Sendung vom 27.6.2013, 21.00 Uhr

Robert Dornhelm Filmregisseur im Gespräch mit Hubert von Spreti

Spreti: Grüß Gott, meine Damen und Herren, willkommen zu einem neuen alpha-Forum mit einem sehr interessanten Gast. Dies aber nicht nur, weil er von weit her gereist ist – er lebt nämlich seit einigen Jahrzehnten hauptsächlich in Los Angeles. Ich darf ganz herzlich den Regisseur Robert Dornhelm begrüßen. Dornhelm: Guten Abend. Spreti: Man kann sagen, dass Sie mittlerweile ein Austro-Amerikaner geworden sind, denn Sie haben ja beide Staatsbürgerschaften. Dornhelm: Jawohl. Spreti: Gebürtig aber sind Sie eigentlich aus Rumänien, aus Temesvar. Mit Ihrer Biografie würde ich vielleicht gerne sofort beginnen, denn die ist ebenso spannend wie Ihre Filmografie. Sie sind als 13-Jähriger mit Ihren Eltern aus Temesvar nach Wien geflohen. Sie haben sogar mal gesagt: "Ich bin gar nicht geflohen, ich wurde herausgekauft." Dornhelm: Ja, ich wurde ausgetauscht. Spreti: Wie war das damals? Dornhelm: Ich wurde gegen ein paar Tonnen Schweinefleisch ausgetauscht. Spreti: Wirklich? Dornhelm: Das war ein sehr unkoscherer Deal, obwohl diese Deals über Jahrzehnte hinweg von einem Rabbiner in Amsterdam betrieben wurden. Der Deal bestand darin, dass ein überhöhter Schweinefleischpreis gezahlt wurde von den jeweiligen Verwandten aus dem Ausland, damit ihre Familienangehörigen ausreisen konnten. Denn dafür gab es falsche Pässe. Das war wirklich kein koscherer Deal. Auf diese Weise sind eben auch wir herausgekauft worden. Zum Teil saßen damals meine Verwandten sogar noch im Gefängnis in Rumänien. Mein Vater saß ebenfalls fünf Jahre im Gefängnis, um ihn sozialistisch umzuerziehen. Das ist ihnen aber nicht ganz gelungen, und am Ende hat dann doch der Kapitalismus gesiegt, indem nämlich das totalitäre Regime schlicht bestochen wurde: Es hat nach Zahlung dieses überhöhten Schweinefleischpreises Pässe ausgestellt. Denn es waren Mitglieder der Regierung, mit denen dieser Deal gemacht wurde: Das waren tatsächlich Mitglieder des Handelsministeriums, die diese Gelder "verwaltet" haben. Auf diese Weise kamen wir jedenfalls raus. Spreti: Würden Sie sagen, dass die Erfahrung dieser Emigration, dieser Flucht – denn letztlich war das ja doch eine –, einen sehr bleibenden Eindruck hinterlassen hat bei Ihnen, wenn Sie heute zurückblicken? Denn Sie haben ja auch Filme über diese Zeit gemacht, auf die wir später noch zu sprechen kommen. Sie waren damals 13 Jahre alt, da ist man schon ziemlich aufnahmefähig. Dornhelm: Ich wollte bereits ein paar Jahre später Filmemacher werden, und bin das ja auch geworden. Ich wollte dabei zuerst einmal diese Geschichte erzählen. Meine Eltern waren streng dagegen, weil sie gemeint haben: "Noch gibt es Leute, die auf diese Weise das Land verlassen wollen. Deren Chancen würdest du damit ruinieren!" Ich habe also diesen Film damals nicht gemacht. Aber vier Jahre nach unserer Auswanderung bin ich bereits auf die Filmakademie in Wien gegangen. Es war auch dort für mich völlig klar: Entweder sie lassen mich an die Akademie – denn die Mittelschule, auf der ich eigentlich war, hat mich einfach nicht mehr interessiert – oder ich wandere nach Australien aus. Ich hatte bei der Botschaft von Australien sogar schon um ein Einreisevisum angesucht. Aber es ist mir dann doch gelungen, an der Filmakademie aufgenommen zu werden. Spreti: Da waren Sie noch relativ jung. Dornhelm: Ich war noch sehr jung. Und ich bin dann auch wieder sehr früh ausgestiegen, denn mit 19 Jahren wurde ich Vater. Und deswegen hat meine Familie gesagt: "Nun, wenn du Familie hast ... Spreti: Hatten Sie keine Lust mehr oder mussten Sie dann Geld verdienen? Dornhelm: So war es. Meine Familie hat gesagt: "Wenn du Familie hast, dann musst du sie auch ernähren." Und so habe ich bereits mit 20 Jahren meinen ersten Film für den ORF inszeniert. Spreti: Sie haben ja ein gutes Jahrzehnt beim ORF gearbeitet, vor allem im dokumentarischen, im Dokumentationsbereich. Würden Sie denn sagen, dass das auch eine Art Schule war für Ihre späteren fiktionalen Arbeiten? Dornhelm: Ja, absolut. Spreti: Sie machen ja immer noch Dokumentationen und Dokumentarfilme, aber Ihren Namen haben Sie sich primär im fiktionalen Bereich gemacht. Dornhelm: Ich werde nach wie vor vom Dokumentarischen stark beeinflusst. Ich empfinde die Realität oft als viel poetischer und interessanter als die Fiktion. Ich versuche daher, zumindest das Grundgewebe meiner Filme in der Realität anzusiedeln, weil mir das einfach besser gefällt. Ich denke mir, dass man, um eine Illusion herstellen zu können, die Dinge irgendwie der Realität entnehmen sollte. Meine Helden sind nach wie vor Leute wie Vittorio De Seta und sein Film "Die Banditen von Orgosolo", den er komplett mit Laiendarstellern gedreht hat. Mich faszinieren einfach Filme, die sehr stark mit der Realität zu tun haben. Spreti: Würden Sie denn jungen Leuten, die den Fernsehfilm, den Spielfilm, die also auf jeden Fall fiktionales Erzählen im Auge haben, raten, sich zuerst einmal im Dokumentarischen so richtig schlauzumachen, und zwar jenseits der immer nötigen Recherchearbeit? Dornhelm: Ich würde sogar noch weiter gehen und fordern: Sie sollen zuerst einmal das Leben voll verstehen! Sie sollen die Hände in die Erde stecken, die Realität verstehen lernen, sollen Armut verstehen, Reichtum verstehen, das Geld verstehen usw. Sie sollen wissen, wie das ist im Leben. Und dann sollen sie aus dieser Erfahrung schöpfen. Denn nur vom Träumen und der Idee, Tarantino nachäffen zu wollen und Variationen von Tarantino-Filmen zu machen, macht man keine guten Filme. Mir kommt es nämlich so vor, als würden heute in den Filmen immer stärker andere Filme zitiert werden, statt dass Geschichten erzählt werden, die mit unserem Leben zu tun haben. Spreti: Es ist ja auch interessant, dass eigentlich ein Dokumentarfilm Ihren Weg in die USA geebnet hat, wo Sie heute ein sehr erfolgreicher Film- und Fernsehregisseur sind. Wie war das damals? Ich glaube, das