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SWR Musikpassagen & Chic Von Luigi Lauer

Sendung: Sonntag, 23.06.2019 Redaktion: Anette Sidhu-Ingenhoff Produktion: SWR 2019

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Niveauvoll produzierte Popmusik, komponiert vom Musiker- und Produzenten- Gespann und Nile Rodgers: Dafür stand Ende der 1970-er, Anfang der 80-er die Band Chic. Der Tod des Bassisten Bernard Edwards 1996 bedeutete das Ende der Band – scheinbar. Denn Gitarrist Nile Rodgers wollte es 26 Jahre nach dem letzten Studioalbum noch einmal wissen, Ende 2018 veröffentlichte er mit „It´s about time“ wieder ein neues Chic-Album. „It´s about time“, übersetzt: "Es wird Zeit" – Zeit, die unglaubliche Erfolgsgeschichte von Chic einmal zu erzählen. Dazu begrüßt sie am Mikrophon Luigi Lauer.

--- Chic, Album "Chic", Track 1, Dance Dance Dance, 3:45 ---

Dance Dance Dance – das erste Lied aus dem ersten Album von Chic aus dem Jahr 1977, mit, so hätte es wohl Loriot ausgedrückt, sehr übersichtlichem Text. Die Band, im Kern bestehend aus Bernard Edwards, Bass, und Nile Rodgers, Gitarre, existierte da erst seit einem Jahr. Sechs Jahre später war auch schon wieder Schluss, zumindest vorläufig. Edwards und Rodgers waren als Produzenten derart gefragt, dass sie das Projekt Chic auf Eis legten. Künstlerische Differenzen kamen dazu. Und die -Musik hatte ihren Höhepunkt bereits überschritten. Erst 1992 legten die beiden ein Album nach. Es war auch das letzte von Edwards und Rodgers, denn Bernard Edwards starb 1996 an einer Lungenentzündung. Dass Nile Rodgers überhaupt noch lebt, grenzt an ein Wunder.

(O-Ton Rodgers, 0:59): „Ich muss ihnen recht geben, das ist auch für mich die größte Überraschung. Ehrlich gesagt, weiß ich es selber nicht. Ich habe tolle Ärzte, ich hatte unglaubliches Glück, und ich war wohl einfach noch nicht an der Reihe zu gehen. Ich war der leichtsinnigste Mensch, den man sich überhaupt vorstellen kann. Ich habe nicht nur getrunken und Drogen genommen, ich fuhr auch noch Autorennen und hatte ein Amateur-Rennboot-Team. Ich hatte Unfälle sowohl mit Autos als auch Booten, aber nie allzu schlimm. Ich bin nie aus Flugzeugen gesprungen; das ist aber auch schon so ziemlich alles, was ich ausgelassen habe. Ich bin auf Skiern Buckelpisten runtergeknallt, bis ich fast keine Knie mehr hatte. Heute tue ich nur so, als würden sie nicht schmerzen (lacht)."

Im letzten Jahr erschien mit "It´s about time" nach 26 Jahren wieder ein Studioalbum von Chic. Das musikalische Konzept der Alben von Chic ist identisch geblieben: Ein jazziger Instrumentaltitel; einer, in dem die Band sich rappenderweise selber preist; und für alle sind besonders die Mitsing-Refrains charakteristisch. Tanzbar sind die Lieder, natürlich, alle. Und man hört, dass mit modernster, auch digitaler Ausrüstung produziert wurde, und zwar in den berühmten Abbey Road Studios in London.

