih- gen der Übergabe der Stadt (Kap. 4), die nen Frauen und Kinder. weiterhin bestehenden herrschaftlichen Soviel zur Situation am 8. August weitere Besonderheiten der „Spanischen 1586, dem Tag, als sich für die Stadt- Zeit“ (Kap. 6) behandelt werden. obrigkeit von Moers die Frage nach der Übergabe ihrer Stadt stellte. Im Folgen- Die Eroberung der Stadt durch die den soll dieses Ereignis genauer anhand Truppen von Moritz von Oranien wird von Quellen aus Beständen des Landes- hier nicht näher beschrieben. Stattdes- archivs in Duisburg beleuchtet werden. sen wird etwas intensiver auf das Jahr Dabei sollen zudem einige Schriftstücke 1598 eingegangen, in dem die königlich- aus dem Generalstaatsarchiv Brüssel vor- spanischen Truppen noch einmal in die gestellt werden, die bislang noch nicht Gegend zurückkamen und sich anschick- in der stadtgeschichtlichen Forschung ten, erneute Einquartierungen von Sol- berücksichtigt worden sind. Darüber hin- daten in größerem Umfang vorzuneh- aus wird ein weiteres noch unbekanntes men (Kap. 7). Die Spanier in Moers (1586-1598) 27

2. Die Spanier am Niederrhein – Prä- Niederlande und der Freigrafschaft Bur- senz einer Großmacht gund (Franche-Comté), die wichtige Ent- Zunächst ist aber kurz zu erläutern, scheidungen in seinem Namen trafen, was wir unter königlich-spanischen freilich in Rücksprache mit bei Truppen, kurz auch als „die Spanier“ be- gravierenden Problemen. Nachdem sich zeichnet, zu verstehen haben: „Es hatte die nördlichen Provinzen vom König im aber der von Parma ein mächtigen gros- sen hauffen Kriegsvolcks von Spaniern, man in Brüssel den Mittelpunkt der legi- Italianischen / Teutschen / Niderlän- timen Herrschaft von Philipp II. von Spa- dern / Burgundern und Wallonen vorge- schickt, die Statt Neuss rings umbher zu belagern“. Dies berichtete der Chronist Emanuel van Meteren, als er auf die Vor- bereitung des Sturms auf Neuss im Juli 1586 zu sprechen kam. Dieser Satz ver- deutlicht recht gut, dass wir keineswegs von rein spanischen Truppen ausgehen können, die in dieser Zeit als Kriegsleu- te von König Philipp II. gefürchtet waren. - sen Armee, aus in verschiedenen Teilen des königlichen Großreichs und anderen Gegenden rekrutierten Söldnern. Zwar - sogar als Oberfeldherren setzte Philipp II. durchaus auch Italiener ein, wie sich bei Alexander Farnese, dem Herzog von Parma, zeigt, der zuvor zum Generalstatt- halter (auch: Landvogt) der Niederlande ernannt worden war.

Die katholische Majestät von Spa- nien wurde in den Niederlanden und am Niederrhein zu dieser Zeit sowohl militärisch als auch politisch eher von Nichtspaniern repräsentiert. In der Mit- te Europas mit Brüssel als politischem Zentrum waren es vor allem Adelige und Juristen aus Teilen der südlichen König Philipp II. von Spanien (1527-1598) 28 Die Spanier in Moers (1586-1598)

nien über die gesamten Niederlande und gen in den Niederlanden kursiert und forderte Zustimmung zum Kampf gegen die Abneigung gegenüber den Spaniern die Rebellen ein, die ein eigenes Staats- forciert. wesen begründeten. Zu jener Zeit, als Moers besetzt wurde, war Robert Dudley, Nachdem der König im Anschluss an Earl von Leicester, Generalgouverneur Bilderstürme von Protestanten in den und militärischer Oberbefehlshaber (Ge- Kirchen Flanderns und anderer Provin- neralkapitän) der sich als von Spanien zen 1567 den Herzog von Alba in die unabhängig betrachtenden niederländi- Niederlande entsandt hatte, der dort ei- schen Provinzen. nen „conseil de troubles“, von den Geg- nern Blutrat genannt, etabliert hatte, auf Die Entstehung des Unabhängig- den zahlreiche Todesurteile gegen „Ket- keitskrieges geht zurück auf eine tiefe zer“ zurückgegangen waren, hatte sich Herrschaftskrise unter Philipp II., einem unter Wilhelm von Oranien als Führungs- König, der seit seinem Regierungsan- - tritt als Herzog von Burgund 1555 auf gen eine spanische Fremdherrschaft ent- ein tiefes Misstrauen vor allem des nie- zündet, dessen Ausgangspunkte zunächst derländischen Adels gestoßen war. Eine im Süden gelegen hatten. Bedingt durch große Bedeutung hatten dabei der Arg- das militärische Unvermögen königlicher wohn gegenüber spanischen Vertrauten Truppen, die nördlichen Niederlande zu des Königs als einem Fremden und der beherrschen, hatte sich jedoch nur dort Kampf um die Besetzung sämtlicher der Widerstand langfristig etablieren kön- wichtiger Ämter mit Niederländern ge- nen, während die südlichen Niederlande habt. Eine Opposition hatte sich zudem insbesondere unter dem Herzog von Par- gegenüber der „Spanischen Inquisition“ ma, der als Statthalter wesentlich diplo- formiert, über die sich eine besondere matischer und geschickter zu Werke ging, Grausamkeit der Spanier, die in zahlrei- als der Herzog von Alba, militärisch in chen Flugschriften und anderen Publi- großen Teilen zurückgewonnen wurden. kationen beschworen wurde, zu zeigen schien. Im September 1559 hatten in Nicht zuletzt bedingt durch die Kon- Sevilla Hinrichtungen (Autodafés) statt- zessionsbereitschaft dortiger Vertreter gefunden, bei denen vermeintliche Lu- des hohen Adels wurde die königliche theraner grausam getötet worden waren. Herrschaft dort wieder gefestigt. Gleich- Der gerade aus den Niederlanden nach zeitig erlangten konfessionelle Aspekte Spanien heimgekehrte König Philipp II. bei der Spaltung der Niederlande immer war im Monat darauf bei weiteren Ex- mehr Gewicht. Im Norden wurde der re- ekutionen in persönlich zu- formierte Glaube, orientiert an calvinis- gegen gewesen. Unmittelbar daran an- tischen theologischen Grundsätzen, für schließend hatten bereits Flugschriften viele Aufständische, wenngleich längst mit Kupferstichen von den Hinrichtun- nicht für alle, zu einem politischen Be- Die Spanier in Moers (1586-1598) 29

kenntnis gegen die Tyrannei des Königs burgis (auch: Anna Walburga), Schwester von Spanien, während die Menschen im des Hermann von Neuenahr und Witwe Süden zum Teil gewaltsam rekatholisiert des, kurz zuvor, 1568, unter dem Herzog wurden, zum anderen Teil aber auch, in von Alba in Brüssel hingerichteten Gra- Akzeptanz der Herrschaft Philipps II., fen von Hoorn, Philipp von Montmoren- freiwillig dem Katholizismus huldigten. cy, hatte er sich die Herrschaft in Moers So verklammerten sich in der Ausein- gesichert. andersetzung sehr stark konfessionel- le Zugehörigkeitsmerkmale, die sich in Das aktive Eingreifen des Grafen den beiden 1579 gebildeten Unionen Adolf von Neuenahr-Moers in die Kämp- von Arras und Utrecht stark niederschlu- fe in Geldern und weiteren Gebieten der gen. Die Union von Arras kehrte unter Niederlande war wiederum nicht nur mit die Herrschaft des Königs von Spanien seinem eigenen reformierten Glaubens- und seiner Vertreter zurück, im strikten eifer verbunden, sondern auch mit Kar- Wunsch, allein den katholischen Glauben riereperspektiven. Dass sich er bereits in den Provinzen zu verankern, während 1581 bei den Führern der nördlichen die Union von Utrecht mit ihrem Anfüh- Niederlande um das Amt des Statthal- rer Wilhelm von Oranien, der 1573 zum ters im Herzogtum Geldern beworben reformierten Glauben übergetreten war, hatte, das er allerdings erst drei Jahre verschiedene Glaubensrichtungen blei- ben sollte, den Kampf fortführte. Wegen des hohen politischen Gewichts der nie- derländischen Generalstände (General- staaten) in diesem Bündnis nannte man deren Truppen oftmals „die Staatischen“. Ihre Kriegsgegner wurden dagegen häu-

