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Corona Magazine #352

Februar 2020 Beschreibung & Impressum

Das Corona Magazine ist ein traditionsreiches und nicht- kommerzielles Online-Projekt, das seit 1997 die Freunde von Science-Fiction, Phantastik, Wissenschaft, Kunst und guter Unterhaltung mit Informationen und Hintergründen, Analysen und Kommentaren versorgt. Seit dem Wechsel zum Verlag in Farbe und Bunt erscheint es im zeitgemäßen E-Book-Gewand.

Redaktion Uwe Anton, Reiner Krauss, Bettina Petrik, Thorsten Walch, Reinhard Prahl, Alexandra Trinley, Oliver Koch, Lieven L. Litaer, Birgit Schwenger, Sven Wedekin, Kai Melhorn, Armin Rößler, Rüdiger Schäfer, Pyzalski, C. R. Schmidt, Bernd Perplies, Hermann Ritter, Carsten Schmitt, Hartmut T. Klages, Frank Stein, Bastian Ludwig, Peter R. Krüger

Herausgeber & Chefredakteur Der Verleger, Medienjournalist & Autor Björn Sülter schreibt Romane (Beyond Berlin, Ein Fall für die Patchwork Kids) & Sachbücher (Es lebe , Die Star-Trek-Chro- nik), ist Headwriter und Experte für und mit Kolumnen und Artikeln bei Quotenmeter, Serienjunkies, in der GEEK! oder im FedCon Insider vertreten. Dazu präsentiert er seinen beliebten Planet Trek fm und ist als Hörbuchsprecher (Der Earl von Gaudibert, Dunkle Begegnungen, Star Trek - The Next Generation: Q

2 sind herzlich ausgeladen) und Moderator aktiv. Er lebt mit Frau, Tochter, Pferden, Hunden & Katze auf einem Bauern- hof irgendwo im Nirgendwo Schleswig-Holsteins.

Ausgabe #352, Februar 2020

1. Auflage, 2020 ISBN 978-3-95936-201-6 © Februar 2020 / Alle Rechte vorbehalten in Farbe und Bunt Verlag Björn Sülter Am Bokholt 9 | 24251 Osdorf

3 www.ifub-verlag.de / www.ifubshop.com

Herausgeber & Chefredakteur | Björn Sülter E-Book-Satz | EM Cedes & Reiner Krauss Lektorat | Bettina Petrik & Telma Vahey Cover | EM Cedes Cover-Fotos | Stephen Johnson & Guillaume de Germain auf Unsplash.com Foto von B. Sülter | Torsten Peters, shz

Corona Webseite | www.corona-magazine.de Kontakt | [email protected]

Weitere Kontaktmöglichkeiten/Webseiten [email protected] http://www.ifub-verlag.de/ https://www.ifubshop.com/

Nachdruck und Vervielfältigung, auch einzelner Artikel oder Auszüge, ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages gestattet. Für unverlangt eingesandte Manuskripte, Fotos und Zeichnungen kann keine Gewährleistung übernommen werden. Namentlich gekennzeichnete Beitrage geben nur die Meinung des Verfassers wieder und stimmen nicht zwangsläufig mit den Ansichten der Redaktion und des Herausgebers überein.

4 Editorial: Stürmische Zeiten

Liebe Leserinnen und Leser, es sind stürmische Zeiten; nicht nur hier bei mir in Nord- deutschland, wo wir schon seit vielen Jahren meist sechs Monate lang Herbst haben und der Winter einfach ausgelas- sen wird. Lange vorbei sind die Zeiten, wo man monatelang Schneemänner oder gar Iglus im eigenen Garten bauen konnte. Die älteren Nordlichter unter Ihnen werden sich bestimmt erinnern. Heute liegt die Temperatur meist über 5 Grad, Sturm und Regen sind das neue Schneetreiben und

5 für den Rest muss man schon eine ganze Ecke gen Süden fahren. Dass wir mit unserer Welt irgendetwas machen, was die Lebensbedingungen nachhaltig und spürbar verändert, ist aber wahrlich keine neue Erkenntnis. Doch dazu kommen wir später noch. Denn es sind auch beruflich wilde, stürmische Zeiten für mich. Zwei Jahre darf ich mich bereits als Chefredakteur um das Corona Magazine kümmern, doch ist dies nun die erste Ausgabe, die ich auch als Herausgeber verantworte, seit der Verlag in Farbe und Bunt und das Corona Magazine zum Jahreswechsel an mich übergegangen sind. Beides sind für mich absolute Herzensangelegenheiten und ich freue mich auf die Arbeit als Verleger sowie viele weitere Corona-Aus- gaben und Jahre mit meiner Redaktion und diesem wunder- baren Magazin, das vielfältig wie kein Anderes über alle Spielarten der Phantastik berichtet. Doch kümmert sich mein Team nebst Filmen, Serien, Spielen, Büchern, Comics, Kunst, Musicals, Hörbüchern, Soundtracks, Veranstaltungen und vielem mehr auch schon immer um wissenschaftliche Themen, wie Sie diesmal sogar im Topthema von Andreas Dannhauer und wie gewohnt im Subspace Link von Reiner Krauss nachlesen können. Während das Corona-Virus (dessen Verwandtschaft in Sachen Namen bereits zu einigen kuriosen Anfragen an die Redaktion geführt hat) sich langsam auch durch Deutsch- land bewegt, ist die Entwicklung der Ressourcen unserer Erde keine bloß Momentaufnahme. Vielmehr ist sie die Quittung für das, was wir als Spezies diesem Planeten seit jeher antun. 6 Dass wir auf der Erde vor großen Problemen und Heraus- forderung ökologischer und gesellschaftlicher Art stehen, dürfte niemand ernsthaft bestreiten. Politische Strömungen und globale Auseinandersetzungen, die immer mehr und immer wieder auch unseren kleinen Alltag ins Chaos zerren, verdeutlichen die Notwendigkeit, endlich genauer hinzu- sehen. Die Zeit des Ignorierens ist vorbei. Wie schön wäre es da gewesen, wenn die neue Star-Trek- Serie um Sir Patrick Stewart als Jean-Luc Picard den Idealen Gene Roddenberrys gefolgt wäre, und uns einmal mehr eine lebenswerte Zukunft und den Mut zum Träumen präsentiert hätte. Doch selbst Star Trek ist heutzutage offenbar nicht mehr nach Utopie zu Mute. Da wird getrunken, geflucht, gelogen, betrogen, im Stich gelassen, gemordet und gequält, was die Sendezeit hergibt. Wenn uns nicht mal mehr das notorisch optimistische Sternenfranchise Hoff- nung auf eine bessere Welt machen möchte, muss definitiv etwas schieflaufen. Doch auch wenn jeder Einzelne sich vielleicht hilflos im Konzert der großen Entscheider fühlt, wird uns nur ein gemeinsamer Ruck aus den verschiedenen Abwärtsspiralen helfen. Die Phantastik lädt uns ein, zu träumen. Lassen sie uns diese Träume endlich auch in die Tat umsetzen. Vielleicht jeden Tag ein bisschen.

Ihr Björn Sülter Herausgeber & Chefredakteur 7 Termine: Treffen sie uns!

Sie treffen den Verlag in Farbe und Bunt und das Corona Magazine in den kommenden Monaten auf folgenden Ver- anstaltungen:

1. bis 3. Mai 2020 Destination Star Trek Germany Dortmund, Westfalenhallen

Besuchen Sie den Stand des Verlags auf der Destination Star Trek Germany! Inhaber & Autor Björn Sülter wird als Moderator der Fanbühne an der Seite von Benjamin Stöwe vor Ort sein und gemeinsam mit seinem Team die Werke des Verlags am Stand vorstellen. Dazu gibt es Lesungen, Bühnenpräsentationen und Signierstunden.

8 9. bis 10. Mai 2020 UniCON Kiel, Uni Mensa

Besuchen Sie den Stand des Verlags auf der Kieler UniCON! Inhaber & Autor Björn Sülter wird mit Autorinnen und Auto- ren vor Ort sein, in einer Lesung Werke des Verlags vorstel- len und am Stand präsentieren. Dazu gibt es Signierstunden.

29. bis 31. Mai 2020 FedCon Bonn, Maritim Hotel

9 Besuchen Sie den Stand des Verlags auf der FedCon! Inhaber & Autor Björn Sülter wird wird mit Autorinnen und Autoren vor Ort sein, in einer Lesung Werke des Verlags vor- stellen und am Stand präsentieren. Dazu gibt es Signierstun- den. Außerdem liest Christian Humberg aus »Gotham Noir«, Thorsten Walch aus »Es lebe «, Pia Fauerbach und Peter R. Krüger aus »Kolonie 85«, Björn Sülter aus »Beyond Berlin« sowie Reinhard Prahl, Thorsten Walch und Björn Sül- ter aus »Die Star-Trek-Chronik«. Dazu gibt es Björn Sülters Podcast »Planet Trek fm« live on stage und mehrere Aus- gaben seines Diskussionspanels »Let´s talk TREK«.

10 Tipps fürs Lesevergnügen

»Ich habe gar keinen eBook-Reader« ist eine häufig gehörte Aussage, wenn es darum geht warum ein phantastisch interessierter Mensch noch kein neues Corona Magazine gesehen und gelesen hat.

Beispielsweise sind Kindle Paperwhite und Tolino tolle eBook-Reader, sie können tausende von Büchern in einem schmalen, robusten Gerät mitnehmen und dank mattem eInk-Display und dezenter Hintergrundbeleuchtung sowohl in der Sonne am Strand als auch abends, ohne Taschen- lampe, im Bett lesen.

Jede Ausgabe ihres Corona Magazines kann ganz selbstver- ständlich auch auf ihrem Smartphone, iPhone oder Compu- ter geschaut und gelesen werden. Hier haben sie gar die volle Farbkraft unserer Bilder in den Beiträgen.

11 Wie das geht? Amazon-Kunden installieren sich idealer- weise die Kindle-App oder schauen im Browser selbst, genau wie beim Tolino webreader. Windows 10 Nutzer können gar ein lokales eBook ganz einfach mit dem integ- rierten Edge-Browser öffnen.

Schauen sie uns somit in Zukunft auf vielen Geräten und sagen sie es allen weiter, die noch nicht wussten wie sie uns lesen können und freuen sie sich somit auf ein Magazin von und in »Farbe und Bunt«.

Kindle-App für Windows und iOS https://www.amazon.de/kindle-dbs/fd/kcp

Abb. 1 © Amazon

Tolino webReader https://mytolino.de/tolino-webreader-ebooks-online- lesen/

12 Abb. 2 © myTolino

Ihr Reiner Krauss Autor und eBook-Gestaltung

13 Podcast »Deep Inside«

Ab sofort hat das Corona Magazine einen eigenen Podcast: Deep Inside mit Gastgeber Reiner Krauss.

Die erste Ausgabe behandelte das Thema Franchises. Die zweite Ausgabe bot ein Interview mit Jacqueline May- erhofer (Hunting Hope). In der dritten Ausgabe erzählt Reiner Krauss, der Mann für den Bereich Wissenschaft beim Corona Magazine, von seinen Erlebnissen zur ersten Mondlandung und zeigt einen Blick in die Zukunft der Raumfahrt.

14 In der vierten Ausgabe zu Gast: Sonja Rüther, eine nord- deutsche Autorin die in den Genres Thriller, Phantastik und Horror zuhause ist. In der fünften Ausgabe zu Gast: Unser Autor und Redak- teur Thorsten Walch. Mit Gastgeber Reiner Krauss begab er sich vor langer Zeit in eine weit, weit entfernte Galaxis.

Via Soundcloud: https://soundcloud.com/user-104747826

Via Anchor: https://anchor.fm/deep-inside-by-corona-magazine

Via RSS-Feed: http://feeds.soundcloud.com/users/sound- cloud:users:521030382/sounds.rss

15 Topthema Spielball Erde: Der Welterschöpfungstag – Oder: Eine Erde ist nicht genug von Andreas Dannhauer

Der Welterschöpfungstag (englischer Begriff: Earth Overshoot Day) fällt dieses Jahr auf den 29.07., auf das früheste Datum aller Zeiten. Doch was bedeutet dieses Datum, und wie wird es berechnet? Zuerst einmal ist der Welterschöpfungstag nur eine leichter verständliche Umrechnung des globalen ökologischen Fußabdrucks, so etwas wie der internationale Aktionstag für Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern (Equal Pay Day) oder der Steuerzahlergedenktag; der Welterschöpfungstag gibt den Tag im Jahr an, an dem die Menschheit die Ressourcen verbraucht hat, die die Erde im entsprechenden Jahr nachliefern konnte. Danach lebt der Mensch von den Reserven. Der globale ökologische Fußabdruck gibt an, wieviel biologisch ertragreiche Fläche ein Mensch, ein Land oder die Menschheit insgesamt benutzen. Setzt man diese ins Verhältnis zu der zur Verfügung stehenden Fläche, erhält man den Faktor, um den die ökologischen Ressourcen übernutzt werden. Verbraucht die Menschheit beispielsweise doppelt so viel Fläche wie vorhanden ist, 16 dann hat sie diese Fläche zur Hälfte des Jahres verbraucht. Der Welterschöpfungstag fiele dann auf den 02.07., dem 177. von 355 Tagen des Jahres.

Abb. 3 © NASA / Die Erde (Aufnahme von Apollo 17)

In den Wert für den ökologischen Fußabdruck fließen folgende Landnutzungen ein: Weiden, Äcker, Fischbestände, Wald, bebautes Land und Kohlendioxidsenken. In die Berechnung des Werts werden die Quellen, der Verbrauch und der Handel mit Produkten aus den biologisch produzierten Rohstoffen mit einbezogen. Hat eine Region A beispielsweise 1.000 km² Wald anzubieten, so produziert

17 diese etwa 100.000 m³ Holz pro Jahr. Werden 200.000 m³ in einem Jahr entnommen, so stehen 1.000 km² Holzerzeugungsfläche 2.000 km² Holzverbrauchsfläche entgegen. Der ökologische Fußabdruck dieser Region wäre dann -1.000 km². Werden aus dem Holz Möbel gefertigt und diese zu 75 % nach Region B exportiert, kann sich Region A allerdings 75 % der Holzverbrauchsfläche gutschreiben lassen und kommt auf einen positiven ökologischen Fußabdruck bei einer Holzmenge aus 500 km² Fläche, während sich Region B hingegen 1.500 km² negativ anrechnen lassen muss. Die Verbrauchsfläche wird also immer der Region angerechnet, die das Produkt am Ende verbraucht. Bebaute Flächen sind biologisch unproduktiv und werden deshalb immer negativ gestellt. Eine besondere Landnutzung sind die Kohlendioxidsenken. Hier kehren sich die Verhältnisse von Erzeugung und Verbrauch um. Die Erzeugung von Kohlendioxid führt zu einem negativen Flächenwert und der Verbrauch zu einem positiven. Bei dieser Art der Berechnung wird sofort klar, warum beispielsweise ein Land wie Saudi-Arabien einen besonders negativen ökologischen Fußabdruck aufweist. Wald- und Agrarflächen sucht man in der Wüste naturgemäß vergeblich. Als biologisch produktive Flächen stehen praktisch nur die Fischgründe im Roten Meer zur Verfügung, die 0,4 ha (Wert von 2016) pro Einwohner an positiv zu berechnender Fläche ausmachen (Tendenz fallend, da die Einwohnerzahl zunimmt). Aufgrund des hohen Lebensstandards und einer Energieerzeugung, die fast zu 100 % auf billigem Öl und Gas beruht, steht dem 18 ein Verbrauch von 6,2 ha gegenüber. Das macht in Bilanz einen negativen ökologischen Fußabdruck von 5,8 ha pro Person. Addiert man die Verbrauchs- und Produktionswerte aller Regionen, ergeben sich folgende Zahlenwerte weltweit für das Jahr 2016: 4 % des biologisch produktiven Landes sind bebaut, 101 % werden benötigt, um die Kohlendioxidemission abzubauen, 33 % sind Äcker, 6 % Fischgründe, 17 % Wälder und 9 % Weideland. Macht in Summe 169 % der zur Verfügung stehenden biologisch produktiven Flächen, die vom Menschen benutzt werden. Der Mensch verbraucht derzeit also die Kapazitäten von 1,7 Erden. Dieser Wert ist in den Jahren 2010 bis 2016 praktisch konstant geblieben.

Schlussfolgerung So kann es nicht weitergehen, das ist klar. Man kann nicht auf Dauer von den Reserven leben.

Kritik Zu Obenstehendem ist jedoch auch einiges auszuführen. Erstens: Der globale ökologische Fußabdruck und der daraus berechnete Welterschöpfungstag sind eine starke Vereinfachung eines komplexen Themas. Es dürfte also nicht verwundern, dass wichtige Details in der ganzen Rechnerei untergehen. So wird z. B. der ökologische Fußabdruck derzeit zu 60 % von Kohlendioxidemissionen bestimmt. Diese stellen offensichtlich das Hauptproblem dar; man könnte daher auf den Gedanken kommen, dass, wenn man 19 das Kohlendioxidproblem lösen würde, der Mensch nur noch 0,7 Erden verbrauchen würde und alles in bester Ordnung wäre. Jedoch werden zum Beispiel auch die Fischbestände für sich allein betrachtet übernutzt. Würde man die Fischereiwirtschaft nachhaltig betreiben, würde das den ökologischen Fußabdruck nur um 6 Prozentpunkte senken. Dies hätte kaum Einfluss auf den Welterschöpfungstag. Die »kleinen« Probleme gehen also in dieser Betrachtungsweise unter. Zweitens: Der ökologische Fußabdruck betrachtet nur nachwachsende und ignoriert die nicht nachwachsenden Rohstoffe. Wenn dem Menschen aber ein wichtiger Rohstoff wie etwa Kupfer ausgeht, hat er ebenfalls ein Problem. Der Ersatz dafür dürfte mit erhöhtem Ressourcen- und Energieverbrauch einhergehen oder den Menschen unter anderem auch in seinen technologischen Möglichkeiten einschränken, etwas gegen den Verbrauch nachwachsender Rohstoffe zu unternehmen. Insgesamt muss die Thematik also wie so oft differenziert betrachtet werden.

Weiterführende Informationen zum Thema: https://www.footprintnetwork.org/ – Homepage des Global Footprint Network

20 Echo-Station – Die Star-Wars-Ecke

Ressortleiter Reiner Krauss

Herzlich willkommen zu dieser neuen Rubrik im Corona Magazine, die ganz in der Tradition unserer Star-Trek-Ecke Unendliche Weiten das andere große Sternenfranchise beleuchten wird. Federführend ist in diesem Bereich unser Redakteur Reiner Krauss, den Sie bereits von seinen kenntnisreichen und spannenden Wissenschaftsartikeln kennen. Wir wünschen gute Unterhaltung!

The Mandalorian: Ein Kopfgeldjäger, ein Credo und »Baby « von Jacqueline Mayerhofer

21 Aktuell gibt es wohl keine Filmreihe, die umstrittener ist als die aus der weltberühmten Star Wars-Saga (seit 1977). Die einen lieben die gerade abgeschlossene Sequel-Trilogie, die anderen hassen sie. Selbst innerhalb der Fangemeinde entbrennen Konflikte, die sich teilweise gewaschen haben. Doch wie sieht es mit der Rückmeldung zur neuen und ersten Realserie aus diesem Universum aus? The Mandalorian startete am 12.11.2019 auf dem Streaming-Portal Disney+ und versorgte die Fans wöchentlich mit einer neuen Folge. Die erste Staffel umfasst insgesamt acht Folgen, die von Jon Favreau (Spider-Man-Filme) produziert und unter anderem zusammen mit Dave Filoni (Avatar – Der Herr der Elemente) geschrieben wurden. Die Laufzeit der Episoden variiert dabei ungewöhnlicherweise; so dauert eine Folge mal nur um die 35, die andere über 45 Minuten. Die Serie ist nicht nur dem klassischen Star Wars-Genre der Space Opera, sondern auch dem des Space Western zuzuordnen.

22 Das Leben eines Kopfgeldjägers fünf Jahre nach dem Fall des Imperiums Worum geht es in The Mandalorian genau? Der Zuschauer begleitet den äußerst wortkargen Kopfgeldjäger und Einzelkämpfer Din Djarin – innerhalb der Serie oft als »Mando« bezeichnet und von Pedro Pascal (Game of Thrones: Das Lied von Eis und Feuer) verkörpert –, der zu Beginn wie stets seinem Handwerk nachgeht und dem Signal seines sogenannten Bounty pucks zu seinem nächsten Ziel folgt. Mandos erster richtiger Auftritt beim Betreten einer Bar schindet sogleich Eindruck; er zeigt den Helden der Serie als imponierende Erscheinung in seiner Rüstung, also in Beskar’gam (Mandalorianisch/Mando'a für »Eiserne Haut«). So wie man es sich von einem Mandalorianer (man denke nur an [Jeremy Bulloch] aus der Original-Trilogie) eben erwartet. Sodann fallen einige coole Phrasen wie »I can bring you in warm, or I can bring you in cold« (bedeutet übersetzt so viel wie: »Ich kann dich warm da hinbringen … oder kalt«), die im späteren Verlauf noch einmal wiederholt werden. Nach einem turbulenten Einstieg voller Fanservice (dem im Verlauf der Serie noch viele sogenannte Easter Eggs für Star Wars-Fans folgen sollten) fliegt Djarin nach Nevarro, wo er über das Oberhaupt der Kopfgeldjägergilde, (Carl Weathers) einen neuen Auftrag erhält. Dieser führt ihn nicht nur zu seinem nächsten Auftraggeber, einem Imperialen (Werner Herzog), sondern leitet gleichzeitig den 23 Beginn eines Treffens mit einer Figur ein, die mittlerweile das gesamte Fan-Universum in ihren Bann gezogen hat. Der Zuschauer stößt außerdem auf den Feuchtfarmer (Nick Nolte), dessen klangvolle Schlussworte »I have spoken« (übersetzt: »Ich habe gesprochen«) im inzwischen fast genauso beliebt sind wie Mandos neues Auftragsziel: ein ganz besonderes Kind. Dieses wird von offizieller Seite schlicht »The Child« genannt, innerhalb der Fancommunity allerdings als »Baby Yoda« bezeichnet, nicht zuletzt da Star Wars-Schöpfer George Lucas (Indiana Jones-Reihe) von Anfang an Wert darauf gelegt hat, die Spezies von -Meister Yoda geheim zu halten. Da dieses Baby nicht nur bei den Fans für massenhafte Begeisterung sorgt, sondern auch Djarins einzelgängerisches Herz weich werden lässt, nimmt die Serie voller Action, Verfolgungsjagden und dem Kampf darum, in einer Galaxie wie dieser zu überleben, ihren Lauf. Bei so einer Mission hilft es natürlich nicht, wenn man aufgrund einer einzigen Entscheidung die Kopfgeldjägergilde persönlich sowie einige Imperiale gegen sich aufbringt; aber Mando hat ohnehin ein Händchen für Schwierigkeiten, was den Charakter wunderbar menschlich und authentisch gestaltet erscheinen lässt.

24 Abb. 4 © Disney+ / Ltd.

Weniger Spezialeffekte, mehr Puppen und stimmungsvolle Charaktere Wer kennt sie nicht? Die Sorge, in Filmen und Serien ständig nur CGI-Effekte entgegengeschleudert zu bekommen, die manchmal auch noch billig wirken. An dieser Stelle ist vor allem die Star Wars-Prequel-Trilogie (1999-2005) als negatives Beispiel zu nennen, bei der mit CGI nicht gespart wurde, und als Gegenbeispiel die Original-Trilogie (1977-1983), die mit ihren liebevoll gestalteten Puppen heutzutage einen Hauch von Nostalgie erzeugt. Die Sequel-Trilogie schließlich (2015-2019) stellt eine abwechslungsreiche Mischung aus CGI-Effekten, aufgebauten Sets und künstlich geschaffenen Figuren dar. The Mandalorian jedoch wird von vielen Fans als das bezeichnet, was sie sich eigentlich von den vorhergehenden Star Wars-Filmen (vor allem von der Sequel-Trilogie) gewünscht hätten. 25 Der Zuseher bekommt eine Fülle an Puppen und aufwendig gestalteten Sets, und eine Liebe zu Details zu sehen, die vor allem die Herzen von Fans der Original-Trilogie höherschlagen lassen. The Mandalorian bietet alles, was sich eine Anhängerschaft wünschen kann. Angefangen von einem coolen Mandalorianer in klassischer Beskar’gam à la Fett bis hin zur Einsparung von CGI. Dazu mehr Masken, mehr Kostüme und einschlagende Figuren wie (Gina Carano), die als Söldnerin und starker Charakter das ist, was man sich von einer guten Frauenrolle wünscht. Bis hin zu einem Baby, das mit einer Niedlichkeit besticht, mit der die wenigsten mithalten können. Zudem lässt sich das Setting mit seinen Westernelementen und der Weltraumthematik gut mit der – ebenfalls dem Genre des Space Western zugehörigen – beliebten Serie Firefly: Der Aufbruch der Serenity (2002–2003) vergleichen. Was will man mehr? Ein gelungener Serienstart, der Lust auf mehr macht.

26 Abb. 5 © Disney+ / Lucasfilm Ltd.

Mandalorianer, wie sie sein sollten: Eine Gemeinschaft, ein Credo Kopfgeldjäger Fett stellte im fünften Teil der Saga, Star Wars: Episode V – Das Imperium schlägt zurück (1980) mit seiner ikonischen Beskar’gam nicht nur eine Figur vor, die innerhalb der Fangemeinde großes Ansehen genießt, sondern auch ein ganz eigenes Credo. Fett war schon immer ein geheimnisvoller Charakter, als einer der bekanntesten Kopfgeldjäger überhaupt. Im Zuge der Prequel-Trilogie jedoch – genauer gesagt des zweiten Teils der Saga, Star Wars: Episode II – Angriff der Klonkrieger (2002) – sorgte die Einführung einer neuen Figur für Unmut bei vielen Fans. (Temuera Morrison), ebenfalls gewandet in Beskar’gam, ist zwar ein interessanter Charakter, gleichzeitig aber auch derjenige, der die Klonarmee mit seinem Erbgut versorgt. Und als wäre es noch nicht genug, dass in der Geschichte nunmehr alle 27 Klonkrieger von ihm abstammen, wurde in diesem Film auch noch das Geheimnis rund um Boba Fetts Ursprung gelüftet. Dieser sollte plötzlich schlicht ein Klon von Jango Fett sein, der ihn wie einen Sohn großgezogen hat. Dementsprechend war von da an auch klar, wie Boba unter seinem Helm aussieht. Die Frage »Was verbirgt sich unter dem Helm?« spielt in The Mandalorian hingegen eine große Rolle. So weigert sich Djarin nicht nur die ganze Serie über, seinen Helm abzunehmen; auch innerhalb der Gemeinschaft der Mandalorianer an sich spielt dieses Thema eine große Rolle. In The Mandalorian wurde außerdem die fast schon religiös wirkende mandalorianische Phrase »This is the way« (»Das ist der Weg«) eingeführt – ein Pendant zum ikonischen Ausspruch »Möge die Macht mit dir sein«. Zusätzlich begegnet man in der Serie weiteren Regeln innerhalb des Credos, die man zu beachten hat, wenn man ein Mandalorianer werden oder bleiben will. Zudem wurden in der Serie Themen aufgegriffen, die viele Fans seit dem Verlust des sogenannten Erweiterten Universums (Bücher, Comics, Spiele etc.) von Star Wars – das heute nicht mehr dem offiziellen Kanon angehört, sondern unter dem Namen Legends nur noch sporadisch weitergeführt wird – schmerzhaft vermisst haben. Mandalorianer spielen zwar auch in den Animationsserien Star Wars: (2003–2005) und (2014–2018) eine Rolle, doch wurden vor allem in Clone Wars Begebenheiten eingeführt, die die Mandalorianer eher als ein Volk von blauäugigen, blonden Elite-Menschen 28 darstellen als das, was sie wirklich sind. So wird mittels eines einzigen Satzes in The Mandalorian endlich geradegerückt, was die Produktion in Form von gewissen Aspekten von Clone Wars fast schon als Teil des Canons »verbrochen« hat und was zusammen mit dem Erweiterten Universums einst verloren ging.

Disney versäumt Chancen Mit dem neuen Streaming-Dienst Disney+ hat sich Disney letztes Jahr nicht nur eine weitere Geldquelle gesichert, sondern auch unzählige Abonnenten. Nicht nur, weil dort Filme und Serien exklusiv erscheinen, sondern weil das Studio eben auch mit Star Wars-Serien wie The Mandalorian lockt. So richtig durchdacht wurde der Start der Serie allerdings im Vorfeld nicht. The Mandalorian erschien zwar in Amerika und andernorts am 12.11.2019, in den meisten europäischen Ländern aber nicht. Aufgrund von Lizenzproblemen wird Disney+ hierzulande erst im März 2020 starten, was Disney riesige Verluste einbringen wird. Mehr als die Hälfte der Abonnenten interessiert sich primär für die neue Star Wars-Serie, und in Europa will sich diesbezüglich wohl kaum jemand ständig von all den bereits im Internet verfügbaren Bildern und Informationen spoilern lassen. Mit dieser Vorgehensweise hat Disney Abonnenten verloren, die liebend gern für das Streaming-Portal bezahlt hätten, um The Mandalorian ebenfalls sehen zu können. Es

29 ist kein Geheimnis, dass sich viele Fans mittlerweile auf anderen Wegen Zugang zu der Serie verschafft haben. Auch was das vergangene Weihnachtsgeschäft betrifft, hatte der Konzern nicht richtig kalkuliert. Natürlich musste die Produktion den Aspekt der Geheimhaltung im Auge behalten, denn das Baby-Exemplar von Spezies sollte für die Fangemeinde eine Überraschung sein; gleichzeitig wurde aber unterschätzt, wie beliebt dieser Charakter werden könnte und tatsächlich wurde. Gerade zu Weihnachten hätten sich unzählige Puppen zu dieser Figur verkauft wie die warmen Semmeln, doch werden diese erst jetzt, am Ende des ersten bzw. zu Beginn des zweiten Quartals 2020 angeboten. Nichtsdestotrotz darf sich der geneigte Fan in den kommenden Monaten sicher noch auf eine Menge weiteres Merchandise freuen, zudem auf den offiziellen deutschsprachigen Veröffentlichungstermin von The Mandalorian und vor allem auf eines: auf Staffel 2 der Serie, die bereits für den Herbst 2020 angekündigt wurde. Das ist der Weg.

Star Wars: Der Aufstieg Skywalkers – Wenn zwei sich streiten, leidet der Fan von Bettina Petrik

30 Oft ist es bekanntlich ja so, dass sich ein Dritter freut, wenn sich zwei streiten … Beim zu Jahresende in den Kinos anlaufenden, heiß ersehnten neuen Star-Wars-Film ist leider das Gegenteil der Fall.

Stürmische letzte Jahre Um zu wissen, dass der letzte Star-Wars-Film, Star Wars – Episode VIII: Die letzten Jedi (2017), die Fangemeinde gespalten hat, braucht man nur einen einzigen Blick auf Portale wie Rotten Tomatoes zu werfen, wo die Zuschauerbewertungen inzwischen ein relativ unterirdisches Maß von nur 43 % positiver Fan-Bewertungen erreicht haben – so wenig wie kein anderer Film der Reihe bisher. Mit der Vision, die (Looper) für diesen Film und das Kult-Franchise hatte, waren ganz offensichtlich viele der Filmzuschauer nicht zufrieden, und selbst Luke-Skywalker-Darsteller äußerte sich in der Vergangenheit mehrfach kritisch seiner Rolle in der aktuellen Trilogie gegenüber. Nachdem 2015 Star Wars – Episode VII: Das Erwachen der Macht (auf RT von den Zuschauern mit 86 % bewertet) einen guten Start bezüglich der neuen Filme hingelegt hatte, auch wenn sowohl Fans als auch Kritiker bemängelten, dass das Werk mehr wie ein Aufguss von Krieg der Sterne (1977) als ein Neubeginn wirkte, hatte mit so einem derben Rückschlag im Folgefilm bei Walt Disney Pictures vermutlich niemand gerechnet. Die zwischenzeitlich herausgebrachten Anthologie-Filme Star Wars: (2016) und Solo: A Star Wars Story 31 (2018) waren für Studiobegriffe wohl auch nicht erfolgreich genug, sodass weitere geplante Filme kurzerhand gestrichen wurden und man sich auch dank der Etablierung des Streaming-Dienstes Disney+ in diesem Jahr mit seinen Plänen erst mal mehr aufs Fernsehen verlegte. Durchaus erfolgreich, bisher jedenfalls kommt das neue Zugpferd The Mandalorian mit rund 93 % positiver Fanstimmung auf RT wirklich gut an.

Rettung in Sicht Die strauchelnde aktuelle Filmtrilogie hingegen sollte wohl der Regisseur retten, dessen Das Erwachen der Macht zumindest nicht die gleiche Bruchlandung hingelegt hatte wie einst Star Wars: Episode I – Die dunkle Bedrohung (1999) – dieser fiel bekanntlich auch bei den Kritikern durch, die sonst Star-Wars-Filmen im Allgemeinen etwas wohlwollender als Hardcore-Fans gegenüberstehen. Also wurde J.J. Abrams (Lost) noch einmal herangekarrt, um hoffentlich ein weiteres Desaster abzuwenden. Und der brachte diesmal nicht nur lieb gewonnene alte Bekannte von seinen früheren Projekten aus dem Phantastik-Genre wie Dominic Monaghan mit (der allerdings, wie schon mal vorausgeschickt werden darf, eine extrem verzichtbare Rolle im aktuellen Streifen bekommen hat); es wurde auch schon vor Monaten gleich mal mit der Eröffnung das Fandom in Aufruhr versetzt, dass in Star Wars: Episode IX – Der Aufstieg Skywalkers mit Ian McDiarmid alias eine der beliebtesten Figuren der alten Trilogien wieder auferstehen würde. 32 Diesmal wollte man scheinbar versuchen, gerade auch Alt-Fans mit ins Boot zu holen, nachdem man viele von denen mit den Handlungssträngen in den beiden vorherigen Filmen vergrault hatte. Etwa war es nicht nur Hamill sauer aufgestoßen, dass es dank des Ablebens von () in Das Erwachen der Macht, dem nicht minder abrupten Tod von Luke in Die letzten Jedi und nicht zuletzt aufgrund des tragischen, viel zu früheren Ablebens von »Prinzessin Leia« nicht eine einzige gemeinsame Szene der großen Helden der ursprünglichen Trilogie mehr geben würde.

Undurchsichtige Beweggründe Der Versuch der Schadensbegrenzung lag da in der Luft. Mit den sich bald mehrenden Gerüchten und Handlungsspoilern im Netz befiel so manch einen als Beobachter und jahrzehntelanger Star-Wars-Fan allerdings auch eine nicht ganz so angenehme Ahnung. Und nach dem Genuss des Films fühlt sich zumindest die Autorin dieses Artikels in diesem Eindruck bestätigt. Johnson hat bekanntlich in Die letzten Jedi einiges von dem über den Haufen geworfen, was Abrams in Das Erwachen der Macht etabliert hatte – angefangen von den Andeutungen darüber, wer die Eltern von () sind, bis hin zur völligen Demontage von () und (). In Der Aufstieg Skywalkers nun werden all diese Karten noch einmal völlig neu gemischt, allerdings fühlt sich das in keiner Sekunde so an, als ob das von Anfang an der Plan gewesen 33 wäre, sondern als versuchte Abrams krampfhaft, neben der fast unmöglichen Herausforderung, gleich drei Trilogien zu einem befriedigenden Abschluss zu bringen, die Dinge wieder so hinzubiegen, wie sie zu seiner Vision passen. Herausgekommen ist dabei ein völlig überladener, konfuser und vor allem durch dieses Hin und Her ein reichlich seelenloser Streifen; einer, der dank einiger kontroverser Entscheidungen vermutlich auch diesmal wieder mehr Diskussionen, verletzte Fangefühle und Unfrieden bezüglich eines Franchise bringen wird, das die Zuschauer einst so enthusiastisch in Scharen an den Kinokassen anstehen ließ. Einer, der zumindest in den Augen der Autorin dieses Artikels nicht einmal als seichte Berieselung nebenbei dient. Der Aufstieg Skywalkers ist schlicht und ergreifend ein schlechter Film. Dass sich diese Rezension ab diesen Zeilen ins tiefe Spoiler-Territorium begibt, versteht sich von selbst.

Ungeschickte Reparaturen Schon im Rolltext merkt man, wie radikal am Ende des ungeliebten letzten Teils die Schere angesetzt wurde. Da bleiben erst mal große Fragezeichen in den Augen zurück: Wann soll das denn bitte alles passiert sein? Die völlig aus dem Nichts kommende Handlungsebene des zurückgekehrten Imperators wird in diesen paar Zeilen abgehandelt. Dass Ren nunmehr der neue Supreme Leader ist und den wiederauferstandenen Palpatine töten will, um allein über die Galaxie zu herrschen, erfährt man ebenfalls recht abgehackt aus dieser Zusammenfassung. Und wenn 34 man ganz pingelig gegenüber dem Ton des Franchise sein will, mag man schon den Wortlaut bemängeln. Die reißerische Schlagzeile »Die Toten sind zurück« möchte sich nicht ganz in frühere Rolltexte einfügen. Die höchstens papierdichte Handlung des Films könnte aus einem Videospiel stammen. So geht es im Grunde nur darum, dass Ren und Rey beide Palpatine töten möchten, dass Ren schon zu Beginn des Streifens erfährt, dass er von Palpatine die ganze Zeit getäuscht wurde und dass sowohl Snoke als auch Vaders angebliche Stimme in seinem Kopf nur Marionetten von diesen waren. Im Laufe der Handlung sieht er ein, dass sein Leben dank dieses schlechten Einflusses einen völlig falschen Verlauf genommen hat. Da bleibt es Rey und ihm nur noch gemeinsam, dem Zombie-Imperator das Licht auszuknipsen. Unter Aufgebot aller Mächte des Guten werden Palpatines im Lauf der Jahrzehnte zusammengesammelte neue Streitmächte gemeinsam mit jenen der Ersten Ordnung vernichtet. Ganz nebenbei erfährt der Zuschauer noch, dass einer von Reys Elternteile, die angeblichen »Niemande«, ein leibliches Kind von Palpatine selbst war, und Ren darf nach einem völlig überstürzten Wiedergutmachungs-Handlungsstrang den Heldentod sterben. Damit ist die Geschichte der neuen Trilogie auserzählt. Damit könnte man als Filmfan vermutlich leben, trotz dieser offensichtlichen Relativierung von vielem, was den Fans im letzten Teil so sauer aufgestoßen ist, welche Lukes offene Aussage beinhaltet, dass er mit seinem Rückzug bis zu den Ereignissen von Die letzten Jedi einen Fehler 35 gemacht hat. Das Hauptproblem, das viele Alt-Fans mit der neuen Trilogie haben, bleibt sicherlich, dass diese ein so düsteres Bild der alten Helden zeichnet und spätestens mit der Auferstehung Palpatines schlicht und ergreifend alles umsonst war, was Anakin Skywalkers Geschichte und Opfer einst bedeutet haben. Trotzdem könnte man damit vermutlich noch umgehen, wenn Der Aufstieg Skywalkers nicht so wirr, lieblos und effektheischend erzählt werden würde.

Eine traurige Liste Eins der Hauptprobleme kristallisiert sich schon in den ersten Minuten heraus, begraben liegend in der Präsentation. Der Aufstieg Skywalkers rennt von einem Schauplatz zum nächsten, lässt keinerlei Luft zum Atmen, präsentiert eine durchaus dramatisch angehauchte Szene nach der anderen, ohne dass diese auch nur ansatzweise ihre Wirkung entfalten können bzw. große Konsequenzen nach sich ziehen. Die meisten Verluste, um die man in den definitiv viel zu langen 141 Minuten trauert, sind spätestens bei Filmende längst rückgängig gemacht. Diese fehlende Substanz versucht man mit allerlei Cameos und Easter Eggs zu füllen, deren schiere Anzahl es allerdings schwer macht, sie zu genießen. Falsch verstandener Fanservice hört bei Der Aufstieg Skywalkers nicht damit auf, dass man versucht, zu viele Leute zufriedenzustellen. Aber auch inhaltlich gibt es Schwächen, die den Filmgenuss einfach zu sehr stören, und Logiklöcher, über die 36 man nicht hinwegsehen kann. Auch wenn die Autorin dieses Artikels versucht, nicht allzu viel Politik in ihre Rezensionen einfließen zu lassen und vorsichtig mit dem heutzutage gern inflationär gebrauchten Begriff »problematisch« umgeht … Man darf als Frau doch ein wenig die Augen darüber verdrehen, dass sich die als angeblich so stark und eigenständig (im Gesamtbild aber leider doch sehr flach) aufgebaute Heldin Rey scheinbar irgendwann im Laufe der Trilogie in ihren ärgsten Widersacher verliebt zu haben scheint, und dass die beiden am Ende tatsächlich leidenschaftliche Küsse austauschen, bevor Ren den Löffel abgibt und sich in Luft auflöst, nachdem er Rey mit seiner Lebensenergie wiederbelebt hat … In diesem Absatz allein stimmt so vieles nicht, dass sich nun auch bei dem einen oder anderen Leser die Nackenhaare aufgestellt haben mögen. Erstens: Das Klischee der in diesem Fall in Das Erwachen der Macht gefolterten Frau, die sich in ihren Entführer und Foltermeister verliebt, ist bis zum Erbrechen ausgewalzt und erfährt hier auch nicht ansatzweise den respektablen Umgang, der so eine Darstellung verlangen würde. Ja, Ren hat sich im Laufe des Films insofern rehabilitiert, dass ihm seine Handlungen leidtun und dass er Palpatine bekämpft, aber er ist und bleibt ein Massenmörder, und das auch noch, nachdem er zu Filmbeginn von der Täuschung erfahren hat. Die Liebesgeschichte zwischen zwei sich vorher Hassenden ist konstruiert, erzwungen, vom feministischen Standpunkt fragwürdig und hätte um einiges mehr Zeit gebraucht, um sich zu entwickeln. 37 Zweitens: Nein, die Fähigkeit des Heilens mit der Macht ist keine Neuerung, das gab es schon im alten Extended Universe, das aber Disney bekanntlich zugunsten der neuen Filme eingestampft hat. Nicht nur in Sachen Palpatines Wiederauferstehung hat man sich scheinbar daran doch noch recht gern bedient. Erstaunlich angesichts der Tatsache, dass Kathleen Kennedy als aktuelle Präsidentin von Lucasfilm letztens sehr zur Verstimmung vieler alter EU-Fans verlauten ließ, man hätte ja keine Bücher oder Comics, von denen man sich inspirieren lassen könnte. Mit den früheren Heiler-Zirkeln der Jedi hat diese neue, wieder einmal besonders stark ausgeprägte Fähigkeit bei Rey und später auch bei Ren allerdings nichts zu tun. Anstatt dass wie in den einstigen EU-Werken Zellen langsam mit Telekinese zur schnelleren Heilung angeregt werden, werden hier durchgehende Stichwunden in Sekundenschnelle magisch geheilt, was im Gesamtkontext doch sehr überzogen wirkt. Woran Ren im Endeffekt übrigens stirbt, bleibt wie so vieles völlig offen, wobei er da ein sehr prominentes zweifelhaftes Schicksal teilt, zu dem die Autorin gleich noch kommt. Drittens: Dass der Körper eines ein Macht-Nutzers sich nach dessen Tod auflöst, ist keineswegs Standard und vor allem bei und dunklen Macht-Nutzern nicht üblich, da diesen die entsprechend gestaltete Verbindung zur lebendigen Macht fehlt, die ein solcher Vorgang voraussetzt. Auch hier: Ren ist rehabilitiert, aber er hat den größten Teil seiner Macht-Karriere als Sith verbracht. Nicht einmal Qui-Gon Jinn (Liam Neeson) als unbestreitbarer Held seiner 38 Zeit hat sich bei seinem Tod aufgelöst. Als Gegenbeispiel könnte man hier nennen, dieser hatte allerdings einen völlig anderen Zugang zur Macht. Zur Auflösung der Verwirrung trägt auch nicht bei, dass Leias Körper sich erst zusammen mit Rens auflöst, lange nach ihrem Tod. Eine zumindest ansatzweise Erklärung sucht man hier vergeblich. Dass dieser Charakter in diesem Film sein Ende finden musste, war angesichts von Fishers tragischem Schicksal kein nicht zu erwartender Spoiler. Und an dieser Stelle darf man auch als Kritiker die Nachsicht haben, dass logischerweise Abrams nicht mehr mit viel Material arbeiten konnte, um die Figur auf der Leinwand gut darzustellen. Ihr in keinerlei Hinsicht erklärtes Ableben wegen Schwäche von – genau, von was? Man erfährt es nie – jedoch hinterlässt ebenfalls den sehr schalen Nachgeschmack, dass man sie eben loswerden musste. Von Gänsehaut und Trauer keine Spur. Überhaupt stellen die Todesszenen vermutlich die größten Schwächen des Films dar. Als Palpatine Ren und Rey herausfordert, wirft er Rey mehrmals an den Kopf, dass, wenn sie ihn tötet, er sein Ziel erreicht, weil sein dämonischer Geist sodann in ihren Körper übergehen wird, da in ihm alle Sith aller Zeiten vereint sind und sie sein Nachkomme ist. Selbst wenn man diese neue Absurdität in einen Kontext mit dem Canon bringen könnte, führt sie sich dann selbst ad absurdum, als in der Tat Rey Palpatine sein Ende bereitet. Von Dämonen ist da jedenfalls weit und breit nichts zu sehen.

39 Halbherzig versucht man dies damit zu erklären, dass in Rey wiederum alle Jedi leben, die es je gegeben hat (in dem Kopf der jungen Frau muss es ganz schön überfüllt sein …), was Abrams nebenbei Gelegenheit für die nächsten paar Cameos in Audioform gibt. Yodas und Obi-Wan Kenobis Stimme sind hier natürlich am hervorstechendsten, die anderen werden sich sicher in den nächsten Tagen noch enthüllt werden. Zu diesem Zeitpunkt ist man von dem Film schon dermaßen überladen, dass einfach die Kraft fehlt, noch genau heraushören zu wollen, wen man da in diesem Stimmengewirr so ausmachen kann. Reys lückenhafte Charakterisierung ist leider nicht das einzige Problem der Figur: Ridley stößt in Der Aufstieg Skywalkers schauspielerisch schmerzhaft an ihre Grenzen. Ihre einseitige Mimik vermag die Szenen nicht zu retten, die durch das viel zu hohe Tempo und die Überladenheit keine Tiefe zu gewinnen vermögen. Angesichts all dieser Probleme ist es dann fast noch ein Luxusproblem, sich über schlechte CGI zu beschweren. Aber auch wenn der Film optisch im Großen und Ganzen dem aktuellen Stand der Technik entspricht und zusammen mit der ganz ordentlichen Musik dies als Pluspunkt hervorgehoben werden darf, haben doch ausgerechnet die mit emotionalsten Szenen für unfreiwillige Lacher in der Pressevorführung gesorgt. Und das ist auch deshalb ärgerlich, weil das kein neues Problem ist, sondern eines, das schon in Rogue One kritisiert wurde. Ausgerechnet die Szene, auf die viele Leia-Fans schon sehr lange gewartet haben, der Rückblick, wie Luke sie zur Jedi ausbildet, ist 40 durch die ganz grausame Umsetzung der verjüngten bzw. künstlich erstellten Gesichter der beiden Charaktere am Computer ungefähr so glaubhaft wie das CGI-Baby aus Breaking Dawn – Bis(s) zum Ende der Nacht: Teil 2 (2012). Aua. Ein wenig besser gelingt das Auftauchen der gealterten beiden Geschwister als Macht-Geister in der allerletzten Szene; hier ist nicht gleich zu erkennen, ob diese noch mit Fisher abgedreht war oder ob auch hier der Computer zum Einsatz kam. Schön ist das Bild allemal.

Eine traurig kurze Liste Gab es auch Momente, die gefallen haben? Wenige. Einer der Höhepunkte des Films ist sicher die Rückkehr von (Billy Dee Williams), dessen Auftauchen eine Szene sofort immer beherrscht, was nur noch mehr verdeutlicht, wie sehr man in Sachen neue Helden eine ordentliche Charakterisierung vernachlässigt hat, wenn die im Vergleich völlig verblassen. Auch der Interaktion der Droiden und deren diesmal nicht völlig übertriebener Humor lockern das Gesamtbild etwas auf und sorgen trotz der entnervenden Inkonsequenz von See-Threepios () Handlungsstrang für emotionale Momente. Hoffnung für weitere, vielleicht diesmal besser ausgeführte Produkte aus dem Franchise machen krude, erneut leider viel zu wenig klar ausgearbeitete Andeutungen, dass die Macht sich langsam wieder erholt (auch das wieder eine Relativierung von »die letzten Jedi«), 41 da () und einige Ex-Mitglieder der Neuen Ordnung Anzeichen auf Machtsensitivität zeigen. Zwar wirkt auch das forciert und kommt wie aus dem Nichts, man kann es sich aber zumindest ein wenig besser herleiten, auch wenn diese neuen Charaktere dank der überhasteten Erzählung im Endeffekt leider erst mal genauso verzichtbar bleiben. Nach der ermüdenden Debatte um eine – vermutlich wieder in Hinblick auf die großen konservativen Märkte – vom Team schon im Vorfeld pedantisch ausgeschlossene Liebschaft zwischen Finn und (Oscar Isaac) war es zudem schön, wenigstens einen Kuss zwischen zwei der weiblichen Charaktere am Ende zu sehen, auch wenn man diesen bei einem zu langen Blinzeln verpassen kann. Und schließlich ist es doch bei aller Kritik ein sehr beeindruckendes Bild und Leitmotiv, das Abrams vermittelt, wenn er darauf hinweist, dass eine Diktatur einen immer glauben machen will, dass man allein sei und am Ende die Galaxie Palpatine und der Neuen Ordnung das Gegenteil beweist. Es hat schon fast die epischen Ausmaße von Avengers: Endgame (2019), wenn da am Ende aus allen Teilen der Galaxie Schiffe den Helden zu Hilfe kommen, um die Gegner endgültig zu besiegen. Da gab's dann kurz doch bei der Autorin dieses Artikels auch Gänsehaut und ein etwas schnelles Blinzeln.

Fazit Insgesamt jedoch bleibt ein überwiegend negativer Eindruck, der hier noch nicht mal in allen Punkten im Detail 42 festgehalten wurde. Der Aufstieg Skywalkers ist ein Paradebeispiel für gut gemeint ist nicht gut gemacht. Hier wurde von allen Seiten versucht, krampfhaft etwas zu kitten, es zu vielen Leuten recht zu machen, gleichzeitig gab es gefühlt einen schädlichen Größenvergleich zwischen Johnson und Abrams, und herausgekommen ist am Ende ein Film, wie er diesem Franchise einfach nur unwürdig ist. »Hilf uns, Baby Yoda! Du bist meine letzte Hoffnung!«

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44 Das ungewöhnliche Ende einer Familiensaga – Star Wars: Der Aufstieg Skywalkers schließt nach 42 Jahren einen weiten Handlungsbogen ab von Hartmut T. Klages

Abb. 6 © Lucasfilm Ltd. / Disney

Als der Film Star Wars: Episode IV – Eine neue Hoffnung 1977 in den Kinos anlief, war er eine Sensation. Nicht nur wegen seiner technischen Perfektion: Er traf den Zeitgeist einst auf vielfältige Weise. Eine Generation später, im Jahr 2019 sollte der damals eröffnete Handlungsbogen sich mit Star Wars: Der Aufstieg

45 Skywalkers schließen. Der Zeitgeist hat sich indessen auf vielfältige Weise gewandelt. Kann das funktionieren?

Das Franchise, das Phänomen Star Wars ist ein Phänomen. Um den Erfolg zu erklären, muss man es als solches begreifen. Um einem weit verbreiteten Vorurteil gleich entgegenzutreten: Obwohl in der Saga unzählige Raumschiffe durch das All fliegen, handelt es sich bei Star Wars natürlich nicht um Science-Fiction. Die Filme selbst versuchen, sich als Märchen zu verkaufen (»Es war einmal, vor langer Zeit, in einer weit, weit entfernten Galaxie ...«). Aber es sind nüchtern betrachtet klassische Mantel-und-Degen-Filme. Errol Flynn (Der Fluch des Wahnsinns) hätte einen großartigen Han Solo gegeben. Diejenigen unter Ihnen, die noch nie irgendeine Art von Kontakt zu Star Wars hatten, fragen sich vielleicht: Kann man sich einen Film ansehen, der auf acht vorherigen Filmen aufbaut, ohne diese gesehen zu haben? Ja, man kann. So wie der Autor dieser Rezension 1978 von einem Universum voller Sternzerstörer, Droiden und Lichtschwerter überrollt wurde, so wurden selbst unbedarfte Kinogänger 2019 von diesem Universum beeindruckt. Alle wichtigen Informationen zum Verständnis des Films beinhaltet Der Aufstieg Skywalkers nämlich, vielleicht sogar noch mehr als der zuallererst ins Kino gekommene Film von 1977.

Die Vorgeschichte 46 In den 1970er-Jahren betraten zwei junge Regisseure erstmals die Bühne des Filmgeschäfts: Steven Spielberg und George Lucas. Beide waren Kinonarren; als solche gestalteten sie ihre Werke. Gespickt mit Zitaten aus Filmen, die die selbst begeistert hatten. Und sie gingen noch weiter, gingen an die Grenzen des Machbaren in diesem Genre. Nicht nur am Ende jedes Bands von Lucky Luke (seit 1946) steht der Ritt in den Sonnenuntergang an. Aber niemals zuvor war er so grandios inszeniert worden wie am Ende von Indiana Jones und der letzte Kreuzzug (1989). So schöpfte auch Lucas für Krieg der Sterne (so der ursprüngliche Name) aus dem Fundus der Filmgeschichte. Nie zuvor hatte man so glaubwürdige Aliens gesehen wie in der Cantina von , aber ohne die Inspiration durch Ray Harryhausens (Kampf der Titanen) Monster wären diese nicht denkbar gewesen. Der finale Showdown war Luftschlachten aus dem Zweiten Weltkrieg nachempfunden. Die Dreiecksbeziehung zwischen Solo (Harrison Ford), (Mark Hamill) und Prinzessin Leia Organa (Carrie Fisher) mag an Casablanca (1942) erinnern. So war Star Wars ein Film von einem Kinonarren für Cineasten. Eine neue Hoffnung traf in den USA auf ein Publikum, das nach der Katastrophe des Vietnamkriegs den Glauben an gerechte Kriege verloren hatte – und der ihn eben diesem Publikum zurückgab. Der Film traf weltweit auf ein Publikum, das sich nach Esoterik sehnte – und der ihm diese in Form der Darstellung der geheimnisvollen »Macht« gab. Er zog alle Register der typischen Heldenreise (den gutmütigen Riesen als Copiloten, den weisen Mentor, der 47 sterben muss, damit der Held unabhängig wird, den lustigen Zwerg, diesmal in der Gestalt eines Roboters) und traf den Nerv derjenigen, die über die Oberflächlichkeit eines perfekt inszenierten Mantel-und-Degen-Films hinaus den Triumph der »Guten« über das »Böse« genießen wollten. Nach einer langen Ideengeschichte bis hin zum Drehbeginn im Jahr 1976 hatte Lucas bis zum Jahr 1983 die Original-Trilogie (Episode IV bis Star Wars: Episode VI – Die Rückkehr der Jedi-Ritter) umgesetzt. Es folgte 1997-2005 die Erschaffung und Veröffentlichung der Prequel-Trilogie (Star Wars: Episode I – Die dunkle Bedrohung bis Star Wars: Episode III – Die Rache der Sith), inklusive pedantischer Überwachung aller Details und Designs. Im Kern dreht es sich in diesen sechs Filmen um die Familiengeschichte der Skywalkers. Von Episode I (1999) bis Episode III wird die Geschichte des jungen Anakin Skywalker (Hayden Christensen) präsentiert, der u. a. durch die Taten des bösen Imperators Palpatine alias Darth Sidious (Ian McDiarmid) vom guten Jedi zum bösen Sith Darth Vader mutiert. Dies stellt die Vorgeschichte der Handlung rund um seine Zwillingskinder Leia und Luke dar, die von Episode IV bis Episode VI erzählt wird.

