NSDAP in Lübeck 131
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04 Lehmann 20.06.2007 0:48 Uhr Seite 131 Sebastian Lehmann Die NSDAP in Lübeck 131 „... Schleswig-Holstein stammverwandt, lebe Sebastian Lehmann: wohl Friedrich Hildebrandt ...“ – Mit dieser Version des Schleswig-Holstein-Liedes begin- „…Schleswig- gen – hartnäckigen Gerüchten zufolge – Holstein stamm- Lübeck führende Lübecker Nationalsozialisten die Eingliederung Lübecks in die preußische Pro- verwandt, lebe vinz Schleswig-Holstein am 1. April 1937 und wohl Friedrich damit auch den Abschied von Ihrem bisherigen NSDAP-Gauleiter Friedrich Hildebrandt.1 Offiziell wurde die Überleitung der Stadt Hildebrandt…“ Lübeck und des vormaligen oldenburgischen Landesteils Lübeck Die NSDAP in Lübeck (danach Landkreis Eutin) nach Schleswig-Holstein allerdings in pompös inszenierten Zeremonien in Hamburg, Lübeck und Eutin 1 Angeblich handelte es sich dabei um den gefeiert.2 Im Zuge des Groß-Hamburg-Gesetzes vollzogen sich so Lübecker Oberbürgermeister Otto-Heinrich die tiefgreifendsten territorialen Veränderungen in der Provinz seit Drechsler und die Senatoren Hans 1920, denn im Gegenzug musste Schleswig-Holstein die beiden Böhmcker und Walter Schröder im Lü- Großstädte Altona und Wandsbek an das Hamburger Staatsgebiet becker Ratskeller. Gerhard Schneider be- abgeben. zweifelt den Wahrheitsgehalt dieser tref- Wie die eingangs erwähnte Episode zeigt, betrafen die Gebiets- fenden Anekdote jedoch, vgl. Gerhard veränderungen jedoch nicht allein die Zugehörigkeit zu Verwal- Schneider: Gefährdung und Verlust der Ei- tungseinheiten; gleiches galt auch für die NSDAP, die sich seit 1928 genstaatlichkeit der Freien und Hansestadt aus wahltaktischen Überlegungen in ihrer territorialen Organisation Lübeck und seine Folgen. Lübeck 1986, an den Grenzen der Reichstagswahlkreise orientiert hatte. Der „Gau S. 92, Anm. 298. der NSDAP“ Schleswig-Holstein bestand seit seiner offiziellen 2 Vgl. bspw. die Berichterstattung im „Gründung“3 am 1. März 1925 in Neumünster auf dem gleichen Ter- NSDAP-Gauorgan „Schleswig-Holsteinische ritorium wie der „Reichstagswahlbezirk 13“, der neben dem Regie- Tageszeitung“ vom 1.4.1937: rungsbezirk Schleswig auch den oldenburgischen Landesteil Lübeck „Lübeck gehört zu Schleswig-Holstein". umfasste. Als „Gauführer“ beziehungsweise Gauleiter der NSDAP – 3 Vgl. hierzu Kay Dohnke: „Das Kernland so die offizielle Bezeichnung – konnte sich der frühere Bankange- der nordischen Rasse grüßt seinen Führer“. stellte Hinrich Lohse durchsetzen; er sollte dieses höchste regionale Zur Frühgeschichte der NSDAP in Schles- Parteiamt bis zur Auflösung der NSDAP 1945 behalten.4 Unter sei- wig-Holstein und im Kreis Steinburg. In: ner Leitung entwickelte sich die schleswig-holsteinische Parteiorga- Steinburger Jahrbuch 40 (1996), S. 9-19. nisation aus Sicht der Parteiführung geradezu mustergültig. Nir- 4 Zu Lohse vgl. die zahlreichen Beiträge gendwo anders im Reich konnte die Partei so früh ähnliche Rekord- von Uwe Danker, zuletzt: Uwe Danker: Der ergebnisse bei Wahlen einfahren, nirgendwo stiegen die Mitglieder- schleswig-holsteinische NSDAP-Gauleiter zahlen der NSDAP ähnlich rasant an. Die aus nationalsozialistischer Hinrich