Meer und Museum

Band 20

Polarforschung - Reisen und Forschungsarbeiten deutscher Wissenschaftler in den Polargebieten Meer und Museum

Band 20

Polarforschung – Reisen und Forschungsarbeiten deutscher Wissenschaftler in den Polargebieten

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Schriftenreihe des Deutschen Meeresmuseums 2008 Inhalt

Vorwort H. Benke S. 5

Zwanzig Ausgaben MEER UND MUSEUM: Ein Konzept findet seinen Weg G.-B. Reinicke S. 7

Antarktische Eislandschaften – Bilder einer Ausstellung im Deutschen Meeresmuseum L. Tadday S. 11

Der Fluss der deutschen Polarforschung G. Hempel S. 35

Der deutsche Walfang im Südpolarmeer – aus Wirtschaftsinteressen wird internationale wissenschaftliche und politische Kooperation K.-H. Kock und M. Scheidat S. 48

Die Geschichte der Kerguelen M. Kracke S. 57

Eine außergewöhnliche Expedition des Deutschen Meeresmuseums zu den subantarktischen Kerguelen K.-H. Tschiesche S. 75

Erkundungen auf den Kerguelen K.-H. Tschiesche S. 88

Polare marine Lebensräume und globale Klimaänderung U. Bathmann S. 104

Leben in Kälte und Dunkel – Wirbellose Tiere der südpolaren Tiefsee A. Brandt S. 114

Die stammesgeschichtliche Stellung der arktischen Rosenmöwe (Hydrocoloeus roseus) V. Sternkopf, D. Liebers-Helbig, P. de Knijff und A. Helbig † S. 123

Mit den Pinguinen in die Tiefe tauchen: Neue Erkenntnisse über das Verhalten von Pinguinen im Meer R.-P. Wilson und D. Adelung S. 133

Vögel der Antarktis – Ökologische Langzeitstudien auf Fildes Halbinsel (King George Island) H.-U. Peter, C. Braun, O. Mustafa und S. Pfeiffer S. 143

Briefmarken erzählen über polare Lebensräume und deren Erforschung S. Kruske und D. Liebers-Helbig S. 157

Das Jahr 2006 der Stiftung Deutsches Meeresmuseum H. Benke S. 168

Buchbesprechung S. Brasse S. 180

Buchbesprechung T. Schaarschmidt S. 181

Englischsprachige Zusammenfassung der Fachbeiträge S. 182

Autorinnen und Autoren dieses Bandes S. 186

Fotonachweis S. 186

3 Vorwort

Mit der Ausgabe „Polarforschung – Reisen und Forschungsarbeiten deutscher Wissenschaftler in den Polargebieten“ legt das Deutsche Meeresmuseum den 20. Band seiner Jahrespublikation MEER UND MU- SEUM vor. Bereits der Titel umreißt mit dem Foto des deutschen Forschungsschiffes „Polarstern“ im Eis den thematischen Bogen des Bandes. Es stammt aus der Fotoausstellung „Antarktische Eislandschaften“, die die Eindrücke zweier Polarreisen der Fotografin Lilo Tadday mit dem Forschungsschiff zusammenfasst. Am 2. Februar 2007 wurde die Ausstellung im Deutschen Meeresmuseum eröffnet. Sie markierte den Beginn ei- ner abwechslungsreichen Reihe von Veranstaltungen der polarforschenden Institutionen in Deutschland und weltweit, die aus Anlass des „Internationalen Jahres der Polarforschung 2007/2008“ eine breite Palette von Informationsangeboten für die Öffentlichkeit präsentieren. Die mächtige, einzigartige Schönheit der Eisland- schaften, verbunden mit historischen Übersichten ihrer Erforschung und aktuellen wissenschaftlichen Infor- mationen findet Ausdruck im aktuellen Band. Für diesen Band wurden Beiträge ausgewählt, die neben der historischen Entwicklung und den abenteuer- lichen Aspekten von Forschungsreisen in die unwirtlichen Polarregionen beispielhaft spannende Einzelheiten der Arbeitsthemen und ihre angewandten Aspekte vorstellen. Anders als viele aktuelle Publikationen zum „Internationalen Jahr der Polarforschung 2007/2008“ legt der Band bewusst einen Schwerpunkt auf Beiträge aus dem Bereich der marinen Biologie. Mit zunehmender Kenntnis der Ökosysteme hat sich ein differenziertes wissenschaftliches Arbeitsfeld entwickelt. Anhand biolo- gischer Befunde lassen sich Aspekte der großräumigen, zeitlichen Struktur und Entwicklung der Lebensräume erschließen. Diese ergänzen die Befunde z.B. ozeanografischer und geologischer Untersuchungen im Hinblick auf Veränderungen der letzten Jahrzehnte. Eine strikte Trennung der Polargebiete erfolgt ebenso wenig, wie globale Zusammenhänge der Ozeano- grafie und Klimaforschung aus den Augen verloren werden. Im Hinblick auf Auswirkungen der aktuellen Klimaveränderungen belegt der Beitrag von Bathmann, dass es deutliche Unterschiede zwischen den beiden Hemisphären gibt. Der Schwerpunkt der Beiträge liegt allerdings auf Berichten und Ergebnissen aus antarkti- schen Gebieten. Exemplarisch werden aktuelle Forschungen sowohl für biogeografische Aspekte wirbelloser Tiere der antarktischen Tiefsee, wie für Wale und Pinguine, und Ergebnisse über die Systematik holarktischer Möwenarten vorgestellt. Dabei kommt auch Rückblicken in ‚alte Zeiten’ eine erhebliche Bedeutung zu. Oft lassen frühere Ereignisse erst im Zusammenhang erkennen, wie es zu heutigen Situationen gekommen ist. Die historisch enge Verknüp- fung imperialer Machtinteressen mit klaren wirtschaftlichen Zielen macht die große Bedeutung internationaler Verflechtungen von Nutzungs- und Schutzbemühungen in den Polargebieten deutlich. Einen Schwerpunkt des Bandes bilden drei Berichte über den Kerguelen-Archipel. Das Angebot des Eig- ners eines hochseegängigen Segelkatamarans erlaubte zwei Mitarbeitern des Deutschen Meeresmuseums im Winter 2002/2003, die Inselgruppe der Kerguelen zu erkunden. Im Zusammenhang des Expeditionsberichts gibt Reiseteilnehmer Michael Kracke einen Überblick der Entdeckungsgeschichte der Inselgruppe, zusam- men mit den Berichten von Karl-Heinz Tschiesche über die Reise und den mehrwöchigen Aufenthalt auf dem Archipel. Als langjähriger Leiter des Aquariums im Deutschen Meeresmuseum beendete Tschiesche seine aktive Dienstzeit mit dieser abenteuerlichen Segelreise. Zwanzig Ausgaben MEER UND MUSEUM: Zeit für einen kleinen Rückblick und ein Resümee. Die konzep- tionelle Idee der Jahresbände hat sich über mehr als ein viertel Jahrhundert bewährt, und mit dem Lauf der Geschichte in kleinen Schritten weiterentwickelt. In der sich ändernden Medienlandschaft wird es für solche Publikationen nicht einfacher, sich zu behaupten. In diesem Sinne möchten wir auch weiterhin eine fachlich anspruchsvolle, allgemeinverständlich lehrreiche und abwechslungsreiche Jahresschrift herauszugeben, die den Besuchern des Museums zu einzelnen Themen der Ausstellungen im Haus vertiefende Informationen bietet.

Allen Autoren, die uns trotz hoher eigener Arbeitsbelastung im „Internationalen Jahr der Polarforschung 2007/2008“ Artikel für den vorliegenden Band bereitstellten, danke ich herzlich für ihre Unterstützung. Der Dank schließt die fachliche Beratung durch Professor Gotthilf Hempel ein, dessen Vorschläge und pragma- tische Hinweise zum inhaltlichen Gesicht des Bandes beigetragen haben. Der Redaktion von MEER UND MUSEUM danke ich sehr herzlich für die geleistete Arbeit.

Dr. Harald Benke Direktor des Deutschen Meeresmuseums Stralsund

5 Zwanzig Ausgaben MEER UND MUSEUM: Ein Konzept findet seinen Weg Götz Bodo Reinicke

In der Zeit von 1964 bis 1974 gab das Meeresmuseum Mit der dritten Ausgabe (1982) stellte die Reihe MEER Stralsund, zusammen mit der Greifswalder Zweigstel- UND MUSEUM das bisher letzte Hauptmotiv ihres le des Instituts für Landschaftsforschung und Natur- Konzeptes vor: die monografische Zusammenstellung schutz in Halle, jährlich einen Band der Schriftenreihe von Beiträgen über regionale Naturräume der Küsten „Natur und Naturschutz in Mecklenburg“ als Jahrbuch Mecklenburg-Vorpommerns. Das Meeresmuseum war heraus. Aber: … „Entsprechend der dynamischen Ent- von 1960 bis zur Gründung des Nationalparks „Vor- wicklung unserer Einrichtung vom Natur-Museum zum pommersche Boddenlandschaft“ 1990 die „Staatliche Museum für Meereskunde und Fischerei der DDR war Betreuerinstitution des Küstenvogelschutzgebietes In- es erforderlich, eine eigene spezifische Publikation zu seln Oie und Kirr“. Anliegen und Verpflichtung aus die- gründen. Das neue Profil des Museum hatte zur Folge, ser Aufgabe war unter anderem, das Gebiet bekannt zu dass es innerhalb des Museumswesens der Republik machen und die Arbeits- und Beobachtungsergebnisse die Aufgabe eines Fachzentrums für Meeresbiologie zu veröffentlichen. Erstmals stellten deshalb auch die erhielt. Deshalb bildet künftig die marine Biologie den beteiligten Kollegen anderer Einrichtungen als Autoren Schwerpunkt unserer wissenschaftlichen Arbeit und Übersichtsartikel für MEER UND MUSEUM bereit. der Veröffentlichungen.“ Dem Band 3 über „Das Küstenvogelschutzgebiet „In- Mit diesem kurz formulierten „Anliegen“ auf Seite 2 seln Oie und Kirr“ folgten Bände über den „Greifswalder erschien 1980 der erste Band einer neuen Publikation Bodden“ (Band 5, 1989), „Die Wismar-Bucht und das des Meeresmuseums Stralsund. Der Band sollte nach Salzhaff“ (Band 13, 1997), „Die Darß-Zingster Bodden“ rund 30 Jahren Aufbauarbeit „die zahlreichen Freunde, (Band 16, 2001) sowie „Strelasund und Kubitzer Bod- Interessenten und Fachkollegen im In- und Ausland den“ (Band 18, 2005). Diese Monografien, besonders über die Geschichte, die Arbeitsprinzipien und den ältere Ausgaben, sind inzwischen wegen des detail- bisher erreichten Entwicklungsstand des Meeresmuse- lierten regionalen Focus und der teilweise alten Daten- ums informieren“. Die Planung sah für spätere Bände grundlagen geschätzte Referenzpublikationen, einige „Ergebnisse der wissenschaftlichen Arbeit, Berichte frühe Ausgaben sind bereits nicht mehr lieferbar. über meeresbiologische Expeditionen, Übersichten der bedeutendsten Sammlungsbestände und Erfahrungen An den museologischen Schwerpunkt des ersten auf dem Gebiet der Meeresaquaristik“ vor. Bandes knüpfen ebenfalls weitere Ausgaben an. Mit Band 4 legte Sonnfried Streicher 1986 seine Disserta- Mit diesen wenigen Sätzen war das Konzept umris- tionsschrift über das „Meeresmuseum Stralsund – ein sen, mit dem Museumsdirektor Sonnfried Streicher Beispiel für den Profilierungsprozess der naturwissen- 1980 begann, eine allgemeinverständliche Hauspubli- schaftlichen Museen in der DDR“ vor. Band 6 (1990) kation des Meeresmuseums heraus zu geben. In Zu- beschreibt „Das Meeresmuseum Stralsund von 1982 sammenarbeit der damaligen Autoren des Kollegiums bis 1988“, „Das Meeresmuseum in den Jahren 89/90“ Erika Hoppe, Ute Mascow, Gerhard Schulze, Horst resümiert ein Beitrag im Band 7 (1991). In dieser Schröder, Karl-Heinz Tschiesche und Rolf Reinicke Reihe folgt im Band 8 (1992) das Thema „Schnecken, wurde der erste Band von MEER UND MUSEUM mit Muscheln, Kopffüßer – über Weichtiere aus dem dem Titel „Das Meeresmuseum Stralsund – Entwick- Meeresmuseum“ und stellt anhand dieser Tiergruppe lung, Aufgaben, Arbeitsergebnisse“ veröffentlicht. wissenschaftliche Ergebnisse und Arbeiten über die Mit den vorwiegend museumsbezogenen Beiträgen Ausstellungen und Sammlungen des Hauses vor. repräsentiert die Ausgabe die erste von drei inhalt- lichen Säulen des Konzeptes der neuen Publikation. Ausführlich aktuelle Beschreibungen der Ausstellungen und Aquarien des Meeresmuseums wurden in Band 10 Der nächste Band (1981) über die „Acropora“- (1994), wiederum vom Kollegium, zum 65. Geburtstag Expeditionen 1976 und 1979 stellte die zweite inhaltli- des Museumsdirektors Sonnfried Streicher erarbeitet. che Säule des Konzeptes vor. Sie umfasst Ausgaben Der Band wurde unter dem Titel „Ins Meer geschaut, über einzelne Schwerpunktthemen aus den aktuellen das Meer erlebt“ bis 2004 als Museumsführer angebo- wissenschaftlichen Arbeitsfeldern der Meeresfor- ten, und erreichte mit der Erstauflage von 15 000 Ex- schung. Die Berichte der beiden Sammelexpeditionen emplaren und zwei Nachdrucken eine Gesamtauflage ins Rote Meer wurden wiederum vom Museumskolle- von weit über 20 000 Exemplaren. Er erschien 1998 gium erarbeitet. auch als vollständige englische Übersetzung unter

6 7 dem Titel „Delving into the Depths of the Sea“ (Auflage mar-Bucht und das Salzhaff“), Helmut Schuhmacher 5 000 Exemplare). (Band 14 „Korallenriffe“), Gotthilf Hempel (Band 15 „Die Zukunft des Weltmeeres“), Günther Schlungbaum Die abwechslungsreiche Folge der Ausgaben zu ein- (Band 16 „Die Darß-Zingster-Bodden“) und Gerhard zelnen Schwerpunktthemen begann mit Band 2 (1981). Schulze, der die Ausgabe über den Museumsgründer Es folgten Bände über „Herrmann Burmeister“ (Band Otto Dibbelt übernahm (Band 19). 9, 1993), über Meeressäuger in der Ostsee (Band 11, 1995), über „Telemetrie und Tiefseeforschung“ (Band Gemeinsam ist den meisten Ausgaben von Anfang 12, 1996), „Korallenriffe“ (Band 14, 1998), „Fische an eine rückblickende Rubrik der Jahresberichte, die und Fischerei in Nord- und Ostsee“ (Band 17, 2003) „Aktuelles aus dem Meeresmuseum“, oder „Aus dem sowie der vorliegende 20. Band zum Thema „Polar- Meeresmuseum“ betitelt waren. Nach der Pensionie- forschung“ aus Anlass des „International Polar Year“ rung Sonnfried Streichers fasste ab Band 12 (1997) (IPY, 2007/2008). Die Ausgabe über den Museums- Harald Benke als neuer Direktor und Herausgeber die gründer „Otto Dibbelt und die Entstehung des Natur- wesentlichen Ereignisse des jeweils zurückliegenden museums in Stralsund“ (Band 19, 2006), schlägt den Museumsjahres zusammen – zunächst unter der Über- Bogen zurück zur ersten Säule des Konzeptes, den schrift „Das Jahr 1996 der Stiftung Deutsches Museum museumsbezogenen Arbeiten. für Meereskunde und Fischerei“, dann seit 1999 unter dem Titel „Das Jahr 1998 der Stiftung Deutsches Mee- Ein wenig Statistik: Bisher erschienen 20 Ausgaben resmuseum“. Immer fand sich dabei Gelegenheit, in mit insgesamt 2274 Seiten, durchschnittlich 114 angemessener Form den Mitarbeiterinnen und Mitar- Seiten pro Band. 295 verschiedene Beiträge wurden beitern sowie den vielen anderen Kollegen und Freun- von über 170 verschiedenen Autoren geschrieben, den Dank abzustatten, die sich in vielfältiger Form für der umfangreichste dürfte Sonnfried Streichers Dis- das Deutsche Meeresmuseum engagierten. sertation im Band 4 sein. Als Autoren traten Gerhard Schulze (25 Beiträge), Rolf Reinicke (18), und Horst Viele Köpfe haben zur Entwicklung von MEER UND Schröder (16) am häufigsten auf. Alle Bände sind mit MUSEUM beigetragen. Zunächst auf den Schreib- zahlreichen Fotos, Grafiken und Karten ausgestattet, tischen, später auch auf den Monitoren der koordinie- oft über 100, mitunter sogar über 200 Stück. So ent- renden Redakteure liefen und laufen die vielen Beiträ- halten die Bände 1 bis 20 die beachtliche Anzahl von ge zusammen. Nacheinander haben Horst Schröder, 2 280 Fotos und 818 Grafiken und Karten. Mit beson- Gerhard Schulze, Ralf Thiel und Götz-Bodo Reinicke ders zahlreichen eigenen Fotos sind daran wiederum diese Aufgaben übernommen. Sie wurden dabei in Horst Schröder (404) und Rolf Reinicke (184) sowie gestalterischen und technischen Aufgaben u.a. von Karl-Heinz Tschiesche (154) beteiligt. Roland Heppert, Dagmar Puttnies und Heide Rutzke unterstützt, die die Grundkonzeption für die Gestal- Zu DDR-Zeiten war die Schriftenreihe ein Verkaufs- tung des Heftes, der Grafik und des Layouts erarbeitet schlager. Trotz Auflagenhöhen von 5 000 bis 10 000 und umgesetzt haben. Redaktionelle Unterstützung Stück waren die ersten Bände bald vergriffen. Nach übernahmen zeitweise Joachim Wagner, Gerhard 1990, als solch ansprechende Publikationen nichts Schulze, Rolf Reinicke und Sonnfried Streicher. Mit Ungewöhnliches mehr waren, wurde die Auflage auf den modernen Computersatztechniken änderten sich 2 000 heruntergesetzt, und für die aktuelle Ausgabe diese Aufgaben, auch das Design der Bände wurde in auf 1 000 reduziert. Im gegenseitigen Schriftentausch kleinen Schritten kaum merklich weiter entwickelt. werden die Bände jährlich an 255 Einrichtungen ver- schickt, davon 102 in 41 anderen Ländern. Der besondere Dank des Deutschen Meeresmuseums gilt an dieser Stelle allen Autorinnen und Autoren, die Die meisten Ausgaben von MEER UND MUSEUM mit ihren Beiträgen den reichen Themenbogen des sind durch einen klaren inhaltlichen Schwerpunkt jährlichen Museumsheftes geschaffen haben. Gleich- gekennzeichnet. Gleichwohl lassen sich nicht immer zeitig geht Dank auch an alle helfenden Kolleginnen, alle Beiträge unter einem Oberthema ordnen, es sei die die oft langwierigen Schreib-, Layout- und Korrek- denn, das Thema ist so allgemein formuliert wie im turaufgaben verlässlich abgearbeitet haben, darunter, Band 15 über „Die Zukunft des Weltmeeres“ (1999), stellvertretend für alle Beteiligten, Brigitta Vogt, Ines der die Beiträge zur zentralen Vortragsveranstaltung Westphal und Sylvia Zielke. in Deutschland zum „Internationalen Jahr des Ozeans In der Gesamtschau (Abb. 1) spiegelt die Entwicklung 1998“ zusammenfasste. der Reihe, die Auswahl der Themen wie die Gestaltung, In einigen Fällen konnte die Redaktion auf die Unterstüt- den rasanten, teils tief greifenden Wandel und die Ent- zung durch Gasteditoren zurückgreifen, die die Verant- wicklung der Arbeit des Deutschen Meeresmuseums wortung des Fachlektorats übernahmen und durch ihre während der 27 Jahre seit der ersten Ausgabe wieder. Moderation ein kompetentes Autorenteam einbanden. Die Bände sind mit der Zeit umfangreicher geworden, Zu nennen sind hier Fritz Gosselck (Band 13 „Die Wis- die 70 bis 80 Seiten der ersten Ausgaben sind auf teil- Abb. 1: Zusammenstellung aller Titelseiten der zwanzig Ausgaben von MEER UND MUSEUM in den Jahren 1980 bis 2007.