Die Belagerung von Moers im Som- mer 1586 fällt in eine Zeit des intensiven Kampfes der königlichen Truppen, die von niederländischen militärischen Stütz- punkten ihren Weg nahmen, um Geldern. Graf Adolf von Neuenahr, ihr Gegner, war Anhänger der reformierten Konfession, die in seiner Grafschaft bereits unter sei- nem Vorgänger, Hermann von Neuenahr, Ernst von Wittelsbach, Fürstbischof zu Köln (1554–1612). Gemälde von Franz Joseph geschlossene Ehe mit seiner Tante Wal- Lederer 30 Die Spanier in Moers (1586-1598)

später, 1584, bekleiden konnte, demons- führer Martin Schenck von Nideggen, der triert dies deutlich. Adolf von Neuenahr, kurz zuvor die Fronten gewechselt hatte, Graf von Moers, war zudem maßgeblich quartierte sich 1585 mit seinem Gefolge am Konfessionswechsel des Erzbischofs in Ruhrort ein, um diesen Ort als Festung von Köln, Gebhardt Truchsess von Wald- für die nordniederländisch-truchsessi- burg zum evangelischen Glauben betei- sche Allianz auszubauen. Ruhrort gehör- ligt gewesen, der die Machtverhältnisse te zum Herzogtum Kleve. Der Herzog, zu- am Niederrhein gewaltig durcheinan- gleich Landesherr über die Herzogtümer derbrachte und damit den „Kölnischen Jülich und Berg und Graf von der Mark Krieg“ verursachte. Es kam zu Kämpfen und Ravensberg, war eigentlich seinen zwischen Gebhardt Truchsess von Wald- burg, der protestantische Verbündete hatte auf der anderen Seite nur begrenz- hinter sich scharen konnte, und dem zum te Mittel, gegen derartige militärische neuen Erzbischof eingesetzten Ernst von Aktionen vorzugehen. Wittelsbach aus Bayern als Vertreter der katholischen Sache. Letzterem sprang Herzog Wilhelm V. von Jülich, Kleve der Herzog von Parma bei, während die und Berg, ein gerade in religiöser Hinsicht Union von Utrecht zusammen mit Graf um Ausgleich bemühter Fürst, blieb prin- Adolf von Neuenahr militärisch Partei zipiell neutral, sah es aber als opportun für Gebhardt Truchsess von Waldburg ergriff. Damit überlagerten sich der nie- derländische Unabhängigkeitskrieg und der Kölnische Krieg, woraus sich einmal mehr eine konfessionelle Konfrontation, katholisch versus reformiert, ergab.

3. Neutralität in Zeiten erbittert ge- führter Kriege Der Krieg brachte Bedrückungen für die Untertanen der verschiedenen nie- derrheinischen Territorien mit sich, wo- bei sich die Soldaten an ihnen schadlos hielten. Nicht nur die Menschen, die in den Ländern lebten, deren Herren sich den Kriegsparteien angeschlossen hat- ten, bekamen dies zu spüren. Auch in den neutralen Gebieten hielten sich Bewohner auszurauben, oder besetzten Wilhelm V. (1516 - 1592), Herzog von Jülich- strategisch wichtige Orte. Der Soldaten- Kleve-Berg Die Spanier in Moers (1586-1598) 31

an, dem König von Spanien als seinem mächtigen Verwandten – er war selbst mit der Tochter des habsburgischen Kai- sers Ferdinand I., Maria von Habsburg (†1581), verheiratet – die politische Un- und sich von seinen niederländischen Feinden zu distanzieren. Er erlaubte den königlichen Truppen in der Regel Durch- züge durch seine Länder, musste jedoch oftmals erfahren, dass diese gewalttätig gegen seine eigenen Untertanen vorgin- gen wie im Mai 1580 im klevischen Amt Goch und im Juni des gleichen Jahres im Herzogtum Berg. Auch wenn er beharr- lich gegen Verletzungen der Grenze und Beraubungen seiner Untertanen durch königliche Soldaten protestierte, wollte er einen Bruch um jeden Preis verhin- dern. Im Jahr 1586 mischte sich zudem sein Sohn Johann Wilhelm, ein fanati- scher Vertreter der katholischen Sache, stark in die Tagespolitik ein. Nach der Einnahme von Neuss war er unter den- Graf Adolf von Neuenahr und Moers, Statthalter jenigen, die dem Herzog von Parma, dem von Utrecht (1554 -1589) nach diesem Ereignis ein geweihter Hut und ein goldenes Schwert als päpstli- Aufmerksamkeit, inwieweit sich Adolf ches Geschenk im Kloster Gnadental bei von Neuenahr in den Krieg einmisch- Neuss überreicht wurde, ihre Ehre über te und immer tiefer darin verwickelte. ihre Anwesenheit erwiesen. Dies hing nicht zuletzt mit ihren eige- nen lehnsrechtlichen Ansprüchen auf die Sowohl Herzog Wilhelm V., der den Grafschaft zusammen. Sie betrachteten Lutheranern im Reich und sogar in sei- die Grafen von Moers als herzoglich-kle- nen Territorien gegenüber zumeist vische Lehnsleute. In der Tat lassen sich freundlich auftrat, die Calvinisten jedoch entsprechende Belehnungsurkunden nicht dulden wollte, als auch sein Sohn von 1250 bis 1375 nachweisen. Danach und Nachfolger Johann Wilhelm bewer- erfolgten zunächst keine weiteren mehr. teten die Aktivitäten des reformierten Joachim Daebel hat die erneute Anerken- Grafen von Moers, Adolf, alles andere als nung der Lehnshoheit der Landesherren zustimmend. Sie verfolgten mit hoher von Kleve über die Grafschaft Moers 32 Die Spanier in Moers (1586-1598)

seit 1541/42 als Versuch der Grafen von Neuenahr interpretiert, ihre Konkurren- nicht mit den Landfriedensvorwürfen in ten auf das Erbe von Moers, die Grafen Verbindung und sollten deren Herrschaft von Nasssau-Saarbrücken, politisch und über Stadt und Grafschaft Moers nicht juristisch aus dem Felde zu schlagen. grundsätzlich in Frage stellen. Seit 1600, 1579 wurde Adolf von Neuenahr als nach dem Tod von Walburgis, sollte sich jedoch Herzog Johann Wilhelm, der 1592 Walburgis von Herzog Wilhelm V. noch auf den Tod seines Vaters als Landesherr einmal mit der Grafschaft und zugehöri- folgte, Graf von Moers nennen. gen Besitztümern belehnt. Nachdem sich der Graf von Moers al- und die Querelen mit Johann Wilhelm lerdings im Kölnischen Krieg engagierte ist Heike Preuss intensiver eingegangen. - - gur aufgeschwungen hatte, wurde Her- liert werden, dass der lehnsrechtliche zog Wilhelm V. sein offener politischer Anspruch der Herzöge von Jülich, Kleve Gegner. Er erwirkte in Zusammenarbeit und Berg, der konsequent auch in der mit anderen Mitgliedern des nieder- „spanischen Zeit“ in Moers aufrechterhal- rheinisch-westfälischen Reichskreises ten wurde, den dortigen Bürgern immer- gegen ihn ein Mandat des Reichskam- mergerichts, einen gerichtlichen Befehl, für sich selbst den Status der Neutralität der am 20. Januar 1585 verkündet wurde. zu beanspruchen, obgleich ihr Stadtherr, Dieses Mandat richtete sich gegen die Graf Adolf, ein bedeutender militärischer Manöver seiner Truppen, die Schäden Gegner des Königs von Spanien war und zahlreiche Eroberungen im Auftrag hatten, und beinhaltete die Forderung der niederländischen Rebellen und des nach sofortigem Abzug aus den Kreis- Truchsess von Waldburg auf seine erfolg- gebieten. Darüber hinaus wurde Adolf reiche Kriegführung zurückgingen. Im von Neuenahr wegen Landfriedensbruch Mandatsprozess vor dem Reichskammer- öffentlich geladen, um sich gerichtlich gericht sollte später, um 1589, von Sei- zu verantworten. Diese Ladung (Edictal- ten der Partei Neuenahr wiederum an- gedeutet werden, der Herzog von Kleve, Krakau, Duisburg, Goch und Kleve öf- entweder der Vater oder der Sohn, habe fentlich angeschlagen. Die Spannun- den Herzog von Parma zur Einnahme der gen des Herrn von Moers mit seinem Stadt Moers überredet, um sich selbst Lehnsherrn wie auch seine Schwierig- vollends in den Besitz der Herrschaft zu keiten mit der Reichsjustiz waren somit bringen. Zu diesem Zweck sei den kö- in seiner Grafschaft und der Umgegend niglichen Truppen auch die herzogliche bekannt. Die Herzöge von Jülich, Kleve Festung Orsoy, unweit von Moers, einge- und Berg brachten dagegen dessen Ge- räumt worden. Die Spanier in Moers (1586-1598) 33