Die Sequel-Trilogie kommt Im Jahre 2012, im Alter von 68 Jahren, realisierte Lucas, dass er die geplante Sequel-Trilogie nicht mehr würde produzieren können und verkaufte seine Firmen und Filmrechte an die Walt Disney Company.

48 Regisseur und Co-Autor J.J. Abrams wusste selbstverständlich genau, in wessen Fußstapfen er da treten sollte, als ihm sodann von Disney die Fortsetzung der »Skywalker-Saga« angetragen wurde. Schon als Abrams einst die Regie für den 2009 erschienen Film Star Trek übernommen hatte, hatte er sich des unüberschaubar gewordenen Star Trek-Universums, bestehend aus beinahe 900 Fernsehepisoden und Kinofilmen, entledigt. Er hatte kurzerhand ein Paralleluniversum gestartet, mit frischen, unverbrauchten Helden, und hatte mit dem Planeten Vulkan einen der wichtigsten Schauplätze des bisherigen Star Trek-Universums einfach mal in die Luft gesprengt. Diese Vorgehensweise kam für die Fortsetzung der sechs bis dorthin existierenden Star Wars-Filme allerdings nicht in Frage. Abrams musste sich dem Kanon des Star Wars-Universums wohl oder übel zumindest in Filmform stellen (das bis dorthin existierende sogenannte Erweiterte Universum wurde schon bald darauf als nicht mehr zum Kanon dazugehörig erklärt).

Gelungener Neustart Mit Star Wars: Das Erwachen der Macht (korrekt eingeordnet wäre das übrigens Episode VII) meisterte Abrams diese Aufgabe auf beeindruckende Weise. War Eine neue Hoffnung 1977 ein Film für Fans des Kinos, wurde im Jahr 2015 Das Erwachen der Macht ein Film für Fans von Star Wars. Junge, unverbrauchte Heldengesichter, vertraut

49 wirkende Schauplätze, bekannt wirkende Handlungsmuster ... Nur der Mentor (bzw. die Mentorin) starb (noch) nicht. Mit Star Wars: Die letzten Jedi (2017) versuchte Regisseur und Drehbuchautor Rian Johnson (Looper) dem von Lucas pedantisch entworfenen Star Wars-Universum mit seinen Familiengeschichten, Dynastien und Schicksalslinien einen Gegenentwurf zu präsentieren, ganz nach dem Leitsatz: »Es ist nicht entscheidend, woher du stammst, sondern wer du bist.« Vor dem Start von Der Aufstieg Skywalkers wurde das Internet entsprechend mit Theorien zum Ausgang der Sequel-Trilogie überschwemmt. Würde der zurückkehrende Abrams die von Johnson favorisierte Abkehr von den Dynastien fortführen? Oder würde er Fragen aufklären, die Fans über Jahre bewegt hatten? Darunter vor allem: Wer waren die richtigen Eltern der mit der Macht so unerklärlich-natürlich vertrauten Rey (Daisy Ridley)? Woher stammte der Oberste Anführer Snoke (Andy Serkis)? Und würde Abrams wieder mindestens einen Planeten sprengen?

Guter Abschluss Abrams erweist sich mit Der Aufstieg Skywalkers als würdiger Erbe von Lucas. Er weiß sogar dem Sonnenuntergang aus Spielbergs Indiana Jones und der letzte Kreuzzug Paroli zu bieten. Auch er scheut keine Anleihen aus der Filmgeschichte, etwa indem der Millennium Falke einem Sandwurm begegnet, der denen

50 auf Arrakis (Dune – Der Wüstenplanet) erstaunlich ähnlich ist. Der Streifen bietet der Meinung des Autors dieses Artikels nach alles, was der geneigte Star Wars-Fan erwartet. Es fällt genauso der berühmte Satz »Ich habe da ein ganz mieses Gefühl« wie tatsächlich erneut ein kompletter Planet gesprengt wird (kann Abrams diese Handschrift durchhalten? Er ist immerhin erst 53 Jahre alt). Selbstverständlich wird an Bord des Millennium Falken das berühmte Schachspiel gespielt. Reys Herkunft und ihre besondere Beziehung zur Macht werden in der Tat geklärt. Auch wer auf ein erneutes rasantes Lichtschwertduell zwischen Rey und Kylo Ren alias Ben Solo (Adam Driver) hoffte, wurde nicht enttäuscht: Es wurde sogar mehr als eins.

Abb. 7 © Lucasfilm Ltd. / Disney

51 Der Film passt sich aber auch einmal mehr dem Zeitgeist an. Die Schnelligkeit, mit der detailliert ausgestaltete Schauplätze sich abwechseln, spricht die Generation Videospiel an, die Level naturgemäß gern etwas zügiger wechselt. Die Gefangenenbefreiung verläuft mit deutlich mehr tödlichen Schüssen als einst jene in Eine neue Hoffnung; somit fügt sich die Darstellung in die erhöhte Gewaltpräsenz in Ego-Shootern und in anderen aktuellen Kinofilmen (wie beispielsweise auch im Star Wars-Spin-off Rogue One: A Star Wars Story aus dem Jahr 2016) ein. Der Erfolg oder Nicht-Erfolg von Der Aufstieg Skywalkers erklärt sich aber nicht mit Zeitgeist oder dem Hang zu virtuellen Welten, mögen sie nun Kinofilmen oder Videospielen entstammen.

Lobendes Fazit Star Wars ist über mehr als vierzig Jahre hinweg selbst zu einem Phänomen geworden. Filme, Merchandise, Fernsehserien, Computerspiele, Reenactments wie die 501st Legion oder Schwerttraining mit Lichtschwertrepliken auf Conventions wie der Phantastika (2017) ... Die Generation der Väter hat die nachfolgende Generation von Töchtern und Söhnen in dieses Universum mit hineingezogen. Auch andere Kinofilme wurden natürlich schon mit sehr erfolgreichen Sequels fortgesetzt, wie z. B. Fluch der Karibik (2003). Doch abgesehen von Star Trek (seit 1966) hat sich wohl kein anderes Franchise so erfolgreich eine sich stetig vergrößernde Fangemeinde geschaffen wie Star Wars. 52 Der Kinobesuch von Der Aufstieg Skywalkers lohnt sich in den Augen des Autors dieses Artikels allemal. Abrams schafft es, das vertraute fiktive Universum erneut so darzustellen, dass dessen Anhänger sich an ikonischen Zitaten und vertrauten Gesichtern erfreuen können, obwohl eine Vielzahl von neuen Handlungsträgern und –Orten eingeführt wird. In der Summe ist das Werk aber nicht nur für die Fans des Franchise sehenswert. Es ist ein spannender Abenteuerfilm mit einem intelligenten Drehbuch, der erst in der vorletzten Einstellung verrät, warum er seinen Titel trägt und der die Familiensaga zu einem überraschenden Ende führt, welches auch den Begriff »Familie« selbst hinterfragt. Die grandiosen Spezialeffekte begeistern gerade, weil sie sich ganz selbstverständlich als Teil der Story präsentieren und als solche gar nicht mehr wahrgenommen werden. Dazu überzeugende Darsteller, die ihre Rollen als das nehmen, was sie sind. Nämlich als kleinen Baustein in einem mit Leben überbordenden Universum, in dem die Guten gegen das Böse kämpfen.

Star Wars: Der Aufstieg Skywalkers – Aufstieg (oder Fall?) Skywalkers von Reiner Krauss

53 Um zu Beginn dieser weiteren Rezension des aktuellsten Star-Wars-Films, Star Wars: Der Aufstieg Skywalkers (2019) die Worte der Hauptdarstellerin Daisy Ridley (Scrawl) zu bemühen: »Nicht jeder wird den Film lieben.« Aber trotz mancher vielleicht gerechtfertigt anzubringender Kritik und trotz eines gewissen Erbsenzählens, das es immer bei Filmkritiken gibt, kann der Autor dieses Artikels sagen: Er ist sehr zufrieden mit dem Abschluss von diesem Teil der Saga.

Viele Stärken Lose aufgezählt hier nur ein paar Stärken von Der Aufstieg Skywalkers, die den Autor dieser Rezension beindruckt haben. Die Rückkehr Palpatines (Ian McDiarmid) wird logisch erklärt, und sie ist gar essenziell für den Film. Die Szenen mit Leia (Carrie Fisher) sind unglaublich gut gelungen und stimmig eingebaut. Wer es nicht besser weiß, würde denken, sie sind für genau diesen Film entstanden. Es sind großartige Bilder, die einen unweigerlich an Szenen aus der Original-Trilogie erinnern; hier ist der Regisseur erkennbar selbst ein Fan. CGI-Effekte ... muss es heute geben, doch mit bloßem Auge zu erkennen waren sie wohl eher nicht. Zu erahnen schon, denn niemand lässt wirklich wertvolle Schauspieler einen Lichtschwert-Kampf auf echter stürmischer See in den Trümmern des abgestürzten zweiten Todessterns nachstellen. 54 Der Film hat zudem an passenden Stellen Witz, er bietet die nötigen Emotionen, schreckt aber auch vor heftigen Schlachten nicht zurück. Das Ganze ist eben als Popcorn-Kino inszeniert, mit hohem Tempo, und genau das bekommt man geboten. Das »Hyperraum-Hopping«, das im Film dem Millennium Falken so selbstverständlich gelingt, beschreibt auch das Werk im Gesamten. Dieses Tempo lässt die über zwei Stunden an Laufzeit sich sehr kurzweilig anfühlen. Der erkennbare Nachteil hieran ist jedoch, dass es viel zu sehen und zu verarbeiten gibt, und den Fokus auf einen Schwerpunkt-Planeten erlebt man diesmal nicht. Spielte sich bei den ersten Filmen noch ein Großteil der Handlung auf einer Welt ab, die das jeweilige Werk prägte – beispielsweise in Form der Sandwüste auf , der Eiswüsten von oder des Walds von –, so gibt es diesmal eine Vielzahl an Locations zu sehen und zu erleben.

Fazit Nichtsdestotrotz ist J.J. Abrams (Westworld) mit diesem Werk fast schon die Quadratur des Kreises gelungen. Der Film musste immerhin auch sehr viele Fragen beantworten und sollte zudem eine Würdigung des Schaffens von George Lucas (THX 1138) darstellen. Von der neuen Hoffnung zur letzten Hoffnung, aber niemals die Hoffnung verlieren – das ist die Essenz der »Skywalker-Saga«. Am Ende fügt sich alles zusammen, was zusammengehört, mit einem tollen Schlussbild, das den Kreis der Erzählung schließt und zurück zu den Wurzeln auf 55 Tatooine mit dem typischen Doppelsonnen-Untergang im Hintergrund führt. In der Favoriten-Reihenfolge der Star Wars-Filme des Autors dieses Artikels hat sich nach dem Genuss des aktuellsten Streifens natürlich auch etwas getan. So alt, so gut und ewig aktuell: Die Original-Trilogie (1977-1983) liegt bei ihm immer noch ganz vorne, gefolgt von Rogue One: A Star Wars Story (2016). Danach folgt die Sequel-Trilogie (2015-2019), und zum Schluss kommt die Prequel-Trilogie (nicht nur wegen der Abneigung des Autors dem Charakter [Ahmed Best] gegenüber). Solo: A Star Wars Story (2018) passt bedauerlicherweise nirgends in diese Aufzählung so richtig hinein. Das Fazit des Autors zum aktuellen Status des Star- Wars-Universums? Wunderbar!

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57 Star Wars: Lexikon der Helden, Schurken und Droiden – Aktualisierte Neuausgabe von Frank Stein

2012 brachte die Dorling Kindersley Verlag GmbH das Werk Star Wars – Lexikon der Helden, Schurken und Droiden – Mit über 200 Figuren des Star Wars-Universums heraus, das besagte Figuren um einiges kürzer und knackiger präsentierte, als es der sperrige Titel vermuten lässt. 2016 erfolgte im Zuge der Veröffentlichung des Films Das Erwachen der Macht eine Neuausgabe (genannt Star Wars – Lexikon der Helden, Schurken und Droiden – Erweitert und aktualisiert), die zahlreiche weitere Figuren vorstellte. Nun folgte 2019, also relativ zeitnah, eine dritte Edition mit dem Titel Star Wars – Lexikon der Helden, Schurken und Droiden – Aktualisierte Neuausgabe.

Was ist neu, was ist anders? »Mutige Jedi-Ritter und grausame Sith-Lords, hilfreiche Droiden, , und andere Wesen aus der ganzen Galaxis – dieses Buch versammelt die fantastischen Figuren der Star Wars-Saga und lässt kaum Fragen offen.« So lautet der Klappentext des aktuellen Hardcover-Bands, der sich mit dem Personal von George Lucas’ (Willow) beziehungsweise Disneys ikonischem Sternenreich beschäftigt. Ein Zusatz weist darauf hin, dass erneut über 58 200 Charaktere vorgestellt werden und man mehr als 700 Abbildungen erwarten darf.

Abb. 8 © Verlag Dorling Kindersley

Wer – wie der Autor dieses Artikels – die Rückseitentexte der beiden vorherigen Bände kennt, dem werden vermutlich schnell die Korrekturen auffallen, die an dem vorliegenden vorgenommen wurden. Offenbar liest bei Dorling Kindersley irgendjemand die Rezensionen des

59 Autors dieses Artikels … So werden Wookiees nun beispielsweise endlich mit zwei E geschrieben. Es ist auch nicht mehr bloß die Rede von der »klassischen« Saga. Und man behauptet gar nicht mehr erst, »alle« Figuren vorzustellen oder »keine« Fragen offen zu lassen. Dergestalt dezent umformuliert mutet das alles deutlich korrekter (und bescheidener) an. Hierfür schon mal ein Lob. Denn gerade die Ansage, dass im Buch sämtliche jemals im Star Wars-Universum vorkommenden Figuren vorgestellt werden würden, war schon im Vorgängerband falsch. Dort waren zwar 39 neue Einträge dazugekommen, aber es gab im Vergleich zur ersten Ausgabe des Lexikons auch 22 Verluste. Und auch in diese Ausgabe sind zwar 43 neue Protagonisten aus den Filmen Star Wars: Die letzten Jedi (2017), Rogue One: A Star Wars Story (2016) und Solo: A Star Wars Story (2018) aufgenommen worden, da aber im Zuge der Neuveröffentlichung weder Seitenzahl (224) noch Figurenmenge (über 200) geändert wurden, mussten erneut ältere Einträge weichen. Diesmal sind es sogar ganze 43 weniger. Es fand also ein 1:1-Austausch statt. Verloren gegangen sind dabei vor allem einige Kreaturen und Droiden, beispielsweise , Nexus und Wampas respektive Buzz-Droiden, Droidekas und Verhördroiden. Darunter sehr viele No-Name-Einträge, über deren Sinn und Unsinn man in einem Lexikon (namhafter) Helden, Schurken und Droiden in der Tat trefflich streiten könnte, die man aber trotzdem irgendwie vermisst.

60 Abb. 9 © Verlag Dorling Kindersley

Im Gegenzug sind eine Menge Protagonisten der genannten drei Filme hinzugekommen. So feiern die Crew rund um (), die Gauner, mit denen der junge Han Solo (Alden Ehrenreich) unterwegs ist, und zahlreiche Widerstands-Anhänger rund um Rey (Daisy Ridley), Finn (John Boyega) und Poe Dameron (Oscar Isaac) ihren Einstand im Lexikon. Auch diverse neue Truppler-Typen wie Schlammtruppler oder Todestruppler finden sich in dem Buch. Erneut gibt es in den einzelnen Beiträgen eine Menge Detailinformationen für den geneigten Fan zu entdecken. Beispielsweise, dass (Riz Ahmed) in seiner Freizeit auf Odupiendo-Rennen wettet oder dass General Davits Draven (Alistair Petrie) vom Planeten Pendarr III stammt. Interessant auch Erwähnungen wie zur Protokolldroidin ME-8D9 (Stephanie Silva), die so oft neu 61 programmiert wurde, dass ihre Vergangenheit sogar für sie selbst ein Mysterium ist, das immer wieder einmal unerwartet Teile davon preisgibt.

Die Optik In Sachen Layout des Buchs hat sich wenig getan. Unverändert: Jede Figur erhält genau eine Seite. Dort wird der Charakter auf einem großen Ganzkörperporträt abgebildet, ein bis drei zusätzliche kleinere Bilder bieten ein wenig visuellen Kontext. Dazu kommt ein Datenbankeintrag, der Zugehörigkeit, Heimatwelt, Spezies, Größe, Filmauftritt und verknüpfte Einträge listet. Kurze Textkästen bieten nette, wenn auch kaum erschöpfende Informationen. Im Allgemeinen handelt es sich bei dem Projekt eher um knappe, aber durchaus prägnante Einführungen in das Leben und Wirken der aufgeführten Helden, Schurken und Droiden. Der Zweck dieses Nachschlagewerks ist somit voll erfüllt.

Updates Einige ältere Einträge der Vorgängerwerke wurden zudem erneut aktualisiert. So ist Luke Skywalker (Mark Hamill) jetzt als alter Mann abgebildet, Ray Parks Maul (ohne Darth) tritt mit Metallbeinen auf, und (Lupita Nyong'o) präsentiert sich gemäß ihrem Cameo in Die letzten Jedi in Actionpose. Damit passt sich das Buch an die Gegebenheiten der neueren Filme an. Mehr als nur ein paar Einträge sind jedoch praktisch 1:1 erhalten geblieben. Der Autor dieses Artikels hat nicht 62 nachgezählt, aber gerade im Bereich der Prequel-Trilogie wird dem Leser viel Bekanntes präsentiert. Hier wurden höchstens Detailformulierungen angepasst.

Abb. 10 © Verlag Dorling Kindersley

Mängel Leider folgt auch dieser Band in Sachen Präsentation seiner Figuren der englischsprachigen Ausgabe, obwohl die alphabetische Ordnung, die in dieser vorherrscht, im Deutschen nicht immer funktioniert. So folgt auf Cliegg Lars (Jack Thompson) der Klon-Pilot (im Englischen » pilot« genannt). Und die Truppen der Ersten Ordnung (im Englischen »«), vom Exekutionstruppler (ja, die gibt es wirklich) bis hin zum TIE-Jäger-Piloten, tummeln sich zwischen Finn und Galen Erso (Mads Mikkelsen). Vermutlich ließ das Layout, in das nur jeweils der deutsche Text eingesetzt wurde, keine 63 Änderung der Reihenfolge zu. Schöner wäre es dennoch gewesen, im Deutschen die alphabetische Ordnung durch Umsortierung wieder herzustellen. Immerhin listet das Inhaltsverzeichnis vorne im Buch die Figuren in alphabetischer Reihenfolge, dazu kommt ein ausführliches Register hinten. So wird einem das Auffinden leicht gemacht. Das grundsätzliche Problem von solchen Werken bleibt jedoch auch in dieser Ausgabe bestehen. So schön diese aktualisierte Version des Lexikons gemacht ist – und sie ist durchaus schön –, ihre Lebenszeit ist eben auch immer begrenzt. Schon jetzt, wo gerade 2019 die TV-Serie The Mandalorian und der neue Kinofilm Star Wars: Der Aufstieg Skywalkers erschienen sind, ist das Buch veraltet. Und wenn dann in zwei Jahren die nächste Ausgabe erscheint, werden erneut 30-40 Alteinträge »ausgemustert« werden. Eine Lösung ist das nicht, denn durch diese Vorgehensweise fallen eine Menge Nebenfiguren der Saga einfach weg (seit der Erstausgabe bereits 65 Stück). Besser wären an dieser Stelle eigentlich in sich geschlossene (und fortan unveränderte) Bände zu Themenkomplexen wie der Prequel-Trilogie (1999-2005), der Original-Trilogie (1977-1983) und der Sequel-Trilogie (2015-2019). Oder eben eine Vergrößerung des Umfangs um 50-100 Seiten, um endlich die ganzen Verluste wieder gutzumachen. Dafür könnte man dann auch 19,95 Euro verlangen.

64 Abb. 11 © Verlag Dorling Kindersley

Fazit Star Wars – Lexikon der Helden, Schurken und Droiden ist immer noch ein farbenfrohes Nachschlagewerk für große und kleine Fans, das Spaß beim Stöbern bereitet und mit 14,95 EUR (der Preis ist seit dem letzten Band gleich geblieben) absolut nicht teuer ist. Gerade für Star Wars-Neulinge bietet das Buch jede Menge schicker Bilder und gut verdaulicher Informationsschnipsel, sodass es sich als Einführungswerk in die Charaktervielfalt der Saga vortrefflich eignet. Bedauerlich ist allein das ständige Streichen von Einträgen, um Platz für die neuen Figuren zu schaffen. Auch dass die Figuren der Animationsserien Star Wars: Clone Wars (2003–2005), Star Wars Rebels (2014–2018) und Star Wars (seit 2018) nicht im Werk enthalten sind,

65 obwohl sie offiziell zum Kanon gehören, ist ein kleiner Wermutstropfen. Zum Abschluss hat der Autor dieses Artikels noch eine Liste aller im Buch seit der letzten Ausgabe gestrichenen und hinzugefügten Einträge für Sie zusammengetragen. Gestrichen wurden die Einträge zu Acklays, zum B‘omarr-Mönch, dem , der Boga, dem Boxendroiden, dem Buzz-Droiden, zu Commander Bacara, zu Constable Zuvio, zu Droidekas, zu Ello Asty, zum Energiedroiden, zum Feuerhageldroiden, zum FX-Medidroiden, zu den Happabore, zu Imperialen Droiden, zum Sobot, zu J‘Quille, zum Krabbendroiden, zum Luggabiest, zu Muftak, zu Mustafarianern, zum Seeungeheuer von , zum Nexu, zum Octuptarra-Droiden, zum Podrennfahrer, zu Polis Massanern, zu R4-G9, zu R4-P17, zum Rancor, zum Rathtar, zum Reek, zum , zum Sicherheitsdroiden, zum Spürspinnendroiden, zu Strono »Cookie« Tuggs, zum Tauntaun, zum Taurücken, zu Utai, zum Verhördroiden, zum Wampa, zur Weltraumschnecke, zu Yarna d'al' Gargan und zum Zwergspinnendroiden. Neu dazugekommen sind Einträge zu Admiral Raddus, zu Baze Malbus, zu Bistan, zu Bodhi Rook, zu C‘ai Threnalli, zu , zu Chirrut Îmwe, zu DJ, zu Dryden Vos, zu Enfys Nest, zum Exekutionstruppler, zu Galen Erso, zum Gebirgstruppler, zu General Davits Draven, zu General Antoc Merrick, zu Jyn Erso, zu K-2SO, zum Küstentruppler, zu L3-37, zu Lady Proxima, zu Lanai, zu Lieutenant Kaydel Ko Connix, zu Lyra Erso, zu Moloch, zum Obersten Anführer Snoke, zu , zu Paige Tico, zum Panzertruppler, 66 zu Paodok'Draba'Takat Sap'De'Rekti Nik'Linke'Ti' Ki'Vef'Nik'NeSevef'Li'Kek, zum Patrouillentruppler, zu dem Polizisten auf Canto Bight, zur Prätorianergarde, zu Qi‘ra, zu Rio Durant, zu , zu , zum Schlammtruppler, zu Tallissan »Tallie« Lintra, zu Tobias Beckett, zum Todestruppler, zu Two Tubes, zu Val und zu Vizeadmiral Amilyn Holdo. Umbenannte Einträge: Aus »« wurde »Maul«, aus dem »Hoth-Rebellensoldaten« der »Rebellensoldat (Hoth)«, und aus »Major Caluan Ematt« wurde »General Caluan Ematt«.

Star Wars – Lexikon der Helden, Schurken und Droiden – Aktualisierte Neuausgabe Simon Beecroft, Elizabeth Dowsett, Dorling Kindersley, 2019 ISBN: 978-3-8310-3760-5 224 S., Hardcover, deutsch Preis: EUR 14,95

Star Wars: Das ultimative Buch – Pflichtkauf fürs Grundstudium in Star Wars-Kunde von Frank Stein

Schon im Jahr 2015 erschien klammheimlich und exklusiv bei Tchibo das Werk Star Wars – Das ultimative Buch von 67 der Dorling Kindersley Verlag GmbH. Der großformatige, schwergewichtige Band präsentierte auf 320 Seiten in chronologisch sortierten Lexikon-Einträgen allerlei Wissenswertes zu den Figuren, den Schauplätzen, der Technik und den Raumschiffen der Saga. Ende 2019 ist eine aktualisierte Ausgabe im freien Handel erschienen.

Abb. 12 © Verlag Dorling Kindersley

Was ist neu?

68 Das Folgewerk bleibt dem ersten in allen wesentlichen Belangen treu. Das Buch misst noch immer eindrucksvolle 260 x 307 mm und wiegt dabei satte 2,1 kg. Die Seitenzahl wurde auf 352 erhöht, um Platz für all die neuen Entwicklungen in der Star Wars-Galaxie zu bieten. Und noch auf zweierlei weitere Art wurde bei der Neuausgabe Platz geschaffen. In Version 1 existierte zu jedem der vier großen Kapitel »Figuren und Kreaturen«, »Schauplätze«, »Techniken« und »Fahrzeuge« eine kleine Chronologie; außerdem wurden die Lexikonseiten regelmäßig durch doppelseitige Schlüsselmomente unterbrochen, die wichtige Ereignisse der Geschichte kurz schilderten, etwa die Schlacht von Geonosis oder das Duell auf . Die neue Ausgabe beschränkt sich dagegen voll und ganz auf das, was sie sein will: ein bilderreiches ausführliches Nachschlagewerk, das chronologisch alle existierenden kanonischen Inhalte berücksichtigt. Das heißt, es wurden die zehn Kinofilme bis Star Wars: Die letzten Jedi (2017) berücksichtigt, außerdem die TV-Serien Star Wars: Clone Wars (2003–2005), Star Wars Rebels (2014–2018) und Star Wars Resistance (seit 2018). Sogar kleine Verweise auf Comics und Videospiele finden sich, hier allerdings nur bezüglich der populärsten Figuren, beispielsweise Doktor Chelli Lona Aphra und . Im Vergleich zum Vorgängerband ist an Material solches zu Star Wars: Das Erwachen der Macht (2015), zu Rogue One: A Star Wars Story (2016), eben zu Die letzten Jedi, zu Solo: A Star Wars Story (2018), zu den späteren 69 Rebels-Staffeln und zu Resistance hinzugekommen – eine Menge Stoff! In dem allerdings leider aufgrund der zwischenzeitigen Veröffentlichung von The Mandalorian und Star Wars: Der Aufstieg Skywalkers im letzten Jahr bereits Lücken klaffen; aber das liegt in der Natur von Print-Lexika zu so lebendigen Popkulturthemen wie Star Wars.

Abb. 13 © Verlag Dorling Kindersley

Der Aufbau Das Buch beginnt mit einer kurzen Einleitung von Ryder Windham (Jedi Quest-Bücher), gefolgt von einem Vorwort von C-3PO-Darsteller Anthony Daniels. Beides wurde praktisch wortgetreu vom Vorgängerband übernommen. Eine doppelseitige Zeitleiste, die mit der Schlacht von Naboo beginnt und bei der Schlacht von Crait endet, ist neu hinzugekommen.

70 Es folgen die lexikalischen Einträge zu den Figuren und Kreaturen, die bezüglich wichtiger Figuren wie Obi-Wan Kenobi (Ewan McGregor), Leia Organa (Carrie Fisher), Han Solo (Harrison Ford) oder Rey (Daisy Ridley) jeweils eine ganze Doppelseite einnehmen und neben Infoblöcken auch immer eine kleine Zeitleiste zum Wirken der Figur beinhalten. Flankiert werden diese größeren Einträge von zahlreichen kleineren zu Nebenfiguren. Selbst beim schönsten Lexikon bleiben natürlich immer gewisse Lücken bestehen – etwa beschränkt sich die Vorstellung der Besucher der Mos Eisley-Cantina auf drei Namen –, aber das dürfte wirklich nur den größten Fans auffallen. Apropos auffallen: Besitzern des Vorgängerbands werden schnell merken, dass dieses Lexikon lediglich auf selbigem aufbaut. Viele Seiten ähneln ihren Pendants im älteren Werk fast bis aufs letzte Komma. Ergänzt wurde überall da, wo neue Inhalte relevant waren, etwa beim Eintrag von Luke Skywalker (Mark Hamill). Im Bereich der Prequel-Trilogie beispielsweise hat sich jedoch kaum etwas getan. Dank der rund fünfzig neu hinzugekommenen Inhaltsseiten ist das Werk trotzdem ein lohnenswerter Kauf, auch für Besitzer der vorangegangenen Ausgabe.

Leichte Verwirrung Mit den Schauplätzen der Saga geht es in Kapitel 2 weiter. Wichtige Planeten wie Naboo, Tatooine oder bekommen sogar vier bis sechs Seiten spendiert.

71 Die chronologische Ordnung in diesem Kapitel sorgt allerdings irritierenderweise dafür, dass auch später noch gelegentlich Infos zu den gleichen Welten auftauchen. So findet sich etwa das Seenland von Naboo auf der Seite zu Kamino wieder, und die Doppelseite zur Feuchtfarm der Lars-Familie auf Tatooine hat man mitten in den vierseitigen Geonosis-Block gepackt (dem wiederum Jabbas Palast auf Tatooine folgt). Es wäre klüger gewesen, die Inhalte etwas stärker thematisch zu konzentrieren und die Chronologie der Filme dafür aufzubrechen.

Abb. 14 © Verlag Dorling Kindersley

Warum der Eintrag zu übrigens vor dem zu Utapau und Kashyyyk eingeordnet wurde, wissen wohl nur die Macher des Buchs. Yodas (Frank Oz) Landung dort findet bekanntlich erst ganz am Ende von Episode III – Die Rache der Sith (2005) statt – und zum Handlungsschauplatz wird

72 der Planet gar erst in Star Wars: Episode V – Das Imperium schlägt zurück (1980).

Abb. 15 © Verlag Dorling Kindersley

Die Technik Ein buntes Sammelsurium an Waffen und Ausrüstung aus allen Filmen prägen das Kapitel »Technik«. Hier werden auch viele Droiden eingeordnet, sofern es nicht namhafte Helden wie C-3PO, R2-D2 (Kenny Baker) oder BB-8 (Brian Herring) sind. Eher kürzerer Natur sind die Raumschiff- und Fahrzeug-Einträge in Kapitel 4. Hier bleibt das Werk deutlich hinter Geschwisterprodukten wie Star Wars – Die Risszeichnungen (1998) zurück. Aber da die Zielsetzung im vorliegenden Fall eindeutig der kompakte Überblick ist, kann man das dem Buch nicht vorwerfen. Lücken fallen trotzdem auch hier ein paar auf, insbesondere im Bereich

73 der Podrenner. Einzelne Doppelseiten, die allerdings sehr bilderreich sind, enthalten namhafte Fahrzeuge wie die Sklave 1 oder den Millennium Falken. Beschämend wenig Platz wird dagegen imperialen Superschiffen wie etwa der Executor oder der Supremacy von Snoke (Andy Serkis) eingeräumt. Jedem Kapitel ist ein zweiseitiger Blick hinter die Kulissen angehängt, der ein paar Konzeptzeichnungen präsentiert, mehr allerdings auch nicht. Ein umfangreiches Register schließt das Buch ab.

Fazit Wenn es einen Studiengang namens »Star Wars-Kunde« gäbe, wäre dieses Buch wohl das Lehrmaterial. Natürlich gibt es konkreter spezialisierte Werke zu einzelnen Themenbereichen, etwa Star Wars – Schauplätze und Planeten (von 2016 und inzwischen leider auch schon veraltet) oder die erwähnten Risszeichnungsbücher. Und natürlich findet man diese oder jene – und noch mehr – Infos alle auch kostenlos im Internet, etwa in der Jedipedia. Aber wer nach einem schicken Lexikon sucht, um vielleicht begleitend zum Bewegtbild-Genuss ein wenig zu schmökern (ohne dafür erst ins Internet gehen zu müssen), der ist hier genau richtig. Star Wars – Das ultimative Buch bietet eine phänomenale Menge an Nerd-Wissen zur großen bunten Galaxis weit, weit entfernt.

Star Wars – Das ultimative Buch 74 Adam Bray, Patricia Barr, Ryder Windham u. a. Dorling Kindersley, 2019 ISBN: 978-3-8310-3777-3 352 S., Hardcover, deutsch

75 Unendliche Weiten – Die Star-Trek- Ecke

Ressortleiter Thorsten Walch

Kolumne: Willkommen zurück, mon capitaine! – Star Trek: Picard ist auf Kurs von Thorsten Walch

»Ja, ist denn schon wieder Weihnachten?«, fragte vor etlichen Jahren der einstige Torschützen-König Franz Beckenbauer in einem bekannten Werbespot.

76 Trekkies konnten diese Frage exakt einen Monat nach dem letzten Heiligabend, am 24.01.2020 begeistert bejahen. Nach einer qualvoll lang erscheinenden Zeit des Wartens war es endlich soweit; beim Streaming-Dienst Amazon Prime Video erschien pünktlich zur Mitternachtsstunde die heiß ersehnte allererste Folge von Star Trek: Picard. Nicht nur den Start der neuesten, insgesamt siebten Serie des Franchise (eigentlich die achte, wenn man wie der Verfasser dieser Zeilen die Zeichentrickserie von 1973 mitzählt) bedeutete dies, sondern auch die Rückkehr von einem der beliebtesten Charaktere aus dem Roddenberry’schen Universum.

Abb. 16 © Amazon Prime

Wie immer wurde im Vorfeld viel zum Serieninhalt geunkt, vor allem von den gern vom Autor zitierten »Starakeln«, die ein weiteres Mal bereits glänzend über die schlechte Qualität der neuen Serie informiert waren, als die erste

77 Szene noch nicht einmal im Kasten war. Wieder andere Fans (gewissermaßen ebenfalls zu den »Starakeln« zählende) waren im Vorfeld felsenfest überzeugt davon, dass da »das beste Star Trek aller Zeiten und Welten« auf sie zukommen würde. Der Autor dieser Kolumne hockte mit seinen Erwartungen währenddessen zwischen den beiden sprichwörtlichen Stühlen. Zum einen ist er glühender Fan von Sir Patrick Stewart (X-Men-Filme). Und das, obwohl er einst bezüglich dessen Engagement vor dem Start von Raumschiff Enterprise – Das nächste Jahrhundert (1987–1994) die Hände überm Kopf zusammengeschlagen hatte. Zum anderen war ihm jedoch klar, dass eben wohl nicht die Das nächste Jahrhundert-Fortsetzung im Anmarsch war, die sich viele Fans – Starakel oder nicht – gewünscht hätten. Dazu hätte Stewart gar nicht erst in Interviews erwähnen müssen, dass etwas Neuartiges auf die Fan-Welt zukommen sollte, was »komplett anders« war. Was blieb, war eine Art skeptische Vorfreude. Allein das anstehende Wiedersehen mit Stewart in seiner Paraderolle sorgte für ein Prickeln beim bloßen Gedanken an die kommende Serie; andererseits konnte man mit dieser ebenso viel falsch wie möglicherweise richtig machen. Es wurden bange Monate, in denen vielerlei Neuigkeiten immer wieder für Spekulationen aller Art sorgten. Von einer Rückkehr von (), William Riker () und Deanna Troi (Marina Sirtis) war da die Rede. Von dem Mitwirken von als Seven of Nine, und von Auftritten der Romulaner. Und letztlich davon, dass es 78 künftig keine Trennung mehr zwischen dem Universum der Star Trek-Kinofilme (seit 1979) und dem aus den Fernsehserien geben sollte, dass alles wieder in einem einzigen gesammelten Kosmos spielen würde. Dazu die Fan-Stimmungsschwankungen, die immer stärker zwischen »Höhepunkt des Franchise« und »totaler Kappes im Anflug« hin- und herpendelten. Und dann …

Die erste Folge Dann kam der 24.01., und damit Gedenken (englischer Titel: Remembrance), die erste Folge von Picard. Es war schwierig, angesichts der Veröffentlichung der Pilotepisode die nötige Objektivität als Rezensent zu wahren, sicherlich nicht nur für den Autor dieser Kolumne. Doch er bemühte sich redlich. Man sehe ihm an dieser Stelle den Umstand nach, dass die Handlung der Folge sicherlich vielen, wenn nicht gar den meisten Lesern bereits bekannt sein dürfte. Diese setzt 20 Jahre nach den Geschehnissen in Star Trek: Nemesis (2002) ein. Jean-Luc Picard, mittlerweile über 90 Jahre alt, hat sich 15 Jahre vor Beginn der neuen Serie aus dem Dienst in der Sternenflotte zurückgezogen und diese als Admiral verlassen. Er lebt nunmehr auf dem Weingut seiner Familie, das einst sein Bruder Robert bis zu seinem Tod geleitet hatte. Gesellschaft leisten ihm das romulanische Wirtschafter-Ehepaar Laris (Orla Brady) und Zhaban (Jamie McShane) sowie sein Hund Number One. Immer wieder hat der Ex-Admiral kryptische Träume, in

79 denen er auf seinen verstorbenen Crewkameraden Data trifft. Ansonsten hat sich die einst so frohe Zukunftswelt des 24. Jahrhunderts gewandelt. Der Planet Romulus wurde durch eine Supernova zerstört (siehe Film Star Trek aus 2009); ferner wurde der besiedelte Planet Mars durch einen scheinbar grundlosen Angriff von weiterentwickelten Androiden verwüstet, die seitdem nicht mehr erschaffen werden dürfen. Zu diesen beiden Themen gibt Picard einem Nachrichtenteam ein Interview, das er jedoch als äußerst unbefriedigend empfindet, da für seinen Geschmack nicht wirklich auf die Tragik der beiden Katastrophen eingegangen wird. Bei seinem Auftritt in den Medien fällt Picard der jungen Dahj (Isa Briones) auf. Diese war bereits in der Anfangssequenz der Folge zu sehen, in der eine Gruppe behelmter Unbekannter ihren Freund tötete, wobei sie selbst mittels scheinbar übermenschlicher Kräfte der Bedrohungssituation entkommen konnte. Dahj sucht Picard, zu dem sie eine Verbindung unbekannter Art spürt, kurzerhand auf seinem Weingut auf und wird von ihm nach anfänglicher Skepsis auch herzlich empfangen. Am kommenden Morgen ist die junge Frau jedoch verschwunden. Picard macht sich auf die Suche nach ihr und begibt sich zum Hauptquartier der Sternenflotte in San Francisco. Dort entdeckt er ein Bild, das Data während der legendären Mission der USS Enterprise NCC-1701-D einst gemalt hat und das den Titel Tochter trägt. Darauf zu sehen ist eine 80 junge Frau, die Dahj frappierend ähnelt. Dahj erhält mittlerweile per Kommunikator-Nachricht den dringenden Rat ihrer Mutter, zu Picard zurückzukehren, da nur dieser ihr helfen könne. Die beiden treffen im Hauptquartier der Sternenflotte wieder aufeinander. Das Wiedersehen ist jedoch nur von kurzer Dauer: Die behelmten Angreifer tauchen erneut auf und töten die junge Frau mittels einer starken Säure. Picard kann einen von ihnen überwältigen und als Romulaner identifizieren. Da er den Zusammenhang zwischen Dahj und dem verstorbenen Data erkennt, wendet er sich an die Wissenschaftlerin Dr. Agnes Jurati (Alison Pill), die bis zum Verbot an der Erschaffung von Androiden beteiligt gewesen ist. Auf Umwegen erfährt Picard von ihr, dass es sich bei Dahj in der Tat um eine hochentwickelte künstliche Lebensform gehandelt hat, die allerdings gravierende Unterschiede zu Androiden aufgewiesen hat. Von besonderem Interesse für den Ex-Admiral ist die Auskunft, dass Lebensformen dieser Art immer als Zwillinge erschaffen werden und Dahjs Schwester somit am Leben sein müsste. Was Picard nicht ahnt: Soji Asha, Dahjs Zwilling (ebenfalls gespielt von Briones) ist auf einer geheimen (romulanischen?) Forschungsstation tätig, die sich im Inneren eines umgebauten Borg-Würfels befindet. Dort hat sie soeben ihren neuen Mitarbeiter, den Romulaner Narek (Harry Treadaway) kennengelernt …

Was sagt der Kolumnist? 81 Es gehört sich einfach so. Es gehört zum guten Ton und sollte stets so gemacht werden. Was? Nun, dass man bei einer Kritik zu einem neuen Film, einer neuen Serie oder einer anderen Verbreitungsform einer Geschichte kritisch vorgeht und Positives genauso wie Negatives betrachtet, um zu einem abschließenden Konsens zu kommen. Nur: Selbst bei schärfstem Nachdenken gelingt dies dem Autor nicht, auch nicht, nachdem er sich die erste Folge von Picard zwei weitere Male angesehen hat. Er findet einfach keine negativen Kritikpunkte. Von Anfang an macht die Serie dem geneigten Trekkie klar, dass in der bonbonfarbenen Zukunftswelt des Das nächste Jahrhundert-Universums seit dem letzten Blick darauf die Zeit nicht stehengeblieben ist. Man sieht keine Steigerung oder Verschlimmbesserung einer guten zu einer noch besseren Zukunft, sondern es hat im Gegenteil Entwicklungen nicht eben zum Positiven gegeben. Romulus wurde vernichtet (durch erwähnte Zusammenlegung von CBS All Access und Paramount kein Problem mehr), was ungeheure Flüchtlingsströme der einstigen Feinde hin zur Erde und zur restlichen Galaxie ausgelöst hat. Damit ist man auch schon direkt bei den Gegenwartsbezügen zur guten alten Wirklichkeit, für die das Star Trek-Universum schon zu Zeiten der klassischen Originalserie geradezu exemplarisch gestanden hat. Auf andere Weise aktuell ist das zweite katastrophale Ereignis der Zukunftswelt: Die als emotionslos und dadurch quasi gezwungenermaßen als friedlich angesehen 82 Androiden haben sich als das genaue Gegenteil erwiesen und eine große Kolonie ausgelöscht. Übertragen in die Wirklichkeit soll das heißen: Die Technologie beginnt, sich gegen ihre Erschaffer aufzulehnen. Vielleicht noch nicht wirklich eine aktuelle Situation, aber ein von vielen Fraktionen befürchtetes Horrorszenario. Mitten in dieser veränderten, plötzlich gar nicht mehr so rosigen Zukunft sitzt ein alter Mann mit seinem Hund und spielt heile Welt bei einem Glas guten Rotweins aus eigenem Anbau. Doch in Wahrheit tut besagter Mann nur so, wie man sehr schnell merkt. Denn obwohl er sich aus der brisanten unmittelbaren Situation zurückgezogen hat, ist er sich dieser nach wie vor bewusst und macht seinem Unmut über die Oberflächlichkeit seiner Zeitgenossen in einem inszenierten Interview Luft. Eine Situation, mit der sich viele, insbesondere ältere Fans bestens werden identifizieren können. Star Trek macht an dieser Stelle etwas, das bisher eher selten auf diese Weise der Fall war: Das Franchise ist mit seinen Fans gereift. Zwar richtet sich die neue Serie durchaus auch an jüngere Fans, was die Vielzahl an Schauspielern entsprechender Altersklassen verdeutlicht, die im weiteren Serienverlauf dazu stoßen werden. Doch eine der Zielgruppen sind eben auch jene Fans, die vor mehr als 30 Jahren vielleicht durch Picard und seine Crew auf das Roddenberry’sche Universum gestoßen sind. Und die seither mit diesem und vor allem mit Picard gealtert sind.

83 Picard jedenfalls begibt sich auf eine neue Abenteuerreise, die zumindest auf den ersten Blick weit mehr im Mystery-Genre denn in jenem gewohnten der Space Opera angesiedelt zu sein scheint. Natürlich kommt dergleichen nicht ganz ohne Action aus, und auch diese wird geboten; zum einen in der Eröffnungsszene mit Dahj, zum anderen in der Verfolgungsjagd-Szene im Sternenflotten-Hauptquartier. Aber die Action steht nicht im Vordergrund, sondern dient lediglich als stilistisches Mittel zum Zweck. Ansonsten vermittelt Picard einen Eindruck von Entschleunigung, der nicht zuletzt dem Alter der Hauptfigur angemessen ist. Und das Ganze funktioniert erstaunlich gut. Eine nicht unerhebliche Rolle spielt sicherlich die Tatsache, dass Picard schon in Das nächste Jahrhundert nicht als dynamischer, ewig junger Actionheld gezeigt wurde wie einst Captain Kirk (William Shatner), der Konflikte schon mal mit fliegenden Fäusten löste, sondern als rationaler Kopfmensch, der weit mehr auf Diplomatie als auf Kampfkraft setzte. Einer solchen Figur, so scheint es, fällt auch das unvermeidliche Altern leichter, und auch jetzt ist sie noch für spannende Unterhaltung gut. Und die bietet die erste Folge von Picard mit Sicherheit. Erstmals im Franchise handelt es sich nicht um einen (wenn auch in der Vergangenheit meistens zweigeteilten) anderthalbstündigen Pilotfilm, sondern um eine reguläre 45-Minuten-Episode. Diese vergeht zwar zum größten Bedauern des Autors dieses Artikels wie im Fluge, sie hält sich aber auch nicht mit unnötigen Szenen auf, wodurch sie 84 zu Längen geneigt hätte. Die neuen Charaktere werden nur eher oberflächlich vorgestellt, was einigen Spielraum für ihre spätere Entwicklung zulässt, und einige der Protagonisten waren in Folge 1 noch gar nicht zu sehen. Das Ende der Episode lässt Großes erahnen. Wenn man verschiedenen Vorausblicken auf die kommenden Episoden Glauben schenken darf, wird der ungewöhnliche Stil auch im weiteren Verlauf beibehalten und den Zuseher bis zum Ende der ersten Staffel im Frühling begleiten. Tolle Sache, die jedoch trotz allem eine wichtige Frage aufwirft: Kann dergleichen für das allgemeine Publikum funktionieren?

Die allgemeinen Reaktionen Zum Zeitpunkt, als diese Kolumne entstanden ist, war lediglich erst die erste Folge der neuesten Star Trek-Serie veröffentlicht worden. Die Reaktionen der Fans darauf sind als gemischt zu bezeichnen, wobei erfreulicherweise die positive Menge an Rückmeldungen überwog. Ein wichtiges Thema bei allen Diskussionen zur Picard-Serie ist stets die relativ direkte Konkurrenz mit der anderen aktuell laufenden Franchise-Serie, Star Trek: Discovery (seit 2017). »Da kann sich Discovery mal angucken, wie Star Trek geht!«, lautete da unter anderem ein Kommentar, in dessen weiterem Verlauf insbesondere das vergleichsweise düstere Zukunftsbild, das Discovery zeichnet, aufs Korn genommen wurde.

85 Freilich, Discovery hat inhaltliche Probleme (wobei auch nicht auszuschließen ist, dass Picard ebenfalls welche bekommen wird), aber: Ist dem Kommentator eigentlich aufgefallen, dass in Picard auch das 24. Jahrhundert bei Weitem nicht mehr so locker-leicht daherkommt wie vor nahezu 33 Jahren? Umgekehrt wird in gleicher Weise verfahren. »Wo bitte schön ist denn bei Picard das ›To Boldly Go‹-Feeling, die Erforschung des großen Unbekannten im Weltraum, das Star Trek von jeher ausmacht?«, schießen manche ausgesprochene Discovery-Fans zurück … ohne darüber nachzudenken, dass diese Aspekte mit einiger Sicherheit im weiteren chronologischen Verlauf der Serie noch eine gewichtige Rolle spielen werden. Immerhin ist der mancherorts befürchtete ganz große Trekkie-gegen-Trekkie-Kampf im Fandom bisher ausgeblieben. Und die Streaming-Quoten (mit deren Veröffentlichung sich die Anbieter eigentlich sonst eher schwer tun) sprechen eine eigene Sprache. Picard ist ein überaus ansehnlicher Erfolg und konnte Discovery, die Konkurrenz aus den eigenen Reihen, zumindest für den Augenblick übertrumpfen. Für langfristige Prognosen jedoch ist es sicherlich noch zu früh. Es ist anzunehmen, dass beide Serien ihre festen Stammfans gewinnen und auch behalten werden, während es freilich auch Anhänger beider neuer Serien geben wird. Letzteres indes ist der beste Garant für stabile Quoten und aus diesem Grund am wünschenswertesten von allen 86 denkbaren Lösungen. Keineswegs unterschätzen darf man auch den Umstand, dass die nächste, die somit dritte neue Star Trek-Realserie, wie in den News in dieser Corona Magazine-Ausgabe erwähnt, bereits in den Startlöchern steht und sich gleichfalls irgendwann in das Franchise einreihen wird.

Der Konsens Ein Konsens existiert zumindest in den Augen des Autors dieser Kolumne erst einmal noch nicht. Zum einen macht ganz sachlich betrachtet eine Schwalbe noch keinen Sommer; soll heißen, dass eine ausgezeichnete erste Folge noch nichts über den Verlauf der weiteren Serie aussagt (obwohl es viele Gründe für Hoffnung und eine damit einhergehende positive Haltung gibt). Zum anderen genießt der Kolumnist vorerst lieber das unvergleichliche Gefühl der Spannung auf die kommenden Episoden, das leider immer sehr abrupt endet, wenn man sie erst gesehen hat. Ein erstes Fazit jedoch kann durchaus schon einmal gezogen werden. Erstmals ist es den Produzenten gelungen, sowohl die Alt-Fans der zumindest zweiten Fan-Generation ebenso zu erfreuen wie einen großen Teil der jüngeren Fans, die vielleicht erst durch eine der Nachfolgeserien zum Franchise gekommen sind. Und das mit einer zwar entschleunigten, jedoch durchaus spannenden Geschichte, die bereits ganz zu Anfang in ihren Bann zu ziehen vermag. Vielleicht ist die Picard-Serie haargenau das Star Trek, das die heutige Zeit mit allen ihren Unsicherheiten sehr gut gebrauchen kann: Ein Star Trek, das zeigt, dass jeder sich im 87 Lauf der Zeit verändert und eine Verweigerung dessen immer Stillstand bedeutet. Ein Star Trek, das vermittelt, dass gute Zeiten nur höchst selten auch langfristig gut bleiben, eben weil eine gewisse Veränderung stattfindet, ob man es will und sich ihr anschließt oder nicht. Ein Star Trek, das einer älteren Generation zu verstehen gibt, dass es noch vieles zu tun gibt und das einer jüngeren zeigt, dass Einsatz jetzt gerade und nicht irgendwann in einer fernen Zukunft erfolgen muss. Ja, es ist nur eine Fernsehserie, die in erster Linie Unterhaltungszwecken dient. Aber eine, die in der Vergangenheit vieles bewirkt hat, vielleicht zunächst eher im Kleinen, später aber auch in größerem Umfang. Aus diesem Grund wünschen der Autor dieses Artikels – und der Rest der Corona Magazine-Redaktion – Picard, dass die neue Serie sich dieser Tradition anschließen kann. Bon voyage, mon capitaine!

News: TREKminds von Thorsten Walch

Star Trek: Picard international erfolgreich gestartet Seit Donnerstag, den 23.01.2020 (USA) beziehungsweise in Deutschland seit Freitag, den 24.01.2020 ist mit großem Erfolg die bislang siebte Franchise-Serie Star Trek: Picard bei den Streaming-Diensten CBS All Access bzw. bei Amazon Prime Video zu sehen. Die Vorgehensweise ist dieselbe wie bei Star Trek: Discovery (seit 2017) auf Netflix: Die 88 wöchentlich veröffentlichten Episoden sind hierzulande stets einen Tag nach der US-Premiere bei CBS zu sehen. Bisher sind die Quoten äußerst zufriedenstellend für den US-Streaming-Dienst: Sie liegen 115 % beziehungsweise 180 % über denen des bisherigen Rekordhalters Discovery. Die insgesamt 10 Folgen der ersten Staffel von Picard werden im genannten Ausstrahlungsmodus bis zum kommenden April veröffentlicht werden.

Produzentenwechsel in der zweiten Staffel von Star Trek: Picard Bezüglich der bereits vor dem Start der ersten Staffel von Picard angekündigten zweiten Serienstaffel steht ein Wechsel im Produktionsstab an. In Staffel 2 wird Terry Matalas (12 Monkeys) den kürzlich ausgeschiedenen Michael Chabon (Spider-Man 2) als ausführenden Produzenten der Serie ersetzen, da dieser sich verstärkt um die Serien-Adaption seines Romans Die unglaublichen Abenteuer von Kavalier & Clay (2004) kümmern will.

Guinan kehrt in Star Trek: Picard zurück In der zweiten Staffel von Picard wird es ein Wiedersehen mit der geheimnisvollen El-Aurianerin Guinan (Whoopi Goldberg) geben, die zu den beliebtesten Nebenfiguren in Raumschiff Enterprise – Das nächste Jahrhundert (1987–1994) gehörte. Während eines Auftritts in der Talkshow The View von Goldberg machte »Picard« Sir Patrick Stewart dem Hollywood-Star vor laufender Kamera ein entsprechendes Angebot, auch im Namen von 89 Serien-Showrunner (Die Mumie). Die Talkmasterin und Schauspielerin sagte begeistert zu, was für die Star Trek-Fangemeinde ein Grund zur Freude ist.

