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Statistisches Monatsheft -Württemberg 1/2008 Land, Kommunen

Deutscher Städte-Vergleich Eine koordinierte Bürgerbefragung zur Lebensqualität in deutschen und europäischen Städten*

Ulrike Schönfeld-Nastoll

Die amtliche Landesstatistik untersucht Sach- nun vor und erste Ergebnisse wurden auf der verhalte und deren Veränderungen – auch für Statistischen Frühjahrstagung in Gera im März Kommunen. Sie untersucht grundsätzlich 2007 dem Fachpublikum vorgestellt. aber nicht die subjektiven Meinungen der Bürgerinnen und Bürger zu den festgestellten Erstmals ist es nun möglich, die Umfrageergeb­ Sachverhalten und den Veränderungen. Das nisse der deutschen Städte miteinander zu ver­ überlässt sie Demoskopen und in zunehmen­ gleichen. Darüber hinaus besteht auch die Mög­ dem Maße der Kommunalstatistik. Gerade die lichkeit, aus der EU-Befragung Ergebnisse der kommunalstatistischen Ämter und Dienst­ anderen europäischen Städte gegenüberzu­ Dipl.-Soziologin Ulrike stellen haben auf diesem Untersuchungsfeld stellen. Schönfeld-Nastoll ist einen eindeutigen Vorsprung gegenüber der Bereichsleiterin für Statistik und Wahlen der Stadt Landesstatistik. Kommunalstatistiker haben . das Ohr näher am Puls der Zeit und des Der EU-Fragenkatalog der Bürgerbefragung Ortes. Insgesamt wurden 23 Fragen zu drei Themen­ Da in demokratisch orientierten Gesellschaften komplexen gestellt. * Ein Projekt der Städtege­ die kollektiven Meinungen der Bürgerinnen meinschaft Urban Audit 1 n und des Verbands Deut­ und Bürger für Entscheider und Parlamente Im ersten Komplex wurde die Zufriedenheit scher Städtestatistiker von großer Bedeutung sein können, haben mit der städtischen Infrastruktur und den (VDST). sich etwa 300 europäische Städte, darunter 40 deutsche, für ein Urban Audit entschieden. Dieses entwickelt sich zu einer europaweiten Datensammlung zur städtischen Lebensquali- S1 „Sie sind zufrieden in ... zu wohnen“ tät. Dazu werden 340 statistische Merkmale aus allen Lebensbereichen auf Gesamtstadt- ebene erhoben. Teilweise wird die Datensamm- stimme sehr zu stimme eher nicht zu weiß nicht/keine Angabe lung durch Angaben für städtische Regionen stimme eher zu stimme überhaupt nicht zu und für Stadtteile ergänzt. Einbezogen werden demografische, wirtschaftliche, soziale, kultu- im relle und umweltspezifische Aspekte. Aufgrund der wachsenden Bedeutung städtebezogener EU-Politik wurde Urban Audit zu einer ständi- Nürnberg gen Aufgabe im Europäischen Statistischen System erhoben. Die Datenerhebung findet alle 3 Jahre statt.2 Köln Die Städtegemeinschaft Urban Audit und der Städte insgesamt 64 30 4 Verband Deutscher Städtestatistiker haben auf­ grund des großen Interesses an vergleichbaren Oberhausen Bürgerumfragen die „Arbeitsgemeinschaft Ko­ ordinierte Umfragen zur Lebensqualität“ ge­ gründet. Ziel der Arbeitsgemeinschaft ist es, eine städteweit koordinierte Bürgerumfrage am Main mit dem Fragenkatalog der EU durchzuführen. Saarbrücken 15 Städte der Arbeitsgemeinschaft beauftragten 0 20 40 60 80 100% Ende November 2006 – parallel zur EU-Befra­ gung – das Markt- und Sozialforschungsinstitut Datenquelle: VDSt/KOSIS-Verbund – Koordinierte Bürgerbefragung zur Lebensqualität in deutschen Städten 2006. IFAK aus Taunusstein mit der Durchführung dieser Telefonumfrage. Deren Ergebnisse liegen Statistisches Landesamt Baden-Württemberg 969 07

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kommunalen Dienstleistungen abgefragt. „In den nächsten 5 Jahren wird es angenehmer sein Hierzu zählen zentrale Bereiche wie Verkehr, S2 in ... zu leben“ Schule, Gesundheitswesen oder auch der Frei­ zeitbereich mit Grünflächenangebot, Sport­ möglichkeiten, kulturellen Einrichtungen und stimme sehr zu stimme eher nicht zu weiß nicht/keine Angabe Internetangeboten. stimme eher zu stimme überhaupt nicht zu