8 9 weise über 200 Seiten angewachsen. Mit der Verfüg- Verzeichnis der bisher erschienenen Bände: barkeit leistungsfähigerer Druckereitechnik bestimmten Antarktische Eislandschaften – Bilder einer seit Anfang der 1990er Jahre zunehmend farbige Fo- Band 1 - Das Meeresmuseum Stralsund – Entwick- tos und Abbildungen Charakter und Erscheinungsbild lung, Aufgaben, Arbeitsergebnisse. 1980, 64 Sei- Ausstellung im Deutschen Meeresmuseum der Jahrespublikation. Ein Wandel des zunächst lange ten, 130 Abbildungen (vergriffen). Jahre schwarzen Einbandes zu einem blauen Heft er- Band 2 - „Acropora 1976 und 1979“, zwei meeresbi- Lilo Tadday folgte 2003 mit der Übernahme der Redaktion durch ologische Sammelreisen ins Rote Meer. 1981, 72 Ralf Thiel. Ebenfalls seit 2003 erlauben englische Kurz- Seiten, 187 Abbildungen (vergriffen). zusammenfassungen auch internationalen Lesern eine Band 3 - Das Küstenvogelschutzgebiet „Inseln Oie inhaltliche Übersicht. und Kirr“. 1982, 80 Seiten, 145 Abbildungen (ver- griffen). Gemeinsam ist allen bisher erschienenen Ausgaben die Band 4 - Das Meeresmuseum Stralsund – ein Beispiel weit reichende Beibehaltung des ursprünglichen Kon- für den Profilierungsprozeß der naturwissenschaft- zeptes von MEER UND MUSEUM. Bei aller inhaltlichen lichen Museen in der DDR. 1986, 80 Seiten, 145 Breite hat es sich über 27 Jahre bewährt, eine fachlich Abbildungen (vergriffen). anspruchsvolle Publikation für Museumsbesucher und Band 5 - Der Greifswalder Bodden. 1989, 104 Seiten, interessierte Laien zu schaffen. Das Format eines Jah- 184 Abbildungen. resbandes steigert zwar den Umfang, erweitert jedoch Band 6 - Das Meeresmuseum Stralsund von 1982 bis die Reichweite und Dauerhaftigkeit der Bände im Ver- 1988 und Beiträge aus seinem Wirkungsbereich. gleich zu monatlichen Mitteilungsblättern. Zeitgemäße 1990, 68 Seiten, 101 Abbildungen (vergriffen). technische Fortschritte wurden konsequent genutzt, Band 7 - Mit Beiträgen aus Meeresmuseum und Mee- um die Jahresbände zu einem repräsentativen Medium resaquarium, über das Salzhaff und die Wale an der wissenschaftlichen Öffentlichkeitsarbeit des Deut- der Küste Mecklenburg-Vorpommerns. 1991, 64 schen Meeresmuseums in der deutschen Forschungs- Seiten, 85 Abbildungen. landschaft zu entwickeln. Band 8 - Schnecken, Muscheln, Kopffüßer – über Kopffüßer aus dem Meeresmuseum. 1992, 88 Sei- ten, 131 Abbildungen. Ausblick Band 9 - Herrmann Burmeister - ein bedeutender Naturwissenschaftler des 19. Jahrhunderts. 1993, Die Zeit geht weiter. Inzwischen sind die ersten vier 100 Seiten, 111 Abbildungen. Bände und Band 6 vergriffen und nur noch in Bibliothe- Band 10 - Ins Meer geschaut, das Meer erlebt. 1994, ken zu finden. Trotzdem werden gerade aus den älteren 68 Seiten, 102 Abbildungen. Ausgaben vermehrt Beiträge nachgefragt, die anders- Band 11 - Die Strandung der Entenwale 1993 bei Hid- wo nicht verfügbare Beobachtungen oder Messdaten densee. 1995, 88 Seiten, 113 Abbildungen. präsentieren. Gleichzeitig weisen aber die sinkenden Band 12 - Telemetrie und Tiefseeforschung im Meer. Verkaufszahlen auf die Fülle konkurrierender Publikati- 1996, 100 Seiten, 132 Abbildungen. „Fram“ onen, wie auch neuer Medien wie das Internet hin. Mit Band 13 - Die Wismar-Bucht und das Salzhaff. Warn- dem OZEANEUM wird eine Ausweitung des Verkaufs signale aus der Ostsee. 1997, 130 Seiten, 144 Ab- von MEER UND MUSEUM angestrebt, auch Koope- bildungen. rationen mit Partnereinrichtungen werden in diesem Band 14 - Korallenriffe – bedrohte Wildnis tropischer Zusammenhang weiter entwickelt. Meere. 1998, 110 Seiten, 182 Abbildungen. Band 15 - Die Zukunft des Weltmeeres. 1999, 92 Sei- Für die kommenden Jahre befinden sich neue Themen ten, 113 Abbildungen. in Vorbereitung, die die drei konzeptionellen Säulen der Band 16 - Die Darß-Zingster-Bodden - Monographie jährlichen Schriften der Stiftung Deutsches Meeresmu- einer einzigartigen Küstenlandschaft. 2001, 202 seum weiter tragen sollen: Nach einem Band über die Seiten, 219 Abbildungen. „Vögel von Hiddensee“ sind Bände über das „Projekt Band 17 - Fische und Fischerei in Ost- und Nordsee. OZEANEUM“, über „Peenestrom, Achterwasser und 2003, 230 Seiten, 199 Abbildungen. Oderhaff“ sowie über die „Sammlungen des Deut- Band 18 - Strelasund und Kubitzer Bodden. 2005, schen Meeresmuseums“ geplant. 219 Seiten, 271 Abbildungen. Das Internationale Polarjahr 2007/2008 wurde im Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung Band 19 - Otto Dibbelt und die Entstehung des Natur- Deutschen Meeresmuseum am 2. Februar 2007 (AWI) eingeladen, sich als „artist in residence“ an Museums in Stralsund. 2006, 123 Seiten, 150 Ab- mit einer Fotoausstellung über antarktische Eis- Bord der „Polarstern“ einer Fahrt in den antark- Danksagung bildungen. landschaften eröffnet. tischen Herbst anzuschließen. Im Juni 2006, im Band 20 - Polarforschung – Reisen und Forschungs- antarktischen Winter, begleitete sie erneut eine Für seine sorgfältige Durchsicht und detaillierte Bera- arbeiten deutscher Wissenschaftler in den Polar- Die Fotografin der Bilder, Lilo Tadday, lebt und Expedition zur Erforschung des Krill. Die auf die- tung dieses Beitrages danke ich Horst Schröder, dem gebieten. 2007, 190 Seiten, 227 Abbildungen. arbeitet auf der Nordseeinsel Helgoland, wo sen beiden Reisen entstandenen Bilder wurden langjährigen verantwortlichen Redakteur von MEER sie auch ihre Galerie in der Hummberbude 36 analog mit Nikon F90 X und digital mit Nikon UND MUSEUM. betreibt. Im Jahr 2001 wurde sie vom Alfred- D200 aufgenommen.

10 11 Jenseits aller Maßstäbe …

…wollte ich die Strukturen des Eismeeres erfassen:

FS Polarstern

Forschungsschiff „Polarstern“ In dieser Sekunde kalbt ein Gletscher am südpolaren Und doch schwingt bei diesen Bildern eine weitere Seit ihrer Indienststellung 1982 hat die „Polar- 41 – 44 Mann Besatzung, 50 Wissenschaftler; Kontinent und wandelt sich zum Eisberg. Ist es Zufall Dimension der Natur mit, die über den experimentell stern“ 32 Expeditionen in Arktis und Antarktis 9 Laboratorien, Bibliothek, Bordrechnernetz, Tief- oder Takt in einer für uns nicht fassbaren Ordnung? signifikanten Datensatz hinaus geht. abgeschlossen. Sie wurde eigens für die Arbeit kühlanlagen, Aquarien, Laderäume; Schiebebalken, Die Sonne bricht sich im Eis und das Meer reflektiert Als Fotografin experimentiere ich im ursprünglichen in den Polarmeeren konzipiert und ist derzeit das Kräne, A-Rahmen, div. Winden; Bordwetterwarte, eine Lichtpracht, die jenseits aller optischen Gesetz- Sinne: Experimentieren heißt erfahren. leistungsfähigste Polarforschungsschiff der Welt. Hubschrauberbasis. mäßigkeiten zu stehen scheint. Ich habe die unendlich erscheinenden Weiten des Südpolarmeeres erfahren, und zuweilen erschien mir Technische Daten: Bau: 1981/82 bei Howaldtswerke / Deutsche Werft, Dramatische Naturphänomene sind mir von meiner unser Anspruch vermessen, die ungezähmte Natur Länge 118 m, Breite 25 m, Tiefgang 11 m, Ver- Kiel; Werft: Nobiskrug, Rendsburg; Eisbrechkon- Wahlheimat Helgoland, mitten in der Nordsee, nicht wissenschaftlich verstehen und letztendlich beherr- drängung 17 300 BRT, 20 000 PS, 12 (max.16) kn; zept: Hamburgische Schiffbau-Versuchsanstalt unbekannt. schen zu wollen.

12 13 Auf der Brücke Eiswasserwelle

17. Juni 2006: Im Laufe von zwei Reisen mit dem deutschen Der Wind ist noch warm, als die „Polarstern“ am und schließlich, nachts, kommt der erste Orkan. Forschungseisbrecher „Polarstern“ in die Gewäs- späten Abend die Bucht am Kap der Guten Hoff- Während der Bug zuerst noch in die Wellen taucht, ser der Antarktis hatte ich Gelegenheit, die Arbeit nung verlässt. An den langen Schwell der Dünung schlagen bald in türkisgrün aufschäumender und das Leben an Bord im antarktischen Herbst und das Schaukeln des Schiffes muss ich mich Gischt gewaltige Eisbrocken an Deck. und Winter kennen zu lernen… erst gewöhnen. Von Tag zu Tag wird es grauer,

14 15 Steuerbord In Wolken über Eis

Wir fahren durch junges, immer dicker werdendes Meereis. Wenn sich die Eisschollen zu meterhohen Barrieren auftürmen, muss das Schiff zurücksetzen Im Eisfeld und Schwung holen, um sich Bahn zu brechen.

16 17 Unsere Fahrt führt an unzähligen Eisbergen vorbei, gefrorenen Festungen gleich, welche die schnee- bedeckte Eisfläche überragen. Spalten ermögli- chen bizarre Einblicke in das türkisfarbene Innere der Giganten, ausgehöhlt und abgeschliffen von der unwiderstehlichen Gewalt wirbelnder Wasser.

18 19 Sog Über dem Gletscher

Eistor Auf Jubany

20 21 Gestrandet vor Rothera Zweigeteilt

22 23 Im Strudel der Zeit Pfannkucheneis

24 25 Nilas I Nilas I

Neu ausgefrorenes Meereis wird durch Strömung Die Eismeerfläche reflektiert das Licht der unter- und die Gezeiten fingerförmig zusammengescho- gehenden Sonne. ben (finger rafting).

Nilas II Nilas II

26 27 In alle Richtungen erstreckt sich über Hunderte von Kilometern weiße Wildnis. Hubschrauberflüge, Schlauchbootfahrten, „Landgänge“ auf Eisschol- len – von weitem wirkt die „Polarstern“ mit ihren erleuchteten Fenstern und ihrer stahlummantelten Der antarktische Winter ist gar nicht so dunkel wie Wärme verletzlich und verlässlich zugleich. Urein- befürchtet. wohner der Antarktis, wie Pinguine und Robben, Farbenprächtige Sonnenauf- und -untergänge über kommen aus großer Entfernung, um die merkwür- dem eisbedeckten Meer, das alles Restlicht reflek- digen Riten der Fremden zu beäugen. tiert, schaffen einzigartige Lichtverhältnisse.

28 29 Mondberg Im Licht

Aus Seenebeln und niedrigen Wolken steigt der Mond und legt einen bläulichen Glanz über das kältestarre Panorama.

30 31 Nachtfahrt Abschied

„Einen Anblick von nur annähernder Großartigkeit erinnere ich mich nicht, jemals gehabt zu haben. Jeder Augenblick bringt eine überraschende Die Antarktis wirkt raumlos, maßlos und menschen- Szene, zaubert ein neues Naturwunder herbei, und feindlich. Nach wochenlangem Aufenthalt in Kälte mit Staunen irrt das Auge von einem Punkt zum und Dämmerung freuen wir uns auf Wärme und anderen.“ Licht, wenn auch die Trennung von dieser frostigen und doch so wundersam lebendigen Welt schwer Karl Koldewey, Leiter der ersten beiden deutschen fällt. Geheimnisvoll leuchten die Eisberge zum Polarexpeditionen 1868 und 1869/70. Abschied.

32 33 Der Fluss der deutschen Polarforschung Gotthilf Hempel

Meine Fotoarbeiten, die auf Reisen in vielen Ländern Am 10. Juni 1991 trafen sich die ostdeutschen Ant- Im Folgenden werden die einzelnen Stromab- der Welt entstanden, empfinde ich wie Knoten in arktisüberwinterer zum letzten Mal im Kinderlager schnitte beschrieben und die Entwicklung der einem Netzwerk, dessen Fäden – Erlebnisse, Begeg- der Akademie der Wissenschaften der DDR in Gar- Polarforschung während der deutschen Teilung nungen, Stimmungen – von meiner Galerie im Helgo- witz – nun aber mit ihren westdeutschen Kollegen. und Wiedervereinigung etwas näher betrachtet. länder-Hafen aus unseren Planeten umspannen. Damals verglich ich die deutsche Polarforschung mit einem Fluss, der im letzten Drittel des 19. Jahr- hunderts entsprang und Anfang des 20. Jahrhun- Die frühe Erschließung der Nordpolarländer derts kräftig strömte. Zwischen den Weltkriegen versiegte der Fluss in der Antarktis beinahe – ab- Mit dem Untergang der Grönland-Wikinger waren im gesehen von der Schwabenland-Expedition, wäh- Mittelalter die Kontakte Europas zu Grönland erlo- rend die Grönlandforschung unter Alfred Wegener schen. Sie wurden wieder aufgenommen, als gegen LILO TADDAY einen Höhepunkt erlebte. In den Jahrzehnten der Ende des 16. Jahrhunderts Seefahrer vergeblich Aufgewachsen im badischen Karlsruhe, dort Aus- Teilung Deutschlands teilte sich der Fluss in zwei nach einer Nordwestpassage nach Asien suchten. bildung zur Fotografin, lebt und arbeitet heute auf Arme: der westliche war bis 1975 nur ein dünnes Sie entdeckten dabei jedoch große Walherden. Eng- Helgoland. Ihre Galerie in der Hummerbude 36 wird Rinnsal, entwickelte sich dann aber zu einem immer länder, Holländer und Dänen, gefolgt von Deutschen, als kleinste Fotogalerie Deutschlands bezeichnet breiter werdenden Strom, besonders in der polaren begannen vor Westgrönland einen lukrativen Walfang (FAZ, Hamburger Abendblatt). Mitglied der DGPh Meeresforschung, während der östliche Arm bereits (vgl. Beitrag von Kock und Scheidat). Bald brannten (Deutsche Gesellschaft für Photographie). seit 1959 mit sowjetischer Unterstützung stetig an- Europas Lampen mit Waltran, und die Damen der schwoll. Nach 1989 flossen die beiden Arme schnell Gesellschaft wurden vom Fischbein, d.h. den Barten Fotoreisen u.a.: wieder zusammen, die westlichen und östlichen der Glattwale, in Façon gehalten. Im 18. Jahrhun- 1991/92 USA und Kanada Stromfäden blieben aber jahrelang erkennbar. dert waren die Glattwalbestände zuerst in Spitzber- 1996 Uganda, Deutsches Aussätzigenhilfswerk gen, dann in Westgrönland erschöpft. Das Eis in der (DAHW) Davisstraße breitete sich nach Süden aus. 1777 gin- 1997 Philippinen, Deutscher Entwicklungsdienst gen 100 Schiffe im Eis verloren. Im 19. Jahrhundert (DED) löste der Robbenschlag den Walfang ab. 1998 Uganda, Auftragsarbeit DAHW 1999 Sri Lanka, Auftragsarbeit GTZ Durch den Walfang kam es zu Handelskontakten 2001 Antarktis, Marguerite Bay, Alfred-Wegener- mit den Inuit, auch retteten sich Überlebende der Institut (AWI) im Eis zerdrückten Schiffe an die Küste. Sie berich- 2005 Indien, Ladakh-Leh (Himalaya) teten daheim viel Interessantes und Freundliches 2006 Antarktis, Lazarew-See (AWI) über die Inuit. Zu den „edlen Wilden“ gingen im 18. Jahrhundert Missionare, vor allem Laienprediger der Herrnhuter Brüdergemeinde. Manche von ihnen erforschten und pflegten die grönländische Kultur. So schrieb Samuel Kleinschmidt die erste brauch- bare grönländische Grammatik und ein vorzügliches grönländisch-dänisches Wörterbuch. Ausstellungen Mit den Missionaren kamen deutsche Forscher 1988 Hamburg 2003 China, Tianjin ins Land, z.B. 1761 David Cranz, der Autor der 1989 Karlsruhe 2003 Karlsruhe-Durlach „Historie von Grönland“. 50 Jahre später betrieb 1996 Frankfurt 2004 Helgoland Karl-Julius Giesicke im Auftrage der dänischen 1997/98 Uganda (Kampala) 2005 Hamburg, Bremerhaven, Bremen Krone auf Grönland geologische Studien auf der Suche nach Bodenschätzen. Die zweite deutsche 1999 Berlin 2006 Helgoland Nordpolarexpedition 1869/70 der „Hansa“ und 2001 Hamburg 2007 Stralsund „Germania“ erforschte die Küste Ostgrönlands. 2002 Bremerhaven 2007 München-Eching Hummerbude 36 2002 China, Tianjin 2007 China, Tianjin Telefon & Fax Den wichtigsten deutschen Beitrag zur Erfor- priv. 0 47 25 / 2 17 2003 Hamburg schung Grönlands leistete der Geophysiker Abb. 1: Alfred Wegener fand im November 1930 auf dem grönlän- Alfred Wegener (Abb. 1). 1906 bis 1908 nahm er www.tadday-foto.de · [email protected] dischen Eis den Tod. Untrennbar ist sein Name mit der Theorie der als 26-Jähriger an einer dänischen Expedition Kontinentalverschiebung verbunden. Ähnlich wie Fridtjof Nansen in das noch unbekannte Nord-Ost-Grönland teil war Alfred Wegener ein genialer Wissenschaftler und zugleich ein und führte meteorologische Messungen mit Flug- kühner, aber wohlorganisierter Entdeckungsreisender. drachen und Fesselballons durch, wie es zuvor

34 35 von Drygalski 1902 vor der antarktischen Küste den Einfluss Grönlands auf die Zugbahn der nord- Die Erforschung des Nordpolarmeeres – tat. Seitdem war Wegener der Arktis verfallen. atlantischen Tiefdruckgebiete verstehen und da- Deutsche Beiträge bis zum Zweiten Weltkrieg 1912/13 folgte seine zweite Expedition, wieder mit die Wettervorhersage für Europa verbessern gemeinsam mit dänischen Kollegen. Sie brachte und den schon damals ins Auge gefassten trans- Die frühe Geschichte der Erforschung der arkti- die erste Überwinterung auf dem Inlandeis und atlantischen Flugverkehr sichern. Auch wollte er schen Meere und seiner Küsten war jahrhunderte- die Überquerung des höchsten, zentralen Teiles anhand von Wetter und Klimadaten helfen, die lang geprägt durch die Suche nach einem kurzen der Eiskalotte. Die dritte Expedition 1930/31 (mit Häufigkeit und Drift der Eisberge vorherzusagen. Seeweg von Europa und von der amerikanischen Vorexpedition 1929) stand voll unter Wegener´s Trotz des Todes von Alfred Wegener während die- Westküste nach Ostasien. Bis zum Bau des Suez- Regie. In seinem Finanzierungsantrag an die Not- ser Expedition und großer technischer Probleme und des Panama-Kanals war dies eine Aufgabe von gemeinschaft der Deutschen Wissenschaft nann- mit den neuartigen Propellerschlitten, wurde sie hohem wirtschafts- und machtpolitischem Interes- te er neben den geowissenschaftlichen Grundfra- wissenschaftlich ein großer Erfolg. Besonders die se. Der Seeweg von St. Petersburg nach Wladiwo- gen auch handfeste praktische Gründe: Er wollte Eisdickenmessungen erregten Aufsehen. stok führte damals um Afrika und der Weg von New York nach San Francisco um Kap Hoorn. Bei der Suche nach der Nordostpassage fand Willem Barentsz bereits 1596 die Bäreninsel und Abb. 4: Verabschiedung der Zweiten Deutschen Nordpolarfahrt Spitzbergen. Bald etablierten sich dort holländi- am 15. Juni 1869 in Bremerhaven durch den preußischen König sche Walfänger und gründeten die Landstation und sein Gefolge (entnommen aus: G. Hempel, Jahrbuch der Smerenburg. Die russischen Zaren beauftragten Wittheit zu Bremen, 2002). holländische und deutsche Kapitäne und Wissen- schaftler mit der Erkundung der sibirischen Küsten. Promotor der deutschen Polarforschung in die Ge- Auf der „Großen Nordischen Expedition“ 1733 bis schichte eingehen. Seine Motive und Argumente 1743 entdeckte Georg Wilhelm Steller die nach ihm waren: benannte Seekuh, die binnen weniger Jahrzehnte vollständig ausgerottet wurde (Abb. 2). Adalbert • Wissenschaftliche Neugier und das Bestreben, die von Chamisso nahm 1815 bis 1818 als Biologe weißen Flecken der Erdkarte zu füllen; und Berichterstatter an einer späteren russischen • Nationales Prestige: die neu entdeckten Inseln Expedition teil. und Landstriche sollten deutsche Namen tragen; Nach einer Vorexpedition 1867 mit der „Grön- • Wirtschaftliche Interessen am Walfang und Rob- land“ (Abb. 3) unter Kapitän Koldewey war die benschlag und vor allem an einem kurzen Seeweg schon erwähnte zweite deutsche Nordpolarexpe- über den Nordpol. dition 1869/70 der erste eigenständige deutsche Beitrag zur Erforschung der arktischen Meere Petermann vertrat die Vorstellung vom weitgehend (Abb. 4). Sie scheiterte im Eis des Ostgrönland- eisfreien Nordpolarmeer: Er glaubte, wie die meisten stroms. Der Initiator dieser Unternehmung, die von seiner Zeitgenossen, dass das Meereis im Wesent- der Bremer Kaufmannschaft gefördert wurde, war lichen vom Lande stammt und daher nur den Konti- der geographisch interessierte Journalist August nenten vorgelagert ist (Abb. 5). Nach Überwindung Petermann, der die von einem breiten Publikum ge- des grönländischen Eisgürtels sollten Schiffe auf der schätzten „Geographischen Mitteilungen“ (später Polroute eisfreie Fahrt entlang der grönländischen „Petermann´s Mitteilungen“) herausgab. Wie sein Küste bis Ostasien haben. 1879, neun Jahre nach großer Zeitgenosse Georg von Neumayer unter- der deutschen Expedition, bewältigte Nordenskjöld nahm er selbst keine Expeditionen, wollte aber als auf der „Vega“ erstmals die Nordostpassage ent- lang der Küste Sibiriens.

