DEUTSCHLANDFUNK

Hintergrund Kultur / Hörspiel

Redaktion: Ulrike Bajohr

Dossier

Der Hacker Wau Holland oder Der Kampf ums Netz

Von Walter van Rossum

Regie: Walter van Rossum

Ton und Technik: Hendrik Manook/ Kiwi Hornung

Redaktion: Ulrike Bajohr

Sprecherin (Haussprn.) An- und Absage

Hausspr. Zitator 2

Zitator 1: Wau Holland: Martin Bross

Erstsendung

Urheberrechtlicher Hinweis

Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschütztund darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig.

©

- unkorrigiertes Exemplar – 2

Sendung: Freitag, d. 01. Februar 2013, 19.15 - 20.00 Uhr 3

unterstrichen: zusätzliche Sprecherparts :

O-Ton: 02/03 Sollen sich ... alle schämen, die gedankenlos sich der Wunder der Wissenschaft und Technik bedienen und nicht mehr davon geistig erfasst haben als die Kuh von der Botanik der Pflanzen, die sie mit Wohlbehagen frisst.

Autor: Albert Einstein, 1930

Musik

O-Ton: 01 (WH, SR, 19.10) 19.10 Die Informationsgesellschaft ist ihrem Wesen nach eine Gesellschaft in Richtung auf Freiheit. Durch die technischen Möglichkeiten lassen sich die herkömmlichen Zensur- und Unterdrückungsmaßnahmen nicht mehr realisieren . Musik: O-Ton: 4 (WH, Forts.) Heinrich Heine wurde einmal an der Grenze nach verbotenen Büchern gefragt, und er hat gesagt: Mein Kopf ist ein zwitscherndes Vogelnest voller verbotener Bücher. Früher war es nur der Kopf, heute haben wir die Datentechnik und ein Tausendfaches an Möglichkeiten, und man kann es im Guten nutzen oder man kann es im Schlechten nutzen. Musik: Ansage: Der Hacker Wau Holland oder Der Kampf ums Netz. Feature von Walter van Rossum. Musik: O-Ton: 5 (WH, SDK; 0.30') Mein Name ist Wau Holland. Autor: In Wirklichkeit: Herwart Holland-Moritz. O-Ton: 26 (WH. Gesp. I.) Bei den Pfadfindern hatte ich den Spitznamen Maulwurf. Und als ich angefangen habe zu programmieren, so 4

um 1977, habe ich ein Kürzel gesucht, um meine Programme zu kennzeichnen. Und dann habe ich Maulwurf abgekürzt und Mau ist mau, also Wau. Autor: Geboren 1951 in . O-Ton: 6 (WH, SR; 2.15) Es war vor 1980, dass ich bei Joseph Beuys in der Kunstakademie war, und da haben wir den ersten Computer installiert. Das war relativ umstritten innerhalb der Grünen in NRW damals. Die wollten so eine Maschine nicht haben. Die hatten davor einfach Angst. O-Ton: 7 (C. Stöcker, 15.20) In den USA sind die Hippies vernetzt mit universitärer und mit Hackerkultur, in Deutschland 70er-Jahre: Computer ist gleich Rasterfahndung. O-Ton: 8 (WH, Forts.) Diese deutsche Angst, ich glaube, das ist in Deutschland viel heftiger gewesen als anderswo, die hat sehr viel geprägt. Und das Rangehen als Computerfreak, als Hacker, dass man mit diesen Computern auch schöne Dinge machen kann und dass sie neue Freiheiten ermöglichen, das war sehr schwierig rüberzubringen.

Zit 1. Damit wir als Computerfreaks nicht länger unkoordiniert vor uns hinwuseln, tun wir wat und treffen uns am 12. September 1981 in Berlin Wattstraße (TAZ Hauptgebäude) ab 11:00 Uhr.

Autor: So hieß es in einer Anzeige in der TAZ – unterschrieben von Tom Twiddlebit und Wau Wolf.

O-Ton: 9 (WH, SR; 3.20) 1981 war in Berlin, in den Räumen der TAZ, die Gründung des CCC. Und für uns waren diese Maschinen wunderbare Maschinen, mit denen man auch neue Freiheiten 5

machen kann, neue Kommunikation, und vor allem der Computer war für uns ein neues Medium. Das war die Qualität. Und wir hatten damals noch Angst, dass Computer verboten werden könnten, weil die eine hochinteressante subversive Kraft haben. Autor: Bald nach der Gründung verlegte der sein Zentrum nach Hamburg:

O-Ton: 10 Mein Name ist Andy Müller-Maguhn. Ich habe Wau Holland ungefähr 1984 kennen gelernt, als ich selbst mit 13/14 zum Chaos Computer Club gestoßen bin, wo ich 20 Jahre lang als Sprecher und Vorstandsmitglied Dinge getan habe.

Musik:

O-Ton: 11 Der CCC war in der Schwenkestraße in einer Souterrainwohnung, so 80 m² auf der linken Seite, Wau wohnte auf der rechten Seite, dazwischen das Treppenhaus. Das heißt, Wau war schon relativ viel da. Im Wesentlichen hat er da ja auch gelebt.

O-Ton: 12 (Wernéry, 17.35) Das war im "Schwarzmarkt" Hamburg, im Herbst `83, die ersten Treffen des CCC.

Autor : Steffen Wernéry, Mitbegründer des Chaos Computer Clubs.

O-Ton 12: (Forts.) Ja, ich kam dahin, um Kennwörter zu tauschen, und stellte fest, dass ich der einzige war, der online war und dachte, das musst du irgendwie ändern. Dann bin ich mit Wau 6

zusammen essen gegangen zum Griechen und der erzählte dann so von seiner politischen Richtung.

O-Ton: 13 (WH, SR, 4.20) Also nicht der maschinenlesbare Personalausweis, sondern als Gegenstück dazu:

Zit.1. sondern als Gegenstück dazu: ... die maschinenlesbare Regierung.

O-Ton: (Forts.) Wir haben uns so etwas vorgestellt wie den freedom of Information act in den USA, ein Akteneinsichtsrecht, dass man als Bürger auch erfahren kann, was los ist. O-Ton: 14 (Wernéry, Forts.) Ja, Computer in der Hand des Volkes, damit nicht nur der Staat seine Bürger protokolliert. (...) Und ich dachte, wir haben eigentlich den gleichen Traum, wir haben uns auf Anhieb wunderbar verstanden. Ja, so fing das an.