Dresden n Im zweiten Komplex steht die persönliche Braunschweig Einschätzung der Befragten bezüglich des Ar­ Koblenz beitsmarktangebotes, der Wohnungsversorgung und der Umweltproblematik im Vordergrund. Oberhausen Es folgen wichtige Fragen zur Integration von Ausländern, zur bürgernahen Verwaltung und Städte insgesamt 10 38 29 7 16 dem verantwortungsvollen Umgang mit öffent­ Stuttgart lichen Mitteln. Abschließend wird nach der Zu­ Wiesbaden friedenheit in der entsprechenden Stadt und Saarbrücken den Zukunftsaussichten gefragt. Nürnberg Heidelberg n Im dritten Frageteil stehen Fragen zur eige­ Frankfurt am Main nen finanziellen Situation und zum Sicherheits­ Konstanz empfinden im Mittelpunkt der persönlichen Bewertung. Köln Bremen Eine gemeinsame Auswertung mit den Ge­ Darmstadt samtergebnissen beteiligten Städte der 0 20 40 60 80 100% „Arbeitsgemeinschaft Koordinierte Bürger­ umfrage zur Lebensqualität“ wird zurzeit vor­ Datenquelle: VDSt/KOSIS-Verbund – Koordinierte Bürgerbefragung zur Lebensqualität in deutschen Städten 2006. bereitet. Im Folgenden sollen auszugsweise aus jedem Themenkomplex ein oder zwei Bei­ Statistisches Landesamt Baden-Württemberg 970 07 spiele vorgestellt werden.

S3 „Luftverschmutzung ist ein großes Problem in ... “ Mit der Gegenwart zufrieden – gegenüber der Zukunft eher skeptisch

Insgesamt wurden in den 15 Städten die Mei­ stimme sehr zu stimme eher nicht zu weiß nicht/keine Angabe nungen von 10 700 Bürgern erfragt. Schaubild 1 stimme eher zu stimme überhaupt nicht zu zeigt einen Überblick aller beteiligten Städte Stuttgart über die Zufriedenheit der Befragten in der je­ Darmstadt weiligen Stadt zu wohnen. Hier zeigen sich kaum Frankfurt am Main Unterschiede in der Bewertung – durchschnitt­ lich 9 von 10 Befragten leben gern in Ihrer Stadt. Köln Die höchste Zufriedenheit verspüren die Bürger Städte insgesamt 20 28 36 12 4 von Freiburg im Breisgau und Konstanz – aller­ Nürnberg dings nur mit einem sehr geringen Vorsprung. Wiesbaden Oberhausen Bei der Frage allerdings, was die Bürger in den Saarbrücken nächsten 5 Jahren erwarten, ergeben sich deut­ Braunschweig liche Unterschiede für die zukünftige Einschät­ Bremen zung: Ein Drittel der Bewohner geht davon aus, Konstanz dass es keine positiven Veränderungen geben Heidelberg wird. Knapp die Hälfte glauben eher, dass es Dresden angenehmer werden wird und fast 16 % wagen Koblenz keine Prognose für die nächsten 5 Jahre. Bei den Großstädten über 450 000 Einwohnern Freiburg im Breisgau beurteilen die Dresdener die zukünftige Entwick­ 0 20 40 60 80 100% lung ihrer Stadt deutlich positiver als die an­ deren Großstädte. Bei den Städten zwischen Datenquelle: VDSt/KOSIS-Verbund – Koordinierte Bürgerbefragung zur Lebensqualität in deutschen Städten 2006. 150 000 und 450 000 Einwohnern sind die Er­ wartungen der Braunschweiger deutlicher op­ Statistisches Landesamt Baden-Württemberg 971 07 timistischer was die Entwicklung ihrer Stadt

46 Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 1/2008 Land, Kommunen anbelangt. In der Größenklasse der Städte unter 150 000 Einwohner sehen die Befragten S4 „Es ist leicht in ... eine Arbeitsstelle zu finden“ aus Koblenz mehrheitlich positive Anzeichen für die Entwicklung ihrer Stadt (Schaubild 2).

stimme sehr zu stimmer eher nicht zu weiß nicht/keine Angabe stimme eher zu stimmen überhaupt nicht zu Für 3 von 4 Stuttgartern ist die Luftverschmutzung ein Problem Stuttgart