Star Trek: Short Treks-Episode mit Bezug zu Star Trek: Picard Kurz vor dem Picard-Serienstart wurde mit Children of Mars auch die letzte neue Folge von Star Trek: Short Treks (seit 2018) bei CBS veröffentlicht, die ein Prequel zur neuesten Serie darstellt. Zwei junge Mädchen, nämlich die nichtmenschliche Kima (Ilamaria Ebrahim) und das menschliche Mädchen Lil (Sadie Munroe), erleben einen Angriff von rebellischen künstlichen Lebensformen, genannt Rogue Synths, auf die Utopia Planitia-Werften des Mars, der eine wichtige Rolle in der ersten Folge der neuen Serie spielt. Sämtliche Short Treks sind bisher ausschließlich in den USA bei CBS zu sehen; Informationen zu einer deutschen Veröffentlichung bei Amazon Prime Video oder Netflix liegen gegenwärtig noch nicht vor.

Star Trek: Discovery »nur« noch auf dem zweiten Platz? Wie berichtet hat die Eröffnungsepisode von Picard die Vorgängerserie Discovery in Sachen Erfolg übertrumpft. Allerdings dürfte es für Fans der zweitaktuellsten Franchise-Serie noch zu früh für lange Gesichter sein. Diese Entwicklung betraf lediglich die erste Folge, weitere Streaming-Quoten werden erst im Laufe der kommenden Wochen veröffentlicht. Außerdem schmälert dies in keiner Weise den bisherigen Erfolg von Discovery. Die dritte Staffel 90 von Discovery wird vermutlich ab Spätsommer/Herbst 2020 bei CBS beziehungsweise in Deutschland bei Netflix zu sehen sein.

Drehstart für »Section 31« Neuigkeiten gibt es vom geplanten Discovery-Spin-off »Section 31« (noch immer steht nicht fest, ob es sich hierbei nicht lediglich um einen Arbeitstitel handelt). Die Dreharbeiten sollen am 04.05.2020 starten. Bisher steht lediglich fest, dass die Hauptrolle der Philippa Georgiou, der früheren Imperatrix aus dem Spiegeluniversum und jetzigen Agentin des Sternenflottengeheimdienstes, wieder von Michelle Yeoh (Guardians of the Galaxy Vol. 2) verkörpert werden wird. Auch einen geplanten Starttermin gibt es noch nicht. Es darf jedoch vermutet werden, dass man die Serie zwischen den jeweiligen Staffeln von Picard und Discovery ausstrahlen wird.

Doch eine Serie rund um Pike und Spock? Zeitgleich mit oben genannten Neuigkeiten wurde seitens CBS verkündet, dass man an zwei weiteren neuen Star Trek-Serien arbeite. Dies gab den Fans Anlass zur Hoffnung, dass es eventuell doch noch eine Serie zur Enterprise unter dem Kommando von Captain Christopher Pike (Anson Mount) geben könnte, in der sicher Ethan Peck (The Curse of Sleeping Beauty – Dornröschens Fluch) wieder als neuer Mr. Spock mit von der Partie wäre. Zwar wurden keine entsprechenden Pläne seitens CBS bekanntgegeben, doch ist man sich dort des großen Interesses der Fans durchaus 91 bewusst. Die Redaktion des Corona Magazine wird über weitere Entwicklungen berichten.

Star Trek-Kinofilm von Noah Hawley Auch zu einem weiteren Star Trek-Kinofilm gibt es mittlerweile Neues zu berichten. Wie im vergangenen Herbst bekannt wurde, hat man den Film- und Fernsehproduzenten und Autor Noah Hawley mit der Arbeit an einer neuen Leinwandadaption des Franchise beauftragt. Hawley inszenierte zuletzt 2019 das ungewöhnliche Science-Fiction-Drama Lucy in the Sky und gilt als Schöpfer der TV-Serien Fargo (seit 2014) und der schrillen Marvel-Adaption Legion (2017-2019). Bisher gibt es noch keinerlei Informationen, was Hawley für seinen Star Trek-Film geplant hat. Der neue »Scotty«-Darsteller Simon Pegg äußerte gar in einem Interview, dass eine Hawley-Fortsetzung der Kelvin-Zeitlinie-Filmreihe mit ihm und seinen Schauspielkollegen aus den letzten drei Teilen alles andere als sicher sei; möglicherweise wird der als ungemein kreativ geltende Hawley ein komplett eigenes Konzept erarbeiten. Man darf gespannt sein.

Hat sich »Tarantino-Trek« erledigt? Quentin Tarantino hat sich hingegen offensichtlich von seinen Plänen für eine Adaption von Star Trek verabschiedet. In einem Interview mit der Website consequenceofsound.net sprach der Produzent und Regisseur über seine Pläne für kommende Filme, zu denen unter anderem ein eventueller dritter Teil seiner Kill 92 Bill-Reihe gehören könnte. Auf Star Trek angesprochen, äußerte er: »Ich denke, ich werde mich von einem Star Trek verabschieden. Ich hatte bisher niemals ein offizielles Gespräch dazu.« Dies ist zwar noch keine endgültige Absage, da bekanntlich stets nur die Rede von einem Film basierend auf Tarantinos Ideen und nicht zwangsläufig unter seiner Regie war. Doch sieht es ganz danach aus, als käme es nicht zu einem Film à la »The Good, The Bad And The Starfleet Officer« oder »Spock Unchained«. Dies war von vielen Fans gleichermaßen ersehnt wie befürchtet worden.

93 Special: Stars in anderen Rollen – Teil 45: Star Trek: Picard von Thorsten Walch

Wie schon bei den letzten beiden Ausgaben dieser Kolumne geht es auch diesmal nicht um eine(n) einzelne(n) SchauspielerIn aus Star Trek, sondern um mehrere. Der Autor dieses Artikels wirft aus aktuellem Anlass einen Blick auf die DarstellerInnen der zu Jahresbeginn angelaufenen Serie Star Trek: Picard. Deren Hauptdarsteller sowie die meisten anderen großen Namen in der Schauspielerriege wurden bereits in früheren Ausgaben des Corona Magazine ausführlich vorgestellt, darum wird sich dieser Artikel auf die Nebendarsteller und neuen Namen konzentrieren.

Isa Briones Die am 17.01.1999 als Isabella Camille Briones in , England geborene Jungschauspielerin Isa Briones ist die Tochter von Jon Jon Briones (American Horror Story) und Megan Briones, die genau wie Isas jüngerer Bruder Teo Briones (Will vs. The Future) ebenfalls als Schauspieler tätig sind. Bereits als Dreijährige hatte Isa Briones erste Modeljobs in . Seit 2008 ist sie Schauspielerin, sie war unter anderem in den Filmen Persuasion und Brown Soup Thing (beide 2008) und in Takers – The Final Job (2010) sowie in einer Episode der TV-Serie American Crime Story (2018) dabei. Außerdem ist sie Musical-Darstellerin und

94 erhielt für ihre Darstellung der Natalie in einen »Ovation Award«. Seit 2020 ist Briones nunmehr in der Doppelrolle des Androiden-Zwillingspaars Dahj und Soji in Picard zu sehen.

Alison Pill Alison Pill, die in Picard in der Rolle der auf künstliche Lebensformen spezialisierten Wissenschaftlerin Dr. Agnes Jurati zu sehen ist, kam am 27.11.1985 als Alison Courtney Pill in Toronto im kanadischen Ontario zur Welt. Sie kann auf etliche Referenzen in ihrem Lebenslauf zurückblicken. Nach ihrer Schauspielausbildung an der Vaughan Road Academy in ihrer Heimatstadt gab sie 1997 ihr Debüt in einer Episode der kanadischen Gruselserie The New Ghostwriter Mysteries. Im Jahr danach wirkte sie im Drama Degas and the Dancer als Marie von Goetham mit, wofür sie 2000 für den »Young Artist Award« nominiert wurde. Von da an sah man sie häufig in kanadischen, amerikanischen und auch internationalen TV- und Kinoproduktionen, darunter die Fantasy-Komödie Das zweite Ich (2000), die Dramedy Pieces Of April – Ein Tag mit April Burns (2003), die Comic-Verfilmung Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt (2010) und der dystopische Science-Fiction-Film Snowpiercer (2013). In Sachen TV trat Pill in der deutsch-kanadischen Co-Produktion Die Säulen der Erde (2010), in 25 Episoden der Drama-Serie The Newsroom (2012-2014) sowie in 12 Folgen von The Family (2016) auf. Zuletzt war sie im Kino im Polit-Thriller Die Erfindung der

95 Wahrheit (2016) sowie in Cult, der achten Staffel der erfolgreichen Reihe American Horror Story (2017) zu sehen. Privat ist Pill seit 2015 mit Schauspielkollege Joshua Leonard (Blair Witch Project) verheiratet.

Harry Treadaway Der am 10.09.1984 im britischen Exeter geborene Harry Treadaway spielt in Picard den Romulaner Narek. Auch sein Zwillingsbruder Luke Treadaway ist Schauspieler; beide absolvierten ihre Ausbildung an der London Academy Of Music And Dramatic Art, nachdem sie auf verschiedenen Bühnen gemeinsam aufgetreten waren, was auch nach dem Ende der Ausbildung so blieb. Auch das Filmdebüt der beiden fand gemeinsam statt: Im Drama Brothers of the Head (2005) spielten sie siamesische Zwillinge, die als Leadsänger einer Punkband auftreten. Nach alleinigen Auftritten im britischen Fernsehen wie in der Krimiserie Agatha Christie‘s Marple (2006) wirkte Harry Treadaway 2007 in dem Biopic Control als Schlagzeuger der Post-Punk-Band Joy Division mit. Es folgten der dystopische Science-Fiction/Fantasy-Streifen City Of Ember – Flucht aus der Dunkelheit (2008) und andere Filme unterschiedlicher Genres wie das Drama Fish Tank (2009), die Horror-Komödie Cockneys vs Zombies (2012) und der Western Lone Ranger (2013). Zwischen 2014 und 2016 war Treadaway in 24 Folgen der Gothic/Horror-Serie Penny Dreadful in der Rolle des berühmten Dr. Victor Frankenstein zu sehen. Seit 2017 wirkt er in der Thriller-Serie Mr. Mercedes als

96 psychopathischer Brady Hartsfield mit, und seit 2020 nunmehr in Picard.

Santiago Cabrera Santiago Cabrera ist ein am 05.05.1978 in Caracas, Venezuela geborener Schauspieler, der seine Karriere in Chile startete, wo seine Eltern ursprünglich herstammen. In Picard ist er als der menschliche Captain Cristóbal »Chris« Rios zu sehen. Cabreras ursprünglicher Berufswunsch war der eines Profi-Fußballers; doch er entschied sich recht kurzfristig um und gab sein Debüt als Schauspieler im Jahr 2003 in einer Episode der Serie Spooks – Im Visier des MI5. Es folgte ein Gastauftritt im Film Haven (2004). In sechs Folgen der Historienserie Empire übernahm Cabrera die Rolle von Julius Caesars Neffen Octavius (2005). 2006 folgten die Romantik-Komödie Love and Other Disasters sowie die erste Staffel der Mystery-Serie Heroes, in der Cabrera bis zum Serienende 2009 den Maler Isaac Mendez verkörperte. Im Bio-Pic Che: Revolución war er 2008 ebenso zu sehen wie in sechs Episoden der Fantasy-Serie Merlin – Die neuen Abenteuer als der berühmte Ritter Sir Lancelot. Nach Gastrollen in Filmen und TV-Serien wie La Vida de los Peces (2010), Covert Affairs (2011), Alcatraz oder Dexter (beide 2012) übernahm Cabrera 2014 die Rolle des Aramis in der BBC-Serie Die Musketiere. 2017 folgten Nebenrollen in den Kinofilmen Transformers 5: The Last Knight und What Happened to Monday? sowie ein Auftritt in sieben Episoden der Krimi/Drama-Serie Big Little Lies. Von 2017 bis 2018 97 schließlich spielte er die männliche Hauptrolle des Darius Tanz in den beiden Staffeln der Katastrophenserie Salvation. 2019 wirkte Cabrera in dem chilenischen Filmdrama Ema mit, ehe er für Picard gecastet wurde. Privat ist Cabrera seit 2003 mit der Theaterregisseurin Anna Marcea verheiratet. Die beiden sind glückliche Eltern eines 2016 geborenen Sohns.

Michelle Hurd Michelle Hurd, geboren am 21.12.1966 in New York City, spielt in Picard die gewitzte Raffi Musiker. Hurd startete ihre Karriere nach einem Schauspielstudium an der Boston University am Broadway und war seit den späten 1980er-Jahren in über 50 Film- und TV-Produktionen zu sehen. Unter anderem war sie dabei in New York Undercover (in fünf Folgen von 1994-1995), in New York News – Jagd auf die Titelseite (1995), in dem TV-Film Justice League of America (1997), in Law & Order (1997), in acht Episoden der Dramedy Malcolm & Eddie (1997-998) und im Kinofilm Begegnung des Schicksals (1999). In den beiden ersten Staffeln der Krimiserie Law & Order: New York spielte sie von 1999-2001 die wiederkehrende Rolle der Detective Monique Jeffries. Danach sah man Hurd zumeist wieder in einzelnen Serienepisoden, z. B. in Auf der Flucht – Die Jagd geht weiter, in Leap Years (beide 2001), in Skin (2003, drei Episoden), in O.C., California (2004), in – Zauberhafte Hexen (2005) und in Bones – Die Knochenjägerin (2006). 98 Wiederkehrende Gastparts hingegen spielte sie in Emergency Room: Die Notaufnahme (2006-2007, sechs Folgen) und in (2007-2006, ebenfalls sechs Episoden). Zwischen 2010 und 2013 folgten die Rolle der Colleen Manus in 43 Episoden der Krimiserie The Glades sowie wiederkehrende Gastrollen in 90210 (2011-2013) und Hawaii Five-0 (2014-2019). Außerdem war Hurd in Marvel’s Daredevil die Samantha Reyes. In der Horror-Serie Ash vs Evil Dead (2016) war sie zudem als die toughe Linda B. Emery dabei. In der Mystery-Serie Blindspot verkörperte sie zwischen 2016 und 2019 die Rolle der Shepherd. Zwischen 2017 und 2018 war sie in vier Folgen der Serienadaption von Lethal Weapon zu sehen. Privat ist Hurd mit dem Schauspieler (Fear the Walking Dead) verheiratet.

Evan Evagora Der um das Jahr 2002 geborene Evan Evagora, der in Picard den kriegerischen jungen Romulaner Elnor spielt, war bislang nur selten im Film oder im Fernsehen zu sehen, da er vorwiegend als Model tätig gewesen ist. Sein markantes Aussehen verdankt der in Melbourne geborene Australier einem zypriotischen Vater und einer Maori-Mutter. In jungen Jahren erlernte Evagora von seinem Vater Xristos, einem ehemaligen Profi-Boxer, eben jenen Sport und begann auch, Fußball zu spielen. In beiden Disziplinen konnte er Achtungserfolge vorweisen, ehe er sich für eine Schauspielkarriere entschied. Neben seinem Auftritt in Picard ist Evagora auch in der 99 um Horror-Elemente erweiterten Kino-Version der Serie Fantasy Island (2020) zu sehen und wirkte 2019 in der australischen Agentenserie Secret City mit. Umgeben von vorgenannten Figuren geht Admiral Jean-Luc Picard (Patrick Stewart) nunmehr auf eine letzte große Mission.

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103 Food Trek – Kulinarisches in Star Trek von Tim »Star Smutje« de Sade

Schon Captain Jonathan Archer (Scott Bakula) sprach einst in Star Trek: Enterprise (2001–2005): »A Starship runs on its stomach!«

Egal ob auf hoher See oder im Weltraum: Essen ist immens wichtig für die Moral der Crew. Doch genau so wichtig ist auch es in der heutigen Gesellschaft, so gut wie möglich zu essen. Was gibt es Schöneres, als dies mit dem Lieblings-Franchise von vielen Corona Magazine-Lesern und dem vom Autor dieses Artikels zu kombinieren? Frisches Gagh oder Hasperat ist auf der Erde des 21. Jahrhunderts leider Mangelware. Und vieles von dem Essen, das in den Star Trek-Serien und -Filmen vorkommt, wird immer nur erwähnt. Einiges sieht man als Zuschauer zumindest. Doch wie schmeckt es? Um diese Frage zu beantworten, möchte sich Ihnen der Autor dieses Artikels zunächst einmal kurz vorstellen. Sein Name ist Tim, er ist 39 Jahre alt und Koch aus Leidenschaft. Essen und Getränke aus Filmen, Science-Fiction-Serien und Animes haben ihn schon immer fasziniert. Doch trotz der Fülle an Kochshows im Internet fand sich in keiner bisher etwas zum Thema Star Trek (seit 1966). Jene wenigen Rezepte, die bisher existierten (unter anderem in Das

104 offizielle Star Trek Kochbuch – Galaktische Rezepte für Terraner von »Neelix«-Darsteller Ethan Phillips), sind nicht nur impraktikabel, sondern deren Ergebnis ist zumeist auch recht ... nun, Neelix-mäßig! Daher entschloss sich der Autor dieses Artikels, sich als »Star Smutje« der Sache zu stellen. Wie wichtig Essen in Star Trek und natürlich auch generell ist, erfuhr man schon einst in Star Trek: Deep Space Nine (1993–1999). In der Episode Die Belagerung von AR-558 sagt Quark (Armin Shimerman) zu Nog (gespielt von dem leider kürzlich verstorbenen Aron Eisenberg): »Ich werde dir mal was über Menschen verraten, geliebter Neffe. Sie sind ein wundervolles, freundliches, zuvorkommendes Volk, solange sie den Bauch voll haben und ihre Holosuiten funktionieren. Aber wenn du ihnen ihre leiblichen Genüsse entziehst, ihnen zum Beispiel die Nahrung vorenthältst, den Schlaf und die Schallduschen, dann wird das ihr Leben für einen längeren Zeitraum in Gefahr bringen. Und genau dieselben freundlichen, intelligenten und überaus zuvorkommenden Menschen, die werden plötzlich so gefährlich und so gewalttätig wie der schlimmste, blutrünstigste Klingone.« In Star Trek: Raumschiff Voyager (1995–2001) dann musste man sich als Zuschauer mit den Kochversuchen von eben jenem Neelix arrangieren. Auf der Enterprise NX-01 hingegen hatte man einen wirklichen Koch, und auch sehr viele Szenen auf der Discovery aus der Serie Star Trek: Discovery (seit 2017) spielen sich in der Messe ab.

Wie man ein Gericht repliziert 105 Was macht nun aber der geneigte Fan, wenn er essen will wie auf erwähnten Raumschiffen bzw. Raumstationen? Nun, wie jeder Cosplayer weiß, ist der erste Schritt zur Reproduktion, alles zu visualisieren. Was weiß man über das Produkt? Wie sieht es aus? Essen und Getränke sind stets in der Kultur verwurzelt, und häufig passt das Essen zum Volk. Bei Gerichten, die man nicht kennt, muss man assoziieren. Wie das im Detail abläuft, bekommen Sie nachfolgend anhand der sogenannten Andorianischen Kohlsuppe demonstriert. Da der Autor dieses Artikels Sie nicht mit Details langweilen will, gibt es das Ganze als kompaktes Rezept zu lesen.

Was Sie für die Brühe brauchen - 1 Blatt Kombu-Alge, ca. 5 x 10 cm groß (erhältlich im Asia-Markt) - 10 Gramm Bonitoflocken (Vegetarier/Veganer nehmen dieselbe Menge an getrockneten Shiitake-Pilzen) - alternativ für das oben genannte: Fertig Dashi-Pulver - 1 EL dunkle Miso-Paste - 0,5 l Wasser

Die Zubereitung Eine gute Suppe lebt von einer guten Brühe. Andoria ist ein Eismond. Aufgrund dieser Tatsache hat der Autor dieses Artikels sich für die japanische Dashi entschieden. Die darin verwendete Kombu-Alge kommt ursprünglich von der japanischen Insel Hokkaidô, der nördlichsten Insel des Landes, wo es im Winter sehr kalt wird. Dazu hat 106 Dashi-Brühe eine Besonderheit: Sie enthält viel Umami! Diese fünfte Geschmacksrichtung ist unverzichtbar; sie hat den Vorteil, dass sie die Geschmäcker der Zutaten besser zur Entfaltung bringt. Schritt 1: Wasser in einen Topf gießen und die Alge ins Wasser geben; das Ganze 10 Minuten einweichen lassen und dann den Herd auf höchste Stufe stellen. Schritt 2: Sobald das Wasser fast am Kochen ist, die Alge herausnehmen; die Kombu darf nicht zu heiß werden, da sie sonst bitter wird. Dann die Bonitoflocken hinzugeben; jetzt das Ganze kurz richtig aufkochen und dann die Hitze ausschalten. Das Ganze anschließend noch 5 Minuten auf der Herdplatte ziehen lassen und am Ende durch ein Küchensieb abgießen. Wer es vegetarisch oder vegan mag, legt einfach ein paar getrocknete Shiitake-Pilze für einige Zeit in Wasser ein. Diese Flüssigkeit ist pures Umami und wird wie die Flocken mit den Pilzen ins Wasser gegeben. Die Brühe hält sich im Kühlschrank einige Tage, im Gefrierschrank bis zu einem halben Jahr. Aber die Idee dieses Rezepts ist es ja, diese weiter zu verwenden. Daher lösen Sie nun einen TL Miso-Paste in der warmen Brühe auf. Dies verleiht ihr einen schön intensiven Geschmack.

Macht den Kohl auch nicht fett Keine Kohlsuppe ohne Kohl! Um auf der rauen Welt Andoria zu überleben, braucht man Vitamine, Mineralien und wertvolle Inhaltstoffe, die das Immunsystem 107 unterstützen. All dies liefert der chinesische Senfkohl Pak Choi. Abgesehen davon, dass er lecker schmeckt, hat er diverse gesundheitliche Vorteile. Da Kohl allein allerdings etwas langweilig ist, braucht man noch eine Einlage. Und was passt zu einem Eisplaneten mit zugefrorenen Ozeanen am besten? Natürlich Fisch!

Was Sie brauchen - 1 Pak Choi - 100 g grätenfreies frisches Lachsfilet (vegetarische/vegane Variante: geräucherter Tofu)

Die Zubereitung Schritt 1: Den Pak Choi müssen Sie zunächst auseinanderzupfen und waschen. Dann die Blätter vom Stängel abtrennen; die Blätter wie eine Zigarre rollen und in kleine Streifen schneiden. Die Stängel ebenso in kleine Streifen schneiden. Schritt 2: Als nächstes den Lachs trocken tupfen und in ca. 2-3 cm große Würfel schneiden (selbiges gilt für Tofu). Wichtig: Der Lachs muss frisch sein, keine Tiefkühlware! Schritt 3: Die vorhin vorbereitete Miso-Dashi zum Kochen bringen, dann die Hitze auf die mittlere Stufe reduzieren und den Lachs darin gar ziehen lassen. Nach 3 Minuten den Kohl hinzugeben; nach 10 bis 12 Minuten (je nach Dicke des Lachs/Tofus) kann die Kohlsuppe heiß genossen werden. Natürlich können Sie das Rezept je nach Vorliebe variieren, wie der Autor dieses Artikels es auch getan hat. Seine Variation können Sie unter nachstehendem Link 108 begutachten. Er hat noch Süßkartoffeln, Karotten, Reisessig und Sojasauce hinzugefügt. Das Ganze hat er dann noch mit etwas fein gehacktem Koriander abgerundet.

Versuch macht klug Bis der Autor das Rezept so weit fertig hatte, dass das Ergebnis genießbar war, dauerte es eine Weile. Verschiedene Brühen, Einlagen und Kohlsorten wurden da erst einmal durchprobiert. Gerade wenn man das Gericht nicht kennt, heißt es: Testen, testen, testen. Trauen Sie sich, schicken Sie Ihren Geschmacksinn auf eine Reise, wo noch nie ein Mensch zuvor gewesen ist!

Weiterführende Informationen zum Thema: https://www.youtube.com/watch?v=txludrkk_uE&t=6s – Video Zubereitung Andorianische Kohlsuppe

Lieblingsepisoden der Redaktion: Der undurchschaubare Marritza (Duet) aus Star Trek: Deep Space Nine von Björn Sülter

Hammerhartes Psychoduell, Vergangenheitsbewältigung, komplexe Fragen und unbequeme Antworten, Mut und Feigheit, Verzweiflung und Hoffnung ... In der Episode Der

109 undurchschaubare Marritza (Duet) aus der Serie Star Trek: Deep Space Nine (1993–1999) wird geliefert, aber mächtig!

Inhalt Ein Cardassianer erbittet auf der Raumstation ärztliche Hilfe. Dr. Julian Bashir (Alexander Siddig) stellt fest, dass der Patient an einer Erkrankung leidet, die bislang nur bei ehemaligen Insassen oder Wärtern eines ehemaligen Arbeitslagers aufgetreten ist. Major Kira Nerys (Nana Visitor) vermutet in dem Reisenden einen der meistgesuchten cardassianischen Kriegsverbrecher und beginnt mit Nachforschungen zu seiner Identität. Zwischen den beiden entwickelt sich immer mehr ein psychologischer Zweikampf, der Nerys' Überzeugungen auf eine harte Probe stellt ...

Bestes Zitat »Why? He wasn't Darhe'el!« »He's a Cardassian. That's reason enough.« »No ... It's not.« - Nerys und Kainon (Tony Rizzoli)

Die Bottle Show Wenn die Kosten von vereinzelten Episoden das Budget der jeweiligen Staffel strapazierten, wurden oft ganz schnell wenig aufwändige sogenannte Bottle Shows aus der Schublade gezaubert, die nicht mit Effekten, Explosionen und teuren Kulissen aufwarten mussten.

110 Schon bei Raumschiff Enterprise – Das nächste Jahrhundert (1987–1994) gehörten diese Folgen in schöner Regelmäßigkeit zu den ganz großen Gewinnern in Sachen Beliebtheit (man denke hierbei unter anderem an Glanzlichter wie Wem gehört Data? oder Das Standgericht). Mit Der undurchschaubare Marritza erhielt erstmals die Deep Space Nine-Crew kurz vor Schluss der ersten Staffel einen Vertreter dieser ganz eigenen (Unter-)Art von Episode; und dazu den ersten Allzeitklassiker der Serie.

Politisch Das angespannte Verhältnis zwischen Bajor und Cardassia war in den Episoden zuvor immer eher als gegeben präsentiert worden. Wirkliche Konflikte waren im Verlauf der ersten Episoden noch Mangelware gewesen. Dabei lag gerade in der gemeinsamen und stark belasteten Vergangenheit der beiden Völker eine entscheidende Basis für das langfristige Funktionieren der Serie. Gut, dass die Produzenten seinerseits nicht zu lange damit gewartet haben, tiefer in diese Materie einzutauchen. Und noch besser, dass es den Autorinnen Lisa Rich (Lucifer's Women) und Jeanne Carrigan-Fauci gelang, eine emotional aufwühlende Episode zusammenzustellen, die bis heute zum Feinsten gehört, womit Star Trek jemals aufgewartet hat. Nerys beispielsweise, die man bisher dorthin eher in die Kategorie nervtötendes Ekel einsortieren musste, durfte erstmals die Person hinter der Fassade offenlegen. Ihre tieferen Beweggründe zu ergründen, das weckte mehr 111 Emotionen, als es in den Episoden zuvor möglich gewesen war. Ein damals wichtiger Schritt für die Akzeptanz der Figur. Viel zu oft diente sie anfangs nur als Stationszicke. Hier jedoch konnte der Zuseher erstmals nachempfinden, welcher Druck nicht nur auf dem bajoranischen Volk, sondern vor allem auch auf der so taff erscheinenden Ex-Terroristin lag. Nerys' ganzer Hass und Unmut den ehemaligen Unterdrückern gegenüber entlädt sich in Der undurchschaubare Marritza gegenüber einem Vertreter dieser Spezies, in dem sie schlicht die Inkarnation des Bösen sehen will. Die Wunden, die die Besatzungszeit gerissen hat, muss nach Nerys' Empfinden durch weiteres Blutvergießen geheilt werden. Eine verständliche, wenn auch wenig friedvolle Geisteshaltung. Das Problem an der ganzen Sache kristallisiert sich freilich relativ früh heraus: War dieses vermeintliche Monster wirklich der legendäre »Mörder von Gallitep«? Oder handelte es sich vielleicht nur um einen unbedeutenden Mittelsmann? Doch warum sollte ein kleiner Angestellter sich als ein Kriegsverbrecher ausgeben und ausgerechnet auf der Deep Space Nine Station machen?

Blick ins Innere Der große Pluspunkt an Der undurchschaubare Marritza ist, dass die Episode alle notwendigen Fragen anspricht und diskutiert. Aamin Marritza (Harris Yulin) beziehungsweise Gul Darhe'el wird dem Zuseher als zynischer, hasserfüllter und unverbesserlicher Mann präsentiert, der seine 112 Gräueltaten nicht im Geringsten bereut, sondern im Gegenteil noch damit prahlt. Sein Ausspruch über den Genozid als Arbeit eines Tages ist der beklemmende Höhepunkt der Episode und wird in seiner Intensität nur von wenigen Szenen in anderen Star Trek-Episoden je erreicht. Einen solchen Mann einfach zu hassen, fällt nicht schwer. Für Nerys entwickelt sich seine Transformation zu dem weitestgehend unschuldigen und gebrochenen Marritza zu einem Wechselbad der Gefühle und zu einer Probe für ihre eigene Stärke. Die Tatsache, dass es ihr am Ende gelingt, in ihm genau den Mann zu sehen, der er ist, zeigt, dass sie durchaus in der Lage ist, ihre persönlichen Animositäten zu überwinden. Marritzas Motive präsentieren die ganze Tragweite der Abgründe, die sich durch die Besatzungszeit in beiden Kulturen aufgetan haben. Nicht nur die Bajoraner leiden offenbar unter den Nachwirkungen; auch Cardassia hat mit internen Differenzen zu kämpfen. Und Marritza ist ein Mann, der bereit scheint, für seine Ideale zu sterben und damit die Dämonen der Vergangenheit zu bekämpfen. Kontrovers diskutiert wurde seinerzeit lange das überraschende und verstörende Ende der Episode. Vollkommen außerhalb jedweder Star Trek-Logik wird Marritza am Ende eben nicht in ein besseres Leben entlassen, sondern wird von einem Feigling von hinten erstochen; und das als unschuldiger Mann, dessen Tod bei weitem nicht den Effekt hat, den er sich vorgestellt hatte. Die ganze Sinnlosigkeit und Tristesse der Situation brechen 113 in diesem Moment besonders aus Nerys heraus. Für sie leitete das Geschehene aber durchaus einen persönlichen Heilungsprozess ein und brachte sie dazu, ihre vielleicht ebenfalls veralteten Überzeugungen zu überdenken. Der Episode Der undurchschaubare Marritza muss man für Mut und Qualität höchstes Lob zollen. Die kammerspielartige Inszenierung, die besonders in Marritzas fast schon theaterhaft inszeniertem Tod seinen Höhepunkt findet, unterstreicht die Bedeutung des Gezeigten und verschmilzt mit den großartigen schauspielerischen Leistungen von Yulin als tragischem Mann und Visitor als Gegenspielerin zu einer Energie, die in den besten Augenblicken den Fernseher zu sprengen droht. Ganz nebenbei gesagt: Wer auf einfachste Art und Weise erfahren möchte, was es denn nun ist, das Star Trek von den meisten anderen Science-Fiction-Serien unterscheidet, dem bietet Der undurchschaubare Marritza bis heute eine einmalige Gelegenheit. Es ist dieses gewisse Etwas, das dieses geliebte Franchise auf eine ganz andere Ebene des Geschichtenerzählens hebt. Diese Art von TV-Unterhaltung wird für den Autor dieses Artikels immer der prägende Aspekt aller Star Trek-Serien bleiben. Kompliment!

Fazit Der undurchschaubare Marritza ist ohne jede Frage die Episode der ersten Staffel von Deep Space Nine, die man nicht verpassen darf. Großes Drama, starke Dialoge und bedeutsame Themen, verpackt in eine anspruchsvolle und 114 lehrreiche Geschichtsstunde voller glaubwürdiger Charaktere und Motivationen. Star Trek as good as it gets.

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116 Phantastisches Sehen

Ressortleiterin Bettina Petrik

Perlentaucher: American Horror Story, Teil 1 – Der Beginn eines Phänomens von Thorsten Walch

Anthologie-Serien haben seit jeher ihren festen Platz im Bereich phantastischer TV-Unterhaltung. Dies begann nicht erst mit der Ausstrahlung der wohl klassischsten aller klassischen Anthologie-Serien, Unglaubliche Geschichten (1959–1964). Bereits seit Mitte der 1950er-Jahre wurden Serien mit wechselnden Protagonisten produziert, die in 117 verschiedenen Szenarien diverse, auf jeweils eine Episode beschränkte Geschichten erlebten. Dieses Konzept gab es in so gut wie allen populären Genres, von Comedy bis hin zu Drama. Auch der Horror spielte dabei eine gewisse Rolle, obwohl das Genre in dieser Zeit einen eher zweifelhaften Ruf genoss. Trotzdem verkauften sich Serien wie The Vampira Show (seit 1954), 13 Demon Street (1959-1960) oder Great Ghost Tales (seit 1961) insgesamt recht gut. In Form von Rod Serlings Wo alle Wege enden (1969-1973) oder Ghost Story (1972-1973) gab es die Erzählart auch in den 1970er-Jahren immer wieder einmal zu sehen. Bedingt durch den Erfolg von Unbekannte Dimensionen (1985–1989), der Neuauflage von Unglaubliche Geschichten (die allerdings wie schon die Originalserie Geschichten aus allen phantastischen Subgenres und nicht allein aus dem Horror-Bereich präsentierte) kamen in den 1980er-Jahren weitere Horror-Anthologien-Serien wie Geschichten aus der Schattenwelt (1983-1988) oder Hitchhiker – Unglaubliche Geschichten (1983-1991) auf den Markt. Der Höhepunkt der Unternehmung Horror-Anthologie-Serie spielte sich zwischen 1989 und 1996 ab, als mit Geschichten aus der Gruft eine ausgesprochene Hochglanzreihe auf den Markt gebracht wurde, die von Produzenten wie Richard Donner (Superman II), David Giler (Alien-Filme) oder Robert Zemeckis (Zurück in die Zukunft) betreut wurde. In diesem Projekt gaben sich damalige Stars wie Whoopi Goldberg (Ghost – Nachricht von Sam) oder Rockröhre Meat Loaf (Masters of Horror) und 118 sogar die bedauerlicherweise vor kurzem verstorbene Leinwandlegende Kirk Douglas (Dr. Jekyll and Mr. Hyde) in einzelnen Folgen die Klinke in die Hand. Danach wurde es für einige Jahre eher still im Bereich gruseliger Anthologie-Serien – bis 2011 American Horror Story das »Sub-Subgenre« wiederbelebte.

Ein Trittbrettfahrer? Zu Beginn des neuen Jahrtausends erlebte das Horror-Genre einen ungeheuren Boom und löste sich langsam aber sicher aus der Schmuddelecke, in die es trotz des Erfolgs von Geschichten aus der Gruft zumeist immer noch gestellt worden war. Nach den Verfilmungen der Bis(s)-Tetralogie (2005-2008) von Autorin Stephenie Meyer (Seelen), die dem Mythos des Vampirs ein modernes Gewand verpasst hatten, wurde 2010 mit der Fernsehserie The Walking Dead das Horror-Revival auf ein neues Level gehoben. Diesmal wurden modrige Untote (die in der Serie bis heute kein einziges Mal als »Zombies« bezeichnet werden!) gesellschaftsfähig gemacht, und die rund um sie gesponnenen Geschichten wurden mit Anspruch versehen. The Walking Dead zeigt dabei dennoch Szenen, für die jeder 1980er-Jahre-Horrorfilm vermutlich für den Rest aller Tage auf dem Index gelandet wäre, und wurde erwartungsgemäß ein riesiger Erfolg. Vermutlich war eben jener nicht ganz unschuldig daran, dass es zu American Horror Story kam. Ryan Murphy und Brad Falchuk waren beide bereits recht bekannte 119 TV-Produzenten, als sie sich an dieses Projekt machten. Murphy hatte zudem 2010 unter anderem bei der Romanverfilmung Eat Pray Love mit »Pretty Woman« Julia Roberts Regie geführt und das Drehbuch verfasst, nachdem er seit 2003 die umstrittene Fernsehserie Nip/Tuck – Schönheit hat ihren Preis als Produzent, Regisseur und Drehbuchautor betreut hatte. Ferner arbeitete er bei der Musicalserie Glee als Produzent und Regisseur mit. Falchuk dagegen war als ausführender Produzent bei Nip/Tuck und als Co-Autor bei Glee tätig gewesen. So hatten er und Murphy sich kennengelernt und schließlich gemeinsam über American Horror Story nachgedacht. Es schwebte den beiden eine Anthologie-Serie im Bereich des modernen Horrors vor, allerdings in anderer Form als bei früheren Formaten. Im Gegensatz zu The Twilight Zone (seit 2019) & Co. sollte Murphys und Falchuks Serie ihre Geschichten nicht jeweils in einer einzigen Episode, sondern immer im Verlauf einer ganzen Staffel erzählen, während es in der nächsten Staffel dann um etwas völlig anderes gehen sollte. Allerdings sollte angedeutet werden, dass die einzelnen Staffeln allesamt im gleichen Serien-Universum spielen. Ein gewagtes Unterfangen, da im Vorfeld nicht von einem gesicherten Erfolg des Konzepts ausgegangen werden konnte, der es überhaupt auf mehr als eine Staffel bringen würde. Eine weitere Besonderheit sollte darin bestehen, dass die agierenden Figuren stets vom gleichen Schauspieler-Ensemble verkörpert werden sollten. 20th Century Fox Television zeigte sich schließlich interessiert an 120 American Horror Story und plante die Serie für eine Ausstrahlung auf ihrem hauseigenen Kabelsender FX Network ein.

Die Serie In der ersten Staffel der Produktion, die den Untertitel Murder House erhielt, sollte es um eine dysfunktionale Familie gehen, die bei der Suche nach einem neuen Domizil versehentlich an ein von mehreren Geistern bewohntes Spukhaus gerät, in dem bereits eine ganze Reihe schauerlicher Morde geschehen ist (die der Zuschauer in Rückblenden mitverfolgen kann). Für die Hauptrolle wurde Connie Britton als Familienmutter Vivien Harmon engagiert. Britton kannte das Fernsehpublikum bereits als Nikki Faber aus der Sitcom Chaos City (1996-2000) sowie durch die weibliche Hauptrolle der Tami Taylor aus der Drama-Serie Friday Night Lights (2006-2011). Nach der ersten Staffel von American Horror Story verließ Britton allerdings die Reihe, um die Hauptrolle als Country-Sängerin Rayna Jaymes in der Musikserie Nashville annehmen zu können, womit Murphys und Falchuks ursprüngliche Pläne bezüglich der immer gleichen Besetzung schon mal flachfielen. Für die männliche Hauptrolle als Dr. Ben Harmon wurde Dylan McDermott verpflichtet. Nicht nur aus Kinofilmen wie In the Line of Fire: Die zweite Chance (1993) oder Das Wunder von Manhattan (1994) kannte man diesen zu dieser Zeit, sondern auch als Bobby Donnell aus der Anwaltsserie

121 Practice – Die Anwälte (1997-2004) oder als Lt. Carter Shaw aus der Actionserie Dark Blue (2009-2010). Evan Peters, der den psychopathischen Tate Langdon spielen sollte, kannte man damals aus TV-Serien wie One Tree Hill (2008-2009), oder dem Kinofilm Kick-Ass (beides von 2010). Taissa Farmiga, die jüngere Schwester der aus der Conjuring-Reihe bekannten Vera Farmiga, kannte man hingegen lediglich aus dem Drama Higher Ground – Der Ruf nach Gott (2011), den ihre Schwester inszeniert hatte und in dem sie deren jüngeres Selbst gespielt hatte. Sie sollte in American Horror Story als aufmüpfige Tochter Violet Harmon zu sehen sein. Denis O’Hare, der den gruseligen verunstalteten Larry Harvey darstellen sollte, kannte das Genre-Publikum als Russell Edgington aus der Vampir-Serie True Blood (2010-2012). Frances Conroy, die aufgrund einer unfallbedingten Sehbehinderung ein sehr ungewöhnliches Aussehen besitzt, wurde als das verschlagene Dienstmädchen Moira O'Hara gecastet. Zuvor hatte sie die Ruth Fisher in der Serie Six Feet Under – Gestorben wird immer (2001-2005) gespielt. Alexandra Breckenridge, bekannt aus der im Zeitungsbusiness spielenden Serie Dirt (2007-2008), verkörperte in Rückblenden die junge O'Hara. Lily Rabe, zuvor unter anderem im Kinofilm Mona Lisas Lächeln (2003) zu sehen, war als unglückliche Nora Montgomery mit dabei, während Sarah Paulson, bekannt zuvor als Harriet Hayes aus

122 der Serie Studio 60 On The Sunset Strip (2006-2007), das betrügerische Medium Billie Dean Howard darstellte. Die mit Trisomie 21 geborene Jamie Brewer, die vorher nur im Theater aufgetreten war, spielte die manipulative Adelaide »Addy« Langdon. Für Adelaides Mutter, die herrschsüchtige Constance Langdon schließlich, engagierten die Produzenten mit Jessica Lange einen echten Hollywood-Star, die man aus Filmen wie Wenn der Postmann zweimal klingelt (1981) oder Operation Blue Sky (1994) kannte. Auch den eifersüchtigen Raumausstatter Chad Warwick spielte ein ausgesprochener Star: Zachary Quinto hatte bereits seit 2009 den neuen Mister Spock im Kino-Reboot von Star Trek verkörpert. Staffel 1, Murder House, in der sich erwähnte zerrüttete Arztfamilie Harmon in ihrem neuen Heim gegen mehrere Geister wehren muss, die das Haus ebenfalls für sich beanspruchen, war ab dem 05.10.2011 auf FX zu sehen. Die Serie geizte von Anfang an nicht mit harten Szenen, in denen Menschen auf unterschiedlichste, unerfreuliche Weise zu Tode kamen, entbehrte jedoch auch nicht einer äußerst skurrilen Spannung und einer unvergleichlichen Atmosphäre, dank derer sie sich weit über das Niveau des üblichen Splatter erhob. Bereits gegen Ende der Laufzeit von Staffel 1 war klar, dass es eine zweite geben würde. Durch den erwähnten Wegfall eines Darstellers mussten jedoch Umbesetzungen vorgenommen werden.

Die zweite Staffel 123 Staffel 2 von American Horror Story mit dem Untertitel Asylum sollte im Gegensatz zu Murder House nicht in der Gegenwart, sondern in den 1960er-Jahren spielen und die Geschehnisse in der Nervenheilanstalt Briarcliff schildern, in die der junge Kit (Peters) gesteckt wird, nachdem Außerirdische seine Frau Alma Walker (Britne Oldford) entführt haben, wodurch Kit unter Mordverdacht gerät. Briarcliff wird von dem ehemaligen KZ-Arzt Dr. Arthur Arden alias Dr. Hans Gruber geleitet, gespielt von Neuzugang James Cromwell, den Star Trek-Fans als Dr. Zefram Cochran aus Star Trek: Der erste Kontakt (1996) kennen. Arden liefert sich einen erbitterten Konkurrenzkampf mit der strengen Pflegedienstleiterin, der Nonne Schwester Jude (Lange). Hinter dieser steht Priester Monsignor Timothy Howard, gespielt von Joseph Fiennes (u. a. bekannt als Mark Benford aus der Serie Flashforward [2009-2010]). Schwester Jude zur Seite steht auch die naive Schwester Mary Eunice (Rabe). Paulson ist als homosexuelle Journalistin Lana Winters ebenfalls an den Ort des Grauens geraten, an den es gleichfalls Quinto als Assistenzarzt Dr. Oliver Thredson verschlagen hat. Der »Engel des Todes« Shachath schließlich wird von Conroy dargestellt. Einer der bemerkenswertesten Neuzugänge in dieser Staffel war die unter Mikrozephalie leidende Insassin Pepper, gespielt von Naomi Grossman. Diese war zuvor in Serien wie Ein gesegnetes Team (1990) und Sabrina – total verhext (1998) zu sehen gewesen. Für die Rolle musste sich die vollkommen unauffällig aussehende junge

124 Schauspielerin täglich einer mehrstündigen Make-up-Prozedur unterziehen. Als Gaststars wurden Chloë Sevigny (bekannt als Nicolette Grant aus der Serie Big Love [2006-2011]) angeheuert, die die mysteriöse Shelley spielen sollte, sowie die Deutsche Franka Potente (Conjuring 2) in der Rolle der verwirrten Charlotte Brown, die sich in einer Doppelfolge für das berühmte Holocaust-Opfer Anne Frank hält. Die verwinkelte und dabei ebenfalls sehr spannend inszenierte Serienstaffel wurde gleichfalls ein großer Erfolg und gilt bei manchen Fans bis heute als die beste Staffel der Serie.

Die dritte Staffel Staffel 3 von American Horror Story aus dem Jahr 2013 trug den Untertitel Coven und stellte einen modernen Hexenzirkel in den Mittelpunkt der Handlung, der es mit den Auswirkungen verschiedenster Ereignisse aus der Vergangenheit auf die Gegenwart zu tun bekommt. An bereits bekannten Darstellern mit dabei waren diesmal Paulson als Cordelia Foxx – die Leiterin des Zirkels – sowie Farmiga als unsichere Schülerin Zoe. Brewer spielt die gutmütige Junghexe Nan und Peters den schneidigen Kyle Spencer, während Rabe die naturalistische Hexe Misty Day darstellt. Lange ist als Cordelias kapriziöse Mutter und Vorgängerin Fiona Goode zu sehen, während O’Hare den abstoßenden Diener Spalding verkörpert. Conroy hingegen spielte die intrigante Myrtle Snow.

125 Die wichtigsten Neuzugänge in dieser Staffel waren die Hollywoodstars Kathy Bates (bekannt aus so unterschiedlichen Filmen wie Misery [1990] oder Grüne Tomaten [1991]) als Massenmörderin Delphine LaLaurie und Angela Bassett (What's Love Got to Do with It?) als »Voodoo-Queen« Marie Laveau. Beide dieser Charaktere basieren übrigens auf realen Personen. Hinzu kam Gabourey Sidibe (bekannt als Andrea Jackson aus der Serie The Big C ... und jetzt ich [2010-2013]), die die rachsüchtige Hexe Queenie spielte. Einen Gastauftritt in zwei Folgen hat die bekannte Folk- und Rocksängerin Stevie Nicks, die sich selbst spielt. Die anfänglich als Frontfrau der Band Fleetwood Mac und später als Solistin bekannt gewordene Nicks ist in Wirklichkeit natürlich keine praktizierende Hexe; hierbei handelt es sich um einen Gag der Drehbuchautoren. Während viele Fans Asylum für die beste Staffel von American Horror Story halten, denken andere eben dies über Coven.

Die vierte Staffel Staffel 4 von American Horror Story mit dem Untertitel Freak Show erzählte eine Geschichte aus dem Rummelplatz-Milieu des Jahres 1952. Körperlich missgebildete Menschen treten darin auf dem Wander-Jahrmarkt der geheimnisvollen Mars (Lange) auf. Darunter sind der junge Jimmy Darling (Peters), dessen Hände wie Hummerscheren geformt sind, seine Mutter 126 Ethel Darling (Bates), die einen Bart trägt und die nur 62 Zentimeter große Mahadevi »Ma Petite« Patel. Letztere wird verkörpert von Jyoti Amge, der kleinsten Frau der Welt. Vor diesem Engagement war diese noch nie in irgendwelchen Filmen oder Fernsehserien zu sehen gewesen. Dem Zirkus schließen sich Jimmys verkommener Vater, der Kraftmeier Dell Toledo, an, gespielt von Michael Chiklis (bekannt als Detective Vic Mackey aus der Serie The Shield – Gesetz der Gewalt [2002-2008]), genau wie seine vermeintlich zweigeschlechtliche Freundin Desiree Dupree (Bassett). Die siamesischen Zwillinge Bette und Dot Tattler (Paulson) werden nach einem gemeinschaftlich begangenen Mord an ihrer herrschsüchtigen Mutter aus mehr oder weniger freien Stücken ebenfalls Teil der Gruppe. Die »Freaks« geraten in eine fürchterliche Mordserie hinein, für die sowohl der schnöselhafte Dandy Mott (Finn Wittrock) und seine devote Mutter Gloria (Conroy) als auch der debile, verunstaltete Killerclown Twisty the Clown (John Carroll Lynch) verantwortlich sind, ebenso der skrupellose »Sensationsbeschaffer« Stanley (O’Hare) und seine unfreiwillige Assistentin Maggie Esmerelda (Emma Roberts). In Freak Show gab es auch ein Wiedersehen mit Pepper aus Asylum. Indem deren Vorgeschichte hier erzählt wird, wurde die Kontinuität zwischen den einzelnen Staffeln eingeläutet. Auch Sidibe ist als Regina Ross wieder mit dabei, die nach ihrer im Haus der Motts verschwundenen Mutter sucht.

127 Staffel 4 beinhaltete außerdem mehrere bizarr anmutende Gesangseinlagen sowohl von Lange (die die beiden David-Bowie-Titel Life On Mars und Heroes mal eben in die 1950er-Jahre holte) als auch von Paulson, die den Song Criminal von Fiona Apple (eigentlich von 1997) sang. Peters Charakter Darling interpretiert hingegen Come As You Are von Nirvana (von 1991) neu. Im Nachhinein betrachtet ist Freak Show als die bis dahin brutalste Staffel der Serie anzusehen, die gerade frisch dabei war, The Walking Dead in Sachen Erfolg den Rang abzulaufen.

Teil 2 dieser Artikelreihe zu American Horror Story aus der »Perlentauchers«-Rubrik folgt im nächsten Corona Magazine.

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129 Perlentaucher-Reihe: Die große persönliche Rückschau auf Akte X: Die unheimlichen Fälle des FBI – Staffel 1 zwischen Geistern und Aliens von Eric Zerm

Anfang 1995 – also inzwischen tatsächlich bereits vor sage und schreibe 25 Jahren – neigte sich in Deutschland die erste Staffel der Serie Akte X: Die unheimlichen Fälle des FBI (1993–2018) allmählich dem Ende zu. Die Serie hatte mit ihrer speziellen Mischung aus Science-Fiction, Thriller, Geistergeschichten und Horror einst komplettes Fernseh-Neuland betreten. In den USA, wo die Pilotfolge von The X Files (so der Originaltitel) schon am 10.09.1993 ausgestrahlt worden war, war der Funke längst übergesprungen, und unter der Federführung von Serien-Erfinder Chris Carter (Millennium: Fürchte deinen Nächsten wie dich selbst) war bereits die zweite Staffel gestartet. Bis Anfang 1995 hatten auch in Deutschland viele Zuschauer Akte X für sich entdeckt und verfolgten nun gebannt die Abenteuer des so gegensätzlichen Ermittler-Duos Fox Mulder (David Duchovny) und Dana Scully (Gillian Anderson).

130 Für die Redaktion des Corona Magazine ist das Anlass genug für eine ausführliche und auch persönliche Rückschau auf diesen modernen Serien-Klassiker. Und für den Autor dieses Artikels die perfekte Ausrede, sich die Serie Staffel für Staffel – mit Stift und Notizblock bewaffnet – mal wieder anzusehen. Los geht es in dieser Ausgabe mit Staffel 1.

Worum geht's? Beim FBI wird die junge Wissenschaftlerin und Medizinerin Scully dem Querdenker Mulder zugeteilt, der mit großer Hingabe Fälle bearbeitet, die mit unerklärlichen Phänomenen und auch mit möglichen Entführungen durch Außerirdische zu tun haben. Scully hat den Auftrag, Mulders Arbeit, die vielen Leuten wegen Mulders unkonventioneller Methoden und Theorien ein Ärgernis ist, kritisch und wissenschaftlich zu begleiten. Von Beginn an wird Scully an der Seite von Mulder aber mit Dingen konfrontiert, die sie sich rational nur schwer erklären kann. Darunter: Ein Entführungsopfer, bei dem man ein mysteriöses Implantat im Schädel findet (in der Pilot-Episode Gezeichnet), grauenhafte Strahlungsverbrennungen bei Soldaten, die ein scheinbar unsichtbares Wesen gejagt haben (Episode Gefallener Engel), Testpiloten, deren Persönlichkeit sich drastisch verändert hat (Die Warnung), und Menschen mit scheinbar übermenschlichen Kräften und einer grünlichen Blutchemie, die für andere Menschen tödlich ist (Das Labor).

131 Am Ende der Staffel, in Das Labor, spitzen sich die Ereignisse zu. Scully identifiziert ein Bakterium mit einem Virus, den es auf der Erde gar nicht geben kann. Sie entdeckt zudem in einer militärischen Klinik ein fremdartiges Embryo, das in Stickstoff eingefroren ist. Mulder scheint wiederum auf den Beweis von Alien/Mensch-Hybriden zu stoßen. Gleich in der allerersten Folge der Serie wird darüber hinaus angedeutet, dass es Kräfte in der Regierung gibt, die wesentlich mehr wissen, als der Öffentlichkeit bekannt ist.

Die Anfänge Zu diesen Anfängen gibt es einiges Erwähnenswertes zu sagen. Wie Andreas Kasprzak (Stephen King und seine Filme) in seinem Buch Hinter den Kulissen von Akte X schreibt, begann alles damit, »dass ein aufstrebender Produzent, Autor und Ex-Surfer namens Chris Carter eine unheimliche Fernsehserie machen wollte, wobei er unter ›unheimlich‹ allerdings nicht verstand, was man darunter im Horrorgenre bezeichnet, sondern vielmehr jene Form von Spekulation, die den Zuschauer aus dem Bereich des wissenschaftlich Erwiesenen hinauskatapultiert und in ein Universum extremer Unsicherheit versetzt«. Als Inspiration für Akte X werden zudem unter anderem die Serien Mit Schirm, Charme und Melone (1976–1977) und Der Nachtjäger (1974–1975) genannt.