Titel wie „Boogie all night“, „Do you wanna party“ oder „Dance with me“ verraten scheinbar, worum es geht auf „It´s about time“. Doch dann stolpert man gleich im ersten Lied über Textzeilen wie diese: „Die Welt ist verrückt geworden, auf der Tanzfläche sind wir vermutlich sicherer. Soviel Zerstörung auf unserem Weg. Wach auf, bevor sie es noch schlimmer machen.“ Ob so ein Appell in einem Tanzmusikclub an der richtigen Adresse ist? 2

(O-Ton Rodgers, 0:58): „Ich bin zutiefst überzeugt, dass man die besten Menschen in Clubs und Diskotheken trifft. Und mit "die besten" meine ich die Großherzigen, die Altruistischen, die Freigiebigen, die Vorurteilsfreien – all die habe ich in Clubs getroffen, tanzend, musizierend. Darum lautet der erste Satz des neuen Chic-Albums: "Die Welt ist verrückt geworden, auf der Tanzfläche sind wir vermutlich sicherer."

(O-Ton Rodgers, 1:03): „Als ich Kind war, sprachen alle davon, Bunker zu bauen, um einen nuklearen Holocaust zu überleben. Aber die Dinge stehen ja oft auf dem Kopf: Du bist vielleicht in einem Club, kommst raus, die Welt ist zerstört, und das einzige, was noch steht, ist der Club, in dem du gerade warst. Das mag weit hergeholt klingen, zumal ich ja einen durchaus wissenschaftlichen Hintergrund habe. Aber es ist ja bekannt, dass manche Strukturen einen Nuklearschlag überstehen, dass alles weg ist; aber ein Gebäude steht als einziges noch da, weil es der Druckwelle trotzen konnte, weshalb auch immer. Dass man also auf der Tanzfläche sicherer ist, kann tatsächlich vorkommen."

--- Chic, Album "It´s about time", Track 1, Till the world falls, 5:18 ---

Nile Rodgers ist 1952 in der New Yorker Bronx geboren. Gesonderte Plätze für Schwarze in öffentlichen Einrichtungen, getrennte Schulklassen, kein Zugang zu Universitäten – erst 1964 endete das offiziell. Überwunden war der Rassismus damit nicht. Zur Musik von Chic aber tanzten Schwarze wie Weiße, Schwule wie Heteros, Unter- wie Mittelklasse, oft genug zusammen. Das war schon Protest an sich.

Das erste Chic-Album zeigte 1977 ein weißes und ein schwarzes Cover-Girl mit Trillerpfeifen im Mund. Fast identisch sieht das Cover von „It´s about time“ 2018 aus – ein mehr als deutlicher Fingerzeig, dass es noch, oder wieder, viel zu tun gibt.

(O-Ton Rodgers, 1:36): „Schauen wir uns die Welt doch an, da ergibt doch nichts mehr einen Sinn. Oft frage ich mich, ob ich wirklich Teil dieser Welt bin. Im Jahr 2018, 2019 müssen wir noch über Ungleichheit reden, über Migrationsgegner, Stammesverhalten? Oder wir mögen Menschen aus diesem oder jenem Land nicht? Ich verstehe solches Gerede nicht einmal. Ich bin seit meinem 18. Lebensjahr Berufsmusiker und bin überall gewesen – Philippinen, Japan, Iran, wo auch immer. Und die Menschen haben uns geliebt, ganz einfach, weil wir Musik gespielt haben. Sie luden uns zu sich nach Hause ein, haben uns Essen bereitet. Auch in den USA ist uns das mit Leuten von überall passiert. Weshalb sollen Menschen, deren Bräuche anders sind, gruselig sein und bei uns nichts verloren haben? Sie sind nur anders, sonst nichts. Sie laufen die Straßen runter, wir laufen die Straßen runter. Ja, und?“

Ist Chic am Ende etwa eine Band mit politischem Anspruch? Die Deutlichkeit mag neu sein, sagt Nile Rodgers, zum Konzept hätten solche Aussagen jedoch immer schon gehört.

