Tages-Anzeiger – Donnerstag, 26. April 2012 29 Alpinismus

Extrembergsteigen «Erschüttert von der Schönheit» Kurt Diemberger hat im Juni 1957 mit die Erstbesteigung des geschafft. Nur wenige Tage später musste er an der den Tod des Bergfreundes miterleben.

Mit Kurt Diemberger dauerte 27 Stunden. Dass ich den Ab- sprach Daniela Schwegler in Amden stieg im Nebel durch die kilometerwei- ten Schneefelder und das Spaltenlaby- 1957 brachen Sie mit einer rinth des Kaberigletschers überhaupt Kleinexpedition von vier Alpinisten geschafft habe, grenzt an ein Wunder. mit der Bergsteiger-Legende Hermann Buhl zur Erstbesteigung Auch, dass Sie Buhls Absturz des Broad Peak auf. Was lockte Sie überlebt haben. Eigentlich hätten an diesem 8047 Meter hohen Berg? Sie beim Abstieg ans Seil gehört. Das Unbekannte und der Aufbruch ins Natürlich, wie wir es beim Aufstieg zu- Ungewisse. Ich wollte Neues entdecken. nächst auch waren. Aber bei einer Rast Im Grunde meines Herzens bin ich Aben- auf 7000 Metern meinte Hermann, wir teurer und Entdecker. bräuchten das Seil nicht mehr. Ich dachte mir nichts dabei. Doch es ist klar: Am 9. Juni 1957 erreichten Sie den Mein Leben verdanke ich diesem Fehler. Gipfel. Was war das für ein Gefühl? Am Seil hätte mich Hermanns Sturz Marcus Schmuck und Fritz Wintersteller zweifellos mit hinabgerissen. waren vorausgegangen. Die Gipfelfotos hatten sie gemacht, und sie traten Trotz des schmerzlichen Todes schnell den Abstieg an, als ich den Gip- Ihres Bergvaters brachen Sie zu fel erreichte. Im Abstieg traf ich plötz- neuen Expeditionen auf. lich Hermann Buhl. Er hatte seinen Ent- Wenn man den Bergen einmal verfallen schluss geändert, unterhalb des Gipfels ist, kann man nicht mehr mit dem Berg- zu warten. Mit ihm gelangte ich gegen steigen aufhören. 19 Uhr zum zweiten Mal auf den Gipfel. Die Sonne neigte sich zum Horizont. Der Berg entriss Ihnen neben Buhl Normalerweise geht man zu dieser Zeit noch weitere Bergfreunde. nur noch zurück. Doch wir standen auf Ganz am Anfang meiner Kletterzeit Erich dem letzten leuchtenden Schnee – wie Warta, der am Dent du Géant abgestürzt auf einer Insel über der Dunkelheit. Nur ist. Und später starb , meine noch die Gasherbrum-Gipfel, die Chogo- Bergpartnerin, am . lisa und direkt vor uns der K2 schimmer- ten am Himmel. Wir waren erschüttert Mit ihr hatten Sie das «höchste von der Schönheit der Szenerie und Filmteam der Welt» gegründet. drückten uns die Hände. Erst nach Son- Ja, Julie und ich drehten unter anderem nenuntergang traten wir den Abstieg an. am Everest und am Nanga Parbat. Wir Um Mitternacht waren wir zurück im brachten vom K2 die ersten Fernseh- Hochlager. bilder mit Synchronton auf die TV-Bild- schirme, was uns sehr viel Freude Das alles schafften Sie ohne machte. Doch die Besteigung unseres Hochträger und Sauerstoff. Damit Traumbergs überlebte Julie nicht. Wir haben Sie den Weg geebnet für den hatten 1986 zwar den Gipfel erreicht. Im heute vielerorts üblichen Alpinstil. Abstieg hielt uns ein Sturm tagelang Statt den Berg mit der Hilfe von Einhei- gefangen. Julie und vier Berg gefährten mischen zu besteigen, die Zelte und Ma- starben, möglicherweise an Erschöp- terial für uns hochschleppten, gingen fung. Ich selber überlebte nur knapp – wir ohne Träger, mit dem Minimum an mit erfrorenen Fingergliedern. Gepäck auf unseren Schultern. Hermann Buhls Motto war es, den Berg wie in den Zwei Jahre zuvor waren Sie mit Westalpen anzugehen, ohne fixe Hoch- Julie auf dem Broad Peak gestanden, lager. Das war damals neu. 27 Jahre nach der Erstbesteigung. Als wir oben standen, wirbelten Tau- Gut zwei Wochen nach dem Broad sende feiner Eiskristalle durch die Luft, Peak wollten Sie mit Buhl die die wie in einer Traumwolke schimmer- Chogolisa (7668 m) erstbesteigen – ten. Gleichzeitig schien die Sonne hin- zu zweit, im Westalpenstil mit durch. Es war ein fantastisches Schau- einem einzigen Zelt. In nur drei spiel, wir waren sehr glücklich. Und Tagen waren Sie fast am Gipfel. wussten nicht, dass uns beim Abstieg Ja, 300 Meter unter dem Gipfel drehten eine Lawine in die Tiefe reissen würde. wir um, weil ein Sturm aufzog. Wir folg- Zum Glück nicht in den Tod. ten der Aufstiegsspur, die praktisch zu- geweht war. Bei einer Biegung ging Her- Bei Ihrer Erstbesteigung des mann aus meiner Spur, geradewegs auf Dhaulagiri (8167 m) harrte die den überhängenden Grat zu. Unter sei- schweizerisch-internationale nem Gewicht brach die Wechte. Er Expedition unter Max Eiselin über stürzte in die