Magazin der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien Dezember 2005

Schillernd unverwechselbar

Julia Stemberger

Gleich fünfmal ist Julia Stemberger im Dezember auf Podien des Wiener Musikvereins zu erleben. Viermal im Magna Auditorium mit “Mikado”, der skurill-formidablen Operettenproduktion des Familienclans Schwertsik & Stemberger. Und einmal im Brahms-Saal – als Sprecherin in einer Uraufführung, Helmut Schmidingers “Rondo”. Thomas Gabler portraitiert sie: eine große Schauspielerin zwischen den Welten.

"Wenn die Leute einen ständig loben – man kann da schon leicht größenwahnsinnig werden!" Ganze zwanzig Jahre ist es nun her, daß Julia Stemberger in einem Zeitungsinterview diesen Satz sagte. Frisch von der Schule weg, knapp nach der mit Auszeichung bestandenen Matura, hatte sie damals, 1984, als Susanne an der Seite von Nikolaus Vogel in Walter Bannerts Teenie-Kassenschlager "Herzklopfen" junges Publikum in Scharen in die Kinos gelockt. Und die Kritiker schwärmten von dem jugendlichen Shirley-McLaine-Gesicht, von der Frische des Jungstars – wenn auch von Älteren und Eltern streng beäugt ob der unverhüllten Szenen! Eben jener Größenwahn, den sie damals am Beginn ihrer Karriere wohl mehr mit jugendlicher Naivität – und vielleicht auch mit ein wenig Stolz – fürchtete, der hat sie bis heute nicht erfaßt.

"Ich möchte alles ausprobieren", hat sie sich damals als Ziel gesteckt. Dieses Ziel hat sie souverän erreicht: Zwei Dekaden nach ihrem "Durchstarten" hat sie längst bewiesen, was und wieviel Kraft in ihr steckt. Denn Julia Stemberger kann es, hat es, beweist es immer wieder: Talent und jenes darstellerische Potential, daß für Erfolg notwendig ist. Heute zählt sie so zu den erfolgreichsten Schauspielerinnen des deutschen Sprachraums: Sie gab Kino- und Fernsehfilmen im In- und Ausland und in Übersee mit ihrer unverkennbaren Persönlichkeit, mit ihrer Ausstrahlung zwischen spitzbübischer Frechheit, weiblicher List und schauspielerischem Selbstverständnis auch den gewissen wienerischen, aber sehr wohl modernen Charme. Der macht sie begehrt in München, , Paris …

Multitalent mit klassischem Fundament "Julia, du bist zauberhaft", "Ein Mädchen, gut für jede Rolle" oder "… die süße Julia mag man eben": Die klassische Wienerin ist Julia Stemberger trotz der vielen netten Zueignungen im Laufe der Jahre noch lange nicht geworden. Das mutet zwar seltsam an, ist aber leicht erklärbar: Julia Stembergers Format! Aber just eine wienerische Eigenart der Gesellschaft hat sie vermutlich geprägt für ihr umtriebiges Künstlerinnenleben zwischen Bühne und Leinwand, Mondsee-Tagen und jungem Mutterdasein.

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Die in der Jetztzeit arg verpönte "bürgerlich-musische Bildung" mit Querflöten-Unterricht, Klavierstudium und Gesangsausbildung prägten sie, machten aus ihr ein Multitalent mit allen möglichen Fähigkeiten. Das war ihr aber scheinbar nie Last, denn während ihre Schulkameraden in Discos und auf Partys gingen (wie sie einmal äußerte), feilte sie schon an ihrer Zukunft, nahm Schauspielunterricht bei Dorothea Neff und Eva Zilcher und sammelte bald danach erste Musical-Erfahrung als Priscilla in Michael Schottenbergs "Elvis"-Inszenierung für das Wiener Schauspielhaus.

Beeindruckende Präsenz Die Biographie der Nichte zweiten Grades der temperamentvollen Nachkriegs- Filmschauspielerin Elisabeth Stemberger liest sich heute schon wie ein Who-is-Who des deutschen Films und der Bühnen: Peter Hajek ("Mozart und Meisel"), Marvin Chomski ("Strauß- Dynastie", "Indiana Jones", "Highlander"), Xaver Schwarzenberger ("Die skandalösen Frauen", "Andreas Hofer", Eine Liebe in Afrika"), Gabirel Barylli ("Honigmond"), Dieter Wedel ("Der Schattenmann", "Der König von St. Pauli"), Peter Kahane ("Geboren in Absurdistan") und und und. Renommierte Theaterregisseure wie Jürgen Flimm, .