4. Moers: Eine neutrale Stadt unter Es folgen die Vertragsbedingungen spanischer Besatzung des Magistrats nach der in Brüssel über- Über den Einlass der Spanier in lieferten Version: Moers sind wir bereits gut durch den Irstlichen soll der Herzog zu Parma etc. einschlägigen stadtgeschichtlichen Bei- trag von Thomas Becker unterrichtet. werden mit dero außtrucklicher protes- Beckers Aufsatz basiert zum großen Teil tation, daß solche einlassung meinem auf den Beständen des NRW-Landesar- gn[ädigen] herrn und frawen Graffen chivs Rheinland, die auch hier zum Teil zu Grunde gelegt worden sind. In Brüs- hertzogen zu Cleve etc., an iren rechten sel sind parallele, gelegentlich auch et- und gerechtigkeiten nit nachteilich sein was darüber hinaus gehende Überliefe- soll. Zum anteren daß auch s[eine] Alteze gelobt, nicht meer volcks intzulegen, von Stadt und Schloss, das in mehreren dan die borgere vertragen kondten. sprachlichen Versionen vorliegt. Es ist in Zum 3. sollten alle kirchendienere, des zwei Teile aufgegliedert, von denen einer Graffen beambte und diener wie inßglei- die Bedingungen enthält, unter welcher chen alle burger und ingesessene, groß der Drost, Wilhelm von Buchholz, am 7. und klein, an iren leib unt guteren nicht August 1586 (stylo novo) zu kapitulie- beschadigt werden. - Zum 4. daß die religion, welche ein zeit auf festzuhalten, dass das Schloss nicht alda gebraucht ist und im Heyll. Reich aus dem Grund irgendeiner Feindschaft zugelassen, verbleiben solte. gegenüber dem König von Spanien ein- Zum 5. welchem nit gefallen wirt, geräumt werde. Hierin manifestiert sich, binnen Mörß zu bleiben, deme sol frey was hier besonders herauszustellen ist, stehen, mit allen seinen gutern zuver- die Beanspruchung eines neutralen Sta- ziehen, auch nach allen seinen gefallen tus. Darüber hinaus bestand der Drost zuverkauffen, dartzu dan seine Alteza darauf, dass die Übergabe dem Grafen paßport und convoy vergonnen soll. von Moers wie auch seiner Gemahlin Dieße letzte puncten unt vielmehr seind Walburgis im Hinblick auf deren Rechte bey Furstlichen handgebenen treweren und Gerechtigkeiten unnachteilig sein und eheren also zu halten und zuvoll- sollte. Das Gleiche sollte hinsichtlich der ziehen ingewilligt und angelobt, allein Rechte des Herzogs von Kleve als Lehns- daß seine Altezen der religion halben herrn gelten. Alle Kriegsleute, die Stadt nit disputieren wollen, aber gleichwol und Burg zuvor gesichert hatten, sollten sol nymandt uber sein gewissen be- mit Fahnen und Waffen ausziehen dür- schwert werden etc. fen, um zu Orten ihrer Wahl vergleitet zu werden und deren Besitz unangetastet Zunächst: Bürgermeister und Rat bleiben. hatten immerhin im Rahmen von Über- 34 Die Spanier in Moers (1586-1598)

gabeverhandlungen, die in dieser Zeit anders sein kundte, wenn die stat schoin durchaus üblich waren, dafür gesorgt, in seines vetteren, des Herzogen zu Cleve dass der Wechsel zur Herrschaft könig- etc., henden wehre“. lich-spanischer Truppen, verglichen mit grausamen Vorgängen wie in Neuss, Der Herzog von Parma begründete weitestgehend friedlich verlaufen konn- somit seine freundschaftliche Haltung te. In späteren Zeugenaussagen von Be- gegenüber der Stadt Moers damit, dass teiligten aus dem Jahr 1594 sollte noch sie sich in den schützenden Händen des einmal deutlich herausgestellt werden, Herzogs von Kleve befand. Der Begriff dass die Überlassung der Stadt an den „Vetter“ ist nicht wörtlich zu nehmen, persönlichen Hofstaat des Herzogs von sondern allgemein als Ausdruck von Parma diesem zufolge nur als ein kurzes Vertrautheit zu interpretieren. Herzog Intermezzo angesehen werden sollte, Wilhelm V. von Kleve adressierte seine das man nach einer erfolgreichen Erobe- Briefe regelmäßig an Alexander Farne- rung von Rheinberg, die baldigst erwar- se als „seinen lieben Vetter“. Das gleiche tet wurde, beenden wollte. Man erinnerte galt aber auch für Johann Wilhelm, den sich an freundliche Verhandlungen au- Sohn des Herzogs, der sich immer mehr ßerhalb der Stadt, in denen der Kriegs- anschickte, selbst landesherrliche Politik herr Graf Karl von Mansfeld als hoher zu gestalten. Auch seine Briefe an den Begleiter des Herzogs eigenhändig Pro- Herzog von Parma wurden grundsätzlich tokoll geführt hatte. Alexander Farnese an den „lieben vettern, herrn Alexandern,“ habe anschließend seine Unterschrift versandt. Mit Blick auf die Anwesenheit unter das Papier gesetzt und den Vertre- Johann Wilhelms bei der Ehrung des Ale- tern der Bürgerschaft die Hand gereicht xander Farnese in Gnadental kurz nach und die Zusicherung, den Bürgern der der Eroberung von Neuss liegt es nahe, Stadt nichts zuleide zu tun, eidlich be- eine Absprache über das weitere mili- kräftigt. Dabei habe er erklärt, „das es nit tärische Vorgehen unter diesen beiden Protagonisten zu vermuten. Kurz: Es sieht bei all dem tatsächlich so aus, als könnte die im Mandatsprozess gegen Adolf von Neuenahr geäußerte Vermutung, die Ein- nahme von Moers sei mit der klevischen Landesherrschaft abgesprochen gewe- sen, richtig gewesen sein.