war in den Jahren 1977/78 und es gab auch eine Oscar-Nominierung. Dornhelm: Ursprünglich hatte ich ja den gleichen Film schon für den ORF gemacht: einen Tanzfilm über das Kirow-Ballett und die berühmte Waganowa- Schule im damaligen Leningrad. Diesen Film hat ein Amerikaner gesehen, als ich gerade wegen eines anderen Films über Russland in Los Angeles gewesen bin. Ich habe nämlich damals noch einige Filme in der damaligen Sowjetunion gedreht. Ich war also gerade mit einem Film über den Sänger Wladimir Wyssozki in Los Angeles, der dann bei CBS in "60 Minutes", einer sehr prominenten dokumentarischen Reportagesendung, gelaufen ist, weil CBS diesen Film angekauft hat. Ein sehr reicher Mann hat mich dann besucht, während ich diesen Film über Wyssozki verkauft habe. Ich war damals wirklich noch ein armer ORF-Angestellter, denn der ORF hat seinerzeit ja so gut wie nichts bezahlt. Ich hatte dann aber die Taschen voller Geld, weil ich diesen Wyssozki-Film an die CBS hatte verkaufen können. Ich habe dann diesen Millionär ganz einfach eingeladen: Ich glaube, ich war damals gerade mal 25 Jahre alt. Er war sehr angetan davon, dass so ein junger Österreicher einen Millionär einlädt und zu ihm sagt: "Iss, was du willst, ich bezahle!" Er meinte dann, er würde gerne einen weiteren Ballettfilm von mir finanzieren und was das denn kosten würde. Da ich Geld in der Tasche hatte, war ich mutig und sagte: "Das kostet 100000 Dollar!" Das war damals viel Geld, eine wirkliche Riesensumme. Ich habe mir gedacht, dass er mich auf höchstens 50000 Dollar runterhandeln wird. Er aber sagte nur: "Gut, wohin soll ich dieses Geld überweisen?" Er hat mir dann dieses Geld tatsächlich überwiesen. Ich war dann nur ein paar Wochen später schon wieder in Petersburg bzw. im damaligen Leningrad und habe mit einem Team vom ORF einen Film gedreht. Dieser Film ist ganz schön geworden, aber er hat dann zu mir gesagt: "Wen könnten wir denn dafür engagieren, diesen Film einzuleiten, zu moderieren?" Es hieß dann, Paul Newman würde das gerne machen, weil er eine Affinität zum Ballett habe, weil er und seine Frau in Saratoga, wo sie wohnen, eine Ballettschule unterstützen. Aber dann kam plötzlich eine Pressemeldung, dass in Monte Carlo eine neue Ballettschule gegründet worden ist. Und genau dorthin gab es von Leningrad aus Beziehungen: über das Ballet Russe de Monte Carlo und über Djagilew und Nijinsky, die damals in Monte Carlo gelebt haben, zu Grace Kelly. Und Grace Kelly wiederum war die Patronin dieser Ballettschule. Ich dachte mir: "Das Nächstliegende wäre doch, Grace Kelly als Narrator zu nehmen." So bestieg ich mit einer 16mm-Kopie meines Films unter dem Arm ein Flugzeug nach Monte Carlo. Ich konnte ihr diesen Film auch tatsächlich vorführen und sie hat dann sofort gesagt, dass sie gerne bei diesem Film mitmachen würde. Spreti: War es denn schwierig, an Grace Kelly heranzukommen? Dornhelm: Das war das Einfachste auf der Welt. Das war wirklich witzig: Ich bin zum Büro von "60 Minutes" in Paris gegangen. Und über meinen Millionär- Förderer und Paul Newman und Hollywood ... Spreti: Da waren Sie praktisch in der richtigen Liga angekommen. Dornhelm: Richtig. Es hat dann sehr einfach funktioniert, Grace Kelly dafür zu gewinnen. Sie war dann auch in Bezug auf die Verträge sehr unkompliziert. Sie hat gesagt: "Ja, das gefällt mir, und meine ganze Gage wird Charity-Projekten gespendet." Sie hat sich dann aber doch sehr engagieren für diesen Film und ist mit ihm und uns zu vielen Veranstaltungen gefahren – und das Geld, das dabei eingenommen wurde, ging immer an wohltätige Einrichtungen für talentierte Kinder, die sich in allen möglichen Kunstrichtungen betätigen. Spreti: Dieser Film hieß? Dornhelm: Auf Deutsch hieß dieser Film "Die Kinder der Theaterstraße", im Original "The Children of Theatre Street". Spreti: Und diesen Film gibt es bis heute immer noch, man kann ihn sich ausleihen, man kann ihn sich bei Amazon oder wo auch immer bestellen. Dornhelm: Ja, und das nach 30 Jahren! Und er läuft auch immer wieder im Fernsehen. Er hat in einem einzigen Kino in Los Angeles alle Produktionskosten eingespielt! Aber dieser Film lief natürlich weltweit. Dieses Kino in Los Angeles war übrigens das "Laemmle": Das ist das Arthouse-Kino in Los Angeles. Dort hat der alte Herr Laemmle, dessen Vater Mitbegründer von "Universal" gewesen ist, zu uns gesagt: "Ich gebe euch die Chance, euren Film eine Woche lang bei mir zu zeigen. Aber er muss 5000 Dollar einspielen." Das war damals eine sehr große Summe für einen Film in einem Kino. Leider ist das nicht so ganz gelungen, er spielte nur gut 4000 Dollar in dieser Woche ein. Aber mit dieser Oscar-Nominierung meinte er, er gibt uns noch eine zweite Woche, weil doch die Kritiken sehr gut waren. In der zweiten Woche hat er dann tatsächlich über 5000 Dollar eingespielt. Ein Jahr später lief dieser Film immer noch in demselben Kino und hatte inzwischen alle Rekorde gebrochen. Er hat dort in diesem Kino in einem Jahr wirklich mehr eingespielt, als er gekostet hat. Spreti: Das ist eine schöne Erfolgsgeschichte, wie man sie sich eigentlich nur erträumen kann. Dornhelm: Trotzdem habe ich von diesem Film nicht einen Penny erhalten, denn die Erlöse gingen alle ganz großzügig an wohltätige Zwecke. Spreti: Aber das war immerhin der Türöffner für Hollywood, denn dann sind Sie ... Dornhelm: Nicht ganz. Die Tür hat sich zwar geöffnet, aber es kam nichts herein. Ich war dann in Hollywood und habe zwei Jahre lang nichts gemacht. Ich habe mich "nur" mit Agenten getroffen usw. Das war alles sehr nett und sehr schön, aber arbeitsmäßig war der Anfang sehr schwer – trotz der Oscarnominierung und der vielen Preise, die dieser Film gewonnen hat. Spreti: Man hört öfter, dass eine Oscarnominierung eine gewisse Schwelle für weitere Projekte darstellt: Da ist man eigentlich schon in so einem inner circle drin, aber auf der anderen Seite denken dann alle: "Den bekomme ich eh nicht mehr als Regisseur", bzw. "der ist viel zu