Antarktisforschung – Deutsche Beiträge bis zum Zweiten Weltkrieg

Reinhold Forster und sein Sohn Georg nahmen 1772 bis 1775 an Cooks zweiter Weltumsegelung als Wissenschaftler teil. Ihr wissenschaftlicher Rei- sebericht beschreibt auch das Südpolarmeer. 100 Jahre später unternahm die Korvette „Gazelle“ eine Weltreise, in der die Kerguelen-Inseln angesteuert wurden, um den Durchgang der Venus vor der Son- nenscheibe zu beobachten. Die Kartierung großer Abb. 2: Der Ausschnitt der Waxellkarte zeigt die vermutlich einzige erhaltene Zeichnung der Stellerschen Seekuh Hydrodamalis gigas Abb. 3: Das erste deutsche Polarforschungsschiff, die „Grön- Seegebiete und Meeresströmungen, Wetterbeob- (oben), die nach der Natur gefertigt wurde. Dargestellt sind weiterhin ein Seebär Callorhinus ursinus (unten links) und ein Seelöwe Eume- land“ um 1870 (entnommen aus: R. Krause, Jahrbuch der Witt- achtungen, die Vermessung des Erdmagnetfeldes topias jubatus (unten rechts, entnommen aus: G. Hempel, Jahrbuch der Wittheit zu Bremen, 2002). heit zu Bremen, 2002). und astronomische Messungen sollten der Verbes-

36 37 Der Erste Weltkrieg bedeutete für die deutsche Ant- arktisforschung eine tiefe Zäsur. Erst 1938/39, im Gefolge des aufblühenden deutschen Walfanges und aufkeimender Territorialinteressen verschie- dener Staaten, unternahm die „Schwabenland“ eine Expedition zur Westantarktis mit marine- biologischem Programm. Katapult-Flugzeuge wur- den eingesetzt zur photogrammetrischen Aufnah- me der Küstengebirge des heutigen Queen Maud Landes. Dann unterbrach wieder ein Weltkrieg für drei Jahr- zehnte die deutsche Antarktisforschung.

Abb. 6: Das Fischereiforschungsschiff „Anton Dohrn“ war 1955 Die westdeutsche Polarforschung der erste Neubau der deutschen Forschungsflotte nach dem 1958 bis 1990 Zweiten Weltkrieg.

Nach dem Zweiten Weltkrieg vollzog sich im ge- Gemeinschaft der Meeresforschung nach dem teilten Deutschland die Entwicklung der deutschen Kriege. Die Struktur der Wassermassen, der Aus- Polarforschung drei Jahrzehnte lang in kleinen strom von arktischem Wasser in den Nordatlan- Schritten, die in Ost und West weitgehend unab- tik und die Entstehung des kalten Tiefenwassers hängig voneinander waren. Zuerst ein Blick auf die im Europäischen Nordmeer bilden seitdem einen westdeutschen Arbeiten. der wichtigsten Themenkomplexe der deutschen Die terrestrische Arktisforschung Westdeutsch- Meeresforschung. Die Variabilität dieser Vorgänge lands bestand aus wenigen Einzelaktivitäten. Unter interessierte anfangs auch die deutsche Fischerei, Leitung von Julius Büdel unternahmen westdeut- die in den Seegebieten zwischen Faröer, Island und sche Geographen die dreiteilige Stauferland-Expe- Grönland aktiv war. In den 1960er und 1970er Jah- dition (1959, 1960 und 1967) zur Barents-Insel im ren arbeiteten westdeutsche Forschungsschiffe Spitzbergen-Archipel. intensiv in den Gewässern Islands und Grönlands. Das erste größere westdeutsche Unternehmen auf 1983 kam die „Polarstern“ hinzu. Nun konnte man Gönland war die Teilnahme an den glaziologischen auch ins Eis vorstoßen – 1991 bis zum Nordpol. Untersuchungen im Rahmen der europäischen Ge- Diesen Punkt zu erreichen, war aber für die deut- meinschaftsexpeditionen EGIG I 1959 und EGIG II sche Polarforschung nie ein Ziel an sich. 1967/68 in der Tradition von Alfred Wegener. Im Vor- dergrund stand die Erarbeitung einer Massenbilanz In der Antarktis ist die Bundesrepublik erst 1975 des Inlandeises und seine Fließstruktur. Die damals deutlich in Erscheinung getreten. Die Anstö- Abb. 5: Übersichtskarte zum „Plan für die Deutsche Nordpolar-Expedition 1869“. August Petermanns Vorstellungen von der Eisverteilung gewonnenen Daten liefern heute, 40 Jahre später, ße kamen dazu aus der Wirtschaft und der Poli- und Schiffbarkeit des Nordpolarmeeres sind in dieser Fahrtanweisung zu erkennen (entnommen aus: G. Hempel, Jahrbuch der Wittheit im Lichte der globalen Erwärmung wichtige Refe- tik. Der für Deutschland ungünstige Ausgang der zu Bremen, 2002). renzwerte. Das grönländische Inlandeis bildet ein 3. Seerechtskonferenz hatte die Bundesregierung Klimaarchiv über die vergangenen 200 000 Jahre, sensibilisiert. In der Antarktis wollte man bei der serung der Navigation für den aufblühenden Welt- gen Unternehmungen, die primär von sportlichem das in den 1990er Jahren über Eiskerne der GRIP- Verteilung von Zugangsrechten dabei sein, und handel dienen. 1873/74 kartierte Kapitän Dallmann und nationalem Ehrgeiz geprägt waren, sammelte Bohrung auf dem höchsten und bewegungsärms- sich ein Mitspracherecht in der Konsultativrunde auf der Suche nach Pelzrobben die Westseite der von Drygalski mit seiner kleinen Wissenschaftler- ten Punkt der Kalotte und an deren Fuß in Nord- des Antarktis-Vertrages sichern – auch im Hinblick Antarktischen Halbinsel. gruppe ein reiches geophysikalisches, ozeanogra- West-Grönland erschlossen wurde. Auch an diesen auf die immer wieder auftauchende Frage einer Im Polarjahr 1881/83 wurde, wie auf Grönland, phisches und biologisches Beobachtungsmaterial, Arbeiten nahmen westdeutsche Polarforscher teil. möglichen Endlagerung von Atommüll im antark- auch in Süd-Georgien eine deutsche geophysika- das in den folgenden Jahrzehnten aufgearbeitet tischen Inlandeis. Die kleine Zahl westdeutscher lisch-meteorologische Beobachtungsstation einge- und in einem vielbändigen Sammelwerk publiziert Im Rahmen des Internationalen Geophysikalischen Glaziologen, Geodäten und Biologen, die bereits richtet, von der aus weite Teile dieser großen Insel wurde. Jahres 1958/59 beteiligte sich die Bundesrepublik vor 1975 im Rahmen ausländischer Expeditionen erforscht wurden. mit ihren einzigen ozeangehenden Forschungs- in der Antarktis gearbeitet hatten, sahen in dem Wilhelm Filchner unternahm 1910 bis 1912 mit der schiffen „Anton Dohrn“ (Abb. 6) und „Gauss“ an der politischen Interesse endlich eine Chance für eine Der bedeutendste deutsche Polarforscher neben „Deutschland“ eine Expedition ins innere Weddell- Untersuchung der Polarfront in ostgrönländischen größer angelegte eigenständige westdeutsche Wegener war Erich von Drygalski. Er überwinterte meer und erreichte das nach ihm benannte Filchner- Gewässern. Polarforschung. 1893/94 auf Ostgrönland und leitete 1901 bis 1903 Schelfeis. Er war kein Wissenschaftler im strengen Die Entwicklung im Seerecht vertrieb in den 1970er die erste deutsche Antarktis-Expedition. Sie sollte Sinne, sondern ein typischer Entdeckungsreisen- Die Expedition war Teil eines Gemeinschafts- Jahren die europäische Fernfischerei immer mehr den magnetischen Pol erreichen, vielleicht sogar der. Trotzdem wurden während der winterlichen unternehmens des Internationalen Rates für von ihren angestammten nordatlantischen Fang- den Südpol. Sie blieb im Eis vor der ostantarkti- Drift des vom Eis eingeschlossenen Schiffes Zirku- Meeresforschung (ICES), das Günther Dietrich plätzen. Als einziges großes freies Gebiet bot sich schen Küste stecken, sehr zur Enttäuschung von lation und Vertikalstruktur der Wassermassen des initiierte. Dieses Unternehmen bedeutete den der Südozean mit seinen riesigen Krillvorkommen Kaiser Wilhelm II. Anders als die meisten damali- Weddellmeeres gründlich untersucht. Wiedereinstieg Deutschlands in die internationale und einzelnen dichtbesetzten Fischbeständen an.

38 39 Diese Internationalität hat sich bis heute erhalten. Auch das Internationale Polarjahr 2007 bis 2009 geht großenteils auf deutsche Initiativen zurück, wie einstmals das erste Polarjahr vor 125 Jahren. Die „Polarstern“ verschaffte den westdeutschen Wissenschaftlern auch den Zugang zum Nordpo- larmeer. Dank der hervorragenden Eigenschaften des Schiffes und unserer Gastfreiheit wurde die Bundesrepublik – obwohl keine Arktis-Anrainer – Gründungsmitglied des Arctic Ocean Science Board. Die hervorragende logistische Erstausstat- tung der westdeutschen Polarforschung ist nicht zuletzt dem starken Engagement des zuständigen Referatsleiters Herwald Bungenstock im Bundes- Abb. 8: Das älteste und das jüngste, das kleinste und das größte forschungsministerium zu verdanken. deutsche Polarforschungsschiff: „Grönland“ und „Polarstern“ auf der Unterweser. Die junge Polarforschung mit ihrer großen Logis- tik brauchte daheim einen festen Brückenkopf. „Polarstern“ (Abb. 8). Das Schiff wurde für das da- Deutsche und ausländische Berater empfahlen die malige wissenschaftliche Potential der westdeut- Gründung eines eigenständigen Polarinstituts. Das schen Polarforschung bewusst überdimensioniert Alfred-Wegener-Institut für Polarforschung (AWI) gebaut. Wir konnten daher viele ausländische wurde 1980 in Bremerhaven als Großforschungsein- Teams an Bord nehmen und von ihnen lernen. Um- richtung gegründet (Hempel, 2001; Abb. 9). Es sollte gekehrt boten wir Neulingen in der Polarforschung primär die Polarlogistik betreuen. Die Forscher des – Brasilianern, Italienern, Holländern – die Möglich- AWI sollten aber den Bundesforschungsanstalten keit, erste Erfahrungen in der polaren Meeresfor- und Universitätsinstituten keinesfalls in die Quere schung zu sammeln. Im internationalen Vergleich kommen. Trotz dieses anfangs eng gesetzten Rah- Abb. 7: Von der schneebedeckten Neumayer-Station auf dem Eckström-Schelfeis sind nur die Einfahrtstore und die Verbindungsschächte war die westdeutsche Polarforschung besonders mens entwickelte sich das Institut schnell zu einer zur Oberfläche der Station sichtbar. stark auf multilaterale Kooperationen ausgerichtet. bedeutenden Forschungseinrichtung, deren primär

Aufgeschreckt durch die Unkenrufe des Club of Antarktischen Halbinsel. Man strebte zunächst einen Rome und die erste Ölkrise interessierte man sich Platz auf dem Filchner-Schelfeis am Südrand des auch für mögliche Ölvorkommen im Weddell- Weddellmeeres an. Wo schon Filchner gescheitert und Rossmeer und für die vermeintlich enormen war, blieb die Baumannschaft im Packeis stecken Bodenschätze in den antarktischen Gebirgen, die und wich zur Nordost-Ecke des Weddellmeeres aus. einstmals im alten Gondwana-Land mit den mine- Dieser erzwungene Standort hat sich bis heute als ralreichen Gebirgen Südafrikas und Südamerikas wissenschaftlich und logistisch günstig erwiesen. verbunden gewesen waren. Die Bundesforschungs- Die südliche Lage der Neumayer-Station (Abb. 7) anstalten für Fischerei und für Geowissenschaften auf dem Eckström-Schelfeis erforderte ein starkes, und Rohstoffe (BGR) unternahmen zwischen 1975 eistaugliches Versorgungsschiff. Dies sollte aber und 1982 mehrere Expeditionen in die Gewässer zugleich eine Nische in der internationalen Polarfor- der Antarktischen Halbinsel, ins nördliche Weddell- schung besetzen. meer und ins Ross Meer. Die BGR untersuchte in einem später fortgesetzten Programm die Gebirge Die meisten Antarktis-Vertragsstaaten waren näm- des Nord-Victoria-Landes und anschließend des lich in der Tradition des Internationalen Geophy- Queen-Maud-Landes. An diesen Expeditionen nah- sikalischen Jahres und als Ausdruck ihrer zwar men Biologen und Geologen von Universitäten und eingefrorenen, aber nicht vergessenen Gebiets- vom Kieler Institut für Meereskunde teil. ansprüche terrestrisch orientiert mit großen Über- winterungsstationen, deren wissenschaftlicher Der Beschluss der Bundesregierung, sich um die Wert in einem ungünstigen Verhältnis zu den sehr Mitgliedschaft in der Konsultativrunde des Antark- hohen logistischen Kosten stand. In Deutschland tisvertrages zu bewerben, setzte die Bereitschaft war damals die Lobby der biologischen und phy- voraus, sich dauerhaft in der Antarktisforschung mit sikalischen Ozeanographen stark genug, um eine hohem wissenschaftlichen und technischen Auf- marine Orientierung für die deutsche Polarfor- wand zu engagieren. Das führte zum Bau einer mo- schung durchzusetzen und damit der deutschen dernen, ganzjährig betriebenen Forschungsstation Polarforschung international eine Sonderstellung an einem wissenschaftlich attraktiven Ort außerhalb zu geben. So wurde aus dem Versorger ein kom- Abb. 9: Das erste Hauptgebäude des Alfred-Wegner-Instituts für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven, nach dem Entwurf des der bereits mit Stationen reich besetzten Region der biniertes Forschungs- und Versorgungsschiff, die Architekten Oswald Matthias Ungers in Form eines Dampfers gebaut.

40 41 marine Ausrichtung nach Eingliederung des Instituts an. Auch hatten Finsterwalder und Pillewizer auf Deutschen meist im meteorologischen und geophy- „Molodjoshnaja“ und gelegentlich in der zentralant- für Meeresforschung Bremerhaven im Jahre 1986 der letzten deutschen Vorkriegsexpedition nach sikalischen Routinedienst eingesetzt, verschafften arktischen Station „Wostok“. Neben der Meteorolo- auch im neuen Institutsnamen seinen Niederschlag Spitzbergen dort erstmalig photogrammetrisch sich aber doch einen gewissen Freiraum für eigene gie, Ionosphärenforschung, Physik der festen Erde fand. Gleichzeitig wurde die Polarforschung an den gearbeitet – daran sollten die neuen Untersu- wissenschaftliche Arbeiten. und Glaziologie spielten Entwicklung und Einsatz Universitäten wesentlich verstärkt. So entstand in chungen anschließen. Trotzdem bedurfte es jah- Gert Lange (1962) hat in seinem Buch „Bewährung neuer Instrumente für die Auswertung der Daten und Kiel das Institut für Polarökologie. Die Deutsche relanger interner Vorbereitungen. Um Devisen zu in Antarktika“, das unter dem Titel „Sonne, Sturm Karten von Wettersatelliten, für geodätische und Forschungsgemeinschaft schuf als Verknüpfung sparen, wurde das nicht eisgängige Forschungs- und weiße Finsternis“ 1996 überarbeitet wurde, Ge- meteorologische Messungen eine große Rolle. Die zwischen dem AWI und den übrigen Polarforschern schiff „Prof. Albrecht Penck“ des Instituts für Mee- schichte und Geschichten der Antarktisforschung Antarktisforscher leisteten einen wichtigen Techno- das Schwerpunktprogramm Antarktisforschung, reskunde in Warnemünde für den Transport von der DDR anschaulich geschildert. Und in „Zu den logietransfer zwischen der im Ostblock führenden das auch Wissenschaftlern außerhalb des AWI die Personal und Ausrüstung eingesetzt. Ähnlich wie Kältepolen der Erde. 50 Jahre deutsche Polarfor- Messtechnik ostdeutscher Betriebe, wie Carl Zeiss, Teilnahme an Polarexpeditionen ermöglichte und später Heinz Kohnen bei der Standortsuche für die schung“ behandelt auch Klaus Fleischmann (2005) und der unter besonders schwierigen Bedingungen Doktorarbeiten innerhalb des AWI förderte. Neumayer-Station im Weddellmeer musste auch ausführlich die Geschichte der ostdeutschen Polar- erfolgenden Feldforschung. In den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts ent- Pillewizer vor dem Eis bei Spitzbergen kapitulieren forschung. Sie war thematisch im Wesentlichen zogen die Schutzabkommen für den Antarktischen und statt des angestrebten Untersuchungsgebiets auf geophysikalische Fragen im weitesten Sinne In den 1970er Jahren kamen auch die ostdeut- Kontinent und die marinen Ökosysteme der Süd- am Hornsund zum Kongsfjord in West-Spitzber- konzentriert. Für den meereskundlichen Leserkreis schen Geologen zum Zuge. Von der sowjetischen polarforschung ihren Ressourcenbezug. Das traf gen ausweichen. Die dortigen Gletscher erwiesen dieses Bandes mag ein kurzer Abriss genügen. Station „Drushnaja“ auf dem Filchner Schelfeis aus die Bundesforschungsanstalten, nicht aber das sich aber als so interessant, dass nach der sechs- Seit 1959 arbeiteten DDR-Wissenschaftler in zu- unternahmen Geologen der Bergakademie Freiberg AWI, das sich von vornherein auf Grundlagenfor- wöchigen Messkampagne im Sommer 1962 eine nehmender Zahl und Selbständigkeit auf den Untersuchungen an den Nunatakkern der Prince schung im Meereis und auf dem Schelfeis konzen- ganzjährige Expedition für 1964/1965 vorbereitet sowjetischen Antarktisstationen zuerst primär Charles Mountains und des Shackleton Range. triert hatte. Durch diese Ausrichtung war das Insti- wurde. Die damals errichtete Hütte, nur wenige in der küstennahen Station „Mirny“, später in Andere geologische Arbeiten richteten sich auf das tut schon Ende der 1980er Jahre in der Lage, sich Kilometer von der deutschen Koldewey-Station in Wohlthat–Massiv, das einst von der Schwabenland- die Global Change Forschung auf seine Fahnen zu Ny-Alesund entfernt, ist noch heute benutzbar. Ein Expedition aufgenommen worden war. In seiner schreiben. schönes Denkmal der beiden Spitzbergen-Expe- Nähe lag die sowjetische Station „Nowosalarews- ditionen ist die in der Bergakademie Freiberg er- kaja“, neben der mit sowjetischer Unterstützung Die tiefgreifenden politischen Veränderungen am stellte und in Petermanns Geographischen Mittei- Schritt für Schritt die eigenständige ostdeutsche Ende der 1980er Jahre wirkten auf die deutsche lungen publizierte Reliefkarte im Maßstab 1:50 000 Georg-Forster-Station entstand (Abb. 10). Polarforschung befreiend. 40 Jahre lang waren des Untersuchungsgebietes. Die Ergebnisse der die arktischen Meere das hermetisch abgeschlos- photogrammetrischen und gravimetrischen Unter- Die Schirmacher-Oase, eines jener wenigen eis- sene Glacis der Supermächte gewesen. Nun suchungen wurden vom Nationalkommittee für freien Täler in der Antarktis, wurde für 20 Jahre zum öffnete Gorbatschow 1987 die Polarmeere der Geophysik und Geodäsie der DDR veröffentlicht. Ausgangspunkt und Zentrum der ostdeutschen internationalen Forschung. Barents-, Kara- und Das Spitzbergen-Unternehmen war die einzige Polarforschung (Abb. 11). Hier traten biologische Laptew-See wurden zu bevorzugten Forschungs- von der DDR ganz selbständig durchgeführte und limnologische Untersuchungen neben die Mes- arealen im Rahmen deutsch-russischer Koopera- Polarexpedition. In späteren Jahren arbeiteten sungen in der Atmosphäre und Ionosphäre sowie tionen. An der Erforschung der glazialen und post- gelegentlich ostdeutsche Biologen, besonders die seismologischen und geologischen Arbeiten glazialen Geschichte Nordsibiriens waren schon Ornithologen auf Spitzbergen, als Gäste polnische Abb. 10: Die Georg-Forster-Station am Ende ihres ersten antark- (Abb. 12). Die Ergebnisse der umfassenden lange vorher ostdeutsche Wissenschaftler betei- und russische Kollegen. tischen Winters. Gesamtaufnahme der Schirmacher-Oase wurden ligt gewesen. Am wichtigsten war aber, dass sich 1990 der ost- Das Schwergewicht der Polarforschung der DDR deutsche Flussarm der deutschen Polarforschung lag in der Antarktis, wo sich über drei Jahrzehnte mit dem westdeutschen vereinigen konnte. ein langsamer Prozess zunehmender Unabhängig- keit von den Sowjetischen Antarktisexpeditionen (SAE) vollzog. Auch für die ostdeutschen Forscher Die ostdeutsche Polarforschung hatte das Internationale Geophysikalische Jahr 1958 bis 1990 1958/1959 den Wiedereinstieg in die internationale Polarforschung bedeutet. Dabei war die Einladung Auch für die DDR war Spitzbergen 1962 und der Akademie der Wissenschaften der UdSSR ent- 1964/65 das erste Ziel einer polargeographischen scheidend. Meteorologen und Geowissenschaftler Expedition. Wie in Westdeutschland ging die In- aus der DDR hatten, mit ihren modernen Instru- itiative von einem einzelnen Forscher aus. Wolf- menten und technischen Kenntnissen, an Glet- gang Pillewizer war 1958 aus München auf den scherexpeditionen in Zentralasien teilgenommen. neuerrichteten Lehrstuhl für Kartographie der Die dabei gewonnenen Erfahrungen qualifizierten Bergakademie Freiberg berufen worden. Als Schü- dann die deutschen Wissenschaftler als Mitarbeiter ler des berühmten Gletscherforschers Richard der Sowjetischen Antarktis-Expeditionen. Günther Finsterwalder bemühte er sich in den folgenden Skeib, Direktor des Meteorologischen Hauptob- Jahren, den Wissenschaftlern der politisch isolier- servatoriums der DDR und zwei junge Mitarbeiter ten DDR Zugang zu moderner Kartographie und waren die ersten, die 1959 zur Überwinterung in Glaziologie zu verschaffen. Spitzbergen bot sich der sowjetischen Station „Mirny“ aufbrachen. Wie aufgrund seines politischen Sonderstatus dafür auch auf den folgenden Expeditionen wurden die Abb. 11: Blick auf die Schirmacher-Oase mit einigen ihrer Seen.