O-Ton: 15 (DW; 1.45I; CC Kongress 1985) Fangen wir mal an bei den hardwaremäßigen Bedingungen, die man so braucht, um die Datenfileübertragung hinzubekommen. Man sollte eben einen Computer haben, wie diesen hier, und einen Kopfhörer und zwischen diesen beiden Geräten sollte man noch eine sinnvolle Verbindung herstellen, am besten mit einem seriellen Kabel.

O-Ton: 16 (Christian Stöcker; 1.10) Die ersten Heimcomputer kamen gerade auf, aber die hatten noch lange nicht den Sprung in den Mainstream geschafft.

Autor: Christian Stöcker, On-line Journalist

7

O-Ton: (Forts.) Das waren im Prinzip bessere programmierbare Taschenrechner, da lief auch Software drauf.

O-Ton: 17 (AMM, Forts.) Es gab Gestalten aus dem Dunstkreis reicher Hamburger Familien. Es gab Studenten und Schüler wie mich, für die das überhaupt erst einmal ein Zugang zu diesen Maschinen war, die wir uns selbst nicht leisten konnten.

O-Ton: 18 (WH, SR; 12.40) Die Bandbreite, die Möglichkeit, Informationsmengen zu übertragen, die haben wir uns damals nicht vorstellen können.

O-Ton: 19 (AMM, Forts.) Es gab einen Haufen unterschiedlicher Leute: vom Angestellten bis zum Inhaber von kleinen Computergeschäften, die sich eben um dieses Thema Computer, Datennetze gesellt hatten. Wau war ganz sicher einer der Katalysatoren, der also, was den Club sozusagen als Empfindung ausgemacht hat, so eine Art Wissensdurchlauferhitzer, der da eben Dinge zusammenkamen ...

O-Ton: 20/21 (WH, SR; 12.50) Wenn ich das mal so vergleiche: die ersten Modems, die hatten 300 Bit/s - das ist vielleicht zwei bis dreimal so schnell wie man spricht, wenn man die Sprache als Buchstaben überträgt.

O-Ton: 22 (Stöcker, 1.30) Und man konnte damit auch, wenn man das richtige Gerät hatte, unter Umständen so etwas wie eine Proto- Website betreiben. Man konnte mit einem Modem seinen Computer an ein Telefon anschließen, und dann konnte ein 8

anderer Computer über eine Telefonleitung sich einwählen und Dinge ansehen, die auf dem Computer gespeichert waren. Das ist so die Urform des vernetzten Rechners, die war damals auch total neu.

Autor: Heute, erklärte Wau Holland 1996,

O-Ton: 20/ 21 (WH, Forts.) Heute hat man auf einer Telefonleitung das 500-1000 fachen ... . Die Entwicklung ... die haben wir nicht für möglich gehalten.

O-Ton: 23 (AMM, 13.55) Also die Hamburger Runde, da hatten wir einmal in der Woche ein internes Treffen, das war der Dienstag. Da kamen so zwischen 20 und 40 Leute zusammen. Die Zeitschrift hatte damals so 300-400 Abonnenten. Die ersten Kongresse, die der CCC immer zwischen Weihnachten und Neujahr macht, hatten damals 400-500 Teilnehmer vielleicht.

O-Ton: 24 (WH, Gespr. II, 4.40) Die Kurzfassung für mich von Chaos Computer Club ist: vom Spieltrieb zur Wissbegier.

Zit 1: ... .vom Spieltrieb zur Wissbegier.

O-Ton: 25 (AMM; 15.50) Das Datenklo war eigentlich ein Billigakustikkoppler, ein selbstgebautes Ding, das den Computer mit dem Telefonnetz verbinden sollte. Und das Ding hieß Datenklo, weil die Muffen, mit denen man den Telefonhörer mit dem Gerät verbunden hat, das waren so Anschlussstücke, mit denen man normalerweise ein Spülbecken an eine Wasserleitung anschließt. Und es waren Zwei- Mark- 9

Artikel aus dem Baumarkt, die man überall bekam, paste aber wunderbar auf jeden Telefonhörer und ermöglicht so diese Kopplung.

O-Ton: 27 (AMM, 12.10) Wir haben natürlich sehr kontrovers diskutiert, das bleibt ja nicht aus bei einer so merkwürdigen Ansammlung von Menschen,

O-Ton: 28 (WH; Gespr.I; 3.50) Bei den Pfadfindern war das der Stricknadelcomputer. Es gibt Lochkarten, die nicht in der Mitte Löcher haben, sondern am Rand. Und alle Karteikarten hintereinander schiebt man durch ein Loch, eine Stricknadel. ( ... ) Das war der erste Kontakt mit Datenverarbeitung und den kriegte ich damals bei den Pfadfindern.

O-Ton: 29 (AMM, 12.20) Manchmal haben Leute gedacht, um Himmels willen, die schlagen sich hier gleich die Köpfe ein. Auf der anderen Seite hat Wau es immer geschafft, konsturktiv zu bleiben, dem ganzen einen konstruktiven Ton zu geben, und die Leute zu akzeptieren, egal aus welchen Beweggründen und es welchen Kulturkreisen sie kamen. Und das hat viel verbunden, glaube ich, dass da immer Respekt mitgeschwungen hat.

Zit 1.: Wir schrieben Computer damals noch mit K.

O-Ton: 31/32 (A. Müller-M. 5.20) Im Jahre 1984 war der Stand der technischen Diskussion geprägt von – ich würde sagen – drei Dingen: 1. Es gab schon Home Computer.

10

31a Geräusch: (Spiele C 64)

O-Ton: 31/ 32 (AMM, Forts.) So wie den C 64 vorwiegend als Spielemaschine bekannt und verbreitet. 2. es gab schon das -System der Telekom. Ganz brandneu. Also der Versuch, ein System einzuführen, das immerhin den Bürgern Zugang zu Informationsseiten von sogenannten Anbietern vermitteln sollte – bezahlender Natur. ( ... ) Und was drittens uns das Jahr 1984 gebracht hat, war sicherlich die Volkszählungsdiskussion ...

O-Ton: 33 (Volkszählungsdebatte )

O-Ton: 34 (AMM, Forts.) ... wo der Computer als Machtverstärker, als Sinnbild des autoritativen Staates und der Unterdrückung der Massen – etwas übertrieben – da stand.

