„Ich Komme Aus Der Stadt Königsberg“ Saßnitzer Fischer Erlebten Die „Sowjetkolonie“ Ostpreußen Und Berichten Über Ihre Erlebnisse
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Das Ostpreußenblatt Folge 34 vom 05.12.1952 Seite 1 Im Zauber der Heimat Die Städte unserer Heimat hatten keine Sensationen zu bieten, aber sie waren auch ebenso weit entfernt von spießbürgerlicher Enge, es herrschte ein frischer und tätiger Geist. Beinahe jede Stadt aber hatte ihre besondere Schönheit, ob es nun ein märchenhafter Wald oder ein See in der Nähe waren, ein breit dahinfließender Strom; ein Berg oder ein Dom. Dieser Zauber ist auch in diesem unserm Bild eingefangen: es ist das Mühlentor in Pr.-Holland. Und für jeden, der in dieser Stadt lebte oder sie kannte und liebte, steigt mit diesem Bild eine Welt der Erinnerung auf. Aufnahme: Helmut Wegener Seite 1 „Ich komme aus der Stadt Königsberg“ Saßnitzer Fischer erlebten die „Sowjetkolonie“ Ostpreußen und berichten über ihre Erlebnisse Burjäten, Bunker und Soldaten Sonderbericht unseres Berliner Redaktionsvertreters Vor uns liegt eine Ausgabe der „Kaliningradzkaja Prawda“ auf Deutsch „Königsberger Wahrheit“. Auf ihrer ersten Seite befasst sich der Parteisekretär Tulnow mit dem Jahrestag der Oktoberrevolution im Gebiet Königsberg: „Noch niemals in seiner Geschichte“, schreibt er, hatte dieses Land und seine Bevölkerung so große, zukunftsweisende Aufgaben, wie unter dem fortschrittlichen Sowjetregime. Unsere neuen Menschen, geleitet und umsorgt von ausgewählten, bewährten Parteimitgliedern, legen hier eine für die gesamte Sowjetunion vorbildliche Aktivität an den Tag . „. Wie also sieht unsere alte Heimat heute aus? Was sind das für „neue Menschen“, welcher Art ist ihre „vorbildliche“ Aktivität“ – Diese Fragen beantworten uns einige Saßnitzer Fischer, die soeben nach achtwöchigem Zwangsaufenthalt in Ostpreußen wieder in Westberlin eintrafen. Seite 1 Die Gespensterstadt Im Laufe der Irrfahrt, welche die Fischer zu bestehen hatten, trieben sie steuerlos und schwer havariert, an die Küste des Frischen Haffes, wo sie von Sowjetsoldaten festgenommen wurden. Königsberg erreichten sie als letzte Etappe. In einer Fahrt durch die Stadt empfingen sie den Eindruck einer Gespensterstadt, so wie sie auch uns heute in der Erinnerung an jene Zeit nach 1945 geblieben ist. Was erblickten sie nun? Von der Stadt, durch deren menschenleere Straßen wir kurz nach Mitternacht bis Maraunenhof fuhren, sahen wir zunächst wenig außer Trümmern und hellerleuchteten Parteibauten. Dafür am nächsten Morgen — auf dem Wege quer durch die Stadt zum Freihafen — umso mehr. Die wenigen zur Innenstadt verkehrenden Straßenbahnen waren überfüllt. Sie hielten übrigens nicht an bestimmten Haltestellen, sondern fuhren — wie wir bemerkten — an die Straßenkreuzungen langsamer; dort sprangen die Fahrgäste auf oder ab. Im Gegensatz zu dem nur wenige Häuserlücken aufweisenden Vorort Maraunenhof, wo wir Filmplakate an der zu einem Kino umgebauten Ottokar- Kirche bemerkten, war der vorherrschende Eindruck beim Anblick des Königsberger Stadtkerns das Gefühl: hier blieb die Zeit stehen! Hier sprechen die Ereignisse der letzten Kriegs- und der ersten Nachkriegswochen noch heute eine erschütternde Sprache. Das Bild von