Die Charaktere 132 Die erste Staffel zeigt einen Mulder, der mit großer Offenheit und Leidenschaft an seine Arbeit geht. Scully, die bald Vertrauen zu ihm fasst, muss ihn allerdings immer wieder auf den Boden der FBI-Tatsachen zurückholen, weil sich viele von Mulders wilden Theorien nicht wirklich beweisen lassen. Informationen über die beiden Protagonisten werden im Laufe der Staffel eher dezent gestreut. In Gezeichnet erfährt das Publikum beispielsweise von Mulders Ur-Motivation: Er ist fest davon überzeugt, dass seine Schwester in jungen Jahren einst von Außerirdischen entführt worden ist. Seine Vermutung geht auf Erinnerungen zurück, die eine Hypnose ans Tageslicht gebracht hat. In der Folge Der Wunderheiler glaubt er sodann, sie zu sehen, was aber eine Täuschung ist. In der Folge Feuer erst erfährt man, dass Mulder ein fotografisches Gedächtnis hat und in Oxford studiert hat, wo er eine wilde Affäre mit Phoebe Green (Amanda Pays) hatte. In Ewige Jugend hört das Publikum erstmals von Reggie Purdue (Dick Anthony Williams), der einst Mulders Vorgesetzter war. Jerry Lamana (Wayne Duvall) wiederum stellt sich als ein ehemaliger Partner von ihm heraus Die Maschine. Die zentrale Scully-Folge der ersten Staffel ist Die Botschaft. In dieser stirbt Scullys Vater. Dabei wird angedeutet, dass der ehemalige Marine-Soldat den Weg seiner Tochter beim FBI nur mit wenig Begeisterung verfolgt hat, was Scully seitdem auf der Seele lastet. In der Folge lernt das Publikum auch ihre Mutter kennen. In Roland erwähnt Scully, dass sie zwei Brüder hat (die in Die Botschaft 133 aber nicht zu sehen sind), in Der Wunderheiler erzählt Scully, dass sie katholisch erzogen wurde. In der Folge Lazarus lernt das Publikum Jack Willis (Christopher Allport) kennen, mit dem Scully während ihrer Ausbildung beim FBI zusammen war. Schon in Gezeichnet wird mit dem sogenannten Raucher (William B. Davis) eine zentrale Figur einer dunklen Regierungs-Macht eingeführt. Das Bemerkenswerte dabei ist, dass er in dieser Folge kein einziges Wort spricht. Als Scully ihren Mulder-Auftrag bekommt, hält er sich lediglich im Büro von Chief Scott Blevins (Charles Cioffi) im Hintergrund auf. Welch große Geheimnisse der Mann kennt, wird dann in der letzten Szene angedeutet, die ihn in einer riesigen Lagerhalle zeigt, in der scheinbar Beweise für Alien-Entführungen aufbewahrt werden. In der Folge Ein neues Nest hat der Raucher seinen zweiten Auftritt im Büro von Director Walter Skinner (Mitch Pileggi), der in dieser Folge ebenfalls zum ersten Mal zu sehen ist. Skinner scheint dabei nur eine Art Marionette des Rauchers zu sein. Am Ende der letzten Folge sieht man den Raucher wieder in der Lagerhalle. Er trägt das Embryo in einem Behälter, und lässt diesen in einem Regal verschwinden. Die Lagerhalle liegt, wie das Publikum am Ende erfährt, im Pentagon. Das Labor führt einen scheinbar aus außerirdischen Kulturen gewonnenen Impfstoff namens »Purity Control« ein. Sowohl der Impfstoff als auch eine Substanz namens Purity werden später in der Serie wieder aufgegriffen. In der Folge Gefallener Engel hat die Figur Max Fenig (Scott Bellis) ihren ersten Auftritt. Der paranoide aber 134 sympathische Fenig wurde beim Publikum so beliebt, dass er später in der Serie wieder auftauchen sollte. In Täuschungsmanöver kommen »Die einsamen Schützen« (John Fitzgerald Byers [Bruce Harwood], Richard »Ringo« Langly [Dean Haglund] und Melvin Frohike [Tom Braidwood]) zum ersten Mal vor. Mit ihren wilden Verschwörungstheorien stellen sie selbst Mulders manchmal so fantasievolles Denken in den Schatten. In Verwandlungen erfährt das Publikum von der allerersten X-Akte, die J. Edgar Hoover, der erste Direktor des FBI, im Jahr 1946 persönlich angelegt haben soll. Der Inhalt drehte sich um grausame Morde, für die scheinbar eine Art Werwolf verantwortlich war. Eine weitere wiederkehrende Figur in der ersten Staffel wird nur der »Mann mit der tiefen Stimme« (Jerry Hardin) genannt. Der Mann scheint ebenfalls um große Regierungsgeheimnisse zu wissen und tritt in der Folge Die Warnung erstmals an Mulder heran, um ihm Informationen zuzustecken. Er entwickelt sich zu einer Art Mentor von Mulder, bleibt aber geheimnisvoll. Wie in Täuschungsmanöver zu erfahren ist, musste er einst während des Vietnamkrieges einen Außerirdischen töten, was ihn seitdem verfolgt. In Das Labor wird der Mann brutal niedergeschossen. Seine letzten Worte an Scully lauten: »Trauen Sie niemandem!«

Persönliche Highlights des Artikelschreibers Eine definitiv erinnerungswürdige Figur aus der ersten Staffel ist der genial von Doug Hutchison gespielte Mutant 135 Eugene Victor Tooms. Dieser hat Heißhunger auf menschliche Leber, kann seinen Körper auf unnatürliche Art deformieren und hat viele Jahre im Winterschlaf verbracht. Auch der Serienkiller Luther Lee Boggs, den Brad Dourif in Die Botschaft mit schauspielerischer Urgewalt verkörpert, sorgt für Gänsehaut-Momente. Im Gedächtnis bleibt ebenso die Folge Eis, in die die Drehbuchautoren Glen Morgan (Intruders – Die Eindringlinge) und James Wong (American Horror Story) Elemente aus dem Science-Fiction/Horror-Klassiker Das Ding aus einer anderen Welt (1982) geschickt variiert einbauen. Die Folge Der Kokon spielt wiederum raffiniert mit der Urangst des Menschen vor der Dunkelheit. Ein Großteil der Geschichte spielt in den tiefen Wäldern des Staats Washington. Die Episode ist zugleich ein unglaublich spannender Öko-Thriller.

Besonderheiten Die erste Staffel von Akte X hat im Vergleich zu den anderen Produktionen nur eine schwach angedeutete Rahmenhandlung. Die Serie baut anfänglich vor allem auf Einzelepisoden auf. Die Folgen Besessen und Verlockungen, in denen außerirdisches Leben angedeutet wird, passen zudem nur bedingt in die spätere Serien-Mythologie. Das Motiv eines Aliens, das durch einen gewaltigen Strahlungsstoß tötet (Gefallener Engel) wird allerdings später in der Serie wieder aufgegriffen.

136 Die Fortsetzung dieser Artikelreihe folgt in der nächsten Ausgabe des Corona Magazine.

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138 Perlentaucher: Childhood's End – Die letzte Generation – Das Ende der Menschheit und ein neuer Anfang von Sven Wedekin

Arthur C. Clarkes Buch Die letzte Generation (englischer Originaltitel: Childhood's End) gehört zu den ganz großen Klassikern der literarischen Science-Fiction. Erschienen im Jahr 1953 markierte das Werk den Durchbruch für den britischen Schriftsteller, der später mit seiner Vorlage für Stanley Kubricks Meilenstein 2001: Odyssee im Weltraum (1968) zu Weltruhm gelangte. Die letzte Generation zeichnet sich nicht nur durch den Verzicht auf bekannte Genreklischees aus, sondern vor allem dadurch, dass die Geschichte ein ungewöhnlich spirituelles Element besitzt. Sie vermittelt die Botschaft, dass es für den Menschen letztlich um mehr geht, als Tag für Tag auf diesem kleinen blauen Planeten zu überleben. Im Lauf der Jahrzehnte gab es immer wieder den Versuch, den Stoff zu verfilmen; sogar Kubrick selbst war zwischenzeitlich daran interessiert, bevor er sich für die Realisierung von 2001 entschied. Im Jahr 2015 schließlich hat sich das amerikanische Studio Syfy an eine Adaption des anspruchsvollen Stoffes gewagt und den erfahrenen Doctor

139 Who-Regisseur Nick Hurran mit der Inszenierung in Form einer dreiteiligen Miniserie betraut.

Ein Utopia mit Schattenseiten Der Inhalt der Miniserie mit dem Titel Childhood's End – Die letzte Generation: Ohne jede Vorwarnung tauchen eines Tages gigantische Raumschiffe über den größten Städten der Welt auf. Deren Insassen materialisieren sich in Gegenwart der Menschen zunächst in der Gestalt längst Verstorbener und klären auf, dass sie in friedlicher Absicht gekommen sind. Die Außerirdischen – die von den Medien schon bald als »Overlords« bezeichnet werden – versprechen, auf der Erde für ein goldenes Zeitalter zu sorgen. Sie erlösen die Erdbewohner binnen kürzester Zeit von der Geißel des Krieges, was dazu führt, dass bald rund um den Globus Frieden und materieller Wohlstand herrschen. Jedoch verlangen die Overlords dafür einen hohen Preis: Sie unterbinden den Forscherdrang der Menschen, indem sie ihnen verbieten, ihren Heimatplaneten zu verlassen. Angesichts der paradiesischen Zustände, die die Fremden überall geschaffen haben, stören sich die meisten aber nicht besonders an dieser Einschränkung. Jahrzehnte nach der Ankunft der Overlords sind deren Motive noch immer rätselhaft. Warum ist es ihnen so wichtig, dass auf der Welt Frieden herrscht? Und weshalb wollen sie nicht, dass die Menschen das All erforschen? Hat es womöglich etwas mit den auffälligen Veränderungen bei Kindern weltweit zu tun, die nach der Ankunft der Overlords geboren wurden? Diese entwickeln nämlich telepathische 140 und telekinetische Fähigkeiten und entfremden sich dadurch mehr und mehr sowohl von ihren Eltern als auch von der Spezies Mensch an sich. Noch ahnt niemand, dass diese Entwicklung nur der Auftakt eines Evolutionssprungs ist, durch den sich die Daseinsform der Menschheit auf eine ungeahnte Weise verändern wird ...

Mainstream kontra Philosophie Die Kernhandlung des Romans wurde in der Fernsehfassung weitgehend beibehalten, jedoch hat Regisseur Hurran der Geschichte einige Aspekte hinzugefügt und Änderungen an mehreren der Charaktere vorgenommen, die für Fans des Buches wohl nicht leicht zu verdauen sind, da sie die Geschichte oft ins Seifenopern-hafte abgleiten lassen. So hat die Romanvorlage eigentlich gar keine bestimmte menschliche Hauptfigur, da sich die Handlung in dieser über insgesamt zweihundert Jahre erstreckt. In der Serie wurde dieser Zeitraum stark verkürzt, was es möglich machte, ihr eine zentrale Identifikationsfigur zu verpassen: den amerikanischen Farmer Ricky Stormgren (Mike Vogel), der vom Anführer der Overlords, Karellen (Charles Dance) zu seinem Botschafter bestimmt wird, durch den er den Menschen seine Absichten mitteilt, bevor er sich ihnen persönlich zeigt. Im Buch kommt Stormgren zwar ebenfalls in dieser Funktion vor, jedoch ist er dort der Generalsekretär der Vereinten Nationen und nur im ersten Drittel der Geschichte der zentrale menschliche Charakter. 141 Die Entscheidung der Macher, einen Amerikaner aus der Mittelschicht zur Hauptperson zu machen, muss man wohl als nicht zu vermeidendes Zugeständnis an die Sehgewohnheiten und Erwartungen des typischen US-Zuschauers sehen, was Puristen freilich eher nicht gefallen dürfte, zudem Darsteller Vogel nicht gerade zu den besten seines Fachs gehört. Drehbuchautor Matthew Graham (Life on Mars) dichtete diesem Charakter zudem auch noch eine tragische Liebesgeschichte an, die im Buch glücklicherweise völlig fehlt. In der Serie wirkt sie recht rührselig und lenkt von der eigentlichen Haupthandlung ab. Diese wirft genügend spannende Fragen auf und hätte einen solchen Nebenstrang nicht nötig gehabt. Doch wahrscheinlich wollten die Macher den an die Konventionen des Mainstream gewöhnten Teil des Publikums nicht mit einer allzu starken Konzentration auf die philosophischen Aspekte der Story überfordern. Man könnte fast meinen, Regisseure heutzutage hätten kein Vertrauen mehr in die Intelligenz und die Geduld des Publikums. Das würde auch erklären, warum die Geschichte – vor allem zu Beginn der ersten Folge – recht gehetzt erzählt wird, als befürchtete man, den geneigten Zuschauer zu langweilen, wenn man sich zu viel Zeit für die Entwicklung der Charaktere und der Darstellung der Welt, in der sie leben, nimmt, bevor die eigentliche Handlung beginnt.

Eine wichtige Botschaft harmlos dargeboten 142 Durch ihre recht betuliche und nicht sonderlich innovative Inszenierung hat die Serie leider definitiv nicht das Potential, ein Klassiker zu werden. Vor allem in Hinblick auf die Kameraführung merkt man ihr an, dass Hurran eben bei Doctor Who (seit 1963) zuhause ist. All diese Kritik bedeutet aber keineswegs, dass Childhood's End eine schlechte Serie ist. Sie kann eben nur die Ansprüche, die viele Fans des Buchs an die Verfilmung gestellt hätten, nicht erfüllen. Böse formuliert könnte man sogar sagen, dass sie es gar nicht erst versucht. Aber tatsächlich muss man der Serie zugutehalten, dass sie Clarkes Roman dem Teil des Publikums bekanntmacht, der bisher vielleicht noch nie davon gehört hat. Die Botschaft, dass sowohl die Menschheit im Gesamten als auch jedes einzelne Individuum das Potential in sich trägt, über sich selbst hinauszuwachsen, blieb ja wie erwähnt in der Umsetzung durchaus erhalten. Indes wird diese Botschaft in der Vorlage aber doch auf eine wesentlich eindrucksvollere Weise vermittelt. Der Serie gelingt es nur teilweise, jenen Sinn für das Phantastische zu erzeugen, der wirklich große Science-Fiction auszeichnet.

Fazit Als Fazit bleibt daher festzuhalten, dass sich jeder Liebhaber phantastischer Geschichten, die das Bewusstsein erweitern und zum Nachdenken über den Sinn der menschlichen Existenz anregen sollen, lieber an den der Serie zugrundeliegenden Roman halten sollten. Doch für alle, die nur an einem unterhaltsamen aber nicht besonders 143 tiefgründigen Genrehappen für zwischendurch interessiert sind, ist Childhood's End einen Blick wert.

Perlentaucher – Rainer Erlers Das blaue Palais – Vergessener Klassiker von Reinhard Prahl

Über Rainer Erler wurde in diesem Magazin ja bereits mehrfach berichtet. Der 1933 in München geborene Schriftsteller, Regisseur, Drehbuchautor und Produzent gehört sicherlich zu den großen deutschen Filmemachern einer Ära, in der das deutsche Fernsehen wesentlich offener und mutiger mit phantastischen Stoffen umging als heute. Filme wie Seelenwanderung (1962), Die Delegation (1970), Operation Ganymed (1977), Plutonium (1978) oder Fleisch (1979) sind teils hochdekorierte Werke, die sowohl inhaltlich als auch stilistisch bis heute nachhallen. Immer wieder gelang es Erler mit seiner Art von Science-Fiction, 144 wissenschaftlich brisante Themen unterhaltsam und ansprechend zu präsentieren. Für seine Leistungen wurde Erler zurecht mehrfach ausgezeichnet. Unter anderem erhielt er je zweimal den »Grimme-Preis« sowie den »Kurd Laßwitz Preis« und im Jahr 2004 den »Deutschen Fantasy Preis«. In den Jahren 1974-1976 schuf das intelligente Multitalent eine Serie namens Das blaue Palais, die in fünf neunzigminütigen Filmen spannende Geschichten über eine internationale Wissenschaftlergruppe erzählt, die in einer Villa lebt und geheime Grundlagenforschung auf allerlei vorstellbaren und unvorstellbaren Gebieten betreibt.

145 Die fünf Filme Im ersten Teil der Reihe, genannt Das Genie, geht es um einen Mann namens Felix van Reijn (toll gespielt von Rolf Henniger), der nicht nur ein bekannter Virtuose, sondern auch ein brillanter Schachspieler und später sogar ein begnadeter Maler ist. Als die Biologin Sibilla Jacopescu (Loumi Iacobesco) nach Japan fährt, findet sie allerdings heraus, dass van Reijn ein Mörder ist, der eine Methode entwickelt hat, das Wissen und die Talente seiner Opfer zu extrahieren. Als der Täter ertappt und zur Rede gestellt wird, begeht er Selbstmord. Sein Gehirn wird schließlich im »Blauen Palais« am Leben erhalten, um ihm eines Tages seine Geheimnisse entlocken zu können. Der zweite Film, Der Verräter stellt den Laser-Spezialisten Siegmund von Klöpfer (Werner Rundshagen) in den Vordergrund, der eine neue Kunstdünger-Synthese erfindet, aber nicht weiterentwickeln kann, weil ihm das Geld fehlt. Als er schließlich doch noch ein hohes Budget zur Verfügung gestellt bekommt, findet sein Kollege, der Chemiker Enrico Polazzo (gespielt ebenfalls grandios von Dieter Laser) heraus, dass der Dünger eine gefährliche und sogar weltzerstörerische Kettenreaktion hervorrufen könnte. Klöpfer flieht nach Kanada, um dort einem reichen Finanzier zu treffen, dieser lässt ihn aber erschießen. Das Medium befasst sich mit dem weiten Feld der Parapsychologie, das heute mehr im Bereich der Pseudowissenschaft angesiedelt ist. In diesem Teil tritt der Quantenphysiker Dr. Kevington (Edward Meeks) auf den 146 Plan, der die 18-jährige Petra (Angelika Bender) untersucht, nachdem sie offenbar telepathische Fähigkeiten gezeigt hat. Eine Rockergang unter der Führung eines von dem leider bereits im Jahr 2012 verstorbenen Günther Kaufmann (Wickie und die starken Männer) gespielten Mannes macht jedoch Jagd auf das Mädchen. Schließlich gerät Petra in einen Verkehrsunfall, der ihre Begabung unwiederbringlich löscht. Unsterblichkeit befasst sich mit den Fragen von Moral und Ethik innerhalb der Naturwissenschaften. Wie weit darf man gehen, um ein angeblich höheres wissenschaftliches Ziel zu erreichen? Als Aufhänger dient die Geschichte des von Udo Vioff (Graf Yoster gibt sich die Ehre) gespielten Biologen Ian McKenzie, der auf einer einsamen Burg ein Unsterblichkeits-Gen entwickelt hat und dieses Fruchtfliegen injiziert. McKenzie selbst stirbt, so geraten seine Unterlagen in die Hände des Palais-Bewohners Jeroen de Groot (Peter Fricke) und in die seiner Freundin Jacopescu (nunmehr verkörpert von Evelyn Opela). Die möchte sich aber den schwerwiegenden Fragen, die ihre Forschungsergebnisse aufwerfen, nicht stellen und stellt lieber Untersuchungen an lebenden Menschen an. Schließlich kann de Groot sie nicht mehr mit guten Argumenten erreichen, zu groß ist der grenzenlose Erfolgsdurst seiner Geliebten. Am Ende stirbt sie bei einer Explosion, an der sie selbst die Schuld trägt. In der letzten Folge, Der Gigant steht schließlich Laser als Polazzo im Mittelpunkt des Geschehens. Die Geschichte befasst sich mit der moralischen Verantwortung von 147 Konzernen, die in der Regel dem Gewinnstreben entgegensteht. Ein synthetischer Stahl, für den Polazzo ein Patent anmelden möchte, dient als Katalysator für das eigentliche Thema. Um seine Forschungen zu finanzieren, lässt sich der Chemiker von einem Multi-Konzern namens IMT vor den Karren spannen, ohne zu merken, dass dieser es nur auf Gewinnmaximierung abgesehen hat. Das eigentlich Verwerfliche ist, dass der neue Wirkstoff völlig unbrauchbar ist, da eine geplante Massenproduktion katastrophale Umweltschäden zur Folge haben würde. Dem IMT-Konsortium ist diese Tatsache natürlich herzlich egal. Enttäuscht kehrt Polazzo daraufhin ins Palais zurück, das allerdings auf Betreiben des Konzerns bereits vor der Schließung steht.

Brillante Drehbücher Das blaue Palais gilt bis heute als eine der besten deutschen Science-Fiction-Serien aller Zeiten. Und das vollkommen zurecht. Schon mit Die Delegation hatte Erler bewiesen, dass er in der Lage ist, heiße Eisen durchaus unterhaltsam und ungewöhnlich zu inszenieren. Die Delegation gilt als die erste fiktionale Dokumentation überhaupt und bedient sich zahlreicher Stilmittel, die heute unter dem Schlagwort »Found Footage« bekannt sind. Das blaue Palais ist zwar insgesamt etwas konservativer umgesetzt, brilliert dafür aber mit starken Drehbüchern, die im Übrigen allesamt von Erler selbst geschrieben wurden. Die Filme erzählen nicht nur spannende Geschichten zu (pseudo-)wissenschaftlichen Themen, diese interessierten 148 abgesehen von der Öffentlichkeit teilweise sogar die Militärs der beiden großen Ost/West-Machtblöcke. Beispielsweise trieben bereits seit den 1960er-Jahren die CIA und der KGB parapsychologische Forschungen voran, um sich im Kalten Krieg einen Vorteil gegenüber dem Gegner zu verschaffen. Auch stellt jeder Film philosophische Fragen, vornehmlich ethischer Natur, die selten wirklich beantwortet werden. Vielmehr überlässt es Erler seinem Publikum, seine Gedanken zu Ende zu führen und bietet ihm damit an, in den Diskurs zu treten. Dies ist großartiges phantastisches Fernsehen, wie man es heute in dieser Form nicht mehr findet.

Schauspieler – Theater, Theater, Theater Zudem holte Erler einige großartige Schauspieler an Bord, die seinerzeit teilweise mehr im Theater als im Fernsehen aktiv waren und damit hohen schauspielerischen Qualitätsstandard in die Serie einführten. Laser etwa, den eine lange und warmherzige Freundschaft mit Erler verbindet, spielte zwar bereits 1968 in Im Dickicht der Städte und 1971 in Peer Gynt mit, seine eigentliche Heimat aber war das Deutsche Schauspielhaus Hamburg, wo er 1961 von Gustaf Gründgens (M – Eine Stadt sucht einen Mörder) entdeckt worden war. Fricke hatte seinen ersten Bühnenauftritt 1960 als Lysander in Shakespeares Komödie Ein Sommernachtstraum, bevor er Rollen an den Städtischen Bühnen Frankfurt und Köln sowie am Bayerischen Staatsschauspiel München annahm. Allerdings machte er 149 sich auch als Film- und Fernsehschauspieler einen Namen und war insgesamt in weit über 100 Produktionen zu sehen. Zu seinem beeindruckenden Portfolio gehören einige der bekanntesten deutschen Krimiserien wie Der Kommissar (1969-1976), Der Alte (1977-1995) und Derrick (1978-1995) sowie der TV-Mehrteiler Wallenstein von 1987 und SOKO München (1989-2012). Sehr bekannt war seinerzeit auch die tschechische Schauspielerin Evelyn Opela, die ab Folge vier die Jacopescu spielte, anstelle von Iacobesco, die in den Episoden 1 und 2 zu sehen gewesen war. Opela wurde in Prag ausgebildet und wirkte, bevor sie nach Deutschland kam, in etwa zehn damals noch tschechoslowakischen Filmen mit. Außerdem hatte sie einige Engagements am Prager Nationaltheater, bevor sie 1971 in Deutschland in der superseichten Komödie Morgen fällt die Schule aus – Die Lümmel von der ersten Bank, VI. Teil debütierte. Neben ihrem folgenden Mitwirken 1972 in der beinahe noch seichteren Die Lümmel von der ersten Bank-Fortsetzung Betragen ungenügend! konnte Opela auch in einigen Folgen von Der Kommissar (1972-1974) mit ernsteren Rollen überzeugen. 1993 war sie dann neben Hugh Grant (Paddington 2) im Thriller Night Train to Venice zu sehen. Dem deutschen Publikum bleibt sie aber wohl überwiegend als gern gesehener Gast bei Das Traumschiff (1983) oder von ihren zahlreichen Auftritten in Der Alte (1986-1993) und Derrick (1984-1994) im Gedächtnis.

Fazit 150 Das blaue Palais gehört heute womöglich zu den unbekanntesten und zugleich besten Science-Fiction-Produktionen des deutschen Fernsehens. Wer die fünf Filme heute das erste Mal sieht und keinen Hang zur Nostalgie hat, wird wahrscheinlich nach wenigen Minuten genervt abschalten. Zu angestaubt, zu altbacken wirkt die Inszenierung auf den heutigen Filmfan. Aber Vorsicht! Wer das tut, dem entgehen fünf wundervoll geschriebene phantastische Geschichten mit intelligenten Prämissen, die es auch heute noch wert sind, (neu) entdeckt zu werden.

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152 Interview mit Dieter Laser – Über Rainer Erler, Lexx: The Dark Zone und Human Centipede – Der menschliche Tausendfüßler von Reinhard Prahl

Anlässlich der sich in dieser Ausgabe befindlichen Perlentaucher-Rezension zu Das blaue Palais (1974–1976) hat einer der Hauptdarsteller, Dieter Laser, der Redaktion des Corona Magazine freundlicherweise ein Interview gegeben.

Reinhard Prahl (RP): Herr Laser, Ihre Karriere startete 1961 ja beinahe mit einem Rauswurf aus dem Deutschen Schauspielhaus Hamburg, wo Sie heimlich Proben besuchten. Wie kam es dazu, dass Gustaf Gründgens Sie schließlich als Schauspieler entdeckte? Dieter Laser (DL): Ich war Statist am Hamburger Schauspielhaus und arbeitete nachts als Hoteldiener – nicht »jenseits von Eden« aber im Hotel Eden, schräg gegenüber vom Bühneneingang des Theaters. Dennoch schaffte ich es jeden Morgen um kurz vor zehn, mich völlig übermüdet hinter der letzten Reihe des Parketts zu verstecken – auf den Knien im tiefen Schatten unter dem Balkon des ersten Rangs –, um den König des Theaters, Gründgens, und seine Götter von Schauspieler bei der Probenarbeit zu beobachten. 153 Ich weiß nicht mehr ob es ein unwillkürliches Lachen oder ein Husten war, was eines Tages zu meiner Entdeckung führte. Jedenfalls hörte Gründgens ein menschliches Geräusch aus der Dunkelheit des Zuschauerraums und »His Master's Voice« brüllte übers Mikrofon: »Was ist da los! Wer sind Sie? Zeigen Sie sich!« Angstschlotternd tauchte ich auf. »Wie heißen Sie!« »Laaaser«, war die zitternde Antwort. »Raus!« Ich erwiderte unter Tränen: »Herr Professor, ich möchte Schauspieler werden, und wenn ich bei den Proben nicht zuschauen darf, dann, dann ...« Pause, Pause, Pause – gefolgt von einer fürchterlichen Drohung: »Dann mache ich auch keine Statisterie mehr!« Ein Grunzen aus den Lautsprechern, und Gott fragte noch einmal: »Wie heißt du?!« »Laaser!« »Also gut, Laser, du darfst bei den Proben zuschauen.« Ich rückte nicht vor! Ich saß nur jeden Morgen Punkt zehn in der letzten Reihe Mitte. Und eines Tages fragte Gott seine Assistenten: »Haben wir schon diese Dienerrolle mit den zwei kleinen Sätzen besetzt?« »Nein, Herr Professor.« »Wie heißt du?« »Laser.« »Geh auf die Bühne, Laser, und versuch mal.« Das war der Anfang ... 154 RP: Zwischen 1974 und 1977 arbeiteten Sie mit dem Regisseur Rainer Erler zunächst an der Kultserie Das blaue Palais und später an Operation Ganymed. Wie war die Arbeit mit Erler seinerzeit, und woran erinnern Sie sich besonders gerne? DL: Schon während der ersten Dreharbeiten zu Das blaue Palais bahnte sich zwischen Erler und mir eine sehr enge künstlerische und freundschaftliche Zusammenarbeit an, die sich immer weiter entwickelte und bis zum »leading part« des Wissenschaftlers Enrico Polazzo im fünften Teil von Das blaue Palais, Der Gigant führte. Es folgte der Gangster Miguel im Kult-Thriller Die letzten Ferien – und schließlich der Astronaut Don in Operation Ganymed, den Erler mit meinem Foto auf seinem Schreibtisch mir auf den Leib geschrieben hatte. Er beteiligte mich sogar an der Besetzung der Partnerrollen. So eine enge und lange Zusammenarbeit, wie ich sie später auch mit Claus Peter Witt und mit Peter Patzak erleben durfte, ist natürlich ein großes Geschenk, und ich bin noch heute absolut dankbar dafür. Bei allen drei Regisseuren erinnere ich mich besonders gern an die Fähigkeit, miteinander schweigen zu können. Das sind oft die kreativsten und glücklichsten Momente bei der Arbeit, wenn man sich ganz ohne Worte versteht. RP: 1999 hatten Sie mehrere Auftritte in der Science-Fiction-Serie Lexx: The Dark Zone (1996–2002), die seinerzeit ein wenig unter dem Radar lief, heute aber einen besonderen Platz in den Herzen der Fans einnimmt. Welche Erinnerungen haben Sie an die Arbeit in Kanada? Und 155 hätten Sie damit gerechnet, dass man sich noch heute an den ehemaligen Helfershelfer »Seines Göttlichen Schattens« erinnert? DL: Das hätte ich nie gedacht. Zumal es großer Überredungskünste der Produktion bedurfte, die Rolle des Mantrid anzunehmen. Aber dank der angelsächsischen Arbeitsweise, die dem Schauspieler wesentlich mehr Freiheit und Selbstverantwortung überlässt, brachten die Dreharbeiten dann sehr viel Spaß, und Halifax war einfach traumhaft ... RP: 2009 spielten Sie die Hauptrolle in Human Centipede – Der menschliche Tausendfüßler, ein Film, der bekanntlich eine skurrile, um nicht zu sagen eklige Prämisse hat. War es eine große Herausforderung für Sie, in einem Horrorfilm mitzuwirken, von dem Sie sicherlich bereits im Vorfeld wussten, dass er zu starken Kontroversen führen würde? DL: Die »Ass to mouth«-Prämisse ist natürlich extrem eklig! Und natürlich war mir klar, dass die Rolle mir – zumindest in Deutschland – absolut schaden würde. Aber ich bin ein mutiges Kerlchen, und glücklicherweise wurde es ein Welterfolg. RP: Sie sind für Human Centipede in die Rolle des abgedrehten Dr. Josef Heiter geschlüpft, den Sie an den berüchtigten Dr. Josef Mengele anlehnten. Sie wählten nicht nur denselben Kittel, sondern gaben Ihrer Figur auch denselben Vornamen. Ist Mengele für Sie der lebende Inbegriff des verrückten Wissenschaftlers? DL: Mengele ist für mich der Inbegriff der meisten deutschen Ärzte im Dritten Reich als Hitlers willige Helfer. 156 Den analfixierten Nazi-Psychopathen der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft per Hohn und Spott in ihre verklemmten Ärsche zu treten, ist eine schöne Aufgabe. Der Nazi-Gott in Weiß, für den andere Menschen nur Ungeziefer und Insekten sind, wie zum Beispiel der menschliche Tausendfüßler, kriecht am Ende als blutverschmierter Mistkäfer über die weißen Kacheln seines Schwimmbads, um endlich ausgemerzt zu werden, um den Sprachgebrauch der AfD anzuwenden. RP: Was führte dazu, dass Sie letztlich in The Human Centipede III (Final Sequence) von 2015 doch zu sehen waren, nachdem Sie zunächst einen weiteren Auftritt abgelehnt hatten? DL: Die Angst vor der angedrohten Eine-Million-Euro-Klage britischer Anwälte hat bestimmt zur Versöhnung mit Regisseur und Produktion beigetragen! Aber ausschlaggebend war die Versicherung von Tom Six, ich könnte die Rolle spielen, wie ich wollte. Also habe ich die Flucht in den Cartoon gewählt und so krass übertrieben, dass kein Frauenfeind, kein Faschist und kein Rassist sich mit diesem deutsch-amerikanischen Vollidioten identifizieren mögen würde. Und ich habe den Regisseur Six um eine leise, fast kindliche »innere Stimme« für die Rolle des Bill Boss gebeten, um seine innere Schwäche zu verstärken und ein Wechselbad zu seinem Macho-Gebrüll herzustellen. Das haben wir in vielen Sitzungen gemeinsam etabliert und auch genauso gedreht. Aber am Schneidetisch hat Six seine Versprechen gebrochen und hat sämtliche leisen Stellen, innerliche wie äußerliche, bei der Rolle des Boss 157 rausgeschnitten. Der Rest ist ein brüllender Cartoon, und der Betrug am Schneidetisch wieder einmal der Tod einer anspruchsvollen Darstellung. Dennoch wurde ich mit Kritiken großer amerikanischer Zeitungen belohnt, die Boss als prophetische Vision von Donald Trump gewürdigt haben. RP: Wie stehen Sie selbst eigentlich zum Horror-Genre? Lieben Sie gute Horrorgeschichten oder bevorzugen Sie die großen Klassiker? DL: Ich bevorzuge die großen Klassiker wie Das Schweigen der Lämmer, No Country for Old Men, Der Marathon-Mann etc. Viele Horror-Filmer haben, wie Six auch, eine Porno-Dramaturgie im Kopf. Es muss ein Höhepunkt nach dem anderen her, und nach dem ersten schwächlichen »Überraschungs-Ständer« wird es totlangweilig. Ich bevorzuge eine Achterbahn der Gefühle. RP: Letzte Frage: Sie spielen sowohl im Theater, als auch im Kino und im TV. Welches Medium bevorzugen Sie? DL: Theater und Film ergänzen sich wechselseitig. Das einzige, was für mich zählt, ist Herzblut, egal wo. RP: Lieber Herr Laser, vielen Dank für das Interview! DL: Ich habe zu danken!

The Good, the Bad and the … Doctor? – Ein Interview mit vier Fans der Serie Doctor Who von Peter R. Krüger

158 Was wäre ein großes Franchise wie Star Trek (seit 1966), Star Wars (seit 1977) oder Doctor Who (seit 1963) ohne die Fans? Wahrscheinlich nur halb so gut. »Logisch«, würde Mr. Spock (Leonard Nimoy) an dieser Stelle sagen, denn wenn etwas nur halb so gut ist, dann hätte es ja auch nicht so viele Fans. Familie Skywalker würde sich darüber freuen, dass die »(Fan-)Macht« mit ihnen ist. Ja, und der Doctor …? »Geronimo!« Dessen Fanbase nämlich wächst und wächst, und zwar nicht nur in Deutschland. Der Autor dieses Artikels hat auch mal nach Luxemburg und rüber in die Schweiz geguckt, und schon hat er vier Fans gefunden, die allerlei über diese phantastische Serie mit dem Titel Doctor Who zu erzählen haben. Zuerst möchte er Ihnen, geschätzte Leser, seine Gesprächspartner kurz vorstellen, damit auch jeder weiß, wer hier mit dabei war. Monique und Heng sind Cosplayer aus Luxemburg. Heng hat der Autor dieses Artikels auf einer FedCon in Bonn kennengelernt; seinerzeit war er begeistert, als ihm unerwartet der leibhaftige vierte Doctor gegenüberzustehen schien, samt K-9, dem Roboterhund. Monique hingegen schlüpft mit ihren Cosplays gern in die Rolle der Leela (Begleiterin des vierten Doctors in den Jahren 1977/1978, gespielt von Louise Jameson). Leider hatte der Autor dieses Artikels noch nicht die Gelegenheit, sie persönlich kennenzulernen, aber vielleicht klappt das ja bei der nächsten FedCon.

159 Achim kennt der Autor dieses Artikels bereits seit 2016, doch es wäre vermutlich nie zu diesem Interview gekommen, wenn Achim ihm nicht eines Tages mit einer Doctor Who-Teekanne entgegengekommen wäre. Nach vielen nerdigen Gesprächen und dem ausgiebigen Austausch von Meinungen über Doctor Who ist der Autor dieses Artikels der festen Überzeugung, dass das Leben für Achim und ihn ohne Doctor Who zwar weiterhin funktionieren würde, aber irgendwie sinnlos wäre. Markus hatte den Autor dieses Artikels im Jahr 2019 kontaktiert, weil er ein Interview mit ihm zu seinem Buch Kolonie 85 – Der Aufbruch (2018) für sein NERDtv-Programm auf der FedCon führen wollte. Das war natürlich sehr schmeichelhaft. Schließlich wurde das Interview zusammen mit der Co-Autorin des Buchs, Pia Fauerbach (AKAGB – Gesetzbuch des (all)gemeinen Katzentiers) geführt, und man hatte viel Spaß dabei. Später stellte sich heraus, dass Markus nicht nur Nerd ist, sondern auch eine ganz ordentlich nerdige Spielzeugsammlung besitzt, zu der der Autor dieses Artikels ihn wiederum in Folge interviewte (das Gespräch ist nachzulesen im Corona Magazine 09/2019 – der Ausgabe mit der TARDIS vorne drauf), und schließlich feststellte, dass auch für Markus Doctor Who ein großes Thema ist. Markus kommt aus der Schweiz.

Drei Länder, vier Fans Dann mal auf zur ersten Frage – »allons-y«!

160 Peter R. Krüger (PK): Wenn ihr es in einem kurzen Satz beschreiben müsstet, was macht Doctor Who eurer Ansicht nach zu etwas Besonderem? Wodurch unterscheidet sich die Serie von anderen?

Markus (MK): Doctor Who ist etwas Besonderes, weil die dargebotenen Geschichten von innen viel größer sind als bei manch anderer Serie und weil man beim Sehen das doppelte Herzblut der Macher deutlich spürt, was mich im Innersten emotional total berührt. Heng (HE): Was Doctor Who für mich von allen anderen Serien unterscheidet, sind die grandiose Vielfältigkeit und Zeitlosigkeit sowie die unendlichen Möglichkeiten, die sich durch die Regenerationen des Doctors ergeben; aber das Allerbedeutendste sind die moralischen Botschaften, die der Doctor nicht so sehr durch viele Worte, sondern

161 vielmehr durch sein Verhalten und durch seine großen Taten vermittelt. Auch, dass er nicht immer perfekt und frei von Fehlern ist, macht ihn sehr liebens- und auch glaubwürdig.

Achim (AC): Doctor Who fasziniert mich, weil die Serie länger existiert als ich (und ich habe die 50 bereits überschritten) und immer noch funktioniert. Durch die Möglichkeit der Regeneration der Hauptfigur sowie der Reisen durch Zeit und Raum bietet diese Serie eine Vielschichtigkeit, die meines Erachtens von keiner anderen erreicht werden kann und jegliche Möglichkeit auf dieser Welt hat, uns alle zu überleben. Monique (MO): Es ist eine zeitlose Serie! Sie läuft schon so lange ... Und immer noch ist sie sehenswert. Für mich ist

162 Doctor Who eine lehrreiche Serie. Eine besondere Serie, da sie doch durch ihre Geschichten versucht, einem etwas mit auf dem Weg zu geben. PK: »Von innen größer« ist ein passendes Wortspiel, was diese Serie betrifft. Tatsächlich bietet sie so viel mehr, als man oft auf den ersten Blick bemerkt. Die neue Serie kann zwar problemlos mit den heutigen Sehgewohnheiten mithalten, doch bei der Classic-Serie ist das etwas anders. Welche Folge würdet ihr jemanden empfehlen, sich anzusehen, der noch unschlüssig ist, ob ihm Doctor Who gefallen könnte?

MO: Hm ... gute Frage! Ich persönlich habe mit dem vierten Doctor angefangen, und zwar mit The Face of Evil. Aber das lag eher daran, dass ich mich für Leela als entschieden hatte. Ich würde einem Neueinsteiger The Three Doctors vorschlagen. Wieso nicht direkt mit drei

163 Doctors beginnen? Oder einfach mal mit den Episoden zum vierten Doctor anfangen! HE: Ja, eine sehr interessante Frage mit 1.000 Möglichkeiten zum Antworten (lacht). Ich persönlich würde die Folge The Sun Makers vorschlagen. Wieso? Die Folge ist witzig, sie ist spannend und vor allem: In der Folge kommen Leela, K-9 und der vierte Doctor vor, was will man mehr? AC: Da sich die Frage auf die Classic-Serie bezieht, ist das für mich schwierig zu sagen, weil ich nur die Folgen des sechsten und die des siebten Doctors gesehen habe; zum ersten und zum fünften Doctor kenne ich ein paar handverlesene Episoden. Die Doctors 2-4 sind mir noch völlig fremd. Allenfalls ist mir Die Höhlen von Androzani aus der Ära des fünften Doctors in unterhaltsamer Erinnerung geblieben. Aber ja, bei der Classic-Serie ist das etwas anderes als bei »New Who«, wie die Fans die aktuelle Version gern nennen. Dort wären meine Favoriten Vatertag (neunter Doctor), wenn ich einer Frau eine emotionale Folge empfehlen wollen würde, und Science-Fiction-begeisterten Kerlen lege ich die Grusel-Doppelfolge Der unmögliche Planet/Der Höllenschlund (zehnter Doctor) ans Herz. MK: Das ist eine unglaublich schwere Frage. Nicht nur bezüglich der Auswahl einer einzelnen Episode oder einer Episodenreihe, sondern vielmehr, weil die Serie so facettenreich und überraschend ist. Welchen Doctor und welche Seite des Doctors möchte man präsentieren? Welche Episode eignet sich am besten, um einen

164 umfassenden Eindruck zu vermitteln, was Doctor Who ist und was es ausmacht? Lasst mich kurz klarstellen: Ich gehöre ebenfalls zur Fraktion New Who. Ich bin zwar dabei, die Episoden vor 2005 aufzuarbeiten, Whovian wurde ich aber durch Christopher Eccleston, David Tennant, Matt Smith, Peter Capaldi und Jodie Whittaker. Eigentlich stand für mich überhaupt erst Torchwood am Anfang. Ich stolperte sodann in die anderen Serien hinein, um das Bild des Captain Jack Harkness zu komplettieren ... Und zack, war ich mittendrin. Ich habe natürlich zig Lieblingsepisoden, auch und gerade solche, die sich auf frühere Inkarnationen beziehen. Episoden wie Das Ende der Welt (neunter Doctor), Demons Run (elfter Doctor) oder das Special Der Name des Doktors/Der Tag des Doktors (elfter Doctor) finde ich hammermäßig und im Kontext der Gesamthandlung natürlich kongenial gut. Aber es nützt nichts, den Zuschauer mit solchen Episoden zu konfrontieren, ohne dass er diese Handlung kennt. Als Einzel- oder Doppelfolgen zum Einsteigen würde ich darum folgende Episoden vorschlagen: Das Mädchen im Kamin, Nicht blinzeln (eine Episode, die das Mysterium des Doctors noch verstärkt), Tödliche Stille/Wald der Toten (sämtliche aus der Ära des zehnten Doctors) oder Geisterjagd (elfter Doctor). Ich finde die genannten Episoden äußerst gelungen. Sie beinhalten für mich Seele, Atmosphäre und Stimmung, alles, was eine gelungene Doctor Who-Folge ausmachen sollte, und die Episoden warten mit überraschenden Einfällen und Storys auf. Es sind 165 auf jeden Fall alles Episoden, die mich zum Whovian gemacht haben! PK: Eure Antworten bringen mich zu etwas Länderspezifischem, da auch englische Titel genannt wurden. In Deutschland musste man lange Zeit auf die Synchronisation der Doctor Who-Serie warten, die ja auch bezüglich der klassischen Folgen längst noch nicht abgeschlossen ist. Wie ist das bei euch in der Schweiz oder in Luxemburg? Wartet ihr auf Synchronisationen oder seht ihr euch Serien und Filme üblicherweise im englischen Original an?

HE: Das ist für mich nicht schwer zu beantworten. Im Prinzip schaue ich mir alles im englischen Original an (anfangs mit Untertitel auf Englisch, mittlerweile ohne). Ab der Serie

166 rund um den neunten Doctor sind die deutschen Synchronisationen hervorragend, und ich habe mir diese Folgen auch schon sehr oft auf Deutsch angesehen. Die Folgen der Classic-Serie von Doctor Who jedoch haben eine gewöhnungsbedürftige Synchro, auch wenn die Neuaufmachung sehr gut geworden ist. In Luxemburg ist Doctor Who leider noch immer nicht sehr populär oder bekannt, aber Monique und ich arbeiten daran, das zu ändern (lacht). MO: Ich bin gebürtige Niederländerin, bin aber im Kindesalter nach Luxemburg ausgewandert. In den Niederlanden wird vieles in der Originalsprache ausgestrahlt und mit Untertiteln übersetzt. Lange habe ich mir in Luxemburg alles auf Deutsch angeschaut, da hier kaum etwas in Originalsprache ausgestrahlt wird. Ehrlich gesagt mag auch ich lieber Filme und Serien in englischer Originalsprache. Deswegen kaufe ich mir die neuesten Folgen oder auch die neu herauskommenden Folgen der Classic-Serie in der Originalsprache. MK: Ehrlich gesagt mache ich beides. In der Schweiz herrscht beispielsweise noch jene Kinokultur, dass Filme sowohl in der Originalsprache als auch auf Deutsch synchronisiert gezeigt werden (bzw. im Tessin auf Italienisch und in der welschen Schweiz auf Französisch). Ich finde, es wird seitens der Zuschauer auch viel an deutschen Synchros herumgemäkelt. Dabei sollte man deutschen Autorenteams und Synchronstudios durchaus mehrere Kränzchen winden, denn die machen seit Jahren bei Serien und Filmen einen Top-Job! Auch bei Doctor Who, wo ich die Synchro seit dem 167 neunten Doctor absolut gelungen, bisweilen sogar genial finde. All die One-liners und Wortwitzeleien bei Tennant und Smith beispielsweise, das muss man erst mal so hinbekommen! Ich habe mit dem Anschauen von Doctor Who auf Deutsch angefangen und mache das heute noch sehr gerne. Vor allem, wenn ich die Serie wieder mal jemand Neuem vorstelle. Da ich auf die aktuelle Staffel auf Deutsch meistens aber nicht warten mag, schaue ich sie natürlich auch im Original. Wobei ich gestehen muss, dass mein Englisch dann nicht für jeden Insider-Gag und jeden Wortwitz reicht und ich mir die Episoden hinterher auf jeden Fall auch noch einmal auf Deutsch anschaue. PK: Lasst mich ein heikles Thema anschneiden. Gibt es eurer Ansicht nach eine richtig schlechte Folge von Doctor Who? Aus der aktuellen oder aus der Classic-Serie? Und warum haltet ihr sie für schlecht? HE: Für mich gibt es nur eine einzige Folge, die ziemlich misslungen ist. Es ist ausgerechnet – oder ironischerweise – eine Folge von Moniques und meinem Lieblings-Doctor, dem vierten. Die Rache der Cybermen nämlich. Sogar der damalige Produzent Philip Hinchcliffe ist nicht besonders stolz auf die Folge. Umso mehr finde ich es schade, dass von den vielen tollen Folgen mit Tom Baker ausgerechnet diese auf Deutsch übersetzt wurde; wirklich sehr schade. Der Grund, wieso die Story mir nicht gefällt, ist der gleiche, den Hinchcliffe angibt, der sie einst als »silly« bezeichnete. Die Aliens sehen echt dämlich aus (zu billig gemacht, das sagen sogar die BBC-Leute selbst) und reden so geschwollen, dass es echt unerträglich ist (grinst). 168 AC: Es ist nicht ganz einfach, sich für eine Gurken-Folge zu entscheiden, obwohl es eigentlich gar nicht so viele Folgen gibt, die wirklich schlecht sind. Aus der letzten Staffel fand ich Verkehrte Welt (13. Doctor) völlig daneben. Die lieblose Story rund um dieses Solitract-Parallel-Universum, das sich quasi als Frosch in den Doctor verliebt ... Dazu ein entsetzlich herzlos-dämlicher Vater, der seine blinde Tochter sich selbst überlässt und ein stinkendes »«-Monster der Woche, das seine eigene Warnung in den Wind schießt und sich infolgedessen von Motten fressen lässt … Das hat mir richtig wenig Freude gemacht. Bei der Classic-Serie gibt es den nervtötenden Mehrteiler Das Urteil (zweiter Vierteiler der 24. Staffel) des sechsten Doctors, bei dem mich eigentlich weniger die Handlung stört als vielmehr die Darstellung. Oftmals wird übertrieben laut gesprochen, als wäre es ein Theaterstück, bei dem auch in der hintersten Reihe etwas zu hören sein muss. Der Darsteller des König Yrcanos, Brian Blessed brüllt sich förmlich durch die Folgen, sodass mich das beinahe aggressiv gemacht hat. MO: Ich kann so nicht sagen, welche Folge schlecht war. Es gibt sicherlich welche ... Aber mich stört das nicht so. Jede Serie hat mal eine Folge, die etwas weniger gut geschrieben ist. Ich schaue auch die schlechteste Folge ... Es ist schließlich Doctor Who! MK: Bezüglich der »alten« Folgen – und damit meine ich jene bis und mit Sylvester McCoy und den TV-Film von 1996 – enthalte ich mich eines Urteils oder einer Meinung, da ich nur einzelne kenne und mir der Gesamtüberblick fehlt, um 169 die Episoden besser einordnen zu können. Ich beschränke mich deshalb auch hier auf die New-Who-Ära. Grundsätzlich ist zu sagen, dass ich natürlich Doctor Who und somit auch jede einzelne Folge liebe, obgleich der Trash-Faktor schon mal ungeahnte Höhen erreichen kann. Trotzdem: Auch weniger gelungene Episoden haben meistens ihre starken Momente und tragen etwas zum großen Ganzen der Serie bei. Vielleicht der Haupthandlungsstrang nicht immer, sondern vielmehr kleine Szenen oder Bemerkungen nebenbei. Dennoch habe ich zwei Episoden, die ich beim Anschauen mit Drittpersonen am liebsten immer überspringen würde, da sich mich – ganz einfach gesagt – langweilen. Dies sind Kalter Krieg aus der Matt-Smith-Ära und Mission Dalek aus der Peter-Capaldi-Ära. Zudem – und da wage ich mich jetzt wohl auf dünnes Eis … Ich habe sehr, sehr, sehr große Mühe mit der aktuellen elften Staffel. Um es gleich vorweg zu nehmen: Ich finde einen weiblichen Doctor super, und ich finde Whittaker super! Sie ist die positive Überraschung in der aktuellen Reihe. Aber ganz ehrlich gesagt: In keiner einzigen der zehn Folgen bisher hatte ich auch nur annähernd das Doctor Who-Feeling früherer Tage. Von Hühnerhaut oder Überraschungseffekt ganz zu schweigen. Noch nie war Doctor Who für mich so weit weg von dem, was ich an Doctor Who liebe. Mehr dazu gleich … PK: Weil Blessed gerade erwähnt wurde, will ich ihn eben zur Diskussion in die Runde stellen. Blessed selbst hat geäußert, gerne die Rolle des Doctor Who als eine der 170 nächsten Inkarnationen übernehmen zu wollen (das war noch zu Capaldis Zeiten), wenn er die Chance dazu bekäme. Wie steht ihr zu dieser Idee? Könntet Ihr euch Blessed als Doctor vorstellen? HE: Ich schätze Blessed in vielen Rollen als Schauspieler. Er ist prädestiniert für schrille, laute Charaktere wie Herrscher, Krieger oder auch lustige Figuren, aber meiner Meinung nach niemals für den Doctor. MO: Oh ja, definitiv! Der würde einen echt verrückten Doctor abgeben! Ich denke, das wäre dann so eine Mischung aus dem zweiten, dem dritten, dem vierten und dem sechsten Doctor mit einem Hauch vom Kriegs-Doctor und einem Hauch vom elften (lacht). AC: Ich bin überrascht, dass Blessed so einen Bekanntheitsgrad hat. Da ich ihn bislang nur in der für mich anstrengenden Rolle des Königs Yrcanos erlebt habe, kann ich ihn mir als »schreienden Doctor« kaum vorstellen. Dennoch bin ich grundsätzlich offen für Veränderungen, wann immer eine weitere Regeneration ansteht. Wer auch immer in die TARDIS einzieht (m/w/d), kann sich meines Interesses sicher sein. MK: Blessed … interessant! Ich denke, ich hätte ihn mir gut vorstellen können – aber eben gerade zu der Zeit um 1980, als er den Vultan in Flash Gordon gegeben hat. Heute würde ich einfach aufgrund seines Alters eher davon absehen. Trotz seiner lauten und zuweilen schrulligen Art, die ich mir als Wesenszüge des Doctors schon recht gut vorstellen könnte. Aber als Gastrolle – auch als genialer