Autor: Im Jahre 1984 war der CCC schon nicht mehr ganz unbekannt. Wau Holland und Steffen Wernéry waren sogar Gast bei der DAFTA, der Datenschutzfachtagung in Bonn – und versetzten sofort ihr Schlips-und Kragen- Publikum in helle Aufregung :

O-Ton: 35 (WH; SR; 8.55) Wir haben festgestellt, wir können jemanden eine Elektropost schicken, und nachdem er sie in seinem Bildschirmtext-Briefkasten hat, können wir sie ändern. Und das darf nicht sein. Und das ist in der Öffentlichkeit zu gut wie nicht rüber gekommen. Das war für die Medien zu kompliziert. 11

Autor: Und damit näherten sich die beiden Chaos-Computer- Hacker einem Thema (an), das ihnen aus verschiedenen Gründen ein Dorn im Auge war :

Zit 1.: BTX.

O-Ton: 36 (AMM; 5,30') Das Bildschirmtextsystem. Ganz brandneu. Also der Versuch, ein System einzuführen, das immerhin den Bürgern Zugang zu Informationsseiten von sogenannten Anbietern vermitteln sollte – bezahlender Natur. Wobei die Rolle des Bürgers in diesem System schon durch die technische Bandbreite definiert war. Es gab 1200 Bit/s vom System zum Bürger. Und es gab 75 Bit/s zurück. Das heißt der Bürger war eigentlich reduziert auf eine Auswahlfunktion ... .

O-Ton: 37 (Stöcker, 11.50) Mit drei Köpfen drauf: Ja, Nein und Kaufen.

O-Ton: 38 (WH, SR; 7.10) Es war auf Deutschland beschränkt. Das war der Nachteil. Da wird dann in England Datex gemacht, in Frankreich mit Minitel und in Deutschland Bildschirmtext. Und alles endet an der Landesgrenze. Das konnte es nicht sein. O-Ton: 39 (CS, 11.40) ... weil BTX für alles stand, was Wau Holland und seine Mitstreiter für die falsche Idee von Vernetzung fanden.

1. Zit.: (WH) Wir hatten die Zugangskennung zum FTZ, zum Fernmeldetechnischen Zentralamt in Darmstadt, herausgekriegt. Dieses Amt war für die Sicherheit im Bildschirmtext zuständig. Und wir überlegten dann eines Morgens, was das FTZ wohl als Passwort verwendet? 12

Steffen sagte: 'Ach, nehmen wir einfach mal die Telefonnummer vom FTZ.' Das war der erste Versuch, und das war ein Treffer. ( ... ) Das ist so typisch, aber andererseits so unglaublich!

Autor: Und so kam Holland und Wernéry die Idee, dann doch gleich das Ganze BTX-System mal gründlich zu blamieren.

O-Ton: 40 (WH; SR; 8.10) Es war als großes deutsches System angelegt und von daher war unser Anliegen, wenn das so angelegt ist, dann müssen wir dabei sein, gucken was das ist, und gucken- was-das-ist, heißt dann an der Stelle ganz klar, nicht Teilnehmer zu sein, wie das die Datenschutzbeauftragten waren, sondern Informationsanbieter, weil nur als Anbieter erfährt man, was wirklich los ist. Dass man Nutzerprofile machen kann, welche Seiten werden wann abgerufen, dass man mitkriegt, was wen interessiert, das kriegt man als Teilnehmer nicht mit.

1. Zit.: (WH) Und da kam uns der Gedanke: Wenn diese Sicherheitsfuzzis so trottelig sind, eine Telefonnummer als Zugangskennung zu verwenden, dann könnte man auch einfach sagen: Buchen wir doch mal paar tausend Mark - also das, was wir bisher so an Gebühren für Bildschirmtext bezahlt haben - auf das Spendenkonto des CCC. Ich hatte vorher noch mit dem 13

Landesbeauftragten für Datenschutz beziehungsweise mit seinem Vertreter telefoniert und gemeint, wir hätten da ein größeres öffentlichkeitsrelevantes Problem bei Bildschirmtext und wollten das am Montag den Medien vorstellen.

40 Geräusch: Tastatur

Autor: Es war ein Freitag im November 1984.

1. Zit.: (WH) Dann haben wir uns abends als dieses Kreditinstitut in Btx eingeloggt und dieses Progrämmchen auf meinem kleinen Taschenrechner gestartet. Der hatte eine Schnittstelle für den Kassettenrecorder, im Grunde ein Datenrecorder zum Aufzeichnen von Daten. Mit dem BASIC-Befehl 'Motor On, Motor Off' konnten wir einen Kontakt schließen. Den Kontakt haben wir an der Raute- Taste der Tastatur von Bildschirmtext angeschlossen, denn die Raute-Taste muss man immer zwei Mal drücken, um einen Bezahlvorgang auszulösen.

Autor: Holland und Wernèry hatten so kalkuliert: Ein durchschnittlicher Bankraub bringt etwa 10000 Mark. Damit die Sache mit Bildschirmtext wirklich in der Öffentlichkeit Aufsehen erregt, muss die erbeutete 14

Summe mindestens 10mal höher sein. Und sie erregten Aufsehen.

O-Ton 43a ... Heute-Jingle

O-Ton: 43b Guten Abend, liebe Zuschauer, der Postminister wird es nicht gerne hören, aber das BTX System ist nicht einbruchssicher. Sie wissen, mit BTX kann man vom eigenen Wohnzimmer aus Bankgeschäfte tätigen, Überweisungen veranlassen. Das setzt natürlich voraus, dass kein Fremder Zugang zum eigenen Konto hat. Einem Hamburger Computer Club ist es gelungen, über BTX an das Schlüsselwort einer Hamburger Bank heranzukommen ... . ein Demonstrationsversuch.

O-Ton: 41 (Heute-J.; 1. 35) Wernéry: Wir haben einfach in den Decoder- Informationen den von der Post zur Verfügung gestellten Speicherraum voll ausgenutzt, bis auf das letzte Zeichen, und da traten sehr merkwürdige Effekte auf. ... . O-Ton : 42 (heute-j, Forts.) Reporter: Mit der Kundenkennung der Sparkasse riefen die BTX-Knacker dann einfach ihr eigenes Angebot auf. Das zeigt sinnigerweise einen Trickfilm, in dem das Chaosmobil Nuki kleine gelbe Posthörnchen abschließt. Der Spaß kostet bei jedem Ansehen 9,90 DM, und ein paar Stunden lang abgerufen summierte sich das zu 135.000 DM.