42 43 nisse entgegen. In der DDR war zwar – früher als in aktivitäten Hartwig Gernandt Nachfolger von Heinz loch ist primär eine Erscheinung der Antarktis und Westdeutschland – im Gefolge des Internationalen Kohnen als Cheflogistiker in Bremerhaven. abgeschwächt der Arktis, von wo es sich jeweils in Geophysikalischen Jahres ein organisatorisches Durch die Bündelung des Großteils der ostdeutschen niedere Breiten ausdehnt. Die Routinebeobachtun- Dach in Form des Nationalkomitees für Geodäsie Polarforschung als Arbeitsgruppe im Alfred-Wegener- gen der Briten und der DDR-Wissenschaftler in der und Geophysik geschaffen und später ein Sekretari- Institut ist dieses zu einem der thematisch am brei- Antarktis zeigten als erste sein Wachstum und führten at für die Polarexpeditionen im Zentralinstitut für die testen angelegten und wissenschaftlich potentesten zum Montrealer Abkommen gegen die FCKWs. Die Physik der Erde (ZIPE) der Akademie der Wissen- Polarinstitute der Erde geworden. Das Institut erhebt Koldewey-Station des AWI auf Spitzbergen wurde zu schaften der DDR eingerichtet worden. Ein ostdeut- aber keinen Alleinvertretungsanspruch, denn es gibt einer zentralen Einrichtung für die Erforschung des sches Polarforschungsinstitut als Pendant zum west- im wiedervereinigten Deutschland auch außerhalb arktischen Ozonloches. Sie dient aber auch ganz- deutschen Alfred-Wegener-Institut gab es aber nicht. des AWI viele Wissenschaftler, die permanent oder jährig biologischen Untersuchungen im Kongsfjord. Die Wissenschaftler waren stattdessen in etlichen temporär Polarforschung betreiben. Die möglichen Folgen erhöhter UV-B Einstrahlung Universitäts- und Akademie-Instituten von Freiberg in Ein schmerzlicher Einschnitt erwies sich allerdings sind weltweit seit über einem Jahrzehnt Gegenstand Sachsen bis Kühlungsborn an der Ostsee verstreut. auf längere Sicht unvermeidlich: Die Georg-Forster- intensiver physiologischer und ökologischer Studien. Station musste aufgelöst werden, obwohl für ihren Die in den Akademie-Instituten angesiedelten Polar- Um- und Ausbau Ende der 1980er Jahre ein gutes, Mit dem Stichwort „Globale Erwärmung“ ist das forscher waren von der Auflösung der Akademie und anspruchsvolles Konzept entwickelt worden war und heutzutage wichtigste Argument für eine intensive der mit Stellenabbau verbundenen Umstrukturierung obwohl sie für die neuen Eisbohrprogramme günstig Polarforschung genannt. Der vierte Bericht (2007) des der Institute bedroht. Die nächstliegende Lösung war, lag. Die Mittel für eine zweite deutsche Überwinte- International Panel for Global Climate Change (IPCC) die Polarforscher aus den verschiedenen Akademie- rungsstation in der Antarktis neben der Georg-von- bestätigt die Schlüsselrolle der Polargebiete im glo- Instituten herauszulösen und en bloc nach Bremer- Neumayer-Station waren nicht vorhanden. So wurde balen Klimageschehen (siehe Beitrag von Bathmann). haven zu verpflanzen. Das war aber weder von der die Georg-Forster-Station nach einer dreijährigen Erdgeschichtlich betrachtet ist die Eisbedeckung Mehrzahl der Betroffenen noch vom Wissenschaftsrat Auslaufphase unter Wahrung strenger Umweltstan- beider Pole eine nur selten auftretende Episode, und dem AWI gewollt. Andererseits schien die Einrich- dards mit hohem logistischem Aufwand 1995 vom bedingt durch die Pollage einer großen Landmasse. Abb. 12: Die 30 Meter hohe Antenne wurde mit Stahlseilen fest im tung eines kleinen selbständigen Polarinstituts in Ost- AWI abgebaut. Die Messprogramme, soweit sie nicht Dies bestimmt die thermische Schichtung des Felsen verankert. deutschland wirtschaftlich wenig sinnvoll, da es logis- streng ortsgebunden waren und von den benach- Weltmeeres, steuert die ozeanische Zirkulation tisch – nach Wegfall der sowjetischen Unterstützung barten russischen und indischen Stationen über- und bedingt eine globale Abkühlung. Nur bei Eisbe- 1995 in zwei Bänden publiziert – sowie ein Nachruf – vollkommen auf das AWI angewiesen wäre. Wissen- nommen wurden, konnten zuvor an die Neumayer- deckung gibt es weltweit kaltes, sauerstoff- und auf die Georg-Forster-Station. schaftlich widersprach eine solche Separatlösung der Station transferiert werden. Die biologischen Arbeiten salzreiches Tiefen- und Bodenwasser. Die Einstiegs- Seit der Saison 1979/1980 arbeiteten ostdeutsche vom Wissenschaftsrat angestrebten möglichst starken in der Station Bellingshausen wurden dort oder in der löcher, in denen Oberflächenwasser in die Tiefe sinkt, Biologen als zahlende Gäste auf der sowjetischen Verzahnung der ost- und westdeutschen Forschung. deutschen Dallmann-Station in Partnerschaft mit der liegen in der Grönlandsee/Norwegischen See und Station Bellingshausen auf King-George-Island im argentinischen Station „Jubany“ auf King-George- rings um die Antarktis, vor allem im Weddellmeer. Von Süd-Shetland-Archipel. Im Mittelpunkt standen die Als Kompromiss zwischen Absorption und Sepa- Island fortgeführt. dort breitet sich das antarktische Bodenwasser über Robben und Pinguine auf der benachbarten Vogel- rierung wurde in Potsdam eine Zweigstelle des den ganzen Atlantik aus (siehe Beitrag von Brandt). Insel Ardley. Ökologie, Verhaltensbiologie und Para- AWI gegründet. Sie wurde vorzugsweise mit DDR- Es wurde auf Filchners Expedition der „Deutschland“ sitologie dieser Warmblüter wurden im Jahresgang Polarforschern besetzt, nahm aber auch west- Moderne Argumente für die deutsche 1912/13 entdeckt und auf der Südatlantik-Expedition untersucht, aber auch das Benthos der Flachwas- deutsche Wissenschaftler auf, während einzelne Polarforschung der „Meteor“ 1925/27 erstmalig gründlich untersucht. serzone. An diese Arbeiten knüpfte Rudolf Bannasch DDR-Wissenschaftler nach Bremerhaven gingen. Das Gefrieren und Schmelzen des Meereises ist mit später mit Untersuchungen über technische Anwen- Das Potsdamer Teilinstitut erhielt ein eigenes Die meisten der eingangs genannten Triebfedern für Temperatur- und Salzgehaltsveränderungen der dungen des „Unterwasserfliegens“ der Pinguine an. wissenschaftliches Profil: Gemäß den früheren deutsche Polarexpeditionen sind nicht mehr aktuell: umgebenden Wassermassen verbunden, die Ober- Forschungsschwerpunkten der DDR Polarforschung Weder persönlicher Ruhm noch nationales Prestige, flächenströmungen antreiben. Vielleicht bedingt durch die monatelangen An- und spielten landgebundene Atmosphären- und Klima- ganz zu schweigen von territorialen Interessen sind Abreisen waren die ostdeutschen Wissenschaftler im forschung eine wichtige Rolle. Hinzu kamen – in heutzutage in den Polargebieten zu befriedigen. Ozean und Atmosphäre tauschen ständig Wärme und Vergleich zu ihren westdeutschen Kollegen schreib- Fortsetzung der Arbeiten in der Schirmacher-Oase Die Nord/West- und Nord/Ostpassagen sind zwar Feuchte aus – durch Einstrahlung und Abstrahlung, freudiger in der populären Darstellung ihrer Ergeb- und in Sibirien – Untersuchungen in Permafrost- hochaktuell, aber längst bekannt. Die Exploration durch Niederschlag, Zuflüsse und Verdunstung. nisse und Erlebnisse. Ihre Bücher, in relativ kleiner böden und Süßwassersedimenten. Sibirien und von Bodenschätzen auf dem antarktischen Kon- Dieser Austausch wird durch Meereisdecken stark Auflage in der DDR erschienen, waren eine gefragte Spitzbergen wurden geographische Schwerpunkte tinent und im Südozean ist gegenwärtig verboten verringert. 75 bis 90 % der Sonneneinstrahlung wird Lektüre, auch für Besucher aus Westdeutschland. der Potsdamer Forscher. Die Festgesteinsgeologen, und in der Arktis für deutsche Unternehmen nur im vom schneebedecktem Meereis zurückgeworfen, vor allem aus Freiberg, verstärkten die Antarktis- Auftrage der Anrainerstaaten möglich. Die lebenden vom offenen Meer nur 5 bis 7 %. Wenn durch die gruppe der Bundesanstalt für Geowissenschaften Ressourcen des Südozeans zu nutzen, ist durch globale Erwärmung die Meereisdecke schrumpft, Die Vereinigung der Flussarme und Rohstoffe, die teilweise in das Gebäude der Schutzabkommen stark eingeschränkt und wäre für erwärmt sich der Ozean schneller. Gleichzeitig alten Reichsanstalt für Geologie in Berlin-Mitte zog. die deutsche Fischerei nicht profitabel. Die stärksten verändert sich die Drift von Meereis aus dem Arkti- Schon 1990 stand im Wissenschaftsrat fest, dass Argumente sind daher wissenschaftlicher und schen Ozean durch die Fram-Straße in die Grönland- die ostdeutsche Polarforschung erhalten bleiben Die Improvisationsgabe ostdeutscher Wissenschaft- umweltpolitischer Natur (siehe auch die Beiträge von See, schränkt die Bildung von Nordatlantischem müsste. Die Überwinterungsmannschaften auf der ler und Techniker beim Überwinden logistischer und Kock und Scheidat, Bathmann, Brandt). Tiefenwasser ein und verringert die Tiefenzirkulation Georg-Forster-Station und der Bellingshausen-Sta- technischer Probleme erwies sich beim weiteren des Weltmeeres, deren Umlauf Jahrhunderte dauert. tion mussten weiter betreut und die Kontinuität der Ausbau der deutschen polaren Meeres- und Klima- Für die Probleme des Ozonloches und des vom All dies bedeutet, dass das Klima Europas, das vom Langzeit-Messprogramme sollte gesichert werden. forschung als sehr förderlich. Nicht von ungefähr Menschen gesteigerten Treibhauseffektes ist die Nordatlantik geprägt wird, von einer globalen Erwär- Dem standen aber erhebliche organisatorische Hinder- wurde der Organisator der ostdeutschen Antarktis- Polarforschung von zentraler Bedeutung. Das Ozon- mung überproportional betroffen wird.

44 45 Meteorologische, ozeanographische und glazio- stellen. Z.B. was stört einen brütenden Pinguin? Leistungen ragen in den sechziger Jahren ost- und logische Forschung sind daher untrennbar mit- (siehe Beiträge von Wilson und Adelung sowie Peter westdeutsche Spitzbergen-Expeditionen hervor. einander verbunden. Das gesamte Arsenal von und Mitarbeitern). Instrumenten (Forschungsschiffe, Messplattformen, Auch im marinen Bereich haben die deutschen Seit 1975 entwickelte die Bundesrepublik ein Flugzeuge, Satelliten und Großrechner etc.) muss Polarforscher wichtige Vorarbeit für einen integrier- anfangs ressourcen-orientiertes Programm in der eingesetzt werden, um die wissenschaftlichen Grund- ten Natur- und Umweltschutz geleistet. Die Erfor- Antarktis, das ab 1980 zur Gründung des Alfred- lagen zum Verständnis des Systems zu erarbeiten schung des Phyto- und Zooplanktons ist ökologisch Wegener-Institutes und der Georg-von-Neumayer- und daraus Vorhersagemodelle zu entwickeln. generell von großer Bedeutung, sowohl für den Station sowie zur Indienststellung von „Polarstern“

Die arktischen Landgebiete reagieren heftig auf die globalen CO2-Haushalt als auch für das Verständnis führte (Abb. 13). Letztere wurde zu einer wichtigen globale Erwärmung. Wenn Permafrostböden auf- der marinen Nahrungsnetze. In den Polargebieten Plattform internationaler Zusammenarbeit. tauen, werden große Mengen des hochwirksamen kommt das Meereis als Besonderheit hinzu. In ihm Treibhausgases Methan freigesetzt. Die Massen- liegt der Schlüssel zum Verständnis des einmaligen Während die westdeutsche Polarforschung bilanzen der Eisschilde der Ost- und Westantarktis Ökosystems Eismeer. primär marin orientiert war, fokussierte die DDR sowie Grönlands werden im Wesentlichen von der Gerade die Arbeiten deutscher Meeresbiologen ihr Programm auf Geophysik im weitesten Sinne Lufttemperatur und dem Schneefall bestimmt, aber haben gezeigt, wie vielfältig die Fauna der polaren Abb.13: FS „Polarstern“ im Neueis, das sich bei Windstille vor der und arbeitete mangels eines eigenen eisgehen- auch von Meeresspiegelerhöhungen, mit denen sich Meeresböden bis in große Tiefen ist (siehe Beitrag antarktischen Schelfeiskante in wenigen Stunden gebildet hat. den Forschungsschiffes meist terrestrisch. In den die Schelfeistafeln von ihrem Untergrund breitflächig von Brandt). Ihre Organismen sind meist langlebig. 1980er Jahren wurde die Georg-Forster-Station ablösen. Kartographische und geodätische Messun- Viele leben vom Fall-out der Algenblüten am Eis- vermittelt werden, damit die Polarforschung in der Schirmacher Oase zu einer selbständigen gen, einst Kernstück glaziologischer Feldarbeit, wer- rand und vom Kot der Krillschwärme, die sich von guten Nachwuchs und ausreichende Mittel Überwinterungsstation ausgebaut. 1990 vereinig- den jetzt vielfach durch Satelliten ausgeführt und in diesen Algenblüten und von der Fauna und Flora erhält. Was dem jungen Georg Forster mit Feder te sich die west- und ostdeutsche Polarforschung Rechenmodellen weiterverarbeitet. des Meereises ernähren. und Papier vor über 230 Jahren in seinem Reise- organisatorisch unter dem Dach der Stiftung des bericht von Cooks zweiter Weltreise gelang, Alfred-Wegener-Instituts, sofern sie nicht in Univer- Die deutsche Polarforschung spielt heute eine füh- Welche biologischen Folgen wird ein Schrumpfen der sollte dem modernen Polarforscher mit Hilfe der sitäten oder Bundesforschungsanstalten angesie- rende Rolle im internationalen Konzert der Klima- Meereisdecken haben? Das Verhungern der Eisbären neuen Medien auch möglich sein: Leser, Hörer, delt blieb. und Klimafolgenforschung. Die Eisbohrungen auf im Norden wäre nur die „Spitze des Eisberges“. Wir Zuschauer an der Entdeckerfreude und dem Grönland und in der Antarktis, an denen sich das haben in zwei Jahrzehnten „Polarstern“-Fahrten Staunen über die Natur und ihre Empfindlichkeit Seit langem sind die Auswirkungen des globa- AWI maßgeblich beteiligt, die Sedimentproben gelernt: Klimabedingte Veränderungen in der Meer- teilhaben zu lassen. len Klimawandels auf die Polargebiete und ihre aus dem Weddellmeer, den arktischen Gewässern eisdynamik haben tiefgreifende Konsequenzen für Ökosysteme wichtige Forschungsthemen der und aus sibirischen Seen liefern, gekoppelt mit alle antarktischen Lebensgemeinschaften. Ohne deutschen Polarforschung. Dabei wird die inter- Modellrechnungen, den Schlüssel zum Wissen Meereis wäre der Krill nicht so erfolgreich und durch Zusammenfassung nationale Zusammenarbeit – wie einst von Carl über frühere Verhältnisse sowie zum Verständ- ihn die Wale, Robben und Pinguine. Auch viele Weyprecht gefordert – intensiv gepflegt. nis der kausalen Zusammenhänge von Klimaver- Fischarten sind auf Krill angewiesen. Die Konvention Die deutsche Polarforschung begann um 1870 als änderungen. Darauf bauen moderne Klima- für die marinen lebenden Ressourcen der Antarktis Carl Koldewey im Bremer Auftrag versuchte Ost- Vorhersagemodelle auf, die Ozean, Atmosphäre (CCAMLR) ist die erste, die konsequent einen öko- asien auf kürzestem Wege, d.h. über den Nordpol Literatur und Kryosphäre (Eisgebiete) koppeln und Prozesse systemaren Ansatz verfolgt. zu erreichen. Seine Schiffe gingen vor Ostgrön- in unterschiedlichen zeitlichen und räumlichen land im Eis verloren. Wenige Jahre später rief Carl Bormann, P. & D. Fritzsche (Hrsg., 1995): The Schirmacher Dimensionen untersuchen. Die deutsche Polarforschung hat Anfang der 1990er Weyprecht zum Internationalen Polarjahr auf, an Oasis, Queen Maud Land, East and its sur- roundings. 2 Bde. Gotha, Justus Perthes. 448 S. Jahre in den Augen der Politik und der Öffentlichkeit dem sich Deutschland mit Beobachtungsstationen Fleischmann, K. (2005): Zu den Kältepolen der Erde. 50 Jahre Ende der 1980er Jahre zeichnete sich ein weiteres eine neue Daseinsberechtigung gefunden, die heute in Ostgrönland und Süd-Georgien beteiligte. deutsche Polarforschung. Delius & Klasing, Bielefeld. 344 S. politisches Motiv für die deutsche Polarforschung noch gilt: Statt Ressourcenforschung und nationaler Weder Erich von Drygalskis Erste deutsche Süd- Hempel, G. (2002): Bremen/Bremerhaven – ein Zentrum der ab: Der Schutz von Ökosystemen und Biodiversität. Präsenz, nun Global Change Forschung, Ökosys- polar-Expedition 1901 bis 1903 mit der „Gauss“ Meeresforschung. Jahrbuch 2001/2002 der Wittheit zu Bremen. 6-19. Frühzeitig befassten sich ost- und westdeutsche temschutz und Schaffung internationaler Partner- noch Wilhelm Filchner´s Reise ins Weddell-Meer Krause, R. A. (2002): Frühe Bremer Beiträge zur Polarfor- Botaniker, Zoologen und Mikrobiologen mit den schaften (siehe Beitrag von Kock und Scheidat). („Deutschland“ 1912/13) erreichten den Antark- schung. Jahrbuch 2001/2002 der Wittheit zu Bremen. gegen menschliche Einflüsse extrem empfindlichen Heute lautet die Antwort auf die Frage „Wozu tischen Kontinent. Ihre Expeditionen lieferten aber 29-34. Lebensgemeinschaften auf den kargen Böden Polarforschung?“: wichtige ozeanographische, meteorologische und Lange, G. (Hrsg., 1996): Sonne, Sturm und weiße Finsternis - Die Chronik der ostdeutschen Antarktisforschung. Ernst Spitzbergens und in den kleinen Steinoasen der biologische Kenntnisse. Kabel, Hamburg. 295 S. Antarktis. Die ökologische Erforschung der Schir- 1. Polarforschung lehrt uns die Erde verstehen, wie Zwischen den Kriegen waren Alfred Wegeners geo- Lange, G. (Hsg., 2001): Eiskalte Entdeckungen – Forschungs- macher-Oase, ist dafür ein Beispiel. Als die Georg- sie heute ist und funktioniert und wie sie in geo- physikalische Grönland-Expeditionen die wich- reisen zwischen Nord- und Südpol. Delius & Klasing, Forster-Station dort 1995/96 abgebaut wurde, lag logischer Vergangenheit war. tigsten deutschen Beiträge zur Polarforschung. Bielefeld. 350 S. Reinke-Kunze, C. (1992): Aufbruch in die weiße Wildnis – Die eine umfassende biologische Gesamtaufnahme vor, 2. Sie warnt uns vor Eingriffen in den Naturhaus- Geschichte der deutschen Polarforschung. Ernst Kabel, die als Grundlage für nachhaltige Umweltschutz- halt – Stichworte: Walfang, Künstlicher Treibhaus- Seit 1945 verlief die west- und ostdeutsche Hamburg. 480 S. konzepte dienen kann. Die Untersuchungen von Mit- effekt und Ozonloch. Polarforschung 45 Jahre lang in getrennten aber arbeitern des Instituts für Meereskunde Kiel und des 3. Die Polarexpeditionen erziehen zu internationaler ähnlichen Bahnen. In den ersten drei Jahrzehn- Alfred Wegener-Instituts an Pinguinen und Robben und interdisziplinärer Zusammenarbeit und damit ten waren es im Wesentlichen Einzelunternehmen sind primär Grundlagenforschung, ihre Ergebnisse zu Toleranz und Geduld. auf Einladung ausländischer Institutionen, beson- dienen aber dem Naturschutz, wenn es darum geht, ders der USA bzw. der UdSSR und die westdeut- Regeln für das Verhalten von Wissenschaftlern und Diese Antworten müssen dem breiten Publikum, sche Partnerschaft im europäischen Grönland- Touristen in den antarktischen Tierkolonien aufzu- vor allem aber der Jugend und den Politikern Unternehmen (EGIG I und II). Als selbständige