teuer". Dornhelm: Die Wahrheit ist, dass ich für Hollywood einfach nicht tauglich war. Ich hatte für den ORF Dokumentationen und ein paar kleinere Filme gemacht, aber in der Liga von Hollywoodfilmen hatte ich bis dahin nicht gespielt. Der berühmte Agent Paul Kohner, der mich unter seine Fittiche genommen hat, hat sich um mich gekümmert, aber außer diesem einen Dokumentarfilm hatte ich ja noch nichts vorzuweisen. Er hat Ingmar Bergman vertreten, Luis Buñuel, Federico Fellini usw.: Das war wirklich die Crème de la Crème der Regiegrößen. Ich durfte quasi als Kiebitz immer mit dabei sein, aber ich durfte nicht viel reden. Ich habe aber auch Billy Wilder kennengelernt und war öfter mal bei ihm im Büro. Aber arbeitsmäßig ging da nichts. Später lernte ich dann Dino De Laurentiis und dessen Sohn Federico kennen, mit dem ich eine Firma gegründet habe. Wir haben dann nach "Kinder der Theaterstraße" unseren ersten semidokumentarischen Film gemacht, in dem es ebenfalls ums Ballett ging bzw. um Kyra Nijinsky: "She Dances Alone". Das hat aber nicht der Dino finanziert, sondern verschiedene Privatinvestoren. Es ging also erneut um Tanz und handelte von der Geschichte eines Dokumentarfilmers, dessen erster Film verbrannt war und der nun versucht, erneut einen Film zu machen. Aufgrund dieses Films habe ich dann Nurejew kennengelernt. Die Leute um ihn wollten dann einen richtigen Nijinsky-Film machen: mit Schauspielern usw. Allerdings hat bei diesem Film dann eben Herb Ross Regie geführt. Spreti: Wie war denn eigentlich dieser Wechsel für Sie? Wie haben Sie es gepackt, in den Spielfilm, ins fiktive Genre zu wechseln? In Ihrem Film "Echo Park" hatten Sie mit Tom Hulce und anderen bereits eine namhafte Riege von Schauspielern um sich versammelt. Dornhelm: Mir kam der eigene Genrewechsel immer vor wie Betrug. Auch der Wechsel des Kameramanns kam wir vor wie Betrug. Denn ich war es gewohnt, wenn mir etwas gefiel, zu meinem Kameramann zu sagen: "Wir drehen!" Und auf einmal musste ich aufs Licht aufpassen und mit dem Lichtmesser arbeiten und es musste mit dem Metermaß die Brennweite eingestellt werden usw. All das hatte es mit Herrn Kofler, meinem langjährigen Kameramann, nicht gegeben. Denn der hat sich selbst die Schärfe eingestellt und auf das Licht reagiert usw. Mir kam es vor, als hätte man mir ein ungeheures Gewicht ans Bein gebunden, mit dem ich plötzlich nicht mehr so leichtfertig tanzen konnte. Alles musste im Voraus überlegt werden. Ich bin aber ein spontaner Mensch und denke mir, dass man die Momente einfangen muss, denn die Poesie kommt plötzlich. Wenn man diese Momente also nicht erwischt, dann hat man da etwas vergeben. Ja, das war schon eine Umstellung, und es ist nach wie vor so. Jedes Mal, wenn ich ein Set verlasse, weil ich nicht drehen kann, weil z. B. so viele Autos die ganze Sache verstellen, dann ärgert mich das. Wenn ich z. B. den Einfall habe, nun in der anderen Richtung drehen zu wollen, dann bekomme ich auf einem Filmset selbstverständlich immer zu hören: "Das geht nicht! Dafür müssen wir erst den Parkplatz hinter uns räumen, wenn du in diese Richtung drehen willst. Dann müssen die Scheinwerfer anders ausgerichtet werden usw." Das heißt, das ganze Klumperts muss alles erst weggeräumt werden, damit wir halbwegs vernünftig arbeiten können. Das empfinde ich nach wie vor als eine Belästigung. Jetzt, mit den neuesten Entwicklungen auf dem Gebiet der Kameras, für die man viel weniger Licht braucht und überhaupt viel weniger Aufwand treiben muss, ist das wieder anders: Mich begeistert diese neue Entwicklung, denn es geht mir doch immer wieder um die Geschichte. Aber zu viele Leute, die zu viele Geschichten erzählen, sind natürlich auch ein Problem. Denn man bekäme diese Geschichten ja nicht mehr verarbeitet. Das ist so wie früher bei den Radiostationen: Wenn man da an der Sendereinstellung drehte, dann bekam man auf einmal Hunderte von verschiedenen Sendern rein. Und was war das Ende vom Lied? Man hört sich gar nichts mehr an oder man belässt die Sendereinstellung dauerhaft auf "Bayern 3" und dreht nicht mehr daran rum. Es ist schon ein Privileg, mit einer Geschichte an die Öffentlichkeit gehen zu können. Dass das mit Aufwand verbunden ist, ist eigentlich kein Nachteil, denn wenn das nicht so wäre, dann könnte wirklich jeder eine Geschichte erzählen. Und mit der heutigen Kameratechnik kann man das ja schon fast. Aber wenn jeder eine Geschichte erzählte, dann würde man diese Geschichten letztlich nicht mehr richtig wahrnehmen: Es wären einfach zu viele. Spreti: Ihre Kinoproduktionen waren ja letztlich sehr persönlicher Art, auch der "Unfisch" war ein bisschen schräg, auch "Echo Park" war so etwas, das man heute vielleicht als "Slacker Movie" oder als Vorläufer davon bezeichnen würde. Ich meine das nun durchaus als Kompliment: Sie sind dann doch zum Spezialisten für historische Stoffe und Zeitgeschichte geworden. Ich denke da z. B. an Ihren Zweiteiler über Anne Frank, der ja ein weltweiter Erfolg wurde. Sie hatten sich also mit der Zeit in den USA doch recht gut etabliert und konnten mit großem Budget breit angelegt arbeiten. Wie kam es, dass Sie dann doch auch wieder in Europa gedreht haben? Dornhelm: Es ist interessant, dass Sie das sagen. Denn mein Bruder, dessen Meinung ich sehr schätze, hat einmal zu mir gesagt: "Weißt du, ich erkenn dich nicht mehr. Bei deinen alten Filmen habe ich immer sofort gemerkt, dass das ein Film von dir ist. Deine alten Filme hätte ich immer sofort erkannt, weil bei ihnen immer etwas Schräges oder Ungewöhnliches oder Persönliches zu sehen war. Jetzt machst du diese große Schinken und ich erkenne dich nicht mehr." Zuerst einmal war ich schockiert und habe zu ihm gesagt: "Du meinst, meine Handschrift ist nicht mehr sichtbar?" Aber nach einiger Zeit habe ich mir gedacht: "Das ist eigentlich ein Kompliment. Denn es geht ja nicht um mich, sondern es geht um diese Geschichte." Und gerade bei großen Filmen wie "", "Zehn Gebote", "Anne Frank" oder "Krieg und