Nile Rodgers & Chic
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SWR Musikpassagen Nile Rodgers & Chic Von Luigi Lauer Sendung: Sonntag, 23.06.2019 Redaktion: Anette Sidhu-Ingenhoff Produktion: SWR 2019 SWR Musikpassagen können Sie auch im SWR2 Webradio unter www.SWR2.de und auf Mobilgeräten in der SWR2 App hören Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de Die neue SWR2 App für Android und iOS Hören Sie das SWR2 Programm, wann und wo Sie wollen. 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Dazu begrüßt sie am Mikrophon Luigi Lauer. --- Chic, Album "Chic", Track 1, Dance Dance Dance, 3:45 --- Dance Dance Dance – das erste Lied aus dem ersten Album von Chic aus dem Jahr 1977, mit, so hätte es wohl Loriot ausgedrückt, sehr übersichtlichem Text. Die Band, im Kern bestehend aus Bernard Edwards, Bass, und Nile Rodgers, Gitarre, existierte da erst seit einem Jahr. Sechs Jahre später war auch schon wieder Schluss, zumindest vorläufig. Edwards und Rodgers waren als Produzenten derart gefragt, dass sie das Projekt Chic auf Eis legten. Künstlerische Differenzen kamen dazu. Und die Disco-Musik hatte ihren Höhepunkt bereits überschritten. Erst 1992 legten die beiden ein Album nach. Es war auch das letzte von Edwards und Rodgers, denn Bernard Edwards starb 1996 an einer Lungenentzündung. Dass Nile Rodgers überhaupt noch lebt, grenzt an ein Wunder. (O-Ton Rodgers, 0:59): „Ich muss ihnen recht geben, das ist auch für mich die größte Überraschung. Ehrlich gesagt, weiß ich es selber nicht. Ich habe tolle Ärzte, ich hatte unglaubliches Glück, und ich war wohl einfach noch nicht an der Reihe zu gehen. Ich war der leichtsinnigste Mensch, den man sich überhaupt vorstellen kann. Ich habe nicht nur getrunken und Drogen genommen, ich fuhr auch noch Autorennen und hatte ein Amateur-Rennboot-Team. Ich hatte Unfälle sowohl mit Autos als auch Booten, aber nie allzu schlimm. Ich bin nie aus Flugzeugen gesprungen; das ist aber auch schon so ziemlich alles, was ich ausgelassen habe. Ich bin auf Skiern Buckelpisten runtergeknallt, bis ich fast keine Knie mehr hatte. Heute tue ich nur so, als würden sie nicht schmerzen (lacht)." Im letzten Jahr erschien mit "It´s about time" nach 26 Jahren wieder ein Studioalbum von Chic. Das musikalische Konzept der Alben von Chic ist identisch geblieben: Ein jazziger Instrumentaltitel; einer, in dem die Band sich rappenderweise selber preist; und für alle sind besonders die Mitsing-Refrains charakteristisch. Tanzbar sind die Lieder, natürlich, alle. Und man hört, dass mit modernster, auch digitaler Ausrüstung produziert wurde, und zwar in den berühmten Abbey Road Studios in London. Titel wie „Boogie all night“, „Do you wanna party“ oder „Dance with me“ verraten scheinbar, worum es geht auf „It´s about time“. Doch dann stolpert man gleich im ersten Lied über Textzeilen wie diese: „Die Welt ist verrückt geworden, auf der Tanzfläche sind wir vermutlich sicherer. Soviel Zerstörung auf unserem Weg. Wach auf, bevor sie es noch schlimmer machen.“ Ob so ein Appell in einem Tanzmusikclub an der richtigen Adresse ist? 2 (O-Ton Rodgers, 0:58): „Ich bin zutiefst überzeugt, dass man die besten Menschen in Clubs und Diskotheken trifft. Und mit "die besten" meine ich die Großherzigen, die Altruistischen, die Freigiebigen, die Vorurteilsfreien – all die habe ich in Clubs getroffen, tanzend, musizierend. Darum lautet der erste Satz des neuen Chic-Albums: "Die Welt ist verrückt geworden, auf der Tanzfläche sind wir vermutlich sicherer." (O-Ton Rodgers, 1:03): „Als ich Kind war, sprachen alle davon, Bunker zu bauen, um einen nuklearen Holocaust zu überleben. Aber die Dinge stehen ja oft auf dem Kopf: Du bist vielleicht in einem Club, kommst raus, die Welt ist zerstört, und das einzige, was noch steht, ist der Club, in dem du gerade warst. Das mag weit hergeholt klingen, zumal ich ja einen durchaus wissenschaftlichen Hintergrund habe. Aber es ist ja bekannt, dass manche Strukturen einen Nuklearschlag überstehen, dass alles weg ist; aber ein Gebäude steht als einziges noch da, weil es der Druckwelle trotzen konnte, weshalb auch immer. Dass man also auf der Tanzfläche sicherer ist, kann tatsächlich vorkommen." --- Chic, Album "It´s about time", Track 1, Till the world falls, 5:18 --- Nile Rodgers ist 1952 in der New Yorker Bronx geboren. Gesonderte Plätze für Schwarze in öffentlichen Einrichtungen, getrennte Schulklassen, kein Zugang zu Universitäten – erst 1964 