171 Gegenspieler – würde ich ihm als BBC fast alles anbieten, was ich anzubieten hätte. PK: Dann lasst uns noch mal auf den aktuellen Doctor in seiner erstmals weiblichen Inkarnation zu sprechen kommen. Wie gefällt euch die aktuelle Staffel? Markus, magst du noch mehr dazu sagen? MK: Vorweg noch mal: Ich finde die Figur des weiblichen Doctors klasse, die Geschichten drum herum hingegen leider eher nicht. Die elfte Staffel der New-Who-Ära hat meiner Ansicht nach mit Problemen an ganz vielen Fronten zu kämpfen. Erstens: neuer Showrunner und neues Team. Chris Chibnall ist sicher ein begnadeter TV-Macher, und mit Serien wie Broadchurch hat er dies auch nachdrücklich bewiesen. Doch genau diese Broadchurch-Ernsthaftigkeit, -Steifheit und -Langsamkeit hat nun in der aktuellen Doctor Who-Staffel Einzug gehalten. Und da, finde ich, haben all diese Attribute nichts verloren. Zweitens, die Storylines. Kurz gesagt: langweilig, öde, dröge. Ich bin mehrmals während des ersten Ansehens auf der Couch sanft entschlummert, habe mit meiner Freundin gegessen oder mich in Diskussionen verloren. Ein Umstand, den es vorher in unserer Doctor Who-Welt nicht gab. Da war absolute Konzentration und Faszination beim Anschauen einer jeden Episode angebracht, damit man nur ja keine Hinweise und kein Fitzelchen der Storyline verpasst. Dazu kommen ungewollte und unpassende direkte politische Verweise. In Doctor Who waren natürlich schon immer auch politische Kommentare in den Episoden 172 enthalten, allerdings subtil und nicht mit dem Brachial-Hammer serviert, wie das hier der Fall ist. Drittens: die Stand-Alone-Episoden. Episoden ohne Rahmenhandlung zu erzählen würde ja wahrscheinlich noch funktionieren, wenn sie denn spannend wären. So aber wirkt dieser Entscheid wie ein Bumerang, und man vermisst eine übergeordnete Handlung und einen roten Faden umso schmerzlicher. Viertens: die Companions. Drei an der Zahl sind mindestens zwei zu viel. Eine Konzentration auf die Figur von Graham O’Brien beispielsweise, und damit auch eine Vertiefung hätte hier gut getan. Die drei Companions haben an sich leider keine Funktion, ihre Handlungsweisen sind fast beliebig untereinander austauschbar und daher eigentlich fast komplett überflüssig. Die Figuren sind weit davon entfernt, einen Background zu haben wie einst Clara, Amy Pond oder Rose Tyler. Fünftens – die TARDIS. Die kommt in der dritten Episode überhaupt erst zum Zug. Das neue Erscheinungsbild ist diskutabel, haut mich aber alles andere als aus den Socken. Zudem: Die TARDIS wird zum reinen Fortbewegungsmittel degradiert; man spielt überhaupt nicht mit ihren Möglichkeiten und/oder ihrem Mysterium. Da hilft auch die »kleine TARDIS« als schmuckes Beiwerk auf der Konsole nichts. Sechstens … der Soundtrack. Schon das Capaldi-Intro vorher war mir zu »kreischend«. Klar soll der Elektro-Sound bestehen bleiben. Die Mischung aber macht's. Und für mich war die Mischung zwischen klassischem Orchester mit der 173 Einbindung des elektronischen Themes immer ein Glanzpunkt der Serie. Dass die Serie mit Staffel 11 aber auch den Komponisten gewechselt hat, verdeutlicht die Defizite umso drastischer. Der Soundtrack ist abwechselnd kreischend oder »schummrig«, am schlimmsten ist allerdings: Der Sound wirkt durch die Bank lustlos. Punkt 7 – das Intro, das mich permanent an das Innenleben einer Gebärmutter in Form eines Rorschachtests erinnert. Dazu gesellen sich schwache Gegenspieler, fade Aliens und wie schon gesagt zuweilen ein Tempo, das an ein Schneckenrennen erinnert. Ein Highlight zum Schluss war Episode 11, die Silvester-Episode, in der man auf »Altbewährtes« zurückgriff. Und obwohl ich nicht der größte Dalek-Fan, sondern der Meinung bin, in der Serie wäre diesbezüglich weniger oft mehr gewesen: Bei dieser Folge hatte ich zum ersten Mal nach einer ganzen Staffel wieder ein vertrautes Doctor Who-Feeling. AC: Ich hatte die ersten Abenteuer des 13. Doctors, mit dem erwartungsgemäß viele Veränderungen einhergegangen sind, mit großer Spannung erwartet. Erstmals eine Frau als Doctor, gleich drei neue Companions, eine neue TARDIS-Einrichtung und auch neue Drehbuchautoren mit neuem Showrunner ... Das ist schon eine Hausnummer. Meine Hoffnung ist, dass Chibnall das Jahr nutzen wird, um der kommenden Staffel noch mehr Kontinuität angedeihen zu lassen und einen roten Faden einzufügen, der in dieser Staffel fast völlig fehlte. Die Folgen waren auch nicht wirklich fesselnd und wirkten teilweise lustlos inszeniert. Doch es gab auch Lichtblicke, wie die 174 Folge rund um die amerikanische Bürgerrechtlerin Rosa Parks oder auch das Neujahrs-Special. Mit O’Brien als Companion bin ich erst am Ende der Staffel einigermaßen warm geworden; die beiden anderen kamen nicht besonders zur Geltung. Yasmin Khan gefällt mir von ihrer Art her noch am besten, doch ihr Charakter braucht definitiv etwas mehr Tiefgang. Whittaker fand ich prima, wenngleich ich ihre Verteidigungsrolle der Menschheit oft etwas zu dick aufgetragen fand. In Chibnalls Broadchurch fand ich ihre Rolle damals sehr glaubhaft und gut gespielt. Allgemein finde ich sie als weiblichen Doctor attraktiv, und insbesondere mag ich ihr Naserümpfen. Dennoch braucht sie für die nächste Staffel unbedingt etwas, was sie besonders macht, und vor allem bessere Drehbücher. Dann würde das Ganze schon passen. MO: Die Idee, eine Frau als Doctor zu casten, fand ich superklasse. Im Allgemeinen bin ich sehr offen für was Neues. Die Trailer fand ich sehr interessant, und ich dachte mir: Wow, das wird sicher etwas! Leider wurde ich doch ein wenig enttäuscht. Die Storys sind etwas fade ... Es fehlt mir einfach das gewisse Doctor Who-Etwas! Im Großen und Ganzen ist die Staffel durchschnittlich okay. Whittaker als Doctor ist klasse, und sie macht das schon gut ... Durch ihren Geschichtenmacher aber fehlt mir der typische Spirit. Ich hoffe, die zweite Staffel wird besser. Auch ich finde, dass drei Companions zu viel auf einmal sind. Es steckt kein Leben in ihnen. Aber auch hier hoffe ich mal auf die zweite Staffel. Ich blicke mit Zuversicht in die zweite Runde und freue mich auf mehr von Frau Doctor! 175 HE: Ich fühle mich zur Zeit absolut allein im Doctor Who-Universum. Schon allein, da ich Whittaker absolut liebe und ich mich nicht an drei Companions störe. Immerhin war am Anfang der erste Doctor auch mit drei Companions unterwegs. Der vierte hatte am Ende auch drei Companions, der dritte Doctor hatte zeitweise ebenfalls drei Companions … Das Konzept ist also alles andere als neu. Ich stehe wohl alleine mit der Meinung da, dass das Ganze eine tolle Abwechslung ist. Es ist mir mittlerweile fast peinlich, das zuzugeben; ich muss das immer und überall erklären, als wäre es etwas Falsches. Ich bin ein emotionaler Mensch, der in dieser elften Staffel sehr viele herzergreifende und überwältigende Momente erleben durfte, weil ich diese zugelassen habe, sie an mich habe herankommen lassen. Aber davon soll sich bitte niemand angegriffen fühlen. PK: Vielleicht sind es diesmal nur zu viele Neuerungen auf einmal. Aber kann man das nicht eher als Chance sehen, aus den bequemen, ausgetretenen Pfaden zumindest ein Stück weit auszubrechen und Doctor Who dadurch zu ... regenerieren? MK: Ich freue mich sehr auf die neue Staffel! Der Trailer gefällt mir sehr. Sicher auch, da es einige alte Bekannte gibt, die darin auftauchen. Von den Cybermen über die Judoon bis hin zu jemandem, dessen Kopf sehr jenem der Racnoss-Königin ähnelt. Wer jetzt denkt, ich bin nur mit Altbewährtem zufriedenzustellen, der irrt. Lieber Peter, ich gebe dir Recht: Es soll Neues ausprobiert werden. Gerade deswegen liebe ich Doctor Who ja so, da diese Serie so wie auch der Ableger Torchwood neue Wege beschritten hat. 176 Was mir an der letzten Staffel nicht gefallen hat, ist reine Geschmackssache. Ich wünschte mir, es wäre mir wie Heng ergangen! Aber genau deshalb ist die Serie so faszinierend, weil sie auf ganz verschiedenen Ebenen berührt und unterhält. Und gibt es mal eine Durststrecke innerhalb dieser 11 Staffeln der neuen Ära, weil diese dem einen oder anderen nicht ganz so gefallen, ist das qualitativ immer noch ein verdammt gutes Level. MO: Ich bin gespannt, wie es 2020 mit dem Doctor weiter geht. Es gab schon hier und da einen kleinen Spoiler, der mich sehr gefreut hat. Ich denke, die Macher kommen so langsam wieder in den Doctor Who-Flow. Ich freu mich auf jeden Fall auf die zweite Staffel! AC: Ich glaube nicht, dass es so weit ist, dass Doctor Who sich schon wieder neu erfinden muss. Die Möglichkeiten waren und sind so vielfältig, da steckt noch so viel Potential drin, dass eine Regeneration schlichtweg nicht notwendig erscheint. Whittaker wird zu einem fabelhaften Doctor werden, wenn die künftigen Drehbücher zulassen, dass sie sich so entfalten kann, wie die Fans es lieben, ihren Doctor zu erleben. PK: Kommen wir zur dunklen Seite der Zeitreisen. Hand aufs Herz – welcher ist euer Lieblingsgegner? Ist es einer der regelmäßig wiederkehrenden oder gar ein einzelner Schuft, der zwar nur einen oder wenige Auftritte hatte, euch aber nachhaltig beeindruckt hat? AC: Der Master ist der von mir am meisten geschätzte Schurke. Visuell finde ich den diabolisch dreinschauenden Anthony Ainley am gelungensten, allerdings finde ich John 177 Simm als Gegner des zehnten Doctors unschlagbar. Bei den »Monsterschöpfungen« sind die weinenden Engel meine Favoriten. HE: Oh mein Gott, das ist für mich die bis jetzt schwerste Frage. Echt, ich kann mich da nie entscheiden. Aber ich muss dazu endlich mal ein Statement abgeben; ihr seid dann aber wirklich die allerersten, die das erfahren. Da ich die Serie ja auch von Anfang an gesehen habe, sind natürlich die Daleks der Klassiker. Ansonsten wäre es interessant, einige »vergessene« Bösewichte zurückzubringen ... Beispielsweise den »Meddling Monk«, die Rani ... und – unbedingt – Sutekh und Rassilon. Das sind auch sehr interessante Figuren. Doch noch einmal: Sie sind alle interessant! MO: Wie »der Doctor« (Heng) schon schreibt: Es gibt so viele tolle Gegner! Ich mag am allerliebsten den Master! Auch diese Regenerationen bringen jedes Mal tolle Gegner hervor. Aus der Classic-Serie sind Roger Delgado und Ainley als Master und aus New Who Missy meine Lieblingsgegner. MK: Oh, ein Lieblingsthema von mir (grinst breit)! Ich finde, eine Serie oder auch ein Film sind immer nur so gut wie der Gegenspieler oder Bösewicht! Sofern dies natürlich überhaupt der Inhalt des Werks ist. Beim Doctor gilt dies auch. Selbstredend bin auch ich Fan von der Figur und der Idee des Masters. Obschon ich kein Kenner der alten Folgen bin, finde ich die Erscheinung von Ainley super. Er erinnert halt auch sehr an Bösewichte aus den gotisch angehauchten Hammer-Filmen oder den Amicus-Filmen, oder an Leslie

178 Banks aus dem Klassiker Graf Zaroff – Genie des Bösen. Ich finde aber Simm und Michelle Gomez ebenfalls unschlagbar. Ich bin absoluter Fan der weinenden Engel; das Konzept ist horrorfilmtauglich und »Don’t Blink« ein Highlight der Serie! Zudem bin ich auch Fan der »Stille«. Die Kreaturen, die man sofort vergisst, wenn man sie nicht mehr sieht, finde ich ebenfalls vom Konzept her und der Idee dahinter genial! Ich bin kein großer Fan von Daleks und Cybermen, obschon ich ihre Auftritte grundsätzlich sehr schätze, dies im Kontext, welche Wichtigkeit sie für die Serie haben. Allerdings wurden sie meines Erachtens eine Zeitlang etwas zu inflationär eingesetzt, weswegen sie bei mir etwas an Schrecken eingebüßt haben. Ich finde auch, dass es große qualitative Schwankungen bei den Dalek- bzw. Cybermen-Geschichten gibt. Da ist von brillant bis Trash alles dabei! Aber ich liebe alle! PK: Damit sind wir auch schon am Ende unseres Interviews angekommen, und ich bedanke mich ganz herzlich, dass ihr euch die Zeit genommen und die Runde so angenehm gemacht habt. Eine letzte Frage: Zu welchem Thema des Zeitreisenden würdet ihr euch einen Artikel im Corona Magazine wünschen? HE: Da ich leider noch gar nicht die gefühlten 100.000 Bücher zum Franchise gelesen habe, würde es mich sehr interessieren, die Geschichte vor der ersten Inkarnation des Doctors zu kennen (die Erschaffung der Timelord-Technologie, Rassilon, Omega etc.). Aber auch der Werdegang von Leela ... Leelas Geschichte ist auch toll (so

179 wie auch die von Romana). Weil man das Ganze eben nicht in der Serie sieht. Das wäre mal sehr spannend. MO: Gute Frage (grinst)! Es gibt noch so viele interessante Themen. Ich wüsste so direkt nicht, wo man anfangen soll oder könnte. Mich würde ja schon interessieren, was aus Captain Jack (aus Torchwood) geworden ist. Ist er nun das Gesicht von Boe? Und wie sind die weinenden Engel entstanden? Wenn man die Spin-off-Serie Class gesehen hat, weiß man ja, dass auch dort einer der weinenden Engel auftaucht. Mysteriös! Und … und ... und. AC: Nicht so leicht zu beantworten. Ich bin grundsätzlich offen für alles, was zu meinem Lieblings-»Arzt« veröffentlicht wird. Schick wäre eine Reihe mit Erklärungen und Randnotizen zu den Doctors, Companions, Gegnern und Orten, um Whovian-Anwärtern den Einstieg zu erleichtern. Cool wäre auch mal, einzelne Folgen herauszupicken und zu sezieren, mit fröhlichen Anmerkungen zu Regiefehlern. Eine Freundin von mir liebt es etwa, mich darauf hinzuweisen, dass bei Smith in der einen Szene die Tolle perfekt sitzt, in der nächsten nicht, dann wieder schon usw. So eine Art kleines Kompendium? Vielleicht gibt es noch den einen oder anderen Aha-Effekt zur Handlung einzelner Folgen. Ohne dass ich konkret werden kann: Es gibt einzelne Folgen von Steven Moffat, bei denen ich beim Ansehen nicht so ganz um drei Ecken denken konnte wie er. Das würde natürlich eine immense Recherchearbeit erfordern, die kaum jemand bewältigen kann. Schwierig. Aber spannend wäre es allemal. Oder wie wäre es, wenn man 180 einen kleinen Reiseführer gestaltet, mit Tipps, wo man auf den Spuren des Doctors wandeln kann? Natürlich nur, falls sie sich in der Gegenwart und in räumlicher Nähe befinden ... Fazit Wenn man eins nach diesem Interview festhalten kann, dann, dass Doctor Who selbst unter den Fans oft durchaus kontrovers aufgenommen wird. Aber bei einem sind sich dann doch alle einig: Doctor Who bietet für jeden etwas und ist so vielfältig wie keine andere Serie. Was die letzte Frage betrifft, so sind in den Antworten Wünsche enthalten, die sich tatsächlich nur mit einigem Aufwand realisieren lassen. Die Zeit wird zeigen, wohin die Corona Magazine-TARDIS die Redaktion noch so führen wird.

181 Phantastisches Spielen

DOOM: Das Brettspiel – Eine Reise in die Abgründe des Mars von Peter R. Krüger

Testspieltag mit Jörg und Nico. Diesmal ist DOOM-Das Brettspiel fällig. Zu Beginn schwelgen wir in Erinnerungen. Wie war das noch mit DOOM? Anfang der 1990er Jahre gab es da ein Computerspiel für den PC, das hierzulande auf dem Index stand. In Anbetracht dessen, welche Pixelgrafik einen dort erwartete, im Gegensatz zu den optisch viel wirkungsvolleren DOOM-Vertretern heutiger Zeit, ist das eigentlich albern. Das haben sich die Jugendschützer vielleicht auch vor ein paar Jahren gedacht, und so ist mittlerweile die komplette DOOM-Reihe ganz offiziell erwerbbar, ohne die Spielepackung unter der Ladentheke übergeben zu müssen. Einen DOOM-Kinofilm gab es auch noch, im Jahr 2005, mit Dwayne »The Rock« Johnson und Karl Urban auch recht hochkarätig besetzt. Am bemerkenswertesten ist hier die Egoshooter-Sequenz.

182 Ja, und ein Jahr zuvor, 2004, gab es bereits ein erstes DOOM-Brettspiel, heutzutage eine schwer erhältliche und sehr teure Rarität. Glücklicherweise gibt es seit 2016 aber ein neues DOOM-Brettspiel, das wir für diese Rezension unter die Lupe genommen haben. Nico ist glücklicher Besitzer des ersten Brettspiels und hat gleich eine Vergleichsanalyse angestellt. Optisch gefiel ihm vieles am neuen DOOM besser, einiges fand er aber im Vertreter von 2004 angenehmer – zumindest vor dem Spiel. Definitiv waren wir uns gleich einig, dass die Verarbeitung sehr hochwertig ist, wie man es von Spielen der Firma Fantasy Flight Games (FFG), die hierzulande vom Spieleverlag Asmodee vertrieben werden, gewohnt ist. Und doch – die Figuren, die Spielfelder und auch die Karten – insgesamt wirkt alles noch ein Stück hochwertiger und

183 detaillierter als im »alten« DOOM-Brettspiel, welches ebenfalls aus dem Hause FFG stammt. Darüber hinaus wartet es mit einer wirklichen Menge an Spielmaterial auf.

Worum geht es überhaupt? Auf dem Mars ist im wahrsten Sinne des Wortes die Hölle los. Das Forschungslabor auf dem Mars wurde aus irgendeinem noch nicht erklärbaren Grund von allerlei Dämonen überrannt. Menschen wurden getötet, oder – schlimmer noch – zu gefährlichen besessenen Monstern transformiert. Dass das kein akzeptierbarer Zustand ist, dürfte klar sein, und so werden bis zu 4 tapfere Marines ausgesandt, um der Höllenbrut den Garaus zu machen. Soweit zur Story und auch zur Aufgabe der Spieler. Gespielt wird mindestens zu zweit, besser aber mit mehr Spielern. Ein Spieler übernimmt dabei die Rolle des sogenannten »Zerstörers«, der all die Horden von Dämonen auf die anderen Spieler hetzen darf. Allerdings nicht ganz nach Lust und Laune, sondern nach vorgegebenen Szenarien. Die restlichen Spieler übernehmen die Rollen der Marines.

184 Auf geht’s! Sehr gut hat uns die Einführung in das Spiel mittels eines Tutorials gefallen. So konnten wir recht schnell nach dem Aufbau ins Spielgeschehen einsteigen. Das ist zwar im ersten Moment einfacher als im »alten« DOOM, allerdings am Ende auch komplexer. Dadurch, dass die Züge kartenbasiert sind, muss man sich entscheiden, welche Karte man ausspielt, um möglichst sinnvolle und vor allem effektive Handlungen durchzuführen. Wer als Erster am Zug ist, wird durch das Ziehen von Initiativekarten bestimmt. Die Marines dürfen in ihrem Zug eine Hauptaktion und beliebig viele Nebenaktionen durchführen, während der Zerstörer, wenn er am Zug ist, eine Gruppe seiner Dämonen

185 aktiviert. Im Groben beschränken sich die Aktionen auf »Laufen, Schießen, Türen öffnen«, die Marines dürfen zusätzlich noch »Gegenstände aufheben«.

Klingt einfach? Ist es auch! Um den Schaden zu ermitteln, wird gewürfelt, der jeweilige Gegner kann aber mit etwas Glück Schaden abwenden, wenn er eine Karte vom Aktionsdeck zieht, die ihm entweder einen Rüstungsbonus erlaubt oder ihn sogar ausweichen lässt. Im Grunde war es das auch schon. Ein paar Detailregeln haben wir dann im Laufe des Spiels geklärt, der Spielfluss wurde dabei aber kaum behindert. Nach dem Tutorial wird das Spiel noch um ein paar zusätzliche Regeln erweitert, die sich dann aber schnell 186 einprägen und dem Kampf gegen die lästigen Marines bzw. gegen die gefährlichen Dämonen noch einen guten Schub an Tiefgang gönnen. Das Spielfeld baut man aus mehreren Spielfeldteilen zusammen. Diese sind zudem nicht nur doppelseitig bedruckt, sondern auch noch sehr stimmungsvoll gestaltet. Das Prinzip der zusammensteckbaren Spielplanteile kennt man übrigens schon aus dem beliebten DESCENT, und auch die Vorgängerversion des DOOM-Brettspiels nutzte diesen sehr variablen Aufbau. 2004 waren aber viel mehr Gänge dabei, die diesmal zugunsten kompakterer Spielbereiche mehr Räumen weichen mussten. Mehr nahe beieinander liegende Räume bieten zudem auch spannendere Gefechte als auf langen Fluren. Gute Entscheidung! Im Allgemeinen haben wir festgestellt, dass das »neue« DOOM um einiges spielerfreundlicher ist. Das »alte« DOOM war für die Marines bockschwer. Man durfte sich kaum Fehler erlauben, was eine gehörige Hemmschwelle für die Motivation der Spieler darstellte. Bei der Ankündigung, dass wir demnächst das neue DOOM-Brettspiel testen würden, ließ mein Mitspieler Jörg es sich nicht nehmen, festzustellen, dass sich seine Begeisterung in Grenzen halten würde, da er das Spiel von 2004 bereits kenne.

Das war aber falsch gedacht! Im Prinzip bleibt DOOM gleich. Marines müssen Dämonen bekämpfen, oder eben umgekehrt. Aber die Änderungen in der Spielmechanik sind durch die Bank weg 187 Verbesserungen, die den Spielfluss beschleunigen und die Balance in einem angenehmen Gleichgewicht halten.

Fazit DOOM-Das Brettspiel gehört zu den Expertenspielen. Das setzt grundsätzlich etwas mehr Einarbeitung voraus, doch sollte man sich davon nicht abschrecken lassen. Am neuen DOOM-Brettspiel von 2016 etwas Negatives festzustellen, fällt nämlich ausgesprochen schwer. Das Material ist sehr hochwertig, die Illustrationen sind sehr stimmig. Der Regelaufbau ist während eines Tutorials schnell erlernt, und der Spielfluss ist zügig, einfach und spannend zugleich. Was im Regelheft nicht zu finden ist, erklärt das Referenzhandbuch (auch in Heftstärke). Das dritte Heft beschreibt die beiden Operationen, die jeweils aus sechs Missionen bestehen, behandelt also satte 12 Spielfelder. Die Spielzeit, die mit 2-3 Stunden angegeben ist, versteht sich pro Mission und darf durchaus auch auf das Tutorial angewandt werden. Die Zeit vergeht hier jedoch regelrecht wie im Fluge. Man muss aber darauf gefasst sein, dass dieses Spiel eindeutig darauf aus ist, dass eine Seite (Zerstörer oder Marines) in den Missionen gehörig was »aufs Dach« bekommt und die Gegenseite sich diebisch darüber freuen wird. Wer mit diesem »Mensch ärgere dich nicht«-Effekt zurechtkommt, auch wenn er das Spiel verliert, der wird hier großen Spaß haben.

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189 Rückkehr nach Baldur’s Tor von Peter R. Krüger

Über 20 Jahre nach dem ersten Baldur’s Gate-PC-Rollenspiel wird es eine Rückkehr in das Dungeons & Dragons-Universum geben. Die sprichwörtliche Bombe platzte, als im Juli 2019 bekannt gegeben wurde, dass das belgische Entwicklerteam Larian Studios in Zusammenarbeit mit dem Lizenzinhaber des Dungeons & Dragons-Franchises – Wizards of the Coast – bereits am dritten Teil der legendären Rollenspielreihe arbeitet. Die wichtigste Frage für Fans der Reihe lautet: Wann wird der Release sein? Dazu hat sich der CEO der Larian Studios, Swen Vincke, bislang nicht konkret geäußert. Eine Veröffentlichung 2020 scheint möglich, 2021 ist aber wahrscheinlicher. Dazu würden Vinckes Aussagen über seine Erwartungen an Stadia im Vergleich zu den geplanten Konsolen PS 5 und Xbox Series X (Nachfolger der Xbox One) auch eher passen. Aktuell jedenfalls ist der Release nur für PC und eben Stadia geplant. Alle anderen Plattformen gehen (zumindest vorerst) leer aus.

190 Ein erster Trailer zeigt recht eindrucksvoll die düstere Atmosphäre, die die Spieler von Baldur’s Gate erwarten können. In diesem Trailer verwandelt sich ein Mann sehr unfreiwillig in einen sogenannten Ilithiden, einen Gedankenschinder. Das allein gibt schon Anlass zur Spekulation, doch lassen wir vorher noch einige Fakten sprechen, die bislang bekannt geworden sind. Baldur’s Gate 3 wird inhaltlich kein direkter Nachfolger des hochgelobten und von Spielern geliebten Baldur’s Gate 2 werden. Vielmehr wird das Setting rund um die Stadt Baldur’s Tor, die Schwertküste und auch das Regelwerk der Dungeons & Dragons-Edition 5 dem neuen Spiel als

191 Grundlage dienen und soll damit ein tiefgründiges Rollenspielerlebnis werden. Laut Vincke wurde das Team für die Entwicklung von Baldur’s Gate 3 verdreifacht, um auch einige riskante Pläne umsetzen zu können. Was genau damit gemeint sein könnte, bleibt noch hinter verschlossenen Türen, doch äußerte sich Vincke zumindest dahingehend, dass geplant sei, Baldur’s Gate 3 derart zu gestalten, dass es sowohl D&D-Fans anspricht, aber auch das Interesse von Gamern wecken soll, die mit D&D noch keine Erfahrungen haben. Sicherlich eine Gratwanderung, die nicht einfach zu meistern sein dürfte. Einige Probleme stellen hierbei auch die Regeln von Dungeons & Dragons dar. Hier ist man sich noch nicht im Klaren darüber, ob und wie man die Aufstiegsregeln derart anpassen kann, dass der Spieler in angemessener Geschwindigkeit höher leveln kann.

Im Reich der Hypothesen Nimmt man diese Informationen zusammen, dann darf man spekulieren, dass die Stadt Baldur’s Tor vermutlich von Gedankenschindern überfallen wird. Ob die Geschichte der ersten beiden Teile, die seinerzeit vom kanadischen Entwicklerstudio Bioware aus der Taufe gehoben wurden, hierbei zumindest einen Teil der Hintergrundgeschichte bieten wird, ist zwar ungewiss, aber immerhin vorstellbar. Anhand des Teasers ist die Bedrohung zumindest erstmal ausgemacht.

192 Was bisher geschah Wer bislang noch keine Berührung mit dieser Rollenspielreihe hatte oder sich gerne an alte Zeiten erinnern möchte, dem soll hier ein kleiner Rückblick gewährt werden. Es war das Jahr 1998, als das kanadische Softwareentwicklerstudio Bioware Corp. mit einem Spiel auf der Bühne erschien, dem die Rettung der PC-Rollenspiele zugeschrieben wird. Die Rede ist natürlich vom ersten Baldur’s Gate. Ursprünglich als Strategiespiel geplant, wurde im Laufe der Entwicklung die AD&D 2nd Edition-Lizenz erworben und ein waschechtes Rollenspiel erdacht, das zugegebenemaßen auch irgendwie ein wenig an ein Strategiespiel erinnert. Wer jetzt über AD&D 2nd Edition gestolpert ist, dem sei nur kurz erklärt, dass das Dungeons & Dragons-Rollenspielregelwerk in seiner Pen & Paper-Version damals eine Grundversion (das reine D&D) und eine erweiterte Regelversion (die Advanced Dungeons & Dragons) beinhaltete und zu dieser Zeit noch in der sehr

193 populären, aber auch umständlichen 2nd Edition verfügbar war. Die goldenen Zeiten des PC-Rollenspiels schienen vorüber zu sein. Die Klassiker von SSI, einer ehemaligen Spieleschmiede (z.B. Curse of the Azure Bonds) waren mittlerweile veraltet, andere Serien wie Might & Magic, Ultima oder Wizardry hatten zwar noch ihre Anhänger, fanden aber nicht mehr den gewünschten Absatz am Markt. Neuere Titel wie das erste Fallout oder Diablo (beide 1997) weckten zwar wieder Interesse, aber noch war das PC-Rollenspiel in einem Dämmerzustand und wurde bereits des Öfteren für tot erklärt. Ein Phänomen in der Spielebranche, das durch die Bank weg alle möglichen Genres trifft – Adventures, Rundenstrategie, Echtzeitstrategie, Jump & Runs etc. p.p. 1998 jedoch wurde Baldur’s Gate veröffentlicht und mischte die PC-Rollenspiele ordentlich auf. Tiefgründige Geschichte, schöne 2D Grafiken, isometrische Perspektive (Vogelflugperspektive), pausierbare Kämpfe und das AD&D-Regelwerk. Die Kombination war unschlagbar. Dazu kam noch ein Mehrspielermodus, in dem man sich bis zu 6 eigene Charaktere erschaffen und damals noch im LAN-Netzwerk die komplette Kampagne mit Freunden durchspielen konnte. Zu der Zeit waren MMORPGs längst noch nicht in verbreitet. Man traf sich wirklich noch mit dem PC im Gepäck, um gemeinsam am Wochenende in einem Raum an mehreren PCs dasselbe Spiel zu spielen. Inhaltlich geht es darum, dass der junge Hauptcharakter sein behütetes Leben in Kerzenburg aufgeben muss, als er 194 Zeuge wird, wie dunkle Gestalten seinen Lehrmeister und Ziehvater Gorion ermorden. Dem Charakter gelingt die Flucht, und im Laufe der folgenden Abenteuer stellt sich heraus, dass er selbst Ziel des Mordanschlags war. Mehr soll hier zum Inhalt nicht erklärt werden, denn wer das Spiel noch nicht gespielt hat, dem soll der Spaß an dieser Stelle nicht verdorben werden. 1999 legte Bioware noch eine Schippe nach und veröffentlichte das Add-In Legenden der Schwertküste, welches das Spiel um einige Inhalte erweiterte. Die Infinity Engine, die eigens für Baldurs Gate von Bioware entwickelt wurde, erfreute sich auch beim Publisher Interplay und deren Rollenspiel-Division Black Isle Studios, bei denen Baldurs Gate veröffentlicht wurde, großer Beliebtheit. Und so sprangen die Black Isle Studios auf den Zug auf und entwickelten zusammen mit DSA-Legende Guido Henkel (Attic – Die Nordlandtrilogie) das Spiel Planescape: Torment (1999) und (ohne Henkel) Icewind Dale (2000). Bioware indes bastelten fleißig weiter an ihrer Geschichte und veröffentlichten schließlich ebenfalls im Jahre 2000 den Nachfolger – Baldur’s Gate 2: Schatten von Amn. Das Spiel wurde ein noch größerer Erfolg als der erste Teil, und so war es nicht verwunderlich, dass nochmals Nachschlag kommen sollte. 2001 war quasi das Jahr der Infinity Engine. Zuerst brachte Black Isle das Add-On Herz des Winters für Icewind Dale heraus. Dann folgte Biowares Add-On Thron des Bhaal für Baldur’s Gate 2, und schließlich folgte dann noch ein 195 weiteres Icewind Dale-Add-On: Trials of the Luremaster, auf Deutsch: »Die Herausforderungen des Meisters der Verlockung«. Wahrscheinlich einer der sperrigsten Titel, die es gibt, aber sehr actionreich zu spielen. Damit war dann aber auch vorerst Schluss mit Baldur’s Gate. 2002 veröffentlichte Black Isle auf Grundlage der Infinity Engine dann noch Icewind Dale 2, aber fortan hoffte die Spielergemeinde lange vergebens auf einen Fortsetzung der Baldur’s Gate Reihe.

Lange Jahre des Wartens Dabei war das so nicht geplant. Tatsächlich gab es Pläne, einen weiteren Teil zu entwickeln. 2003 waren die Black Isle Studios dabei, Baldur’s Gate III: The Black Hound zu entwickeln, als Bioware schon mitten im nächsten Projekt steckte, nämlich Neverwinter Nights. Dann aber verlor Interplay (die Mutterfirma der Black Isle Studios) die D&D-Lizenz, und Baldur’s Gate III: The Black Hound musste eingestampft werden.

196 Im gleichen Jahr geriet Interplay dann derart in finanzielle Schwierigkeiten, dass die Black Isle Studios geschlossen, allen dort beschäftigten Mitarbeiter gekündigt und auch das Projekt Van Buren, hinter dem sich das eigentliche Fallout 3 befunden hatte, eingestampft werden musste. Ersatzweise folgen auf den damaligen Spielekonsolen bereits im Jahre 2001 Baldur’s Gate: Dark Alliance von den Snowblind Studios und als Abgesang im Jahre 2004 Baldur’s Gate: Dark Alliance II, welches das letzte Spiel war, das offiziell das Label der Black Isle Studios trug. Es war auch tatsächlich das letzte Spiel, an dem die Black Isle Studios bis zu Ihrer Auflösung am 08.12.2003 arbeiteten. Während sich Konsolenspieler darüber freuten, dass sie mit diesen Titeln recht brauchbare Actionrollenspiele vorgesetzt bekamen, waren die PC-Spieler über die beiden Ableger alles andere als begeistert. In ihren Augen stand Baldur’s Gate für tiefgründiges und episches Rollenspiel, nicht für schnelles Kloppen, Leveln und Looten. Kurzum, die Hoffnung auf einen wirklichen dritten Teil der Spieleserie wurde mit dem Verlust der D&D-Lizenz (die an Atari überging) und dem Untergang der Black Isle Studios auf sehr kleiner Flamme am Leben gehalten.

Vom Winde verweht Während sich BioWare als Entwicklerstudio durch Neverwinter Nights, Star Wars: Knights of the old Republic, Mass Effect und Dragon Age einen immer größeren Namen machte, haben sich ehemalige Angestellte von Interplay und den Black Isle Studios in alle möglichen Richtungen zerstreut 197 und andere Studios zum Teil mitgegründet, in deren Portfolio in den folgenden Jahren auch beachtliche Titel auftauchen sollten. Bereits 2001 verließ Brian Fargo, Gründer von Interplay, seine eigene Firma, als diese vom französischen Unternehmen Titus Interactive (2005 aufgelöst) übernommen wurde. Er gründete später die Firma InXile Entertainment. Das Spiel Torment: Tides of Numenera (2013), welches auf dem Pen & Paper-Rollenspielregelwerk Numenera von Monte Cook (ehemaliger D&D-Autor) fußt, gilt als geistiger Nachfolger von Planescape: Torment. Kurz vor der Schließung der Black Isle Studios 2003 verließen Feargus Urquhart und Chris Avellone das Studio und gründeten kurze Zeit später die Spieleschmiede Obsidian Entertainment (Pillars of Eternity, 2015). Der Vollständigkeit halber seien hier noch Cain, Boyarsky und Anderson erwähnt, die die Black Isle Studios bereits 1998 verlassen hatten und anschließend Troika Games gründeten. Mit Der Tempel des elementaren Bösen (2005) hatte Troika auch einen beachtlichen D&D-Titel entwickelt, der jedoch an einigen schweren Bugs krankte. Mittlerweile arbeiten Cain und Boyarsky bei Obsidian Entertainment. Der Kreis schließt sich also.

Belgische Qualitätsarbeit Während die zuvor genannten Ereignisse ihren Lauf nahmen, entstand bereits 1996 in Belgien das kleine Entwicklerstudio Larian, das 2002 sein erstes Rollenspiel namens Divine Divinity herausbrachte. Zuvor arbeitete man 198 an einem Projekt, das den Titel The Lady, the Mage and The Knight, auf Deutsch: Legenden der Magierkriege (beide Titel mit LMK abgekürzt). Mit von der Partie war das damals noch existente Attic Studio – allerdings zu dem Zeitpunkt bereits ohne Guido Henkel. Divine Divinity wurde in der Rollenspielgemeinde noch belächelt und galt bestenfalls als Geheimtipp. Der Nachfolger Beyond Divinity aus dem Jahr 2004 änderte daran nicht viel, allerdings bekam dieser Teil schon etwas mehr Aufmerksamkeit. Richtig durchstarten konnte Larian dann aber 2009 mit Divinity II, 2013 mit Divinity: Dragon Commander, 2014 mit Divinity: Original Sin, und schließlich gelang der Durchbruch im Jahr 2017 mit Divinity: Original Sin 2. Spätestens mit diesem Titel hatte sich Larian in der Spielergemeinschaft etabliert, und die Spiele galten längst nicht mehr als Geheimtipp. Im Gegenteil. Larian hatte sich mittlerweile den Ruf erworben, sein Ding durchzuziehen und damit Erfolg zu haben.

Der Lizenzkampf Lag es am Wechsel von Chris Avellone von Obsidian Entertainment zu Larian im Jahre 2015, oder hatte Firmengründer Swen Vincke schon länger den Wunsch gehegt, Baldur’s Gate III zu machen? Diese Frage lässt sich vermutlich nicht klären, aber rund zehn Jahre lang waren sowohl Obsidian Entertainment als auch InXile Entertainment quasi als Nachfolgefirmen von Interplay und Black Isle schwer daran interessiert, die Lizenz für Baldur’s 199 Gate zu erwerben, als das kleine belgische Studio beiden den Rang ablief. Bereits 2018 weckte Brian Fargo, Gründer von Interplay und später von InXile, das Interesse der Fans, indem er sich unvermittelt dahingehend äußerte, dass er bereits wüsste, welches Studio Baldur’s Gate 3 entwickeln würde. Dass es sich dabei auch um Larian handeln könnte, war zwar in der Gerüchteküche wegen des immens erfolgreichen Divinity: Original Sin 2 diskutiert worden, aber gerechnet hatte damit wohl niemand ernsthaft. Da wurden eher Vermutungen laut, dass das Beamdog Studio möglicherweise das Rennen gemacht haben könnte, da Beamdog seit 2012 erweiterte und aufgehübschte Fassungen der alten Infinity Engine-Spiele herausbrachte und 2016 mit der ersten Erweiterung von Baldur’s Gate seit 15 Jahren Aufmerksamkeit erregte. Siege of Dragonspear, so der Titel des Add-Ons, lief jedoch nicht mit der Originalfassung von Baldur’s Gate. Wer in den Genuss der neuen Erweiterung kommen wollte, die rund 25 Stunden Spielzeit versprach, der musste sich wohl oder übel die Enhanced Edition von Baldur’s Gate zulegen. Allen Unkenrufen zum Trotz haben sich die Enhanced Editions von Baldur’s Gate 1 und 2, Icewind Dale inkl. Herz des Winters und Trials oft he Luremaster, Planescape: Torment und Neverwinter Nights inkl. aller Add-Ons und einiger Premium-Module anscheinend doch gut verkauft, und so erschienen nun diese Enhanced Editions zum Ende 2019 erstmals auf den aktuellen Spielekonsolen PS 4, Xbox One und Switch. 200 Zur Freude aller Konsolenzocker können diese legendären Titel endlich erstmals vom heimischen Fernsehsessel aus gemütlich mit dem Controller gespielt werden. Und das funktioniert sogar ausgesprochen gut. Doch wie bereits erwähnt, das neue Baldur’s Gate wird vorerst nur PC-Zockern und Google Stadia Nutzern Vorfreude bereiten. Tatsächlich werkeln die Belgier bereits seit 2016 an dem Spiel, und es darf darauf gehofft werden, dass Baldur’s Gate III ein ganz großer Wurf wird. Denn die Larian Studios haben eine lange Erfahrung mit Rollenspielen und wurden mit jedem weiteren Titel besser und erfolgreicher. Alte, eingefleischte Fans müssen hier allerdings aufpassen. Baldur’s Gate III wird anders. Wie genau, das weiß man zur Zeit nur hinter den verschlossenen Türen bei Larian. Doch die Ankündigung, dass es sich eben nicht um einen direkten Nachfolger handeln soll, lässt auf einige Änderungen schließen. Man kann sicher auch davon ausgehen, dass es kein Divinity: Original Sin 3 im D&D-Gewand wird. Denn dann hätten die Larians ganz sicher eben genau das gemacht und nicht ihr bereits weit entwickeltes Projekt Divinity: Fallen Heroes vorerst auf Eis gelegt. Wie es auch immer aussehen wird, man darf sicher gespannt sein, wie sich die lang ersehnte Rückkehr nach Baldur’s Tor in Baldur’s Gate III gestalten wird.

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202 Zombicide: Green Horde – Manchmal kommt es doppelt dicke von Frank Stein

Zombies sind im Genre beliebte Gegner, wenn es darum geht, vom Überlebenskampf einer kleinen Gruppe Helden zu erzählen. Die schlurfenden Untoten mit dem Hunger auf Menschenfleisch befriedigen das Bedürfnis nach Hack&Slay, lassen sie sich doch meist recht einfach (und auch moralisch weitgehend problemlos) niedermetzeln. Gleichzeitig werden sie in der großen Masse zur existenziellen Bedrohung, die auch den besten Kämpfer überwältigen kann. Das gilt insbesondere, wenn die Zombies früher Orks waren! Willkommen bei Zombicide – Green Horde. Green Horde ist ein Fantasy-Ableger der erfolgreichen Brettspielreihe Zombicide, die – entwickelt von Guillotine Games und herausgebracht von CoolMiniOrNot – 2012 während eines Kickstarter-Crowdfundings das Licht der Welt erblickte. Zombicide war so erfolgreich, dass es gleich zwei Nachfolge-Grundspiele nach sich zog, Zombicide 2: Toxic Mall und Zombicide 3: Rue Morgue, plus einiger Erweiterungen. Als das moderne Setting ausgereizt war, wechselte man 2015 mit Zombicide: Black Plague in eine fiktionale Mittelalterwelt. Green Horde ist praktisch die »zweite Season« dieses Spin-Off-Produkts. Dabei ist die

203 Grundbox prinzipiell völlig eigenständig spielbar, aber eben auch vollständig mit Black Plague und sogar den Jetztzeit-Versionen kompatibel.

Das Spiel, das im Mai/Juni 2017 ebenfalls bei Kickstarter vorgestellt wurde und mit mehr als 27.000 Backern und 5 Millionen Dollar Einnahmen ein riesiger Erfolg wurde, kommt im typischen Zombicide-Kleid daher, das heißt im grafisch übertriebenen Comic-Gewand, das die Gewalt und den Horror, die sich im Grunde durch das ganze Spiel ziehen, deutlich abmildern. Ein Film wäre vermutlich mindestens FSK16, das Spiel wird immerhin Spielern ab 14 empfohlen, wobei das nicht an den Zombies oder dem 204 Gemetzel liegt, sondern am durchaus anspruchsvollen Spielgeschehen, das einiges an planerischem Geschick erfordert, wenn man nicht von der grünen Untotenhorde überrannt werden will. Das Spielmaterial ist – wie man es von CMON erwarten darf – überwiegend hochwertig. Praktische Plastiktableaus unterstützen das Charaktermanagement, Ausrüstungskarten mit schönen Illustrationen werten die Helden – hier »Überlebende« genannt – auf, und die Spielmarken bestehen aus fester Pappe. Die 9 doppelseitigen Kartenteile, die ein mittelalterliches Landleben mit Hecken, Flüsschen und kleinen Häusern zeigen, sind hübsch anzusehen, neigen jedoch ganz leicht zum Verziehen, und außerdem muss man manchmal genau hinschauen, um sicher zu sein, wo genau die Grenzen einer Zone liegen (denn nicht jeder Spielplan besteht schachbrettartig aus 9 Zonen, manche Pläne weisen größere Zonen auf).

205 Der größte Kaufanreiz bei CMON-Spielen liegt für viele natürlich in den Miniaturen, und hier bekommt man ganze 72 davon. Neben den 6 Helden und einer Tribok-Artillerie sind das vor allem Zombie-Orks – viele Zombie-Orks. Schlurfer, Fettbrocken und Läufer sehen dabei angemessen morbide und schön detailverliebt aus, allerdings sind Läufer und Schlurfer aus ein wenig Abstand mitunter nicht mehr gut zu unterscheiden. Eine Rennpose für die Läufer wäre hier hilfreich gewesen. Der Zombicide-Veteran wird bei diesen Figurentypen übrigens aufmerken, denn er kennt sie vom Prinzip her bereits alle. Kein Wunder! Am Spielkonzept selbst hat sich auch in dieser Inkarnation von Zombicide nicht geändert. Vor dem Spiel wählt man eine Queste (von 10) aus, die entweder einzeln oder als Kampagne gespielt werden können, wobei die Kampagne ein rein narratives Element ist. Jede Partie

206 fängt trotzdem immer bei Null an. Die Queste bestimmt den Aufbau des Spielfelds und die Zahl der Helden/Überlebenden. In 9 von 10 Fällen werden alle 6 in der Box enthaltenen Recken zum Einsatz gebracht. Diese besitzen leicht unterschiedliche Fähigkeiten, was sich taktisch durchaus nutzen lässt. So ist die magersüchtige Elfin hoch mobil, der nordische Barbar besonders kampfstark, und der orientalische Schurke versteht sich darauf, Zombies durch flotte Sprüche so richtig zu reizen (und damit von seinen Kameraden wegzulocken). Jeder Überlebende bekommt noch ein Objekt aus dem Startausrüstungsstapel, dann geht es direkt los. Gespielt wird – wie seit dem ersten Zombicide – in Runden, die in 3 Phasen aufgeteilt sind: eine Überlebendenphase, eine Zombiephase und eine Endphase. In der Überlebendenphase darf jeder Spieler (im Uhrzeigersinn vom Startspieler ausgehend) all seine Überlebenden (in beliebiger Reihenfolge) 3 Aktionen ausführen lassen. Dazu zählen die typischen Dinge, die es in jedem Dungeon-Crawler gibt: Bewegen, Angreifen, Raum durchsuchen, Ausrüstung tauschen usw. Die Angriffswerte werden dabei durch die getragenen Waffen bestimmt. Mit einer vorgegebenen Anzahl Würfel muss man einen festgelegten Zielwert erreichen; jeder Erfolg ist ein Treffer, der (meist) einen Zombie tötet. Also auch wenn im Spielverlauf eine Zombiewelle über einen hinwegschwappt: Mit etwas Glück und einer fetten Axt kann man durchaus 3 bis 4 der fahlgrünen Kameraden mit einer Aktion (!) fällen.

207 Eine Eigenheit von Zombicide ist das Einschlagen von Türen (denn irgendwie sind alle Türen prinzipiell verschlossen, auch die der kleinsten Hütte auf dem Land – oder vielleicht lieben die Überlebenden auch einfach einen starken Auftritt, und Anklopfen zählt nicht dazu). Das kostet immer eine Aktion, die meist Lärm verursacht und damit Zombies anlockt, die nicht sowieso schon in Sichtlinie zu den Helden stehen. Lärm ist übrigens auch ein taktisches Element, um Zombies in eine falsche Richtung zu locken. Gerade wenn so ein schweres Monstrum (der dickste Brocken des Spiels) durchs Gemüse stapft, ist man froh, wenn man mal in der falschen Richtung ein Glöckchen läuten kann (Lärmplättchen haben kleine Glockensymbole). Apropos herumstapfen: In der Zombiephase steuert das Spiel die Zombieplage. Jeder Zombie auf dem Spielplan wird einmal aktiviert und darf entweder angreifen, wenn er sich in einer Zone mit einem Überlebenden befindet, oder er 208 bewegt sich eine Zone auf die nächstbesten Überlebenden zu. Am Anfang sieht das alles noch ganz gemütlich aus, aber spätestens nach 5 bis 6 Runden wird es plötzlich ziemlich eng. Denn nach der Aktivierung erfolgt die Brut, d.h. auf jedem (der meist 3) auf dem Spielplan verteilten Brutplättchen tauchen Zombies auf. Was genau erscheint, entscheidet eine gezogene Zombiekarte und dann noch das Level der Überlebenden. Denn diese erhalten Erfahrungspunkte für jeden Kill und steigen damit bis zu dreimal auf (von Stufe blau über gelb und orange bis rot). So erhalten die Überlebenden zwar neue Fähigkeiten, aber gleichzeitig werden auch die Gegner immer zahlreicher und lästiger. In der Endphase werden alle Lärmplättchen entfernt, und der Startspielermarker wandert einen Spieler nach links. Das wird so lange fortgesetzt, bis entweder die Siegbedingungen für die Queste erfüllt sind – oder die Bedingungen für eine Niederlage eintreten (meist der Tod der Helden).

209 Alles bis hierher Beschriebene gilt übrigens für alle Zombicide-Spiele. Doch wie jede neue Inkarnation bietet auch Green Horde ein paar spielerische Eigenheiten. Zum einen sind Orks stärkere Gegner. Bislang haben Zombies immer nur 1 Schaden pro Zombie im Angriff verursacht. Ork-Fettbrocken und das Ork-Monstrum verursachen 3! (Sie sind also veritable Heldenkiller.) Selbst der Totenbeschwörer verursacht 2 Schadenspunkte. Hier muss man deutlich besser aufpassen. Dann wäre da die Horde. Bei jeder Brut von Zombies wird auch immer ein Zombie der auftauchenden Art seitlich am Spielplanrand platziert. So sammelt sich im Laufe der Zeit eine veritable Streitmacht. Wenn dann die Zombiekarte »Die Horde erscheint« gezogen wird, wird der ganze Haufen auf die Zielzone gesetzt – gut und gern mal 10 Zombies auf einmal. Ein echter Albtraum, vor allem, wenn man gerade eine Tür geöffnet hat und im Raum dahinter einen plötzlich so eine Masse angrinst. 210 Gekontert wird das durch die Tribok, eine Artilleriewaffe, die von Überlebenden bedient werden und ohne Sichtlinienbeschränkung quer über den ganzen Spielplan feuern kann (sogar in die Horde außerhalb des Spielplans). Dabei wird in der Zielzone ordentlich Schaden angerichtet. Die Tribok funktioniert super, um Überlebenden auf einer Mission Unterstützungsfeuer zu liefern, indem man nahende Zombietrupps auslöscht. Der Nachteil ist, dass ein Held oder mehrere statisch an die Waffe gebunden ist/sind. Taktische Herausforderungen gibt es auch durch das Vorhandensein von Gelände, hier Wasserzonen, Hecken und Barrikaden. Wasserzonen erschweren die Bewegung (natürlich nur der Überlebenden), Hecken sind Sichthindernisse, die man aber durchqueren kann (auf die Gefahr hin, dass sich dahinter ein bislang nicht bemerkter Schlurfer befindet), und Barrikaden sind Bewegungshindernisse, durch die man aber schießen kann. Diese Elemente muss man im Blick behalten, denn gerade Wasserfelder behindern die Überlebenden doch enorm.

211 Eine Anmerkung noch zur Spielerzahl: Zombicide – Green Horde ist für 1 bis 6 Spieler gedacht, wobei das Spiel nach oben offen skalierbar ist. Es werden optionale Regeln für bis zu 12 Spieler geboten. Wenn das kein Partyspiel ist! (Dazu braucht man allerdings Erweiterungssets.) Allerdings muss man je nach Spielerzahl ein paar taktische Nachteile in Kauf nehmen. Wie oben geschrieben, aktiviert jeder Spieler erstmal all seine Überlebenden in beliebiger Reihenfolge, bevor der Spieler zu seiner Linken dran ist. Das heißt, wenn man allein spielt, kann man alle seine 6 Überlebenden völlig frei agieren lassen (was manchmal, gerade in brenzligen Lagen, extrem wichtig ist). Wenn man zu zweit spielt, muss zunächst einer 3 Überlebende, dann der nächste 3 Überlebende aktivieren. Noch schlimmer wird es zu dritt. Da existieren 3 Aktivierungsblöcke zu je 2 Überlebenden. Bei 6+ Spielern wird es dann maximal unflexibel, weil die Aktivierungsreihenfolge der Überlebenden von der 212 Sitzreihenfolge am Tisch festgelegt wird. Das erhöht den Schwierigkeitsgrad mitunter merklich! (Um hier für Spielfairness zu sorgen, empfehle ich die grundsätzliche Hausregel, dass Überlebende immer in beliebiger Reihenfolge aktiviert werden dürfen, egal wie viele Spieler am Tisch sitzen.)

Fazit Zombicide – Green Horde ist ein taktisches Hack&Slay-Spiel mit hochwertigem Spielmaterial, das Laune macht, aber auch Frustrationstoleranz erfordert. Die Orkzombies sind knackige Gegner, und am Ende kann eine Mission an einer falschen Entscheidung (oder einem miesen Würfelwurf) scheitern. Zomibicide-Veteranen müssen sich zudem fragen, ob sie ein weiteres Spiel gleicher Machart brauchen. Denn die grundsätzlichen Änderungen am Mechanismus sind doch überschaubar. Allerdings ist Green Horde eine sehr schicke und taktisch interessante Variante des Spielprinzips. Hat man also Spaß an der Thematik, dann ist diese Version des Erfolgsspiels absolut zu empfehlen.

Zombicide – Green Horde Brettspiel für 1-6 Spieler ab 14 Jahren Raphaël Guiton, Jean-Baptiste Lullien, Nicolas Raoult CMON/Asmodee 2018 EAN: 4015566600379 Sprache: Deutsch Preis: EUR 89,95

213 Arkham Horror: Letzte Stunde – Wenn die Weltenrettung pressiert von Frank Stein

Der Campus der Miskatonic-Universität in Arkham steht in Flammen. Albtraumhafte Geschöpfe verwüsten die ehrwürdigen Hallen, zertrampeln die Grünanlagen und jagen die Studenten, während ein schillernder Riss den Nachthimmel spaltet, aus dem sich bereits der blasphemische Leib eines Großen Alten hervorzuschieben beginnt. Die Letzte Stunde ist angebrochen. Wird es den Ermittlern gelingen, die Welt dennoch zu retten?

Normalerweise ist es die Aufgabe von Ermittlern in cthuloiden Spielen (frei nach den Kurzgeschichten und

214 Novellen von Horrorschriftsteller H. P. Lovecraft), irgendwelche Kultisten daran zu hindern, ein Ritual abzuhalten, das einen der Großen Alten ruft und damit unsere Welt ins Chaos stürzt. Im Brettspiel Arkham Horror: Letzte Stunde ist dieser Punkt bereits überschritten. Die Sterne standen richtig, alle Zeichen wurden gemalt, alle Blutopfer erbracht. Das Chaos nimmt seinen Lauf. Doch es gibt noch eine Chance. Das Ritual der Kultisten muss umgekehrt werden, bevor sich der Große Alte, jene monströse, transdimensionale Wesenheit, die das Ende der Welt einläuten wird, ganz in unsere Realität geschoben hat. Eine Stunde bleibt den Ermittlern dafür. In dieser Stunde müssen sie alle Hinweise auf dem Campus finden, die sie brauchen, um die Art des Rituals zu rekonstruieren, damit sie es danach aufheben können. Gleichzeitig müssen sie den Ritualplatz verteidigen und am Leben bleiben, was angesichts der zunehmenden Monsterhorden, die aus mehreren Portalen auf dem Campus quellen, alles andere als leicht ist. Arkham Horror: Letzte Stunde, der jüngste Spross aus der Familie der cthuloiden Brettspiele des Arkham Horror-Settings aus dem Hause Fantasy Flight Games, ist ein schnelles, kooperatives Spiel für ein bis vier Spieler. Da es nur über acht Runden gespielt wird und eine Runde relativ flott vonstatten geht, ist es tatsächlich in knapp einer Stunde schaffbar, ganz ohne Sanduhr-Timer. Klar, eine Gruppe von Denkern und Spielzugoptimierern wird auch hier eine Partie in die Länge ziehen können. Aber im Vergleich zu Villen des Wahnsinns (Rezi in CM2017-6) ist es 215 eher ein Leichtgewicht (auch ganz im Wortsinne: Das Spiel kommt in einer FFG-Midsize-Box daher, nicht vergleichbar mit dem Brocken namens Villen des Wahnsinns).

Das Spielmaterial ist bunt und stimmungsvoll aufgemacht.