46 47 Georgien. Die Station nahm am 27. November 1904 Der deutsche Walfang im Südpolarmeer – mit dem Flensen des ersten, noch in der Bucht er- legten Buckelwals (Megaptera novaeangliae) ihren aus Wirtschaftsinteressen wird internationale Betrieb auf. Sie verarbeitete in der ersten Saison bis April 1905 acht Blau-, elf Finn- und 67 Buckelwale wissenschaftliche und politische Kooperation sowie fünf Südkaper (Hart, 2001). Karl-Hermann Kock und Meike Scheidat Der Walfang im Südpolarmeer

Einleitung von Teilnehmern und Förderern seiner Expedition, Grytviken folgten schnell andere Walfangstationen, wie Dallmann Bay, Wiencke Island oder Neumayer wie Leith, Stromness und Husvik. Zusätzlich lagen in Deutschland (in seinen unterschiedlichen Grenzen) Channel. Seiner Reise war nur ein mäßiger Erfolg den geschützten Buchten und Fjorden Walfangmut- war eine alte Walfangnation, die seit dem Beginn beschieden: Wale erlegte er nicht. Die zahlreichen terschiffe, die die Wale, längsseits vertäut, flensten. des 17. Jahrhunderts kommerziell Walfang betrieb. Robbenfelle, die er mit nach Hause brachte, reichten Bereits in der folgenden Saison 1905/06 operierte Abb. 1: Flensen eines Buckelwals auf der Walfangstation Gryt- Die erste Art, der man nachstellte, nach dem der gerade, die Ausgaben für die Expedition zu decken. das erste Walfangmutterschiff bei den Süd Shetland viken Anfang der 1920er Jahre. Nordkaper (Eubalaena glacialis) des Nordostatlan- Eine deutsche Gesellschaft, die Walfang in der Ant- Inseln. Buckelwale, die küstennah und in den Buchten tiks durch den Baskenwalfang erschöpft war, war arktis betreiben wollte, baute 1890 das Dampfschiff und Fjorden vorkamen und für die Walfänger leicht zu ihnen zählte der Hartmann Kocher und Normanns der Grönlandwal (Balaena mysticetus). Der Walfang „Donau“ zu einem Walfänger um, doch lief das Schiff erbeuten waren, bildeten die erste Zielart (Abb. 1 und 1901/02 erfundene Methode der Fetthärtung, die wanderte über das nächste Jahrhundert von Spitz- nie in Richtung Südpolarmeer aus. 2). Innerhalb von nur sechs Südsommern stieg der es zum ersten Male mit Beginn des Ersten Welt- bergen den Rand des Nordpolarmeeres entlang Fang von 95 auf 6 000 Wale. Sie wurden verarbeitet krieges ermöglichte, Margarine in großem Stile nach Grönland und später nach Labrador. Er dehnte Die Nächsten, die ihr Glück im Walfang in der Ant- auf 26 Landstationen und einer Anzahl schwimmen- herzustellen. sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit arktis versuchten, waren Schotten und Norweger. der Kochereien. 1911/12 dehnte sich der Walfang auf dem Pottwalfang auf die Tropen und Subtropen aller Zwei Reedereien (Dundee Whalers, A/S „Ocea- die weniger ergiebigen Gebiete der Süd-Orkney-In- Eine deutsche Walfanggesellschaft bemühte sich Ozeane aus. Mitte des 19. Jahrhunderts waren, bis na“) führten zwischen 1892 und 1895 mit bis zu seln und der Süd-Sandwich-Inseln aus. 1911 bei den Engländern um eine Lizenz, um bei auf die Furchenwale, die wegen ihrer Schnelligkeit vier Schiffen Walfangexpeditionen ins Gebiet der Süd-Georgien und um die Süd-Shetland-Inseln und des Absinkens nach dem Tode mit Handharpu- Antarktischen Halbinsel und der Inseln des Scotia In den ersten Jahren, bis der englische Magistrat Walfang zu betreiben. Diese Lizenz wurde ihnen nen nicht zu jagen waren, die meisten Walbestände Bogens durch. Ihr Augenmerk galt den Glattwalen das vollständige Flensen zur Auflage machte, wur- aber, wie auch in den folgenden Jahren 1913 und weltweit so stark dezimiert, dass eine Jagd immer (Südkapern, Eubalaena australis), die zu der Zeit den die Wale nur ungenügend des Specks entledigt 1914, verwehrt. Großbritannien und Norwegen ver- weniger lohnte. Robbenjäger hatten immer wieder- schon stark dezimiert waren. Auch diesen Expediti- und die Kadaver wieder ins Meer zurückgewor- suchten aus protektionistischen Gründen die Zahl holt von den großen Walvorkommen im Südpolar- onen war kein Erfolg beschieden. Wie ihre Vorgän- fen. Es geht die Mär, daß Süd Georgien im ersten der Nationen, die Walfang betrieben, klein zu halten. meer berichtet. Was lag also näher, als dass das ger bestritten sie ihre Unkosten mehr schlecht als Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts eher zu riechen als Die deutsche Walfang-Gesellschaft „Sturmvogel“ Südpolarmeer ins Blickfeld für neue Walfangaktivi- recht aus dem Robbenschlag. Einige Dinge bleiben zu sehen war. Trotz der schlechten Ausbeute und wurde in Lüderitz Bucht in Deutsch-Südwest Afrika täten geriet. Unser Artikel beschreibt, in welchem aber erwähnenswert: Deutschland war insofern manch anderer Schwierigkeiten, die in den ersten gegründet und nahm ihren Betrieb im August 1913 Umfange Deutschland Teil der Walfangaktivitäten beteiligt, als dass die Hamburger Firma Woltereck Jahren bei Fang und Verarbeitung auftraten, konn- auf. Ihre Aktivitäten kamen aber schon ein Jahr im Südpolarmeer war und wie Deutschland sich seit & Robertson eine erhebliche Kapitalbeteiligung an te die Compañia Argentina de Pesca anfangs eine später zum Erliegen, als britische Truppen Lüderitz dem Beginn der 1970er Jahre von einer Walfangna- der A/S „Oceana“ hielt. Carl Anton Larsen, einer Dividende von bis zu 243 % im Jahr ausschütten Bucht besetzten. tion zu einer Walschutznation wandelte. der berühmtesten norwegischen Walfangkapitäne (Tønnessen und Johnsen, 1982). der ersten drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts Walöl war einer der Grundstoffe für Glyzerin und im Südpolarmeer, führte die ersten beiden Reisen Norwegen wurde schnell die führende Nation in damit die Herstellung von Dynamit. Der Walfang Walfangversuche im Südpolarmeer 1892/93 und 1893/94. Er sah zahllose der schnellen der Jagd auf die Wale. Deutschland dagegen war ging deshalb im Ersten Weltkrieg in unverminderter Furchenwale, denen er ohne Harpunenkanone nicht führend in der Entwicklung von Walölprodukten. Zu Höhe weiter, Buckelwale begannen bereits deutlich Deutschlands Interessen, im Südpolarmeer Walfang beikommen konnte. Aber er erkannte das Potential, zu betreiben, begannen einige Jahrzehnte bevor der das ein Walfang in der Antarktis bot und machte kommerzielle Walfang auf Süd Georgien im Dezember Vorschläge, wie ein solches Walfangunternehmen 1904 einsetzte. Eduard Dallmann war der erste, der zu organisieren sei. Friedrichsen, ein deutscher Kar- 1873/74 mit dem Walfänger „Grönland“ eine Such- tograph, fertigte auf der Grundlage der Entdeckun- reise ins Gebiet westlich der Antarktischen Halbinsel gen, die Larsen im Weddell-Meer gemacht hatte, unternahm, um dort Glattwale zu jagen (Krause und eine neue Karte der Antarktis (Hart, 2001). Rack, 2006). Das Gebiet der Antarktischen Halb- insel war damals kaum kartiert. Robbenfänger, wie Es war entscheidend dem Betreiben Larsens sowie der Amerikaner Nathaniel Palmer, der 1819 fast zur dem Niedergang des Walfangs in der Arktis und gleichen Zeit wie der russische Baron Bellingshausen den Finnmarken zu verdanken, dass sich norwe- die Süd Shetland Inseln entdeckt hatte, behielten ihre gisches Kapital in Buenos Aires zur Compañia Ar- geographischen Entdeckungen als potentielle Rob- gentina de Pesca zusammenfand. Sie gründete die benschlaggründe lieber für sich. Dallmann gelang es, Walfangstation Grytviken („Kesselbucht“, nach den bis ins Gebiet der südlichen Gerlache Straße vorzu- alten Trankesseln der Robbenfänger, die sich am dringen. Einige Plätze tragen noch heute die Namen Strand fanden) in der Cumberland East Bay auf Süd Abb. 2: Fänge an Großwalen im Südpolarmeer von 1904 bis 2006.

48 49 abzunehmen und so wurden mit dem Beginn des – in der letzten Fangsaison vor dem Zweiten Welt- Ersten Weltkrieges Blauwale (Balaenoptera muscu- krieg – jagten sieben deutsche Mutterschiffe mit 56 lus), die größten Wale überhaupt, die Hauptzielart Fangbooten Wale in der Antarktis. Fünf der sieben des Walfanges (Abb. 2). Die Zeit von 1910 bis 1925 Mutterschiffe waren umgebaute Frachter, deren sah eine enorme technologische Entwicklung im Technologie veraltet war. Die 1938/39 in Dienst ge- Walfang: veränderte Rumpftypen und verbesser- stellte „Walther Rau“ allerdings war zu der Zeit das te Harpunenkanonen erhöhten die Erfolgsquoten modernste Walfangmutterschiff der Welt. der Fangboote. Neue Kochertypen, die Einführung 15 000 Wale (oder 12 % aller erlegten Wale) von Zentrifugen und verbesserte Raffinierungsme- wurden in den drei Fangperioden von deutschen thoden führten zu einer deutlich verbesserten Aus- Flotten erlegt. Aber nur zwei der sieben Flotten, die beute (Kock, 1995). Gleichzeitig stieg der Bedarf an „Wikinger“- und die „Walther Rau“-Flotte, arbeite- Walöl auf dem Weltmarkt durch die Margarine- und ten wirtschaftlich. Seifenindustrie. Weitere Fortschritte brachten 1924 Abb. 5: Walfangmutterschiff „Olympic Challenger“ der Onassis und 1925 die Entwicklung der Walklaue und der Die Blauwalbestände begannen zu schrumpfen und Flotte. Heckslip, die es erlaubten, die Wale auf hoher See Abb. 4: Deutsches Fangboot „Treff 5“ in schwerer See. wurden Mitte der 1930er Jahre von den Finnwalen gefahrlos an Bord zu ziehen. 1925 wurden diese (Balaenoptera physalus), die einige Meter kleiner radius 2 000 Seemeilen überschritt, was einem Errungenschaften zum ersten Mal auf dem Wal- Subtropen nicht. Doch Männchen ziehen bis in die sind, als Zielart abgelöst (Abb. 2). Walfangverbot gleichkam. Um das Walfangverbot fangmutterschiff „Lancing“ eingesetzt. hoch-antarktischen Breiten. Pottwale waren ein Zur selben Zeit, als Deutschland mit dem Walfang zu umgehen, stellte Deutschland Pläne auf für so- geschätzter Beifang, weil aus ihnen hochwertige, in der Antarktis begann, verabschiedete der Völker- genannte „Joint Ventures“ mit Walfangnationen, Der Walfang war nun nicht mehr auf Landbasen von der Industrie gesuchte Öle gewonnen wur- bund erste Maßnahmen, um Walbestände besser zu wie Island, Spanien oder Argentinien. Ihnen blieb und geschützte Buchten angewiesen. Das ganze den. Pottwale wurden allerdings nur gejagt, wenn schützen. Sie untersagten den Fang von Glattwalen aber der Erfolg versagt. Südpolarmeer lag offen vor den Walfängern. Sie sie in gewissen Anzahlen angetroffen wurden. Ihre und schrieben Mindestfanglängen für Blau-, Finn-, packten die Gelegenheit beim Schopfe und erwei- Verarbeitung blieb streng von der der Bartenwale Buckel- und Pottwale vor sowie eine vollständige Ende der 1940er Jahre setzte die IWC ihr erstes terten ihre Kapazitäten noch einmal deutlich. In der getrennt, weil ihre Öle nicht miteinander vermischt Nutzung des Walkörpers. Weibliche Wale, die Käl- Managementverfahren in Kraft, das auf den soge- Saison 1930/31 fingen 41 Walfangmutterschiffe werden durften. ber führten, durften nicht mehr geschossen werden. nannten Blauwaleinheiten basierte. Ein Blauwal ent- und 56 Landstationen mit 212 Fangbooten 29 410 Die Schutzmaßnahmen eröffneten die Möglichkeit, sprach 1,5 Finn-, drei Buckel- oder fünf Seiwalen. Blauwale, mehr als 10 000 Finnwale und einige Anfang der 1930er Jahre war Deutschland der größ- Fangperioden zeitlich zu begrenzen (Birnie, 1985). Fangquoten wurden in Blauwaleinheiten unabhän- hundert Buckel- und Seiwale. Die Weltwirtschafts- te Importeur von Walöl weltweit. Nach 1933 sah sich gig davon festgesetzt, welche Walart gejagt wurde. krise und das Überangebot führten 1930 zu einem Deutschland mit ständig steigenden Preisen für nor- Der Zweite Weltkrieg brachte den Walfang fast voll- Buckel- und Blauwale waren bereits so stark de- Zusammenbruch des Weltmarktpreises für Walöl. wegisches Walöl konfrontiert. Deutschland versuchte ständig zum Erliegen. Lediglich einige Landstationen zimiert, dass sie gar nicht mehr hätten gejagt werden Der Walfang wurde für eine Saison ausgesetzt, um im Zuge der eigenen Hegemoniebestrebungen vom auf Süd-Georgien betrieben Walfang in geringem dürfen, während Finnwale voll genutzt wurden. die Preise zu stabilisieren. Als Folge dieses öko- Weltmarkt unabhängig zu werden („Sicherstellung Umfang über die Kriegsjahre. In der Saison 1945/46 Nach jahrelangen, vergeblichen Versuchen, von den nomischen Desasters schlossen norwegische und der eigenen Fettversorgung“, wie es im Amtsdeutsch wurde der Walfang wieder aufgenommen, obwohl Alliierten die Erlaubnis zur Wiederaufnahme des Wal- britische Walfanggesellschaften zwischen 1932 hieß) und baute eine eigene Walfangflotte auf. 1936/37 viele Walfangmutterschiffe als Tanker und viele fanges zu bekommen, eröffnete sich für deutsche und 1936 mehrere Abkommen zur Produktions- begannen drei Flotten den Walfang, von denen eine Fangboote als Vorpostenboote den Krieg nicht Walfänger doch eine Möglichkeit, wieder ihrem Beruf begrenzung, denen sich aber andere Länder – wie die „Jan Wellem“-Flotte war (Abb. 3 und 4). überstanden hatten. Die drei verbliebenen deut- nachzugehen. Der griechische Reeder Aristoteles Japan – nicht anschlossen. schen Walfangmutterschiffe gingen als Reparations- Onassis ließ einen früheren amerikanischen Tanker Die führenden Walfangnationen Norwegen und leistungen an die Alliierten. Die „Wikinger“ fuhr un- und ehemalige kanadische Korvetten aus dem Zweiten Ab Mitte der 1930er Jahre gerieten Pottwale (Phy- Großbritannien nutzten in erster Linie den Waltran. ter russischer Flagge als „Slava“, die „Walther Rau“ Weltkrieg bei der Howaldt-Werft in Kiel zum Walfang- seter macrocephalus) stärker in das Visier der Deutschland verarbeitete den ganzen Wal. Japan wurde erst zur „Kosmos I“ und 1971 zur japanischen mutterschiff „Olympic Challenger“ (Abb. 5) und zu Walfangindustrie. Pottwalweibchen verlassen die nutzte vor allem das Walfleisch und war nur sekun- „Kyokusai Maru“ und die „Unitas“ wurde zunächst zwölf Fangbooten umbauen. 90 % ihrer Besatzungen där an Walöl interessiert. zur „Empire Victory“ und nach 1957 zur „Nishin waren Deutsche, die teilweise schon vor dem Krieg im Maru“, ebenfalls unter japanischer Flagge. deutschen Walfang gearbeitet hatten. 1936 wurde in Hamburg ein Walforschungsinstitut gegründet. 12 bis 51% der Besatzungen der deut- 1946 wurde die Internationale Walfangkonvention Was die Besatzungen zu spät bemerkten war, dass schen Walfänger bestanden aus Norwegern, die unterzeichnet, deren politisches Gremium die Inter- keines der Schiffe die deutsche Flagge führte, son- für viel Geld in Norwegen abgeworben wurden und nationale Walfangkommission (IWC) war. Sie trat dern in Billigflaggenländern, wie Panama und Hondu- auf geheimen Pfaden Deutschland erreichten. Die 1948 in Kraft. Die IWC war zu der Zeit eine Ge- ras, registriert war. Die Besatzungen fuhren also nicht norwegische Regierung hatte ihren Landsleuten meinschaft am Walfang interessierter Länder, deren nach deutschem Recht, sondern unterlagen den eher die Beschäftigung im deutschen Walfang strikt un- oberstes Ziel es war, ihre kommerziellen Interessen laschen Regelungen dieser Staaten, die ihnen viele tersagt. Deutsche Harpunenschützen wurden im zu schützen und den Club der Walfänger klein zu Rechte nicht einräumten, die deutsche Gesetze vor- Sommer auf die Färöer Inseln geschickt, um ihre halten. Deutschland und Japan – als Verlierer des schrieben. Onassis hielt sich an keine Regelungen Fähigkeiten zu verbessern, doch gab es nur wenige Krieges – bemühten sich um Lizenzen, um den Wal- der IWC. Seine Schützen schossen untermaßige deutsche Schützen, die es mit den Norwegern auf- fang wieder aufzunehmen und die Rohstoffknapp- Wale, Weibchen mit Kälbern und geschützte Arten, nehmen konnten. heit im eigenen Land zu mildern. Nur Japan erhielt wie Buckelwale. Dass Walöl nur ein Mittel zum Zweck die Erlaubnis, den Walfang wieder zu beginnen. war, möglichst schnell möglichst viel Geld zu verdie- Abb. 3: Walfangmutterschiff „Jan Wellem“ mit Fangbooten in Deutschland schickte in der folgenden Saison Deutschland durfte keine Schiffe bauen, die größer nen, zeigte auch die Tatsache, dass er eine Saison der Cumberland Bay, Süd Georgien. bereits sechs Flotten ins Südpolarmeer. 1938/39 als 1 500 Tonnen waren und deren Operations- (1953/54) mit dem Walfang aussetzte, weil er mit der