Wenn dies zutrifft, so hatten die Her- zöge von Kleve, insbesondere wohl der Herzogssohn Johann Wilhelm, den Bür- Die Eroberung von Rheinberg durch spanische gern von Moers den Zugriff der königli- Truppen chen Truppen auf ihre Stadt eingebrockt. Die Spanier in Moers (1586-1598) 35

Andererseits durften diese nun grund- Die Dinge verliefen eben ganz anders, sätzlich den Schutz ihrer herzoglichen wie die Zeugen 1594 ebenfalls bekann- Herren beanspruchen, so dass eine eher ten: „wiewoll das contrarium uns wieder- rücksichtsvolle Einstellung der Besat- fahren, dan wir jederzeit uber unseren zer geboten erschien. Dies galt auch im vermugen mit garnisaun unnd anderen Hinblick auf Walburgis von Neuenahr, lasten seint beschwertt worden, wie die sich zu dieser Zeit bereits in den auch [heute] noch“. Überschlägt man die Niederlanden aufhielt. Auch ihre Rechte Möglichkeiten der Moerser, ist wiederum blieben zunächst einmal grundsätzlich festzuhalten, dass eine Stadt und eine unangetastet. Die bei der Übergabe der Grafschaft, deren Herrscher ein offener Stadt anwesenden Zeugen erinnerten Kriegsfeind des Königs von Spanien war, sich, dass der Graf von Mansfeld immerhin den Status der Neutralität gesagt habe, die „burgeren zugesichert bekommen hatten. alhier wisten woll, wie Was Stadtbürgern in einer iren G[naden]“, gemeint anderen Konstellation waren die Herzöge blühen konnte, war in von Kleve, „mit sei- Neuss deutlich ge- ner lieben wasen, macht geworden. - nahr stunden“. Der Gehen wir kurz Begriff „wase“ bzw. auf weitere Punk- Base ist ebenfalls te im Übergabepro- nicht wörtlich zu W ) tokoll von 1586 ein: a 0 l 0 nehmen. Der Textzu- b 6 Davon, dass die neuen u 1 rg - sammenhang macht es is 22 Herren in Moers, trotz des vo 15 wahrscheinlich, dass man n N rs ( Wunsches der Bürger, ihre Re- euenahr-Moe mit diesem Begriff auf tradi- ligion beibehalten zu dürfen und tionell gute Beziehungen der Herzöge die Kirchendiener unversehrt zu lassen, von Kleve mit dem Haus Neuenahr, die keinen öffentlichen reformierten Gottes- lehnsherrschaftlichen Verhältnisse inbe- dienst duldeten, ist auszugehen. Sie ver- griffen, anspielte. banden ihre Hoffnung, den katholischen Glauben erneut durchsetzen zu können, Mit Blick auf die weitere Entwicklung mit der Rückkehr der Karmeliter in die mag man darüber nachdenken, ob die Stadt. Insgesamt war allerdings die „Spa- Bürger von Moers nicht übertölpelt wur- nische Zeit“ in Moers trotz der immerhin den. In den Zeugenaussagen wurde noch elfjährigen Dauer zu kurz, um das katho- einmal bekräftigt, dass der Herzog von lische Bekenntnis stärker zu verankern. Parma versprochen habe, lediglich seine Hofgesellschaft für eine kurze Zeit, nicht Dass sich die Besatzer keinewegs aber Garnisonen in die Stadt zu verlegen. durchgängig an die vereinbarten Abma- 36 Die Spanier in Moers (1586-1598)

chungen hielten, Beamte und Diener des nen der geängstigten Bewohner“. Wenn Grafen unversehrt zu lassen, und etwa es diese je gegeben haben sollte, so sind die Witwe des in Neuss getöteten Her- diese nicht mehr überliefert. Immerhin: mann Friedrich von Pelden-Cloudt be- Es kam durchaus im Rhein-Maas-Raum raubten, ist von Thomas Becker heraus- zu dieser Zeit zuweilen zu Jagden auf gestellt worden. Der Herzog von Parma einheimische Frauen, die man der He- mag davon nichts mehr erfahren haben. xerei bezichtigte, von Soldaten, die in Er verließ kurz nach der Eroberung die Diensten der Spanier standen, so etwa Stadt Moers und war nur wenige Tage 1581 in Roermond. Dort wurde 1594 später bei der Belagerung von Rheinberg offensichtlich sogar ein Sammelprozess anwesend, die allerdings für ihn nicht unter spanischer Besatzung durchgeführt. erfolgreich verlief. Es war dieser Ort, der Zudem bestand für alle mit einquartier- als von beiden Kriegsparteien als ein ten Soldaten belasteten Stadtbewohner idealer Stützpunkt gesehen wurde, von generell ein hohes Risiko, dass Frauen dem aus man schnell den Rhein über- Opfer von Vergewaltigungen wurden. Die queren konnte. Alexander Farnese soll Quellenlage lässt im Hinblick auf Moers jedoch keine konkreten Aussagen hierü- der unterschiedlichen Besatzungspar- ber zu. teien einmal eine Kriegshure genannt haben. Im Sommer 1586 erschien den Auch ein im Generalstaatsarchiv in Militärführern der königlich-spanischen Brüssel verwahrtes Dokument, das 1592 Truppen Moers als ein guter Standort, entstanden sein muss, gibt nur sehr all- um Soldaten für den Zugriff auf Rhein- gemeine Hinweise auf die Bedrückun- berg zu stationieren. Nachdem dies nicht gen in Moers. Die Räte des Herzogs von gelang, wuchs wiederum die strategische Kleve, Johann Wilhelm, baten um die Be- Bedeutung von Moers im Hinblick auf endigung der Besatzung, da diese dem die Beherrschung des niederrheinischen König ohnehin keinen Vorteil erbrächte Raumes in Konkurrenz zu Rheinberg. und verwiesen darauf, dass die Stadt nur noch als „raubnest“ und zur Verheerung Die Besatzungssoldaten, die der Her- der Umgegend gebraucht werde. Sie zog von Parma in Moers hinterließ, wur- sei „von einer unredlichen, der gantzer welt verhaster rauberischer gesellschaft Sacchino de Modiliana unterstellt, der (so under Camillo Sachini de Modiliano nun den Titel eines Gouverneurs über mercklich zugenomen)“ habe, „einbehal- die Stadt annahm. Die in der älteren ten“. Diese Äußerungen lassen immerhin Forschung erhobenen Behauptungen, erkennen, dass die Bürger von Moers Modiliana habe sogleich Wasserproben von Soldaten umgeben waren, die be- wegen Hexerei durchführen lassen, sind reit waren, gegebenenfalls gewaltsam über Quellen nicht zu stützen. Hermann und rücksichtslos zu handeln. In einem Altgelt berief sich auf „Privat-Annotatio- Beschwerdeschreiben vom Januar 1595 Die Spanier in Moers (1586-1598) 37

an die königlich-spanische Regierung - gis von Neuenahr habe erfahren, dass Bürger und Landleute während der Be- satzungszeit mit schweren Diensten und Kontributionen belastet worden seien. Die Geldforderungen hätten „etlich viel thausent thaler“ betragen. Dass die Men- schen, insbesondere die Stadt, in große Armut und Verschuldung getrieben wor- den war, wurde in weiteren Schreiben, wie etwa anlässlich der Wiedereinset- Rechte 1598, ebenfalls erwähnt.

Dennoch: Am 3. Dezember 1587 ließ sich der neue Gouverneur von Moers sogar dazu bewegen, mit Vertretern des Grafen Adolf von Neuenahr über Schloss Robert Dudley, Earl of Leicester, 1532-1588 und Stadt in Duisburg verhandeln zu las- sen. Warum er dies tat, lässt sich aus dem Einhaltung der Salvaguarde-Bestimmun- Dokument, das als „Duisburger Akkord“ in gen wurde zudem am 24. März 1589 von die Lokalgeschichte eingegangen ist, er- der „staatischen“ Garnison in Rheinberg schließen: Die Stadt Moers sei, so war es bestätigt: Man wolle den Einwohnern hier festgehalten, vom Herzog von Parma von Moers keinen Schaden zufügen. Im und vom Earl von Leicester, Robert Dud- Fall der Übertretung dieses Vorsatzes ley, gemeinsam unter ihren Schutz und durch einzelne Soldaten wurde verspro- Schirm gestellt worden. Immerhin war es chen, die Täter der Gebühr nach zu be- der Bürgerschaft damit gelungen, auch strafen. Das Versprechen sollte allerdings förmlich von beiden Kriegsparteien als daran gebunden sein, dass die Moerser neutral anerkannt zu werden. Graf Adolf sich feindlicher Handlungen enthielten. von Neuenahr hatte seine Beziehungen Klar wurde hier eingefordert, dass die zur Union von Utrecht offensichtlich Bewohner von Stadt und Grafschaft ihre genutzt, um seine Stadt aus dem Fokus Neutralität unter Beweis stellten. für eine etwaige erneute Belagerung zu nehmen, um Schäden zu verhindern. Für Dass sich die königlich-spanischen den 8. Juli 1588 ist eine in Den Haag rati- Besatzer auf Verhandlungen einließen, - die im Anschluss an die Übergabe der ralstaaten überliefert, die eindeutig auf Stadt in Duisburg stattfanden und einen seine Initiative zurückgeht. Der Wille zur „Duisburger Akkord“ hervorbrachten, um 38 Die Spanier in Moers (1586-1598)