Lohse. Überlegungen zu seiner Bio- Sicht besonders erfreuliche Entwicklung in Schleswig-Holstein grafie. In: Karl-Heinrich Pohl/ Michael stärkte Lohses Position als oberster Parteifunktionär, der nahezu un- Ruck (Hrsg.): Regionen im Nationalsozia- angefochten in „seinem“ Gau die Zügel in der Hand hielt. Potentiel- lismus. Bielefeld 2003, S. 91-120. le Konkurrenten um die Macht hatte er früh ausgeschaltet5 oder sich 5 Vgl. bspw. Uwe Karstens: Der Fall mit ihnen arrangiert6 . Dies änderte sich auch nicht nach der natio- „Grantz“ – Interne Kämpfe der dithmarsi- nalsozialistischen Machtübernahme: Lohse versah nun als Oberprä- schen NSDAP 1929/30. In: ZSHG 112 sident auch das höchste Verwaltungsamt in der Provinz und ver- (1987), S. 215-233. mochte durch geschicktes Taktieren und strategische Personalpolitik 6 So etwa mit dem SA-Obergruppenführer die Verwaltungselite in der Provinz auf seine Person zu Joachim Meyer-Quade. verpflichten.7 7 Vgl. dazu im Einzelnen Sebastian Leh- Im Zuge der Gebietsveränderungen des Groß-Hamburg-Geset- mann: Kreisleiter der NSDAP in Schleswig- zes stellte sich der nun fest im Sattel sitzenden schleswig-holsteini- Holstein. Lebensläufe und Herrschaftspra- schen Parteiführung die Aufgabe, den als „problematisch“ geltenden xis einer regionalen Machtelite. Bielefeld Stadtkreis Lübeck in die Parteiorganisation und in die Verwaltung 2007, S. 247-256. 04 Lehmann 20.06.2007 0:48 Uhr Seite 132 132 Sebastian Lehmann Die NSDAP in Lübeck Der NSDAP-Gau Schleswig-Holstein vor den der Provinz zu integrieren. Problematisch war Lübeck in nationalso- Gebietsveränderungen durch das Groß- zialistischer Perspektive nicht allein wegen seines traditionell sehr Hamburg-Gesetz. Die Karte zeigt die Kreis- starken und schlagkräftigen „roten“ Milieus, in dem die NSDAP nur einteilung des Gaus. Deutlich zu erkennen schwer Fuß fasste.8 Auch in innerparteilicher Hinsicht war Lübeck sind die zum Gau Mecklenburg-Lübeck ein Problemfall, denn die lokale NSDAP-Führungsclique erwies gehörenden Gebiets-Enklaven. Die Über- sich spätestens nach 1933 als nahezu unkontrollierbar für die Gau- sicht zeigt die territoriale Organisation der zentrale in Schwerin.9 Exemplarisch bietet die Untersuchung des NSDAP in Schleswig-Holstein nach Kreisen, „Falls Lübeck“ die Möglichkeit, Konflikte zwischen „Zentrum“ und Ortsgruppen (und Stützpunkten), Zellen „Peripherie“ innerhalb der NSDAP zu untersuchen und auch ob tra- bis hinunter zu den Blocks als kleinste Or- ditionelle Kategorien wie der Dualismus zwischen Staat und Partei, ganisationseinheiten. in diesem Fall also zwischen kommunaler Verwaltung und Partei- (Quelle: Reichsorganisationsleiter der dienstellen der NSDAP überhaupt greifen. Die Herausbildung einer NSDAP, Partei-Statistik. o.J. und o.O. lokalen Herrschaftsclique verdeutlicht zudem längsschnittartig ver- [München 1935]. Bd. III [Gliederungen schiedene Probleme der Kreisleitungen der NSDAP nach Erhalt der und angeschlossene Verbände], S. 237f.) politischen Macht im NS-Regime. 