50 51 „Olympic Challenger“ als Tanker mehr Geld verdienen Conference on the Human Environment“ in Stock- Die beiden letzten Punkte sollten als Paket das sollten. Die IWC wuchs bis Ende 2006 auf 66 Mit- konnte als im Walfang. Die Informationen über Onas- holm rief 1972 zum ersten Male zu einem zehnjäh- „Revised Management Scheme“ (RMS) der IWC glieder an. Doch die Standpunkte verhärteten sich sis’ ungesetzliches Treiben wurden von deutschen rigen Moratorium des kommerziellen Walfanges auf bilden. Japan hatte ursprünglich gegen das Morato- über die Zeit, und 2006 standen sich die Kontra- Walfängern, die mit den unzureichenden Heuerbe- (Kock, 1995). rium gestimmt. Aufgrund seiner Fischereiinteressen henten unversöhnlicher denn je gegenüber. Der iri- dingungen unzufrieden waren, an die norwegische in der amerikanischen 200 Seemeilen Zone gab es sche Kompromissvorschlag in der zweiten Hälfte Regierung weitergeleitet, die im Verbund mit anderen Zur gleichen Zeit fanden wichtige Unwälzungen in aber dem Druck der USA nach und zog seinen Ein- der 1990er Jahre, Küstenwalfang zuzulassen, dafür mächtigen IWC Mitgliedern Onassis zwang, seine der IWC statt: Die starre Front der Walfänger und spruch gegen das Moratorium zurück. Während die den Hochseewalfang aber einzustellen, schlug fehl. Walfangflotte zu verkaufen. Walfangbefürworter – durch den Sinneswandel IWC gerade anfing, ihre neuen wichtigen Aufgaben Ein ähnliches Schicksal erlitten die Vorschläge der wichtiger Mitglieder, wie Großbritannien oder Neu- anzugehen, nutzte Japan ein Schlupfloch in den Kommissionsvorsitzenden in der ersten Hälfte des Das Managementverfahren der Blauwaleinheiten seeland, unterstützt – weichte auf. Die IWC wuchs Statuten der IWC: es erklärte seinen Walfang zum neuen Jahrhunderts, die RMS zügig auszugestal- erwies sich schnell als völlig unzureichend, um zwischen 1975 und 1982 um 20 Mitgliedsländer, ‚wissenschaftlichen’ Walfang. Das Ausweichen auf ten. Sie sollten helfen, die Fronten aufzuweichen Walen auch nur elementaren Schutz angedeihen von denen fast alle die Wale zu schützen suchten den wissenschaftlichen Walfang diente dazu, den und die IWC aus der Sackgasse, in der sie seit Jah- zu lassen. Es blieb aber bis Mitte der 1970er Jahre und erklärte Walfanggegner waren. Die IWC ver- kommerziellen Walfang in verringertem Umfange ren steckte heraus zu führen. in Kraft. Erst mit dem Niedergang der Finnwale zu suchte zu retten, was zu retten war. Sie entwickelte mit 300 Zwergwalen ± 10 % pro Jahr am Leben zu Beginn der 1960er Jahre, für die mit den Seiwalen Mitte der 1970er Jahre die „New Management erhalten und die politischen Entwicklungen in der Japan, sichtlich mit den Rankünen innerhalb der (B. borealis) nur kurzfristig Ersatz geschaffen wer- Procedure“ (NMP), die aber aufgrund der schwa- IWC abzuwarten. IWC unzufrieden, erhöhte die Fänge für Zwerg- den konnte (Abb. 2), begann die IWC wirksamere chen und von Walbestand zu Walbestand sehr wale zunächst auf 400 ± 10 %, dann 2005 auf 850 Fangbeschränkungen einzuführen. Buckelwale unterschiedlichen Datenbasis zu kompliziert war, Jegliche Modifizierung des Moratoriums sollte nur Zwergwale. Neben Zwergwalen sah das japani- wurden 1963, Blauwale 1964 vollständig geschützt. um sinnvoll angewendet zu werden. Sie führte aber nach einer umfassenden Analyse ihrer Auswir- sche ‚Forschungsprogramm’ auch den Abschuss Wie Onassis scherte sich aber auch die Sowjet- immerhin zum Schutz der meisten Finnwal- sowie kungen auf die Walbestände vorgenommen wer- von 50 Buckel- und 50 Finnwalen vor. Abgeleitet union wenig um das, was die Walfangkommission einiger Sei- und Pottwalbestände während der den (Kock, 1995). Die „Umfassende Bestandsein- wurden die Fangquoten der beiden Großwalarten beschloss. Sie schoss weiterhin jede Art von Walen, zweiten Hälfte der 1970er Jahre. Der Druck auf die schätzung“ (das „Comprehensive Assessment“), aus japanischen Bestandsabschätzungen, die im selbst Südkaper, die eigentlich seit 1935 geschützt IWC nahm zu. Nach vergeblichen Versuchen, ein die 1990 begonnen wurde, dauerte wesentlich Wissenschaftsausschuss der IWC heftig befehdet waren und fälschte hemmungslos die offiziellen, an Moratorium für den kommerziellen Walfang 1979, länger als geplant und hat für Arten, wie Finnwale, und angezweifelt wurden, weil sie Reproduktions- die IWC abzuliefernden Fangstatistiken. Dies wurde 1980 und 1981 durchzusetzen, fand sich 1982 die noch nicht einmal richtig begonnen. Sie ist bisher raten annahmen, die für Bartenwale nicht plausibel erst 1994 bekannt (Yablokov, 1994; Anon., 1995). nötige Dreiviertelmehrheit für ein weltweites Mora- nur für Buckelwale weitgehend abgeschlossen. erscheinen. Für Finnwale liegt der IWC zudem nicht Eine Reihe von deutschen Walfängern arbeitete in torium, das 1986 in Kraft trat. Norwegen und die Buckelwale haben in den letzten zwei Jahrzehnten einmal ansatzweise eine ‚Umfassende Bestands- der niederländischen „Willem Barendsz“-Flotte, bis damalige Sowjetunion stimmten gegen das Mora- erfreulich zugenommen. Bisher zeigte jedoch keine einschätzung’ vor. Japan verschärfte seine Gang- diese 1960 nach Japan verkauft wurde torium und sind nach Artikel V, Absatz 3 des Über- Bestandsabschätzung, dass einer der Bestände art weiter. Es beteiligte sich nicht an bestimmten einkommens nicht an das Moratorium gebunden wieder so weit angewachsen ist, dass in naher Arbeitsgruppen der Kommission, wie dem 2003 in (Kock, 1995). Sie stellten allerdings ihren kommer- Zukunft an eine kommerzielle Nutzung zu denken Berlin eingesetzten „Conservation Committee“ und Von Walfängern zu Walschützern ziellen Walfang zu dieser Zeit ein. 1982 war auch wäre. versuchte 2005 (vergeblich) Themen, wie Waltouris- das Jahr, in dem Deutschland Mitglied der IWC mus, Walschutz, Walschutzgebiete und allgemeine Alle wichtigen Walfangnationen, mit Ausnahme wurde. Der Wissenschaftsausschuss entwickelte die Angelegenheiten des Tierschutzes von der Tages- Japans und der Sowjetunion, gaben den Walfang „Revised Management Procedure“ (RMP), die welt- ordnung der Kommission zu streichen. in den 1960er Jahren auf. Zwergwalen (B. bonae- Deutschland bildete mit Ländern wie den USA, weit als ein Verfahren gelobt wurde, das Walbestände rensis) galt jetzt das Hauptaugenmerk der Walfang- Großbritannien, Australien, Neuseeland, Frankreich sicher bewirtschaften könnte. Ihr Kernstück ist Deutschland, um mehr Profil in der IWC bemüht, industrie, während die von der IWC festgesetzten und anderen Mitgliedsstaaten der EU, die Gruppe der „catch limit algorithm“, der aus Bestandsab- richtete die 55. Jahrestagung der IWC 2003 in Fangmengen für Finnwale, Seiwale und männliche der „like-minded countries“, die sich gegen eine schätzungen mit Hilfe von Sichtungssurveys und Berlin aus. Neben der Mitarbeit in Wissenschafts- Pottwale Jahr für Jahr verringert werden mussten. Wiederaufnahme des kommerziellen Walfanges Zeitserien historischer Fänge die Berechnung der Die IWC eröffnete 1976 ein eigenes Sekretariat in aussprachen, so lange die IWC nicht die nötigen Höchstfangmengen ableitet (Kock, 1995). Die RMP Cambridge (Großbritannien). In vielen Ländern der Vorraussetzungen für eine nachhaltige Bestandser- wurde 1994 von der Walfangkommission ange- westlichen Hemisphäre, wie Großbritannien, den haltung geschaffen hatte. Zu diesen gehörten u.a., nommen. Im gleichen Jahr wies die IWC gegen USA, Australien, Neuseeland und Kontinentaleuro- den Widerstand Japans, Norwegens und anderer pa, setzte ein Umdenken ein – stark gefördert durch • dass der Wissenschaftsausschuss eine „Umfas- Walfangbefürworter das gesamte Südpolarmeer als Umweltgruppen, wie Greenpeace, oder Fernseh- sende Bestandseinschätzung“ („Comprehensive Walschutzgebiet aus. Es wurde 2004 noch einmal serien, wie „Flipper’’. Erleichtert wurde dieses Um- Assessment“) der genutzten Walbestände vor- um zehn Jahre verlängert. Dies hinderte Japan aber denken auch durch die Tatsache, dass viele der nimmt, die vermutlich zehn Jahre dauern würde nicht daran, weiterhin ‚wissenschaftlichen’ Walfang Produkte, die ursprünglich Walöl oder seine Deriva- und die zeigen sollte, ob Walbestände wieder zu in der Antarktis zu betreiben. te als Grundstoff benutzten, jetzt auf synthetischer einer Größe angewachsen waren, die eine kom- Basis hergestellt wurden und so die wirtschaftlichen merzielle Nutzung erlauben würde, Nach der Etablierung der RMP war die Kommis- Anreize für Walfang, die während der ersten Hälfte • dass der Wissenschaftsausschuss ein Nutzungs- sion gefordert, zügig den übrigen Teil des RMS des 20. Jahrhunderts wirksam waren, schwächer konzept entwickelt, das die Gefahr, Walbestände zu entwickeln. Es gelang ihr aber nicht, in den 13 wurden. Wale wandelten sich (plötzlich) von Fang- über Gebühr zu nutzen, minimierte, und Jahren, die ins Land gingen, wirkliche Fortschritte objekten zu intelligenten und friedlichen Wesen, die • dass die Kommission die nötigen Überwa- bei der Entwicklung eines RMS zu erzielen. Statt- ein ausgeprägtes Familienleben führen. Dass man chungs- und Inspektionsverfahren schaffte, die dessen begannen Walfanggegner und -befürwor- Abb. 6: Untersuchungsgebiete für den an Bord der „Polarstern“ ihnen vor kaum einem Jahrzehnt massiv nachge- eine lückenlose Kontrolle jeder legalen Walfang- ter ein Rennen, um neue Mitglieder in die IWC zu durchgeführten Helikoptersurvey während der ANTXXIII/8 stellt hatte, schien kaum noch vorstellbar. Die „UN aktivität zuließ. bringen, die der eigenen Sache den Rücken stärken Exkursion.

52 53 In mehreren Boxen (Beobachtungssektoren) im Bereich der Antarktischen Halbinsel und im Weddell-Meer (Abb. 6) wurde ein hoher Artenreich- tum mit insgesamt neun Walarten festgestellt. Vom Helikopter aus war es oft möglich, die Tiere zu fotografieren und später sicher zu identifizieren. Dies war insbesondere bei den oft nur für wenige Sekunden auftauchenden Schnabelwalen von un- schätzbarem Vorteil. Dazu gehörten Arnoux’ Schna- belwal (Berardius arnuxii, Abb. 7), der wahrschein- lich hauptsächlich in den vom Meereis weitflächig bedeckten Gebieten vorkommt, und der wunder- schön gefärbte Layard Schnabelwal (Mesoplodon layardii, Abb. 8).

Abb. 7: Arnoux’s Schnabelwale (Berardius arnuxii) im Meereis Zusätzlich wurden von Helikopter und Schiff aus der westlichen Weddellsee. Fotos der Schwanzflossen von Buckelwalen und der Rückenfinnen von Schwertwalen (Orcinus ausschuss und Kommission engagiert Deutschland orca, Abb. 9) gemacht. Für beide Arten gibt es sich in den letzten Jahren zunehmend in Walsur- inzwischen einen Katalog antarktischer Tiere, in veys im Südpolarmeer und nutzt dabei die Hilfe von dem die Wale aufgrund charakteristischer Merk- „Polarstern“ und deren Helikopter. male in der Flukenzeichnung und der Rückenflos- So untersuchte die Bundesforschungsanstalt für senform individuell zugeordnet werden können. Fischerei im Verbund mit dem Forschungs- und Ein Vergleich der Fotos solcher Buckelwalfluken Technologiezentrum Westküste in Büsum, das erlauben neue Erkenntnisse über das Wanderver- zur Universität Kiel und der GKSS in Geesthacht halten dieser Walbestände, z.B. zwischen dem gehört, auf der vor wenigen Monaten zu Ende subtropischen Südamerika und der Antarktis. gegangenen Expedition ANT 23/8 (23. Novem- ber 2006 bis 30. Januar 2007) die Verteilung und Der Survey belegte, dass wichtige Untersuchungen Habitatnutzung von Walen im atlantischen Sektor über Wale nicht mit dem Töten der Tiere verbun- der Antarktis. Dazu wurde ein Helikopter als For- den sein müssen. Er machte aber auch deutlich, schungsplattform eingesetzt, mit dem es möglich welche Wissenslücken noch über das Wanderver- war, in relativ kurzer Zeit ein großes Seegebiet halten der von uns gesichteten Walarten beste- abzudecken. So wurden zum ersten Mal auch hen. So ist zum Beispiel unklar, ob die bereits im Abb. 10: Antarktische Zwergwale (Balaenoptera bonaerensis) im Meereis des Weddell-Meeres. Bereiche mit hoher Eisbedeckung erfasst, wo die Dezember tief im Packeis gesichteten Zwergwale herkömmliche Beobachtung von eisbrechenden dort früher im Jahr eingewandert sind oder ob sie oder ganzjährig im Packeis aufhalten und bei Sich- Zusammenfassung Schiffen aus, wegen der stark herabgesetzten den Winter dort verbracht haben (Abb. 10). Die tungssurveys nicht berücksichtigt werden, weil Geschwindigkeit, schwierig ist. Beantwortung, wieviel Zwergwale sich temporär diese in der Regel an der Packeisgrenze enden, ist Deutschland war die erste Nation, die 1873/74 Wal- für die IWC von großer Bedeutung, denn möglichst fangversuche im Südpolarmeer unternahm. Diese genaue Bestandsabschätzungen sind die Vorraus- Anstrengungen waren allerdings nicht von Erfolg setzungen für jeden Nutzungsansatz. gekrönt. Versuche, im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts in den Walfang einzusteigen, wurden Neben der Nutzung nimmt die Diskussion der Aus- von den Walfangnationen vereitelt. Erst in der zwei- wirkungen sich verändernder Umweltfaktoren auf ten Hälfte der 1930er Jahre betrieb Deutschland für Walpopulationen einen immer größeren Raum in drei Jahre Walfang. Deutschland durfte den Walfang den Betrachtungen der IWC ein – „Global Change“ nach dem Krieg nicht wieder aufnehmen. Deutsche ist in aller Munde. Die Erwärmung der Meere, das Walfänger arbeiteten aber in den 1950er Jahren in Schwinden des Meereises und das Schmelzen des der „Olympic Challenger“ Walfangflotte des grie- Schelfeises und der Gletscher im Bereich der Ant- chischen Reeders Aristoteles Onassis und in der arktischen Halbinsel sind sichtbare Anzeichen für niederländischen „Willem Barendsz“-Walfangflotte. jeden, der die Gewässer um die antarktische Halb- Seit 1982 ist Deutschland Mitglied der Internationa- insel schon länger befährt. Deutschland, dem eine len Walfangkommission (IWC). Als Mitglied der „like wichtige Rolle als Mitglied der IWC und CCAMLR’s - minded countries“, setzt es sich intensiv für den (Commission for the Conservation of Antarctic Ma- Schutz der Wale ein. Es sprach sich 1994 für das rine Living Resources) zugeschrieben wird, ist hier Walschutzgebiet Südpolarmeer aus und erreichte gefordert, seinen Beitrag zur Erforschung dieser 2004 mit anderen „like - minded“ Staaten eine Ver- Abb. 8: Layard-Wal (Mesoplodon layardii) in Gewässern nördlich Abb. 9: Rückenfinne eines antarktischen Schwertwals (Orcinus Veränderungen und seiner Auswirkungen auf die längerung dieses Schutzgebietes um weitere zehn von . orca). Tierwelt zu leisten. Jahre.

54 55 Literatur Die Geschichte der Kerguelen Anonymous (1995): Soviet Antarctic whaling data Krause, R. A. & U. Rack (2006): Schiffstagebuch (1947-1972). Center for Russian Environmental der Steam-Bark „Groenland“ geführt auf einer Michael Kracke Policy, Moscow, 320 S. Fangreise in die Antarktis im Jahre 1873/1874 Birnie, P. (1985): International Regulation of Whaling: unter der Leitung von Capitain Ed. Dallmann. From conservation of whaling to conservation of Ber. Polarforsch. 530: 175 p. Die Entdeckungsgeschichte der Kerguelen whales and regulation of whale-watching. Ocea- Tønnessen, J. N. & A. O. Johnsen (1982): The history na Publ. Inc. New York London, Vol. 1, 574 S. of modern whaling. Hurst & Company, Schon die alten Griechen waren der Überzeugung, Hart, I. B. (2001): Pesca. A history of the pioneer London. 798 S. dass auf der Südhalbkugel der Erde ein riesiger modern whaling company in the Antarctic. Yablokov, A. V. (1994): Validity of whaling data. Kontinent liegen müsse, um als Gegengewicht zu Aidan Ellis Publ. Whinfield, UK. 548 S. Nature 367: 108. den Landmassen der nördlichen Hemisphäre die Kock, K.-H. (1995): Wale und Walfang. In: Biologie Erde im Gleichgewicht zu halten. Auch die Wissen- der Polarmeere, Hempel, G. Hempel, I. (Hrsg.), schaftler und Kartografen des Mittelalters erklärten Gustav Fischer Verlag Jena. 307-319. ohne Scheu die Existenz dieser Landmassen im Süden der Erdkugel. Es kursierten phantasievolle Beschreibungen über die Pracht und den Reichtum dieser „terra australis incognita“. Im Europa des 18. Jahrhunderts waren die Könige und ihre Berater davon überzeugt, dass die Erfor- schung dieser unbekannten Regionen zu gewinn- trächtigen Handelsbeziehungen führen könnte. Einschlägige Schriften wurden am Hof des fran- zösischen Königs Ludwig XV. mit Interesse und einer gehörigen Portion Naivität aufgenommen. Ausschlaggebend für die Finanzierung teurer Ex- peditionen in diese unbekannten Gebiete war unter anderem die Beschreibung des Seefahrers Paulmier de Gonneville von 1505, der behauptete, dieses Abb. 1: Yves-Josef de Kerguelen-Tremarec. südliche Land betreten zu haben. Er berichtete über eine Art Garten Eden, reich an Waren aller Art und Der zweite Kommandant Jules Crozet segelte die mit freundlichen Menschen bevölkert. Er nannte es Schiffe nach Frankreich zurück. Der Archipel trägt in seinen Beschreibungen „die Dritte Welt“, damals noch heute seinen Namen. auch benannt als Austral, Meridional oder Antarktis. In Wahrheit dürfte es sich bei seinen Ausführungen aber eher um die Beschreibung Brasiliens gehan- De Kerguelens erste Expedition delt haben. Ludwig XV. jedoch war so geblendet von diesen Schilderungen, dass er im Jahre 1771 Für die zweite Expedition beauftragte Ludwig XV. beschloss, zwei Expeditionen zur Entdeckung die- einen bretonischen Kapitän, den Chevalier Yves- ses sagenhaften Kontinents zu entsenden. Josef de Kerguelen-Tremarec (Abb. 1). De Kergue- Die erste Expedition stand unter dem Kommando len brach am 1. Mai 1771 vom französischen Groix des Franzosen Marion-Dufresne, der am 18. Oktober mit der „Berryer“ und 300 Mann Besatzung in Rich- 1771 mit den Schiffen „Mascarin“ und „Marquis de tung Ile de France auf, dem eigentlichen Ausgangs- Castries“ von der Ile de France, dem heutigen Mau- punkt der geplanten Expedition. Die wissenschaft- ritius, in südlicher Richtung aufbrach. Beide Schiffe lichen Möglichkeiten der Expedition standen beim gerieten jedoch in einen schweren Sturm und wurden Verlassen Frankreichs im Hintergrund. Als einziger so stark beschädigt, dass sie hilflos durch Wind und Wissenschaftler war der Astronom und Physiker Strömungen südostwärts über den Ozean trieben. Abbé Rochon mit an Bord. Durch Zufall trafen sie am 24. Januar 1772 auf eine Insel, der sie zum Zeichen der französischen Besitz- Auf der Überfahrt kam es zu Unstimmigkeiten zwi- nahme den Namen „Possession“ gaben. Weiter öst- schen de Kerguelen und Rochon, so dass dieser bei lich sahen sie eine weitere kleine Insel, die „Ile Aride“ der Ankunft auf der Ile de France am 20. August 1772 (dt. dürre Insel) benannt wurde. Damit war die östliche das Schiff verließ und sich von der Expedition trenn- Region des heutigen Crozet-Archipels entdeckt. Die te. De Kerguelen übernahm in Port Louis die beiden weiter westlich gelegenen Inseln des Archipels hat- Schiffe, die für die eigentliche Expedition in die süd- ten die Seeleute im Nebel nicht gesehen. Die Expe- lichen Regionen vorgesehen waren, die „Fortune“ dition führte Marion-Dufresne bis nach Neuseeland, (eine Flüte) und die „Gros Ventre“ (eine Gabarre). De wo er am 12. Juni 1772 von Maoris getötet wurde. Kerguelen selbst kommandierte die „Fortune“, ein

