1 Vorbemerkung Das Gesprochene Wort in Der Öffentlichkeit Hatte Für
Vorbemerkung „Schwaden verdorbener Literatur liegen über dem Lande und machen das Atmen unmöglich. Der [...] Massenmensch hat das Recht zu denken, zu reden und zu schreiben für sich allein usurpiert, er hat allen anderen den Mund verboten und, vor Widerspruch sicher, macht er von seinem Prärogativ auf eine Weise Gebrauch, daß einem Hören und Sehen vergeht und man die liberale Demokratie verfluchen möchte, die jedermann Lesen und Schreiben gelehrt hat.“1 Das gesprochene Wort in der Öffentlichkeit hatte für die faschistischen Führer größte Bedeutung. Ihre Reden erfüllten jedoch eher eine liturgische Funktion, als daß sie der didaktischen Vermittlung der jeweiligen Ideologie gedient hätten. Die Ansprache selbst wurde in ein kultisches Zeremoniell integriert; was vorgetragen wurde, war letztlich von minderer Bedeutung im Vergleich zur aufwendigen und bewußt gesteuerten Inszenie- rung der Reden. Adolf Hitler und Benito Mussolini brachten zwar zeitweilig ihre Ge- danken zu Papier, und auch der NS-Chefideologe Alfred Rosenberg verfaßte seinen Mythus des 20. Jahrhunderts, nach Martin Broszat die „Bibel des Nationalsozialismus“2. Aber in der Praxis wurden die Bücher weit weniger gelesen, als man ihrer Verbreitung nach annehmen sollte, und auch in ihnen wurde schließlich der Primat des gesprochenen Wortes vor der schriftlichen Darstellung der Ideologie betont.3 Auf diesem Weg drang die NS-Ideologie allmählich ins Bewußtsein eines großen Teils der Bevölkerung. Die traditionelle Gattung der Politikerrede wurde mit einem spezifischen Pathos aufge- laden, das die Zuhörer als echt empfanden.4 Direkte Anreden bestimmter Gruppen der 1 Mann, Thomas, Achtung, Europa!, in: Ders., Essays Bd. 4: Achtung, Europa! 1933-1938, Frankfurt am Main 1995, S. 156. 2 Broszat, Martin, Der Nationalsozialismus.
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