PROGRAMME „Scham und Schrecken“ Der Nachrichtensender CNN steckt in der Krise: Vertraute TV-Gesichter verlassen das Haus, die Zuschauer zappen zur Konkurrenz, Gründer Ted Turner hat nichts mehr zu sagen. Ein neues Konzept soll den US-Sender wieder in Schwung bringen – mit mehr Unterhaltung und weniger Information?

ie Philips Arena in Atlanta war voll nen Titel als Vizepräsident“, teilte ihm Le- kurrenzkampf, wie ihn die Welt des Ka- bis zum letzten Sitzplatz. Fast 15000 vin lapidar mit. belfernsehens noch nicht erlebt hat. Die DGäste aus aller Welt waren erschie- Damit war der Einfluss, den sich Turner neu gegründeten Nachrichtenstationen Fox nen, um den 20. Geburtstag von CNN zu beim Verkauf seines Lebenswerks an Time News, MSNBC und CNBC haben nach nur feiern – und dem Mann zu huldigen, der Warner 1996 gesichert hatte, dahin. Mit fünf Jahren große Stücke aus dem CNN- diesen größten und einflussreichsten Nach- dem Abgang des nonkonformistischen Quotenkuchen herausgebissen – mit Kon- richtensender der Welt gegründet hatte. Überzeugungstäters Turner endet eine zepten, die statt nüchterner Nachrichten Doch Ted Turner wusste, dass dies Ära: vorbei die Zeit, als der impulsive Tau- vor allem lärmenden, meinungsstarken Po- sein letzter großer Auftritt sein würde, sendsassa den konservativen Medienmo- lit-Talk liefern. und er nutzte die Chance zu einer ex- gul Rupert Murdoch zum Boxkampf auf- Dem Fox-Lautsprecher Bill O’Reilly ge- zentrischen Vorstellung: „Steck dir deinen forderte und über Kubas Regierungschef lang sogar, was noch niemand vor ihm ge- Mister in den Hintern, nenn mich Ted. In nach gemeinsamer Entenjagd sagte: „Fidel schafft hat: Er schlug in den ersten Mona- einem halben Jahr bin ich ohnehin ar- ist kein Kommunist. Er ist ein Diktator, ge- ten des Jahres CNN-Talklegende Larry beitslos“, fuhr er einen Journalisten an, nau wie ich.“ King. Obgleich Fox nur 64 Millionen Haus- der ihn respektvoll mit Mister Turner an- Sein Baby CNN ist durch den Zusam- halte erreicht, sahen 1,1 Millionen Ameri- geredet hatte. menschluss von Time Warner und AOL kaner dem Erzkonservativen beim Geifern Tatsächlich war der illustre TV-Mann Teil eines gigantischen Medienmultis ge- zu, während , der in 81 Millio- bereits zu diesem Zeitpunkt, im Sommer worden, in dem, so fürchten viele CNN-Ve- nen US-Wohnungen geliefert wird, im glei- vergangenen Jahres, praktisch entmachtet. teranen, Profite und Machtpolitik eine chen Zeitraum nur rund eine Million Zu- Telefonisch hatte ihm Time-Warner-Chef wichtigere Rolle spielen als das journalisti- schauer vor den Bildschirm zog. Gerald Levin mitgeteilt, dass er ab sofort sche Reinheitsgebot, dem sich CNN bei Die neue Polit-Randale zieht nicht nur keinerlei Entscheidungsbefugnis mehr über seiner Gründung verpflichtet hatte. jüngere Zuschauer an, sie ist auch billiger Turner Broadcasting haben werde. „Tut Zudem steht CNN, einst unumstrittener als Berichterstattung vor Ort. Bei CNN- mir Leid, Ted, aber du verlierst auch dei- Primus der Nachrichtenwelt, in einem Kon- Journalisten macht sich deshalb die Angst