56 57 Schiff mit 200 Mann Besatzung. Das Kommando der und lobte das Doppelte für denjenigen aus, der als Ankerplatz zu finden, doch die Wetterverhältnisse wa- De Kerguelens zweite Expedition kleineren „Gros Ventre“ mit deren 120 Mann wurde erster den neuen Kontinent sehen würde, wohl wis- ren zu ungünstig. Nebel zog auf und am 18. Februar an Louis Alesno de Saint-Allouarn abgegeben. Die send, dass wir am kommenden Tag den Kontinent 1772 verloren die beiden Schiffe den Sichtkontakt un- Mit zwei neuen Schiffen, der „Roland“ und der Schiffe wurden seeklar gemacht und mit Proviant erblicken würden. Ich bemerkte, dass es mehr Vögel tereinander. Ohne selbst die Insel betreten zu haben, „Oiseau“, segelte de Kerguelen zuerst in Richtung ausgestattet und verließen am 16. Januar 1772 den gab und dass sie ostwärts flogen.“ (übersetzt von: beschloss de Kerguelen schon am darauf folgenden Ile de France, um von dort aus weiter in die süd- Hafen Port Louis auf der Ile de France. Alain Boulaire, 1997). Das Land, das de Kerguelen Tag, Kurs zurück zur Ile de France zu nehmen, ohne lichen Gewässer zu segeln. Das gesamte Vorha- Als der gefürchtete vierzigste Breitengrad erreicht erblickte, war jene kleine Insel circa 50 Kilometer Rücksicht auf sein zweites Schiff und dessen Besat- ben stand von Anfang an unter einem schlechten wurde, bekam die Expedition die extremen Wetter- westlich der Hauptinsel der Kerguelen, die heute zu zung. Die „Gros Ventre“, unter der Leitung von Saint- Stern. Die Vorbereitungen für die Expedition ver- verhältnisse dieser Region zu spüren. Stürme, mas- Ehren der Entdecker „La Fortune“ genannt wird. Allouarn, segelte inzwischen weiter Richtung Norden, liefen unter Zeitdruck, denn de Kerguelen musste sive Niederschläge und eisige Temperaturen mach- um dort die Suche nach der „Fortune“ aufzunehmen. damit rechnen, dass die „Gros Ventre“ Frankreich ten der Expedition schwer zu schaffen. Trotz des Am nächsten Tag segelten die Schiffe weiter in östliche erreichen könnte und somit seine phantasievollen vorherrschenden Nebels erblickten sie Land. De Richtung und entdeckten die Hauptinsel der heutigen Am 16. März 1772 lief die „Fortune“ mit de Kerguelen Beschreibungen am Königshof aufgeflogen wären. Kerguelen schrieb in das Logbuch der „Fortune“: Kerguelen (Abb. 2). Sie erreichten die von Wind und wieder im Hafen von Port Louis ein. Er ließ am Schiff Der Proviant war unzureichend, die Kleidung der „Am selben Tag, dem 12. Februar 1772, immer Wellen gepeitschte südwestliche Küste, die mit ihren notwendige Reparaturen vornehmen und trat schnell Besatzung entsprach nicht den Anforderungen noch dem gleichen Kurs folgend, nahmen wir um steil aufragenden Felsen keine Möglichkeit zum Anle- die Rückreise nach Frankreich an, wo er am 16. Juli des zu erwartenden Wetters, obwohl de Kerguelen sechs Uhr am Abend Notiz von einer kleinen Insel gen bot. Schließlich gelang es dem Offizier der „Gros 1772 in Brest eintraf. Die „Gros Ventre“ irrte unterdes- um die Gefahren und Verhältnisse in der Region vier Meilen vor uns. Ich nahm Tiefenmessungen vor, Ventre“, de Boiguehenneuc, die Insel mit einem klei- sen auf der Suche nach de Kerguelen durch den rau- südlich des vierzigsten Breitengrades wusste. Die ohne Boden zu finden, ging bis zu zwei Meilen an nen Boot zu erreichen und an Land zu gehen. Er nahm en südlichen Indischen Ozean. Erst am 5. September Besatzung der beiden Schiffe war schon leidge- die Insel heran und da die Nacht hereinbrach, kam sie offiziell im Namen des Königs in den Besitz Frank- 1772, fast zwei Monate nachdem de Kerguelen schon prüft, als sie am 11. Juli 1773 das Kap der Guten die Gros-Ventre neben uns und blieb unter kleinen reichs. Heute ist die Stelle der ersten Anlandung als wieder zurück in Frankreich war, erreichte die „Gros Hoffung umsegelten und am 29. August 1773 in Port Segeln bei uns. Ich gab die versprochenen 20 Ecus „Gros Ventre Bucht“ bekannt. Die beiden Schiffe ver- Ventre“ die Ile de France. Die Besatzung war demo- Louis auf der Ile de France eintrafen. Dort wurde ein dem Seemann, der als erster das Land erblickt hatte suchten weiter, die Westküste zu erkunden und einen ralisiert, das Schiff in einem schlechten Zustand. Der weiteres Schiff in die kleine Expeditionsflotte aufge- Kommandant Saint-Allouarn starb nach der Ankunft nommen, die „Dauphine“. Doch statt der erhofften auf der Ile de France an einer Vergiftung, sein Offizier Hilfe und dem Laden neuen Proviants, lehnten die Rosily führte das Schiff nach Frankreich zurück. Behörden jegliche weitere Hilfe für de Kerguelen ab, Da de Kerguelen nun einige Zeit vor dem zweiten der dadurch gezwungen war, zur Bourbon-Insel, Schiff seiner Expedition in Frankreich ankam, nutzte der heutigen Insel La Reunion, zu segeln. Die Hal- er diesen Umstand für seine weiteren Pläne aus. Er tung der Behörden war wohl auf die Berichte der berichtete dem König von der Entdeckung der Insel Besatzung der „Gros Ventre“ zurückzuführen. Diese in den schillerndsten Farben. Seine Beschreibungen war lange nach der „Fortune“ auf der Ile de France sind eine einzige Zusammenstellung von Lügen, de angekommen und hatte die Beschreibungen de Kerguelen kannte kein Maß für seine Übertreibungen. Kerguelens ins rechte Licht gerückt. Einen fünften Kontinent hätte er gefunden, Aus- Auf der Bourbon-Insel gelang es de Kerguelen, die tral Frankreich, reich an allen erdenklichen Boden- Schiffe halbwegs auszurüsten und mit neuem Pro- schätzen, reich bewaldet und gesegnet mit einem viant zu versorgen. Am 28. Oktober 1773 stachen milden Klima und üppiger Vegetation. Er sprach von die drei Schiffe in See. De Kerguelen verfolgte an- möglichen Handelsbeziehungen mit Menschen, die fänglich noch das Ziel, die geographische Lage der er zwar nicht gesehen hatte, deren Existenz er aber von Marion-Dufresne entdeckten Crozet-Inseln vor beteuerte. Geblendet von den ausschweifenden Ort zu bestätigen, brach dieses Unterfangen aber Beschreibungen de Kerguelens und den wirtschaft- aufgrund schlechter Wetterverhältnisse ab und lichen Möglichkeiten für Frankreich, gab Ludwig XV. nahm direkt Kurs auf Austral France. Die Fahrt ent- tatsächlich die Mittel für eine zweite Expedition de wickelte sich nunmehr zu einem Martyrium für die Kerguelens frei. Er sollte versuchen, das neue Land Teilnehmer, Skorbut (Vitamin C-Mangel) griff immer weiter zu erkunden und Beziehungen mit seinen weiter um sich, das Wetter zeigte sich von seiner Einwohnern aufnehmen, außerdem sollte de Ker- schlechtesten Seite. Der Besatzung der Schiffe wur- guelen der vermissten „Gros Ventre“ Hilfe leisten, de alles abverlangt. Trotz dieser Umstände gelang wenn er das Schiff auf der Fahrt finden würde. es ein zweites Mal, die Insel zu erreichen. Am 14. Am 26. März 1773 trat de Kerguelen ein zweites Mal Dezember 1773 sichtete de Kerguelen die nördliche von Brest aus die Reise an. Er führte die „Roland“, Küste. Die nächsten Wochen verbrachten die Schif- eine Flüte mit 300 Mann Besatzung. Das Schick- fe damit, die sehr raue Nordwest-Küste zu erkun- sal wollte es, dass der Offizier Rosily mit der „Gros den. Die drei Schiffe verloren sich im Nebel, fanden Ventre“ nur wenige Tage nach der Abreise de Kergu- aber mit Hilfe der Schiffskanonen wieder zueinander elens endlich in Frankreich eintraf. Es ist vorstellbar, und verloren sich abermals aus den Augen. Am 6. dass die Geschichte um die Entdeckung der Kergu- Januar 1774 gelang es einem Offizier der „Oiseau“, elen an dieser Stelle einen anderen Verlauf genom- Monsieur de Rochegude, mit einem kleinen Beiboot men hätte, wäre Rosily rechtzeitig nach Frankreich die Küste zu erreichen und die Insel ein zweites Mal zurückgekehrt und hätte seine Eindrücke des ent- für Frankreich in Besitz zu nehmen. Nach seinem Abb. 2: Originalkarte der Kerguelen, 1772. deckten Landes dem König berichtet. Schiff nannte er die Bucht „Baie Oiseau“ (die Vogel-

58 59 sische Expedition am Weihnachtsabend 1776 die Baie Oiseau (Vogelbucht), in der drei Jahre zuvor der Offizier der „Oiseau“, de Rochegude, die Insel betreten hatte.

Cook benannte zu Ehren des Ankunftsdatums die Bucht um, und so heißt die Stelle, an der James Cook die Insel betreten hatte, noch heute „Port Christmas“ (Weihnachtshafen, Abb. 3). Bei seinem Landgang fand Cook die Flaschen, die de Roche- gude zurückgelassen hatte und fügte ihnen eine Münze und eine neue Botschaft hinzu. Die wissen- schaftlichen Untersuchungen der Cook-Expedition waren weitaus ergiebiger und detaillierter, und so beschrieb Cook als erster den rein insularen Charak- ter des Landes. Er fertigte präzise Zeichnungen und Karten der Küstenlinie der Insel an, welche späteren Abb. 4: Walfänger John Nunn vor Kerguelen. Expeditionen als Grundlage dienten. In seinem Log- buch hielt Cook fest: „Ich hätte dieses Land die Insel Die erfolgreiche Jagd nach den Seebären wurde der Trostlosigkeit nennen können, um ihre Sterilität von anderen amerikanischen Robbenschlägern zu kennzeichnen, aber aus dem Grund, Monsieur fortgesetzt, und bald kamen auch englische Schif- de Kerguelen nicht um seinen Ruhm zu bringen, sie fe, um die kostbaren Felle der Tiere zu erbeuten. entdeckt zu haben, habe ich sie Kerguelen genannt.“ Die Dezimierung der Tiere erreichte ein solches Nach dem Aufenthalt an den Kerguelen erkundete Ausmaß, dass sich diese Jagdzüge schon nach Cook die Weiten des Pazifischen Ozeans. Kapitän wenigen Jahren nicht mehr lohnten. Im Jahr 1817 James Cook ist es zu verdanken, dass die Kerguelen fand die Besatzung des englischen Schiffes „Eagle“ nach dem Entdecker benannt worden sind, dem es kaum mehr einen Seebären auf den Kerguelen. Abb. 3: James Cook in Port Christmas. selbst nie vergönnt war, die Insel zu betreten, welche Als Ersatz diente den Robbenschlägern der süd- nun für immer seinen Namen trägt. liche See-Elefant (Mirounga leonina). Die Robben- bucht). De Rochegude ließ einige Flaschen mit Bot- und augenscheinlich nichts einbrachten. Doch ein schläger waren auf das Fett der Tiere aus, welches schaften und der Erklärung der Besitznahme durch weiterer Umstand brachte de Kerguelen das Miss- in großen Tranbottichen gesammelt und in Fässern Frankreich in der Bucht zurück. fallen der Offiziere ein. Bei der Abreise in Brest Die Zeit der ersten Robbenschläger und nach Europa transportiert wurde. Das Geschäft mit Am 8. Januar 1774 fanden die Schiffe durch eine hatte er eine Frau, Madame Louison, an Bord der Walfänger dem Öl wurde immer lukrativer, so dass auch der glückliche Fügung wieder zueinander. De Kerguelen „Roland“ geschmuggelt und pflegte, entgegen aller See-Elefant schonungslos dezimiert wurde. Allein versuchte selbst, die Küste zu erreichen, aber sein seemännischen Konventionen, während der Reise Nachdem Kapitän Cook 1777 die Kerguelen ver- das englische Schiff „Georg Howe“ gewann in den Schiff lief auf Grund. So schaffte er es auch bei die- ein Verhältnis mit ihr. König Ludwig XV. war unter- lassen hatte, wurde es ruhig um die Insel. Die Be- Jahren 1838 bis 1840 rund 500 000 Liter Öl aus den ser Expedition nicht, die Insel selbst zu betreten. dessen verstorben, aber sein Nachfolger, Ludwig schreibungen dieses „trostlosen Landes“ wirkten See-Elefanten der Kerguelen und war vorerst der Das Wetter wurde schlechter und der Proviant XVI. stellte de Kerguelen umgehend vor ein Kriegs- wohl zu abschreckend für andere Entdecker. Erst letzte Robbenschläger auf den Inseln. der „Dauphine“ ging zur Neige, es mussten sogar gericht. Er wurde degradiert und zu sechs Jahren in den Jahren 1791 und 1792 landeten amerikani- Lebensmittel von der „Roland“ an die „Dauphine“ Haft verurteilt. Die Französische Revolution wirkte sche Robbenschläger aus Nantucket mit den Schif- abgegeben werden, um die Versorgung der Besat- sich auch auf de Kerguelen aus. Er wurde begna- fen „Alliance“, der „Asia“ und der „Hunter“ auf den Schiffbruch vor den Kerguelen zung halbwegs sicherzustellen. Am 18. Januar 1774 digt, später wieder eingekerkert und schließlich im Kerguelen. 15 Monate lang waren sie auf der Jagd beschloss de Kerguelen endlich, den Aufenthalt an Jahre 1795 noch einmal als Konteradmiral in die nach den zahlreichen Seebären (Arctocephalus Durch die fast vollständige Ausrottung der Seebären der Insel zu beenden und nach Frankreich zurück- Marine aufgenommen. 1796 trat er in den Ruhe- gazella) auf der Insel. und See-Elefanten auf den Kerguelen verlagerte zukehren. stand und verstarb nur ein Jahr später am 4. März Obwohl die genaue Lage dieser reichen Fanggründe sich das Interesse nun immer mehr auf die Wale. Es sollte eine schreckliche Heimreise werden, viele 1797 in Paris. Die endgültige Namensgebung der unter den Seefahrern dieser Zeit ein Geheimnis Der bekannte englische Walfänger John Nunn aus Seeleute starben, die meisten wurden von Skorbut von de Kerguelen entdeckten Inseln geht letztlich war, erreichte im Jahr 1799, die „Hillsborough“, Harwich versuchte im Jahr 1825 mit seinem Schiff, heimgesucht. De Kerguelen steuerte zuerst noch aber auf einen anderen großen Entdecker der Zeit ein Walfangschiff unter der Leitung des englischen der „Royal Souvereign“, sein Glück in den Gewäs- die Ile de France an und blieb dort einige Wochen. zurück. Kapitäns Rhodes, die Kerguelen. Rhodes sern rund um die Insel (Abb. 4). Am 7. September 1774 erreichten die Schiffe wie- ging allerdings nicht nur dem Walfang nach. Wäh- Es kam allerdings zur Katastrophe, als bei einer der Brest. rend der acht Monate vor den Kerguelen kartogra- Jagd das Beiboot von Nunn, die „Favorite“, vor den Die Ankunft de Kerguelens wurde schon erwartet. Späte Anerkennung fierte er im Namen der British East India Company Kerguelen kenterte und sank. Nunn und drei sei- Durch die wahrheitsgemäßen Berichte des Offi- die bis dahin unbekannte Ostküste des Archipels. ner Männer überlebten das Unglück und konnten ziers Rosily war de Kerguelen ein gesuchter Mann. Der britische Kapitän James Cook segelte auf Diese Karte war so genau, dass sie weitgehend sich an Land retten. Es war ihnen allerdings nicht Ihm wurde unterlassene Hilfeleistung im Fall der seiner dritten großen Entdeckungsreise 1776 mit den heutigen modernen Karten der Kerguelen ent- möglich, sich bemerkbar zu machen, und so gin- „Gros Ventre“ vorgeworfen. Ebenso wurde es den beiden Schiffen HMS „Resolution“ und HMS spricht. Die größte Bucht im Norden der Kerguelen gen die Kameraden auf dem Mutterschiff vom Tod ihm nicht verziehen, dass seine beiden Expediti- „Discovery“ von Kapstadt aus in Richtung Aus- trägt heute noch den Namen seines Schiffes und der Männer aus. Mehr als zwei Jahre mussten die onen ein wahres Vermögen verschlungen hatten tral-Frankreich und erreichte als erste nicht-franzö- wird „Hillsborough Bay“ genannt. vier unter schwierigsten Bedingungen auf der Insel

