Flieg, Colton, Flieg Er Stahl Flugzeuge, Schiffe, Autos Und Rannte Der Polizei Jahrelang Davon
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Gesellschaft Karrieren Flieg, Colton, flieg er stahl Flugzeuge, Schiffe, autos und rannte der Polizei jahrelang davon. Der „Barfuß-Bandit“ Colton Harris-Moore, ein Teenager, wurde in den USa zum Helden, zum Billy the Kid des internetzeitalters. Jetzt erwartet er sein Urteil. Von Guido Mingels r will doch nur fliegen. Der Junge ist 17 Jahre alt, hat keinen Piloten - eschein, erhielt nie Flugunterricht, saß niemals überhaupt in einem Flugzeug, außer in seinen Träumen. 12. november 2008, sechs Uhr morgens, im Schein seiner Kopflampe, wie er sie nachts meistens trägt, seit er auf der Flucht ist, sieht er die Cessna 182, ein Leichtflugzeug, Spannweite elf Meter, Länge neun Meter, Höchstgeschwindig - keit 278 km/h, er kennt die technischen Daten auswendig, wie von so vielen Flug - zeugen. Der Hangar auf dem Flugplatz von eastsound auf der insel Orcas, Bun - desstaat Washington, nördlich von Seattle, USa, war leicht zu öffnen, der Schlüssel zum Flugzeug schnell gefunden. er zieht die Maschine auf die Startbahn, öffnet die Tür, steigt ein, schnallt sich fest. er blickt auf die instrumente, Höhenmesser, Variometer, Fluglageanzeiger, Wendezei - P A / ger, alles sieht genauso aus wie auf dem E R Poster, das jahrelang an der Wand seines O O M - S Kinderzimmers hing. er geht die Check - I R R listen durch, die er im internet fand. A H N Propellerbereich: frei. O T L O Zündung: ein. C Drehzahl: 1800 u/min. Parkbremse: los. Die Maschine rollt über die Startbahn, wird immer schneller. Hebt ab. Fliegt. Colton ist weg. Sein name ist Colton a. Harris-Moore, aber die Welt nennt ihn nur „The Barefoot Bandit“, seit sie von seinen Taten gehört hat. Stiehlt und fliegt fünf Kleinflugzeuge, nimmt sich Motorboote, klaut Dutzende autos. ein Kind, ein Teenager, ein Milch - gesicht, das es mit den Großen aufnimmt, meistens barfuß. Sie jagen ihn mit Heli - koptern, Kopfgeldjäger schalten sich ein, das FBi schickt seine Leute. Mehr als zwei Jahre lang bleibt er unfassbar. auf Facebook folgen ihm die Fans zu Zehntausenden, feiern jeden seiner Strei - che, vergleichen ihn mit Frank abagnale Jr., dem Helden aus „Catch Me if You L E G Can“, sehen in ihm einen neuen Billy the E I P S Kid, nur ohne das Töten. andere nennen R E D ihn einen feigen Verbrecher, Dieb, Que - / E L rulanten, denn der Bandit bricht in Dut - A M S zende Häuser ein, isst die Kühlschränke N A I R leer und bleibt ungebetener Gast, solange B keiner nach Hause kommt. Songwriter Flüchtling Harris-Moore 2008, Kinderzeichnung: „Das ist kein harmloses Game, es ist Krieg“ 58 der spiegel 49/2011 schreiben Lieder über ihn, Heldenge - Jetzt sitzt er. Von seiner Zelle aus, sein Urteil, am 16. Dezember spricht der schichten zur Gitarre auf Myspace und Strafanstalt SeaTac, nahe dem Flughafen richter. Seine Fans hoffen auf Milde, sei - YouTube, und die Hausbesitzer laden ihre Seat tle, hört er die Maschinen, die in den ne Opfer auf möglichst viele Jahre. Gewehre für ihn. Die Filmfirma 20th Cen - Himmel stechen. außer seinem anwalt 22. März 1991, auf einer insel kommt tury Fox kauft für 1,3 Millionen Dollar und einem Mann aus Hollywood, der das das Kind auf die Welt. Camano island, so die rechte