Frieden" ist es ja so: Da gibt es erstens sehr gute Vorbilder und Erzähler, ob das nun Herr Tolstoi ist oder gar der Liebe Gott oder wer auch immer die "Zehn Gebote" diktiert hat. Das heißt, da geht es wirklich nicht um mich, sondern da geht es um eine allgemein gute Handschrift. Ich finde, dass die filmische Umsetzung einer solchen Geschichte so sein sollte, wie sie der originale Autor hätte haben wollen bzw. verstanden wissen wollte. Denn wir sind doch nur die Interpreten des originalen Autors. Wenn wir nicht ablenken und nicht manieriert irgendwelche Spinnereien einbauen, damit wir zeitgerecht sind, dann ist das gut. Ich finde nämlich, so eine filmische Umsetzung sollte zeitlos sein. Das ist zumindest mein Bestreben: Man sollte so einen Film in 10 oder 20 Jahren erneut anschauen können. Ich selbst schaue mir sie allerdings nicht an, denn ich bin immer wieder deprimiert, wenn ich zufällig einen Film von mir sehe. Es geht mir jedenfalls darum, dass man später, wenn man den Film anschaut, nicht gesagt bekommen muss: "Du musst bedenken, damals hat man einfach so gedreht, das war einfach so." Spreti: Wie war das z. B. bei "Anne Frank"? Denn das war ja der erste Mehrteiler von Ihnen, für die Sie inzwischen zum Spezialisten geworden sind. Dornhelm: Bei "Anne Frank" habe ich bis zum Schluss gehofft, dass man ihn absagen wird. Denn die Vorstellung, diesen furchtbaren Weg mit Anne Frank bis zu ihrem Tod gehen zu müssen, war schrecklich für mich. Ich muss ja Spaß haben beim Filmemachen. Ich habe auch gesagt: "Wenn wir drehen, dann heißt das nicht, dass wir jeden Abend mit Tränen in den Augen nach Hause gehen müssen." Denn das ist ein spielerischer Beruf, und wenn die Spielfreude abhanden kommt, dann wird das Ganze eine sehr dunkle Angelegenheit. Im dokumentarischen Bereich finde ich das richtig: Da muss man wirklich dabei sein, da muss man mit den Protagonisten solidarisch sein. Wenn man einen Film über Bergarbeiter macht, dann muss man nicht Tag und Nacht dort unten in der Mine mit den Bergarbeitern leben. Aber man muss doch irgendwie mit diesen Leuten solidarisch sein und mit ihnen mitfühlen. Wenn man hingegen Fiktion macht, wie das beim Film über Anne Frank der Fall war, dann ist das nicht so. Ich habe für meinen Umgang mit dem Team dabei sogar eine Rüge bekommen. Denn ich hatte gesagt: "Nach den Dreharbeiten trinken wir gemeinsam was und gehen gut essen." Denn wir müssen ja nicht so leben, wie unsere Figuren im Film – das ginge ja gar nicht. Und überhaupt würden wir dann nämlich vergessen, dass wir heute leben und dass wir heute anders leben. Das wäre also eine reine Scheinheiligkeit, die nicht zu akzeptieren wäre. Aus diesem Grund habe ich immer alle nach den Dreharbeiten zum Essen eingeladen – inklusive der Darstellerin der Anne, einer sehr lustigen, zwölfjährigen Engländerin. Diese Hannah Taylor Gordon stammte aus einem katholischen Konvent, d. h. sie war keine Jüdin. Mir wurde auch überhaupt der Vorwurf gemacht, dass in meinem Dachboden oben, also in diesem Versteck von Anne Frank und all den anderen, keine Juden mitspielen würden. Denn Ben Kingsley ist zwar der "Herzeige-Jude" des internationalen Films, ist aber Inder und hat überhaupt keine jüdischen Wurzeln. Auch sonst kamen in der Tat in meinem Cast nur wenige Juden vor: Es war eine "Halbjüdin" dabei und das war's schon, denn z. B. Joachim Król ist ja auch kein Jude. Aber ich besetze ja nicht nach religiöser Zugehörigkeit. Denn dafür sind das ja Schauspieler, damit sie das spielen können. Spreti: Das ist ja die Kunst des Schauspielers, d. h. er muss nicht identisch sein mit der Figur, die er spielt. Dornhelm: So ist es. Im Gegenteil, ich fand es sogar sehr gut, dass das so gekommen ist. Am Ende des Tages haben wir also immer getrunken und gefeiert. Aber eines Tages kam von Disney – dieser Film wurde von Disney produziert – eine Rüge. Sie hätten gehört, es gebe bei uns auf dem Set Champagner und wir würden Kaviarbrötchen essen. Ich habe gesagt: "Ja, das stimmt, absolut. Ich stehe dazu!" Denn es geht nicht darum, dass wir so tun, als würden wir selbst im KZ leben. Der Film "Anne Frank" war dann tatsächlich der Wechsel. Für diesen Film habe ich meinen ersten Emmy gewonnen. Spreti: Sie haben später noch einige weitere Emmy-Nominierungen bekommen. Dornhelm: Die meisten meiner Fernsehfilme sind irgendwie nominiert gewesen. Ich sage ja mit Blick auf diese Nominierungen und Preise immer Folgendes: Ich würde sofort unterschreiben, dass ich nie wieder einen Preis in Anspruch nehmen werde, wenn ich dafür die Zusage bekäme, automatisch den nächsten Film finanziert zu bekommen. Das heißt, man verwendet diese Nominierungen und Preise nur, um weitere Aufträge zu bekommen. Spreti: ... um im Rennen zu bleiben. Dornhelm: Genau so ist es. Spreti: Denn die Aufmerksamkeit für die eigene Arbeit wird dadurch einfach größer. Dornhelm: Die meisten Preise habe ich ja für den Film "Into the West" bekommen, den ich für Spielberg gemacht habe. Ich glaube, für diesen Film haben wir 14 Emmy-Nominierungen bekommen. Spreti: Eigentlich ist das ja eine ganz tolle Geschichte, von der ich selbst einige Folgen sehen konnte. Ich war wirklich begeistert davon und habe mich doch gleichzeitig gefragt, wie das geht, dass man als Österreicher mit rumänischen Wurzeln, der inzwischen ein halber Amerikaner ist, einen Film über die Vernichtung der Indianer macht, also der Ureinwohner Amerikas. Dieser Film geht ja sehr realistisch und auch sehr kritisch zur Sache und hat damals in den USA sehr viel Kritik ausgelöst, aber auch sehr, sehr viel Zustimmung. So viele Indianerfilme gibt es ja auch gar nicht, die sich kritisch mit dieser Geschichte auseinandersetzen. Dornhelm: "Indianerfilm" darf man übrigens nicht mehr sagen, denn das ist politisch nicht korrekt. Spreti: Ich weiß, aber ich fand als Kind die Indianer immer so toll, weil sie diesen tollen Schmuck hatten. Die waren viel besser und interessanter als die Cowboys. Aber das nur nebenbei. Wie war das für Sie? Das