Nordwand. Meine Rufe in anderthalb Monate aus: auf den Abgrund blieben ohne Antwort. Schneesätteln in Eis, Wetter, Sturm. Und über den Wechtenrand konnte man In der Tat. Der Sturm umtobte den Berg. nicht in die Wand hinunter. Ich wollte Jeden Tag gegen Mittag kam der Wetter- Hilfe holen und ging so schnell ich umschlag. Doch wir hatten Wetterglück. konnte ins Basislager zurück. Aber das Der 13. Mai 1960 war ein Zaubertag, an Kurt Diemberger 1957 auf dem Weg zum Broad Peak, im Hintergrund der K2. Foto: «Unterwegs zwischen Null und Achttausend», AS-Verlag dem die Dämonen des Sturms ruhten. Das war wie ein Geschenk der Götter. Kurt Diemberger Wir packten die Chance zum Gipfel- Begegnung mit alpiner Literatur Der Erstbesteiger sturm. Je höher wir stiegen, desto klarer wurde es: Der Gipfel gehört uns! «Frauen sind gemacht fürs Klettern» Kurt Diemberger (80) ist einer von nur zwei Später haben Sie 18 Jahre lang Am alpinen Literaturtag eh besser klettern würden: «Sie sind ge- Verwehrt blieb Frauen auch lange Zeit Alpinisten, die zwei keinen 8000er mehr bestiegen. macht fürs Klettern.» das Bergführen. Sie seien nicht dienst- Achttausender Es lockten neue Abenteuer: Erstbestei- «Bergfahrt 2012» in Amden Zum Podium über «Frauen am Berg – pflichtig, so die lapidare Begründung. erstbestiegen haben gungen von 6000ern und 7000ern im standen drei Pionierinnen einst und jetzt» begrüsste Fink jene Mit Nicole Niquille erlangte 1986 die (der andere war sein Hindukusch, das Filmabenteuer im Ur- im Zentrum. Schweizer Pionierinnen, die Patricia erste Frau das Diplom. «Frauen mussten 1957 tödlich verun- wald am Orinoco oder der grosse Grat Purtschert im Buch «Früh los. Im Ge- sich das Bergsteigen erkämpfen», sagt fallter Bergfreund des Shartse in Tibet. spräch mit Bergsteigerinnen über sieb- auch die 72-jährige Geologin Silvia Met- Hermann Buhl). In einer Multimediashow zeigte die Al- zig» porträtiert: Silvia Metzeltin, Heidi zeltin. In ihrer Karriere als Bergsteigerin Diemberger wurde Wollen Sie mit Ihren 80 Jahren noch pin-Journalistin Caroline Fink vier Frau- Schelbert und Ruth Steinmann. Dazu erlebte sie, dass die Vorurteile in den am 16. März 1932 in Villach (Ö) geboren, er zu neuen Abenteuern aufbrechen? engenerationen, die alpinistische Ge- kam Christelle Marceau (23), die einzige Köpfen hartnäckig waren; auch in den hat zahlreiche Bücher geschrieben und Filme Natürlich! Mein Grossvater ist 103 Jahre schichte geschrieben haben: von Monica Frau im SAC-Jugend-Expeditionskader. Köpfen der Frauen, die sich oft weniger über seine Expeditionen gedreht. 2006 alt geworden. Ich will noch drei, vier Bü- Jackson, die 1955 eine der ersten Frauen- Die alpinistische Welt habe sich verän- zutrauten am Berg. Ruth Steinmann (74), erhielt er das goldene Ehrenzeichen für seine cher schreiben. Und den einen oder an- expeditionen in den Himalaja führte, dert, so die emeritierte Wirtschaftspro- Feldenkrais-Pädagogin und Expeditions- Verdienste um das Land Österreich. Am deren Fünf- und Sechstausender in Süd- über Arlene Blum, die 1978 mit der Be- fessorin Schelbert, und zwar positiv für leiterin, erzählte derweil, wie ihr Berg- Bergliteraturtag «Bergfahrt» in Amden SG amerika besteigen. In Chile etwa den Tu- steigung der Annapurna eine der ersten beide Geschlechter. Heute werde man als steigerlehrer sie immer wieder an- berichtete er letzte Woche über sein Leben pungato (6550 m). Auch in den Himalaja Frauenexpeditionen auf einen 8000er Frau am Berg ernst genommen. Anders spornte: «Das kannst du! Die Männer ko- inklusive der Erstbesteigungen des möchte ich zurückkehren und ins chine- leitete, zu Lynn Hill, die 1993 als erster als 1960, als ihr Mann Albin mit Kurt chen auch nur mit Wasser.» Für die Broad Peak und des Dhaulagiri. Im Zürcher sische Sinkiang – dort habe ich 1999 im Mensch die Nose im Yosemite Park frei Diemberger erstmals auf dem Dhaulagiri 23-jährige Christelle Marceau sind ihre AS-Verlag erscheint in diesen Tagen sein Schatten des K2 im einsamen Shaksgam- kletterte – zu Nina Caprez, die 2011 als stand. «Ich hätte die Expedition unmög- Erfolge als Alpinistin mittlerweile da- Buch «Unterwegs zwischen Null und Acht- Tal ein Fass mit Ausrüstung und Fisch- erste Frau den Silbergeier (8b+) im Räti- lich begleiten können. Man traute es mir gegen bereits selbstverständlich. tausend. Bilder aus meinem Leben». (TA) konserven unter einer Moräne versteckt. kon schaffte. Caprez findet, dass Frauen als Frau nicht zu», sagte Schelbert. Daniela Schwegler