Über das Spielmaterial muss man bei Fantasy Flight Games beziehungsweise dem deutschen Vertrieb Asmodee kaum ein Wort verlieren. Es ist absolut hochwertig und stimmungsvoll illustriert, wie immer. Kenner des Arkham Horror-Settings werden viele alte Bekannte treffen. So zählen zu den sechs Ermittlern, die man übernehmen kann, etwa die schießwütige Jenny Barnes, der Gitarre spielende Landstreicher »Ashcan« Pete und der Motorrad-Cop Tommy Muldoon. Unter den Gegnern, den drei auswählbaren Großen Alten (die jeweils eine etwas andere Spielumgebung

216 mit sich bringen), ist zumindest der Klassiker Cthulhu vorzufinden. Seine Kollegen Shudde M’ell und Umôrdhoth waren zumindest mir jetzt noch nicht geläufig. Auffällig ist der Mangel an Plastikminiaturen. Von den Ermittlern abgesehen, kommen Pappmarker zum Einsatz. Das hat zwei gute Gründe: Zum einen arbeitet das Spiel mit einer »Monsterquelle«, aus der man in jeder Runde Monster ziehen muss. Zum anderen wäre das Spielbrett sehr voll geworden bzw. hätte massiv vergrößert werden müssen, wenn Plastikminis zum Einsatz gekommen wären, die auch noch Bases mit Fenstern hätten haben müssen, um Monsterwerte abzubilden (wie bei Villen des Wahnsinns). Ein solches Spiel wäre sehr viel teurer geworden – und das wäre dem flotten, »kleinen« Spielprinzip schlichtweg zuwidergelaufen. Folglich war die Entscheidung der Macher, in Sachen Opulenz einen Gang zurückzuschalten, sehr richtig. Schon zu Spielbeginn herrscht veritables Chaos auf dem Campus der Miscatonic-Universität, wo das Spiel stattfindet. Je nach gewähltem Großen Alten ist einer der fünfzehn Schauplätze – von der Warren-Sternwarte über die Orne-Bibliothek bis zum Dorothy-Upman-Wohnheim – der Ritualplatz. Außerdem haben sich an drei verstreuten Orten Portale geöffnet, aus denen Monster strömen. An den übrigen elf Orten liegen verdeckte Hinweisplättchen, die die Ermittler sammeln müssen, wenn sie das Ritual brechen wollen. Außerdem befinden sich bereits an allen (!) Orten, außer dem Ritualplatz selbst, Monster.

217 Eine Spielrunde besteht aus zwei Phasen. In der Aktionsphase ziehen die Spieler als Gruppe vier Aktionskarten von ihren Aktionskartenstapeln, die je nach Ermittler individuell sind. Zwei Spieler ziehen also je zwei Karten, bei vier Spielern zieht jeder nur eine. Diese Karten besitzen zwei Bereiche. Der obere ist eher offensiv angelegt (Bewegung und Monster töten oder Schauplätze reparieren), der untere defensiv und zugleich oft mit Ärger verbunden (Hinweise sammeln und Monster aktivieren). Jeder Spieler hat zudem vier Prioritätskarten auf der Hand, die Zahlen von eins bis dreißig aufweisen. Nun muss jeder Spieler – ohne Absprache! – seinen Aktionskarten eine Prioritätskarte zuweisen, dann werden die Karten in aufsteigender Zahlenreihefolge abgehandelt, wobei die ersten zwei Karten den oberen Effekt auslösen, die zweiten zwei den unteren. Hier ist ein großes Chaoselement enthalten!

218 Nach einigen Runden haben Campus und Ermittler bereits gelitten, aber es gibt etliche Hinweise.

Nach der Aktionsphase folgt die Großer-Alter-Phase. Hier kommt es zu negativen Effekten, die je nach Art der zuvor verwendeten Prioritätskarten unterschiedlich heftig ausfallen. (Jede Prioritätskarte weist auch null bis zwei Omen-Symbole auf – je mehr man gelegt hat, desto schlimmer wird es.) Außerdem reißt eines der drei Tore weiter auf, und Monster erscheinen. Monster richten übrigens auf eine von drei Arten Schaden an: Sie strömen auf den Ritualplatz zu (und wenn der überrannt ist, haben die Spieler verloren), sie können Gebäude zerstören (wodurch sie schneller auf den Ritualplatz zuströmen, weil zerstörte Bauwerke bei der Bewegung übersprungen

219 werden), und sie richten Schaden bei den Ermittlern an (wenn die sterben, ist das Spiel auch verloren). Die Ritualumkehrung funktioniert wie folgt: Es gibt insgesamt dreizehn Hinweisplättchen. Drei davon sind Schlüssel, die einem magische Artefakte (= Bonuskarten) spendieren. Bleiben zehn übrig. Auf denen ist jeweils eins von fünf möglichen Symbolen abgebildet, es gibt also zwei Plättchen pro Symbol. Zu Spielbeginn wurden zwei der Plättchen zufällig beiseitegelegt. Diese stellen die Art des Rituals dar (etwa »Stern« + »Raute«). Auch auf den Prioritätskarten befinden sich diese fünf Symole, je eins pro Karte. Um das Ritual umzukehren, muss man am Ende einer Runde doppelt so viele Karten, wie Ermittler mitspielen, ablegen können, deren Symbole zu den zwei Ritualsymbolen passen (bei zwei Spielern etwa 3x »Stern« und 1x »Raute«). Das ist de facto unmöglich, wenn man nicht zuvor die anderen Hinweisplättchen gesammelt hat, denn alle Symbole, die man auf dem Campus findet, sind logischerweise nicht Teil des Rituals. Das alles liest sich erstmal ein wenig knifflig, grundsätzlich sind die hervorragend verzahnten Spielmechanismen aber sehr leicht zu verinnerlichen. Spätestens nach einer Partie hat man verstanden, worauf man achten muss. Danach ist es eine Frage von Geschick und Glück, ob man siegt oder verliert. Im einfachen Modus ist Letzte Stunde jedenfalls absolut machbar und wirkt weniger frustrierend als manches andere beinharte Spiel aus der Arkham Horror-Produktlinie.

220 Es gibt auch Solo-Regeln, die das Spiel auf der einen Seite ein wenig erleichtern, weil mit offenen Prioritätskarten gespielt wird. Erschwert wird dagegen die Ritualumkehrung, denn man muss bereits von Runde 1 an jeweils eine von fünf gezogenen Prioritätskarten in den Pool legen, der am Ende zur Ritualumkehrung genutzt wird. Das ist natürlich gerade zu Beginn ein völliger Schuss ins Blaue.

Das Ritual wurde erfolgreich umgekehrt!

Anders als Villen des Wahnsinns oder Arkham Horror – Das Kartenspiel (Rezi in CM2017-5) erzählt Letzte Stunde keine Geschichte, zumindest keine über das oben bereits Erwähnte hinaus. Auch wenn es sein Thema gut einfängt, ist es doch eher ein Euro-Game, ein Spiel, in dem der Mechanismus die Story beherrscht, nicht umgekehrt.

221 Entsprechend verläuft auch jede Partie sehr ähnlich. Rumrennen, Monster töten, Hinweise sammeln, Ritual umkehren. Meist braucht man auch mindestens sechs Runden (eher mehr), um an eine Ritualumkehrung überhaupt zu denken, denn mehr als zwei Hinweise kann man pro Runde nicht ergattern, und unter sieben Hinweisen sollte man sich nicht an der Spielauflösung versuchen. Das geht höchstwahrscheinlich schief. Das macht Letzte Stunde allerdings keinesfalls zu einem schlechten Spiel! Die Optik ist atmosphärisch, die Spielmechanismen sind leicht zu begreifen und elegant verzahnt, und die Spannungskurve stimmt auch.

Fazit Arkham Horror: Letzte Stunde ist ein kleines, kooperatives Spiel mit cthuloidem Thema. Die Regeln wirken auf den ersten Blick etwas kompliziert, sind aber in der Anwendung dann doch sehr gut umzusetzen. Das Spielmaterial sieht wie immer schick aus. Spannung wird auch geboten. Eine richtige Erzählhandlung gibt es diesmal nicht, und anders als die meisten anderen Arkham Horror-Spiele ist Letzte Stunde ein recht flottes Vergnügen. Gut geeignet also für eine Runde zwischendurch oder als schöne Ergänzung zur Hauptattraktion eines cthuloiden Spieleabends.

Arkham Horror: Letzte Stunde Brettspiel für 1 bis 4 Spieler ab 14 Jahren Carlo A. Rossi Fantasy Flight Games/Asmodee 2019 222 EAN: 4015566028555 Sprache: Deutsch Preis: EUR 39,95

Cthulhu: Death May Die – Mit der Schrotflinte gegen die Großen Alten von Bernd Perplies

Es ist ein lustiger Zufall, dass Asmodee zur diesjährigen SPIEL gleich zwei cthuloide Brettspiele am Start hatte, die es den von Spielern gesteuerten Ermittlern ermöglichen, sich der großen Alten, jener grauenvollen Wesenheiten, die im Zentrum des literarischen Kosmos von Horror-Schriftsteller H. P. Lovecraft stehen, erfolgreich zu erwehren. Waren die Großen Alten bei Lovecraft vor fast 100 Jahren noch

223 Schrecken, deren Anblick allein Tod und Wahnsinn verhieß, scheint es eine der modernen Zeit der Superhelden geschuldete Setting-Anpassung zu sein, dass Ermittler – wie die Helden cthuloider Abenteuer in der Regel genannt werden – heute auch mal ein Ritual umkehren und einen Großen Alten durch seinen Dimensionsriss zurückdrängen können (Arkham Horror: Letzte Stunde) oder dass sie den Großen Alten sogar im Moment des Übertritts in unsere Realität, in dem er verletzlich ist, mit Messer und Flinte töten. So zumindest sieht es das CMON-Brettspiel Cthulhu: Death May Die von Rob Daviau (Pandemic Legacy, SeaFall) und Eric M. Lang (Blood Rage, Rising Sun) vor, das im Sommer 2018 in einer sehr erfolgreichen Kickstarter das Licht der Welt erblickte und das jetzt auch auf Deutsch im normalen Einzelhandel erschienen ist. In C:DMD übernehmen 1 bis 5 Spieler ab 12 Jahren die Rolle von Ermittlern, die in verschiedenen »Episoden« Aufgaben erfüllen müssen, um am Ende die Gelegenheit zu bekommen, gegen einen der Großen Alten anzutreten. Besiegen sie diesen, haben sie das Spiel gewonnen. Werden sie vorher wahnsinnig, sterben oder gelingt dem Großen Alten der vollständige Wechsel in die Wirklichkeit, ist das Spiel verloren.

224 Das Spielmaterial wirkt sehr stimmungsvoll.

C:DMD kommt in einer schwergewichtigen Box daher, die randvoll mit hochqualitativem Spielmaterial ist. Die 17 doppelseitigen Spielplanteile sind ebenso stimmungsvoll illustriert wie die zehn Ermittlertableaus und die Schergenkarten. Die Spielmarker bestehen aus stabiler Pappe, die Sonderwürfel sind sauber geprägt. Herausragend, wie eigentlich immer bei CMON-Spielen, sind die Miniaturen – Ermittler wie Monster –, die selbst unbemalt wirklich großartig aussehen und jedem, der gern Minis bemalt, ein Lächeln aufs Gesicht zaubern dürften. Vor allem die größeren Figuren, etwa der Feuervampir, der Chthonier oder gar die zwei in der Grundbox enthaltenen Großen Alten – Cthulhu und Hastur – machen auf dem Spieltisch richtig was her. Hier kann sich beispielsweise

225 Fantasy Flight Games mit den teilweise dürren und bruchanfälligen Minis in dem ebenfalls cthuloiden Brettspiel Villen des Wahnsinns noch etwas abgucken. Apropos abgucken: Wer die ebenfalls bei Asmodee erscheinenden FFG-Spiele der Arkham Horror-Produktreihe kennt – etwa das gerade schon erwähnte Villen des Wahnsinns –, der wird mehr als nur ein paar Ähnlichkeiten im Regelgerüst bei C:DMD bemerken. Ein paar Mechanismen sind natürlich Standard für missionsbasierte und womöglich kooperative Miniaturenspiele, z.B. dass eine Runde sozusagen in Spielerphase und Monsterphase unterteilt ist oder dass in der Spielerphase jeder Spieler eine Reihe Aktionen hat – hier 3 –, die er nach Bedarf nutzen kann. Bei C:DMD kann man laufen, angreifen, sich ausruhen oder Gegenstände tauschen. Alles bekannt. Dass in der Monsterphase (die hier nicht so heißt, aber im Grunde ist sie es) eine Mythoskarte gezogen und deren negativer Effekt abgehandelt wird, erinnert schon extrem an Arkham Horror-Spiele. Auch die Symbolik auf den Würfeln – Ältere Zeichen als Sondereffekt oder Tentakel als negativer Effekt – wirkt sehr vertraut.

226 Der Aufbau der ersten Episode – Endgegner ist Cthulhu.

Auch Kämpfe laufen ohne große regeltechnische Überraschungen ab. Ermittler erhalten drei schwarze Standardwürfel, zu denen je nach Ausrüstung und Fertigkeiten grüne Bonuswürfel hinzugenommen werden. Der Unterschied liegt vor allem darin, dass Standardwürfel auch Tentakel aufweisen, Bonuswürfel nicht. Nach einem Wurf werden die Erfolge zusammengezählt, die die Form eines Ausrufezeichens haben. Ist man bereit, Stress zu erleiden, darf man einen Würfel neu würfeln. Das geht beliebig oft, bis man völlig erschöpft ist, also der Stressmarker ganz rechts auf der Leiste liegt. Jeder Erfolg erzeugt eine Wunde, die von den Lebenspunkten der Gegner abgezogen werden. Umgekehrt funktioniert es genauso, wobei die Schergenkarten festlegen, welche

227 Würfel die Gegner nutzen dürfen. Das sind alles Regelmechanismen, die schon in vielen ähnlichen Spielen erprobt und für gut befunden wurden. Trotzdem ist C:DMD mehr als nur ein Abklatsch eines Arkham Horror-Spiels mit schickeren Miniaturen. Denn an einigen wichtigen Stellen geht das Spiel interessante neue Wege. So setzt man sich beispielsweise seine Partie aus mehreren Elementen individuell zusammen. Dass man einen Ermittler wählt – zum Beispiel den dunkelhäutigen Indiana-Jones-Verschnitt, die rabiate Betschwester oder den irren russischen Zauberer namens Rasputin – ist Standard. Diesen wird jeweils eine zufällige Psychose zugeordnet. Dann entscheidet man sich für einen der zwei Großen Alten und für eine von sechs Episoden. Die Großen Alten und die Episoden kommen dabei in Extraboxen daher, die in der Grundbox verstaut wurden. In ihnen sind spezielle Monster und Spielmarken zu finden, missionsspezifische Entdeckerkarten mit Ausrüstung und Begleitern sowie Mythoskarten, die zusammengemischt den Mythosstapel für die jeweilige Partie bilden. Jede Episode bringt zudem ihre eigenen Regeln und Spezialaktionen mit, die neben den Basisaktionen nur in diesem Abenteuer nutzbar sind. Das sorgt für echte Abwechslung und erfordert mitunter durchaus Umdenken in der Vorgehensweise.

228 Von Cthulhu, Monstern und Kultisten eingekreist, und die Bude brennt lichterloh – das sieht übel aus.

Auch im Spielgefühl unterscheidet sich C:DMD von verwandten Produkten, denn es hat einen offensiveren Ansatz. Hier versuchen die Ermittler nicht bloß irgendwie durchzukommen, während sie ihren Job machen, sondern teilen auch ordentlich aus. Eine gut ausgerüstete Magierin beispielsweise kann gegen Ende der Partie schon mal 6-8 Schadenspunkte pro Aktion raushauen. Kultisten haben 2 Lebenspunkte, ein Feuervampir 4 und Hastur 36 (verteilt über drei Stufenkarten, die nach und nach enthüllt werden). Aufpassen muss man trotzdem, denn es gilt nicht nur, Wunden zu vermeiden und den Stress klein zu halten, man muss auch auf seine geistige Gesundheit achten. Die Leiste für Geistige Gesundheit ist ein wichtiges Spielelement. Dass

229 man wahnsinnig wird, ist hier nicht bloß bedauerlicher Nebeneffekt, sondern zugleich wünschenswerter Zustand, denn je irrer man wird, desto mehr Bonuswürfel und Level in den individuellen drei Charakterfertigkeiten erhält man. »Der Wahnsinn treibt uns an«, heißt es im Introtext vielsagend. Das passt in C:DMD wirklich! Doch wenn man zu viel davon ansammelt, kann die Partie auch urplötzlich vorbei sein, denn es gibt keinerlei Möglichkeit, geistige Gesundheit zu regenerieren. Obwohl durch viel Kartenziehen und Würfelwürfe ein hoher Glücksanteil in dem Spiel vorherrscht, ist das Spiel durch die Allzweckwaffe namens Stressleiste und durch nützliche, durchaus starke Fertigkeiten sehr auswogen. Eine Partie ist immer spannend, mitunter geradezu dramatisch, aber wer geschickt seine Aktionen nutzt und vielleicht auch mal ein Opfer hinnimmt, um einen besonders effektiven Angriff durchzuführen, der hat durchaus Chancen auf den Sieg. Dem Pulp-Setting angemessen, erscheint mir C:DMD leichter zu sein als seine Arkham Horror-Pendants. Was absolut okay ist. Da kann man auch verschmerzen, dass der Erzähl-Aspekt eher schwach ist. Man bekommt nur ein paar Zeilen zur Einleitung, danach muss die Partie ihre Geschichte selbst erzählen. Villen des Wahnsinns oder Arkham Horror: Das Kartenspiel bieten hier deutlich mehr. Auch einen Kampagnenmodus gibt es nicht. Obwohl die Episoden 1 bis 6 durchnummeriert sind und von einer »ersten Staffel« die Rede ist, stehen die Abenteuer für sich, und man kann auch keine Ermittler weiterführen, sondern

230 startet immer bei Null (ansonsten würden sie auch zu stark und zu wahnsinnig in die Folgepartie starten).

Am Ende triumphieren die Ermittler trotzdem! Ein Volltreffer aus der Donnerbüchse, und Cthulhu fällt.

Fazit Cthulhu: Death May Die ist ein kooperatives Pulp-Cthulhu-Spiel, das viele bekannte Mechanismen anderer cthuloider Brettspiele aufgreift und sie mit großartigen Miniaturen sowie einem außergewöhnlich individuellen Missionsaufbau kombiniert. Ein eher geringer Erzählanteil, ein fehlender Kampagnenmodus sowie der (angesichts der Spielkomponenten) angemessene, aber doch recht hohe Preis mögen manchem Spieler sauer aufstoßen. Trotzdem kann ich das Spiel jedem Freund

231 cthuloider Unterhaltung nur empfehlen. Das Balancing ist super, die Spannung am Spieltisch hoch, ohne zu frustrieren, und obendrein habe ich selten erlebt, dass wirklich jeder Ermittler irgendwie zum Ausprobieren einlädt, weil seine Fertigkeitskombination einfach gut ist. Von allen Brettspielen mit Mythos-Thematik, die ich besitze, ist dieses – neben Arkham Horror: Das Kartenspiel – aktuell mein Favorit.

Cthulhu: Death May Die Brettspiel für 1 bis 5 Spieler ab 12 Jahren Rob Daviau, Eric M. Lang CMON/Asmodee 2019 EAN: 4015566601239 Sprache: Deutsch Preis: EUR 99,99

232 Phantastisches Lesen

Auf dem Weg in die Zerozone – PERRY RHODAN bis Band 3049 von Alexandra Trinley

Auf der Suche nach den Hintergründen der neuen Herren der Milchstraße, der Cairaner, trennen sich die wieder vereinten Freunde Atlan da Gonozal und Perry Rhodan und begeben sich auf unterschiedliche Missionen. Atlan fliegt in den Kugelsternhaufen Thantur-Log, zu jener Bleisphäre, die ihm von der alten Heimat blieb. Allerdings sind den Arkoniden die Intrigen und Machtkämpfe in ihrer dekadenten Feudalgesellschaft ebenfalls erhalten geblieben, und ihre Loyalität. Zeitgleich begibt Perry Rhodan sich mit der RAS TSCHUBAI in das weit entfernte Galaxien-Geviert, genauer 233 gesagt, nach Ancaisin. In ihrer ursprünglichen Heimat haben Cairaner, Ladohnen und weitere neu aufgetauchte Völker deutlich andere Karten als in der Milchstraße, andere Rollen und einen anderen Ruf. Im Gegensatz zum überaus statischen Zyklusbeginn haben die Romane dieses Abschnitts deutlich Tempo aufgenommen, sind phantasievoll und spannend erzählt. Einsteiger bekommen viele Verständnishilfen, weil unsere Helden ja ebenfalls mit Kennenlernen und Erkunden beschäftigt sind. Auf der Website proc.org der fusionierten Perry Rhodan Fanzentrale (PRFZ) und Perry Rhodan Onine Club (PROC) gibt es Interviewreihen, die unter anderem jedes Heft der Erstauflage abdecken. Die Interviews zur Erstauflage führt Roman Schleifer durch, die Redaktion des Corona Magazine dankt für die Übernahmen. Der Verfasserin dieser Kolumne gefielen die Romane dieses Serienabschnitts ausgesprochen gut. Hier sei ein Überblick gegeben, angereichert um Ausschnitte aus den Interviews., die viel von der Stimmung und den Themen der Mitte des »Mythos«-Zyklus’ vermitteln. (Link im Anschluss, Anm. d. Red.). Mitglieder der PRFZ erhalten übrigens für ihren Beitrag vier Ausgaben des Magazins SOL und sechs Ausgaben des digitalen Newsletters der PRFZ pro Jahr, neben anderen Vergünstigungen.

234 Abb. 17 © Pabel-Moewig

Abyssale Triumphbögen Michelle Stern schrieb »Der Abyssale Ruf. Terraner beim Heiligtum einer Galaxis – es ist das Geheimnis der Phersunen« (PR 3037). Der Abyssale Triumphbogen ist eine Vorrichtung, die der als Kandidatin Phaaton bezeichnete Superintelligenz umgewandelte Materie zuführt, so dass sie zur Chaotarchin aufsteigen kann. Die Chaosmächte stehen dem Leben und den Naturgesetzen feindlich gegenüber. Der Roman schildert ebenfalls die sich vertiefende Beziehung zwischen Rhodans Enkelin Farye Sepheroa-Rhodan und dem Metabolisten Donn Yaradua.

235 Außerdem geht es um erste Einblicke in die Geheimnisse der Phersunen, die die Cairaner aus ihrer Galaxis Ancaisin vertrieben haben. Schleifer: Dein Band 3037 ist gespickt mit Zitaten über das Geheimnis der Phersunen. Steckt dahinter eine Bedeutung? Hast du dich von einem irdischen Werk inspirieren lassen? Stern: Ich wollte damit die »Macht im Hintergrund« schon von Seite Eins an einführen. Es geht ja um eine Superintelligenz, was und wie auch immer sie genau sein mag, und diese kurzen Zitate nutze ich gern, um den Raum zu öffnen, um Geschichten noch ein wenig größer zu machen und hoffentlich die Phantasie der Leser anzuregen. Von einem irdischen Werk habe ich mich bewusst nicht inspirieren lassen, ob das unbewusst passiert ist, kann ich nicht sagen. Das Geheimnis wird ja gelüftet. Allgemein werden gerade die Antagonisten in Geschichten gern vergessen, obwohl sie unglaublich wichtig sind. Das ist ein Fehler, denn gerade das Spiel zwischen Protagonist und Antagonist macht üblicherweise eine Menge aus. In diesen kurzen Zitaten soll der Antagonist anklingen. Verena Themsen verfasste »Weltenenden. Im Reich der Kandidatin – sie fahren zum Schauraum der Vernichtung« (PR 3038). Es geht unter anderem um die Probleme, die Rhodans Frau Sichu, eine brilliante Wissenschaftlerin, mit der Spezialistin für Graue Materie Gry O’Shannon hat. Und um die geheimnisvollen Thesan, die irgendwie in das Verschwinden der Erde verstrickt zu sein scheinen. 236 Schleifer: Auch an dich die Frage nach der fixen Vorhersagbarkeit der Zukunft durch die Thesan. Wie hältst du es mit einem deterministischen Weltbild? Themsen: Ich denke nicht, dass es um fixe Vorhersagbarkeit geht. Es ist immer ein Spiel mit Wahrscheinlichkeiten. Obwohl Perry Rhodans Welt natürlich vorbestimmt IST – dank der Exp-o-kraten … das führt jegliche Argumentation natürlich postwendend ad absurdum.

Abb. 18 © Pabel-Moewig

Der Hermaphrodit

237 Von Wim Vandemaan stammt »Die Kanzlei unter dem Eis. Ein geheimnisvolles Herrschaftsgebiet – der Haluter Icho Tolot geht in den Einsatz« (PR 3039). Die Kanzlei, das ist eine Station der Phersunen, und ein Gefängnis. Rhodan und Co treffen Iwán/Iwa Mulholland, ein Wesen terranischer Herkunft, das Männern als Mann und Frauen als Frau erscheint. Nach Lan Meota und Gucky ist »es« - wie es sich bewusst bezeichnen lässt - der dritte Schmerzensteleporter der Serie, was in naher Zukunft große Bedeutung gewinnen wird. Erneut geht es im Interview um Vorhersehbarkeit. Schleifer: ANANSI berechnet aufgrund von Hunderten von Rhodans Außeneinsätzen das Zeitfenster, in dem er einen Freiraum zur Flucht schaffen wird. Ist Rhodan damit nun offiziell vorhersehbar geworden? Vandemaan: Alle Menschen sind in gewissen Grenzen vorhersagbar, das beweisen Buchversandfirmen und dergleichen jeden Tag. Das mag einem gefallen oder nicht, aber die Präzision der Vorhersagen ist schon jetzt erstaunlich. Liegt wohl daran, dass wir sind, wer wir sind. Würden wir immerzu andere, ließe die Vorhersagbarkeit nach. Da bereits heute solche Kalkulationen möglich sind, dürfen wir für einen Supercomputer wie ANANSI sicher einiges mehr erwarten, zumal der Fall Rhodan bestens dokumentiert ist. Aber lass uns bitte Vorhersagbarkeit nicht mit Vorbestimmung verwechseln.

238 Abb. 19 © Pabel-Moewig

Bei Arkoniden und Cairanern Kai Hirdt schrieb »Arkons Admiral. Die Kristallbaronien zwischen mächtigen Feinden – die Abwehrflotte ist führungslos« (PR 3040). Hier muss Atlan sich in seiner alten Heimat zurück mit traditionellen Intrigenspielen und aktuellen Feinden auseinandersetzen. Von Susan Schwartz stammt »Die hermetische Botschaft. Seit Generationen ist sie die Erbtochter – Atlan erhält eine erschütternde Nachricht« (PR 3041). Sie erzählt eine sehr ungewöhnliche Lebensgeschichte.

239 Uwe Anton schwelgte in Nagezahnabenteuer. In »Gucky und der Sternenkonsul. Der Ilt in geheimer Mission – unterwegs im Sternöstlichen Konsula« ist der Multimutant, so wie es Titel und Titelbild bestätigen, vor Ort im Einsatz. Alle drei Romane sind zügig erzählt und enthalten viel arkonidisches und cairanisches Lokalkolorit. Schleifer: Eine 14-jährige Cairanerin überlistet mit ihren Parafähigkeiten einen so erfahrenden Mutanten wie Gucky. Wird er auf seine alten Tage schleißig? Anton: Schleißig? Ein Austriazismus, nicht wahr? Nun ja, manchmal steht die Lebenserfahrung hinter einer schönen Geschichte zurück. Nobody’s perfect, nicht einmal unser sowieso sehr sentimentaler Mausbiber. Schleifer: Gucky besucht das Museum, in dem er als blutrünstiger Killer dargestellt wird. Wieso erkennt ihn keiner von den Besuchern und geht auf ihn los? Anton: Stell dir mal vor, du besuchst im Museum eine Ausstellung über die Wikinger, und plötzlich steht Ragnar Lodbrok neben dir. Oder seine Frau Lagertha. Da denkst du doch auch, du spinnst, und fragst ihn nicht, wie sich das damals wirklich mit Floki abgespielt hat!

240 Abb. 20 © Pabel-Moewig

In der Milchstraße Michael Marcus Thurner knüpft mit »Die Welt der Báalols. Auf geheimer Mission – Terraner und Tefroder arbeiten zusammen« (PR 3043) an ein parapsychisch begabtes Volk aus der Frühzeit der Serie an. Leider überwiegt die modernere Ausgestaltung. Michelle Stern führt mit »Das Supramentum« die Romanze zwischen Farye und Donn fort und lässt eine neue Lebensform auftreten - wenn man sie so bezeichnen kann.

241 Schleifer: Mit dem Supramentum im Mittelpunkt des Romans schreibst du ja quasi einen Schlüsselroman. Was hast du nach dem Lesen des Expos gedacht? Stern: Für mich ist das Supramentum immer noch ein wenig rätselhaft, was ja auch so sein darf. Die Idee an sich fand ich nach dem Lesen gut und ich habe mir erste Notizen gemacht, was mir eben dazu einfällt und was nicht, und ob Spinozas besondere Sicht auf die Dinge helfen könnte, das Supramentum noch anders darzustellen. (Anm. Schleifer: Mir hat sich beim Lesen des Romans »Frankenstein« aufgedrängt …) Schleifer: Mit welcher Figur aus 3000 Heften wäre das Supramentum zu vergleichen? Stern: Das finde ich schwierig. Wahrscheinlich würden hier verschiedene Figuren aufgerufen. Den Frankenstein-Vergleich finde ich gar nicht so schlecht. Auch wenn das Supramentum eben doch anders sein mag. Genannt wird ja auch der Begriff Golem. Auch dieses Thema war hier ein wenig Vorbild.

242 Abb. 21 © Pabel-Moewig

Der Tod des Residenten Hubert Hensel berichtet statt einer Lebensgeschichte die eines Todes: Endlich erfahren wir, wie damals der Resident der Liga freier Galaktiker Hekener Sharoun zu Tode kam. Haensel ist übrigens auch der Bearbeiter der Silberbände, von denen aktuell Band 150 erscheint. Schleifer: In Band 3027 ist Atlan einer der Haupthelden, in 3045 Reginald Bull, zu dem du durch die Kosmos-Chroniken ein besonderes Verhältnis hast. Wenn du wählen müsstest: Mit wem würdest du einen Abend in der Kneipe verbringen und warum?

243 Haensel: Am liebsten wären mir ein Abend mit Bully und ein Abend mit Atlan. Warum sollte ich mich mit halben Sachen zufriedengeben? Mit Bully gäbe es so viele Interna zu bereden, angefangen bei der Entdeckung des Arkonidenraumschiffs auf dem heimischen Mond, über die Entwicklung der Dritten Macht und wie es so war, den Statthalter zu spielen, während Perry Rhodan immer weiter draußen umherflog … Und mit Atlan gäbe es galaktische Historie, Aufstieg und Fall vieler Imperien und natürlich endlos viel über Frauen zu reden. Vielleicht könnte ich ihm etwas Neues über Mirona Thetin entlocken. Schleifer: War Atlan oder Bull leichter zu handhaben? Und warum? Haensel: Jeder auf seine Weise. Aber eigentlich: Reginald Bull. Er ist und bleibt ein Mensch, mit dem ich mich durchaus identifizieren könnte. Ich muss mir nur immer rechtzeitig die Haare schneiden lassen – die Haarlänge ist das, was uns unterscheidet. Schleifer: In Band 2496 beschreibst du die Wandlung von Roi Danton zu Dantyren. In 3045 beschreibst du die Qualen eines umgewandelten Cairaners. Wieso teilen ausgerechnet dir unterschiedliche Expokraten so eine Aufgabe zu? Haensel: Das fragst du den Falschen. Ich habe keine Ahnung. Die Frage solltest du besser den Expokraten jenseits der Mat…, äh, jenseits der Landesgrenze stellen. Aber vielleicht wollen sie mich ganz einfach beschäftigen, damit ich nicht auf die verrückte Idee komme, wie bei Dantyren aus zwei Expokraten einen machen zu wollen. (hustet) 244 Abb. 22 © Pabel-Moewig

Schauplatz Ancaisin Ein Doppelband des österreichischen Kabarettisten Leo Lukas spielt in schwindelnder Höhe und unter Flugfähigen. »Die Stadt im Sturm. Sie suchen nach einem Weg in die Zerozone – und finden die Index-Bewahrer« (PR 3046) und »Der Sextadim-Span. Sie sind die letzten Index-Bewahrer – und hüten das Wissen einer Superintelligenz« (PR 3057) verlaufen in langsamen Thema, sind dafür jedoch mit schrulligen Individuen angefüllt, und sie schaffen bei aller Anekdotenhaftigkeit eine Verbindung zur kosmischen

245 Ebene. Im Interview geht es um das Material, das anfangs Graue Materie genannt wurde. Schleifer: Das Vektormaterie-Katapult verschießt faustgroße Klumpen an Vektormaterie. Normalerweise wird bei RHODAN geklotzt statt gekleckert. Wieso verschießt das Katapult nur faustgroße Klumpen? Lukas: Weil es so im Datenblatt steht. – Nein, im Ernst: Das Zeug ist extrem gefährlich. Diese Menge genügt, um sehr viel Unheil anzurichten. Schleifer: Dir standen bei 3046 mehrere Personen als Haupterzähler zur Verfügung. Was war der Grund, dass du dich für Oxana entschieden hast? Lukas: Ich wollte zwei Berichte in Ich-Form, die recht unterschiedliche Blickwinkel auf das Geschehen zeigten. Dafür erschienen mir Remalhiu und Oxana ideal, auch wegen der vom Expo vorgegebenen Fortsetzung der Geschichte in 3047.

246 Abb. 23 © Pabel-Moewig

An der Schwelle Kai Hirdt schrieb »Die Fäden, die die Welt bedeuten. Menschen suchen die Zerozone – im Schauspiel der Guunpai verwischen Wahn und Wirklichkeit« (PR 3948) »In der Zerozone. Donn Yaradua im Einsatz – auf der Spur von Terra« (PR 3049) beschreibt Susan Schwartz aka Uschi Zietsch das endgültige Durchfliegen de Zerozone, an dessen Ende Terra stehen soll. Schleifer: Zitat: »Systemausfall und Hüllenbruch, übermittelte der Hangarchef.« Da hab ich aufgelacht – ist das von dir oder stands im Expo?

247 Schwartz: Von mir. Hals- und Beinbruch sagt man ja bestimmt nicht mehr. Schleifer: In Band 3048 wird der vergleichende Historiker eingeführt, der bei dir an Bord der TESS wechselt. Rein von seiner Profession, denkt man nicht gerade an einen Protagonisten mit Konflikt- und Spannungspotenzial. Du kennst das Figurendatenblatt: Beschreib sein Potenzial in einem Satz. Schwartz: Ich kenne ihn nicht. Die Figur kommt erst im Dyoversum zum Tragen und gehört zu Christian Montillon. Er stand auch nicht im Expo, es kam erst nachträglich, dass ich ihn einmal durchs Bild laufen lassen sollte, damit er nicht plötzlich »da« ist, sondern der Name schon mal gefallen ist. Dass er bereits in 3048 vorkommt, mag denselben Grund haben. Schleifer: Du beschreibst, wie Farye über die SERT-Haube mit der TESS verbunden ist. Kannst du dir vorstellen, so mit deinem Auto verbunden zu sein? Schwartz: Nein. Ich kann mir vorstellen, mit einer Kapsel verbunden zu sein, die mich fix von hier nach da transportiert. Aber ein Auto? Beim besten Willen nicht. Das Batmobil vielleicht. Aber keinen Opel Manta.

248 Abb. 24 © Pabel Moewig

MISSION SOL 2 Bemerkenswert sind die Aussagen von Expokrat Kai Hirdt zur anstehenden Miniserie, der Fortsetzung von MISSION SOL. Schleifer: Du arbeitest gerade an der Miniserie SOL II – Wie läuft es? Was darfst du uns schon verraten? Hirdt: Fluppt. Wir lernen eine neue Galaxis kennen, in der Perry eher widerwillig einer Aufgabe der Kosmokraten nachgeht, und erforschen das Sphärenlabyrinth. Dabei sammeln wir wieder ein loses Ende aus Robert Feldhoffs Ära

249 ein, und wir werden mehr über Roi Danton lesen als in »Mission SOL«.

Die Interview-Reihe auf PROC: https://www.proc.org PERRY RHODAN Verlagsseite: https://perry-rhodan.net Perrypedia: https://www.perrypedia.de/wiki/Hauptseite

Hinter der Zerozone (PERRY RHODAN 3050 – 3053) von Alexandra Trinley

Das große Jubiläum zu Band 3000 hat der Serie eine wiedererstarkte Auflagenhöhe beschert, berichtete Chefredakteur Klaus N. Frick auf dem Januartreffen des Mannheimer PERRY RHODAN Stammtisches. Zu diesem Trend tragen auch die hervorragenden Verkaufszahlen der Miniserie »Mission SOL« bei, deren Fortsetzung ansteht, und der Silberband 150. Band 3050 gilt nur als ein »kleines Jubiläum«, wird jedoch mit einer Besonderheit gefeiert: der vierbändige Unterzyklus »Zerozone« wurde von einem einzigen Autor verfasst, nämlich von Christian Montillon, wobei eine schon fest eingeplante Zusammenarbeit mit Oliver Fröhlich in letzter Sekunde scheiterte. Fröhlichs Ideen flossen immerhin ein. In der Geschichte der Serie gab es bisher nur einen einzigen Vierteiler. Den schrieb Ernst Vlcek im Jahre 1979 mit den Bänden 939 bis 942.

250 Schauplatz des Vierteilers ist das neu eingeführte Dyoversum. Es ist ein beim Urknall entstandenes »Zwillingsuniversum«, in dem Rhodan endlich die verschwundene Erde und mit ihr verlorene alte Freunde wiederfindet, wenn auch in einem parallelen Solsystem mit gewissen Unterschieden. Und das kommt so: Unsere Helden durchfliegen die Zerozone, die als graues und grauenhaftes Land eingeführt wurde mit der Schmerzensteleportation, die Gucky bald nach der Übernahme der Expokratur von Montillon/Vandemaan mit Band 2700 von einem gegnerischen Mutanten übernahm. Wir erinnern uns, in PR 2721 wurde aus dem Mausbiber ein Paradieb, der seine Fähigkeiten verloren hatte, aber andere Parabegabte durch Berührung töten und ihre Kräfte übernehmen konnte. In diesem besonderen Fall bat der sterbende Schmerzensteleporter Lan Meota um die Übernahme, seine Paragabe sollte erhalten bleiben. Dass mit dem nächsten Jubiläumsband PR 2800 der beliebteste Psi-Begabte des Perryversums seine Fähigkeiten zurückerhielt, wirkt wie die Folge massiver Leserproteste, und die Schmerzensteleportation schien dem Mausbiber erhalten geblieben als unschöner Rest einer fehlgeleiteten Idee. Sicherlich ist nicht nur die Verfasserin dieser Kolumne überrascht, wie viele der jahrelang beharrlich offenen Fäden zur Zyklusmitte dann doch noch zusammengeführt werden.

251 Abb. 25 © Pabel-Moewig

Die Titel der vier Romane sind betont einfach gehalten: Sie lauten »Solsystem« (PR 3050), »Luna« (PR 3051), »Terra« (PR 3052) und »Mars« (PR 3053). Ihre Untertitel geben die Marschrichtung vor: Rhodan kehrt in die echte und zugleich parallele Heimat zurück. Auf »Sie erreichen das Dyoversum und finden die verlorene Menschheit« folgt »Neues Leben auf dem Mond – Nathan schafft eigene Tatsachen«. Damit ist das Erschaffen einer Heerschar robotischer Kinder von hoher künstlicher Intelligenz gemeint, die als »Ylanten« an die unübertreffliche und durch die Entführung von Erde und Mond verlorene Tochter YLA der Großpositronik NATHAN

252 auf dem Erdmond erinnern sollen. Band 3052 hat den Untertitel »Brennpunkt Neu-Atlantis – die Gelegemutter schickt eine Botschaft«, scheint also auf Terra zu spielen, und zwar in jener ehemaligen Fluchtburg der Arkoniden, in der mittlerweile auch Echsen wohnen, und der letzte Band, mit einem Topsiderkopf auf dem Titelbild, kündigt Homer G. Adams als Schlüsselfigur an: »Das Ultimatum der Topsider läuft ab – und der Advisor erwacht«. Die vier Romane greifen in überraschend übersichtlicher Form auf Grundinventar der Serie zurück, authentisch, und doch in einer Neuinterpretation, die eine leichte Orientierung für Neulinge zulässt. Dabei ist die Verfremdung stark genug, um Stammleser zu unterhalten, und zugleich mit erheblichem Wiedererkennenswert ausgestattet, um sie zu binden. Der erste ist besonders gut gelungen. Es ist einer jener Romane, bei denen Montillon wunderbar vielschichtige Geschichten erzählt. Die Ausgangssituation: Perry Rhodan fliegt nicht mit der drei Kilometer durchmessenden RAS TSCHUBAI, sondern mit dem 500 Meter durchmessenden Kreuzer TESS QUMISHA in den schmalen Durchgang zur Zerozone ein. Als sie im falschen Solsystem herauskommen, dem mit der echten Erde und dem echten Mond, fällt erst mal sämtliche hochentwickelte Technik aus, denn die Hyperimpendanz vor Ort ist wesentlich stärker als die in der Milchstraße. Sie werden gerettet aufgrund einer Prophezeiung. Einer ganz schön alten Prophezeiung, denn auch hier sind 500 Jahre vergangen.

253 Die Reaktionen auf Perry Rhodans Ankunft sind durchwachsen. Klar freut man sich, hat lange gewartet auf ihn … doch es gibt auch jene, die ihn als Störenfried fürchten, die sich in dieser neuen Heimat einrichten wollen. Im Solsystem hinter der Zerozone existieren die zerstörten Planeten Pluto, Zeut und Medusa noch, und der Mars harrt als angenehm warme, unberührte Welt der Besiedlung. Doch die Terraner waren erst mal eingeschüchtert von der Abwesenheit jedweden extraterrestrischen Lebens. So etwas kannten sie nicht mehr. Von Standpunkt des Erzählers aus bietet die Isolation eine wunderbare Gelegenheit, eine übersichtliche Geschichte zu schaffen, die Einsteigern eine Chance gibt, und verlorengegangenen Altlesern die Gelegenheit, sich mal wieder vier PERRY-Romane reinzuziehen. Der begrenzte Handlungsort bleibt erhalten, weil es die speziell entwickelten Lineartriebwerke, die unter den Bedingungen vor Ort funktionieren, anfangs noch nicht gibt. Es können nur noch 25 Lichtjahre am Stück zurückgelegt werden. Im hiesigen Linearraum treiben massive Objekte, die den Raumschiffen die Hüllen aufreißen, so wie es einst der Eisberg bei der TITANIC machte. Damit wurde ein übersichtlicher Ort geschaffen, den die Leser gemeinsam mit den Protagonisten erschließen können.

254 Abb. 26 © Pabel-Moewig

Ganz in der Tradition der Serie geben die Terraner nicht auf. Sie erreichen das Wega-System, das zu Beginn der Serie – und auch zu Beginn von PERRY RHODAN NEO, nebenbei gesagt – ebenfalls die erste Anlaufstelle war. Hier ist es leer! Also, fast leer. Frustriert kehren die Terraner heim. Allerdings hält sich ihre Begeisterung in engen Grenzen, als dann doch ein nur allzu bekanntes reptiloides Volk auftaucht, um wegen der Verletzung ihres Hoheitsgebiets ein Exempel zu statuieren …, dass die echsenhaften Topsider im Dyoversum ein Matriarchat haben, macht sie nicht weniger gefährlich. Sie kennen die Neuankömmlinge nicht,

255 und sie mögen sie nicht. Kurz gesagt, es ist eigentlich alles vertraut, aber zugleich neu und anders. Lobenswert ist die Wahl der Erzählhaltung in diesem ersten Band. An Bord der TESS QUMISHA befindet sich ein Historiker, der nachdenkliche Briefe an seinen verstorbenen Bruder schreibt, so wie in Andreas Eschbachs PR 2503 ein junger Offizier Briefe an seine tote Verlobte verfasst. Ebenfalls an Eschbach, allerdings an sein im Fischer Verlag erschienenes Hardcover, knüpft an, dass wir die Geschehnisse im Solsystem aus der Sicht von Homer G. Adams erleben, dem Ich-Erzähler zu Beginn von Andreas Eschbachs Prequel zur Serie. Das Finanzgenie aus den Anfangstagen des Solaren Imperiums, das als Sechzigjähriger des 20. Jahrhunderts die Zelldusche und Jahrhunderte danach den Zellaktivator bekam, lernt eine Sechzigjährige der terranischen Neuzeit kennen, eine junge Frau also, mit der er bald seine Geheimnisse teilt und viel Zeit, ohne dass sie ein Liebespaar würden. Jahrzehnte später sitzen sie gerade zusammen, als er die Symptome eines Herzinfarkts erlebt. Sein Zellaktivator ist ausgefallen! Die Lebensbedingungen im Zwillingsuniversum sind für Aktivatorträger nur unter bestimmten Bedingungen gedeihlich. Zum Glück gibt es eine Technik, die einen Weg aus der Stofflichkeit bietet, … und zugleich wird klar, dass hier die Karten für die Unsterblichen unter den Protagonisten völlig neu gemischt werden.

256 Abb. 27 © Pabel-Moewig

In diesem und den Folgeromanen spielen grundsätzliche Überlegungen zum Wert der Unsterblichkeit eine tragende Rolle, und sie verleihen der gut rhythmisierten, ausbalancierten Handlungsführung echten Wert. Auf der Website der Perry Rhodan Online Community (PROC) gibt es Interview-Reihen zu Erstauflage und Miniserien. Hier gibt Montillon auf die Frage, ob er gern einen Zellaktivator hätte, denn auch zur Antwort: »Nein, ich denke nicht. Das ist nicht das echte Leben. Das besteht darin, geboren zu werden, älter zu werden und – Teil des Lebens! – zu sterben. Klar, ich möchte noch lange leben, das

257 wäre klasse. Aber nicht unnatürlich lang. Mit dem Tod ist es, davon bin ich eh überzeugt, nicht zu Ende.« (Link im Anschluss, Anm. d. Red.). Gabriel da Gonozal taucht auf, ein selbstbewusster Terra-Arkonide aus Neu-Atlantis. Er ist enttäuscht, als er erfährt, dass sein berühmter Ahnherr nicht mitkam. Die Bezüge zwischen den Zwillingsuniversen sind zahlreich. Untern Strich lässt sich sagen, dass Montillon mit »Solsystem« einen bezaubernden Roman geschrieben hat, der den Serientraditionen ebenso gerecht wird wie den Erfordernissen eines Jubiläumsbandes, nämlich: Zusammenhänge zu zeigen und Einstiegsmöglichkeit zu sein. Zugleich beginnt ein neuer Serienabschnitt. »Terra« ist ein wenig abstrakter, man muss nachvollziehen können, dass die lunare Großpositronik als neu erstandene KI sehr vermenschlicht wird. Der Bilderreichtum, in dem der Bronzeton der Ylanten dominiert, erinnert an weitere Vandemaansche Bilderwelten. Ganz entscheidend für die Vereinfachung des Perryversums in diesem Vierteiler ist die Aussage, dass es hier weder Eiris noch Superintelligenzen gibt, keine höheren Mächte, kein Moralischer Code des Multiversums. Der kosmische Überbau der Serie hatte sich als lähmend erwiesen, und das Expokraten-Duo Montillon und Vandemaan verfolgt weiterhin das Ziel, die Serie wieder bodenständiger und erzählbarer zu machen. Es gab bereits mehrere Ansätze zum Neustart. Die vier Bände zur »Zerozone« zeigen, dass sie mittlerweile Übung darin

258 haben, zugänglichere Geschichten zu schreiben, die auch den Leserstamm beschäftigen können.

Abb. 28 © Pabel-Moewig

Wie geht es weiter? Dennis Mathiak, der bisher nur in Miniserien mitarbeitete, verfasste zum ersten Mal einen Roman der Erstauflage. PR 3054 titelt »Die letzte Welt der Vecuia. Sie suchen das Verlies einer Superintelligenz auf dem Planeten der Dovoin«. Als Beilage enthält das Heft die vierte STELLARIS-Geschichte von Ulf Fildebrand. Michael Marcus Thurner schrieb »Die VECU. Auf der letzten Welt der Superintelligenz – die RAS TSCHUBAI in Geiselhaft«.

259 PR 3056 stammt von Uwe Anton. Titel und Untertitel weisen auf ein Transportsystem hin, dass in der Serie lange keine Rolle mehr spielte, oder auf sein Pendant: »Die Transmitter-Hasardeure. Angriff auf einen Etappenhof – das neue Transportsystem ist in Gefahr«. Das macht die Verfasserin dieser Kolumne wirklich neugierig. Transportsysteme sind nun mal spannend. Dann geht der Erzählstrang rund um die Bleisphäre weiter, in die sich Arkon verwandelt hat. Arkoniden-Fan Verena Themsen verfasste »Thantur-Lok brennt. Unterwegs in M 13 – Atlan ist auf verzweifelter Mission« (PR 3057). Wim Vandemaan erzählt von einem weiteren Brudervolk der Menschheit: »Für Galaktiker verboten! Die Abkehr von der Milchstraße ‒ die Tefroder stellen eine Sterneninsel unter Quarantäne« (PR 3058). Und von Leo Lukas stammt »Der transuniversale Keil. Begegnung am Rand der Bleisphäre – sie erhalten eine Botschaft aus der Parallelwelt«, was sich so anhört, als würden die neu aufgefächerten Handlungsstränge hier wieder miteinander verknüpft. Leo Lukas stieg übrigens genau 1000 Hefte vor diesem aktuellen Roman in die Serie ein.

Mehr zum Zyklus »Mythos« auf der Verlagsseite: https://perry-rhodan.net/produkte/erstauflage Die Perrypedia enthält eine Seite zum aktuellen Zyklus: https://www.perrypedia.de/wiki/Mythos_(Zyklus) Interviewreihen zu PERRY RHODAN-Romanen: https://www.proc.org 260 Comic-Kolumne: Bilder-Sprache von Uwe Anton

Mit Die Rückkehr des Dunklen Ritters hat Frank Miller (* 1957) 1986 ein revolutionäres Werk abgeliefert, das die amerikanischen Comics auf Jahrzehnte, wenn nicht sogar bis heute geprägt hat. In der Rückschau wirkt vieles, wenn nicht sogar das meiste, was Miller danach verfasst hat, wie ein Wiederkäuen der Inhalte und grafischen Ausdrucksweise dieser Graphic Novel. Dennoch hat er nun vom Verlag DC den Auftrag bekommen, sich dessen andere Ikone vorzunehmen, Superman. Auf den ersten Blick will dieser Held so gar nicht zu Miller passen. Zu mächtig ist der Stählerne, zu abgehoben, zu wenig menschlich, zu gefühlsbeherrscht. Batman kotzt sich schon mal aus, Superman hat sich immer in der Gewalt, ist

261 eben super-human, übermenschlich, und solche Darstellungen liegen wohl weniger in Millers gefühlsmäßiger Brandbreite. Das hinderte den ehemaligen Superstar der amerikanischen Comic-Szene, der wegen seiner politischen Ansichten und manchmal nicht mehr zeitgemäßer Geschichten seit geraumer Zeit ins kreative Abseits zu geraten droht, allerdings nicht daran, die Origin-Story des Stählernen neu zu erzählen, ohne sie allerdings grundlegend zu verändern. Daran tut er gut. Zu ikonisch ist diese Entstehungsgeschichte, die sich über 80 Jahre beim Leser eingebrannt hat. Das Baby vom untergehenden Planeten Krypton, das von seinem Vater in eine Rakete gesetzt wird, die Erde erreicht und hier wegen der andersfarbigen Sonne Superkräfte bekommt, ist auch für jede Neuschöpfung des Mythos verpflichtend, und Miller behält sie bei, passt sie in der dreiteiligen Story nur unserer Zeit an. Clarks Adoptiveltern, die Kents, bewirtschaften nicht mehr zehn Jahre nach Rentenantritt ihre Farm, sondern scheinen gerade von der Uni gekommen zu sein. Natürlich nehmen sie den kleinen Alien liebevoll auf, vermitteln ihm wichtige Werte, die sich kaum von denen der ursprünglichen Kents unterscheiden, und bieten ihm ein prägendes Zuhause. Clark absolviert die übliche Schullaufbahn mit all ihren Problemen, die man in der ursprünglichen Entstehungsgeschichte zunächst weitgehend aussparte, bevor dann mit dem Ableger Superboy auch diese Zeit aufbereitet wurde.

262 Im zweiten Teil leistet er als aufrechter Amerikaner bei Frank Miller natürlich seinen Wehrdienst und wird in die Welt der schon existenten Superhelden eingeführt, und dann geht er in die große Stadt, deren Name Programm ist: Metropolis. Dort begegnet er im dritten Teil nicht nur Lois Lane und wichtigen Kollegen, sondern auch seiner Nemesis Lex Luthor. Allen Schwierigkeiten und Missverständnissen zum Trotz steht am Ende des Bandes die Erhöhung zur Dreifaltigkeit: Superman, Batman und Wonder Woman werden die Welt von nun an beschützen. Das alles ist, wie es »neu erzählte« Origin-Stories an sich haben, nicht neu, sondern nur neu interpretiert – was man Frank Miller allerdings nicht zum Vorwurf machen kann. Er weiß natürlich, wie bekannt diese Geschichte ist, und zieht sämtliche Kaninchen aus dem Hut, um noch irgendetwas aus ihr herauszuholen. Dabei setzt er, was bleibt ihm auch anderes übrig, auf starke Gefühle, die zwar zu Clark Kent und seiner engeren Umgebung passen mögen, aber nicht zu dem Stählernen selbst. Und er versucht fast zwanghaft, irgendetwas anders zu machen, neue Akzente zu setzen, neue Ideen und Variationen zu testen. Man fragt sich, warum der Verlag diesen Band überhaupt in Auftrag gegeben hat. Grafisch ist er von John Romita jr. (*1956) opulent, geradezu bildgewaltig in Szene gesetzt worden; so gut sah Superman seit Jahren nicht mehr aus. Aber DC muss klar gewesen sein, dass auch diese Verjüngungskur seines bekanntesten Helden auf Dauer zum Scheitern verurteilt ist. Zu mächtig sind die alten Kents und ihre ländliche Idylle in der Erinnerung der Leser verhaftet, 263 als dass selbst ein Frank Miller ein vielleicht dringend nötiges Neudenken bewirken könnte.