Autor: Dieser Demonstration konnte selbst der Direktor der Hamburger Sparkasse seine Anerkennung nicht verweigern:

15

O-Ton: 44 (Heute ; 4,10) [Sparkassendirektor:] So was hatten wir nicht für möglich gehalten. Ich muss sagen, alle Achtung vor der Tüchtigkeit dieser Leute. Man muss sagen, es ist bedauerlich, dass erst durch den Beweis, den diese Leute die Post davon überzeugt werden konnte, dass ihre BTX Software noch nicht allen Anforderungen gerecht geworden ist. (O-Ton nicht vollständig!)

Autor: Der BTX-Hack hatte Folgen. So wurde der Chaos Computer Club fortan als Vereinigung ernst genommen. Und diese Geschichte prägte das Bild einer neuen Figur im Gesellschaftsgefüge - dem Hacker: einer Art Freibeuter der digitalen Meere, der mal als Robin Hood auftreten konnte, mal als beratender Experte - fast immer jedoch umgab ihn die Aura des leicht duchgeknallten Überzeugungstäters. Nerd eben.

O-Ton: 45 (Film war games)

O-Ton: 46 (CS, 4.30) Es gab relativ schnell auch einen Hackermythos, der 1983 zementiert wurde durch den Film "war games", in dem Mathew Roderick als Junge mit seinem Computer versehentlich in den Steuerungsrechner der amerikanischen Luftverteidigung eindringt und beinahe den Dritten Weltkrieg auslöst. Den natürlich auch wiederum verhindert mithilfe seiner Hackertricks.

Autor: Christian Stöcker, Journalist und Autor des Buches "Nerd-Attacke".

16

O-Ton: 47 (Film war games )

O-Ton: 48 (WH, SDK; 2.55) Das ist so eine Art Mindestqualifikation ... .wenn man Hacker sein will – mit offenen Augen durch die Welt zu gehen. Und die Dinge, die da sind, sich selbst anzueignen. ( ... ) Das bedeutet eine Menge Arbeit, lesen, nachdenken und Fehler machen.

O-Ton: 49 (C. Stöcker 8,30') Die meisten Hacker, mit denen er damals zu tun hatten, die waren doch eher Praktiker, die hatten sozusagen Spaß an sich selbst. (.. ) Da geht es einfach ... um das Lösen von Problemen und das Durchdringen von Fragestellungen. Aber er hatte immer den theoretischen Gedanken im Hinterkopf, die politische Konzeption dabei.

1. Zit.: Social Hacking ... ..Konventionen auf kreative Weise verändern ... probieren, was geht ...

O-Ton: 50 (Kulla, 8.00) In seinem Verständnis von social hacking, also die Freude daran, Konventionen zu umgehen, dass man Dinge anders macht, anders benutzt, also die kreative Zweckentfremdung.

O-Ton: 51 (Wernéry, F, 55.30) Ich wurde vom Verfassungsschutz gefragt, ob man hacken lernen kann. Und ich habe geantwortet: Nein, das ist eine Lebenseinstellung.

Autor: Steffen Wernéry,

17

O-Ton: 52 (Wernéry; F; 50.40) Die Philosophie no hacks for money von Wau eindeutig vorgegeben war ein guter Ansatz - und auch immer klar abzutrennen: wo sind wir die Forscher, die Entdecker, die gesellschaftspolitisch Verantwortlichen? - bei hacks for money jedenfalls nicht.

Zit 1 : Wir werden oft aufgefordert, öffentlich Hacks vorzuführen. So etwas machen wir grundsätzlich nicht. Musik:

O-Ton: 54 Mein Name ist Daniel Kulla. Ich mache Musik, ich blogge, ich halte Vorträge, ich schreibe Bücher und ich habe das bisher, glaube ich, einzige Buch über Wau Holland geschrieben.

Autor: Der Phrasenprüfer. Szenen aus dem Leben von Wau Holland

O-Ton: 55 (Kulla, 21.00) Er ist von zwei verschiedene Sachen sehr stark beeinflusst worden: also einerseits von dieser linksradikalen, kommunistischen Geschichte in den siebziger Jahren in . Dann aber auch von diesem linksalternativen Ansatz. Aber er gehörte eigentlich in diese beiden Welten nicht so richtig rein als jemand, der sich gerne mit Computern beschäftigte, mit Technik beschäftigt. Diese Verbindung war zu dieser Zeit völlig originell, und es gibt er bis heute sehr wenige Leute, die das auf sich vereinen, die versuchen, das zusammenzudenken.

O-Ton: 56 (CS, 7.10) Er hatte schon eine ziemliche Sonderstellung in der deutschen Szene. Er war Linker und kam aus der Sponti-Szene. 18

Gleichzeitig war er aber jemand, der Technik und Technologie umarmt hat, als einen Weg zur Selbstbefreiung des Menschen betrachtet hat. Und das hat ihn unterschieden von weiten Teilen der deutschen Linken.

O-Ton: 57 (Kulla, 22.10) Auf jeden Fall blieb also so eine gewisse – kann man schon sagen – sozialistische, anarchistische Grundhaltung. Also sehr stark dagegen, vom Staat kontrolliert zu werden, gegängelt zu werden, aber auch sehr stark dafür, dass Menschen etwas miteinander tun, gemeinsam produzieren, sich die Produktionsmittel, die Produktionsmethoden gemeinsam aneignen, das zieht sich schon so durch.

Zit.1. Keine staatliche Kontrolle! Produktionsmittel und – methoden gemeinsam aneignen!

O-Ton: 58 (WH, K&M; 8.50) Sicherheit ist kein Zustand, sondern ein Prozess. Die totale Sicherheit wird es nie geben. Um etwas sicher zu machen, muss man zumindest etwas davon verstehen.

Zit.1 (WH) Das kann man natürlich nicht, wenn auf jedem Programm "geheim" steht, du darfst nicht wissen, wie ich funktioniere. Dann geht man mit einer geheimen Maschine um, die macht, was sie will und nicht, was man selber will.

Autor: Wau Holland folgt hier der ersten Regel jener Hackerethik, die der US-Amerikaner Steven Levy 1984 in 19

seinem Buch "Hackers. Heroes of the Computer Revolution" formuliert hat.

2. Zit.: Der Zugang zu Computern und allem, was einem zeigen kann, wie diese Welt funktioniert, sollte unbegrenzt und vollständig sein. Alle Informationen müssen frei sein. Misstraue Autoritäten - fördere Dezentralisierung. Beurteile einen Hacker nach dem, was er tut und nicht nach üblichen Kriterien wie Aussehen, Alter, Rasse, Geschlecht oder gesellschaftlicher Stellung. Man kann mit einem Computer Kunst und Schönheit schaffen. Computer können dein Leben zum Besseren verändern.