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(O-Ton Rodgers, 1:08): „Alle unsere Texte sind politisch, deshalb macht diese Band ja so viel Spaß! Man merkt das nicht gleich, aber es gibt immer eine Zweideutigkeit. Bernard und ich haben damals eine Vereinbarung getroffen, die wir D-H-M nannten, Deep Hidden Meaning. Jedes Lied hat diese tief versteckte Bedeutung. Im Grunde genommen bedeutet D-H-M die DNS, das eigentliche Rückgrat, den Herzschlag, die Chromosomen, das Blut unserer Musik. Nur so können wir unsere Geschichten erzählen.“

Auch wenn sich die "tief versteckte Bedeutung" auf der Tanzfläche vielleicht nicht jedem erschloss – Chic waren Ende der 1970-er Jahre Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins der Afro-Amerikaner. Die Zeit, als schwarze Musiker in den USA noch den Hintereingang benutzen mussten, war vorüber.

(O-Ton Rodgers, PK, 1:14): „Wir waren jung, wir sahen aus wie die Leute, die unsere Platten kauften. Wir machten unsere Platten für eine spezielle Zielgruppe, namentlich die Black Urban Professionals, die Buppies. Daraus gingen später Präsident Obama hervor oder Oprah Winfrey, stolze Leute von der Sorte: "Ich arbeite an der Wall Street", "Ich bin Wissenschaftler". Zu denen wollten wir gehören, aber nicht als harte -Gruppe oder wie James Brown. Wir wollten nicht identifiziert werden mit Kirchenmusik, mit Gospel und so. Wir wollten mit einem eher intellektuellen, wissenschaftlichen Anspruch auftreten, wie man ihn aus dem Jazz kennt. Was wir machten, war ein Feldversuch, von dem wir nicht wussten, ob er aufgehen würde. Wir hatten eine Band namens Roxy Music gesehen, und ich sagte sofort: Wir machen eine schwarze Version von Roxy Music! Und als wir die Band zusammenstellten, sah das, zumindest für uns, auch genau so aus: wie eine schwarze Version von Roxy Music."

--- Chic, Album "Risque", Track 1, Good Times, 3:45 ---

Das Lied "Good Times", das im Sommer 1979 zum Nummer-1-Hit in vielen Ländern der Erde wurde. Besondere Erwähnung verdient die Bassline von Bernard Edwards. Keine andere ist jemals so oft übernommen, geklaut, kopiert oder zitiert worden, ein kleiner Geniestreich, den kein Basslehrer seinen Schülern vorenthält. Nach genau 20 Jahren Zusammenarbeit mit Nile Rodgers starb Bernard Edwards 1996 überraschend nach einem Konzert in Tokio an einer Lungenentzündung.

(O-Ton Rodgers, 1:42): „Es war vernichtend. Ich hätte nie auch nur in Betracht gezogen, einen Chic-Song ohne Bernard zu spielen oder gar zu machen. Das fürchterliche an Chic war, dass wir soviele Tote zu beklagen hatten für eine so kleine Band. Der Trompeter Ray Maldonado war der erste, er starb an einer Heroin-Überdosis, der Saxophonist war ebenfalls Heroin-abhängig, und dann starben uns die Leute links und rechts weg, Bernard, Luther, Tony, Raymond Jones... fünf Leute, in einer relativ kleinen Besetzung. Seit der Gründung von Chic hat es sehr viele Musiker in der Band gegeben, aber 20, 25% der Mitglieder zu verlieren, ist schon heftig. Vor allem starben alle sehr jung, sie waren um die 40. Ich bin inzwischen 66, unglaublich. Es ist also schon über 20 Jahre her, dass sie starben."

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2013 reifte in Nile Rodgers die Idee, ein neues Album aufzunehmen und es wurden wieder erste Konzerte gegeben. Dafür musste ein neuer Bassist her. Überhaupt einen Ersatz für Edwards suchen zu müssen, behagte Rodgers gar nicht; die muskulösen und laut abgemischten Basslinien von Bernard Edwards gehörten zum Markenzeichen von Chic. Den Bass wegzulassen, wäre indes noch schlimmer gewesen. Die Wahl fiel auf Jerry Barnes.

