Prof. Dr. Jutta Limbach Ehemalige Präsidentin Des Goethe-Instituts Im Gespräch Mit Dr
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks Sendung vom 31.03.2009, 20.15 Uhr Prof. Dr. Jutta Limbach Ehemalige Präsidentin des Goethe-Instituts im Gespräch mit Dr. Johannes Grotzky Grotzky: Grüß Gott und herzlich willkommen, verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer, heute mit Jutta Limbach als Gast, zuletzt Präsidentin des Goethe-Instituts, davor Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, davor Senatorin für Justiz in Berlin und davor Professorin an der Freien Universität Berlin. Frau Limbach, herzlich willkommen. Es hätte doch auch alles ganz anders kommen können. Wenn ich mir einem frühen Berufswunsch von Ihnen vorstelle, dann säßen Sie möglicherweise an meiner Stelle, wären Redakteurin im Ressort Politik und würden Interviews führen. Warum ist das nicht eingetreten? Limbach: Das war tatsächlich mein Berufswunsch, als ich das Abitur machte. Ich war davor nämlich für ein Jahr Chefredakteurin unserer Schülerzeitung "Der springende Punkt" gewesen, die noch heute die Zeitung des Goethe- Gymnasiums ist. In dieser Zeit hatte ich also den Wunsch, politische Redakteurin zu werden. Man hatte mir empfohlen, dann sinnvollerweise Staatsrecht zu studieren, denn davon müsste eine politische Redakteurin etwas verstehen. Ich kam also an die juristische Fakultät – und mir gefiel es dort. So bin ich dann bei der Jurisprudenz geblieben. Grotzky: Sehr erfolgreich, wie wir wissen. Über Sie ist ja viel publiziert worden und Sie haben auch selbst vieles publiziert. Unter anderem habe ich von Ihnen eine sehr lesenswerte persönliche Biografie entdeckt. Ihr Elternhaus spielt darin eine sehr große Rolle. In Ihrer Familiengeschichte gab es nämlich starke Frauenfiguren: Wie weit sind Sie selbst von diesen Frauenfiguren wie z. B. der Großmutter oder der Urgroßmutter geprägt worden? Was waren das für Menschen? Limbach: Das waren wirklich sehr tüchtige Frauen. Meine Urgroßmutter war Pauline Staegemann, die im 19. Jahrhundert als eine soziale denkende Frau in der Politik in Berlin durchaus eine Rolle gespielt hat. Sie hat damals zusammen mit Emma Ihrer in Berlin den ersten "Verein zur Wahrung der Interessen der Arbeiterinnen" gegründet. Das war eine Vereinigung, die die Aufgabe des Rechtsschutzes hatte: Frauen, die im Gesinde, also als Hausangestellte arbeiteten – um diese Frauen ging es vielfach –, bekamen manchmal, wenn sie aus irgendwelchen Gründen entlassen wurden, keine Zeugnisse usw. Dafür haben sich dann eben meine Urgroßmutter und andere eingesetzt. Sie hatte eine nicht weniger politikinteressierte Tochter, nämlich meine Großmutter Elfriede Ryneck, die Mitglied der Weimarer Nationalversammlung gewesen ist und später wiederholt in den Reichstag und zum Schluss auch in den Preußischen Landtag gewählt worden ist. Sie war auch viele Jahre lang Mitglied im Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Grotzky: Das heißt, das Elternhaus hat Ihnen eine sozialdemokratische politische Prägung mitgegeben. Sie selbst sind dann ja mit dem juristischen Abschlussexamen ebenfalls in die SPD eingetreten. Taten Sie das mit dem Ziel, selbst auch politisch aktiv zu werden? Oder wollten Sie damit sozusagen nur politisch Flagge zeigen? Limbach: Im Jahr 1962 war es zuallererst der Wunsch, mich politisch zu bekennen und einer Partei anzugehören, der bereits meine Urgroßmutter, meine Großmutter und auch meine Eltern angehört hatten. Zu dieser Zeit habe ich nicht so sehr daran gedacht, selbst in die Politik zu gehen. Ich bin sozusagen eine ziemlich spätberufene Politikerin, wenn Sie daran denken, dass ich bereits 55 Jahre alt war, als ich schließlich Senatorin für Justiz des Landes Berlin geworden bin. Aber ich habe mich, das sei durchaus hinzugefügt, in meiner Laufbahn als Hochschullehrerin schon auch hochschulpolitisch betätigt. Es blieb einfach gar nicht aus in dieser Zeit Ende der 60er Jahre und während der ganzen 70er Jahre, dass man sich politisch engagierte, dass man sich vor allem auch dafür einsetzte, dass der Fächerkanon der Juristen etwas erweitert wurde, z. B. um die Rechtssoziologie. Das war etwas, wofür ich mich zusammen mit Kollegen hochschulpolitisch eingesetzt habe. Ich bin dann später auch Mitglied des Senats unserer Hochschule gewesen. Sozusagen auf kleiner Flamme war ich also auch während meiner Zeit als Professorin politisch tätig. Grotzky: Bevor wir zu ihrer wissenschaftlichen Laufbahn kommen, würde mich noch eine andere Sache interessieren. Ich habe gelesen – ich hoffe, das stimmt auch tatsächlich so –, dass Sie selbst eine reformpädagogische Schulfarm besucht haben. Das klingt ein bisschen nach Summerhill und antiautoritärer Erziehung. Was verbarg sich denn dahinter? Limbach: Ein klein bisschen war es auch so. Die Schulfarm Scharfenberg war eine Reformschule auf