Konkretisierungen der Vereinbarungen traten: Dr. Johann Blankhart, die Schöffen vorzunehmen, zeigt immerhin, dass der Johann Caulier und Michel Moller, Wil- Gouverneur die Verständigung mit den helm Plismann, Stadtschreiber, und eine Bewohnern suchte. Die Bindung an die nicht namentlich genannte Person „aus Vereinbarungen von 1586 wurde kei- den Vieren daselbst“. neswegs geleugnet, vielmehr schriftlich bestätigt. Zudem: Es wäre sicherlich ein Dass diese Bürger nun zur Partei des schwieriges, wenn nicht gar unrealisti- Don Camillo gezählt wurden, mag er- sches Unterfangen gewesen, ein allein staunen. Begründet liegt dies wohl we- auf Furcht und Schrecken ausgerichtetes sentlich darin, dass sich der italienische Gewaltregime über längere Zeit aufrecht - zu erhalten. Vor diesem Hintergrund trats und der Ratsgremien de facto als neigten die Soldaten und ihre Führer Herr über die Stadtobrigkeit sah. Die Ver- eher dazu, sich grundsätzlich auf eine Art treter der Bürgerschaft wünschten aber „Friedensordnung im Krieg“ einzulassen. sicherlich auch, ihren Willen zum Frieden Diese beinhaltete wiederum oftmals Ver- mit den Besatzern zum Ausdruck zu brin- sprechungen, die bereits angesichts der gen. Zudem vertraten sie die Interessen Notwendigkeit, die Soldaten zum großen der Bürger gegenüber einem Grafen, der Teil auf Kosten der Einwohner versorgen als abwesender Herrscher versuchte, auf zu lassen, schnell gebrochen wurden. ihm gegenüber zu leistende Abgaben- Auf den „Duisburger Akkord“ von 1587 soll hier nur kurz eingegangen Das Ergebnis brachte den erstaun- werden. Er gründete auf der vom Herzog lichen Vergleich hervor, dass Adolf von von Parma und dem Grafen von Leicester Neuenahr und Don Camillo sich grund- gewährten Salvaguarde, d.h. vor allem sätzlich die Einkünfte aus Stadt und der Zusicherung, nicht angegriffen und Grafschaft teilen sollten. als neutral angesehen zu werden. Über weitere Regulierungen wurde in Duis- Auch in dieser Bestimmung spiegel- burg vom 30. November bis zum 3. De- te sich der Status der Neutralität. Den zember 1587 verhandelt, wobei sich so- Einwohnern wurde immerhin wegen wohl Adolf von Neuenahr als auch Don der beschwerlichen Kriegszeiten gene- Camillo de Modiliana vertreten ließen. Für den Grafen waren kommissarisch der erlassen. Modiliana sah wiederum die Drost von Rheinberg, Johann in gen Hoff, Rechte auf die Fischerei am Schlossteich und Arnold Steuning, Rentmeister, anwe- davon ausgenommen. Das gleiche gilt send, während als Abgeordnete des Don für die Mühlenabgaben. Er bekam sie bis Camillo der Fähnrich Wilhelm von Issel- Martini 1588 für sich allein zugesichert. stein und Martin Ruprecht, Wachtmeister Anschließend sollte er sie sich mit dem von Moers, und fünf Moerser Bürger auf- Grafen von Moers teilen. Die Spanier in Moers (1586-1598) 39

5. Interessen und Loyalitätsfragen sollten. Unter Bezugnahmen auf die Ver- Modiliana, der sich „wegen seiner einbarungen der Eingesessenen mit Mo- königlichen Hoheit zu Hispanien etc. diliana aus dem Jahre 1590 wurde hier verordneter Gubernator der stadt und festgestellt, dass die Hausleute, die an Castell der Graffschaft Moers etc. und den Schanzarbeiten am Rhein und am Middelar“ nannte, hat sich und seine Schloss beteiligt gewesen waren, seitens Herrschaft durch den Bau einer Schanze des Gouverneurs von jeglichen Pachtab- in Essenberg verewigt, die er mit dem gaben und Renten befreit worden waren. Namen „Modiliana“ versah. Die Einwoh- ner sprachen eher despektierlich von Auch zwischen Walburgis von Neuen- einer „Camillenschanze“. Nachdem die ahr und dem neuen Gouverneur Modili- „staatischen“ Truppen am 23. Januar 1587 ana wurden Vereinbarungen getroffen. kurzfristig Ruhrort eingenommen hatten, Sie liefen erneut auf eine Teilung der erschien eine stärkere Befestigung von Einkünfte aus der Grafschaft hinaus. Am Moers aus königlich-spanischer Perspek- 27. November 1590 versprach Modilia- tive geboten. Für Schanzarbeiten setz- na, diese Einigungen zu erneuern und te der Gouverneur, wie die Antwort auf - eine Beschwerde vom November 1590 burgis übertragen zu lassen, nachdem zeigt, Untertanen der Grafschaft Moers ihr Gemahl Adolf im Oktober 1589 in ein, daneben seine Soldaten und deren Arnheim den Tod bei Sprengungsexpe- Pferde: „Nachdem ich in dießer künftiger rimenten gefunden hatte. Dazu wurden wochen die morsische hausleuthe und einmal mehr Verhandlungen in Duisburg undersassen des arbeyts und dienen an anberaumt, an denen erneut der Fahnen- der schantzen verlassen und was wei- träger des Gouverneurs und hohe Moer- ters zuthun mit meinen eigenen perden ser Bürger teilnehmen sollten: Blank- werde verrichten lassen“, ließ Modiliana hart, Caubelier (auch Caulier), Wilhelm schriftlich festhalten, habe er vor, den Plismann, Notar, und Bartholomäus Lul- Duisburger Akkord weiterhin zu halten. Er torff, den Modiliana als seinen eigenen beraumte ein Treffen ein, um im Beisein Rentmeister bezeichnete. Auch war der des Abtes von Werden über eingegan- Adelige Reinhard von Eyll zu Lauersfort gene Beschwerden zu sprechen. Im Fall, unter den genannten Teilnehmern der dass der Duisburger Akkord nicht einge- Unterhandlungen in Moers, die am dar- halten worden sei, gelobte er Besserung. Die Ergebnisse dieses Treffens werden aus einer Zeugenbefragung ersichtlich, Derartige Bekundungen, sich als Be- die von November 1596 bis Januar 1597 satzungs- und zugleich Ordungsmacht durchgeführt wurde, um genauere Klä- zu etablieren und überlieferte Rechte in rung im Hinblick auf die Abgaben zu einem gewissen Umfang zu respektieren, schaffen, die jeweils der Besatzung und sollten nicht übersehen werden. Modili- der rechtmäßigen Besitzerin zukommen ana stand in Kontakt mit den Eliten der 40 Die Spanier in Moers (1586-1598)

Unter ihnen befand sich auch der Rent- meister Arnold Steuning, dem am 22. Ap- ril 1589 von Don Camillo de Modiliana nachträglich die Erlaubnis erteilt wurde, in Duisburg wohnen bleiben zu dürfen, wo sich auch der Drost, der Adelige Wil- helm Buchholz, befand. Der Komman- dant verband mit dieser Zustimmung den Wunsch, dass die ihm zustehenden Gefälle direkt nach Moers geliefert wur- den und erst nachträglich die Hälfte, die dem Grafen von Neuenahr zustand, mit einem Konvoy nach Duisburg gebracht würde.