(O-Ton Rodgers, 0:45): „Ich dachte mir: Wie soll das gehen? Wie kann man einen Chic-Song ohne Bernard spielen? Ich mochte überhaupt nicht, wenn andere seine Linien spielten. Wir haben uns 50 Leute angehört, bevor wir auf Jerry Barnes stießen, ernsthaft. Nicht, weil sie nicht gut waren, aber diese spezielle Technik hatte einfach keiner drauf (singt). Das konnte keiner, selbst einige der besten Bassisten, die ich kannte, bekamen das nicht hin. Und dann kam Jerry und sagte, ich bin eine Stadt weiter geboren als Bernard, er war immer schon mein Held. Ich meinte, klingt schon mal nicht schlecht, du hast fünf Minuten zum Vorspielen."

Es grenzt an Unverschämtheit, einen Mann wie Jerry Barnes überhaupt vorspielen zu lassen. Immerhin hat er mit Künstlerinnen und Künstlern wie Roberta Flack, Chaka Khan, Prince, Bette Midler, Steve Wonder, Sting oder Harry Belafonte gearbeitet. Aber es galt ja auch, Bernard Edwards zu ersetzen. Von ihm habe er eine Menge gelernt, sagt Nile Rodgers – vor allen anderen Dingen die Kunst der Reduktion. Gott sei dank sei Bernard Edwards damals in sein Leben getreten.

(O-Ton Rodgers, 1:05): „Wenn ich ihm etwas vorspielte, sagte er immer, das ist spitze, aber das sind 4-5 Lieder in einem! Und ich: Echt? Er: Ja, wirklich! Nimm nur dies und mache daraus ein eigenes Lied! "Get lucky", eines der erfolgreichsten Lieder meines Lebens, war Teil eines anderen Liedes. Als Daft Punk und ich das schrieben, war es noch ein völlig anderes Stück. Dann nahmen wir einen Teil davon und machten "Get lucky" daraus (lacht). Keine Ahnung, ob das Stück schon einen Namen hatte, als Daft Punk es mir vorspielten. Zu "Get Lucky" wurde es erst, nachdem ich darauf gespielt und Pharell es gehört hatte. Die Gitarre geht so (singt). Daraus wurde dann "Get Lucky"."

Mit Pharell ist Pharell Williams gemeint, der neben Nile Rodgers als "featured artist" erwähnt wird. Daft Punk sind ein Elektro-Pop-House-Duo aus Frankreich, das grundsätzlich mit futuristischen Helmen auf dem Kopf auftritt. Get Lucky erschien 2013 und ging buchstäblich durch die Decke. Auch in Deutschland landeten Album wie Single auf Platz 1 der Charts.

--- Daft Punk, Album "Random Access Memories", Track 8, Get lucky, 4:07 ---

Das Lied "Get lucky" mit der unverkennbaren Gitarren-Handschrift von Nile Rodgers. Obwohl der Hit von Daft Punk stammte, war er doch zugleich eine Art Wiedergeburt von Nile Rodgers und Chic. Rodgers beweist in dem Stück nicht nur, dass er nichts verlernt hat. Er zeigt auch, dass seine Arbeit mit den technischen wie musikalischen Gepflogenheiten der Gegenwart harmoniert. Aber damals sei Chic ja auch schon seiner Zeit voraus gewesen, sagt Rodgers schmunzelnd.