muss für Sie doch eine ziemliche Herausforderung gewesen sein. Dornhelm: Genau die gleiche Frage habe ich dem Spielberg auch gestellt: "Warum ich? Ich bin doch kein Fachmann für die amerikanische Geschichte. Wenn Sie mich diesbezüglich schulen wollen – denn ich müsste da erst noch sehr viel lernen –, dann bin ich gerne bereit, mich auf eure Kosten in die amerikanische Geschichte einweihen zu lassen." Er meinte daraufhin aber nur, er hätte von mir zwei, drei Filme gesehen und genau diese Verbindung zur Realität in meinen Filmen hätte ihn begeistert. Er hatte "Requiem für Dominik" und noch einige andere Filme von mir gesehen und meinte, diese Realitätsnähe und das Gefühl, dass das fast Dokumentarfilme seien, hätte ihm sehr gut gefallen. Denn genau so stelle er sich den Stil dieses Films "Into the West" vor. Er meinte also, ich könnte doch die dritte Episode bei diesem Mehrteiler machen. Ich antwortete ihm: "Nein, die mache ich ganz bestimmt nicht. Wenn, dann mache ich die erste." Ich hatte vorher schon einmal ein Angebot von ihm abgelehnt, als ich ebenfalls die vierte Episode eines Mehrteilers hätte drehen sollen. Ich sagte also zu ihm: "Wenn ich die Regie bei einer Serie mache, dann mache ich immer nur die erste Folge. Denn ich kann nicht andere nachmachen." Um andere nachmachen zu können, fehlt mir in der Tat das Handwerk. Spreti: Sie wollen lieber selbst die Vorlage geben. Dornhelm: So ist es. Aber das hat mit Überheblichkeit nichts zu tun, denn man braucht einfach ein anderes technisches Wissen, wenn man gewisse Dinge duplizieren soll. Ich habe dieses Wissen nicht. Spreti: Wie stark ist eigentlich Ihr Interesse an der Zeitgeschichte ausgeprägt? Sie haben vor zwei Jahren – ich glaube, das lief gerade erneut im amerikanischen Fernsehen – einen Film über Amanda Knox gemacht. Amanda Knox war ja in jüngster Zeit erneut sehr in den Zeitungen und Illustrierten dieser Welt vertreten: Das ist diese junge Amerikanerin, die in Italien wegen Mordes verurteilt worden war. In einem neuen Verfahren ist dieses Urteil jedoch aufgehoben worden und es wurde neu verhandelt. Man kann sagen, dass Sie da einen Film zur rechten Zeit gedreht haben. Aber Sie haben ja auch einen Film über Rudy Giuliani, den ehemaligen Bürgermeister von New York gemacht, der ebenfalls sehr in der Kritik stand, denn Giuliani war ja eine sehr schillernde Figur. Wie sieht eigentlich Ihr Zugang zu diesen Figuren aus? Finden Sie diese Figuren oder werden Sie von diesen Figuren gefunden? Dornhelm: Sie haben mich gefunden. Als man mich gefragt hat, ob ich gerne einen Film über Amanda Knox machen würde, habe ich zurückgefragt: "Über wen? Wer ist das?" Ich hatte wirklich keine Ahnung, weil ich mir diese Sachen in den Zeitungen nie anschaue. Ich habe dann gemeint, ich mache mich schlau, weil ich wirklich nichts davon weiß. Als ich mich damit näher beschäftigt habe, habe ich mir gesagt: "Das ist doch Camus, das ist doch 'Der Fremde'!" Wie stark diese Frau in der Öffentlichkeit präsent war und ist, war mir damals überhaupt nicht bewusst. Ich habe lediglich eine Geschichte gemacht über eine junge Frau, die verurteilt worden war, die, wie mir damals schien, zu viel Sex gehabt hatte, die Purzelbäume geschlagen hatte, nachdem ihre Freundin getötet worden war. Es gab ihr gegenüber sehr, sehr viele Vorurteile aufgrund ihres Verhaltens. Mir ist da eben "Der Fremde" von Albert Camus eingefallen. Auf diese Weise habe ich jedenfalls für mich einen Zugang zu dieser Figur gefunden. Ich habe da noch nicht gewusst, dass ich das für "Lifetime", also für das amerikanische Fernsehen machen soll, dass also der Sensationalismus, die Medienwirksamkeit, die Schlagzeilenträchtigkeit dieser Geschichte viel wichtiger sind. Spreti: "Schöne junge Frau! Sex! Abgründe!" Dornhelm: Ich habe dann einen Film mit einer tollen Besetzung gemacht, mit der ich sehr, sehr zufrieden war. Dieser Film ist auch sehr schön geworden und hat auch sehr viele Leute verärgert, was ein gutes Zeichen ist. Das Tolle dabei war: Man konnte diesen Film zeigen, nachdem sie verurteilt worden war. Denn da haben alle gesagt: "Siehst du, der Film beweist, sie war schuldig!" Dann ist sie freigesprochen worden und dieser Film wurde erneut gezeigt im Fernsehen und es hieß dann: "Siehst du, der Film hat doch eindeutig bewiesen, dass sie unschuldig ist." Es hat mich also sehr gefreut, dass man diesen Film sowohl vorher wie nachher zeigen konnte und dass beide Male die Leute gesagt haben, mein Film würde das eine bzw. das andere beweisen. Spreti: Sie haben noch einen anderen ganz berühmten sechsfachen Mörder, wie man ihn nennen darf – denn er ist ja als solcher verurteilt worden –, nämlich Udo Proksch, in einem Ihrer Filme behandelt. Es ist noch nicht so lange her, dass Sie diesen Film gedreht haben. Dafür sind Sie aber wieder ins Dokumentarische gewechselt. Dornhelm: Das ist ein rein dokumentarischer Film: Das ist sozusagen die "Udo Proksch Show". Ich habe zwar Zeichnungen animiert, habe auch versucht, eine entsprechende Filmsprache zu entwickeln, weil in diesem doch hauptsächlich "talking heads" vorkommen, die ihre Meinungen über einen Mann kundtun, der eine wirklich schillernde Figur gewesen ist. Ich habe lediglich versucht, mein handwerkliches Wissen und Können über dokumentarische Elemente einzubringen, die ich dann mit Animationssequenzen und musikalischen Elementen ergänzt habe. Interessant ist, dass die Musik zu diesem Film von einem Mann stammt, den mir der Udo Proksch seinerzeit persönlich vorgestellt hat. Dieser Mann ist mittlerweile der erfolgreichste Österreicher in Hollywood, denn er ist im Moment sogar noch erfolgreicher als Schwarzenegger. Ich meine Harald Kloser aus Vorarlberg. Er hat damals über den Udo Proksch eine positive Geschichte geschrieben und als Dank hat ihn Proksch mir vorgestellt und zu mir gesagt: "Diesen Kerl musst du als Musiker engagieren! Der ist sehr gut." Spreti: Und er macht ja mittlerweile sehr viel. Dornhelm: Ja, Kloser macht die ganzen sogenannten "disaster movies". Er hat bei den jüngsten Filmen von Roland Emmerich nicht nur am Drehbuch mitgeschrieben und diese Filme mitproduziert, sondern auch die Musik dazu gemacht. Sein nächster Film mit dem Titel "White House Down" hat bald Premiere. Er hat eine tolle Besetzung und man hofft auf viele Millionen Besucher. Sein letzter Film hat, wie ich glaube, 800 Millionen Dollar eingespielt. Harald ist also sehr erfolgreich geworden. Ihn hatte mir Udo Proksch vorgestellt. Ich habe dann auch die Musik verwendet, die er seinerzeit für den Udo Proksch gemacht hat und die den Titel trug "Blue Danube Cowboy". Diese über 30 Jahre alt Musik habe ich verwendet, um meinen Film zu vertonen. Spreti: Udo Proksch war ganz sicherlich eine zeitgeschichtliche Figur. Ich würde nun gerne einen Bogen zu den historischen Arbeiten, die Sie gemacht haben, schlagen. Ich denke mir, "Krieg und Frieden" dürfte Ihre größte Herausforderung gewesen sein – zumindest in produktionstechnischer Hinsicht. Denn da mussten sie vier mal 90 Minuten ... Dornhelm: Ursprünglich vier mal 100 Minuten! In Deutschland waren es aber nur vier Mal 90 Minuten. Spreti: Ich habe gelesen, dass Sie dabei u. a. 15000 Komparsen dirigieren mussten. War das noch einmal ein Quantensprung für Sie? Dornhelm: Bei den "Zehn Geboten" hatte ich 30000 Komparsen! Spreti: Ehrlich? Da waren es noch mehr? Dornhelm: Ja, doppelt so viele. Aber deswegen war er auch viel "billiger". Spreti: Wie geht es einem da? Fühlt man sich da wie ein Feldherr? Wie hat man sich das vorzustellen, wenn Sie diese Armeen von Komparsen organisieren müssen? Laufen Sie da permanent schreiend mit dem Megaphon durch die Gegend? Dornhelm: Wenn man mit so vielen "verirrten Juden in der Wüste" arbeitet, sollte man sich vielleicht schon wie ein Feldherr vorkommen. Aber ich bin das von Natur aus nicht. Ich werde oft gebeten, doch vielleicht Stiefel anzuziehen und eine Peitsche mitzunehmen, weil ich das angeblich brauche, wenn ich so einen riesengroßen Apparat bediene. Es ist mir aber in all den vielen Jahren gelungen, trotzdem immer noch ohne zu schreien und ohne mit der Peitsche zu drohen, die Disziplin auf dem Set aufrechtzuerhalten. Denn Disziplin braucht man in der Tat, wenn man über 1000 Komparsen pro Tag auf dem Set hat – alleine schon um sie mit Wasser zu versorgen. Auch um die Pferde zu versorgen, bedarf es schon fast einer militärischen Ordnung. Aber das machen die Regieassistenten, das ist also nicht mehr mein Bereich. Ich muss nur dafür sorgen, dass ich gute Regieassistenten und Aufnahmeleiter habe, die das in Ordnung halten. Diese Leute muss man wirklich gut auswählen. Aber dann kann man genauso gelassen und ruhig arbeiten wie sonst und muss nicht schreien. Spreti: Sie haben also nicht das Gefühl, dass Sie die künstlerische Kontrolle – das andere ist ja eine Organisations- und Strukturfrage – verlieren, sondern Sie können nach wie vor das machen, was Ihnen im Kopf vorschwebt? Dornhelm: Ja, absolut. Das ist mir gerade bei diesen großen Filmen gelungen, weil ich von Natur aus ein ruhiger Mensch bin und mich nicht sehr aufrege. Spreti: Sie sind auf dem Set eher der Fels in der Brandung? Dornhelm: Ja, es ist wirklich so, und dieses Kompliment bekomme ich ja öfter mal, dass es bei meinen Drehs so ruhig und gemütlich zugeht. Wir haben vor dem Drehbeginn ja immer ein Meeting, bei dem sich jeder vorstellt und erklärt, was er arbeitet und wie er vorhat, das umzusetzen. Ich sage den Leuten dabei immer ganz ruhig: "Ich sage euch nur eines: Es wird nicht geschrien! Der Erste, der schreit, kann sich gleich verabschieden. Wenn einer schreit, drückt er damit aus, er möchte aufgeben und wieder gehen. Ich dulde das Schreien am Set nicht. Wir sind alle intelligente Menschen, die sich ruhig unterhalten können. Wir werden ohnehin mit genug Hysterie von Schauspielern und anderen Leuten konfrontiert werden. Daher müssen wir, das Team, das verwirklichen und müssen ruhig bleiben. Wenn einer das nicht kann, dann soll er das bitte gleich sagen." Denn es gibt ja z. B. etliche sehr gute, aber auch sehr temperamentvolle Kameraleute: Die sind von Natur aus so aufgeregt, dass sie immerzu schreien. Ich sage solchen Leuten immer: "Du, ich verstehe das, aber auf meinem Set geht das nicht, weil ich das nicht will." Bis jetzt ist das auch immer gut gegangen und ich möchte das weiterhin so halten: Ich wünsche mir, eines Tages meine Karriere zu beenden, ohne auf dem Set geschrien zu haben. Spreti: Bis zum Ende Ihrer Karriere haben Sie ja noch ein wenig Zeit, wenn man Sie hier so sitzen sieht und sprechen hört. Dornhelm: Danke. Spreti: Da habe ich keine Zweifel, dass da Gott sei Dank noch einiges auf uns zukommt von Ihnen. Ihr Film über Kronprinz Rudolf war ja auch ein sehr schöner Zweiteiler, den Sie fürs Fernsehen gedreht haben. Dornhelm: Ja, im Österreichischen Fernsehen lief er als Zweiteiler, aber in Deutschland leider nur als Einteiler, was mich gekränkt hat. In Österreich war das ein sehr, sehr erfolgreicher Film, ich glaube, das war sogar der erfolgreichste Fernsehfilm seit Jahren in Österreich, was die Quote betrifft. Auch die Besetzung war sehr toll: mit Omar Sharif, mit Klaus Maria Brandauer, Max von Thun und vielen weiteren tollen Schauspielern. Spreti: Hat Sie dieser Stoff über Österreich-Ungarn wieder zurückgebracht zu Ihrer Herkunft? Dornhelm: Diesen Stoff wollte ich schon vor 30 Jahren machen, und zwar als kritische Dokumentation. Noch zu meinen ORF-Zeiten wollte ich über den Kronprinzen eine dokumentarische Geschichte machen, nämlich eine Geschichte über die Lüge. Das war bei meinem Film über den Mord an Robert Kennedy genauso gewesen: Ich habe die Morde an den Kennedy-Brüdern sogar aus zwei verschiedenen Sichtweisen behandelt, denn ich hatte ja davor auch schon einen Film über Lee Harvey Oswald gemacht. Spreti: Ihr Film über den Mord an Robert Kennedy trug den Titel "RFK". Dornhelm: Diese Vätermorde in den Ländern, in denen wir leben, die nicht aufgeklärt worden sind, haben mich immer