endete das offiziell. Überwunden war der Rassismus damit nicht. Zur Musik von Chic aber tanzten Schwarze wie Weiße, Schwule wie Heteros, Unter- wie Mittelklasse, oft genug zusammen. Das war schon Protest an sich. Das erste Chic-Album zeigte 1977 ein weißes und ein schwarzes Cover-Girl mit Trillerpfeifen im Mund. Fast identisch sieht das Cover von „It´s about time“ 2018 aus – ein mehr als deutlicher Fingerzeig, dass es noch, oder wieder, viel zu tun gibt. (O-Ton Rodgers, 1:36): „Schauen wir uns die Welt doch an, da ergibt doch nichts mehr einen Sinn. Oft frage ich mich, ob ich wirklich Teil dieser Welt bin. Im Jahr 2018, 2019 müssen wir noch über Ungleichheit reden, über Migrationsgegner, Stammesverhalten? Oder wir mögen Menschen aus diesem oder jenem Land nicht? Ich verstehe solches Gerede nicht einmal. Ich bin seit meinem 18. Lebensjahr Berufsmusiker und bin überall gewesen – Philippinen, Japan, Iran, wo auch immer. Und die Menschen haben uns geliebt, ganz einfach, weil wir Musik gespielt haben. Sie luden uns zu sich nach Hause ein, haben uns Essen bereitet. Auch in den USA ist uns das mit Leuten von überall passiert. Weshalb sollen Menschen, deren Bräuche anders sind, gruselig sein und bei uns nichts verloren haben? Sie sind nur anders, sonst nichts. Sie laufen die Straßen runter, wir laufen die Straßen runter. Ja, und?“ Ist Chic am Ende etwa eine Band mit politischem Anspruch? Die Deutlichkeit mag neu sein, sagt Nile Rodgers, zum Konzept hätten solche Aussagen jedoch immer schon gehört. 3 (O-Ton Rodgers, 1:08): „Alle unsere Texte sind politisch, deshalb macht diese Band ja so viel Spaß! Man merkt das nicht gleich, aber es gibt immer eine Zweideutigkeit. Bernard und ich haben damals eine Vereinbarung getroffen, die wir D-H-M nannten, Deep Hidden Meaning. Jedes Lied hat diese tief versteckte Bedeutung. Im Grunde genommen bedeutet D-H-M die DNS, das eigentliche Rückgrat, den Herzschlag, die Chromosomen, das Blut unserer Musik. Nur so können wir unsere Geschichten erzählen.“ Auch wenn sich die "tief versteckte Bedeutung" auf der Tanzfläche vielleicht nicht jedem erschloss – Chic waren Ende der 1970-er Jahre Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins der Afro-Amerikaner. Die Zeit, als schwarze Musiker in den USA noch den Hintereingang benutzen mussten, war vorüber. (O-Ton Rodgers, PK, 1:14): „Wir waren jung, wir sahen aus wie die Leute, die unsere Platten kauften. Wir machten unsere Platten für eine spezielle Zielgruppe, namentlich die Black Urban Professionals, die Buppies. Daraus gingen später Präsident Obama hervor oder Oprah Winfrey, stolze Leute von der Sorte: "Ich arbeite an der Wall Street", "Ich bin Wissenschaftler". Zu denen wollten wir gehören, aber nicht als harte Funk-Gruppe oder wie James Brown. Wir wollten nicht identifiziert werden mit Kirchenmusik, mit Gospel und so. Wir wollten mit einem eher intellektuellen, wissenschaftlichen Anspruch auftreten, wie man ihn aus dem Jazz kennt. Was wir machten, war ein Feldversuch, von dem wir nicht wussten, ob er aufgehen würde. Wir hatten eine Band namens Roxy Music gesehen, und ich sagte sofort: Wir machen eine schwarze Version von Roxy Music! Und als wir die Band zusammenstellten, sah das, zumindest für uns, auch genau so aus: wie eine schwarze Version von Roxy Music." --- Chic, Album "Risque", Track 1, Good Times, 3:45 --- Das Lied "Good Times", das im Sommer 1979 zum Nummer-1-Hit in vielen Ländern der Erde wurde. Besondere Erwähnung verdient die Bassline von Bernard Edwards. Keine andere ist jemals so oft übernommen, geklaut, kopiert oder zitiert worden, ein kleiner Geniestreich, den kein Basslehrer seinen Schülern vorenthält. Nach genau 20 Jahren Zusammenarbeit mit Nile Rodgers starb Bernard Edwards 1996 überraschend nach einem Konzert in Tokio an einer Lungenentzündung. (O-Ton Rodgers, 1:42): „Es war vernichtend. Ich hätte nie auch nur in Betracht gezogen, einen Chic-Song ohne Bernard zu spielen oder gar zu machen. Das fürchterliche an Chic war, dass wir soviele Tote zu beklagen hatten für eine so kleine Band. Der Trompeter Ray Maldonado war der erste, er starb an einer Heroin-Überdosis, der Saxophonist war ebenfalls Heroin-abhängig, und dann starben uns die Leute links und rechts weg, Bernard, Luther, Tony, Raymond Jones... fünf Leute, in einer relativ kleinen Besetzung. Seit der Gründung von Chic hat es sehr viele Musiker in der Band gegeben, aber 20, 25% der Mitglieder zu verlieren, ist schon heftig.