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CNN-Newsroom in Atlanta berichteten live aus Bagdad, während hin- „Die Nachricht ist der Star“ ter ihnen Bomben die Stadt in Schutt und Asche legten. Präsenz und Einfluss von cken“ habe er diesen Vorgang verfolgt, der CNN wurden so groß, dass der Sender in sein Grundkapital als Reporter unterwan- Kriegszeiten als inoffizieller diplomatischer dere, nämlich Objektivität und Glaubwür- Kanal galt. Statt direkt mit dem Weißen digkeit. „Solche Entscheidungen haben Haus zu sprechen, nutzten Staatschefs Konsequenzen und senden Signale. Die CNN nicht selten als unverfängliches Kom- Kollegen in den Nachrichtenbüros sind sau- munikationsinstrument. er. Die Leute in der Stadt, in der ich ar- In Krisensituationen wie der Lewinsky- beite, lachen uns aus.“ Affäre oder dem Schulmassaker in Little- Lange Zeit galt CNN als der puristischs- ton ist CNN bis heute Pflichtprogramm. te aller Informationslieferanten. „Die Doch das Konzept der „Nachricht pur“ Nachricht ist der Star“, lautete das Motto funktioniert in Friedenszeiten nur mäßig. des Senders, der ab dem 1. Juni 1980 zunächst rund 1,7 Millionen Haushalte täglich US-Nachrichtensender rund um die Uhr mit Nach- Zuschauer zur Hauptsendezeit richten versorgte. „Chicken Durchschnitt 2. Quartal 2001 Noodle Network“, spotte- ten die großen TV-Net- works damals über die 565 000 CNN Newcomer aus dem pro- vinziellen Georgia, die das 535 000 Unmögliche versuchten. Das Lachen ist bald ver- stummt. 20 Jahre später er- 300 000 MSNBC reicht CNN über eine Mil- liarde Menschen täglich,

ALAN MOTHNER mehr als jeder andere Im Vergleich die Talkshow Nachrichtensender. Zu der 926 000 breit, dass AOL Time Warner künftig auf ursprünglichen US-Ausga- (bei CNN) mehr Unterhaltung setzt. be von CNN kamen zahl-

Fast die gesamte von Turner eingesetz- reiche weitere Nachrichten- / CORBIS SABA KIM KULISH te Führungsspitze des Senders wurde seit Unternehmungen, von Senderchef Isaacson: „Mehr Leidenschaft“ dem Merger ausgewechselt. CNN-Legen- CNN International über den wie Bernard Shaw, der während des das Finanzprogramm CNNfn, ein Sport- Der Versuch, mit biederen Magazin- Golfkriegs unter dem Hoteltisch aus dem programm, Radiokanäle bis hin zu formaten mehr Pep in die Nüchternheit brennenden Bagdad berichtete, oder Lang- CNN.com. 3900 Mitarbeiter in 42 Büros zu bringen, verwässerte das Nachrichten- zeit-Anchorwoman Lynne Russell ver- weltweit versenden Tag und Nacht Nach- konzept der „No nonsense news“. Durch ließen den Sender. Starreporterin Chris- richten in 10 Sprachen in 212 Länder, un- das Desaster mit der falschen, gemein- tiane Amanpour tritt gelegentlich mit lan- terstützt von fast 900 angeschlossenen lo- sam mit „Time Magazine“ publizierten gen Stücken bei der Konkurrenz auf. kalen Sendern. Geschichte „Operation Tailwind“ über AOL Time Warners aggressive Wachs- Den Durchbruch schaffte das Unter- den angeblichen Gebrauch von Giftgas tumsversprechen in Richtung Wall Street nehmen während des Golfkriegs 1991. Die durch amerikanische Truppen gegen De- verstärken die Furcht der CNN-Mitarbeiter Reporter Peter Arnett und Bernard Shaw serteure in Vietnam war 1998 auch noch vor der anonymen Geldmaschine. Trotz sinkender Werbeeinnahmen versprach der CNN-Legende King, Talkgast Bush: Bei den Quoten oft nur noch zweiter Sieger Mediengigant (Jahresumsatz: 36 Milliarden Dollar), den Gewinn um 30 Prozent zu steigern. Auch für CNN bedeutete das: Gürtel enger schnallen. Trotz eines Re- kordumsatzes von über einer Milliarde Dollar im Jahr 2000 wurden Anfang dieses Jahres zehn Prozent der Mitarbeiter ent- lassen. Bei der Amtseinführung von Präsident George Bush schienen sich die schlimmsten Befürchtungen zu bestätigen. CNN-Talker Larry King moderierte die Feierlichkeiten am Lincoln Memorial in Washington und umarmte vor laufender Kamera den neu- en Präsidenten. Das ging John King, der für CNN aus dem Weißen Haus berichtet, entschieden zu weit. In einer E-Mail an die führenden CNN-Manager beschwerte er sich am 18. Januar über diese Demonstration man-