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(O-Ton Rodgers, 2:24): „Stimmt, mit dem letzten Chic-Album haben wir das gemacht, auch schon mit dem davor, Take it off. Aber gehen wir mal zurück zum zweiten Chic-Album, es beginnt mit dem Lied "Chic cheer" (singt kurz). Es gab noch keinen Hiphop, da haben wir den Text schon gesprochen (zitiert: "Give me a C..."). Es war einfach nur unsere künstlerische Ausdrucksweise. Ich sage ihnen etwas, das ich aus urheberrechtlichen Gründen sonst nicht erzähle, und zwar über das Rufen zu Beginn des Stückes "Chic cheer". Wir gingen eines abends ins Studio und die Rolling Stones nahmen nebenan auf, ich glaube ein live-Album. Wir sahen die Bandmaschine, darauf lag eine Spule mit einem Stück Band. Wir führten uns auf wie kleine Kinder: Was machen die Rolling Stones da wohl? Wir konnten es nicht lassen, die Bandmaschine zu starten, und man hörte eine Menschenmenge, die den Rolling Stones zujubelte. Wir hatten einen kleinen Kassettenrecorder und nahmen es auf – für unser Album. Natürlich hätte zu diesem Zeitpunkt unserer Karriere keine Menschenmenge einen solchen Lärm für uns gemacht. Wir haben dann noch daran manipuliert, damit es niemand merkt, und so hört man auf dem Album eine gigantisches Publikum, das scheinbar uns zujubelt, das aber tatsächlich das Publikum der Rolling Stones ist (lacht)."

--- Chic, Album "C´est chic", Track 1, Chic cheer, 4:44 ---

Und weil der Applaus für die Rolling Stones so schön war, kommt er am Ende des Liedes gleich nochmal.

Wahrscheinlich kann Nile Rodgers zu jedem Lied, das er geschrieben und/oder gespielt hat, unterhaltsame, lustige, lehrreiche oder traurige Geschichten erzählen. Das tut er auch gerne und man kann ihn kaum bremsen dabei, wenn er einmal in Fahrt ist. Nicht nur auf der Bühne ist der Mann ein begnadeter Entertainer. Anlässlich des neuen Chic-Albums "It´s about time" gab es Ende letzten Jahres eine kleine Pressevorführung – oder war es eine Presse-ver-führung? Jedenfalls durfte die Geschichte des berühmtesten Chic-Songs nicht fehlen: Le Freak. Die Geschichte ist eigentlich bekannt, man kann sie sogar bei Wikipedia nachlesen. Aber unschlagbar ist, wenn er sie selber erzählt.

(O-Ton Rodgers, PK, 3:10): „Das möchte ich jetzt einmal klären, denn jeder erzählt die Geschichte ein wenig anders. Ich war oft im vor dieser Nacht. Wenn man sich die erste Single von Chic anschaut, "Dance, Dance, Dance, Jause Jause Jause", da steht: Chic, gemischt von Tom Savarese, er war der DJ im Studio 54. Sein Name steht größer auf der Platte als unserer! Wir benutzten den Namen Studio 54 als Werbung für uns, denn der Laden war weltbekannt, und wenn irgendwo andere DJs das sahen, waren sie sofort Feuer und Flamme: Mal hören, was der DJ im Studio 54 so macht! Und dann legen sie das Ding auf und es kommt "Jause Jause Jause". Das Problem an diesem Silvesterabend war folgendes. Ich wollte ohne meine Freundin in den Club. Die kannte dort jeder, inklusive Türsteher, sie hatte gerade eine renommierte Modeschule abgeschlossen und ihr Freundeskreis bestand aus lauter berühmten Menschen. Fast jeden Abend gingen wir in den Club. An diesem Abend war ich jedoch von eingeladen und dachte, na, da werden sie mich wohl schon reinlassen. Sonst gingen wir hin um zu feiern, aber Grace Jones dort zu treffen war ein echter Geschäftstermin. Und so sahen wir auch aus, wie Geschäftsleute. Ich 6 weiß nicht, ob sie Grace Jones schon einmal sprechen gehört haben. Man kennt sie allgemein ja nur singend (singt etwas). Aber wenn sie spricht (imitiert sie). Das klingt wie Marlene Dietrich, Bella Lagozi und Bob Marley in einer Person (imitiert sie nochmals). Wir gingen also zum Hintereingang des Studio 54 und klopften: Wir sind persönliche Freunde von Miss Grace Jones. Der Türsteher knallte uns die Tür vor der Nase zu und sagte nur: Verpisst euch! Wir insistierten: Aber wir sind wirklich Freunde von Grace Jones, sie hat uns eingeladen!"