O-Ton: 59 (C. Stöcker; 24.00') Wau Holland hat dann zwei dazu geschrieben, die sozusagen sehr deutsch sind, nämlich: "Mülle nicht in den Daten anderer Leute " – also die Ermahnung als Hacker nicht in destruktiver Weise aktiv zu werden. Und die zweite ist noch wichtiger, nämlich: "Öffentliche Daten nützen, private Daten schützen" – also genau das, worüber wir heute reden ... . (läuft weiter)

Autor: Christian Stöcker:

O-Ton: 60 (CS, Forts.) Da musste man Anfang der achtziger Jahre schon verdammt weit blicken, um diese Entwicklung vorauszusehen. Und mit der knappen Formel "Öffentliche Daten nützen" –

Zit 1.: Öffentliche Daten nutzen! 20

weiter 60: das ist das, was wir heute unter dem Prinzip open governement fassen würden - Wenn wir für eine Information mit Steuern schon bezahlt haben, wieso sollen wir sie dann nicht auch kriegen können. Und gleichzeitig "private Daten schützen", das ist, glaube ich, ein Credo, das aktueller ist denn je.

Autor: Es ging Wau Holland aber auch um etwas ganz Grundsätzliches: die Architektur jener weltweiten Vernetzung, die bald als Internet Furore machen wird.

O-Ton: 61 (WH, SDK; 24.05) Das Erstaunliche ist, dass das komplette Internet auf RFCs beruht, also auf technischen Dokumenten, über die nicht einmal abgestimmt wurden, sondern die gerade den Konsensgrad erreicht haben, wo sich verschiedene Menschen zusammen gehockt haben und Diskussionsprozesse zusammengefasst haben.

O-Ton: 62 (Stöcker, 14.25) Im Grunde ist das Internet, mit der Struktur, die es jetzt hat, eine Anomalie – eine ganz seltsame Struktur, die auf vielen Schultern ruht und so viele Teilhaber hat, im Prinzip aber nur davon zusammengehalten wird, dass man sich auf bestimmte Protokolle geeinigt hat, oder auf bestimmte Übertragungswege und -weisen und nicht, dass das irgendjemand gehört und der sagt, wo's lang geht.

Autor: Wau Hollands Idee vom weltweiten Netz war von den amerikanischen Hippies beeinflusst. Die hatten sich seit den 70er-Jahren enthusiastisch mit Computern 21

beschäftigt und nahmen Ende der 80er maßgeblichen politischen Einfluss auf die Entwicklung des Internets.

O-Ton: 63 (Stöcker, 13.15) ..unter anderem Mitch Kapor, der später reich geworden ist als Gründer eines Softwareunternehmens, der dann als Lobbyist eines freien Internets damals zusammen mit Al Gore dafür gesorgt hat, dass es keine zentral gesteuerte – beispielsweise von den amerikanischen Kabelnetzbetreiber kontrollierte – Internetstruktur mit Ja-Nein-Kaufen- Funktionalität wurde, sondern dass es ein Netzwerk ist, in dem jeder einen Knoten betreiben kann, wenn er möchte. Musik:

O-Ton: 64a (Tschernobyl)

Autor: Am 26. April 1986 geriet Block vier im Atomkraftwerk Tschernobyl außer Kontrolle. Und der Chaos Computer Club konnte zeigen, was er unter "öffentliche Daten nutzen" verstand:

O-Ton: 65a (Wernéry, 19.10) Als Tschernobyl uns um die Ohren geflogen ist, hatten die herkömmlichen Medien ja einfach keine Informationen, sondern nur mit Gerüchten gearbeitet. Aber in dem schon existierenden Mailbox-Netzen hat jeder das, was er von seiner Uni oder sonst wo an Hintergrundberichten und Daten hatte, im Netz transparent gemacht. Damit war das Netz zum ersten Mal mit einem Informationsvorsprung vor allen Journalisten, vor allen herkömmlichen Medien, da.

22

Autor: Für den deutschen Hacker Karl Koch wurde Tschernobyl zu einem Albtraum, der für die ganze deutsche Hackerszene erhebliche Folgen haben sollte. Auch für Wau Holland.

O-Ton: 64 (Film) 23. Mai 1989. Der letzte Tag im Leben des Karl Koch. "Ich weiß nicht, wie oft ich den Roman "Illuminatus" gelesen hab. 50 Mal, 60 Mal, auf jeden Fall hat mich eine Stelle am meisten fasziniert: Alle großen Anarchisten starben am 23. eines Monats. Der 23. ist ein guter Tag zum Sterben ... "

Autor: So beginnt ein Film über Karl Koch, der am 23. Mai 1989 unter bis heute nie ganz geklärten Umständen starb. Koch war ein hochbegabter Hacker aus Hannover, der glaubte, er habe Mitschuld am Reaktorunglück von Tschernobyl, weil er aus Versehen im Rechner des AKW gelandet sei. Das ist definitiv falsch. Richtig hingegen ist, dass Karl Koch – gerade mal zwanzig Jahre alt – von Hannover aus in wichtige Rechner auf der ganzen Welt eingebrochen war.

O-Ton: 65 (Panorama 18.50) Daneben erhielt Moskau Zugang und Codewörter beispielsweise für die Generalstabsdatenbank Optimix im Pentagon, das SDI-Waffenlabor Lawrence Livermore und das Jet-X Laboratorium, ein NASA- Forschungszentrum in Pasadena. Betroffen sind weiter die europäische Raumfahrtbehörde in Darmstadt, das europäische Kernforschungszentrum in Genf, [langsam ausblenden] das europäische Laboratorium für Molekularbiologie in Heidelberg ... 23

Autor: Koch war kokainabhängig und schwer psychotisch. Er nannte sich Hagbart Celine nach dem Helden des in seinen Kreisen viel gelesenen Romans Illuminatus! von Robert Anton Wilson – und er sah sich im Mittelpunkt einer großen Weltverschwörung.

O-Ton: 66 (Film 23) Was ist das ... irgendwelche russischen Städte ... .das sind Atomkraftwerke ... so fängt der nächste Krieg an ... Karl, hau ab, du nervst mich, hau ab ... .