an seiner Lebensgeschichte. Drehbuch schreibt für den Film über ihn, groß wie Sylt, ist über eine Brücke mit es ist die Geschichte vom Sieg eines Un - empfängt er keine Besucher. Man sagt, dem Festland verbunden und liegt im äu - derdogs, in den sich die Öffentlichkeit ver - dass er Flugzeugtypen anhand ihrer Ge - ßersten nordwesten der USa, hier beginnt liebt. Die Geschichte eines Jungen, der sich räusche erkennen kann. Boeing 777. em - oder endet amerika. Pam Kohler heißt nicht an die regeln hält, der von ganz un - braer erJ-145. Sein anwalt berichtet, er die Mutter, der Vater Gordon Moore, er ten nach ganz oben will, der allen autori - zeichne zum Zeitvertreib Flugzeuge, wie ist selten da. Sie trinkt, er schlägt, manch - täten den Mittelfinger zeigt. Die Geschich - er es als Kind schon tat. Colton, mittler - mal ist es auch umgekehrt. Colton klettert te eines unbändigen Traums von Freiheit. weile 20, wartet in Untersuchungshaft auf auf jeden Baum, und als er wieder einmal weit oben sitzt, hören die nachbarn die Schreie der Mutter, er solle endlich sprin - gen, solle sich doch bitte umbringen, ihr Leben wäre so viel besser ohne ihn. Der Sohn schenkt der Mutter ein rat - geberbuch der anonymen alkoholiker, sie verbrennt es. im Bericht der Sozial - behörde steht, der Schüler Colton, elf Jah - re alt, wünsche sich, „dass Mom einen Job annimmt und dass es mehr essen gibt im Haus“. Kohler, die von einer kleinen invalidenrente lebt, kaputter rücken, be - zeichnet die zweite Hälfte jedes Monats als „unsere Hungertage“. Manchmal er - nährt sich der Junge im Wald, in dem er barfuß seine Kindheit verbringt, früh kennt er alle Beeren und Pflanzen, die man essen kann. Die Polizei hört das ers - te Mal von Colton Harris-Moore, als er zehn Jahre alt ist. ein nachbar beschwert sich, da sei einer in sein Haus geschlichen und habe eine Tiefkühlpizza gestohlen. Hungertage. Colton ist ein Tier auf der Suche nach Futter. „er war verdammt schwer zu erziehen, der Junge. Hatte seinen eigenen Kopf.“ Pam Kohler, 60, trägt eine Cord-Latzhose mit Micky-Maus-Motiv auf der Brust und sitzt in einem wackligen Sessel vor einem erloschenen Holzofen. Sie heizt den raum mit dem geöffneten Backofen in der Küche, es bleibt trotzdem frostig in dem baufälligen, umgebauten Wohnwa - gen, der Coltons elternhaus war. auf dem Tisch liegt eine Flinte griffbereit, eine Wei - le lang, als Coltons Odyssee in den USa Schlagzeilen machte, hielt Pam Kohler sich damit die Journalisten vom Leib. Dieser Ort, von dem Colton immer wieder reißaus nahm, ist schwer zu fin - den, eine unbefestigte Straße führt in ei - nen Wald, die Zufahrt ist von tiefhängen - den Ästen verdeckt. Camano island hat die eigenart, dass an den Küsten viele reiche in schönen Häusern wohnen, wäh - rend an den Straßen im innern, manch - mal tief im Gehölz, amerikanische Ver - lierer hausen, „white trash“ genannt, wei - ßer Müll. Colton wuchs als Habenichts auf, umgeben von unerreichbarem Wohl - D P stand. auf dem Grundstück liegen zer - A D / sägte Bäume, abfälle, ein kaputtes Fahr - R O J A rad, Bierdosen. Dazwischen springt ein M E P grundlos gutgelaunter Hund herum, Me - I L E F lanie, Coltons Beagle-Mischling, viel - Festgenommener Harris-Moore in Nassau, Bahamas: Milchgesicht, das es mit den Großen aufnimmt leicht das einzige Wesen, das