(O-Ton Rodgers, PK, 2:22): „Der Türsteher knallte uns also die Tür vor der Nase zu und sagte nur: Fuck off! Nun sind wir aber Musiker, und für uns hatte das sofort einen eigenen Klang: (singt: Aaaah, fuck off). Ich wohnte damals nur einen Block vom Studio 54 entfernt, also wirklich um die Ecke. Auf dem Nachhauseweg lag allerdings ein gut sortierter Schnapsladen. Wir kauften zwei Flaschen Champagner, damals nannten wir Dom Perignon die "RocknRoll Mundspülung". Mit den zwei Flaschen Mundspülung gingen wir also zu meinem Apartment, Bernard trank eine, ich die andere. Wir nahmen unsere Instrumente und erinnerten uns an dieses "Fuck off!" und machten daraus "Fuck Studio 54!". Wir waren stinksauer, schließlich hatten wir uns echt in Schale geworfen. Ich hatte Schuhe an für damals unglaubliche 1.500 Dollar! Die habe ich später ruiniert, als ich durch Schnee mit Streusalz laufen musste, aber das ist eine andere Geschichte. Unsere Geschichte endet besser. Wir hatten erwartet, einen Produzentenvertrag mit Grace Jones zu bekommen, das wäre das dickste Ding in unserem Leben gewesen. Stattdessen bekamen wir etwas noch viel größeres, etwas, wovon wir nie zu träumen gewagt hatten. "Le Freak" wurde die meistverkaufte Single in der Geschichte von Warner Music. Damals sprachen sie vom neuen Led Zeppelin-Vertrag über 20 Millionen Dollar. Wir machten aber 100 Millionen Dollar! Die Plattenfirma verdiente an uns mehr als an allen anderen. Warum? Weil sie Chic auch nicht annähernd 20 Millionen gezahlt hätten! "Le Freak" wurde ein Mordserfolg."

Und damit haben insbesondere die Fans von Chic lange genug auf deren bekanntestes Stück gewartet, hier ist es: Le Freak.

--- Chic, Album "C´est chic", Track 2, Le Freak, 5:31 ---

Die Band Chic mit dem Lied "Le Freak" – ein Riesenhit, den die Plattenfirma ursprünglich gar nicht veröffentlichen wollte. Das Stück fanden sie zu schlecht.

Dass Nile Rodgers ein Ausnahmegitarrist ist, dessen krisper Sound unverkennbar ist und der mit Leichtigkeit Jazz-Akkorde in Popmusik unterbringt, haben andere rasch begriffen. Auf mehr als 1.500 Platten ist der Mann zu hören. Ein echter Workaholic, denn er hätte nach "Le Freak" nie wieder arbeiten müssen, zumal er relativ bescheiden lebt. Seine Bedeutung als Produzent lässt sich aus den Namen derer ersehen, für die er gearbeitet hat: , , , , Laurie Anderson, Sister Sledge, Mick Jagger, Prince und viele, viele andere. Und die Zusammenarbeit mit Grace Jones ist dann auch noch zustande gekommen. Nicht schlecht für einen Musiker, dessen erster Job der des Gitarristen in der Showband der Sesamstraße war. Eine Fernsehzeitschrift will ausgerechnet haben, dass seine Gitarre rund drei Milliarden Dollar eingespielt hat, wenn man alle Produktionen zusammenrechnet, an denen Nile Rodgers federführend beteiligt war. Es ist übrigens 7 eine alte Fender Stratocaster von 1960, die er "The Hitmaker" nennt. 2013 hat er sie in einem Zugabteil liegen lassen und Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um sie wiederzubekommen, was dann auch gelang.