Abb. 29 © DC / Frank Miller

Von den Bildern zur Sprache. Eigentlich leistet der Verlag Schreiber & Leser über die Jahre hinweg nicht nur solide, sondern richtig gute Arbeit bei den deutschen Ausgaben der Alben, die er für sein Programm ausgewählt hat. Die Aufmachung ist mitunter eine Augenweide, die Alben bzw. Bücher sind ordentlich hergestellt, die Übersetzungen fallen kaum negativ auf. Da macht Paolo Eleuteri Serpieri (* 1944,

264 bekannt hauptsächlich durch die erotische Serie Druuna), in dessen Western-Collection nun der dritte Band erschienen ist, keine Ausnahme. Serpieris Kurzgeschichten, diesmal alle bis auf die erste sechsseitige Pointengeschichte in Schwarzweiß gehalten, erfinden das Genre nicht neu, sind aber durchaus angenehm zu lesen und bringen das richtige Bewusstsein im Umgang mit dem Thema Indianer mit. Serpieri geht diesmal gelegentlich spielerisch mit dem Stoff um, lässt in der ersten Story seine Vorliebe fürs Phantastische einfließen und wendet sich mit einem Dialog auch mal direkt an den Leser. Alles business as usual mit bekannter Qualität, wäre da nicht … ja, wäre da nicht die Seite 111 mit dem Beginn der Kurzgeschichte »Das Bison«. Das Bison. Man lasse es sich auf der Zunge zergehen. Da ist der Duden völlig eindeutig. Es gibt kein »das« Bison. Im Deutschen ist der Bison eindeutig männlich, was auch schon die Sprachlogik gebietet. Es heißt »der Bison«, wie es auch »der Büffel« heißt. Was also ist in die Übersetzerin, den Textbearbeiter, den Redakteur und den Hersteller dieses Bandes gefahren, dass keinem von ihnen dieser Fehler aufgefallen ist? Eigentlich wäre so ein kleiner Lapsus keiner ausführlichen Erörterung Wert, doch da fordert die sonst so gute Arbeit des Verlags natürlich einen Kommentar heraus. Einen Kommentar, der zu der Frage überleitet: Wer übersetzt, redigiert und verantwortet eigentlich deutsche Ausgaben internationaler Alben – und wie? Gelten für Comics tatsächlich ähnliche Bedingungen und Qualitätskontrollen wie für »richtige« Literatur? Oder glaubt 265 man aufgrund der Synthese von Bild und Wort, es hier lockerer angehen lassen zu können als bei Prosatexten? Dann unterliegt man – und ich spreche hier ausdrücklich nicht vom Verlag Schreiber & Leser, sondern der gesamten Branche – einem folgenschweren Fehler. Das Übertragen von Comics stellt womöglich sogar höhere Anforderungen an den Übersetzer als das Übertragen von Prosa mit Fließtexten. Die gibt es in Comics auch, dazu oftmals pointierte Dialoge, knappe, aber treffende Beschreibungen, stimmige Bilder und eventuell sogar mehr Slang und Verknappungen als in »normalen« Texten. Am wichtigsten aber ist ein Faktor, der bei Prosaübersetzungen eine wesentlich geringere Rolle spielt: Der Platz, der für die Texte zur Verfügung steht, ist begrenzt, und die englische Sprache ist knapper als die deutsche. Ein simples »No!« in einer winzigen, genau abgepassten Sprechblase verdeutlicht die Problematik: das deutsche »Nein!« würde nicht hineinpassen. Schon bei solch einem Allerweltsfall kann der Einfallsreichtum des Übersetzers gefragt sein. Das Bison weidet jedoch friedlich vor sich hin und wird's kaum interessieren. Kommen wir zu einer Ikone der amerikanischen Comics der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, diesmal nicht von Frank Miller, sondern von Alan Moore (*1953) und Dave Gibbons (*1949), den Watchmen (1985/86). Viel stärker als Der Dunkle Ritter haben sie sich ihre Einzigartigkeit über fast 35 Jahre bewahrt, vielleicht, weil Moore konsequent den Daumen auf seiner Schöpfung hielt und eine Weiterverwendung und -verwertung seiner Helden 266 verhindert hat. Ihnen wohnte eine Exklusivität inne, die ein Batman niemals haben konnte. Bis jetzt. 2018 sind die Watchmen nicht nur im Fernsehen, sondern auch im DC-Universum angelangt. Die Serie Doomsday Clock von Geoff Johns (*1973) und Gary Frank (*1969) führte die zentrale Figur Dr. Manhattan auf die Erde von Superman und Batman, deren Realität er veränderte, was letzten Endes den DC-Rebirth zur Folge hatte, die weitgehende Erneuerung des Universums. Einige andere Watchmen folgten ihm dorthin. Selbst die Puristen mussten anerkennen, dass Autor Johns das sehr gut hinbekommen hat, und Gary Franks Zeichnungen stehen denen von Dave Gibbons kaum nach. Da liegt der Gedanke nahe, die Watchmen wieder stärker ins Bewusstsein der DC-Leser zu rufen … und praktisch im Vorbeigehen ohne große Mühe noch ein paar Dollar zu verdienen. Herausgekommen ist dabei der Watchmen-Companion. Um im Bild zu bleiben: Man kann sich gut vorstellen, wie die namen- und gesichtslosen Bosse bei DC einen hilflosen Redaktionsassistenten, der sich nicht wehren konnte, in die dunklen Kellergewölbe des Verlags schickten, um dort alles zusammenzukratzen, was DC jemals außerhalb der eigentlichen Serie über die Watchmen veröffentlicht hat. Gefunden hat der arme Mann zwei Rollenspiele, die Alan Moore damals noch autorisiert hat, das dazugehörige Watchmen-Sourcebook, ein paar Cover und Paraphernalia sowie ein bedeutungsloses Heft der Serie The Question, in das es irgendwie Rorschach verschlagen hat. Das hört sich nicht nur dünn an, das ist sehr dünn und so obskur, dass es 267 im Prinzip nur beinharte Fans und Komplettsammler hinter dem Ofen hervorlocken kann, die wirklich alles, aber auch alles haben müssen, was DC jemals über die Watchmen veröffentlicht hat. Der Watchmen Companion ist leider keine annehmbare Ergänzung, kein wertvoller Datenhintergrund der lesenswerten Serie, sondern eine ärgerliche Abzocke, die DC eigentlich nicht nötig haben sollte. In diesem Zusammenhang kommt einem trotz der sorgfältigen Aufmachung des Bandes leider nicht der Spruch Quis custodiet ipsos custodes in den Sinn, sondern das altbekannte: »Je mehr er hat, je mehr er will!«

Es geschieht nicht oft, dass ein deutscher Comic den Weg über den großen (oder kleinen) Teich findet und in einer englischsprachigen Ausgabe erscheint. Diese Ehre wurde vor fast zwei Jahren Babylon Berlin zuteil, was natürlich in erster Linie mit dem internationalen Erfolg der bislang teuersten deutschen Fernsehproduktion und nicht-englischsprachigen Serie überhaupt zu tun hat. Volker Kutscher (*1962) ist Autor der Romanvorlage, die Comicfassung wurde von Arne Jysch (*1973) in Schwarzweiß unter dem Originaltitel des ersten Bandes, Der nasse Fisch, adaptiert. Der Kriminalfall ereignet sich im Berlin des Jahres 1929, in einer faszinierenden Zeit des Wandels. Die Weimarer Republik neigt sich ihrem Ende zu, der Nationalsozialismus hebt bereits sein hässliches Haupt. Berlin ist eine faszinierende Stadt der Extreme und der eigentliche Star des Romans (und damit auch des Comics), wenngleich der Kriminalfall durchdacht und sehr geschickt inszeniert ist. Indem 268 Kommissar Gereon Rath aus Köln in die Hauptstadt strafversetzt wurde, ist er die ideale Figur, um Berlin gemeinsam mit dem Leser kennenzulernen. Im Landwehr-Kanal wurde eine Leiche gefunden. Daraus entwickelt sich ein Kriminalfall um einen verschollenen russischen Goldschatz, der mit dem typischen Showdown endet – die ewige Abwandlung des Konfliktes Gut gegen Böse, vielleicht stereotyp, aber den Zwängen des Kriminalromans unterworfen. Die Comicfassung folgt der Handlung des Romans, nicht der der Fernsehserie, setzt zum Teil eigene Akzente, betont Textstellen, die Jysch besonders beeindruckt haben, und strafft die Handlung dort, wo es nötig ist. Sie entwickelt durchaus Sog, ist eher der amerikanischen Schule verpflichtet als den deutschen (Sozio)-Krimis (die es in dieser Form zum Glück schon lange nicht mehr gibt). Gerade dieser Verzicht auf landestypische Traditionen machte Babylon Berlin wohl interessant für die Reihe Hard Case Crime des englischen Verlags Titan. Dort erscheinen, zum größten Teil in Lizenz des amerikanischen Verlegers Charles Ardai, seit 2004 hartgesottene Kriminalromane, die inhaltlich und auch bei der Covergestaltung prinzipiell von den harten amerikanischen Taschenbuchkrimis der 1940er und 1950er Jahre beeinflusst sind. Die Reihe bringt sowohl Nachdrucke dieser modernen Klassiker als auch in diesem Stil neu geschriebene Romane und beeindruckt vor allem durch die zumeist herausragenden Titelbilder, die ebenfalls nach klassischen Vorbildern geschaffen wurden. Einige wenige

269 Comic-Ausgaben, Adaptionen wie auch Originale, vervollständigen das Verlagsprogramm.

In die USA hat Babylon Berlin es (noch) nicht geschafft; die Fernsehserie erregte lediglich im Rest der Welt Aufsehen, in der Heimat des kleinen Bildschirms gibt es genug Stoffe, die das Interesse des Zuschauers fast schon überfordern. Aber die Veröffentlichung in England ist ein Achtungserfolg, der nur positive Folgen für den deutschen Comicstrip haben wird – und vor allem aufzeigt, dass es ihn überhaupt gibt.

Frank Miller Superman: Das erste Jahr Panini, 2020, 76 S., 16.99 €

270 Paolo Eleuteri Serpieri Serpieri Western Collection 3: Roter Bruder Schreiber & Leser, Hamburg 2019, 160 S., 29.80 €

Anonym Watchmen Companion DC, Burbank, California 2020, 280 S., $ 39,99

Volker Kutscher/Arne Jysch Der nasse Fisch Carlsen, Hamburg 2018, 224 S., 20,00 €

Hard Case Crime: Babylon Berlin Titan, London 2018, $ 24.99

271 Werbung

272 Verrückt nach Karten – Auf Entdeckungsreise in fantastische Länder Der prachtvoll illustrierte Bildband nimmt die Leser mit in eine Welt voller Abenteuer und Magie. von Birgit Schwenger

Karten »sind mitreißend, voller Wunder, Möglichkeiten und Abenteuer. […] Sie geben uns die Freiheit, an jeden anderen Ort zu fliehen, wann immer wir wollen oder müssen.« Treffender als der Herausgeber dieses exquisiten, im wbg Theiss Verlag erschienenen Atlas der Reiche der Fantasie, der britische Autor und Forscher Huw Lewis-Jones, kann man es nicht formulieren. Dieses Buch ist ein Muss für alle, die wahrhaft verrückt nach Karten sind, die in Museen bewundernd vor Globen aus dem Mittelalter stehen, in 273 Folianten mit frühen historischen Weltkarten versinken oder sich ganz einfach anhand einer Karte auf eine literarische Reise in die Fantasie einlassen. Schon Tolkien begann laut eigener Aussage mit dem Zeichnen einer Karte, die quasi seinen Geschichten aus Mittelerde erstmals Gestalt verlieh, bevor er sie in Worte zu fassen begann.

Wenn aus Wörtern Welten werden Lewis-Jones’ Atlas eröffnet Perspektiven in alte, längst vergangene Welten und Weltansichten, entführt in die großen Klassiker der Abenteuer- und Fantasy-Literatur und schwelgt nach Herzenslust in den Karten der menschlichen Fantasie. Karten sind für den Briten der Beginn eines neuen Abenteuers. Er verspürt geradezu ein Verlangen nach den weißen Flecken auf der Karte, da er sich durch sie zu spannenden Entdeckungsreisen motiviert fühlt, um das Unbekannte zu erforschen. Deshalb hegt er auch eine besondere Vorliebe für Kleinode wie die leere Seekarte aus Die Jagd nach dem Schnatz von Lewis Carroll, die es natürlich in diesem Buch zu bewundern gibt. Bei jedem Umblättern gibt es auch für die Leser neue Welten zu erkunden. Ob Asgard oder Utopia, Narnia, Mittelerde, Nimmerland oder Oz – es ist garantiert für jeden eine passende Karte dabei, um sich darin zu versenken, neue Geschichten zu entdecken und auf Reisen im Kopf zu gehen. Das Buch ist – neben dem Prolog von Philip Pullman (Der goldene Kompass) und dem Epilog von Chris Riddell (llustrator der Klippenland-Chroniken) – in vier Teile eingeteilt: In Täuschend echt geht es um historische Karten 274 und literarische Geographien, liebevoll bis ins kleinste Detail recherchiert und sehr unterhaltsam ge- und beschrieben von Huw Lewis-Jones und Ko-Autor Brian Sibley. Teil zwei behandelt Literarische Karten: In neun Essays beschäftigen sich populäre Autoren wie Cressida Cowell (Drachenzähmen leicht gemacht), Robert MacFarlane (Karte der Wildnis), Joanne Harris (Chocolat) oder David Mitchell (Der Wolkenatlas) u.a. auf sehr persönliche Weise mit großen Klassikern der Abenteuer- und Fantasy-Literatur und ihren Welten, darunter Peter Pans Nimmerland, Robert Louis Stevensons Schatzinsel, Tove Janssons Mumintal oder das nordische Asgard. Die Texte bringen sowohl die Liebe zu Karten und Geschichten der jeweiligen Autoren zum Ausdruck, beschreiben aber auch ihre eigenen literarischen Reisen durch Bücher.

275 Abb. 30 © wbg Theiss

Teil drei beschäftigt sich in insgesamt acht Essays mit Karten erstellen: In Unheil angerichtet berichtet die Grafikerin Miraphora Mina von ihrer Arbeit an den -Filmen und wie aufregend es ist, eine Karte zu zeichnen, die sich beim Betrachten jedes Mal verändert. In Unerforschtes Gebiet erzählt der Kalligraph Daniel Reeve von seiner Arbeit an Peter Jacksons Herr der Ringe-Filmen und berichtet dabei, wie das Karten machen an sich vonstatten geht. Reif Larsen (Die Karte meiner Träume) philosophiert über die Wirklichkeit einer Karte und inwiefern Google Maps die Art und Weise verändert hat, wie wir den Raum arrangieren

276 und visualisieren. Isabel Greenberg (The Encyclopedia of Early Earth) schreibt über den immer wiederkehrenden Zyklus der Geschichten: Vom Feenland und Marco Polos Reisen über Mittelerde und Erdsee bis hin zu ihren eigenen Graphic Novels, die in einer imaginären Welt namens Frühe Erde spielen. Teil vier, Karten lesen, bestehend aus vier Essays, beschließt den üppig illustrierten Bildband. Lev Grossman (Fillory – Die Zauberer) geht der Faszination von Karten in Fantasy-Welten auf den Grund, u.a. am Beispiel von Dungeons & Dragons, das er als »spielbares, gesprochenes Epos bezeichnet«: Die Handlung findet an imaginären Orten statt, die natürlich auf Karten festgehalten werden. Er stellt die sehr interessante These auf, dass frühere Autoren wie Tolkien oder Lewis mit ihren Werken der vergangenen Welt ihrer Kindheit nachtrauerten, das Fantasy-Genre aber nach und nach durch die Science-Fiction verdrängt wurde, die sich mehr mit der Rolle der Technologie in unserem Leben auseinandersetzte. Erst durch die radikale Veränderung, die das Internet und die allgegenwärtige Digitalisierung mit sich brachte, begann um die Jahrtausendwende eine Gegenbewegung, die sich wieder stärker der Fantasy zuwandte, aber weitaus düsterere Töne anschlug als viele der großen Klassiker zuvor. In Von der Hand einer Frau bricht die britische Autorin Sandi Toksvig eine Lanze für die Rolle der Frauen beim Kartieren der Welt. Lange Zeit wurden ihre Werke aus der Geschichte verdrängt, wogegen die Fehler oder gar Erfindungen der männlichen Kartografen manchmal Jahrhunderte überdauerten. 277 Den Abschluss bildet Herausgeber Huw Lewis-Jones mit dem Beitrag Das Unbekannte erforschen, in dem er sich mit dem Großen Unbekannten auseinandersetzt – auf Karten häufig verzeichnet als »Hier sind Drachen«, was so viel heißen sollte wie »Hüte dich vor den Gefahren unerforschter Länder«. Er lädt uns Leser ein, uns auf neue Geschichte einzulassen, uns zu wundern und auf neue Reisen zu gehen. So ist Verrückt nach Karten auch definitiv ein Buch, das man wieder und wieder zur Hand nehmen kann, um aufs Neue über all die Wunder zu staunen. Abgerundet wird das 256 Seiten umfassende Buch durch Informationen zu den Autoren, weitere Literatur zum Thema, den Nachweis der Zitate und Bilder sowie ein Register. Insgesamt zeigt der Bildband 167 farbige Abbildungen – Reproduktionen alter Landkarten, Stadtpläne und literarischer Karten. Die Übersetzung aus dem Englischen stammt von Hanne Henninger.

Die Gabe des Winters – Magisches Mittelaltermärchen vor tiefverschneiter Winterkulisse Der Fantasy-Roman von Mara Erlbach ist der ideale Lesestoff für dunkle Winterabende. von Birgit Schwenger

278 Das Mädchen Nuria wächst in dem abgelegenem Dorf Pago mitten im eisigen Wald im Reich Area auf. Das Leben ist einfach, aber gut: Die Gemeinschaft hält zusammen, folgt der weisen Führung ihres Vaters Wim als Dorfvogt, und ein jeder bringt seine spezielle magische Gabe zum Wohle aller ein. Doch als Lady Miriam, die Gemahlin von Areas Herrscher Lord Tarik, erkrankt, wird alles anders: Der große Schnee kommt über das Land, es gibt fast nichts mehr zu essen, Nurias Mutter stirbt, wie viele andere auch, und Lord Tarik, dessen Herz zu Eis geworden zu sein scheint, kündigt den althergebrachten Pakt mit den Dorfbewohnern auf: Er versagt ihnen nicht nur seinen Schutz, sondern lässt sogar mit Gewalt gegen sie vorgehen, als Wim seine Männer in einem letzten verzweifelten Gesuch um Hilfe zu Tariks Burg Griseo führt. Wer Tariks Häschern in die Hände fällt, verliert zudem seine magische Fähigkeit, was das Überleben noch schwerer macht. Einzig die Hoffnung auf die Gabe des Winters lässt die Menschen nicht den Mut verlieren: Wer es schafft, die Burg von Lord Tarik zu betreten, soll der Legende nach den Bann des ewigen Winters brechen können. Den sicheren Hungertod vor Augen, weiß Nuria sich schließlich nicht mehr anders zu helfen, als in Tariks Wäldern zu wildern, obwohl darauf die Todesstrafe steht. Als sie erwischt wird, will ihr Bruder Justor die Strafe auf sich nehmen, doch Lord Tarik schlägt Nuria stattdessen einen schrecklichen Handel vor: Sie soll im Tausch für das Leben ihres Bruders ihr eigenes für immer hinter sich lassen und fortan auf Griseo leben. Erst auf der Burg erfährt sie von Tariks wirklichen Plänen: Aufgrund ihrer großen Ähnlichkeit 279 mit der offenbar verstorbenen Lady Miriam soll sie deren Platz einnehmen. Verzweifelt lässt Nuria sich darauf ein, um insgeheim die Geheimnisse Griseos zu ergründen und die Gabe des Winters zu finden.

Abb. 31 © blanvalet

Magischer Märchenzauber im eisigen Schnee Schon allein durch das wundervoll gestaltete Buchcover mit der glitzernden Schneeflocke als Reliefdruck ist die Klappenbroschur-Ausgabe eine wahre Pracht und verführt unweigerlich zum Lesen des ersten Fantasy-Romans von

280 Mara Erlbach. Die deutsche Autorin, die schon unter dem Pseudonym Jolie Tan einige Historienromane veröffentlicht hat, erfüllte sich mit diesem Buch einen langgehegten Wunsch: die Verschmelzung von Mittelalter und Magie. Fast kann man den Hunger und die Kälte spüren, unter denen die Dorfbewohner leiden. Erlbach schreibt atmosphärisch sehr dicht und findet wunderschöne Bilder für die eisige Winterlandschaft, die die Charaktere der Geschichte fest im Griff hat. Lord Tarik erscheint nach dem Verlust seiner Frau von der Eiseskälte durchdrungen, ist gefühlskalt und stellenweise sehr brutal. Wenn hier auch entfernt Assoziationen an Die Schöne und das Biest anklingen, schlägt Die Gabe des Winters doch einen anderen Weg ein. Die starke und rebellische Nuria steht im Mittelpunkt des Geschehens, und ein Großteil der Handlung wird aus ihrer Perspektive erzählt, zum Teil aber auch aus Tariks, Justors oder Wims Sicht. Erlbach versteht es geschickt, viele Fragen in ihre Geschichte einzuweben, deren Auflösung lange unklar bleibt und die so erheblich zum Spannungsaufbau beitragen: Was ist mit Nurias Mutter passiert? Wer oder was hat den großen Schnee hervorgerufen? Wohin verschwindet die Magie der Dorfbewohner? Fast jeder Charakter hat sein eigenes dunkles Geheimnis und verfolgt seine Agenda. Wie es sich für ein richtiges Wintermärchen gehört, darf eine dramatische Liebesgeschichte natürlich nicht fehlen, aber Nurias Drang, die Wahrheit herauszufinden, steht eindeutig im Vordergrund. Die Kombination aus historischem und Fantasy-Roman mit einer guten Dosis Schauerromantik ist gut gelungen, 281 eine wahrhaft magische Geschichte für kalte Wintertage. Schade nur, dass das Ende so abrupt kommt, auch wenn eine Fortsetzung vermutlich nicht angedacht ist. Dafür hat die Autorin bereits weitere Fantasy-Romane angekündigt: Wir dürfen gespannt sein! https://www.amazon.de/Die-Gabe-Winters-Mara-Erlbach/d p/3734161932/

Das Netz der Sterne – Wissen, Macht und darüber hinaus Der Roman von Andreas Brandhorst entführt in eine bewegte Zukunft. von Hartmut T. Klages

282 Abb. 32 © Piper Verlag

Die menschliche Sterblichkeit – oder deren Überwindung – ist ein Thema, das sich häufig in Romanen von Andreas Brandhorst findet. Der vom Verlag als »Thriller« vermarktete Roman Ewiges Leben ist für mich ein Science Fiction-Roman im besten Sinn. Zwei »Science«-Gedankenexperimente werden erzählerisch ausgestaltet, die möglichen Konsequenzen von Fortschritten der Gentechnologie einerseits und der Virtualisierung andererseits in unterhaltsamer, spannender »Fiction« dargestellt. Angesichts des Spannungsbogens ist die Bezeichnung »Thriller« nicht irreführend. Es wäre aus

283 meiner Sicht aber durchaus wünschenswert, dass ein solcher Roman auch als »Science Fiction« wahrnehmbar wäre. Im Gegensatz zu vielen Geschichten, die unter diesem Label vermarktet werden, aber in Wirklichkeit keine sind (s. Star Wars). Das Netz der Sterne wird vom Verlag als »Roman« vermarktet. Immerhin deutet das Raumschiff auf dem Titelbild das Genre an und warnt Leserin oder Leser, dass sich kein Kriminalroman im Einband versteckt. Der Roman beginnt insofern als »Science Fiction«, als Brandhorst eine interessante Idee für einen überlichtschnellen Antrieb entwirft, eben das titelgebende »Netz der Sterne«. Menschen haben sich darüber zu den Sternen begeben, ferne Planeten besiedelt, aber nur eine einzige Spur einer extraterrestrischen Zivilisation gefunden, die seit 100 Millionen Jahren ausgestorben zu sein scheint. Ein terranischer Konzern bewacht sein Monopol auf Maschinen, die dieses Netz nutzbar machen. Kartographen reisen in unentdeckte Weiten des Netzes, um die »finale Grenze« immer weiter hinauszuschieben. Erzählt werden die Reisen einer jungen Frau, Tess Verlazca, die auf dem fernen Planeten Rosengarten geboren wurde und diesen Planeten nun verlassen möchte, um ihre besonderen Gaben, ihre Stimme und ihr »Esprit«, weiterzuentwickeln. Am Ende der Geschichte wird sie das tun, aber auf eine gänzlich andere Weise als gedacht. Über weite Strecken entwickelt sich der Roman dann zu einer spannenden Entdecker- und Abenteuergeschichte. Aus meiner Sicht wäre die Qualifikation als »Thriller« ebenfalls 284 zutreffend. Als der erste Abschnitt die Hauptperson nach schmerzlichen Verlusten zu einem Happy End zu führen scheint, habe ich mich gefragt, was jetzt noch kommen kann. Doch dann überfallt Andreas Brandhorst Titelfigur, Leserin und Leser mit originellen Einfällen. Brandhorst-Fans werden »die Gloriose« wiederentdecken, die der Autor in seinem Perry Rhodan-Gastroman unlängst erwähnte (Band 3005). Das überraschende Ende schließlich darf wieder ganz eindeutig der Science Fiction zugerechnet werden. Ein nachdenkliches Ende, das eine eindeutige Warnung gegen unbegrenztes Streben nach Wissen, nach Macht (und vielleicht auch Unsterblichkeit) ausspricht. Stellt es doch in mehrfachem Kontext auch die Frage, was es bedeutet, »Mensch« zu sein oder wie »Glück« sich definiert. Das Netz der Sterne ist ein gut lesbarer Roman, in der geübten Sprache eines produktiven Autors verfasst, der die Leserin und den Leser auf eine Heldenreise mit einem unkonventionellen Ende mitnimmt.

285 Werbung

286 Die Herbstlande – Eine fantasievolle Welt wartet darauf, entdeckt zu werden von Peter R. Krüger

Üblicherweise wird in einer Rezension ein einzelnes Werk besprochen. In der Regel ist das auch sinnvoll … so, wie es auch für die folgenden Bücher sinnvoll wäre.

Das große Aber? Manchmal kommt man zu einer Rezension wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kinde. Ehe man sich versieht, hat man plötzlich vier Bücher in der Hand, zwischen denen man sich nun entscheiden soll. Der Roman Die Herbstlande bildet den Beginn der Reihe. Es folgt die Anthologie Geschichten aus den Herbstlanden, dann das Herbstlande Reisejournal und abschließend das Grundregelwerk des Herbstlande Rollenspiels.

287 Abb. 33 © Thorsten Low

Die Herbstlande Fangen wir mit dem Roman an. Die Herbstlande erzählt die Geschichte von Scarlett, einer jungen Frau, die nach einem Unfall ihren Mann Nathan aus den Herbstlanden retten will. Wie ist er da eigentlich hingekommen? Scarlett ist nicht ganz unschuldig daran, denn als sie einen alten Zauber dazu benutzen wollte, um das Familienglück zu vervollständigen, hat sie nicht auf die »Gebrauchsanweisung« geachtet. Kennt noch jemand die Gremlins? Die kleinen, süßen Dinger, die man nicht nach Mitternacht füttern darf? So

288 schaurig wird es in den Herbstlanden zwar nicht, aber wenn wir schon dabei sind, zu vergleichen, dann versuchen wir, der gesamten Herbstlande-Reihe eine ungefähre Richtung zu geben. Michael Endes Unendliche Geschichte oder auch Lewis Carrols Alice im Wunderland dürften so in etwa die richtige Richtung vorgeben, in die sich die Herbstlande bewegen. Man darf sich hier auf eine entspannt erzählte Reise begeben, die die junge Scarlett durch die Herbstlande führt. Interessant ist hier die Idee, dass die einzelnen Länder nicht nur September, Oktober und November heißen, sondern auch die typischen Charakteristika dieser Monate aufweisen. Hinzu kommen noch kleine Besonderheiten wie ein Laubdrache, die Stadt Halloween oder die Kürbiskönigin. Die Autoren Fabienne Siegmund, Stephanie Kempin, Vanessa Kaiser und Thomas Lohwasser zeichnen hier in drei großen Abschnitten (September, Oktober und No-vember) ein stimmungsvolles Bild, das den Leser gemütlich auf dem Sofa bei einer Tasse Tee in diese herbstliche Welt eintauchen und die Reise von Scarlett verfolgen lässt. Bei allen guten und fantasievollen Ideen stellt man jedoch recht bald fest, dass Scarlett als Charakter zumindest zu Beginn ihrer Reise recht naiv ist und ihrem Nathan so unbeirrt hinterherrennt, ihn unbedingt retten und sich bei ihm für ihren Fehltritt mit dem Zauber entschuldigen will, dass es bald schon etwas viel wird. In manchen schön zu lesenden Momenten, die die märchenhafte Welt der Herbstlande beschreiben, fühlt man sich regelrecht verzaubert, bis Scarlett mal wieder einfällt, dass sie ihren 289 Nathan retten muss. Der hat sich aber, noch bevor er in den Herbstlanden verschwand, als ziemlich unangenehmer Zeitgenosse dargestellt. Man ist gelegentlich geneigt, ihr zurufen zu wollen, sie solle den Typen in den (Herbst)Wind schießen, aber wie heißt es so schön? Wo die Liebe hinfällt … Und so etwas gibt es im echten Leben ja durchaus auch, dass man sich fragt, was findet »die« bloß an »dem«? Insofern ist die Darstellung der Scarlett dann doch auch wieder etwas, das man in der Phantastik nicht überall findet. Hier wird ein Mensch in den Fokus gestellt, der sehr empfindsam und auch auf eine aufopfernde Art leidensfähig ist.

290 Abb. 34 © Verlag Thorsten Low

Geschichten aus den Herbstlanden Empfindsamkeit beweist dann auch der Kurzgeschichtenband Geschichten aus den Herbstlanden, in dem sich über 30 wundervolle Kurzgeschichten finden, die sich, wie im Buchrückentext so schön formuliert wurde, »zwischen Laubrascheln und Herbstwindflüstern« bewegen. Neben einigen Jungautoren finden sich hier auch ein paar namhafte Autoren wie beispielsweise Ann-Kathrin Karschnick, Bernd Perplies, Markus Heitkamp oder auch den vier Herbstlande-Entdeckern Siegmund, Kempin, Kaiser und Lohwasser.

291 Die Kurzgeschichten sind recht unterschiedlich und berühren sowohl traurige als auch fröhliche Aspekte. Insgesamt unterstreichen sie jedoch den märchenhaften Eindruck, den man bereits mit dem ersten Buch erfahren durfte.

Abb. 35 © Verlag Thorsten Low

Herbstlande Reisejournal Als nützliche Überleitung hat sich dann das Herbstlande Reisejournal herausgestellt. Hier werden nicht nur die einzelnen Regionen nochmals genauer beleuchtet, sondern auch die dort lebenden Wesen betrachtet und weitere Hintergrundinformationen näher erklärt. Als Begleitwerk zu 292 den bereits genannten Büchern durchaus zu empfehlen, für das nächste Werk allerdings mehr als nützlich. Grundregelwerk des Herbstlande Rollenspiels Und da sind wir nun beim Grundregelwerk des Rollenspiels zu den Herbstlanden angekommen. Wer sich von den märchenhaften Geschichten der Herbstlande hat inspirieren lassen, hier selbst Abenteuer erleben zu wollen, der kann sich mit diesem Werk und ein paar Freunden hinsetzen und die Herbstlande auf eigene Faust erkunden. Dazu benötigt es nur noch einen Charakterbogen (gibt es auf der Homepage des Verlags kostenfrei zum Herunterladen oder als Kopiervorlage im Buch), ein paar ganz normale Würfel (auch als W6 bezeichnet = sechsseitiger Würfel) Bleistift, Radiergummi und – das ist das Wichtigste! – Fantasie. Das Spielsystem wird in dem Buch gut erklärt und stellt sich überraschend einfach dar. Allerdings bietet es trotz der Einfachheit noch genug Tiefe, um die erstellten Charaktere nicht als bloße Abziehbilder, sondern durchaus als individuelle Helden darstellen zu können. Der versierte Rollenspieler mag vielleicht zur Ansicht gelangen, dass es noch viel tiefgründiger und weit experimentierfreudiger in der Erstellung und Entwicklung der Charaktere zugehen könnte, doch bleiben wir einfach bei dem Fakt, um den es hier geht. Hier werden nämlich vor allem die Spieler angesprochen, die einfach und ohne Spezialwissen gemeinsam Abenteuer in den Herbstlanden erleben wollen. Und das darf man sich anhand der Regeln auch gerne eher als Erzählspiel denn als Würfelspiel vorstellen. Das 293 Hauptaugenmerk wird hier vor allem darauf gelegt, eine Geschichte gemeinsam zu erzählen und die Würfel nur gelegentlich sprechen zu lassen. Das Herbstlande Rollenspiel wartet zudem noch mit einem Einstiegsabenteuer auf, das den interessierten Spielern einen ersten Einblick in die Funktionsweise der Regeln und des Spiels im Allgemeinen vermittelt. Der Tipp lautet, das Abenteuer unbedingt zu spielen, bevor man eigene Ideen umsetzt.

Abb. 36 © Edition Dungeon Owl

Kommen wir nun aber zum Fazit

294 Vier sehr unterschiedliche Bücher lagen nun zu einer einzigen Fantasiewelt vor. Und obwohl es noch ein paar Bücher mehr gibt, die Geschichten in den Herbstlanden erzählen, bietet diese Auswahl doch einen guten Überblick darüber, was den interessierten Leser hier erwartet. Vor allem wird hier eine Welt aufgebaut, die geradewegs einem Märchen entnommen zu sein scheint. Zu schön sind die Abenteuer, die Scarlett beispielsweise mit dem Laubdrachen erlebt, oder all die Geschichten, die sich im Kurzgeschichtenband finden. Wer actionreiche Fantasyschlachten oder raubeinige, axtschwingende Zwerge sucht, der ist hier fehl am Platze. Denn hier werden empfindsame Geschichten erzählt, die gut und gerne für einen gemütlichen Leseabend herhalten können und auch manchmal zum Nachdenken anregen. Die Option, schließlich mit dem Rollenspiel auf eigene Faust die Herbstlande erkunden zu können, ist eine interessante Möglichkeit, diese Welt selbst noch weiter auszuschmücken. Das Regelwerk ist zudem auch sehr einsteigerfreundlich. Alles in allem sind die Bücher aus den Herbstlanden jedem zu empfehlen, der sich gerne auf eine eher gemütliche Reise in eine fantastische Welt begeben möchte.

295 Über uns die Hölle – Hardcore Horror aus dem Hause Redrum von Peter R. Krüger

24.11.2019 – Buch Berlin. Mehr durch Zufall geriet ich in die Fänge des Redrum Verlags. Das klingt beängstigender, als es tatsächlich war, denn sowohl Verlagschef Michael Merhi als auch sein Team am Redrum Stand waren insgesamt sehr freundlich. So kam man ins Gespräch, und letztlich stellte sich die Frage, ob es denn in dem ganzen Portfolio, unter all den Hardcore Horror-Romanen, auch etwas gibt, das Science-Fiction-Fans ansprechen könnte? Das erste Buch, das dann vorgeschlagen wurde, war allerdings – so entschied ich bewusst – ganz sicher nicht dazu geeignet, um eine Rezension im Corona Magazine zu erhalten. Sicher – auch Horror gehört zur Phantastik, doch es gibt bei Crossover-Geschichten auch Grenzen. Das zeigt jedoch auch, dass der Begriff »Hardcore Horror« durchaus richtig gewählt wurde, um das Repertoire des Redrum Verlags zu beschreiben. Beenden wir nun die Einleitung und kommen wir zum Wesentlichen, nämlich zu dem Werk, welches an dieser Stelle tatsächlich eine Rezension im Corona Magazine erfährt: der Roman Über uns die Hölle von Simon Lokarno.

296 Abb. 37 © Redrum Books

Dem Leser wird hier einiges abverlangt, darüber sollte man sich klar sein. Positiv festzuhalten ist, dass sich hier eine wirklich spannende Geschichte aufbaut, die an manchen Stellen zunächst scheinbar nur dem Horror zu frönen scheint, letztlich jedoch einen eigenen Sinn entwickelt und damit noch ein ganzes Stück an Tiefe gewinnt. So muss sich der Protagonist, Falko Thurner, nicht nur mit einer Amokwelle beschäftigen, sondern sich selbst auch der Gefahr erwehren, die hinter alledem steckt. Und siehe da, mit einem Schmunzeln im Gesicht verriet Verlagschef Merhi

297 auf der Buchmesse nur, dass der Science Fiction-Aspekt zum Ende des Buchs auftaucht. Der Fairness halber sei hier auch nicht mehr verraten, außer, dass er damit recht behalten soll. Der Aufbau der Geschichte fesselt durchaus und weiß den Leser an den Buchstaben kleben zu lassen. Doch so viel Spaß diese Horror-Geschichte auch gemacht hat, an manchen Stellen wurde ich leider unangenehm herausgerissen. Punktuell, das muss eingeräumt werden. Lokarno ist sich selbst nicht zu schade, explizit über Blutiges, Ekliges und auch Sexuelles zu schreiben. Blutig und eklig mag für einen Horrorroman dazugehören, Sex für den Hardcoreteil ebenfalls. Nun sollte schon klar sein, dass dieser Roman nicht als Geschenk für den Kindergeburtstag taugt. Allerdings wirkt es leider manchmal etwas dahergeschrieben, wenn mal wieder ein Körperteil zerfetzt wird oder sich irgendjemand irgendwo übergeben muss. Dass sich die handelnden Personen auch nicht immer akkurat äußern und einen teils sehr derben Sprachgebrauch haben, ist in dem Zusammenhang der Geschichte zwar glaubwürdig, nur leider färbt das an wenigen Stellen auch auf den Autor selbst ab. Das schmälert das Lesevergnügen manchmal etwas und vermittelt den Eindruck, dass sich Simon Lokarno bei der Beschreibung mancher ausführlichen Schilderung vom Übermut hat hinreißen lassen. Und so leid es mir tut, ich komme nicht darüber hinweg. Ein Pamphlet ist ein Schriftstück, etwas, das man lesen kann, im eigentlichen Sinne eine Schmähschrift. Wenn 298 Freddy dann zu den Besuchern spricht, dann kann er vielleicht seinen »Psalm« herunterleiern oder seine »Litanei« immer und immer wiederholen oder irgendwas anderes. Aber er kann nicht sein Pamphlet aufsagen. Na gut, das könnte er, wenn er denn das Schriftstück hervorholen und es vorlesen würde. Aber das macht er nicht. Zum Abschluss lässt sich sagen, dass Über uns die Hölle durchaus spannend zu lesen war und am Ende insgesamt noch einen guten Gesamteindruck macht. Ein paar Stilblüten finden sich hier jedoch, über die man aber meist nach kurzem Stirnrunzeln hinwegsehen kann.

Gemini Rebellion – Das Jahr 2022 lässt grüßen. von Peter R. Krüger

Der Autor dieses Buchs, Ingo Eikens, beschreibt sich selbst als Fan von großen Namen wie Ende, Blyton, Twain, Lindgren, Tolkien oder Jules Verne. Liest man Gemini Rebellion, dann wird schnell klar, dass hier noch ein weiterer Name hinzugefügt werden kann: Harry Harrison, dessen Roman New York 1999 als Vorlage für den dystopischen Film Soylent Green (bei uns Jahr 2022 … die überleben wollen) diente. Nun ist Gemini Rebellion ganz gewiss keine Soylent Green-Kopie. Eikens versteht es jedoch, eine immer beängstigender wirkende Stimmung aufzubauen, die im

299 Verlauf der Geschichte geradezu danach schreit, aus sich herauszukommen und sich Raum verschaffen zu können. Allein in diesem Punkt lehnt sich Gemini Rebellion auf angenehm schaurige Weise an Soylent Green an.

Abb. 38 © Talawah Verlag

Ganz zu Beginn versucht der Reporter Russel Brand, einen Politiker ordentlich aus der Reserve zu locken, und glaubt indes an die Story seines Lebens. Doch im Laufe der Geschichte entwickelt sich Russel Brand zu einem Kämpfer der Gerechtigkeit. Obwohl er das bereits zu Beginn der Geschichte vorgab, war es zunächst wohl aber doch nur die Sensationslust oder vielleicht auch das übereifrige Ego, eine

300 ganz besondere Story abliefern zu wollen, welche ihn antrieb. Je mehr er aber hinter den Schleier blicken und die Wahrheit erkennen kann, desto wichtiger wird seine Arbeit des freien Journalismus. Kurzum: Etwas ist faul in den Vereinigten Staaten, die hier als Handlungsort dienen. Ingo Eikens gelingt es mit Gemini Rebellion, eine hervorragende Geschichte zu erzählen, die zwar eigentlich in der Zukunft angesiedelt, aber doch irgendwie erschreckend nah ist. Auch der Frage der Geburtenkontrolle nimmt sich der Autor auf eine ganz eigene Weise an und erzählt hier in einem weiteren Handlungsstrang, welche Schicksale abseits der Reichen und vermeintlich Schönen auf diejenigen warten, die sich eigentlich gar nichts leisten können. Seine Lorbeeren hat sich Ingo Eikens übrigens bereits verdient. Sein Debut hatte er bereits 2016 mit dem Battletech-Roman Nr. 31: Im Schatten der Bestie. Gemini Rebellion ist insgesamt sehr gradlinig, baut Kapitel für Kapitel eine schaurige Dystopie auf und zeigt vor allem mit Russel Brands Werdegang eine interessante Charakterentwicklung.

301 Werbung

302 Kurzgeschichte des Monats

Liebe Kurzgeschichten-Freunde, auf Platz zwei unserer Themenrunde »Freiheit« ist eine gute Bekannte gelandet: Nina Teller, schon mehrfach im Corona zu lesen, mit ihrer Story Angst im Wolfspelz. Wir wünschen wie immer viel Vergnügen bei der Lektüre und freuen uns genauso wie unsere Autoren über Rückmeldungen – ob per E-Mail oder in unserem Forum unter dem Dach des SF-Netzwerks (www.sf-netzwerk.de). Das nächste Thema unseres regelmäßigen Story-Wettbewerbs lautet »Der Tempel« (Einsendeschluss: 1. März 2020). Wer Interesse hat, sich mit einer bislang unveröffentlichten Kurzgeschichte (Science-Fiction, Fantasy, Horror, Phantastik – keine Fan-Fiction) zu beteiligen, die einen Umfang von 20.000 Zeichen nicht überschreitet, schickt seine Story (möglichst als rtf-Datei, bitte auf keinen Fall als pdf) rechtzeitig per E-Mail an die Kurzgeschichten-Redaktion, die unter [email protected] zu erreichen ist. Die nach Meinung der Jury (meistens) drei besten Geschichten werden im Corona Magazine veröffentlicht.

Armin Rößler

303 Nina Teller: Angst im Wolfspelz »Fühlen Sie sich bereit?« Der Wolf atmete tief ein, wobei die Narbe an seinem Bauch zog, als wäre der Schnitt frisch. Als er die Treppenstufen zur Praxis seines Traumatherapeuten hochgestiegen war, hatte sich ein Brennen in der Narbe bemerkbar gemacht, das sich über seinen ganzen Körper ausgebreitet hatte. Mittlerweile gab es keine Stelle, die nicht schmerzte. »Ja«, sagte der Wolf. »Gehen Sie an Ihren sicheren Ort.« Die Angst hockte auf seiner Brust, wie ein Raubtier auf seiner Beute. Trotzdem lehnte er sich zurück, atmete, nur die Augen schloss er nicht. Die Rückenlehne des Ledersessels fühlte sich angenehm kühl an. Er hatte sich bei seiner ersten Sitzung versichert, dass es sich um Kunstleder handelte, weil er sich nicht auf ein Möbelstück setzen konnte, das aus der abgezogenen Haut eines anderen Tieres bestand. In den letzten Sitzungen hatten sie einen sicheren Ort erschaffen. Der Wolf ließ die dicken Mauern seiner Burg in seinem Geist erscheinen. Um das Gemäuer war ein wassergefüllter Graben gezogen, darüber führte eine Zugbrücke, die nur der Wolf bedienen konnte. Hier war er sicher. Im Burghof standen Birken, und er hatte ein Beet mit Möhren, Kohlrabi, Gurken, Zucchini, Salatköpfen und Tomaten angelegt. Aus seinem Kräutergarten wehte der Geruch von Basilikum, Thymian und Salbei herüber. Vögel 304 zwitscherten, und in der Nähe rauschte ein Bach, aus dem er sein Trinkwasser bezog. Nur kein Brunnen, nein, ganz sicher kein Brunnen! Es gab alles, was er zum Leben brauchte. An diesem Ort hatte der Wolf die Freiheit zurück, die ihm der Vorfall genommen hatte. »Verharren Sie in Ihrer Burg. Das Tor ist geschlossen. Sie sind sicher.« »Ja«, hauchte der Wolf. »Wir können warten, bis Sie sich bereit fühlen. Wir haben Zeit. Sie dürfen sich diese Zeit nehmen.« »Nein. Ich bin bereit.« Er durfte nicht wieder kneifen! Was war das für ein jämmerliches Bild? Ein Wolf ließ sich nicht von seiner Angst bestimmen. Wölfe waren Jäger. Kämpfer. Sie saßen nicht auf dem Sofa eines Therapeuten und kniffen den Schwanz ein, wenn sie sich erinnern sollten. Es waren nur Worte und Bilder. Nein, er sollte sich davon nicht einschüchtern lassen! Es war nicht leicht, seine Angst als psychische Krankheit anzunehmen. Immer wieder hatte sein Therapeut ihm gesagt, dass er sich nicht für die Krankheit schämen musste, aber der Wolf wollte nicht länger warten und diesen Mist ertragen. Er wünschte sich nichts mehr, als frei zu sein von diesen bescheuerten Ängsten, von den Bildern, die ihn überfielen, egal ob er wach war oder träumte. »Sie sind in Sicherheit«, wiederholte der Therapeut. »Wir können jederzeit abbrechen. Es ist ganz normal, dass dieser Schritt schwer ist. Sie sind nicht schwach, wenn Sie noch nicht bereit dazu sind.« 305 »Ich will es versuchen.« »Gehen Sie jetzt zurück zu dem Tag, an dem Sie das Mädchen getroffen haben.« Alles im Wolf sträubte sich, und doch war es genau das, weswegen er die Therapie machte. Nach der Stabilisierung musste er endlich einen Schritt weiter gehen und das Trauma bekämpfen. Wie sollte er ewig so weitermachen? Seit dem Vorfall war er nicht mehr er selbst. Er war … eigentlich war er überhaupt nichts mehr außer einem Bündel Nerven. Jedes Geräusch erschreckte ihn, und selbst außerhalb des Waldes, den er seit dem Vorfall nie wieder betreten hatte, fühlte er sich nirgendwo sicher. Selten verließ er die betreute WG, in die er auf Anraten seines Therapeuten gezogen war. Früher war er frei gewesen, konnte durch den Wald streifen, Eichhörnchen fressen, Hasen jagen, Pilze sammeln, sich die Sonne auf den Pelz brennen lassen und unten am Bach ein Nickerchen einlegen. Sein Therapeut räusperte sich. »Stellen Sie sich vor, wie es an diesem Tag gerochen hat. Hat die Sonne geschienen?« »Ja«, flüsterte der Wolf. »Es war ein schöner Tag. Die Vögel haben gesungen und es war warm. Deshalb kam das Mädchen wohl auch den Weg entlang, es hat auf dem Weg Blumen gepflückt. Seine Mutter hat es geschickt, um nach der Großmutter zu sehen.« »Hat es Ihnen das erzählt?« »Ja. Ich weiß, dass man fremden Menschen nicht trauen soll, aber ich habe mich so allein gefühlt. Ich wollte doch 306 nur ein bisschen Gesellschaft.« Der Wolf rutschte auf dem Sessel herum. »Ich habe gefragt, was es da im Korb hat. Wein und Kuchen, den ihm die Mutter für die kranke Großmutter mitgegeben hat. Eine ganze Flasche. Nicht unbedingt die beste Medizin für eine alte Frau, finden Sie nicht?« »Nun … Was ist dann passiert?« »Das Mädchen hat mich gefragt, was ich hier draußen mache, und ob ich nicht mitkommen will.« Achselzuckend stieß er aus: »Ich hätte es wissen müssen!« »Sie müssen sich keine Vorwürfe machen. Sie sind nicht Schuld an dem, was passiert ist.« Die Narbe, die sich von seinem Hals über seinen Bauch zog, schmerzte so sehr, dass er kaum noch Luft holen konnte. Sein ganzer Körper war verkrampft, seine Schnauze kribbelte, als hätte er Feuerameisen gefressen. »Es hat mir gesagt, dass ich mitkommen kann. Zum Haus seiner Großmutter. Es steht unter drei Eichbäumen, gleich hinter den Nusshecken.« Der Wolf schluckte. »Es hat gesagt, seine Großmutter würde Blumen lieben, und ich könnte welche pflücken. Als ich mich mit einem stattlichen Strauß umgedreht habe, war es verschwunden.« Im folgenden Schweigen kam dem Wolf jedes Geräusch vor wie ein Flugzeug, das neben seinem Kopf startete. Früher hatte er nicht einmal gewusst, was ein Flugzeug war. In seinem Wald war es still und friedlich gewesen. Er hatte sich sicher gefühlt. Sicher und frei.

307 »Erinnern Sie sich an die Blumen«, sagte der Therapeut und holte den Wolf zurück in den Moment. »Wie haben sie gerochen? Welche Farbe hatten die Blüten?« »Es waren Buschwindröschen und gelbe Sumpfdotterblumen.« Mit dem Wald und seinen Pflanzen kannte er sich aus. Es half ihm, sich zu konzentrieren und zu beruhigen. »Eigentlich viel zu schade, um sie abzubrechen. Ich habe das Mädchen gerufen und es auf der Lichtung gesucht, doch es hat mich einfach stehen lassen. Dabei hatte ich solchen Hunger!« »Also sind Sie zu der Hütte der Großmutter«, machte der Therapeut weiter. »Ja, weil ich die Einsamkeit satthatte und hungrig war. Der Kuchen hat so gut gerochen! Seit sie die Autobahn gebaut haben, sind immer mehr Tiere verschwunden. Ich hatte eine Woche lang nichts mehr gegessen. Können Sie sich das vorstellen?« »Meine Frau steht auf Heilfasten. Ich hätte für einen Burger oder auch nur ein Stück altes Brot getötet.« »Ich habe die Hütte gefunden. Sie war wirklich gleich hinter den Nusshecken.« Die Stimme des Wolfs brach. Hilflos schaute er sich im Zimmer um, suchte irgendetwas, das ihm Halt gab. »Wollen wir eine Pause machen?«, fragte der Therapeut. Auch wenn der Wolf es nur im Augenwinkel sehen konnte, wusste er mittlerweile, dass der Mann in solchen Momenten nach vorne auf die Stuhlkante rutschte und seine Brille ein Stück nach unten schob. Diesen Blick kannte der Wolf, und er wollte ihn nie wieder sehen. 308 »Nein«, flüsterte der Wolf. »Es ist in Ordnung.« Er griff nach dem Wasserglas und nahm einen großen Schluck, doch es half nicht gegen sein trockenes Maul und die Enge in der Kehle. »Das Gör hat mir den Bauch aufgeschnitten! Es hat sich hinter einer Eiche versteckt und ist herausgesprungen, als ich gerade mit meinem Blumenstrauß an die Tür klopfen wollte. Zuerst habe ich nur das Messer gesehen, das sicher für den Kuchen gedacht war, dann sein Grinsen. Es hat die ganze Zeit gelacht.« Schatten tanzten an der Wand. Der Wolf suchte nach Worten, um auszudrücken, wovon er fast jede Nacht träumte. Wut mischte sich zu der Angst. »Es hat meinen Bauch mit Steinen gefüllt. Ich war die ganze Zeit bei Bewusstsein, habe alles gespürt. Durch mein Heulen kam der Jäger, aber er hat mir nicht geholfen. Mit dem hatte ich mich noch nie verstanden. Er wollte alles Wild für seine Tiefkühltruhe. Ist das gerecht?« »Nein, das ist es nicht«, sagte der Therapeut. »Auch Tiere brauchen Nahrung. Er hätte Ihnen helfen müssen. Niemand hat das Recht, einen Wolf zu verletzen.« »Das Gör hat mich mit dem Jäger zusammen in den Brunnen geworfen. Ganze vier Tage lag ich dort. Gefangen. Ich dachte … ich dachte, ich würde sterben.« »Sie haben überlebt. Das müssen Sie sich immer wieder sagen.« »Aber wozu?« Der Wolf sprang auf. Nichts konnte ihn in diesem Sessel halten. Seine sichere Burg war weit entfernt. Wie sollte er jemals angstfrei sein, wenn das Mädchen noch

309 dort draußen war und ihn jederzeit finden konnte? Es und viele andere kleine Mädchen, die ihm Angst machten. Gefühlt war er immer noch im Brunnen gefangen — und in seinem eigenen Gehirn. Dieses verfluchte Trauma hatte ihn krank gemacht. Der Therapeut sagte: »Ich verstehe, dass Sie aufgebracht sind …« Ein Blick ließ den Mann verstummen. Der Wolf lief ans Fenster und schaute hinaus. Früher hatte ihn die Natur beruhigt, er hatte den Wald geliebt. All das war vorbei. »Ihr Leben kann sich verändern«, sagte der Therapeut. »Sie haben die Freiheit, Ihr Leben zu gestalten. Trotz Ihrer Vergangenheit.« Er war dem Tod entkommen, weil die Großmutter, Ulrike, ihn, als sie das Bett verlassen konnte, aus dem Brunnen gezogen und aufgepäppelt hatte. Sie hatte ihm geholfen, in der Stadt eine Wohnung zu finden, und hatte ihn beim Ersttermin mit seinem Therapeuten begleitet. Mit ihrer Hilfe hatte er den Wald, der ihn Panikattacken erleiden ließ, hinter sich gelassen. Hatte angefangen, sich einen Weg zu suchen, um aus seinem Leiden ausbrechen zu können. Der Wolf schaute stumm auf die Stadt hinunter, die dem Abend entgegenhetzte. Eine alte Dame verlor ihren Hut. Ein tätowierter Muskelprotz löste sich aus der Gruppe seiner Freunde, die an der Bushaltestelle herumlungerten, und eilte dem Hut hinterher, um ihn der Frau zurückzubringen. Autos sammelten sich auf den drei Spuren vor der Ampel, 310 ein Motorradfahrer schlängelte sich zwischendurch. Die Abgaswolke, die sich in der Häuserschlucht gesammelt hatte, konnte man nicht nur riechen, sondern schmecken. Vielleicht musste er sich damit abfinden, dass es keinen Wald mehr für ihn gab, und endlich anfangen zu leben. In der Stadt. Auch hier gab es kleine Mädchen, der Unterschied war jedoch, dass die Mütter sie nicht allein durch die Gegend spazieren ließen. Eltern überwachten ihre Kinder mit Handys, fuhren sie bis an den Schulhof, holten sie ab, brachten sie zu Trainingsstunden und zum Klavierunterricht. Die Gefahren der Stadt kamen ihnen bedrohlicher vor als auf dem Land. Autos, Lastwagen, Drogendealer, Entführer, U-Bahn-Schläger, Vergewaltiger, Mörder. Sie waren die Wölfe von heute.