einer Insel des Tegeler Sees in Berlin. Diese Insel heißt Scharfenberg und stellt ein recht besonderes Biotop dar: Wilhelm Blume, der Gründer dieser Schule, hatte den Ehrgeiz, polytechnisch auszubilden, also nicht nur geisteswissenschaftliche Fächer zu vermitteln, sondern auch handwerkliche Fähigkeiten wie z. B. in der Tischlerei, im Schmiedehandwerk usw. Für uns Mädchen hat das damals bedeutet, dass auch noch Handarbeit und Schneiderei eine Rolle spielten. Und wir haben vor allem auch die wenigen Felder dort auf dieser Insel selbst bewirtschaftet: Man musste also auch während der Ferien eine Woche lang zurückkommen nach Scharfenberg, um das an Feldarbeit zu leisten, was die Jahreszeit gerade erforderte. Das war eine wunderbare Schule. Mein Vater hatte bereits davon geträumt, auf diese Schule gehen zu dürfen. Bei ihm hat das aber nicht geklappt. Aber wie Eltern nun einmal so sind: Er verwirklichte das dann bei seinen Kindern. So ging also zunächst mein Bruder auf diese Schule – und später dann auch ich. Grotzky: Würden Sie im Nachhinein sagen, dass Sie dort etwas mitbekommen haben, was Sie in einer "normalen" Schulausbildung nicht erfahren hätten? Limbach: Doch, das denke ich schon. Denn ich habe vorhin unterschlagen, dass wir auch im künstlerischen Bereich, also z. B. im Theaterspiel, in der Musik, im Tanz eine Menge miteinander betrieben und gelernt haben. Ich habe damals z. B. die Ode "An die Freude" zusammen mit den anderen Klassenkameraden gewissermaßen im Chor aufgesagt, dabei saßen wir meinetwegen draußen auf einer im Wasser liegenden Weide. Ja, das waren doch Erlebnisse, die mich in ganz besonderer Weise mit der Literatur, insbesondere mit der deutschen Literatur verbunden haben. Grotzky: Das ist ganz sicher ein wesentlicher Punkt, der auch in unserem Gespräch später noch eine Rolle spielen wird, nämlich der Punkt "Literatur und Sprache", der ja in Ihrem beruflichen Leben einen besonderen Abschluss bildete. Zunächst einmal folgte aber bei Ihnen nach dem Studium eine sehr geradlinige wissenschaftliche Karriere. Wenn ich mal für einen Moment von mir sprechen darf: Wir Geistes- und Kulturwissenschaftler haben solche Karrieren gerne bespöttelt. Bei Ihnen sah das nämlich wie folgt aus: Staatsexamen 1966, Promotion 1971, Habilitation 1972, kurz darauf Ihre erste Berufung. Aber wir haben solche Laufbahnen in ihrer Geradlinigkeit natürlich schon auch beneidet. Ich frage mich nun, ob diese ganzen studentischen Unruhen, die ja im Grunde genommen bereits 1967 begonnen haben, während Ihrer Ausbildungszeit an Ihnen spurlos vorbeigegangen sind? Limbach: Nicht im mindesten! Sie müssen zuerst einmal bedenken, dass das, was so geradlinig aussieht, bei einer Frau – und in diesem Fall sogar bei einer Familie mit drei Kindern – so geradlinig nicht vonstattenging. Meine Kollegen haben damals gelegentlich so hübsch ironisch gesagt: "Erst schreibt sie eine wissenschaftliche Arbeit und dann macht sie ein Werk mit Hand und Fuß." Das ist hübsch gesagt, verdeckt aber ein wenig das Problem, das damit verbunden war. Hinzu kam in der Tat noch diese unruhige Zeit der außerparlamentarischen Opposition, die sich ja insbesondere in der Studentenschaft niedergeschlagen hat. Ich war damals ja noch eine ganz junge Wissenschaftlerin und war gerade erst dabei, mich zu promovieren. Promoviert und habilitiert habe ich mich tatsächlich in dieser unruhigen Zeit. Gewisse Plätze in Westberlin sehe ich bis heute mit einem gewissen Lächeln, z. B. eine kleine Dorfschule in Zehlendorf, weil ich während eines großen Streiks dort meine Vorlesung über das Bereicherungsrecht vor drei mir treu gebliebenen Studentinnen und Studenten gehalten habe. Grotzky: Die anderen haben gestreikt und sind nicht gekommen. Limbach: Ja, die haben gestreikt. Das Ganze war nicht nur mit viel Unterrichtsausfall verbunden, sondern die Studentenschaft war auch in einer ganz anderen Art und Weise kritisch und darauf erpicht, dass die Hochschullehrer nicht in neutraler Haltung ihren Stoff vortrugen, sondern dass sie zu den Fragen, die die Studenten beschäftigten, auch Stellung bezogen. Wichtig war den Studenten vor allem, dass diese alte Ordinarienuniversität beendet wurde, bei der der Professor noch hoch oben thronte – denn das waren ja doch zumeist Männer und nicht Frauen – und so völlig unnahbar war, dass man ihm nicht mal eine Frage stellen konnte und schon gar nicht sagen konnte: "Halt, ich habe überhaupt nicht verstanden, was Sie da erzählen!" Als ich dann Professorin wurde, war das alles bereits völlig verändert: Ich bin in einer ganz anderen Art und Weise von den Studentinnen und Studenten herausgefordert worden. Das musste man erst einmal schwer atmend überhaupt packen. Das hat mich damals wirklich gestählt. Der akademische Unterricht hat mir dann später auch einen riesengroßen Spaß gemacht. Vielleicht ist mir auch zugutegekommen,