Autor: Es war nicht ganz klar, ob es um seine Weltrettungsphantasie ging oder ob bloß um Beschaffungskriminalität: Jedenfalls verkauften Koch und seine Gefährten dem sowjetischen Geheimdienst KGB Dateien, die sie in irgendwelchen Rechner auf der ganzen Welt kopiert hatten. Allerdings waren die Daten nicht sonderlich geheim, manchmal waren es bloß Kopien frei erhältlicher Software, die die Jungs für ein Vielfaches des Ladenpreises ihren offenbar reichlich ahnungslosen Geschäftspartnern verscherbelten, erzählte später einer von Kochs Freunden.

O-Ton: 67 (Freund, 10.45) Wir waren überhaupt keine richtige Quelle. Wir waren ein paar bekiffte Studenten, die nachts gerne vorm Computer saßen und – weil sie Kohle brauchten – auf Biegen und Brechen versucht haben, irgendwelche Sachen rüberzuliefern.

24

Autor: Irgendwann fiel dem Astrophysiker Clifford Stoll in Berkley, Kalifornien, auf, dass sich da jemand auf seinem Rechner zu schaffen machte.

O-Ton: 68 (Stoll) Strange things happened ... (voice over liegt schon drunter) Wir saßen hier und bemerkten, dass der Bursche nach bestimmten Stichworten suchte, ich versuchte zu verstehen und beobachtete, woher er kam. Und er suchte nach Worten wie ... SDI, Nuklear, ICBM.

Autor: Die Behörden wurden alarmiert und begannen eine Hacker-Jagd über den ganzen Globus. Davon bekamen auch die Medien Wind. Und im März 1989 deckte die Panorama Redaktion in einer Sonderausgabe des ARD- "Brennpunkts" einen ganz großen Coup auf:

O-Ton: 69 (Panorama 0.15') Einen authentischen Report über den schwersten Spionagefall seit der Enttarnung des Kanzleramtsagenten Günter Guillaume.

Autor: Kronzeuge dieser investigativen Ente war niemand Geringerer als Karl Koch. Mitarbeiter des NDR hatten ihn in einer psychiatrischen Unterbringung entdeckt – und Koch lieferte jetzt genau die Räuberpistolen, die man von ihm offenbar unbedingt hören wollte, ungeachtet seines erkennbar angeschlagenen Zustands.

O-Ton: 70 (Panorama, 20.50') Schon beim ersten Kontakt mit dem KGB haben also die bundesdeutschen Hacker dem Kreml das 25

Einbruchswerkzeug, den Zugang zu den wichtigsten Großrechnern des Westens geliefert.

Zit 1: Das war alles Quatsch –

Autor: Das war alles Quatsch – wie sich später bei Gericht erwies. Doch einmal mehr hatte die Allianz aus sensationsbesoffenen Journalisten und apokalyptisch funkenden Sicherheitsbeamten ganze Arbeit geleistet.

O-Ton: 71 (Panorama 3.10) Der Vorwurf der Bundesanwaltschaft: eine Gruppe deutscher Hacker soll dem sowjetischen Geheimdienst geholfen haben, in die wichtigsten Rechner der westlichen Welt einzudringen um dort sensible Daten und Programme aus militärischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Geheimbereichen zu stehlen.

Autor: Karl Koch hatte sich als eine Art Außenstelle des CCC dargestellt. Das ist nicht ganz falsch. Tatsächlich hatten Mitglieder des Chaos Computer Clubs damit begonnen, die VAX genannten Großrechner des amerikanischen Herstellers Digital Equipment Corporation zu knacken. Als die beiden Köpfe des Hacker-Clubs, Wau Holland und Steffen Wernéry, diese Aktivitäten entdeckten, versuchten sie, sie als einen ihrer typischen Hacks im Namen der Sicherheit zu verkaufen. Gleichzeitig informierten sie den Verfassungsschutz. Doch es kam zu Hausdurchsuchungen und Verhaftungen.

26

O-Ton: 72 (AMM, 29.10) Wau hat das damals sehr harsch formuliert: ganz klar, das sind keine Hacker.

Autor: Steffen Wernéry wurde damals in Paris spektakulär verhaftet. Für die Öffentlichkeit wurden die gerade noch als Helden gefeierten Hacker im Handumdrehen zu Schurken. Und das Misstrauen hielt auch Einzug in die Reihen des CCC.

O-Ton: 74 (AMM; 31.10) Bis hin zu Verdächtigungen, dass Leute im CCC erpresst wurden, für den Verfassungsschutz zu arbeiten.

Autor: Wau Holland hatte verstanden, dass er seinen Laden nicht mehr unter Kontrolle hatte, dass unter dem Schutzmantel seiner Hackerethik ziemlich fiese Sachen liefen. Seine viel gerühmte Begabung, unterschiedlichste Temperamente und Interessen zu integrieren, funktionierte nicht mehr.

2. Zit.: Auf jeden Fall konnte nicht mehr über alles geredet werden, der Bunker, die Abschottung des Vorstandes, kam auf und die Misstrauensgeschichte schwappte herein, die den Laden für drei bis fünf Jahre richtig zerbombt hat. Es gibt immer noch ungeklärte Sachen.

Autor: Erklärte Steffen Wernéry später einem Chronisten des Chaos Computer Clubs

27

O-Ton: 77 (AMM,:) Wir haben diese Diskussion auf unseren Kongressen dann auch geführt, wir haben die Staatsanwaltschaft auf unsere Kongresse eingeladen, wir haben die Hacker, die geständig für die Russen gearbeitet haben und nicht inhaftiert waren, die haben wir aufs Panel gezerrt, und haben das ausdiskutiert, aber trotzdem war es natürlich auch das, was Wau mal die Vertreibung aus dem Paradies genannt hat. (31.50) Insbesondere die alten Hippies, die Leute um Wau, haben damals gesagt: Nein, mit so was wollen wir nichts mehr zu tun haben.

Autor: Und Wau Holland zog sich zurück. Musik:

Autor: Die Mauer fiel. Teile von Wau Hollands Familie hatten in der DDR gelebt.

O-Ton: 78 (DW, 6.35 Home Story) Ilmenau, eine deutsche Kleinstadt mit 30.000 Einwohnern, ist für Computerhacker mittlerweile ein Begriff, denn hier residiert der Alterspräsident des CCC auf dem Dachboden eines alten Hauses.

O-Ton: 79 (Kulla, 14.15) Zum einen Teil war das Flucht, soweit ich gehört habe. Es gab Probleme mit seiner Steuererklärung, er wollte da wohl aus bestimmten Zugriffsbezirken rauskommen. Das Zweite war eben die Gelegenheit, dass es in Martinsroda, 4 km nördlich von Ilmenau, so ein Grundstück gab mit einer alten Fabrik, die irgendwie der Familie gehörte.