gelnder Distanz: „Mit Scham und Schre- / AP JOHN RUSSELL Schließlich muss er auch dafür sorgen, den Altersdurchschnitt der CNN-Zuschauer zu senken. Der liegt derzeit bei 58 Jahren. Auch eine neue einstündige Abendsen- dung zur Hauptsendezeit wird konzipiert, die mehrere Themen in unterschiedlichen Stilformen behandeln und mit den The- men von „Time Magazine“ verknüpfen soll. „Ich will das Nachrichtenkonzept er- weitern ohne viel Geschrei“, sagt Isaacson mit einem kleinen Seitenhieb auf Fox’ er- folgreiche „Bill O’Reilly Show“. „Klingt nach einer Menge weicher The- men“, spottet Fox-News-Chef Roger Ailes, „davon haben die doch schon genügend.“ MSNBC-Boss Erik Sorenson äußert sich gemäßigter. „Walter scheint eine Mischung aus Interviews und Geschichten machen zu wollen nach dem Vorbild des ‚Time Ma- gazine‘. Ich bin skeptisch.“

KIM KULISH / CORBIS SABA KIM KULISH Die Konkurrenz hat allen Grund, sich Turner-Broadcasting-Chef Kellner*: Mit neuen Kräften zu altem Glanz gelassen zu geben. MSNBC fischt mit mo- derner Aufmachung und langen Doku- die Seriosität plötzlich in Zweifel ge- men. CNN indes steht für eine Expansion mentationen vor allem die anspruchsvollen zogen. gerade im internationalen Bereich. jüngeren Zuschauer ab. Rupert Murdochs „CNN begann mit einer tollen Idee, aber Mit Spannung wird erwartet, was Isaac- Fox News Channel ist mit prominenten schaffte nie den nächsten Schritt“, glaubt son meint, wenn er sagt, er wolle die „De- Star-Moderatoren und provokanten Talk- Dow Smith, Journalistikprofessor an der finition von Journalismus“ verbreitern. show-Mastern ebenfalls sehr erfolgreich. Syracuse-Universität. „Sie boten schwere, Noch verläuft sich der neue Chef in den Heute zieht das CNN-Hauptprogramm, tiefgründige Nachrichten. Das ist toll und verworrenen Gängen der CNN-Zentrale das in den USA 81 Prozent der Haushalte wichtig, aber das reine Berichterstatten ist in Atlanta. Doch Pläne zum ersten Re- erreicht, nur noch 30000 Zuschauer mehr nicht genug. Man muss die Menschen launch stehen bereits. Ab dem 6. August, an als Fox. Noch ist CNN Marktführer. berühren und Geschichten erzählen kön- so trompetet der Nachrichtensender im ei- „Unsere Quoten sinken nicht, in der Prime nen. Das hat CNN nie geschafft.“ genen Programm, startet der Kanal Head- Time sind sie im Vergleich zum Vorjahr Genau das will der neue Chef der CNN- sogar um mehr als 40 Pro- Mutterfirma Turner Broadcasting, Jamie zent gestiegen“, sagt CNN- Kellner, einst Architekt des Fox Network, Sprecher Nigel Pritchard. versuchen; eine seiner ersten Amtshand- Eine Nielsen-Studie erbrach- lungen: Er akzeptierte die Kündigung von te andere Zahlen: Danach CNN-Chef Tom Johnson und bestellte am legt sein Sender um ein Pro- 9. Juli Walter Isaacson als Kopf der CNN zent zu, MSNBC verzeich- News