G E D E N K R E D E Anlässlich Der Gedenkfeier Zu Ehren Von Frau Präsidentin A.D. Prof. Dr. Dr. H. C. Mult. Jutta Limbach Am
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1 G e d e n k r e d e anlässlich der Gedenkfeier zu Ehren von Frau Präsidentin a.D. Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Jutta Limbach am 20. Januar 2017 Sehr geehrter, lieber Herr Limbach, sehr geehrte, liebe Familie Limbach, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir nehmen heute noch einmal gemeinsam Abschied von einer herausragenden Präsidentin und einem außergewöhnlichen Menschen, der im September letzten Jahres von uns gegangen ist: Jutta Limbach. Es ist eine traurige Koinzidenz, dass ihr Vor- gänger im Amt und Bundespräsident a.D., Roman Herzog, in diesen Tagen auch von uns gegangen ist; der Staatsakt findet am kommenden Dienstag in Berlin statt. Wer zu ihren Lebzeiten das Glück hatte, Jutta Limbach zu be- gegnen, vergaß diesen Moment nie: aufmerksame, strahlende, große Augen, ein offenes, zugewandtes Lächeln und eine betö- rende, dunkel gefärbte Stimme. All das zusammen verlieh ihrer kleinen Gestalt eine unglaubliche Präsenz und Energie. Wer 2 das große Glück hatte, Jutta Limbach über einen längeren Zeit- raum zu erleben - als Freundin, als Kollegin oder als Wegge- fährtin, der wurde reich beschenkt durch souveräne Klugheit, Herzensbildung, Schlagfertigkeit, Mut und Integrität. Jutta Lim- bach besaß all diese Gaben im Überfluss. Sie wusste das, machte daraus aber keine große Sache. Ihr Lebensweg leuch- tete ohnedies heller als der ihrer meisten Zeitgenossen. Das fing bereits mit ihrem familiären Hintergrund an. Geboren am 27. März 1934 in Berlin hatte Jutta Limbach, wie ihre Bio- graphin Karin Deckenbach es formulierte, „die kämpfende Lö- win im Blut“ (Karin Deckenbach, Jutta Limbach. Eine Biogra- phie, 2003, S. 25). Ihre Großmutter Elfriede Ryneck war als So- zialdemokratin Mitglied der Weimarer Nationalversammlung und Reichstagsabgeordnete gewesen, ihre Urgroßmutter Pauli- ne Staegemann saß wegen Majestätsbeleidigung sogar einmal im Gefängnis. Der Vater war nach dem Krieg vorübergehend Bürgermeister von Pankow, bevor er mit seiner Familie nach West-Berlin umzog und sein Amt niederlegte. Jutta Limbach besuchte die Mädchen-Oberschule und war Schulsprecherin sowie Chefredakteurin der Schülerzeitung. Deutsch und Ge- schichte waren nach eigener Aussage ihre Lieblingsfächer, aber ein Freund ihres Vaters riet ihr, Jura zu studieren, was sie denn auch tat. Nach dem ersten Examen 1958 beginnt ihre Re- ferendarzeit mit eher desillusionierenden Erfahrungen am Amtsgericht Moabit. Erst nach und nach gewinnt sie Freude an 3 der Arbeit. 1962 schließt sie ihre Ausbildung mit einem der bes- ten Assessorexamen des Jahres in Berlin ab. Im selben Jahr trat sie in die SPD ein. Dass sie sich trotz manch innerer Widerstände letztlich doch für das Fach Jura begeisterte und eine akademische Laufbahn be- gann, hatte viel mit ihrem Doktorvater, Lehrer und Förderer, Prof. Ernst E. Hirsch, zu tun, der als Hochschullehrer an der Freien Universität zu Berlin in vielerlei Hinsicht aus dem Rah- men fiel. Die Nazis hatten den Sohn emanzipierter jüdischer El- tern 1933 aus dem Land gejagt, er fand Asyl in der Türkei und lehrte dort als Professor in Istanbul und Ankara. 