04 Lehmann 20.06.2007 0:48 Uhr Seite 133 Sebastian Lehmann Die NSDAP in Lübeck 133 Die Lübecker „Kreis-Clique“. Die Lübecker Ortsgruppe der 8 So hatte die NSDAP im Stadtkreis Lübeck selbst NSDAP war bereits am 9. April 1925 gegründet worden. Mit- bei der kaum noch als vollkommen frei zu bezeich- begründer und erster Ortsgruppenleiter der Lübecker NSDAP nenden Reichstagswahl vom 5. März 1933 lediglich war der damals 22-jährige Emil Bannemann. Der aus einer Ei- rund 42% der Stimmen erzielen können und damit senbahnerfamilie stammende Kaufmannsgehilfe war erst we- weniger als SPD (38,7%) und KPD (8,2%) zusam- nige Wochen zuvor nach Lübeck gezogen, konnte aber trotz men. Damit lag die NSDAP in Lübeck noch hinter den seines geringen Alters bereits auf eine lupenreine völkische Ergebnissen in den anderen „roten“ Hochburgen Kiel „Karriere“ zurückblicken. Nach kurzer Mitgliedschaft im (47,7%) und Neumünster (44,7%). Errechnet aus: Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund war Bannemann Statistik des Deutschen Reichs. Neue Folge, Bd. bereits 1922 der NSDAP beigetreten, wurde Mitglied im Frei- 434. Osnabrück 1978 (Neudruck der Ausgabe Berlin korps Löwenfeld und hatte sich am „Ruhrabwehrkampf“ ge- 1938), S. 118, 243. 04 Lehmann 20.06.2007 0:48 Uhr Seite 134 134 Sebastian Lehmann Die NSDAP in Lübeck Der NSDAP-Gau Mecklenburg-Lübeck 1935. Die gen die französische Besetzung des Ruhrgebietes 1923 beteiligt. Karte zeigt die Kreiseinteilung des Gaus. (Quel- Die Verbotszeit der NSDAP überbrückte Bannemann im Völ- le: Reichsorganisationsleiter der NSDAP: Partei- kisch-Sozialen Block (VSB), einem Sammelbecken völkisch- Statistik. o.J. und o.O. (München 1935). Bd. III antisemitischer Gruppierungen. In Lübeck arbeitete er als Lohn- (Gliederungen und angeschlossene Verbände, vorsteher bei der Firma Villeroy & Boch.10 S. 221f.)) Bereits kurze Zeit nach der Ortsgruppengründung hatte sich das 9 Das Thema ist jüngst von Bernd Kasten sach- Verhältnis der Lübecker NSDAP-Ortsgruppe mit Bannemann an kundig vor allem mit Hinblick auf Gauleiter Hild- der Spitze zu der Gauleitung Mecklenburg-Lübeck, namentlich ebrandt und die Perspektive der mecklenburgi- zu Gauleiter Friedrich Hildebrandt11, verschlechtert. Im Juni schen Parteiorganisation ausgeleuchtet worden, 1926 waren die Differenzen, deren genaue Ursache unklar vgl. Bernd Kasten: Friedrich Hildebrandt (1898- bleibt, derart angewachsen, dass Bannemann den Ortsgruppen- 1948) – Ein Landarbeiter als Gauleiter und vorsitz niederlegte. 1935 kommentierte Oskar Schweichler, der Reichsstatthalter von Mecklenburg und Lübeck. Verfasser der Lübecker Parteichronik, die neun Jahre zurücklie- In: ZVLGA 86 (2006), S. 211-227. Die vorlie- genden Vorgänge sibyllinisch: „Waren es Meinungsverschieden- genden Ausführungen verstehen sich vor diesem heiten, waren es Mißverständnisse, die den Anlaß gaben? Mach- Hintergrund auch als Ergänzungen aus schles- ten sich irgendwelche andere Triebkräfte geltend? Bis zur tag- wig-holsteinischer Perspektive. hellen Klarheit läßt sich heute mit der Fackel der Erforschung 04 Lehmann 20.06.2007 0:48 Uhr Seite 135 Sebastian Lehmann Die NSDAP in Lübeck 135 nicht mehr hineinleuchten.“12 Bannemanns Rücktritt von der Orts- gruppenleitung ging Hildebrandt offenkundig nicht weit genug, denn im Januar 1927 verließ der Gründer der Ortsgruppe die Partei. Hildebrandt hatte Bannemann und vier weiteren Ortsgruppenmit- gliedern „parteischädigende