Über dieses Schreiben wird ersicht- lich, dass für die Stadtführung von Moers - lienischen Gouverneur und den Vertre- tern des Hauses Neuenahr außerhalb der Stadt entstanden, Fragen hinsichtlich der Loyalität aufkommen mussten. Modilia- Gerhard Mercator schuf diese Darstellung, die na gab an, dass sein Wachtmeister und die Grafschaft Moers zur Zeit der spanischen andere ihm unterstellte Personen die Besetzung zeigt. Ländereien des Rentmeisters besäten Stadt und der Umgebung und band diese Hinblick darauf wolle er sich gegenüber in seine politischen Geschäfte mit ein. dem Stadtrat von Moers verantworten: Dabei inszenierte er sich wie ein kleiner „Dasselbig unnd andere Civil- und Po- Fürst, indem er zum Ausdruck brachte, litische sachen stelle ich dem Magist- an der „erbauwung dieser grafschaft und rat alhie hinn der gebuer zu decidieren [daran, was den] armen underthanen er- oder zu vergleichen, wie ich mich in ca- sprießlich und nutzlich“ sei, interessiert sis civilis dem magistrat hieselbst vur zu sein. Dies war angesichts des Versu- den rechten gutwillig submittiere und ches, die Menschen dazu zu zwingen, underwerffe“. Aus diesen Worten spricht Moers als königliche Bastion zu halten die Selbstsicherheit, vor dem Ratsgericht und sich längerfristig hier einzurichten, Recht zu bekommen, was sich nicht zu- natürlich geheuchelt. Eine Reihe von letzt aus den Kräfteverhältnissen in der Bürgern hatte bereits unmittelbar nach Stadt erklärt. Immerhin betonte Modili- der Übernahme die Stadt verlassen. ana einmal mehr seine Bereitschaft, sich Die Spanier in Moers (1586-1598) 41

den Rechten und daraus ergebenden dass vielen Eingesessenen eher daran - gelegen war, leidlich mit den Besatzern noch: Dass sich diejenigen Personen, die auszukommen, als einen Ansturm von in Moers verblieben, schadlos am Besitz Truppen auf die Stadt und deren Folgen derjenigen hielten, die sich außerhalb mitzuerleben. aufhielten, zeigt auch der Fall des Schöf- fen Caulier, der ebenfalls solche Lände- 6. Die Stadt Moers als „Räubernest“ reien für sich nutzte. und die Suche nach Auswegen Die spanische Besatzung von Moers, die 1586 im Rahmen einer gütlichen Einwohnern von Stadt und Grafschaft Übereinkunft installiert wurde, geriet allerdings sehr bald in den Ruf, die Um- aus jener Zeugenbefragung ersichtlich, gebung unsicher zu machen. Die Be- die von November 1596 bis Januar 1597 zeichnung „raubnest“ bzw. Räubernest zur Klärung der Abgabenlieferungen lässt sich mit Blick auf zahlreiche über durchgeführt wurde. Die von Camillo de Quellen nachweisbare Vorfälle bestä- Modiliana gewährte Entbindung jener - Eingesessenen von Stadt und Grafschaft ge Beispiele zu nennen, etwa Berichte über Überfälle „moersischer Soldaten“ Schanzarbeiten beteiligt waren, waren im September 1592 bei Wesel im Stadt- mit der Aufforderung verbunden gewe- archiv Mülheim an der Ruhr. Einer der beteiligten Täter wurde in Haft genom- Im Fall des Zuwiderhandelns hatte der men und auf Schloss Broich verhört. Der Gouverneur angekündigt, selbst auch Name zeigt einmal mehr, dass es nicht wieder diese Abgaben einzufordern. Die unbedingt Spanier waren, die an derar- - tigen Aktionen beteiligt waren: Heinrich reiben an die Bürgerschaft und Eingeses- Bernarts. Eine spektakuläre Aktion stell- senen reagiert. Der Tenor: Sofern ihr ihre te, wie Thomas Becker gezeigt hat, auch Einkünfte vorenthalten werden sollten, die Stürmung und Plünderung der Stadt würde sie die Salvaguarde aufkündigen. Remagen im Jahre 1593 dar. Dies war nichts anderes als die Drohung, die Stadt in militärische Gewalt zu verwi- Die „Moersischen“ wurden sogar im ckeln. In einem Schreiben an ihren Rent- Geschichtswerk des Wilhelm May von meister vom 15. Januar 1595 sollte sie 1594 erwähnt: Im Dezember 1592 hat- diese Ankündigung für den Fall, dass die ten etliche von ihnen große Beute im Spanier weiter in der Stadt verbleiben Herzogtum Berg gemacht. Eine Schar sollten, ebenfalls formulieren. Solche von Schützen aus Angerort hatte sich Worte lagen sicherlich in der trostlosen anschließend auf den Weg begeben, um ihnen diese wieder abzujagen. Die Andererseits lässt sich nachvollziehen, zahlenmäßig weit überlegenen Räuber 42 Die Spanier in Moers (1586-1598)

versteckten sich, nachdem sie ihre Ver- Umständen an den Gouverneur weiter- folger bemerkt hatten, im Duisburger leiten konnte. / und nicht wusten, wie stark die Moer- Mit seiner Vermutung, dass die Besat- schen wahren / wurden sie allenthalben zer mit diesen Aktionen, die die Region umbbringet / außgezogen / geplundert destabilisierten, „den Bogen überspannt“ / und hernach ohn alle barmhertzigkeit, hatten und aus diesem Grunde ein neu- also nacket jämmerlich durchstochen er Kommandeur für Moers eingesetzt und erschossen / und nur einer darvon wurde, dürfte Thomas Becker Recht ha- kommen ist“. Man kann nur erahnen, wie ben. Auf Modiliana folgte 1593 Andreas sich derartige Charaktere in der Stadt de Miranda, ein Spanier. Gründe, warum selbst aufführten. Dass räuberische Sol- hier offensichtlich ein Zeichen für Ver- daten dieses Schlages aggressiv gegen- änderung gesetzt wurde, mögen auch über der Bevölkerung in Moers auftraten, im Wechsel in der Statthalterschaft der ist sehr wahrscheinlich, auch wenn die Einwohner prinzipiell die Möglichkeit Der Herzog von Parma war am 3. De- hatten, sich mit Beschwerden an die zember 1592 verstorben. Auf ihn folgte Stadtführung zu wenden, die diese unter übergangsweise Peter Ernst von Mans-

Belagerung von Moers durch Moritz von Oranien 1597 Die Spanier in Moers (1586-1598) 43