Frankfurt am Main Zu den eher als kritisch beurteilten Lebensbe­ Darmstadt dingungen gehört die Beurteilung der Luftver­ Wiesbaden schmutzung in der Stadt. Knapp die Hälfte aller Heidelberg Befragten stimmen zu, dass Luftverschmutzung Koblenz ein großes Problem in der Stadt ist. Dieses Er­ gebnis verwundert nicht, verfolgt man die Dis­ Städte insgesamt 4 20 40 18 18 kussionen in den Städten über Maßnahmen Köln Freiburg im Breisgau zur Verringerung der CO2 -Emissionen. Als be­ sonders stark von diesem Problem betroffen Braunschweig fühlen sich die Bewohner in Köln, Frankfurt Nürnberg am Main und insbesondere in Stuttgart. In der Dresden Schwabenmetropole sind 3 von 4 Einwohnern Oberhausen mit der Luftsituation unzufrieden (Schaubild 3). Konstanz Am günstigsten sehen es die Bremer, Koblenzer Saarbrücken und die Bürger der baden-württembergischen Bremen Universitätsstädte Heidelberg, Konstanz und Freiburg im Breisgau, dort stellt der Schmutz 0 20 40 60 80 100% in der Luft „nur“ für ein gutes Drittel eine Be­ Datenquelle: VDSt/KOSIS-Verbund – Koordinierte Bürgerbefragung zur Lebensqualität in deutschen einträchtigung dar. Letzteres überrascht, da Städten 2006. gerade in Universitätsstädten das ökologisch Statistisches Landesamt Baden-Württemberg 972 07 geprägte Klientel stark präsent sein soll.

In Stuttgart findet man leichter einen S5 „Sie fühlen sich sicher in ... “ Arbeitsplatz als in Konstanz

Als ein Indikator für die Beurteilung des Arbeits­ immer selten weiß nicht/ marktes kann die Frage, ob es leicht ist in der keine Angabe manchmal nie jeweiligen Stadt eine Arbeitsstelle zu finden, herangezogen werden. Dieser Lebensbereich Konstanz gehört insgesamt zu den als sehr kritisch ein­ Freiburg im Breisgau geschätzten Bereichen, denn nur ein knappes Nürnberg Viertel aller Befragten stimmt dieser Aussage Dresden zu. Zu einer anderen subjektiven Einschätzung Stuttgart der Arbeitsmarktsituation kommen die Bürger Heidelberg der beiden Großstädte Frankfurt am Main und Stuttgart. Hier gehen knapp die Hälfte der Be­ Koblenz fragten davon aus, dass es leicht ist in diesen Braunschweig Städten einen Arbeitsplatz zu finden. Wie das Darmstadt Schaubild 4 unschwer erkennen lässt, sind die Städte insgesamt 62 29 6 2 Probleme am Arbeitsmarkt weniger ein Problem Oberhausen der Größe der Städte als vielmehr Folge der Saarbrücken besonderen Wirtschaftstruktur, die man in der Bremen jeweiligen Stadt vorfindet. Ein Beispiel für eine Wiesbaden sehr vom Strukturwandel betroffene Stadt ist Frankfurt am Main Oberhausen. Mit dem Niedergang der Montan­ industrie hat die Stadt insgesamt 45 000 Arbeits­ Köln plätze verloren. Ein Phänomen ist Konstanz, 0 20 40 60 80 100% obwohl dort die Bürger am liebsten leben und wohl auch bleiben wollen, finden es 4 von 10 Datenquelle: VDSt/KOSIS-Verbund – Koordinierte Bürgerbefragung zur Lebensqualität in deutschen Städten 2006. Konstanzern schwer, dort einen Arbeitsplatz zu bekommen. Statistisches Landesamt Baden-Württemberg 973 07