Group. Damit soll ausgerechnet ein net einen Zuwachs von 26 altgedienter Printjournalist ohne TV-Er- Prozent. fahrung den Sender zu altem Glanz zurück- Den größten Sprung aller- führen: 23 Jahre war der 49-Jährige bei dings machte Fox News mit „Time Magazine“, zuletzt als Chefredak- 61 Prozent. Immer mehr Be- teur. Er gilt als bestens verdrahtet mit den wohner jener Haushalte, die Entscheidungsträgern im Mutterhaus AOL alle drei Sender empfangen Time Warner, wo er bei Time Inc. zuletzt können, entscheiden sich für die Koordination zwischen Print, Online Fox. Dessen Erfolgsrezept, so und Rundfunk vorantrieb. Gleichzeitig ge- glaubt Turner-Broadcasting- nießt er hohes Ansehen als Qualitäts-Jour- Starreporterin Amanpour: Ausflüge zur Konkurrenz Chef Jamie Kellner, liegt vor nalist, was Ruhe unter die CNN-Reporter allem in der extrem konser- bringen und neue Namen anziehen soll. line News in neuem Gewand, aus dem Fi- vativen politischen Ausrichtung: „Fox be- „Ich glaube nicht, dass wir dümmliche nanzprogramm CNNfn wird CNN Money. dient eine Gruppe, die sich ungehört fühl- Boulevardthemen anbieten müssen, um Ein frischer Musiktrailer soll Schwung te, und der Sender gibt ihr, was sie will.“ Einschaltquoten zu kriegen. Wir müssen bringen, bunte Grafiken werden dann über Die New Yorker Medienbeobachter von nur etwas Leidenschaft in den Journalis- den Schirm verteilt, Infobänder an den Rän- FAIR (Fairness &Accuracy in Reporting) mus zurückbringen“, sagte Isaacson bei dern entlangrasen. Die Nachrichten sollen stimmen ihm zu. Ihren Beobachtungen zu- seiner Vorstellung als neuer CNN-Chef. von neuen Gesichtern vorgetragen werden. folge ist Fox das erste Network, das einem Die Reaktion der CNN-Mitarbeiter war Eines davon hat unter den CNN-Hardcore- festen konservativen Programm folgt. In abwartend. Zwar hat Isaacson es geschafft, Nachrichtensammlern bereits für Aufregung der Fox-Sendung „Brit Humes Special Re- das rostige Flaggschiff „Time Magazine“ gesorgt: das von Andrea Thompson. port“ etwa waren von Januar bis Mai 50 wieder flottzumachen – vor allem aber mit Deren berufliche Vergangenheit als Gäste mit republikanischem Parteibuch ge- einer Reduzierung der internationalen Be- Nacktmodell und Schauspielerin in der TV- laden, aber nur 6 Demokraten. richterstattung zu Gunsten von Wissen- Strandserie „Baywatch“ wird von vielen Das kommt gut an – zumindest bei schafts-, Zeitgeist- und Unterhaltungsthe- Kollegen als wenig seriös eingeschätzt. George W. Bush. Im Weißen Haus ließ er Isaacson, der diese Verpflichtung nicht zu alle Fernseher umschalten: Früher lief CNN, * In einem Werbespot für die TV-Serie „Charmed“. verantworten hat, verteidigt den neuen Star. jetzt ist Fox auf Sendung. Michaela Schiessl

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