Peter Stein und George Tabori holten sie auf große Bühnen – vom bis zu den Salzburger Festspielen und mit Partnern von Gert Voss ("Othello") bis Karlheinz Hackl ("Der Schwierige"), von Otto Schenk ("Mädel aus der Vorstadt") bis Ulrich Tukur ("Jedermann"). Als Vorbild nannte sie einmal in einem Gespräch mit einem Reader´s-Digest-Redakteur Paula Wessely: "Diese Art von Qualität, von Präsenz hat mich beeindruckt."

Aktrice ohne Grenzen Welche Rolle lag der mit dem Goldenen Löwen und dem Französischen Darstellerpreis ausgezeichneten Förderin von Greenpeace nicht? Unbeantwortbar ist diese Frage, denn Julia Stemberger konnte und kann adeliges Mädchen und raffiniertes Biest, verstörte Frauenseele und Nonne, Edelnutte und biedere Hausfrau, zärtlich liebende Desdemona und Pierrots Geliebte, betörende Schönheit und kämpfendes Schattenwesen der Gesellschaft sein. Verwandlungsfähigkeit ist ein weiteres Phänomen, mit dem Julia Stemberger zu überzeugen versteht.

Wenn auch in ganz anderer Art als die Wessely mit ihrer starr blickenden Leidensfähigkeit und dem etwas singenden Ton. Reizend kann die Stemberger auch sein und bedrohlich, lasziv erotisch (auch wenn sie schon lange keine Hüllen mehr fallen läßt) und schnippisch, leidenschaftlich und energisch, voll Gefühl und mit der selbstzerstörerischen Kraft einer großen Liebenden. Unverwechsellbar ist sie obendrein, lächelt einmal irritierend herüber von Leinwand und Rampe und ist plötzlich ganz eine Frau der Gegenwart, mondän und elegant, vom Leben

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gezeichnet und vom Dasein zum Kämpfen verurteilt. Wer sie als "Gute Werke” im Salzburger "Jedermann" sah, sah sie anders als in der Rolle der Eliza an der Seite von Michael Heltau in "My fair Lady" an der Volksoper. Ein Kapitel, das endlos fortgedacht werden könnte – und wohl noch lange weitergedacht werden darf. Julia Stemberger macht alles – und das mit enormer Neugierde, in höchster Perfektion und großer Lust am Moment.

Drei schöne Frauen und ein Mann Eigentlich paßt Julia Stemberger in keine Kategorie. Und das Star-Sein will sie nicht als "Kriterium" für sich beanspruchen. Sich, ihr Leben und ihre Arbeit mag sie auch nicht an Oberflächlichkeiten orientieren. Rezitationsabende erarbeite sie genauso penibel und konzentriert wie große Filmrollen, Bühnenfiguren oder Musical-Charaktere. Und doch glaubt man, in ihrem Tun neben viel Lust eine gewisse Leichtigkeit zu spüren, verraten doch ihr jugendliches Lachen einen Schalk im Nacken, einen Genuß am Leben als Schauspielerin zwischen den Welten.

Vor fünf Jahren hat sie sich dann auch noch das Mutterfach dazu erobert. Das aber in natura, ohne dramaturgisches Zutun und theatralische Effekte. Denn mit Töchterchen Fanny rückte ein ganz neuer Mensch in ihren Lebensmittelpunkt, der sorgt wohl für Sonnenschein en famille …

Oh ja! Das Thema Künstlerfamilie hat in Wien noch immer Tradition. Die "Stembergers/Schwertsiks" (mit Schwester Katharina Stemberger, mit Mutter Christa und Stiefpapa, dem Komponisten Kurt Schwertsik) sind ein Wiener Begriff geworden dank der darstellerisch-musikalischen Leidenschaft in Quartettform. Und sie sind auch zu einem Synonym für eine selten gewordene Art von Zusammenhalt geworden, eine Eintracht und Liebe, die sich bis auf die Bühnen und Konzertpodien fortspinnt. Wobei der Witz bei den drei schönen Frauen plus Mann immer eine große Rolle spielt:

Wie schon bei Herzmanovsky-Orlandos Groteske "Abduhenendas mißratene Töchter" 1996 zeigen sie auch bei der Operette "Der Mikado" von Gilbert & Sullivan – dieses Stück präsentierten sie zum ersten Mal 2000 im Wiener Rabenhof – ihren Hang zu turbulenten Verwirrungen, merkwürdigen Ereignissen und Spaß an der Verkleidung. Raritäten wie diese scheinen dem sympathischen Clan echtes Herzensanliegen zu sein. Dazu packt auch Julia Stemberger mit Freude ihre Instrumente ein, trainiert die Stimme (die auch Schnarren und Säuseln kann) und frönt perfekt und höchst professionell hausmusikherziger Eintracht mit ihren

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Lieben: Wo Julia mitsingt, da lasse dich ruhig nieder, eitle Stars haben keine Lieder!

Thomas Gabler Thomas Gabler ist Kulturredakteur der “Kronen Zeitung” in Wien.

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