Gleich zweimal ist Nile Rodgers in den letzten Jahren an Krebs erkrankt, mit düsterer Prognose. Vielleicht auch darum der Albumtitel „Es wird Zeit“. Von Krankheit sieht und hört man allerdings auf der Bühne wie im Interview nichts, er habe den Krebs besiegt, sagt er. Statt seinen Nachlass zu ordnen, wie von seinem Arzt geraten, hat Rodgers sich mit dem neuen Album daran gemacht, den legendären Chic-Sound für das 21. Jahrhundert frisch zu machen und dazu alle Register moderner Produktionstechnik gezogen, ohne den Ursprung zu übertünchen. Darum bietet „It´s about time“ mehr, als nur die Nostalgie neu zu entfachen. Aber was hat den Mann motiviert, sich all die Arbeit mit 66 Jahren noch anzutun?

(O-Ton Rodgers, 0:56): „Möglicherweise mein sehr knappes Vorbeischrammen am Tod. Als Komponist schreibt man nicht nur für sich, sondern auch für andere. Ich habe sehr viel für mich selbst geschrieben, was die Welt nie zu hören bekommen wird, und es ist mir egal. Man kennt das ja: Prince ist tot, und jetzt wird sein gesamtes Werk veröffentlicht. Ich will das nicht. Es sollen keine Lieder veröffentlicht werden, die ich nur für mich geschrieben habe. Ich schreibe, weil es mir Spaß macht, das müssen andere gar nicht hören, ich habe auch so Freude daran. Aber diese Lieder habe ich geschrieben, weil ich möchte, dass auch andere sie hören. Ich wollte ein Album machen, das mein neues Leben reflektiert, und ein wichtiger Punkt dabei ist, dass ich jetzt Lieder mit anderen Leuten schreibe, so, wie ich es früher mit Bernard gemacht habe.“

Nicht nur Prince, auch David Bowie sollte eine Gastrolle auf dem Album spielen. Bowie starb Januar 2016, Prince im April. Nile Rodgers musste "das Manuskript neu schreiben", wie er sich ausdrückte.

--- Chic, Album It´s about time, Track 8, Queen, 3:55 ---

Das Lied "Queen" aus dem neuen Album von Chic, "It´s about time", gesungen von Elton John.

Genau genommen sind all die Lieder, auch die Welthits, die aus Nile Rodgers Feder stammen, Abfallprodukte. Denn im Grunde seines Herzens ist er Jazzmusiker. Doch als solcher wird man nur selten berühmt und noch viel seltener reich. Reich war er schon, nachdem er 1980 Diana Ross mit dem Album "Diana" zu Weltruhm verhalf. Darauf war auch der Tanzflächenfüller "Upside down". Und berühmt? Rodgers erzählt mit einer Selbstverständlichkeit von Begegnungen mit Barack Obama, Di, Stephen Hawking oder Eddie Murphy, wie andere vom Bier mit dem Nachbarn erzählen. Zweimal wurde er mit einem Ehrendoktortitel ausgezeichnet, neben Dutzenden anderer Würdigungen. Und er selber? Was hält er von seinen Hits?

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(O-Ton Rodgers, PK, 0:24): „Ich rede ohne Ego zu ihnen, denn ich habe kein Ego bezogen auf diese Lieder. Die Musik, auf die ich wirklich stolz bin, werden sie nie zu hören bekommen, die ist viel zu gut für sie (lacht)! Die spiele ich nur für mich selber, weil sie auch zu kompliziert und anspruchsvoll ist für normale Leute, so verrückt das klingen mag."

Es mag vielleicht "nur" Discomusik sein, die Nile Rodgers veröffentlicht. Doch die in den USA früher übliche Unterscheidung zwischen "weißer" und "schwarzer" Musik, die hat er im Alleingang zerschmettert. Zum Schluss ein Lied von 1978, I want your love, mit dem genialen Einsatz von Röhrenglocken, in der Version von 2018 mit Lady Gaga. Und damit verabschiedet sich am Mikrophon Luigi Lauer, die Redaktion hatte Anette Sidhu, haben sie noch eine gute Nacht.

(O-Ton Rodgers, PK, 0:02): „I´m just me (lacht)."

--- Chic, Album "It´s about time", Track 9, I want your love, 4:58 ---

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