interessiert. Auch der ermordete Kennedy war ja so eine Vaterfigur und bis heute weiß man nicht genau, was da eigentlich geschehen ist. Beim Kronprinz Rudolf war das auch so ähnlich. Man war damals eher daran interessiert, dass viele Gerüchte gestreut werden, damit die Wahrheit nie ganz herauskommt. Spreti: Sie haben soeben ein paar Namen genannt und es ist ja durchaus auffällig, dass Sie schon sehr früh sehr gerne mit berühmten Namen gearbeitet haben: angefangen mit Grace Kelly, die Sie gleich am Anfang Ihrer Karriere in den USA mit ins Boot geholt haben, bis zu Brandauer usw. Wie wichtig ist Ihnen das? Sind diese Namen eher für die Produzenten und die Geldgeber wichtig? Oder ist das etwas, was Sie sehr gerne machen, weil Sie mit Stars ganz anders arbeiten können? Dornhelm: Das ist so ähnlich wie mit den Preisen: Es ist leichter, wenn man solche Stars mit dabei hat. Viele dieser berühmten Stars haben ja nicht nur einen großen Namen, sondern sind auch wirklich sehr, sehr gute Schauspieler. Spreti: Von nix kommt nix. Dornhelm: James Woods, der den Giuliani spielt, ist ein wirklich toller Schauspieler, obwohl wir beide politisch sehr verschiedener Meinung sind. Er hat mich immer als "my communist friend" tituliert. Auch bei Grace Kelly war das so: Was die Schauspielerei betrifft, sind das so gut wie immer sehr einfache, unkomplizierte Menschen gewesen. Und trotzdem haben sie einen großen Namen. Es gibt natürlich auch die Starlets, die man nehmen muss, weil Fernsehanstalten der Meinung sind, dass man sie unbedingt braucht. Manchmal habe ich die Größe oder die Courage, ihnen abzusagen, wie ich das unlängst gemacht habe, weil ich der Meinung bin, dass sie nicht geeignet sind für die Rolle. Aber meistens ist es so: Wenn man Leute nimmt, die einen Namen haben, dann ist es leichter mit den Geldgebern, mit den Fernsehanstalten, dann ist der Film leichter zu verkaufen. Aber ich kann nicht sagen, dass ich das oft nur um der Namen willen gemacht habe. Im "Venice Project" hatte ich, wenn ich mich nicht täusche, sogar zehn große Namen – und trotzdem ist dieser Film nie richtig verkauft worden. Und zwar aus anderen Gründen. Spreti: Ja, das muss nicht immer das sichere Siegel für den Verkauf sein. Dornhelm: So ist es. Spreti: Ich würde gerne noch ein paar Worte darüber verlieren, dass Sie jetzt sogar ein bisschen das Genre gewechselt haben. Sie haben nämlich einen Opernfilm gemacht: "La Bohème" mit Netrebko und Villazón. Und zum 100. Geburtstag von Herbert von Karajan haben Sie wieder einmal eine sehr schöne Dokumentargeschichte gemacht. Wie wichtig ist Ihnen eigentlich die Oper heute? Hat das etwas mit dem Alter zu tun? Ich habe das ja an mir selbst festgestellt: Plötzlich interessiert sie mich mehr. Dornhelm: Mit Grace Kelly war es so, dass sie sehr angetan war von meinen verschiedenen Arbeiten: Sie hat mich auch unterstützt und bei zwei anderen Filmen von mir sogar die Besetzung gemacht. Ich habe dann mit ihr ausgemacht: Ab meinem 50. Lebensjahr komme ich nach Monte Carlo und jedes Jahr werde ich dort eine Mozartoper inszenieren. Denn ich liebe Mozart. Die Idee war also, dass ich das ab 50 mache. Ich bin inzwischen etwas älter geworden und mache meine erste Oper erst jetzt und dies auch nicht in Monte Carlo, sondern in Burgenland. Denn "La Bohème" war ja ein Film. Ich mache jetzt erneut, allerdings als richtige Oper, "La Bohème": auf einer riesengroßen Außenbühne in St. Margarethen in einem Römersteinbruch. Das ist eine Bühne mit an die 5000, 6000 Zuschauern. Das ist nun eine ganz andere Vorgehensweise als im Film. Beim Film ist es eher so, dass man mittels der Großaufnahme versucht, die Gefühle zu übertragen. Bei der Oper ist es hingegen so, dass die Schauspieler wie ein paar Ameisen auf einer riesengroßen Kulisse wirken – und trotzdem müssen sie die gleichen Emotionen übertragen. Das ist also eine ganz andere Vorgehensweise. Ich werde im nächsten Monat damit im Burgenland beginnen. Spreti: Ich würde nun am Ende gerne noch etwas Bestimmtes ansprechen. Sie gelten, wie ich schon erwähnt habe, als jemand, der meisterlich mit Mehrteilern, mit Eventfilmen umgehen kann. Interessant ist ja, dass Sie diese Entwicklung schon relativ früh erkannt und vorweggenommen haben. Ich muss mir ja nur einmal anschauen, wie beliebt heute diese groß produzierten Fernsehserien wie "Homeland" oder "House of Cards" usw. sind: Diese Zehnteiler werden verschlungen, die DVDs davon verkaufen sich hervorragend. War es denn auch für Sie so, dass man in diesen Formaten einfach einen größeren erzählerischen Atem ausbreiten kann als z. B. bei einem Hundertminüter im Kino? Dornhelm: Bestimmt. Bei einem Kinofilm schaut man ja bei den Details ständig auf die Uhr und sagt: "Das können wir uns nicht leisten von der Zeit her, das müssen wir zusammenfassen. Da muss ich sozusagen die Kurzschrift anwenden." Wir sind ja eh schon vom Fernsehen her gewohnt, alles nur mehr gekürzt zu sehen. Im Kino ist es schwieriger, das zu übertragen, was die Details betrifft: Da gibt es wunderbare kleine Färbungen, die man trotzdem aufgeben muss, weil die Zeit dafür nicht da ist. Wenn es im Fernsehen ein Mehrteiler ist, dann ist das anders. Aber auch hier unterscheiden sich das amerikanische und das europäische Fernsehen. Denn auch im amerikanischen Fernsehen werden die Sekunden gezählt. Die Geschichte selbst kann sich stärker ausdehnen, das stimmt, aber die Erzählform muss sich auch dort den schneller gewordenen Sehgewohnheiten anpassen. Denn die Sehgewohnheiten haben sich durch MTV und sonstige Medien, die wir alle zur Verfügung haben, sehr verändert. Der Schnitt bei einem Mehrteiler ist daher nach wie vor rasant, aber es können mehr Figuren behandelt werden, es können mehr Seitenstränge nachvollzogen werden ... Spreti: Der Zeitbogen kann natürlich auch viel größer sein. Dornhelm: So ist es, aber die Erzählform ändert sich dabei nicht sehr. Es ist also nicht so, dass wir bei einem Mehrteiler langatmiger erzählen könnten. Spreti: Das nicht, aber