Königsberg 1945, wie es uns die ostpreußischen Fischer in Saßnitz oft genug geschildert hatten, fanden wir als unveränderte Wirklichkeit. Die gewaltige Trümmerfläche der Innenstadt wurde überragt von der Ruine des Schlossturms. Neben den leeren, ausgebrannten Schaufenstern des Steindamms gab es vereinzelte Schnapsbuden und Stände „fliegender Händler". Vor dem unzerstörten Teil des ehemaligen Amts- und Landgerichts sowie vor dem früheren Polizeipräsidium und dem Raiffeisenhaus standen Posten unter Gewehr. Und wieder weite Schuttflächen, grasüberwachsene Trümmerhalden bis zur ausgebauten, einstigen Provinzialblindenanstalt, die das Generalstabsquartier der Land- und Seestreitkräfte beherbergt. Hier und da vereinzelte, halbzerstörte Denkmale, die Sockel von Plakaten und Spruchbändern überklebt, neben überlebensgroßen sowjetischen Gipsfiguren: trompetende „Junge Pioniere", Frauen mit Arbeitsgeräten, fahnenschwingende Krieger. Darunter, dazwischen, überall: moderne Moskauer Luxus-Limousinen und primitive Panje-Wagen, elegante Frauen in Offiziersuniformen und halbwüchsige, Sonnenblumenkerne kauende Kinder und Vagabunden. Sowjetische Lebensweise in Reinkultur auf den Trümmern europäisch-abendländischer Geschichte. Verhör in Neuhäuser Tagelang trieben die Fischer auf der Ostsee, bis sie einen Scheinwerfer auf der Frischen Nehrung für eine schwimmende Leuchttonne hielten, vierzig Meter vor der Küste in schwerer Brandung kenterten, mit Hilfe von Schwimmwesten doch noch an Land kamen und bei Neuhäuser dem ersten besten russischen Strandposten in die Arme taumelten — das alles erlebte die Besatzung des SAS 108 „Leipzig" zuvor in halbem Dämmerzustand . „Uns war zunächst alles gleichgültig, und dem verhörenden Offizier im NKWD-Haus von Neuhäuser, der uns mit Schlägen und Flüchen wachzuhalten suchte, konnte das nicht lange verborgen bleiben. So sperrten sie uns zwölf Stunden in eine Scheune. Die ganze nächste Nacht hindurch gingen dann die Vernehmungen. Die ausgefallensten Anschuldigungen wurden erhoben. Als wir am Morgen von einem zwanzigköpfigen Sonderkommando unter vier Offizieren in die Mitte genommen wurden und unsere erste Fahrt auf der Küstenstraße antraten, dämmerten uns immerhin die Gründe für diese Behandlung. Endlose Stacheldrahtverhaue, von hohen Bretterzäunen umgebene Sperrgebiete, Betonbunker, Schützengräben, Warnschilder und dazwischen unzählige Landmarine-Patrouillen — das war unser erster Eindruck vom „Kaliningrader Gebiet". Festungsgebiet Kaliningrad Für die verhältnismäßig kurze Strecke bis Palmnicken brauchten wir fast fünf Stunden. Wir kamen an vielen Artilleriestellungen mit seewärts gerichteten Geschützen vorbei. Pioniere waren mit Vermessungs- und Straßenarbeiten beschäftigt: Immer wieder mussten Umleitungen gefahren werden (Wir zählten nicht weniger als elf Schlagbäume unterwegs). Auch am Ortsrand Von Palmnicken hielt uns ein Offiziersposten auf. In der Stadt selbst, die ein einziges Marinelazarett war, Uniformen, nichts als Uniformen! In den schönsten Villen residierten ein paar Stäber und natürlich die MWD. Dann begannen wieder die Verhöre, endlos, ergebnislos — denn was man wissen und bestätigt haben wollte, nämlich in wessen Auftrag und Diensten wir bei Neuhäuser gelandet seien — dazu konnten