er wirklich der spiegel 49/2011 59 Gesellschaft L E G E I P S R E D / E L A M S N A I R B Harris-Moore-Mutter, Elternhaus: „Das nächste Mal soll er einen Fallschirm tragen“ liebt. Der Sohn hat der Mutter Besuche ten ist einfacher als landen. als man die Wie fing das alles an? Warum nur diese im Gefängnis untersagt, aber er bat um Maschine findet, Bruchlandung irgendwo schiefe Bahn? Glaubt man der Mutter, gibt neue Fotos seines Hundes. in der Wildnis des Yakima-indianerreser - es eine Urszene für Coltons Wut auf die Pam, warum rannte ihr Junge allen da - vats, liegt überall im Cockpit erbroche - Polizei, auf alle autoritäten. „Zum achten von, jahrelang? nes. Geburtstag hab ich Colt ein Fahrrad ge - „Weil er es konnte. Colt wusste, er ist Und Colton ist längst nicht mehr da. schenkt, 300 Dollar hab ich dafür zusam - schlauer als die Cops.“ „Das nächste Mal soll er einen Fall - mengespart. Da fährt er natürlich stolz War es ein Spiel für ihn? Genoss er es? schirm tragen.“ Das war die antwort der wie ein König mit dem Ding um die halbe „Bestimmt. Und man muss zugeben, er Mutter auf die Frage eines Fernsehrepor - insel. aber dann halten die Cops ihn an. war ziemlich gut.“ ters, was sie dazu sage, dass ihr Sohn Das ist doch der Junge, der mit seiner Was wünschen Sie sich für ihn, wenn Flugzeuge klaue. Und er solle nur zwei - Mutter im Trailer lebt! Wie kommt der er aus dem Gefängnis kommt? motorige Maschinen benutzen, falls mal zu so einem teuren rad? Sie nehmen ihm „Dass er eine Pilotenausbildung macht.“ einer der Propeller ausfalle. Das Publi - das Bike weg, packen ihn in den Wagen Und dann bessere Landungen schafft? kum staunt und lacht. auf Facebook und bringen ihn zu mir nach Hause. Seit „Genau. Das hat mich fast wahnsinnig feuern die Fans den Banditen an, „halt diesem Tag hasst Colt die Cops. er dachte gemacht, wie er landete. er hätte dabei aus, solang du kannst!“, schreibt Grim - wohl, wenn die mich eh für einen Dieb leicht umkommen können.“ ace, „heirate mich!“, fleht eine Claudia halten, dann bin ich halt einer.“ Schlechtes Wetter bei Coltons Jungfern - Woodward, „Fuck the cops!“, sagt ein erste Festnahme mit elf, erste Verur - flug am 12. november 2008, Windstärken Jeff Morrison. teilung mit zwölf, einbruch und Dieb - von mehr als 80 km/h, er lenkt die Cessna stahl. Mit 13 lässt er an seiner Schule eine südostwärts in richtung der Kaskaden - Videokamera und ein Funkgerät mitge - kette, des Vulkangebirges, das parallel hen, 10 Tage Haft. Mit 14 schlägt er die zur US-Westküste verläuft. auswertun - Scheiben der Schulbibliothek ein und fin - gen werden später ergeben, dass der Trip det 61 Dollar in einer Kasse, 30 Tage Haft. ruppig verlief. Bob rivers, ein in der Ge - Psychologen diagnostizieren eine auf - gend beliebter radio-DJ und Besitzer der merksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstö - Cessna 182, die Colton klaute, erinnert rung, ein Wutsyndrom, eine depressive sich später, dass er an jenem Morgen, als Störung, man gibt ihm Prozac, Strattera, er die Wettervorhersage ins Mikrofon Geodon. er klagt über Schlaflosigkeit, sprach, gedacht hatte: „Zum Glück muss antriebslosigkeit, doch wenn er auf ach - ich heute nicht fliegen.“ se sei, sagt er den Gutachtern, schlafe er er weiß nicht, dass sein Flugzeug sich besser, habe mehr energie.