feld, Vater des bereits erwähnten Karl heim ein Schlaglicht. Der Herr von Mül- von Mansfeld. Im Januar 1593 erließ der heim und des dortigen Schlosses Broich neue Statthalter ein Mandat, das es allen war ein prominenter, der reformierten königlichen Soldaten untersagte, weiter- Lehre zuneigender Adeliger mit großem hin Gefangene gegen Lösegeld („Rantzi- on“) freizulassen. Diese sollten nunmehr Dessen Landesherr war der Herzog von unverzüglich erhängt werden. Praktiken Kleve, Jülich und Berg. Innerhalb des des Erwerbs von Beute, derentwegen Herzogtums Berg war er wiederum Inha- nicht nur die Besatzer von Moers mitt- ber einer von landesherrlichen Einsprü- lerweile berüchtigt waren, sollten nun chen weitgehend unabhängigen Eigen- durch eiserne Disziplin im Militär ausge- herrschaft. An Wirich von Daun sandten tauscht werden. Bei all dem wuchs kon- Bürgermeister, Schöffen und Rat der kret der Druck auf eine Entscheidung sei- Stadt Moers einen auf den 17. März 1595 tens der königlichen Regierung, was mit datierten Brief, aus dem hervorgeht, dass Moers längerfristig zu geschehen hatte. Bereits im März 1591 hatte Alexander Fürsprecher für die Einwohner der Stadt Farnese nach der Bitte des Herzogs von eingesetzt hatte. Dies lässt einmal mehr Kleve, die Soldaten aus der Stadt ziehen zu lassen, geantwortet, er könne diese Schreiben als „vnwill vnd vngnadt“ be- nicht erfüllen, da die „Staatischen“ sich zeichnet werden. in diesem Falle des Schlosses bemäch- tigen würden. Aus Den Haag waren wie- Auf die Hintergründe für Spannun- derum im März 1592 Drohungen an den Kurfürsten von Köln und den Herzog von ihren Einwohnern ist bereits im Zusam- Kleve ergangen, sie sollten sich um die menhang mit dem Streit um die Abgaben Restitution von Walburgis bemühen, da hingewiesen worden. Die im Exil, vorran- niederländische Truppen ansonsten die gig in Utrecht lebende Walburgis fühlte ihr zustehenden Einkünfte von deren sich offensichtlich allmählich, trotz des Untertanen eintreiben würden. Es deutet Duisburger Akkords, ihrer herrschaftli- sich hier bereits an, dass die Feinde des chen Besitzungen beraubt und sah die Königs von Spanien bereit waren, militä- Chancen, sie wieder zurückzuerhalten, mit zunehmender Dauer der Besatzung von Moers einzutreten. als immer geringer an. Der Fürstin war es zudem mit Sicherheit ein Dorn im Auge, Wie entwickelte sich nun unter die- dass die Stadtführung, wenn auch ge- sen Bedingungen das Verhältnis der zwungenermaßen, mit den Besatzern ko- operierte. Langfristig stellte sich für sie Walburgis, die sich selbst als rechtmäßi- die Frage, ob sie nicht Anstalten treffen ge Herrscherin ansah? Auch darauf wirft sollte, militärisch wieder in Besitz ihrer der Quellenbestand im Stadtarchiv Mül- Grafschaft zu gelangen. 44 Die Spanier in Moers (1586-1598)

zurückzugewinnen. Zur Entschuldigung bereits länger zuvor einen für sie sehr für die entstandenen Unstimmigkeiten wichtigen Hebel in Bewegung gesetzt, verwiesen die Stadtführer von Moers auf um dies zu erreichen. Sie hatte sich an die große Furcht, unter der die Einwoh- Vertreter der nordniederländischen Ge- ner in ihrer „Babilonischer gefangknus“ neralstaaten, dem höchsten Ständegre- litten und klagten über die Last der mium, das mittlerweile die abtrünnigen Dienste, der „servitien, so vns teglich auf- Provinzen im Rahmen einer Republik repräsentierte, gewandt. Die General- dar mehr ist.“ staaten, die ihrerseits in Den Haag von Vertretern verschiedener von Kriegs- Der Brief an Wirich von Daun, in dem handlungen betroffener Reichsstände die Autoren nicht namentlich genannt aufgesucht worden waren, hatten diese sind, sondern lediglich der Mitbürger im September 1590 mit dem Wunsch der Thomas Steuningh als Überbringer ge- - nannt wird, enthält noch eine weitere stellung derselbigen Güter“ zu leisten. wichtige Nachricht: Der Stadtführung sei Von der mangelnden Unterstützung der es zu Ohren gekommen, dass der „Bur- Reichsstände in ihrer Sache enttäuscht, gundisch Hoff“, gemeint ist die Zentrale hatte sich letztlich dazu entschlossen, des königlichen Statthalters in Brüssel, sich noch enger an die nördlichen Nie- vorhabe, Stadt und Grafschaft Moers aus derlande anzuschließen und setzte am dem Reich auszugliedern und dem Ober- 21. November 1594 den militärischen quartier Geldern mit der Hauptstadt Ro- Führer der Republik der Niederlande, ermond einzuverleiben. Wirich von Daun Moritz von Oranien, zu ihrem Erben und möge den Vorgang beim anstehenden damit auch Nachfolger als Grafen von Kreistag in Essen, auf dem sich die Ver- Moers ein. Dieser wurde nun damit ge- treter der Stände des Niederrheinisch- radezu ermuntert, die Stadt Moers zu er- westfälischen Reichskreises versammel- obern, um seine Erbschaft zu sichern. ten, auf die Tagesordnung bringen und um Protektion bitten. Offensichtlich war all dies den Bür- gern in Moers nicht ganz verborgen Demnach stand aus der Sicht des geblieben, denn der Brief vom 17. März Moerser Stadtrats somit die Zugehörig- 1595 lässt erkennen, dass nun die Be- keit der Grafschaft Moers zum Nieder- rheinisch-westfälischen Reichskreis auf wurden. Bürgermeister, Rat und Schöffen dem Spiel. Mehr noch: Die Niederlande bedauerten, dass sie bei ihrer „Landtz- waren im Burgundischen Vertrag von fraw“ in Ungnade gefallen waren und be- 1548 rechtlich weitgehend aus dem dankten sich bei Wirich von Daun dafür, Reich herausgelöst worden, indem die - Einwirkungsmöglichkeiten der Reichs- gis für sie einzunehmen, um deren Gunst stände stark beschnitten worden waren. Die Spanier in Moers (1586-1598) 45

Auch wenn die südlichen Niederlande sondere die in Frage kommenden pro- und der Burgundische Kreis nominell testantischen Erbschaftsprätendenten Bestandteil des Heiligen Römischen machten sich Hoffnungen auf die Über- Reiches Deutscher Nation blieben, wa- nahme. Vor diesem Hintergrund wurden ren die Möglichkeiten der dort leben- bereits im Herbst 1593 angebliche Pläne den Bewohner, Institutionen wie etwa der Spanier, sich auch dieser Gebiete zu das Reichkammergericht in Anspruch zu bemächtigen, diskutiert. nehmen, doch faktisch gleich null. Mit Sicherheit wäre die Eingliederung in All diese Gedankenspiele, die zum Teil das Oberquartier Geldern der endgülti- bereits zu politischen Konsultationen gen Preisgabe politischer und religiöser etc. Anlass gaben, zeigen, dass die reichs- Freiheiten gleichgekommen. Sie hätte rechtlichen Grundlagen am Niederrhein überdies den dauerhaften Übergang zum zu erodieren drohten. Andererseits müs- Katholizismus mit sich gebracht. sen wir bedenken, dass die endgültige und dauerhafte Okkupation von Reichs- Wir haben uns bei all dem zu ver- gebieten für beide große Parteien im gegenwärtigen, dass in diesen Monaten Krieg, die spanisch-südniederländische nicht nur im Hinblick auf die kleine Graf- und die generalstaatisch-nordniederlän- schaft Moers derartige Spekulationen dische, hohe Risiken mit sich gebracht kursierten, über deren realen Hinter- hätte. Viele der bislang auf friedlichen grund wir bei der gegenwärtigen For- Ausgleich hin orientierten Reichsstände schungslage nicht viel sagen können. hätten sich unter solchen Umständen ei- Angesichts der Dynamik im niederlän- nes anderen besinnen können. Inwieweit disch-spanischen Krieg, in dem sich bei- die Beziehungen zwischen dem König de Seiten zu mächtigen Gegnern aufge- von Spanien und dem Kaiser, beide hohe schwungen hatten, welche die Länder verwandte Vertreter des habsburgischen und Orte militärisch okkupierten, wenn Kaiserhauses, durch kriegerische Aneig- ihnen dies sinnvoll erschien, wurde auch nungen von Reichsterritorien seitens für andere Territorien des Niederrheins spanischer Truppen nicht erheblich ge- die Reichszugehörigkeit als bedroht an- trübt worden wären, ist eine ebenfalls gesehen. Dies galt insbesondere für die naheliegende Frage. Herzogtümer Jülich, Kleve und Berg samt der zugehörigen Grafschaften Mark und Ravensberg, da immer deutlicher gewor- und Grafschaft Moers dem exponierten den war, dass Herzog Johann Wilhelm, Anführer der generalstaatischen Partei, Nachfolger von Wilhelm V. seit 1592, Moritz von Oranien-Nassau, zu übertra- aufgrund einer Geisteskrankheit nicht in gen, schien, wenn wir uns den Schen- der Lage war, seine Länder zu führen. Die kungsvertrag vom 21. November 1594 Dynastie stand für viele zeitgenössische genauer anschauen, demgegenüber mit Betrachter vor dem Aussterben, insbe- reichsrechtlichen Prinzipien durchaus 46 Die Spanier in Moers (1586-1598)