1952 wurde Hirsch an die Freie Universität Berlin gerufen, um von dort die Rechtssoziologie wieder in der jungen Bundesrepublik zu etab- lieren. Es war dieser Hochschullehrer, der ihr erstmals klar machte, dass die Juristerei keine pure, selbstgenügsame Geis- teswissenschaft ist, sondern ein Fach, „das man wirklich immer mit Bedacht auf die gesellschaftlichen Bezüge studieren muss“. Die Saat ging auf. 1966 wurde sie an der Freien Universität mit einer Arbeit über „die Theorie und Wirklichkeit der GmbH“ pro- moviert. 1971 folgte die Habilitation mit einer Schrift über „Das gesellschaftliche Handeln, Denken und Wissen im Richter- spruch“. Da war sie mit ihrem Ehemann Peter Limbach bereits fünf Jahre verheiratet, und ihre drei Kinder Caroline, Daniel und Benjamin hatten schon das Licht der Welt erblickt. Dass diese Lebensleistung nur in einer gleichberechtigten Partnerschaft gelingen konnte, liegt auf der Hand und wird neben dem großen 4 Einsatz Jutta Limbachs für die Gleichberechtigung der Frauen noch Thema in der Rede von Christine Hohmann-Dennhardt sein. Gleich nach der Habilitation wurde Jutta Limbach zur Professo- rin für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht und Rechtssoziologie an der Freien Universität Berlin ernannt. Es waren unruhige politische Zeiten damals. Jutta Limbach ver- stand es aber, während der heftigen politischen Auseinander- setzungen innerhalb der Juristischen Fakultät und mit den Stu- dierenden einen Ausgleich zwischen den Interessengruppen herbeizuführen und gleichzeitig der Rechtssoziologie wissen- schaftlich Aufwind zu verschaffen. Dazu trug auch ein Lehrauf- trag für Rechtssoziologie an der Universität Heidelberg (1974) sowie ihr langjähriges Engagement im Vorstand der Vereini- gung für Rechtssoziologie (von 1975 bis 1989) sowie im Vor- stand der Gesellschaft für Gesetzgebung (seit 1987) bei. 1989 erfolgte eine erste Zäsur: Am 17. März trat Jutta Limbach das Amt der Justizsenatorin der rot-grünen Koalition in Berlin unter dem Regierenden Bürgermeister Walter Momper an. Es sollten nach dem Mauerfall viele Herausforderungen auf sie warten: Die Hungerstreiks von inhaftierten Terroristen der Ro- ten Armee Fraktion und die Aufsicht über die Strafverfolgung der früheren DDR-Staatsspitze wegen des Schießbefehls an der innerdeutschen Grenze sind zwei davon, die uns noch in 5 besonderer Erinnerung sind. Auch ihr Einsatz für einen huma- neren Strafvollzug brachte manche „Blessuren“ mit sich. Spie- gelbildlich verkörperte die Regierung Momper, worauf Karin Deckenbach hinweist, all die Auseinandersetzungen und Kon- flikte, die Jutta Limbach in ihren mehr als 40 Jahren an der Freien Universität miterlebt und durchlitten hatte. „Diese ereig- nisreiche Zeit bildete die gemeinsame Sozialisationsgrundlage des Kabinetts. Sie hat alle dort versammelten Politiker und Poli- tikerinnen entscheidend geprägt. Aber natürlich zog jeder seine eigenen Schlüsse daraus. Die 68er-Generation war kein mono- lithischer Block, vielmehr ein loser Verband aus mehr oder we- niger professionellen Köpfen, mehr oder weniger reformierten Revolutionären, mehreren klassischen Primadonnen und weni- gen originellen Solotänzern.