28

Zit. 1.: Mein Großvater war Dorfschullehrer in Thüringen, Jena war für mich nicht aus der Welt.

O-Ton: 80 (WH, G 2, 6.10) Mein Großvater war Dorfschullehrer in Thüringen, von daher ist Jena nichts jenseits der Welt. Aber da gibt es eine Reihe von Menschen, die gerade im Bildungsbereich eine Menge Ideen haben und sehr pragmatisch nach vorne bewegen. Und wenn da irgendwo ein Nest ist, dann macht es eben Spaß, da mitzuarbeiten.

O-Ton: 81 (Kulla, Forts.) Und Wau wollte verhindern, dass das jetzt so verscherbelt wird. Dann hat er sich gerade in Ilmenau ganz gut eingelebt. In diesem Eine-Welt-Laden, die haben auch so eine Kneipe, ein Café - die Arche – da hat er sich dann schon sehr viel aufgehalten. ( ... ) Und zum anderen gab es die gedankliche Nähe zum Konzept der Polytechnik, was in der DDR recht verbreitet war, im Osten viele Jahre nach 1990 noch sehr präsent war. Also die Idee, dass man schon in der Schule die meisten Gegenstände sehr praktisch vermittelt hat, und versucht hat, das auf die Produktion, die Praxis zu beziehen. Also sozusagen die Grundidee vom Hacken, dass man sich die Technik angeeignet.

Zit1.: Mein Standard-Beispiel dafür:

O-Ton: 82 (WH, SDK, 46.10) Mein Standard-Beispiel dafür ist die Enzyklopädie von Diderot und D'Alembert. Das war die erste Sammlung des Wissens der Geschichte. Und diese Enzyklopädie enthält die Bauanleitung für sich selbst. Es war das erste rekursive Kulturwerk. In der Enzyklopädie stand eben drin, wie 29

man Kupferstiche macht, wie man eine Druckerei einrichtet, wie man Bücher druckt, und wie man Bleibuchstaben herstellt und und und. Alles bebildert und getextet. Eigentlich müsste im Internet die komplett abrufbar Geschichte des Internets zu finden sein. Wie man ein Internet aufbaut, wie es sich weiter entwickelt, aus welchen Teilen die Rechner bestehen, wie die Rechner funktionieren, das ist erst in sehr wenigen Ansätzen der Fall.

O-Ton: 83 (WH, DW, 7.30) Reporter: der Alterspräsident ist stolz auf seine selbst gebaute Satellitenschüssel aus Bauschaum, die 750 Kronkorken arbeiten zuverlässig als Metallreflektoren.

Zit.1.: Wir bauten uns eine Satellitenschüssel aus Bauschaum, 750 Kronkorken arbeiteten zuverlässig als Metallreflektoren.

O-Ton: 84 (Moderator G2, 0,40) Er sieht so aus: Ein Mann mit Latzhosen, ganz normale Klamotten sage ich jetzt mal vorsichtig. Sie sehen nicht so aus, wie man sich das Mitglied einer Vorstandsetage vorstellt ...

O-Ton: 85 (Kulla, 6.20) Bei einer Gelegenheit hatte er gerade die klassische Latzhose an. Bei der anderen Gelegenheit ein afrikanisches Gewand. ( ... ) Wau trug schon Sachen, die er selbst gemacht hatte und die ihm irgendjemand geschenkt hatte. Der Blaumann – das war dann der soundsovielte, den Christina von diesem Markt mitgebracht hatte, und die afrikanischen Gewänder, die stammten wahrscheinlich aus diesem Eine-Welt-Laden. 30

O-Ton: 86 (WH, DW, 11,20): Ich bin kleiner selbstständiger freier Lebenskünstler WH und schlage mich so durch, schreibe auch gelegentlich was und bin damit eigentlich recht glücklich.

Zit .1: statt/plus O-Ton 86 Ich bin kleiner selbstständiger freier Lebenskünstler Wau Holland und schlage mich so durch, schreibe auch gelegentlich was und bin damit eigentlich recht glücklich.

O-Ton: 87 (Kulla, 16.40) Er hat verschiedene Tätigkeiten ausgeübt. Er hat immer mal wieder mit Leuten Firmen gestartet, dann hat er Vorträge gehalten und war irgendwann Honorarprofessor an der TH in Ilmenau, wo er dann über Datenschutz geredet hat, über Hacker-Ethik.

O-Ton: 88 (DW, 11.45) WH: Was früher die Weißkittel, sprich: Ärzte waren, sind dann relativ schnell die Computer-Leute geworden. Und da den Schleier weg zu ziehen, zu zeigen, dass das ganz normale Sachen sind, die auch einfache Leute begreifen, dass es mir sehr wichtig.

O-Ton: 89 (Kulla, Forts.) Es gab immer mal wieder Projekte, die ihm Geld verschafft haben, aber das war nicht sehr regelmäßig. Und es ist später auch von Leuten berichtet worden, dass Wau für viele Sachen viel mehr Geld hätte verlangen können, als er tatsächlich bekommen hat. Also es war schon immer sehr prekär. Und es gab auch dann immer wieder diese ganzen 31

Probleme mit der Ordnung, Anmeldung. Er hatte jahrelang keinen Ausweis, er hatte keine Krankenversicherung.

Zit.1. Komplexität ist die Kombination mehrerer Einzeldinge, die jeweils unüberschaubar scheinen.

O-Ton: 90 (WH, Kompl 3.50) Komplexität ist die Kombination mehrerer Einzeldinge, die jeweils unüberschaubar scheinen. Nehmen wir ein Auto und einen Güterwagen und kombinieren das. Und schon haben wir einen Autoreisezug. Der erste Versuch führte dazu, dass Mercedes Autos baut, die 10 cm breiter waren als der Autoreisezug. Gut, dann wurde nachgebessert.

O-Ton: 91 (AMM; 36.10) Wau hat, glaube ich, ein Problem in seinem Leben gehabt: Das mit dem CCC, das war ihm enorm wichtig, und dafür hat er ganz klar andere Lebensbereiche vernachlässigt und zwar sehr stark vernachlässigt – bis hin zu Existenz bedrohend vernachlässigt. Den Aspekt, dass wir in Zeiten leben, in denen man seine wirtschaftliche Existenz organisieren muss, das hatte er ein bisschen vernachlässigt.