wir nur die Achseln zucken. Es vergingen sechs, sieben Tage, ehe eines Abends ein Leutnant aus Pillau die Mitteilung überbrachte, man habe Nachricht aus der „DDR", wir seien vermisst gemeldet — also möglicherweise doch keine Spione und könnten, wenn alles stimme, mit unserem Rücktransport rechnen. Wann? Oh, skoro, skoro — bald, bald . Wir fuhren nach Pillau. Unterwegs das gleiche Bild, wie wir es bereits kannten: brachliegende, unkrautüberwucherte Äcker, weit und breit weder Menschen noch Vieh auf den Feldern, dafür überall Truppen auf Straßen, in den Dörfern: Landmarine-Einheiten, Artillerie, Pioniere – viele mongolische Gesichter. Die ersten Zivilisten sahen wir aus einiger Entfernung in einem von Stacheldraht und vier Wachtürmen umgebenen Konzentrationslager. Und zwar waren es 24 Steinbaracken mit jeweils nur drei kleinen, der Straße abgewandten Fenstern. Ein paar Männer schichteten, von einem bewaffneten Posten beaufsichtigt, Ziegel aufeinander. Sie blickten nicht auf, als wir vorüberfuhren. Wer von uns geglaubt hatte, die im Kriege stark zerstörte Hafenstadt Pillau einigermaßen wiederhergestellt zu finden, sah sich getäuscht. Nur die Eisenbahn und Hafen-Anlagen waren in Ordnung, teilweise erweitert. Baltysk nennen die Sowjets die einst so fleißige Stadt, die heute für sie nur noch als Kriegshafen Bedeutung hat und zwischen deren alten Trümmern und neuen Baracken sich eine erschreckend gleichgültige Masse vorwiegend uniformierter „Neubürger“ bewegt . In einem Schuppen stellten wir dann fest, dass unter dem gleichen Dach auch eine Gruppe von Zivilisten wohnte, „freie Arbeiter", die während des Krieges nach Deutschland verpflichtet worden waren und denen die Rückkehr in ihre innerrussische Heimat untersagt ist. Ihr Leben bestand — wie sie erzählten — aus Normerfüllung, Normübererfüllung, Essen und Schlafen. Gäbe es nicht Wodka, wäre dieses Vegetieren für viele noch schwerer zu ertragen. Das „große“ Angebot: Optieren . Eines Tages hielt ein sechssitziger „SIS“ neuester Produktion vor unserer Behausung. Ihm entstiegen ein Oberstleutnant und eine junge Dolmetscherin. Sie kamen aus Königsberg und hatten „etwas mit uns zu besprechen". Der freundlichen Begrüßung nach zu urteilen, meinten wir, es würde jetzt nach Hause gehen. Weit gefehlt. Wie wir uns fühlten? Na ja, nicht grade gut, das heißt, auch nicht schlecht, jetzt — wo sich offenbar aufgeklärt habe, wer wir seien und wohin wir gehörten. Eben, eben, es habe alles seine Richtigkeit, was wir ausgesagt hätten; wir sollten nur Verständnis aufbringen „angesichts der internationalen Lage"; wir seien schließlich kluge und tüchtige Fischer, Leute, die man auch im Kaliningrader Gebiet zu schätzen wisse. Wir würden es auch in Zukunft gut haben . Wie das gemeint sei? Nun, ganz einfach: Sie optieren und bleiben hier . „. — hier in Baltysk oder in Kaliningrad selbst, wo immer wir wollten. Da blieb uns nichts, als erschrocken festzustellen, dass dies durchaus nicht so einfach sei und wir schließlich daheim Familie hätten. Wenn die Fischer nun aber geglaubt hatten, damit sei die Angelegenheit erledigt, so sahen sie sich schwer getäuscht. Es verging eine weitere Woche. Und so oft sie sich auch erkundigten, warum man sie immer noch eingesperrt hielte, zogen ihre Bewacher