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1 Im Folgenden wird für alle In Konstanz und Freiburg im Breisgau fühlt aber eines dürfte in jedem Fall stimmen, wer Gesamtheiten die mas­ kuline Form verwendet. man sich eher sicher, in Frankfurt und Köln sich sicherer fühlt, der ist mit seinem Umfeld eher unsicher auch zufriedener. 2 Diese Datenerhebung wird seit 2004 um eine Bürger­ befragung in ausgewähl­ Etwa 2 von 3 Bürgern fühlen sich in den 15 ge­ Der kurze Einblick in die Befragungsergebnisse ten Städten, darunter 7 deutsche (München, Ber­ nannten Städten immer oder meistens sicher. macht schon deutlich, dass subjektives Emp­ lin, , , Dort­ Am sichersten fühlen sich die Konstanzer und finden und objektive Sachverhalte nicht über­ mund, Frankfurt (Oder), ), ergänzt. Dadurch Freiburger (Schaubild 5). Auch das könnte einer einstimmen müssen. So ist zum Beispiel die wird es möglich die quan­ der Gründe sein, warum sie in ihrer Stadt so Arbeitslosenquote in Frankfurt am Main höher titativen Daten den sub­ jektiven Angaben der Bür­ gerne leben. Weniger günstig wird die Situa­ als in Freiburg im Breisgau, gleichwohl meint gerinnen und Bürger tion im Rhein-Maingebiet und vor allem in Köln nur jeder zehnte Frankfurter, dass es in seiner gegenüberzustellen. Auf­ grund begrenzter finan­ eingeschätzt. Ob die „gefühlte“ Sicherheit mit Stadt sehr schwer ist einen Arbeitsplatz zu fin­ zieller Mittel sind nicht der „tatsächlichen“ korrespondiert, lässt sich den und in Freiburg im Breisgau dagegen jeder alle Urban Audit Städte in die Befragung einbezogen. aus der Befragung selbst nicht beantworten, Fünfte.

kurz notiert ...

Gerhard-Fürst-Preis 2008 des Statistischen Institutionen. Eine vorherige (Teil-)Veröffent- Bundesamtes lichung der Arbeit schließt eine Preisvergabe nicht aus. Das Statistische Bundesamt zeichnet jährlich herausragende wissenschaftliche Arbeiten mit Einzureichen sind neben der vorgeschlagenen dem Gerhard-Fürst-Preis – dem Wissenschafts­ Arbeit unter anderem eine kurze Begründung preis des Statistischen Bundesamtes – aus, die der/des vorschlagenden Wissenschaftlerin/ entweder ein theoretisches Thema mit einem Wissenschaftlers zur Preiswürdigkeit, Kopien engen Bezug zum Aufgabenspektrum der amt­ der Erst- und ggf. Zweitgutachten, mit denen lichen Statistik behandeln oder eine empirische die Arbeit abschließend bewertet wurde, eine Fragestellung unter intensiver Nutzung von Kurzfassung der Arbeit, ein Lebenslauf der Au­ Daten der amtlichen Statistik untersuchen. torin oder des Autors und bei Diplom-, Magis­ ter-, Master- und Bachelorarbeiten eine schrift­ Mit der jährlichen Auslobung dieser wissen­ liche Erklärung über die Bearbeitungsdauer schaftlichen Auszeichnung ist das Statistische der eingereichten Arbeit. Bundesamt bestrebt, die Arbeit der amtlichen Statistik noch stärker als bisher mit den Hoch­ Die vorgeschlagene Arbeit ist dreifach und die schulen sowie der Wissenschaft zu verbinden. übrigen Unterlagen sind in neunfacher Ausfer­ Zugleich soll der Preis junge Wissenschaftle­ tigung einzureichen. Darüber hinaus sind Arbeit rinnen und Wissenschaftler ermutigen, das und Kurzfassung zusätzlich als MS-Word oder vielfältige Datenangebot der amtlichen Sta- PDF-Datei auf einer CD-ROM zur Verfügung zu tistik für ihre empirischen Forschungen aus­ stellen. Alle Unterlagen sind an folgende Adresse giebig zu nutzen. Die Auszeichnung ist in der zu senden: Kategorie „Dissertationen“ mit 5 000 Euro, in der Kategorie „Diplom- und Magisterarbeiten“ Statistisches Bundesamt mit 2 500 Euro dotiert. Institut für Forschung und Entwicklung in der Bundesstatistik Vorschläge für den Gerhard-Fürst-Preis 2008 Gustav-Stresemann-Ring 11 können ausschließlich von den die Arbeiten 65189 Wiesbaden betreuenden Wissenschaftlerinnen und Wis­ senschaftlern eingereicht werden. Im Auswahl­ Die Einreichungsfrist endet am 31. März 2008 verfahren werden deutsch- oder englischspra­ (Datum des Poststempels). chige Arbeiten berücksichtigt, die zwischen Weitere Informationen zum Gerhard-Fürst- dem 01. Januar 2006 und dem 31. März 2008 Preis können beim Statistischen Bundesamt mindestens mit der Note „gut“ resp. „magna erfragt werden unter cum laude“ abschließend bewertet worden sind. Sie dürfen nicht bereits anderweitig aus­ Telefon: +49 (0) 611 / 75 26 03 gezeichnet worden sein, ausgenommen sind [email protected] Prämierungen innerhalb der einreichenden www.destatis.de

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