vereinbar. Die Abmachungen, die dem ligion gewidmet. Auch in dem Brief, den Oranier die Herrschaft über Moers nach Bürgermeister, Schöffen und Rat nur we- - nige Monate später an Wirich von Daun ten, waren insgesamt recht offen for- richteten, sind zahlreiche religiöse Äuße- muliert. Dabei ist festzustellen, dass mit rungen enthalten. Inwieweit sie sich im der Betonung der guten Beziehungen theologischen Detail als Bekenntnis zu zwischen dem Haus Neuenahr und dem diesem als „wahrer Religion“ begriffenen Haus Nassau, mit der die Schenkung be- Glauben deuten lassen, soll hier nicht gründet wurde, eben zwei Reichsstände untersucht werden. Die starke Betonung genannt wurden. Auch wurde verspro- religiöser Aspekte, die hier vorliegt, weist chen, auf die Rechte des Herzogs von aber darauf hin, dass die Moerser Stadt- Kleve Rücksicht zu nehmen. Die Dona- führung glaubte, sich mit einem der re- tion ging somit nicht auf Kosten reichs- formierten Religion zugetanen hohen rechtlicher Prinzipien vonstatten. Adeligen auf einer guten kommunikati- Die Vereinbarung im Schenkungs- dass man das Ende der „Babylonischen vertrag, die „ware christelyke religie“ Gefangenschaft“ auch ersehnte, um die in Stadt und Grafschaft Moers zu kon- konfessionellen Verhältnisse wieder servieren und die Gerechtigkeiten und umzukehren, war somit in diesem Doku- Freiheiten der dort lebenden Menschen ment impliziert. nach äußerstem Vermögen zu schützen, war der Bewahrung der reformierten Re- 7. Das Ende der „Spanischen Zeit“ in Moers Auf die Eroberung von Moers durch Moritz von Oranien, die über Quellen gut dokumentiert ist, soll an dieser Stel- le nicht weiter eingegangen werden. Dass man diese Einnahme der Stadt sicherlich als Befreiung ansah, ist wohl kaum in Frage zu stellen. Halten wir stichpunktartig fest: Am 8. September 1597 verließen die Soldaten und Gou- verneur Andrea de Miranda die Stadt in allen Ehren mit ihrem Besitz, ihren Waf- fen und wehenden Fahnen, nachdem sie übergeben hatten.

Die Zeit der Bedrückung durch die Moritz von Oranien Spanier war damit jedoch keineswegs Die Spanier in Moers (1586-1598) 47

vorüber. Zwar konnte Walburgis von sen und diese auffordern, die zugestan- Neuenahr im August 1598 wieder in ihre dene Neutralität zu akzeptieren. Als Zei- Stadt einziehen, nachdem es gelungen chen des eigenen guten Willens wurde war, Erzherzog Albrecht von Österreich die kurz zuvor verfügte Wiederzulassung als neuen, den friedlichen Ausgleich der Karmeliten in Moers angeführt. anvisierenden Statthalter der südlichen Niederlande dazu zu bewegen, Moers Einen Erfolg dieser diplomatischen Neutralität wiederum zu garantieren. Anstrengungen, die auf den ersten Blick Aber bereits am 13. Oktober 1598 sah man darin erblicken, dass die Soldaten Brief aus Moers den zwischenzeitlichen tatsächlich wieder aus Moers abzogen. Vertreter des Erzherzogs, Andreas von Österreich, zu kontaktieren und Be- Walburgis erneut nach Brüssel, bedank- schwerde zu erheben. Schon gleich „zu te sich bei Erzherzog Andreas für des- anfang meiner ankunfft“, so Walburgis, sen Interzession, beschwerte sich aber habe sich Don Francisco de Mendoza, Ad- nun darüber, dass Admiral de Miranda miral des Königreichs Aragon, mit einem Kontributionen bei den Bewohnern der gewaltigen Kriegsheer zur Belagerung Grafschaft Moers erhob, um die nach der der Stadt Rheinberg aufgemacht und gelungenen Einnahme von Rheinberg sich in Orsoy und ihrer Grafschaft Moers einlagernden Truppen zu versorgen. Be- eingelagert. Daraufhin seien die auf dem reits zuvor hatte sie den Erzherzog davon Lande lebenden Leute „von hauß, hoff unterrichtet, dass diese von verschiede- und allem dem irigen […] in die statt Meurß entwichen.“ Anschließend sei sie und weiteren Gulden aufgefordert wor- von Abgesandten des Don Francisco auf- den waren. gefordert worden, etliche Reiterkompa- gnien in ihre Stadt einzulassen, bis die Stadt Rheinberg erobert sei.

Am Morgen darauf seien mindestens sechs solcher Kompanien in die Stadt gebracht worden, „dessen sich dan“ so als die voran nun von 14 oder 15 jarn auffs eußerste beschwerdt und zu unver- moegenheit entlich zu verderben bracht, [sich] mit und neben mir allerhochst beschwern“. Erzherzog Andreas möge daher seinem Admiral und den anderen Darstellung der Ermordung des Drostes Befehlshabern ein Patent zukommen las- Wirich VI. 48 Die Spanier in Moers (1586-1598)

Die königlich-spanischen Truppen sondern, wie am Brief aus dem Jahre 1595 richteten im Herbst 1598 noch einmal zu sehen ist, auch die Bürger von Moers, ungeheuren Schaden am Niederrhein die zwischen die Fronten geraten waren und an der Ruhr an und hinterließen blu- und über elf Jahre Kriegsalltag trotz des tige Spuren. Wirich von Daun wurde auf neutralen Status und der zugesicherten seinem Schloss Broich ermordet, nach- „Salvaguarde“ erlebten. dem die Soldaten unter Francisco de Mendoza den Einlass erzwungen hatten. Auch in der oranischen Zeit sollten Nichtsdestoweniger waren sie diesmal militärische Aspekte über den Ausbau nur kurz in Moers geblieben. Offensicht- der Befestigungen in der Stadt stark lich waren Befehle ergangen, die Stadt zum Tragen kommen. Erneute Neutrali- zu verlassen. tätserklärungen für Stadt und Grafschaft Moers, wie die vom 24. April 1607, knüpf- 8. Schlussbemerkung ten wiederum direkt an jene rechtlichen Dass der Begriff „Spanier“ noch länger und politischen Vereinbarungen an, die für die Einwohner von Moers mit Furcht - und Schrecken verbunden war, kann man zöge von Kleve, direkt vor dem Einlass angesichts der Besatzung von 1586 bis der spanischen Soldaten getroffen und 1597 und der kriegerischen Situation, die in den folgenden Jahren mehrfach bestä- noch einmal im Jahr 1598 entstand, nach- tigt worden waren: Es sollte auch künf- vollziehen. Festzuhalten ist aber, dass tig, so wurde es hier formuliert, „eben der Neutralitätsstatus, welcher der Stadt die neutralität“ herrschen, „welche zur und der Grafschaft Moers zugesprochen wurde, es allen Beteiligten immer wieder gewesen“. Walburgis von Neuenahr und ermöglichte, miteinander zu verhandeln. Moers hatte diesen Status phasenweise Trotz der Bedrückung und Bedrohung, in ihrem Exil in Utrecht in Frage gestellt. die der Krieg und die Präsenz königlich- Um ihre Untertanen in Schutz zu neh- spanischer Soldaten und ihrer Führer für men, war sie wiederum bereit gewesen, die Menschen vor Ort bedeutete, ist dip- ebenso wie diese zu beteuern, dass die lomatische Kommunikation in einem er- Moerser niemals dem König von Spanien staunlichen Umfang nachweisbar. Diese feindlich gesonnen gewesen waren und sollte immerhin dazu dienen, Übel zu be- sich ihm gegenüber „jedertzeit neutrall grenzen. Nicht nur die hohen herrschaftli- verhalten“ hätten. chen Würdenträger beteiligten sich daran,

______

Fotomaterial und Bildunterschriften: Jürgen Stock