O-Ton: 92 (WH, Forts.) Nun steht man an einer Schranke – geschlossen – und wartet, dass der Zug kommt. Aus der Ferne hört man keine typischen Zuggeräusche, sondern wildes arrhythmisches Gehupe. Dann fährt der Autoreisezug vorbei. Was war die Ursache? Alarmanlagen mit Bewegungsmelder. Will sagen: Komplexität ist nicht beherrschbar.

Zit.1. Komplexität ist nicht beherrschbar

32

O-Ton: 93 (Kulla, 18.45) Er hat sich am Ende der Neunziger wieder häufiger in Berlin aufgehalten. Da ist diese Kluft auch immer offensichtlicher geworden. Das war auch vorher schon immer das Problem gewesen, dass Wau versucht hat, diese Brücke zu schlagen zwischen den Siebzigern, dem Sozialismus und dann auch der DDR, der Polytechnik und zu diesem ganzen Hackerding ... .

O-Ton: 94 (WH, SDK, 51.35) Diese erst durch das Netz möglich gewordene Kultur einer globalen Kooperation ist letztlich auch Gesprächskultur. Gesprächskultur in einer schriftlichen Form, in einer so abstrakten Form wie das eben Programmzeilen sind.

O-Ton: 95 (Kulla, Forts.) Und vielen Hackern war das immer schon eher überflüssig erschienen, einfach auch anstrengend, einfach unnützer Tand. Man wollte eigentlich Hacken, man wollte programmieren. Und gerade um 2000 war es dann so, dass man sich nicht nur in diesen Kreisen mit Politik gar nicht mehr so richtig beschäftigen wollte. Dieser ganze New Economy- Hype: Jetzt ist ja alles ganz anders, wir können mit flachen Hierarchien unser Geld verdienen. ( ... ) Da passte Wau nicht mehr wirklich rein ... ,

O-Ton: 96a (WH, SDK, 54.30) Wer schwach ist im Kommunizieren, wird im Verhältnis noch schwächer, und wer stark ist, kann die Möglichkeiten noch stärker und noch heftiger nutzen als vorher. Und an der Stelle sind Computer und vor allem Nachrichtennetze – der Netzcharakter ist das entscheidende – Strukturverstärker.

33

Zit.1. Der Netzcharakter ist das Entscheidende!

O-Ton: 97 (Kulla, 9.50) Ich glaube, Wau hat schon hier und da signalisiert, dass es ihm nicht so richtig gut ging, dass er körperlich abbaut. Es gibt so ein paar Hinweise darauf, dass er nicht völlig überrascht davon wurde, als er den Schlaganfall hatte.

O-Ton: 98 (WH, SDK, 55.03) Kulturkampf ist ein etwas schwieriger Begriff – aber es ergeben sich da ganz klare Auseinandersetzungen zwischen Kommunikationseliten und informationellen Habenichtsen.

O-Ton: 99 (Kulla, 24.30) Wau hat sich einfach zu wenig bewegt, Wau hat einfach ständig vor dem Rechner gesessen oder rum gesessen und erzählt. Er hat relativ viel Weizenbier getrunken und relativ viel gekifft. Er hatte keinen besonders gesunden Lebensstil und vermutlich war ihm das auch in gewisser Weise klar, dass das nicht so unbegrenzt lang geht

Autor: Am 30. Mai 2001 erlitt Wau Holland einen Schlaganfall.

O-Ton: 100 (Kulla, 25.20) Er ist erst ins Koma gefallen nach dem Schlaganfall, war nicht sofort tot und ist einfach nicht wieder aufgewacht.

Autor: Wau Holland starb am 29. Juli in Bielefeld. Er wurde 49 Jahre alt.

34

O-Ton: 101 (Kulla; 26.00) Er ist in Marburg beerdigt worden. Und bei der Beerdigung waren verdammt viele Leute da, ein schillernder Personenkreis, kann man schon sagen ( ... ) das war, glaube ich, eine sehr schöne Veranstaltung. Vielleicht war es genau das, was er sich mal vorgestellt hatte: alsodass man - trotz der Trauer - sich noch immer freut, dass dieser jemand auf der Welt gewesen ist, was er gemacht hat.

O-Ton: 102 (C. Stöcker 23.10) Ich glaube, der hat eine ganze Menge bewirkt. Die sichtbarste Spur die es von ihm gibt, das ist die Wau Holland Stiftung, die im Moment dadurch immer mal wieder Schlagzeilen macht, weil über sie die Spenden an die Plattform Wikileaks weitergereicht werden. Und Wikileaks ist eine Idee, die schon zum Geist Wau Hollands passt, wenn sie auch in der Ausführung und insbesondere was die Repräsentanten betrifft ihm nicht gerade hundertprozentig gepasst hätte.

O-Ton: 103 (Kulla, 23.15) Es könnte einfach sein, dass hier im Gedächtnis nur eine Planstelle frei ist dafür. Und insgesamt, würde ich sagen, ist das Internet in dieser Gesellschaft noch nicht richtig angekommen. Diese ganze Computerwelt immer noch so merkwürdig äußerlich geblieben ist. Die Verbreitung von interaktiven Elementen – Web 2.0 usw. – vergleichsweise gering ist, auch so im Maßstab schon normaler das ist, dass Leute bloggen, dass Leute sich mit Twitter verbinden. Das ist hier immer noch so eine Sparte.

O-Ton: 104 (Stöcker, Forts.) Aber darüber hinaus ist die Tatsache, dass der CCC heute als ernst zu nehmender Gesprächspartner 35

der deutschen Politik agiert und ( ... ) dass gesellschaftliche Dimension von Technologie immer mitgedacht wird. Das ist auf jeden Fall das Erbe von Wau Holland.

Musik:

O-Ton: 105 (CS, 26.35) Ich weiß nicht, ob er ein Pirat wäre. Er wäre am Anfang ein Pirat gewesen, glaube ich, weil viele Ideen der Piraten alte Ideale von Wau Holland sind. Ich weiß nicht, ob er nicht von vielem, was in der Piratenpartei passiert ist, nicht so genervt wäre, dass er gesagt hätte, da will ich jetzt doch nicht mehr mitmischen.

Musik:

Absage: Der Hacker Wau Holland oder Der Kampf ums Netz. Sie hörten ein Feature von Walter van Rossum. Es sprachen: Martin Bross, ...... und der Autor. Ton und Technik: Hendrik Manook und Kiwi Hornung. Regie: Walter van Rossum. Redaktion Ulrike Bajohr.

Wir danken dem Wau-Holland-Archiv und dem Chaos Computer Club für die Unterstützung. Eine Produktion des Deutschlandfunks 2013.