“ Nach ihrem langen „Marsch durch die Institutionen“ saß dieser Generation die „Konkurrenz bereits auf den Fersen, respektive auf dem Nebenplatz am Kabinetts- tisch: Die jungen Wilden waren schon mit deutlich mehr Farben als schwarz-rot-braun aufgewachsen und setzten neue Themen und pflegten andere Prioritäten.“ Jutta Limbach ist „middle of the road“, schrieb damals die Zeitung „Die Woche“. Das ist si- cher ein ausgewogener Standpunkt, doch zugleich ist die Mitte der Ort, auf den alle zielen. Mit anderen Worten: Die Dame auf dem Mittelweg „stand sofort im Kreuzfeuer“ (Karin Deckenbach, Jutta Limbach. Eine Biografie, 2003, S. 65). Sie machte sich dort außerordentlich gut, war geradezu ein Naturtalent, und fand schnell Gefallen an der Politik. 6 Eine zweite Zäsur erfolgte im März 1994. Jutta Limbach wurde zur Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts und Vorsit- zenden des Zweiten Senats ernannt. Noch im selben Jahr er- folgte die Wahl zur Nachfolgerin von Roman Herzog als erste Präsidentin des Gerichts. Bis zum Erreichen der Altersgrenze im Jahre 2002 stand sie an der Spitze des Bundesverfassungs- gerichts. Rolf Lamprecht, der wohl beste Kenner des Bundes- verfassungsgerichts über viele Jahrzehnte, notierte dazu in der Festschrift zu ihrem Abschied aus dem Amt (Zur Akzeptanz des Selbstverständlichen, in: Fölster/Stresemann <Hrsg.>, Recht so, Jutta Limbach! zum Abschied verfasst für die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, 2002, S. 67, 71): „Der Gene- ralverdacht, dass einer Politikerin die Richterrobe nicht stehen könnte, war schnell entkräftet. Die Rechtsgelehrte sprach die- selbe Sprache wie ihre neuen Kollegen, sie dachte in densel- ben Kategorien und sie beherrschte - dies besser als mancher anderer - die Methode, aus These und Antithese Synthesen zu entwickeln. Kurzum: Sie fühlte sich in Karlsruhe schnell zu Hause, was daran liegen mochte, dass sie sich nur fünf Jahre in der Politik getummelt hatte - etwa die Zeitspanne, die ein Theo- retiker braucht, um seine Weitsicht durch die Brille des Prakti- kers zu schärfen.“ Jutta Limbach teilte damit eine biografische Erfahrung des Soziologen Ralf Dahrendorf: „Sie war so lange wie nötig in der Politik, um das Gewerbe zu durchschauen - und 7 so kurz wie möglich, um nicht der intellektuellen Verarmung an- heim zu fallen“. Damit war sie bestens gerüstet, um die schwersten Turbulen- zen zu überstehen, in die das Gericht seit vielen Jahrzehnten geraten war. Im Mai 1995 brach vor allem unter der bayeri- schen Bevölkerung ein Proteststurm los, weil der Erste Senat entschieden hatte, dass in bayerischen Schulzimmern das Kru- zifix abgehängt werden muss, wenn Schüler und Eltern das ver- langen (BVerfGE 93, 1). Wenige Monate später, im Oktober, führte die Entscheidung des Ersten Senats, die pazifistische Parole „Soldaten sind Mörder“ als freie Meinungsäußerung zu erlauben und nicht als Beleidigung der Bundeswehrsoldaten unter Strafe zu stellen (BVerfGE 93, 266), zu einer aktuellen Stunde im Bundestag. Die Parlamentarier der Union und der FDP reagierten gleichermaßen empört. Jutta Limbach konnte diesen Protest nicht aufhalten, sie wusste aber, was zu tun ist, nämlich eine Pressestelle am Bundesverfassungsgericht einzu- richten. Rückblickend sagte sie: „Wir erlebten immer wieder, dass, wenn das Bundesverfassungsgericht Minderheitenschutz