es gibt einfach heute viel mehr von dieser Form. Man hat da im Filmischen sozusagen eine regelrechte Romangröße hinzugewonnen. Es gibt ja sehr gute Fernsehserien, und wenn ich die mit dem heutigen amerikanischen Kino vergleiche, dann muss ich sagen, dass diese Fernsehserien eigentlich das bessere Kino darstellen. Dornhelm: Ja, absolut. Da ist viel mehr los. Ich bin in meiner Fernseharbeit mit Sicherheit weniger von außen beeinflusst worden als in meiner Arbeit für das Independent Cinema. Beim Independent Cinema wird viel mehr auf den kommerziellen Erfolg geschaut – sofern es einem überhaupt gelingt, einen internationalen Verleiher zu bekommen. Denn der Festivalweg ist ja nur einer der vielen Wege, die man da gehen kann. Aber bei einem Festival hat man im Vergleich nur ganz wenig Zuschauer. Das gilt selbst für jemanden wie Michael Haneke – trotz all seiner Oscars und Preise. Die Zahl der Zuschauer, die man mit einem Kinofilm erreichen kann, ist ja minimal im Vergleich zu den Zuschauern, die man mit einer Fernsehserie erreicht. Trotzdem ist es so, dass man beim Kinofilm viel stärker auf die kommerziellen Aussichten hin geprüft wird. Meine Erfahrungen im Independent Cinema waren also gar nicht so "independent", wie man das vielleicht hoffen mag. Im Fernsehen hingegen habe ich höchstens ein, zwei Kommentare in der Richtung bekommen: "Könnte man nicht da oder dort vielleicht ein bisschen Länge herausnehmen? Könnte hier nicht vielleicht noch eine Großaufnahme hinein, weil das sehr wirkungsvoll wäre?" Aber ansonsten habe ich beim Fernsehen keinen Einfluss von außen erfahren. Spreti: Noch eine Frage zur Beeinflussung durch die technischen Entwicklungen. Ist denn die Digitalisierung eine Chance für die Filmemacher? Oder ist das eher eine Bedrohung? Dornhelm: Das ist absolut eine Chance. Am Anfang war ich ... Spreti: Man hat ja neue Vertriebswege, andere Herstellungsmöglichkeiten. Dornhelm: Mit Sicherheit ist das eine Chance. Das ist eine ungeheure Veränderung! Als junger Mensch hatte ich immer gehofft, es würde eines Tages eine Brille erfunden werden, die zwei Kameras beherbergt und in der Mitte ein Mikrofon, damit man alles, was man sieht, auch gleich aufnehmen kann. Und ich wünschte mir eine Schreibmaschine, die zugleich die Schnittmöglichkeiten dieses Films eröffnet: Eine Schreibmaschine, mit der man während des Redens mit den Leuten bereits den Schnitt machen kann, ob man also die Bilder der Kamera meiner Brille nimmt oder andere. Während unseres Gesprächs könnte ich dann z. B. über diese Maschine angeben, dass die Bilder genommen werden sollen, die ich sehe, oder die, die Sie sehen usw. Das habe ich mir früher mal gewünscht. Aber das alles ist bereits Realität geworden. Die Gefahr ist jetzt nur, dass jeder erzählen kann, denn jeder, der das will, kann sich dieses Mediums bedienen: Heute kann jeder bereits mit seinem Handy Filme machen. Es gibt inzwischen in Frankreich wirklich ein Filmfestival für Filme, die mit dem Handy gemacht worden sind. Das Problem ist heute aber: Da es so viele Leute gibt, die so viel zu erzählen haben, stellt sich die Frage, wer sich das alles anschauen wird. Spreti: Ich glaube, dass man wieder zurückkommen wird zum echt professionellen Erzählerischen. Denn das sind alles Spielformen, die aber einen eigenen Wert haben werden. Ich glaube, das ganze Metier wird sich diversifizieren. Dornhelm: Das ist tatsächlich die Gefahr in Hollywood. Entweder ist es so, dass man mit einer der vielen, kleinen billigen Produktionen zum Sundance Film Festival eingeladen wird, wo sie aber auch nur von sehr wenigen Menschen gesehen wird. Nur einer aus dieser Reihe wird dann sozusagen ausgezeichnet und bekommt ein paar mehr Zuschauer. Oder aber man produziert diese megagroßen Schinken, die für Hunderte Millionen von Dollar gemacht werden. Denn mittlerweile kostet ja die Vermarktung mehr als die Herstellung des Produkts. Ob da ein Film zehn Millionen mehr oder weniger kostet, ist nicht mehr so sehr die Frage, denn man muss eh weltweit ungefähr 200 Millionen ausgeben für die Vermarktung dieses Films. Von daher ist es "vernünftiger", gleich ein Großprojekt zu machen, das auf alles hin geprüft wird. Das ist eine Industrie und das hat mit dem Filmerzählen nichts mehr zu tun. Aber man muss sich ja nur einmal anschauen, was die großen Herstellungsfirmen in den USA machen: Firmen wie Sony machen alle so riesengroße Schinken, weil sie wissen, wie sie so etwas verkaufen können. Und bei dieser Größenordnung lohnt sich das alles auch. Demgegenüber sind Filme, die mit 200, 300 Kopien vertrieben werden – und das war früher mal ein guter Start für einen Film – quasi von Anfang an Verlustgeschäfte. Mit so "kleinen" Filmen kann so eine Herstellungsfirma nichts verdienen. Der Aufwand, der Kopf dieser Studios ist zu groß geworden, um sich so kleine Filme leisten zu können. Das sind aber genau die Filme, die ich sehen möchte, weil sie sich irgendwie mit Fragen von Menschlichkeit oder mit Problemen unserer Zeit auseinandersetzen. Das andere sind für mich nichts als Videospiele. Spreti: Ja, das sind nur große Videospiele, hinter denen gigantische Vermarktungsmaschinen stecken. Dornhelm: Da wird wirklich alles geprüft. Da sitzt das Testpublikum mit Sensoren an den Fingern in der Vorstellung, weil man damit die Schweißproduktion, die Nervosität oder Freude anzeigt, messen kann usw. Man macht das, damit es keine Überraschungen gibt: Sie wissen also ganz genau, wo sie Geld ausgeben müssen, um auch noch die letzte Hausfrau überzeugen zu können, eine bestimmte Szene sei doch sexy und nicht macho-haft. Spreti: Ich wünsche Ihnen jedenfalls alles Gute und dass Sie weiterhin Ihre Filme machen können und nicht in diesen Strudel des Megalomanismus hineingezogen werden. Ich danke Ihnen sehr herzlich, dass Sie bei uns waren. Ihnen, liebe Zuschauer, herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und bis zum nächsten alpha-Forum, auf Wiedersehen.

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