*

Über die Autorin Nina Teller wurde 1987 im Fichtelgebirge geboren und lebt jetzt im Teutoburger Wald, wo sie ihren Lebensgefährten mit der Ukulele terrorisiert, asiatische Gerichte ausprobiert und sich über jeden Schneetag freut. Zu ihren Lieblingsgenres gehören Horror, Thriller, Fantasy und Sci-Fi. Sie veröffentlicht Kurzgeschichten in Anthologien und Zeitschriften, unter anderem »Shinrais Gebet« in Michael Schmidt (Hrsg.): Das Schiff der Spione (2019). https://www.ninateller.de/ 311 Phantastische Wissenschaft

Ressortleiter Reiner Krauss

Subspace Link – Neues aus dem All

Ein Blick über unsere Köpfe von Reiner Krauss

Neue galaktische Ausblicke und spannende Berichte über uns …

Unsere Sonne: spektakulärer Merkur Transit aufgenommen

312 Abb. 39 ©: NASA / Langzeitbelichtung des Merkur Transit

Diverse Planeten umkreisen die Sonne, und zwei Planeten sind noch näher an ihr als unsere Erde. Der sonnennächste Planet ist der Merkur. (Wiki) Mit einem Durchmesser von knapp 4880 Kilometern der kleinste, mit einer durchschnittlichen Sonnenentfernung von etwa 58 Millionen Kilometern der sonnennächste und somit auch schnellste Planet im Sonnensystem. Er hat mit einer maximalen Tagestemperatur von rund +430 °C und einer Nachttemperatur bis −170 °C die größten Oberflächen- Temperaturschwankungen aller Planeten. Wegen seiner Sonnennähe ist er von der Erde aus schwer zu beobachten, doch jüngst gelangen atemberaubenden Aufnahmen, als er zwischen Erde und Sonne vorbeizog.

Voyager 2: Sonde hat den interstellaren Raum erreicht 313 Abb. 40 ©: NASA / Voyager 2 – künsterische Darstellung

Nach über 41 Jahren hat nun auch die Schwester-Sonde Voyager 2 die Heliosphäre der Sonne (Magnetfeld) verlassen. Trotz der ungeheuren Entfernung von mehr als 18 Milliarden Kilometer von der Erde entfernt hat die NASA immer noch Kontakt zur Sonde. So weit wie Voyager 2 kam bisher nur Voyager 1 vor rund sechs Jahren. »Dieses Mal ist es sogar noch besser für uns, da das sogenannte Plasma Science Experiment (PLS) noch funktioniert. Die Messungen des Instruments ermöglichten nun einen noch nie dagewesenen Blick in wahrlich unerforschtes Gebiet«, sagte Nicky Fox, Leiterin der zuständigen NASA-Abteilung. Bei Voyager 1 war das PLS-Instrument bereits 1980 ausgefallen – lange bevor die Sonde die Grenze der Heliosphäre erreichte.

314 Starliner: Boeings Raumkapsel verfehlt die ISS

Abb. 41 ©: Boeing / Starliner nach der Landung

Boeings neues Raumschiff Starliner ist am 22. Dezember 2019 an drei Fallschirmen zu einer Airbag-gepolsterten Landung in White Sands New Mexico erfolgreich aus dem Orbit zurückgekommen, um einen zweitägigen, verkürzten Testflug im Orbit abzuschließen, der viele Ziele erreichte, aber ein geplantes Rendezvous und Andocken an die ISS (Internationale Raumstation) verpasste. Ein Timer-Problem verursachte eine falsche Bordzeit, und die Manöverdüsen feuerten, sodass der Treibstoff frühzeitig ausging. Das Bergungsteam näherte sich der Kapsel nach der Landung, stellte sicher, dass keine giftigen Dämpfe austraten, und öffnete dann die Luke, um mit der Inspektion der Druckkabine des Schiffes zu beginnen, wo eine

315 instrumentierte Testpuppe namens »Rosie« im Cockpit angeschnallt war. Das Schiff wird für eine zukünftige Mission mit den NASA-Astronauten Suni Williams, Josh Cassada und zwei internationalen Partnercrewmitgliedern wiederverwendet. Nach der Landung taufte Williams das Raumschiff in einer Ode an das Schiff des französischen Ozeanographen und Entdeckers Jacques Cousteau auf den Namen Calypso.

Weiterführende Informationen zum Thema: https://youtu.be/i4CeipvvYb4 – Starliner Orbital Flight Test Cabin Camera Views

ISS: Langzeit-Rekord einer Frau im All

Abb. 42 ©: NASA / Christina Koch auf dem Weg zur ISS

316 Astronautin Christina Koch, die im März 2019 zur Internationalen Raumstation (ISS) gestartet ist, bricht mit dem 289. Tag im Weltraum den Weltrekord der pensionierten Astronautin Peggy Whitson für den längsten Einzelraumflug einer Frau. Auf dem Weg dorthin hat Koch an vier Weltraumspaziergängen teilgenommen und im Oktober zusammen mit der Astronautin Jessica Meir den ersten rein weiblichen Ausflug der Geschichte unternommen. Im Januar war sie noch zweimal im Außeneinsatz, um gemeinsam mit Meir die Installation der neuen Solarzellenbatterien abzuschließen. Wenn sie wie geplant am 6. Februar zur Erde zurückkehrt ist, wird ihre Zeit im All 328 Tage betragen, nur zwölf Tage weniger als der US-Einzelflugrekord des pensionierten Astronauten Mark Kelly, der im Jahre 2016 aufgestellt wurde. Der absolute Rekord von 438 Tagen wurde 1995 vom Kosmonauten Valery Polyakov aufgestellt. Whitson hält immer noch den US-Rekord für die Gesamtzeit im All – fast 666 Tage – über fünf Flüge. »Rekorde sind dazu da, um gebrochen zu werden. Es ist ein Zeichen des Fortschritts. Glückwunsch!«, twitterte Whitson.

SpaceX: Crew Dragon bereit für ersten bemannten Flug

317 Abb. 43 © SpaceX / Abord-Demoflight künstlerische Darstellung

In einem dramatischen Höhen-Testflug (Demo-2; Inflight-Abord-Test) der Crew Dragon-Kapsel über Raumfahrtküste am Sonntag, den 19. Januar 2020, testete SpaceX die Fähigkeit des bemannbaren Schiffs, einem Raketenausfall zu entkommen und seine Besatzung zu retten. Zuvor bereiteten sich die beiden NASA-Astronauten und (die als erste mit Crew Dragon zur ISS fliegen sollen) für einen simulierten Start vor.

318 Abb. 44 © SpaceX / Bob Behnken and Doug Hurley

Der anschließende Testflug beinhaltete einen absichtlichen Ausfall von Dragons Booster etwa anderthalb Minuten nach dem Start vom . Die Rakete, die zuvor drei Mal mit einem recycelten Booster der ersten Stufe geflogen war, löste sich in einem Feuerball hoch über dem Atlantischen Ozean auf, als die Crewkapsel mit einem kräftigen Schub von acht SuperDraco-Triebwerken von der Spitze der Trägerrakete weggeschleudert wurde. Die Crew Dragon flog auf einer ballistischen Flugbahn mit einer Höchstgeschwindigkeit von Mach 2,2 auf einer Höhe von etwa 19 km, als die vorprogrammierte Fluchtsequenz der Crew Dragon bei 84 Sekunden nach dem Start begann.

319 Abb. 45 © Greg Scott / Falcon 9 geplante Explosion nach Kapseltrennung

Die Kapsel entfaltete anschließend die vier Hauptfallschirme für eine Wasserlandung im Atlantik, etwa 32 Kilometer östlich des Kennedy Space Center. Danach hob das Bergungsschiff Go Searcher von SpaceX die Kapsel aus dem Meer und brachte die Crew Dragon nach Port Canaveral zurück. Die Kapsel flog bereits im März 2019 auf ihrer ersten unpilotierten Raumfahrtmission, genannt Demo-1, erfolgreich zur Internationalen Raumstation (ISS). Die sechstägige Rundreise umfasste einen Start mit einer Falcon 9 Rakete von Cape Canaveral, ein automatisches Andocken an das Forschungslabor im Orbit und eine Wasserlandung im Atlantik. Der nächste Schritt ist die erste Reise der Kapsel ins All mit Astronauten. Der Testabbruch der Crew Dragon war die letzte große Flugvorführung eines vollwertigen 320 Crew-Dragon-Raumschiffs vor dem ersten Start mit Menschen an Bord. »Die Crew Dragon kann einen Abbruch einleiten und sich in nur 700 Millisekunden von einer ausfallenden Trägerrakete befreien«, so (CEO SpaceX). »Ich bin super aufgeregt. Das ist großartig ... Wir freuen uns auf den nächsten Schritt.«

Weiterführende Informationen zum Thema: https://youtu.be/mhrkdHshb3E – Crew Dragon Launch Escape Demonstration

Subspace History – Alex Gerst: mahnende Worte auf der ISS

Abb. 46 ©: ESA / Alexander Gerst in der Cupola der ISS mit dem Blick auf die Erde

Der deutsche ESA-Astronaut Alexander Gerst hatte die Menschen auf allen Kontinenten erreicht und wird dafür

321 zurecht weltweit anerkannt. Jüngst bekam er gar das zweite Bundesverdienstkreuz durch den Bundespräsidenten (wir berichteten in der letzten Ausgabe). Nach seiner zweiten Langzeitmission Horizons im Jahre 2018 war er wieder auf dem Blue Dot, der Erde, gelandet, dem kleinen, blauen Punkt im weiten, tiefschwarzen Weltall. Bereits bei seiner ersten Mission 2014 hatte Gerst darauf hingewiesen, wie verletzlich unser Heimatplanet ist. Auch 2018 sendete er von der ISS regelmäßig Nachrichten Richtung Erde, darunter immer wieder auch beeindruckende Fotos und eine bewegende Botschaft an seine zukünftigen Enkelkinder. Außergewöhnliche, emotionale und mahnende Worte von einem, der unseren einzigen noch lebenswerten Planeten zweimal schon von über 400 Kilometer Höhe aus der ISS erlebte und sah und erkannte, wie wir dabei sind, ihn zu verschmutzen und zu zerstören. Eine Ansprache an seine potentiellen Enkelkinder (schauen sie den nachfolgenden Link). »Liebe Enkelkinder, … Im Moment sieht es so aus, dass wir – meine Generation – diesen Planeten nicht in seinem besten Zustand für euch hinterlassen werden. …«

Weiterführende Informationen zum Thema: https://youtu.be/tFW5E9MDJPo

Gersts Botschaft an mögliche Enkelkinder: »Ich schau auf euren wunderschönen Planeten« (noch). Wie sehr wir längst dabei sind, unsere Lebensgrundlage 322 zu vernichten, sagt uns nicht nur Greta Thunberg, sondern unser Andreas Dannhauer im Topthema des Monats.

323 Phantastische Kunst

Rückwärtsgewandte Restrospektive Die Ausstellung I was a robot im Folkwang Museum in Essen von Hartmut T. Klages

Abb. 47 © Edition Folkwang / Maison d'ailleurs

Das renommierte Museum Folkwang in Essen hat in Kooperation mit dem Deutschen Plakatmuseum und dem Maison d'ailleurs aus Yverdon les Bains in der Schweiz eine Sonderschau zum Thema Roboter zusammengestellt. 324 Überwiegend werden Visualisierungen auf Titelbildern von SF-Magazinen und Romanen ausgestellt. Es finden sich aber auch Beispiele aus Filmen, Musik und Computerspielen bis hin zu einer Roboter-Spielzeug-Sammlung. Das Wort »Roboter« wird zum ersten Mal im Theaterstück Rossumovi Univerzalni Roboti von Karl Čapek verwendet. Es bezeichnet dort verdinglichte, seelenlose Arbeiter (»Der beste Arbeiter ist der billigste Arbeiter« ). Diese Kritik an industrieller Revolution und kapitalistischen Produktionsformen wird in der westlichen Rezeptionsgeschichte Europas und der USA rasch erweitert. Zu der osteuropäischen oder gar globalen Rezeptionsgeschichte hat die Ausstellung keine Informationen zu bieten. Die Ausstellung gliedert sich in verschiedene Themenbereiche. Von der »Schöpfung« menschenähnlicher Maschinen und ihre »Serialität« über »künstliche Intelligenz« und die Mensch-Maschine-Dualismen der »Cyborgs« bis zum »Tod der Menschheit«. Neben den Originalexponaten aus dem Fundus des Maison d'ailleurs werden einzelne Illustrationen wandhoch reproduziert, um sie genauer studieren zu können. Der Katalog zur Ausstellung zeigt zahlreiche der ausgestellten Grafiken. Die Texte stammen ausnahmslos von Marc Atallah und Frédéric Jaccaud aus dem Maison d'ailleurs. Die »Einführung« durch Marc Atallah erschreckt durch eine hoch intellektualisierte Sprache. Bandwurmsätze und Wogen von Fremdwörtern verhindern ein rasches Lesen. Ich sehe Atallah damit in der schlimmsten Tradition 325 deutscher Philosophen aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dabei ist für mich nicht ersichtlich, ob der französische Originaltext genauso gedrechselt formuliert war. Oder kommt hier ein Effekt der Übersetzung ins Deutsche zum Tragen? Erfreulicherweise sind die weiteren Texte einfacher zu lesen (wenn auch nicht wirklich leichte Kost). Sie erläutern in knappen Schlaglichtern die gesetzten Stichpunkte. Dabei beziehen sich die beiden Autoren zwar auf die Illustrationen. Sie erläutern aber auch Čapeks wortgebendes Theaterstück und weitere Beispiele der Metapher »Roboter« in Literatur, Musik und Film. Das Museum bietet kostenlose öffentliche Führungen an (https://www.museum-folkwang.de/de/aktuelles/veranstalt ungen.html). Diejenige, an der ich teilnahm, war erstaunlich uninspiriert. Nicht einmal die wesentliche Struktur der Ausstellung wurde thematisiert. Dass die Ausstellung neben der Illustration von Romanen weitere Medien wie Filme und Computerspiele mit einbezieht, schien der Führerin entgangen zu sein. Hatte ich mir über die Begleittexte hinaus einige erhellende Worte erhofft, wurde ich stattdessen mit der snobistischen Überheblichkeit des etablierten (subventionierten) Kulturbetriebs konfrontiert. SF-Literatur wurde als »Schund« disqualifiziert, die Schau als »Ausstellung ohne ein einziges Kunstwerk« bezeichnet. Diese obsolete Rückverweisung der Science Fiction generell und auch ihres Umgangs mit dem Thema menschenähnlicher Roboter in die von »Kulturbeflissenen« so geliebte »Schmuddelecke« wird allerdings durch die Auswahl der Exponate erleichtert. Deren Schwerpunkt liegt 326 eindeutig in Darstellungen aus dem mittleren Drittel des vergangenen Jahrhunderts (so sind auch mehrere Titelbilder von »Perry Rhodan« zu sehen, aber keines jenseits von Band 979). Nur vereinzelt finden sich Darstellungen aus dem aktuellen Jahrhundert. Liegt das begründet in der Sammlung des Maison d'ailleurs? Hat sie aus dem aktuellen Jahrhundert weniger Exponate aufzuweisen? Oder will die Ausstellung uns mitteilen, dass die bildliche Darstellung von Robotern im Wesentlichen als ein Phänomen des 20. Jahrhunderts anzusehen ist? Der überwiegende Teil der Grafiken stammt aus dem angelsächsischen Kulturraum aus der Mitte des 20. Jahrhunderts. Offenbar sind die Kuratoren der Ausstellung der Meinung, dass dort die wesentlichen Themen zur Metapher »Roboter« bereits allesamt angelegt worden sind. Der Vermenschlichung von humanoiden Maschinen steht die Entmenschlichung des Menschen in neuzeitlichen Produktionsprozessen (des »Techno-Kapitalismus« ) gegenüber. Wer sich von Bandwurmsätzen nicht abschrecken lässt, dem sei der Katalog als Auseinandersetzung mit dem Thema empfohlen. Mehr noch als die Ausstellung. Der Roboter als Metapher, als Reflektionsangebot zu der Frage, was den Menschen eigentlich ausmacht. Das Titelbild des Katalogs (s. Abb.) macht mit dem Titel »Missing Ingredient« (von Alejandro, 1949) hierzu eine eindeutige Aussage. Und das Museum Folkwang muss sich fragen lassen, ob nach den Kriterien der »Superzeichenfindung« 327 damit nicht wenigstens »ein einziges Kunstwerk« ausgestellt worden ist.

Noch bis 15.03.2020 www.museum-folkwang.de Eintritt € 5,- Di, Mi, Sa, So, Feiertage 10 – 18 Uhr Do, Fr 10 – 20 Uhr

»Ein Kern, der zur Phantastik taugt« Im Gespräch mit dem Museumspädagogen Dr. phil. Andreas Grünewald Steiger.

Wie dieses Interview entstand: Im August 2019 bot die Bundesakademie für Kulturelle Bildung in Wolfenbüttel ein Schreibseminar zum Erfinden einer Stadt an. Konkreter formuliert, sollten die Teilnehmer sich im Vorfeld mit der Stadtgeschichte der Lessingstadt Wolfenbüttel auseinandersetzen, und zwar, um diese verfremden zu können. Ziel war, danach jeglichem Ort eine erfundene Geschichte anhängen zu können.

Einer der drei Dozenten war Peter Henning, Autor des 2013 erschienenen Romans Ein deutscher Sommer, der das Geiseldrama von Gladbeck, das sich im August 1988 zutrug, entlarvt als ein wechselseitiges Sich-Hochschaukeln von Selbstinszenierung und Medienpräsenz. Henning hatte viel zu erzählen, und das tat er auch auf dem Seminar. 328 Rechts von ihm – aus der Perspektive der Gruppe – hatte sich der Programmleiter für Literatur eingerichtet, Olaf Kutzmutz, der stets eher den eingeladenen Dozenten das Wort überlässt. Zur Linken befand sich ein großer, schweigsamer Mensch, der wohlgelaunt und wortlos dem Vortrag folgte, präsent wirkte und seine Präsenz nicht geltend machte. Dies änderte sich schlagartig, als er die 15 Teilnehmer auf eine Stadtführung mitnahm. Profunde Detailkenntnis und interessante Vortragstechnik vermischten sich zu einem Vortrag, der dermaßen überzeugend war, dass es sehr schwer wurde, Wahrheit und Erfindung zu unterscheiden. Denn ein Teil der Ausführung stimmte ja. Oder nicht, oder doch? Andreas Grünewald Steiger, der seit 1991 den Programmbereich Museum an der Bundesakademie leitet, verlor keine Sekunde lang den suggestiven Ernst, der irgendwann den Moment des Zweifels verlorengehen ließ. Auch wenn dies oder das einfach nicht richtig sein konnte.

Das Interview zum Hintergrund der unterhaltsamen Geschichtsverfälschung führte Alexandra Trinley.

329 Abb. 48 Andreas Grünewald Steiger

AT: Andreas, du hast uns nach Strich und Faden angeschwindelt, und es hat Spaß gemacht. Welche Ausbildung steht hinter solchen Fähigkeiten? AGS: Erstens: Ich habe nicht geschwindelt. Dazu ein Zitat: »Die Geschichte ist wahr. Ich habe sie selbst erfunden.« Ob dies von mir ist oder ob jemand anderes es gesagt hat, das sage ich nicht. Eine Ausbildung für diese Art von Erzählungen gibt es nicht, braucht es eigentlich auch nicht. Man muss nur die Realität ein ganz klein wenig in Richtung Fiktion verschieben – so wie wenn man bewusst schielen würde – und schon kommt so etwas dabei heraus. Ansonsten habe ich in Hildesheim studiert, damals hieß der Studiengang Kulturpädagogik, jetzt Kulturwissenschaften. Das war eine ganz reale Verschiebung ohne fantastischen Hintergrund. Glaube ich. AT: Der Großteil der von dir angebotenen Seminare widmet sich der Museumspädagogik. Ist dieser Eindruck 330 richtig, und was will diese Spielart der Vermittlung bewirken? AGS: Im Prinzip: Ja. Nur – der Großteil macht etwa die Hälfte aller Seminare aus. Tatsächlich waren das zu Beginn meiner Arbeit hier an der Akademie mal 100 %. Da mein Verständnis von Museum aber eines ist, das diese Institution als Gesamtheit versteht, bei der alle Aufgabenfelder miteinander und untereinander verbunden und verknüpft sind, auch gegenseitig voneinander abhängen und sich zuarbeiten müssen, wenn es funktionieren soll, habe ich den Blick und die Themen sehr schnell auf alle Arbeitsbereiche und Aufgabenfelder der Institution erweitert. Nun gut, bei den Themen »Präventive Konservierung« oder »Provenienzforschung« bleibt weniger zu fabulieren als bei Themen wie »Storytelling« oder »Historisches Rollenspiel«. Aber auch die faktischen Inhalte tragen immer einen Kern in sich, der zur Fantastik taugt. Und was Geschichten tatsächlich bewirken und welche Wucht fantastische Geschichten bei Menschen in ihrem Tun und Handeln entwickeln können, sieht man am Beispiel Heinrich Schliemann. Der hat fest an die Sage von Troja geglaubt – und wir wissen ja, was daraus geworden ist.

331 AT: Kannst du mir ein moderneres Beispiel geben? AGS: Indiana Jones. Ich glaube, den kennt jeder. Und ich weiß von einigen Archäologen jüngerer Generation, die sich auf ihn als Inspirator beziehen. AT: Kommen wir zum Objekt des Schreibseminars »Die erfundene Stadt«. Ohne Schwindeln, was ist das Besondere an Wolfenbüttel? AGS: Schon wieder ein Zitat: »In Wolfenbüttel ist man ganz aus der Welt, und mitten in ihr.« Lessing, wer sonst. Genau das meine ich mit der Perspektivänderung. Dieser Ort hat eine »Aura« (würde der Museumsmensch sagen und Walter Benjamin zitieren), bei der jetzt im 21. Jahrhundert immer noch das 16. und alle folgenden Jahrhunderte ganz leicht und mehr oder weniger stark durchvibrieren. Das kann man hier spüren, muss nur die Hand zum richtigen Zeitpunkt auf die richtige Stelle legen. In

332 Peine klappt sowas nicht. Das ist das Besondere an Wolfenbüttel. AT: Und was ist das Besondere an der Fähigkeit, Stadtgeschichte umzuschreiben? AGS: Schlichtweg das Vergnügen daran, die Fakten nicht stoisch als solche hinzunehmen, stattdessen auch die Bereiche der Geschichte, bei denen es an den Rändern ein wenig wellig wird, genauer in den Blick zu nehmen. Ich sage Vergnügen, weil es eben nicht unbedingt eine Fähigkeit ist (oder sein muss). Es ist sehr viel mehr die Lust daran, vorhandene Dinge ein klein wenig umzustellen oder zu verschieben, Fakten zu kreuzen und daraus Hybridwesen entstehen zu lassen, die am Ende so verteufelt echt aussehen, dass der Zweifel daran immer kleiner wird. Und wenn der dann ganz schwindet, ist die Geschichte perfekt. Ich habe übrigens schon Geschichten erfunden, an die ich mittlerweile selber glaube. Zum Beispiel die Sache mit dem deutsch-dänischen Fischereikonflikt Ende der 1970er (die Älteren unter uns werden sich noch daran erinnern, allerdings ist damals kaum etwas darüber in der Presse berichtet worden), der ja kurzzeitig zu einer bedrohlichen militärischen Auseinandersetzung um die einseitig durch die Dänen vorgenommene Erweiterung der Zwölf-Meilen-Zone führte und der für mich, damals als Soldat bei der Bundeswehr, sehr gravierende Folgen hatte. Aber das ist eine andere Geschichte.

333 Abb. 49 © A. Trinley / Rosetten

AT: Um deine gesammelten Fiktionen beim Stadtrundgang nachvollziehen zu können, müsste man wirklich, wirklich tief in die Stadtgeschichte tauchen. Bleiben wir bei Einzelheiten. Stimmt das mit dem Ziegenmarkt? AGS: Das stimmt natürlich. Aber was jetzt? Die Sache mit den Dieben und Mördern, die im 13. Jahrhundert an dieser Stelle in aufgeblähte Ziegenhäute eingenäht wurden, um bewegungsunfähig in die Oker geworfen zu werden und dort grausamst langsam zu ertrinken, die allein die Chance hatten, über die Grenze bis nach Braunschweig geschwemmt zu werden, um dort gerettet und als Helden gefeiert zu werden? Oder die Geschichte, die sich in der Nacht vom 30. April zum 1. Mai 1831 hier abgespielt hat, als der »große Bocksfüßige« (so schreibt die Chronik der Trinitatiskirche) leibhaftig erschienen sein soll, um mit einer Schar von Zicklein zu welchem Zweck auch immer obszöne Tänze 334 aufzuführen? Oder die Behauptung, dass bis Ende des 19. Jahrhunderts Ziegen in der Stadt geduldet, Schweine aber vor den Stadttoren bleiben mussten? Tatsächlich gibt es kein einzigen Schweinestieg oder Saugrund in der Stadt, der historisch nachzuweisen wäre. Und es gibt da noch die Geschichte von dem Soziologiestudenten, sein Name war Peter Ziege, der sich 1968 in die Hauptkirche einschließen ließ und mit einer Axt auf die dort hängenden sogenannten Heldengedenktafeln für die Gefallenen der Kriege losging, um damit gegen die Bigotterie der Kirche zu protestieren, die zwar Nächstenliebe predigt, aber nichts gegen das Morden in Vietnam sagen wollte. Die Kerben seiner Hiebe sind heute noch zu sehen, aber ich glaube, der Ziegenmarkt ist ihm nominell nicht zuzuordnen. Obwohl: Der damalige Superintendent hat ihm kurz nach seiner Tat von der Kanzel herab und der Gemeinde gegenüber ganz offiziell vergeben. Aber auch das ist eine andere Geschichte.

335 Abb. 50 © A. Trinley / Bürgerhaus Wolfenbüttel

AT: Und die Sache mit den Ballsälen in jedem der großen Fachwerkhäuser, auf die du beim Vortrag gezeigt hast? AGS: Sie stimmt. Ich habe lange Zeit selbst in einem solchen Wolfenbütteler Ballsaal gewohnt. Na gut, nebenan. Aber fast. AT: Erzähl noch mal deine Entstehungsgeschichte für dieses ganz schmale Haus in der Gasse vor der Akademie. AGS: Du meinst die Sache mit der bauamorphen Vektorialverschiebung? AT: Ja.

336 AGS: Bis Mitte des 19. Jahrhunderts war Wolfenbüttel umringt von enorm starken Befestigungen, die nach den Planungen von Sebastian Le Prestre Vauban ausgeführt worden waren. Die Kernstadt wurde sozusagen umzingelt von steinernen Bastionen, die mit Ausnahme weniger schmaler Durchlässe an keiner Stelle statische Schwächen aufwiesen. Ausnahmslos alle Gebäude innerhalb dieses Rings bestanden aus Fachwerk, also Holz und Lehm. Im Gegensatz zu Sandstein und Granit sind das bewegliche und leicht formveränderbare Materialien. Aus Platzgründen wurde jeder Quadratmeter als Baufläche genutzt. Kommt es nun zu der Situation, dass der rückwärtige Teil einer solchen Fachwerk-Konstruktion unmittelbar an die starre Konstruktion der Befestigungsmauer grenzt, und ergibt es sich zusätzlich, dass zwischen zwei gleichvoluminösen Gebäuden mittig ein kleineres Haus seinen Baugrund hat, so entstehen die sogenannten Vektorialkräfte, die sich beständig auf die vorhandene Bausubstanz auswirken. Die Befestigungsmauer selbst bleibt dabei vollkommen statisch, wodurch sie eine Umverteilung des Baukörperdrucks in diametral-diagonaler Richtung auf die nebenstehenden Gebäude bewirkt. Diese wiederum geben durch ihre Masse den Druck weiter an das zwischen ihnen liegende kleinere Gebäude, das diesen Druck nun sehr langsam, aber stetig über die partiell vorhandene Flexibilität der verbauten Materialien verteilt, nämlich Lehm und Holz

337 als amorphes Material. Dies führt zu der genannten Vektorialverschiebung. Praktisch bedeutet dies die beobachtbare Veränderung des Baukörpers: Ein beim Bau auf acht Meter angelegtes Gebäude bewegt sich durch die permanent wirkenden Kräfte sowohl nach oben als auch nach unten. Der aktuelle Zustand des Hauses Nr. 15 im Kleinen Zimmerhof, erbaut 1751, zeigt nach aktuellen Messungen 2019 eine Fassadenbreite von 2,20 Meter, dafür erreicht der ursprünglich als flacher Kriechkeller angelegte Bereich nunmehr sechs Stockwerke in die Tiefe der Untergrunds, der in Wolfenbüttel aufgrund seiner sumpfiger Konsistenz keine Gegenkraft bedeutet, um diese Bewegung aufzufangen. Die Vektorformel und damit auch die Geschwindigkeit der ständigen Bewegungen in der Längsachse lässt sich wie folgt berechnen: →a · −→b = xa ya · xb yb = x. Das kann man aber auch alles bei Wikipedia nachlesen.

AT: War dies deine Lieblingslüge oder mochtest du eine andere lieber? AGS: Wie gesagt: Ich lüge nie. Habe ich Dir eigentlich schon mal erzählt, woher der seltsame Zufall kommt, dass sowohl Wolfenbüttel als auch Rom sich auf das gleiche Tier in ihrer Gründungslegende beziehen? Aber das ist eine andere Geschichte. AT: Wir müssen uns darüber beizeiten weiter unterhalten. Nach deinem Vortrag sollten wir ja dann selbst etwas auf

338 dem Rundgang Gesehenes mit einer fiktionalen Geschichte unterlegen. Was sollte man dabei lernen? AGS: Ich zögere jetzt doch ein wenig: Eigentlich müsstest Du diese Frage beantworten. Hast Du etwas gelernt? Und wenn ja, was hast Du gelernt? Aber vielleicht ist die bessere Frage: Wie hast Du gelernt? Ich lass Dich mit der Frage jetzt mal alleine. AT: Man soll nicht darüber reden, jetzt besser lügen, schwindeln, zitieren zu können. Für meinen Brotberuf des Unterrichtens gab das vielfältige Impulse. Wir haben Klassenkameraden erfunden und so weiter. Themawechsel: Du und Peter Henning haben sehr unterschiedliche Schwerpunkte gehabt. Bitte beschreibe die Art, in der ihr euch ergänzt habt. AGS: Ich bin mir nicht sicher, ob wir uns wirklich ergänzt haben. Vielleicht sind wir eher parallel gelaufen. Peter als der professionelle Erzähler, als Autor, als Rechercheur, als Schriftsteller (was ich alles nicht bin). Peter verfolgt Fakten so weit, dass sie es aushalten, mit Fiktionen aufgefüllt zu werden, wo es Leerstellen und also nur Annahmen und Vermutungen geben kann. Damit wird das Ganze glaubwürdig, logisch und nahezu prüf-echt. AT: Womit er der deutschen Gesellschaft in der Anfangszeit der Medien-Omnipräsenz einen Spiegel vorhielt. Das ist schon ein hoher journalistischer Anspruch. Und du? AGS: Ich hingegen versuche, glaubhaft zu wirken – also, wenn schon mal der Erzählende in mir durchbricht und ich mich in diesem Aggregatzustand befinde. Mein Ziel bei 339 diesem Tun wäre, bei den Zuhörern an der einen oder anderen Stelle ganz kleine Zweifel zu säen, um den einen oder die andere am Ende zu der Erkenntnis zu bringen: »Glaube nicht, was du glaubst!« AT: Die Gattung Roman gibt es erst seit wenigen Jahrhunderten, und zu Beginn hatte sie einen schlechten Ruf. Das Lesen von Romanen setze Flausen in den Kopf, verwirre den Verstand, verschwende kostbare Lebenszeit. Wenn du etwas erfahren möchtest, greifst du dann eher zu einem Roman oder eher zu einem Sachbuch? AGS: Was mein Professor an der Uni immer zu mir sagte, wenn es darum ging, sich in geschichtliche Kontexte hineinzudenken und ihnen nachzuspüren: »Lesen Sie historische Romane! Gute historische Romane!« Denn die sind immer eine Mischung von beidem, von Non-Fiction und Erzählung.

Abb. 51 © Steiger

340 AT: Gibt es da Favoriten? AGS: Nicht die Wanderhure und Verwandtes, niemals … aber Umberto Eco zum Beispiel, rauf und runter.

AT: Oh ja! Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana bildet wohl die Krone erfundener Wirklichkeit in der Literatur über die Literatur. Da gibt es aber noch viel zu entdecken. Du hattest uns ungewöhnliche Bücher mitgebracht, in denen Gegenstände Geschichten erzählen. Magst du einige davon nennen? AGS: Das ist die Frage nach meinen museologischen Lieblingspublikationen? Die beantworte ich doch gerne mit meiner Top-Five-Liste: 1. Stölzl, Christoph: Menschen im Museum. Eine Sammlung von Geschichten und Bildern. Berlin 1997. 2. MaCaulay, David: Motel der Mysterien. Hildesheim 2000. 3. Lovecraft, H.P.: Das Grauen im Museum. Frankfurt 1984. 4. Shapton, Leanne: Bedeutende Objekte und persönliche Besitzstücke aus der Sammlung von Leonore Doolan und Harold Morris, darunter Bücher, Mode und Schmuck. Berlin 2009. 5. Wechsler, Lawrence: Mr. Wilsons Wunderkammer. München 1998. (Link im Anschluss, Anm. d. Red.) Im letzteren steht in der Widmung folgendes Zitat von Michael Faraday: »Nichts ist so wunderbar, dass es nicht wahr sein 341 könnte.« Ein besseres Motto für mich als und gerade wegen meiner Profession als Museumsmensch kann es eigentlich gar nicht geben. AT: Da ich in der Redaktion des Corona Magazine die PERRY RHODAN-Tante bin, erlaube mir eine allerletzte Frage: Hast du die Serie je gelesen? AGS: Vor langer Zeit habe ich die Risszeichnungen gesammelt. Danach las ich andere Phantastische Literatur, die Suhrkamp-Reihe »Phantastische Geschichten« steht bis heute in meinem Regal. AT: Dann mal vielen Dank für die Auskünfte. AGS: Gerne.

Links Bundesakademie für kulturelle Bildung in Wolfenbüttel https://www.bundesakademie.de/startseite/

Zu Wechsler, Lawrence: Mr. Wilsons Wunderkammer: https://de.wikipedia.org/wiki/Museum_of_Jurassic_Technol ogy

Suchbegriffe mit diversen interessanten Einträgen: - Peter Henning: Ein deutscher Sommer (darunter Lesungen auf YouTube) - Stadt Wolfenbüttel

342 Phantastisches Fandom

Vorstellung des 10-Forward-Dinner Hannover von Dietrich Kerner

Gegründet wurde das 10-Forward-Dinner Hannover Ende 1992 von Andreas Kronemann und fand das erste Mal am Freitag, den 15. Januar 1993 statt. Der Name bezieht sich nämlich auf den Termin: Freitags NACH dem 10. eines Monats, also immer zwischen dem 11. und 17.

Anfang der 90er Jahre waren wir zuerst ein bunter Haufen von Trekkies, die sich in wechselnden Restaurants getroffen haben. Als dann Star Trek richtig boomte und wir immer mehr Leute wurden, war es gar nicht so einfach, ein Restaurant zu finden, das einen Nichtraucherraum für bis zu 50 Teilnehmer zur Verfügung stellen konnte.

343 Als Sternenbasis für viele Jahre hatten wir dann den »Spaghetti-Palast« gefunden, wo uns auch einmal SAT 1 besuchte, um Aufnahmen für die Sendung »24 Stunden« zu machen. Bei diesem Event war die Firma »TrekWorld Marketing« von Gerd Raible dabei und hat einen Transporter aufgebaut sowie ein riesiges Modell der Enterprise an die Decke gehängt. Im Dezember 2001 hat uns dann Mark Allen Shepherd besucht, um Autogramme zu geben, Fotos mit uns zu machen und von seinen Dreharbeiten bei »Deep Space 9« zu berichten. Dieses Event war auch der Höhepunkt mit einer Teilnehmerzahl von ca. 80 Trekkies. Danach nahm die Zahl in den 2000er Jahren immer weiter ab, bis sie sich heute auf einen harten Kern von ca. 15-18 Leuten eingependelt hat. Im Lauf der Jahre bekamen wir natürlich immer wieder Besucher von anderen Trekdinnern, so z. B. aus Celle, Hildesheim, Goslar, Köln, Oldenburg, Kassel und Hamburg. Ausserdem waren schon Trekkies aus Brasilien und den USA zu Besuch, wobei die Sprache dann nicht bei Deutsch bleibt. Von Zeit zu Zeit wird es auch richtig international, wenn Shelley (aus Kanada) und Max (aus Russland) dabei sind. Seit 2015 nehmen wir an verschiedenen jährlichen Events von Trekdinner United teil. So waren wir z.B. im Heidepark Soltau, im Filmpark Babelsberg und im Abenteuerpark Belantis in Leipzig. Wir fahren regelmäßig ein- bis zweimal im Jahr zu unserem »Schwester-Dinner« in Hamburg und grillen im Sommer mit den Trekkies aus Hildesheim am Giftener See in Sarstedt. Zusätzlich bilden wir 344 Fahrgemeinschaften zu diversen Cons, und bei interessanten Filmen treffen wir uns zum gemeinsamen Kinoabend. Durch meine Kontakte in die USA hatten wir für einige Jahre eine Website als Unterseite der USS Haven aus . Leider ist die Domain mittlerweile abgelaufen, und seitdem habe ich als Alternative bei eine Gruppe erstellt (10-Forward-Dinner Hannover). Ebenso hat Andreas jetzt die »offizielle« Trekdinnerseite https://10forward-hannover.de/ anlegen lassen. Die Seite befindet sich zwar noch im Aufbau, aber Ihr könnt dort zumindest unsere Termine finden. Aktuell haben wir unsere Heimatbasis im Restaurant »Alexander« in der Prinzenstrasse 10, 30159 Hannover und fühlen uns dort wohl. Das Restaurant liegt sehr verkehrsgünstig in der Nähe vom Hauptbahnhof und ist sowohl mit öffentlichen Verkehrsmitteln als auch mit dem eigenen Auto gut zu erreichen.Gäste sind uns jederzeit gerne willkommen, man »darf« auch andere SciFi- und Superhelden-Serien und -Filme gut finden, also schaut doch mal vorbei, wenn Ihr in der Gegend seid. Live long and prosper!

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346 Die Star Trek Destination Dortmund 2020 – ein Überblick von Reinhard Prahl

In diesem Jahr dürfen sich Star Trek-Fans wieder auf ein ganz besonderes Ereignis freuen. Nach dem großen Erfolg 2018 kommt die Destination Star Trek Germany vom 08. bis 10. Mai erneut nach Dortmund. Der Anlass könnte schöner kaum sein, denn die Kultserie Star Trek: Raumschiff Voyager feiert 2020 ihr 25. Jubiläum. Am 16. Januar 1995 startete die U.S.S. Voyager der Intrepid-Klasse in die Weiten des Deltaquadranten und kehrte erst sieben Jahre später, am 23. Mai 2001, wieder in den Alpha-Quadranten zurück. Und obwohl das Ende der Show bis heute zu den unbeliebtesten aller Trek-Serien gehört, wurde Star Trek: Voyager auch in Deutschland zum Kult

Stars, Stars, Stars

347 Welchen schöneren Grund als ein Jubiläum könnte es also geben, Star Trek zu feiern? Das dachten sich wohl auch die Verantwortlichen hinter der DST, Massive Events Ltd., Showmaster Ltd. und Media 10 in Zusammenarbeit mit Trekworld Marketing und StarTrek.de. Man lässt sich sichtlich nicht lumpen und gibt sich alle Mühe, möglichst viele Stars einzuladen und nach Dortmund zu bringen. Und tatsächlich liest sich das Line-up schon jetzt wie ein wahr gewordener Star-Trek-Traum, auf den die Veranstalter wahrlich stolz sein können. Kate Mulgrew alias Captain Janeway, die seit neun Jahren nicht mehr in Deutschland war, führt die Liste an, gefolgt von Robert Picardo, Roxann Dawson, Tim Russ, Garrett Wang, Ethan Phillips und einigen mehr. Natürlich werden auch die aktuellen Serien des Trekki-Versums nicht zu kurz kommen.

348 Ohne Zitt keine Star-Trek-Con Für die Fans von leicht verständlich und informativ vorgetragenen Wissenschaftserkenntnissen im Zusammenhang mit Star Trek ist natürlich auch Dr. Trek wieder mit von der Partie auf der Destination Star Trek. Hinter dem Pseudonym steckt Dr. Hubert Zitt, ohne den eine Star Trek-Convention in Deutschland eigentlich kaum mehr vorstellbar wäre. Seit mittlerweile rund 20 Jahren ist er ein gern gesehener Gast überall in Deutschland, der es versteht, mit seiner unterhaltsamen Vortragsweise ein großes Publikum in seinen Bann zu ziehen. Ein Wiedersehen wird es ebenfalls mit Martin Netter geben, der erneut einen Teil seiner Sammlung als 349 Museumsausstellung präsentiert und sicherlich am Wochenende gerne mit den Fans ein oder zwei Worte wechselt. Netter gehört zu den Urgesteinen und wohl bekanntesten Gesichtern des deutschen Fandoms. Der freundliche Bad Münderner besitzt die größte Star Trek-Requisiten-Sammlung der Welt. Mit seinem neu gegründeten gemeinnützigen Filmwelt Center Verein versucht er, seine umfangreiche Sammlung nicht nur zu erhalten, sondern in ein standortbasiertes Museum zu überführen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Ereignisse auf der kostenlosen Bühne in der Haupthalle wurden 2018 von Björn Sülter und Mike Hillenbrand moderiert. Die beiden Moderatoren schafften es über das gesamte Wochenende, eine tolle Stimmung zu erzeugen und die Besucher mit Talks, Ankündigungen und Vorstellungen von Fangruppen bei der Stange zu halten. Auch in diesem Jahr wird Björn Sülter wieder an allen drei Tagen auf der Bühne für die Fans da sein. Ihm zur Seite steht mit Benjamin Stöwe dann der Synchronsprecher des Dr. Culber aus Star Trek: Discovery. Das dürfte unterhaltsam werden!

350 Das Rahmenprogramm Neben kostenlosen und kostenpflichtigen Exklusivtalks sowie Photoshoot- und Autogrammsessions dürfen wir natürlich auf einige weitere Highlights wie Walking Acts (u.a. hat The German Spock Jens Dombeck sein Kommen bereits angekündigt), Photostop-Points, Merchandise-Händler und natürlich Fangruppen wie das Trekdinner Krefeld gespannt sein, die sich erneut präsentieren dürfen. 2018 fiel die Standdichte noch etwas gering aus. Vorträge, Überraschungsgäste, ein nettes Team sowie Verpflegungsstationen zu den üblichen Messepreisen gehören selbstverständlich ebenfalls, wie das Salz in der Suppe, auf eine Con. In einem Gespräch, das der Autor 351 dieses Artikels mit Trekworld-Marketing- und StarTrek.de-Chef Gerhard Raible führen konnte, kündigte dieser aber bereits an, dass sowohl hier als auch in Sachen Dekoration noch einmal aufgerüstet wird.

Gut und günstig? So steht einem tollen Fan-Wochenende vom 08. bis 10. Mai 2020 also nichts mehr im Wege. Die Preise bewegen sich übrigens auf einem für große Messen gängigem Niveau. Eine Tageskarte für Samstag oder Sonntag kostet 35 Euro. Die Wochenendtickets liegen für Samstag und Sonntag bei 45, bzw. Freitag bis Sonntag 59 Euro. Wie üblich, sind nach oben hin kaum Grenzen gesetzt. So bewegen sich die weiteren Pakete in Bereichen zwischen 175 Euro (Lieutenant Paket) und 2999 Euro für das Admiral VIP-Paket, das allerdings eine große Anzahl an Extras bietet. Wer lieber seine Kosten im Auge behalten möchte, bleibt bei einem Wochenendticket und kauft nur die Autogramm-, Photoshoot-, und Paneltickets, die ihn interessieren. Die Preise für Autogramme und Fotos liegen mit durchschnittlich 35 Euro erfreulich niedrig.

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353 Star Trek Weihnachtsvorlesung: »The Sound Of Silence« & SciFi im Zeitalter der Mondlandung von Reiner Krauss

Einmal im Jahr, kurz vor Weihnachten, gibt sich Hubert Zitt samt Team die Ehre und entführt in ferne Welten und auf fremde Planeten mit der Star Trek-Vorlesung am Campus Zweibrücken der Fachhochschule Kaiserslautern. Diesmal ging es teilweise weniger weit, sondern nur bis zum Mond. Doch vorher galt es leider zunächst Abschied zu nehmen. Abschied von Manfred Strauß, einem der drei Gründerväter der Starfleet Academy FH Zweibrücken neben Hubert Zitt und Markus Groß. Er verstarb nur wenige Wochen zuvor an einer kurzen, schweren Krankheit (siehe unser Nachruf in der letzten Corona-Ausgabe).

354 Abb. 52 © R. Krauss

Es wurde ein würdiger Abschied, eingeleitet mit einer Filmszene aus dem Kinofilm Star Trek II – Der Zorn des Khan, während Captain Kirk den verstorbenen Mr. Spock im Sarg aus dem Dock entlässt und diesen auf einem neu geschaffenen Planeten verbringt. Gefolgt wurde mit einer Revue passierenden Dia-Show unter den rockigen Klängen von The Sound Of Silence. Am Ende erhoben sich alle von ihren Sitzen für minutenlange Standing Ovations mit Tränen in vielen Augen.

355 Abb. 53 © R. Krauss

Es fiel danach nicht leicht, weiterzumachen, doch Manfred Strauß hätte es sich sicher so gewünscht. Durch das Programm führte diesmal unser Autor und Klingonischlehrer Lieven L. Litaer, der zunächst Markus Groß ankündigte, welcher über das Leben da draußen in den Weiten des Universums aufklärte. Welche Möglichkeiten für welche Art von Leben außerhalb unseres Planeten kann es geben, und wie könnten die Aliens aussehen, war sein Thema – ob unsere Vorstellungen aus Serien wie Star Trek oder Star Wars möglicherweise denkbar sind oder ob es ganz anders sein wird. Hierzu kann man plausible Gedanken finden. Als Erstes möglich sind sicher einfache Einzeller, doch sollte ein anderer Planet in der sogenannten habitablen Zone sein, kann es vorstellbar werden, dass sich dort komplexeres Leben entwickelt haben könnte.

356 Abb. 54 © R. Krauss

Im zweiten Teil der Veranstaltung ging Hubert Zitt anschließend auf die Geschichte der bekannten Raumfahrt bis zur realen ersten Mondlandung ein. Alles nahm seinen Lauf mit dem sogenannten »Sputnik-Schock«, der die USA regelrecht traumatisierte und die Anstrengungen im »Weltlauf der damaligen Supermächte« mehr als verdoppelte. Kennedys Ansprache, in der er ankündigte, noch vor Ende des Jahrzehnts einen Menschen auf den Mond und wieder sicher zurückzubringen, trug Früchte und führte zu insgesamt sechs erfolgreichen Landungen auf dem Erdtrabanten. Apollo 13 war hierbei jedoch der sogenannte »geglückte Fehlschlag«, denn nach einer schweren Explosion im Sauerstofftank des Versorgungsschiffes

357 konnten die drei Astronauten nach einer Mondumkrei-sung wohlbehalten zur Erde zurückkehren. Dies alles ermöglichten umfangreiche Bahnberechnungen und die ersten Computer. Die wichtigste Aufgabe übernahmen hierbei zunächst MathematikerInnen. Besonders schwarze Frauen, die die NASA zu Zeiten der Rassentrennung vor neue Herausforderungen stellte. Doch das große Ziel war wichtiger, und darum wurden erstmals NASA-MitarbeiterInnen nach ihrer Befähigung und nicht nach ihrer Hautfarbe, Herkunft oder Geschlecht eingestellt.

Abb. 55 © R. Krauss

Eindrucksvoll wird das in der Filmbiographie Hidden Figures – Unerkannte Heldinnen gezeigt und gewürdigt, eine Hommage an drei herausragende afroamerikanische Frauen, die zu Beginn der sechziger Jahre bei der NASA als 358 Mathematikerinnen arbeiteten. Eine Szene aus dem Film verdeutlicht die Veränderung besonders, als ein Teamleiter es ermöglichte, dass auch schwarze Frauen auf die gleiche Toilette durften wie ihre weißen Kolleginnen, mit dem Kommentar: »Hier bei der NASA … pinkeln wir alle dieselbe Farbe.« Während mit Lt. Uhura eine Farbige auf der Kommandobrücke des Raumschiffs Enterprise Platz nahm, tat es die NASA im selben Jahrzehnt mit ihren farbigen Mitarbeiterinnen gleich. Somit war die erste Mondlandung nicht nur ein großer Schritt für die Menschheit, sondern auch ein großer Schritt … für die Menschlichkeit.

Vor nicht allzulanger Zeit, in einem nicht sehr weit entfernten Dorf … von Peter R. Krüger

Bitte stellen Sie sich die folgenden zwei Absätze als gelb leuchtende Laufschrift vor schwarzem Hintergrund und dazu die Musik von John Williams vor. Outpost One Nachdem die Rebellenallianz auf dem Waldmond Endor ihren Sieg über das böse galaktische Imperium gefeiert hat, haben sich einige ihrer leidenschaftlichsten Anhänger auf den Weg zu einer fremden Welt gemacht.

359 Ihr Ziel war die Welt »Erde« – genauer – das Dorf Dassow in Nordwestmecklenburg.

Die Familie Skywa … Entschuldigung … Langrock hat hier auf einer Fläche von mehr als 1.300 qm eine Ausstellung auf die Beine gestellt, die noch nie ein Mensch zuvor gesehen … wie es sie in Deutschland kein zweites Mal gibt. Gerne wird diese Ausstellung als »Star Wars Museum« bezeichnet, doch dieser Begriff ist falsch und irreführend. Bei der Ausstellung »Outpost One« handelt es sich um ein reines Fan-Projekt, bei dem auf über 30 Sets zahlreiche Exponate ausgestellt werden, die von Fans für Fans der beliebten Filmreihe in mühevoller Arbeit erstellt wurden. Auf diesen kleinen, aber feinen Unterschied wird hier zu Recht Wert gelegt, denn es handelt sich hierbei nicht um eine Ausstellung von Filmrequisiten, sondern um

360 Fan-Nachbauten, die allerdings ausgesprochen professionell aussehen und – das darf an dieser Stelle gesagt werden – den Filmen entnommen worden sein könnten.

Wer in den Genuss einer Führung durch diese Ausstellung kommen möchte, darf sich auf ein Erlebnis der besonderen Art freuen. Denn nicht nur, dass hier die Original-Trilogie vom ersten Auftreten Darth Vaders bis hin zu den Ewoks auf Endor wirklich stimmungsvoll in Szene gesetzt wurden, nein, hier kann man wirklich die Liebe zum Detail an jeder Ecke der Ausstellung spüren. Um nur mal ein kleines Beispiel zu nennen: Für die Darstellung des Besprechungsraums aus Episode IV, in dem

361 mit den X-Wing Piloten die Schwachstelle des Todessterns besprochen wurde, machte man sich extra die Mühe, einen Hersteller zu finden, der exakt die gleichen Stühle herstellt, wie sie im Film (von 1977!) zu sehen sind.

Doch auch die Arbeiten an den Kulissen, Figuren, Kostümen und allen weiteren Ausstellungsstücken zeigen deutlich, dass hier Menschen am Werk waren und auch weiter sind, die mit viel Herzblut ihre Fan-Ausstellung mit Leben erfüllen. Zur Fan-Freude hat sich dann auch noch der glückliche Umstand ergeben, dass selbst Hans-Georg Panczak seinen ganz persönlichen Teil hierzu beigetragen hat.

362 Sollte sich an dieser Stelle jemand fragen, wer Hans-Georg Panczak ist, dem wird empfohlen, NICHT zu googeln, sondern ganz genau auf den Tourguide zu achten. Die Ausstellung wird immer weiter entwickelt, sodass noch weitere Sets gebaut und bestehende weiter verbessert werden sollen. Die Fan-Art Ausstellung kann wirklich nur empfohlen werden. Besonders sympathisch ist, dass es sogar erlaubt ist, von allen Sets Fotos zu machen. Es ist halt kein Museum, sondern eine wirklich gute Ausstellung von Fans für Fans. Dassow liegt übrigens nicht allzuweit von Lübeck entfernt. Nur um mal eine ungefähre Richtung anzugeben, welchen Raumhafen man demnächst vielleicht mal ansteuern könnte.

363 Mitarbeit am Corona?

Gerne und jederzeit!

Sie schreiben gerne und gut? Bringen Ihre Gedanken zielsicher auf den kreativen Höhepunkt, neigen zu nächtlicher Selbstkasteiung, um fingernagelkauend und schlaftrunken die wichtigste Deadline überhaupt einhalten zu können? (Damit meinen wir unsere...)

Toll, wissen Sie was?

Auf Sie haben wir gewartet!

Das Corona Magazine ist ein Online-Projekt, das zu einer Zeit entstanden ist, als 14.4er Modems noch schnell schienen, 64 MB RAM noch wirklich viel waren und das Internet noch den Geist des kostenlosen Informationsaustauschs in sich trug. Zumindest letzteres haben wir aus unseren Anfangszeiten bis in die Gegenwart gerettet. Das Corona Magazine ist nicht-kommerziell. Wir verdienen vielleicht Geld, wir bekommen es aber nicht. Das gilt dann leider auch - und wie so oft - für unsere Autoren, Webmaster, Chefredakteure und das Lektorat.

Warum sollte dann irgendjemand auf die Idee kommen, bei uns mitzumachen?

364 Nun, abgesehen von einer gewissen Dosis Masochismus und der zumeist angeborenen Sehnsucht nach der großen oder kleinen Bühne, verbindet die Mitarbeiter des Corona-Projekts vor allem eines: Der Spaß an der Sache. Obwohl wir im ganzen deutschsprachigen Europa verteilt sind, sind unsere Treffen stets feuchtfröhlich, unsere Chats und Telefonate meist inspirierend (oder zumindest transpirierend) und die Diskussionen in unseren Mailinglisten sind, so denn das Gros der Redakteure mal aus dem Quark kommt, das reinste Paradebeispiel für den Aufbau eines gelungenen Networking. Denn egal in welche Stadt man kommt - ein Corona-Redakteur ist meist schon da.

Wer sind wir eigentlich genau?

Es gab Zeiten und Projekte, da waren wir ein äußerst kunterbunter Haufen. Inzwischen sind wir nur noch bunt. Unsere Redaktion setzt sich aus ehrenamtlich arbeitenden Journalisten, Redakteuren, Lektoren und einer Handvoll von Menschen zusammen, die genau so was unheimlich gerne geworden wären, wenn die Medienbranche nicht so eine Knochenmühle wäre. Das bedeutet für jeden Interessierten, dass er oder sie immer eine Chance hat, dieser Ansammlung an Individuen beizutreten - wenn er mag und kann.

Eine Mail an [email protected] mit einem netten Betreff, wie z.B. »Hallo, da bin ich!« und einer kurzen

365 Vorstellung der eigenen Person reicht da völlig.

Wir freuen uns auf Sie!

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