60 61 der Ozeanographie der Kerguelen gewonnen sowie mechaniker Carl Krille, beide aus Schwerin. Die wissenschaftliche Beobachtungen auf den Inseln Beobachtung des Venustransits auf den Kerguelen durchgeführt. Ein wunderbares Bild zeigt die „Chal- stellte die erste Aufgabe einer zweijährigen For- lenger“ vor der Südküste der Kerguelen (Abb. 5). schungsfahrt rund um die Erde dar. Die Teilnehmer Das von Nares umrundete Südostkap der Kergue- erbauten an der Südküste des Golf de Morbihan ein len heißt heute Kap Challenger. Observatorium für ihre Beobachtungen. Dr. Börgen schrieb zur Suche eines geeigneten Platzes: „An In den Jahren 1874 und 1875 wurden die Kerguelen der Südseite der Bucht erhebt sich das Gelände zu das Ziel zahlreicher Expeditionen. Anlass war ein einem Hügel, der an seinem Ende mit einer etwa seltenes astronomisches Ereignis. Am 9. Dezember 40 Fuß hohen Felswand abschließt. Ungefähr auf 1874 konnte der Venusdurchgang vor der Sonne halber Höhe über uns konnten wir einige weiße auch von den Kerguelen aus beobacht werden. Holzkreuze erblicken auf denen Namen unbekann- Durch Daten von unterschiedlichen Beobachtungs- ter Walfänger zu lesen waren. Die einzige halbwegs punkten der Erde aus sollte die exakte Berechnung ebene und trockene Stelle fand sich oberhalb der des Sonnenabstandes von der Erde gelingen. Gräber auf dem Hügel. Wir beschlossen diesen Platz für unser Lager zu nutzen.“ Die Beobachtungen des Als erstes Schiff zur Beobachtung des Venustransits Venustransits verliefen sehr glücklich, das Wetter erreichte am 7. September 1874 die USS „Swar- bot optimale Bedingungen und die Messergebnisse tara“ unter dem Kommando von G. P. Ryan den und Fotografien erfreuten alle Wissenschaftler. Zum Archipel. Die Wissenschaftler installierten ein kleines Tag der Beobachtung selbst schrieb Dr. Weinek Observatorium am Point Molloy, einer kleinen Bucht später: „Es regnete am Abend des 8. Dezembers. die nur etwa 20 Kilometer westlich der heutigen Am darauf folgenden Morgen, dem Tag des Phäno- wissenschaftlichen Hauptstation in Port aux Fran- mens, ging die Sonne klar und freundlich auf. Der çais im Golf du Morbihan gelegen ist. Am 11. Januar Eintritt der Venus in die Sonnenscheibe geschah 1875 verließ die Expedition die Kerguelen. genau um 6.30 Uhr am Morgen, um 11.00 Uhr Die englische astronomische Expedition auf dem trat der Planet wieder aus der Sonnenscheibe. Zu Schiff „Volage“ traf am 5. November 1874 auf den Beginn des Phänomens rannten alle zu ihren Pos- Kerguelen ein und errichtete ein kleines Obser- ten. (... ) im Westen erblickten wir dunkle Wolken Abb. 5: Die „Challenger“ vor Kerguelen, 1874. vatorium in der so genannten Observationsbucht im über den schneebedeckten Gipfeln (...) Wir waren westlichen Teil des Golf de Morbihan. Die Beobach- alle zufrieden mit den Bildern des Durchgangs, ausharren, bis sie durch das Schiff „Lively“, unter Die Wissenschaft hält Einzug tungen wurden von den englischen Astronomen R. besonders mit dem Ein- und Austritt, den wir exakt Kapitän Alexander Distant, im Jahr 1827 gerettet P. de Perry geleitet, bis die Expedition am 27. Feb- bestimmen und beobachten konnten. Es war ein wurden. Nunn und seine Männer hatten mittlerweile Im Jahr 1840 sollten die Kerguelen zum ersten ruar 1875 wieder zurück nach England steuerte. Die voller Erfolg. Nach dem 9. Dezember wurde das eine kleine Behausung in einer abgelegenen Höhle Mal das Ziel einer rein wissenschaftlich ausgeleg- Besatzung dieses Schiffes setzte Kaninchen auf den Wetter freudlos und stürmisch (...).” an der Westküste der Insel gebaut. Heute ist dieser ten Expedition werden. Der britische Kommandant Kerguelen aus. Diese verbreiteten sich auf fast allen Der Besuch auf den Kerguelen beschränkte sich Ort als „Die Höhle der Walfänger“ bekannt. Im Jahr (1800-1862) fuhr mit zwei Schiffen Inseln der Kerguelen und sind noch heute eine große nicht nur auf die astronomischen Beobachtungen. 1995 unternahm ein französisches Fernsehteam die Kerguelen an. Er selbst war Kapitän der „Erebus“, Plage. Durch sie wurden schwerwiegende Verände- Der Zoologe Dr. Theophil Studer erforschte die eine Expedition zu dieser Höhle. Die 30-minütige das zweite Schiff, die „Terror“, wurde von Kapitän rungen der ursprünglichen Vegetation ausgelöst. Geologie der umliegenden Gebiete sehr genau Dokumentation des Teams gewann mehrere Aus- Francis Crozier geführt. Die beiden Schiffe anker- und sammelte diverse Gesteinsproben sowie zeichnungen auf internationalen Filmfesten. Seit ten vom 5. Mai bis 29. Juli 1840 in der Weihnachts- Objekte aus Fauna und Flora. Die meisten dieser dieser Filmexpedition ist die Höhle der Walfänger bucht. Ross führte verschiedene astronomische Die erste deutsche Expedition Sammlungsstücke werden heute im Museum für als historischer Ort auf den Kerguelen besonders Beobachtungen durch, während Crozier Messungen zu den Kerguelen Naturkunde in Berlin aufbewahrt. Aufgrund seiner geschützt. auf dem Gebiet des Magnetismus unternahm. Nach wissenschaftlichen Leistungen wurde ein mäch- Ross wurde später der höchste Berg der Kerguelen Die Fregatte SMS „Gazelle“ stach am 21. Juni tiges Tal auf der Halbinsel Courbet nach ihm Am 16. März 1831 liefen die englischen Walfänger- benannt, der 1850 Meter hohe Mount Ross. 1874 im Auftrag des Reichs-Marine Amtes unter benannt. Am 6. Februar 1875 verließ die deutsche schiffe „Betsey“ und „Sophia“ an der Südküste der dem Kommando von Kapitän zur See Freiherrn Expedition nach mehr als drei Monaten For- Kerguelen auf Grund und sanken. Der Großteil der Eine weitere wichtige Expedition zu den Kergue- von Schleinitz von Kiel aus in See. Die Kerguelen schungsarbeit die Kerguelen und begab sich auf Mannschaft überlebte das Unglück. Einige Män- len startete erst im Dezember 1872 in Portsmouth/ erreichte sie am 26. Oktober 1874 und ankerte in die anschließende Erdumrundung. Die „Gazelle“ ner schafften es am 20. Januar 1832 mit einem England. Die HMS „Challenger“, eine mit Dampf- der nach einem Walfangschiff benannten Bucht lief nach fast 50 000 Seemeilen am 28. April 1876 selbst gebauten Schiff nach Tasmanien zu segeln, maschinen unterstützte Corvette, begann unter „Anse Betsy“. Die Expedition war mit bedeuten- wieder in Kiel ein. um Hilfe für die zurückgelassenen Kameraden zu dem Kommando von George Strong Nares und 240 den Wissenschaftlern unter Leitung von Dr. Karl holen. In Tasmanien wurde dafür die „Adelaide“ Mann Besatzung eine dreijährige Expedition rund Börgen, dem Direktor des Marine-Observatoriums ausgerüstet und trat die Fahrt zu den Kerguelen an. um den Globus. In der Zeit vom 7. bis 31. Januar in Wilhelmshaven, besetzt. Weitere wissenschaft- Die Kerguelen werden endgültig Das Schiff erreichte am 25. Januar 1835, fast ein 1874 machte die HMS „Challenger“ auch an den liche Teilnehmer waren Arthur Wittsteinkind aus in französischen Besitz genommen Jahr später, die Kerguelen, ohne zu wissen, dass Kerguelen Station und umrundete die Insel voll- München, Dr. Theophil Studer vom Zoologischen die zurückgelassenen Kameraden bereits Monate ständig. Wyville-Thomson leitete die wissenschaft- Museum der Universität Bern, Chefastronom der Frankreich, das immer wieder auf seinen Besitz der zuvor von dem Schiff „Royal Souvereign“ gerettet lichen Arbeiten an Bord, und durch seine Arbeit Expedition Dr. Ladislaus Weinek aus Budapest, Kerguelen pochte, war aufgrund des deutsch-fran- worden waren. wurden grundlegende Kenntnisse auf dem Gebiet assistiert vom Fotograf H. Bobzin und dem Chef- zösischen Krieges nicht in der Lage, im Jahr des

62 63 schungsschiff wurde die „Valdivia“ auserwählt, ein Am 1. Mai 1899 erreichte die „Valdivia“ wieder Matrose Georg Wienke und der Ingenieur Dr. Karl Passagierschiff, das zuvor zwischen Hamburg und Hamburg. Die detaillierte Arbeit der Expedition Luyken, mit der „Karlsruhe“ nach Sydney. Von dort der Karibik verkehrte (Abb. 7). Sie wurde in wenigen wurde reichlich belohnt. Mehr als 180 neue Arten aus brachte sie der Lloyddampfer „Tanglin“ zusam- Wochen zum Forschungsschiff umgebaut. Mikros- von Tiefseefischen konnten entdeckt werden. Der men mit mehr als 200 Tonnen Gütern auf die Ker- kopieraum, Speziallaboratorien sowie Fangeinrich- Zoologe August Breuer, der eigentlich nicht zum guelen, wo sie am 9. November 1901 eintrafen. Als tungen wurden installiert. Am 31. Juli 1898 verließ Expeditionsteam gehörte, aber auf eigenen Wunsch Ort für die Errichtung der Station wurde die schon die „Valdivia“ den Hamburger Hafen. auf der „Valdiva“ war, schrieb Jahre später seine von der englischen astronomischen Expedition von Abhandlung „Die Tiefseefische“, ein Standardwerk 1874 genutzte Observationsbucht ausgewählt, die Teilnehmende Wissenschaftler der Expedition waren: bis in die heutige Zeit. Carl Chun veröffentlichte im Westen des Golfe de Morbihan, damals Royal- Wissenschaftlicher Leiter: seinen ausführlichen Expeditionsbericht mit dem sund genannt, gelegen ist (Abb. 10). Professor Carl Chun (Leipzig), Zoologe. Titel „Aus den Tiefen des Weltmeeres“. C. Apstein (Kiel), Zoologe. Zu dritt begannen die Männer mit dem Bau der Abb. 6: Zeremonie in der Baie Oiseau (Vogelbucht). F. Braem (Breslau), Zoologe. Station. Die „Tanglin“ verließ die Insel am 21. W. Sachse (Hamburg), Navigationsoffizier. Die erste deutsche Südpolarexpedition Dezember 1901 und ließ die Männer allein zurück. Venustransits eine eigene Expedition zu den Kergu- W. Schimper (Basel), Botaniker. Die „Gauss“ erreichte die Nordküste der Kerguelen elen zu entsenden. Es wurden Besitzansprüche aus P. Schmid (Leipzig), Chemiker. Im Jahr 1899 bewilligte Kaiser Wilhelm II. die Mittel erst am 31. Dezember 1901 und traf in der Obser- England und Australien laut, so dass Frankreich sich G. Schott, Assistent bei der Deutschen Seewarte für eine schon Jahre zuvor geplante Expedition in vationsbucht am Nachmittag des 2. Januar 1902 im Jahr 1892 gezwungen sah, die „Eure“ unter Kapi- in Hamburg. die Antarktis. Die Route sollte über die Kerguelen ein. Die Freude der bis dahin allein gelassenen tän Lieutard zu den Kerguelen zu entsenden, um noch E. Vanhoeffen (Kiel), Zoologe. zum Eisrand der Antarktis führen. Eine auf der Insel Männer war übergroß. Mit Hilfe der nun vollständig einmal offiziell die Besitzansprüche zu festigen. Am Freiwillige Teilnehmer: zu errichtende Station sollte als wissenschaftliches auf den Kerguelen versammelten Expeditionsteil- 1. Januar 1893 versuchte Lieutard die offizielle Zere- M. Bachmann (Breslau) Arzt und Bakteriologe. Verbindungsglied zwischen den meteorologischen nehmer (Abb. 11) wurden die wissenschaftlichen monie der Besitznahme in der Oiseau-Bucht zu ver- U. Brauer (Marburg), Zoologe. und magnetischen Messungen in der Antarktis Einrichtungen vollendet und die Vorbereitungen für anstalten. Dort traf er entgegen seiner Erwartungen R. Schmitt (Leipzig), Konservator. und den weit entfernten Stationen in Europa die- die anstehenden Arbeiten abgeschlossen. auf den amerikanischen Kapitän John J. Fuller, der D. zur Straßen (Leipzig), Zoologe. nen. Somit wurden die Kerguelen ein wichtiges dort mit seinem Schiff „Francis Allyn“ vor Anker lag. F. Winter (Frankfurt a.M.), Wissenschaftlicher Ziel der geplanten Expedition. Der Bau des Expe- Die „Gauss“ verließ die Kerguelen am 31. Januar Lieutard brach erstaunt die Zeremonie ab und segelte Zeichner und Photograph. ditionsschiffes „Gauss“, des ersten ausschließlich 1902 und steuerte das eigentliche Ziel der Expedi- die „Eure“ in die Gazelle-Bucht, um dort zu warten. zu Forschungszwecken neu erbauten Schiffes in tion an, das antarktische Festland. Als Verstärkung Am 7. Januar 1893 segelte er zurück in die Oiseau- Die Expeditionsteilnehmer untersuchten zuerst die Deutschland, lag in der Hand der nautischen Abtei- für die Kerguelenstation blieben der Matrose Josef Bucht und veranstaltete die Zeremonie und deklarier- Gewässer der Arktis, um dann entlang der West- lung des Reichs-Marineamtes und erfolgte in den Urbanski und der Botaniker Dr. Emil Karl August te die Kerguelen zum wiederholten Mal zum Besitz küste Afrikas Kurs zum Kap der Guten Hoffnung Howaldts-Werken in Kiel (Abb. 9). Werth, dem die Leitung der Station übertragen wur- Frankreichs (Abb. 6). Es wurde noch ein Notdepot und von dort zu den Kerguelen aufzunehmen. Am Als Leiter der Expedition wurde ein frisch berufe- de, auf den Kerguelen zurück. Die fünf Männer began- mit Proviant für Schiffbrüchige angelegt, bevor die 25. Dezember 1898 erreichte die „Valdivia“ die Ker- ner Professor der Berliner Universität ernannt, der nen ihre Arbeiten, deren Schwerpunkte auf den „Eure“ am 15. Januar 1893 die Kerguelen verließ. guelen. Leider war nur ein kurzer Aufenthalt geplant, bekannte Geograph und Geophysiker Erich von Gebieten der Kartografie, der Magnetfeldforschung so dass das Schiff bereits nach fünf Tagen Kurs Drygalski (1865-1945). sowie auf Forschungen über die Atmosphäre und auf Sumatra nahm. Während mehrerer Landgänge floristischen Untersuchungen lagen. Nach fast einem Die erste deutsche trugen die Wissenschaftler trotz der Kürze der Zeit Am 11. August 1901 verließ Kapitän Hans Ruser mit Tiefsee-Expedition von 1898 eine erstaunliche Fülle an Material zusammen. der „Gauss“ Kiel mit dem Ziel Kapstadt. Die Planun- Besonders der wissenschaftliche Leiter der Expe- gen für die Kerguelenstation sahen vor, dass drei der 1897 gelang es dem Leipziger Zoologieprofessor dition Professor Carl Chun nutzte jede Möglichkeit, später auf der Station arbeitenden Expeditionsteil- Carl Chun durch ein Immediatgesuch vom deut- um an Land zu gehen und trug somit einen Haupt- nehmer zuvor nach Sydney fahren sollten, um dort schen Kaiser und dem Reichstag 300.000 Mark zur teil der Sammlungsobjekte zusammen (Abb. 8). Proviant und die Ausrüstung der Station in Empfang Förderung einer deutschen Expedition, mit dem zu nehmen und auf die Kerguelen zu transportieren. Ziel detaillierter meereskundlicher Tiefseeforschung So fuhren der Meteorologe Josef Enzensperger, der in den südlichen Ozeanen, zu erhalten. Als For-

Abb. 7: Die „Valdivia“. Abb. 8: Professor Carl Chun auf Kerguelen, 1898. Abb. 9: Das Expeditionsschiff, die „Gauss“. Abb. 10: Die Observationsbucht auf Kerguelen.

64 65 Jahren zugesprochen. Frankreich erhoffte sich Erfolg für die Bossiers. Aber schon ein Jahr später durch diese Konzession, dass die Brüder durch sank die Fangquote auf nur noch 86 Tiere. den Bau von Ansiedlungen und der Bewirtschaf- Um endlich einmal selbst „seine Insel“ zu sehen, ge- tung der Inseln endlich die Bedingungen für eine lang es Henry Bossier erst im November 1908, von uneingeschränkte Souveränität Frankreichs auf Le Havre aus, eine kleine Expedition zu den Kergu- den Kerguelen erfüllen würden. Ihnen wurde die elen zu organisieren. Am 24. Januar 1909 erreichte alleinige Nutzung der Kerguelen übertragen. Die er zum ersten Mal in seinem Leben die Kerguelen. beiden Brüder hatten große Pläne, neben dem Er unternahm zahlreiche Jagdfahrten mit den nor- Fischreichtum der Region hofften sie auf den Ker- wegischen Walfängern und blieb bis zum 21. April guelen eine industrielle Schafzucht etablieren zu 1909, um dann mit dem Öltransporter „Jeanne können. Sie gründeten mehrere Gesellschaften, d`Arc“ zurück nach Kapstadt zu fahren. die das notwendige Geld für die Unternehmun- Die Walfangstation Port Jeanne d`Arc wurde bis gen aufbringen sollten. Aufgrund verschiedener ins Jahr 1911 von den Norwegern aktiv betrieben. Abb. 11: Mitglieder der Expedition vor dem Stationshaus Rückschläge und des hohen Finanzierungsrisikos In dieser Zeit wurden insgesamt 442 Wale erlegt, Kerguelen, 1901. gelang es ihnen nicht, genug Geld aufzubringen, Abb.13: Port Jeanne d´Arc im Winter 1913. 95 % davon waren Buckelwale. Die Jagd nach und es gelang ihnen nicht, auch nur ein einzi- Walen wurde zunehmend schwieriger, und um die Jahr, im Oktober 1902, verschlechterte sich der ges Mal die Kerguelen anzulaufen. Bis zum Jahr konzessionen einen Teil der Einnahmen aus dem hohe Ölquote zu erfüllen, wurden in den letzten gesundheitliche Zustand von Enzensperger massiv, 1907 blieben die Hoffnungen des französischen verkauften Öl der Wale bekommen. Kurz nach drei Fangjahren auch See-Elefanten gejagt. Allein er glaubte an Beriberi (Vitamin B1-Mangel) erkrankt zu Staates unerfüllt. In den 15 Jahren gelang es den der Unterzeichnung der Konzession gab Storm, im Jahr 1911 wurden etwa 25 000 See-Elefanten sein, das von ihm bis dahin akribisch geführte Tage- Brüdern Bossier nicht, irgendwelche Unterneh- Bull & Co. die Rechte an eine norwegische Aktien- getötet. Im April 1912 wurde die Station komplett buch endete abrupt am 6. Dezember 1902. Ärztliche mungen auf den Kerguelen anzusiedeln. Trotz gesellschaft weiter, die schon im Sommer des geräumt, es blieben nur zwei Männer zurück, um Hilfe war weit entfernt und so starb Josef Enzensper- der herben finanziellen Rückschläge verloren Jahres 1908 eine gut ausgestattete Kampagne zu die Gebäude zu erhalten und den norwegischen ger am 2. Februar 1903 im Wohnhaus der Kergue- jedoch die Bossiers ihre Hoffung nicht. Während den Kerguelen entsandte. Besitz zu sichern. lenstation kurz vor seinem dreißigsten Geburtstag. Er der folgenden Jahre führten die Bemühungen Es wurden vier Schiffe für den Walfang und den Öl- Der 21. November des Jahres 1924 sollte zu einem wurde nahe dem Gebäude beigesetzt. Auch Dr. Emil der Brüder zu einer Vielzahl unterschiedlicher transport ausgerüstet, der 76 Meter lange Öltrans- Wendepunkt in der bisherigen Ausbeutung der Tier- Werth erkrankte schwer. Am 30. März 1903 traf die Aktivitäten auf den Kerguelen. Am 6. März 1908 porter „Jeanne d`Arc“ unter Kapitän Ring, der 51 bestände der Kerguelen werden. Durch verschiede- „Stassfurt“ in der Observationsbucht ein. Die Gerät- erreichte die „J.B. Charcot“ die Kerguelen. Das Meter lange Hauptwalfänger „Espoir“ und die zwei ne politische Umstände wird die Generalverwaltung schaften wurden abgebaut und die Ausrüstung ver- Schiff wurde von den französischen Brüdern 30 Meter langen kleineren Walfangboote „Eclair“ der Inseln Crozet, Kerguelen, St. Paul, Amsterdam laden, bevor die „Stassfurt“ am 1. April 1903 zurück Raymond und Henri Rallier du Baty geführt. Zur und „Etoile“ (Abb. 12). sowie Adelie-Land an Madagaskar übergeben. Am nach Deutschland fuhr. Heutige Nachforschungen Finanzierung dieser Expedition hatten sie einen Die Norweger errichteten eine große Walfangsta- 30. Dezember 1924 wurde Rene Bossier per Dekret erheben Zweifel an der Annahme, Enzensperger sei Vertrag mit den Brüdern Bossier abgeschlossen. tion an der Nordostspitze der Insel Jeanne d`Arc im die ihm 1893 zuerkannte Konzession zur Nutzung an Beriberi gestorben. Die von ihm geschilderten Sie unternahmen umfangreiche hydrografische Südosten der Kerguelen. An die 300 Männer arbei- der Kerguelen entzogen. Allerdings waren die von Symptome lassen nicht eindeutig auf diese Erkran- Messungen und erstellten im Laufe ihres Aufent- teten in der Station unter schwierigsten Bedingun- den Bossiers abgeschlossenen Verträge mit der kung schließen. Sicher scheint jedoch, dass er, wie haltes die bis dahin detaillierteste Karte der Ker- gen, denn die Versorgung mit Nahrung und Energie norwegischen Walfanggesellschaft nicht von dieser auch sein Kamerad Werth, an einer Mangelerkran- guelen. Sie umrundeten die Insel mehrfach und musste allein durch den Fang von Walen gesichert Kündigung betroffen und so wurde die Waljagd von kung litt. Die „Gauss“ kehrte von ihrer erfolgreichen kartografierten sogar Teile der inneren Fjorde. werden. Hinzu kamen die extremen klimatischen den Norwegern fortgesetzt. Expedition am 24. November des gleichen Jahres Neben den wissenschaftlichen Vorhaben wurden Bedingungen (Abb. 13). Die finanziell erfolgreichen Jagdkampagnen der zurück. auch einige Jagdzüge in den Gewässern um die Schon im ersten Jahr wurden 232 Wale gefangen anglo-norwegischen Gesellschaft Irvin & Johnsson Insel unternommen. und zu Öl verarbeitet (Abb. 14). Ein grandioser waren in Frankreich nicht unbemerkt geblieben.

Die Zeit der industriellen Nutzung Um Geld für eine eigene Expedition zu den Ker- guelen zu beschaffen, schlossen die Bossiers im Im Juli des Jahres 1893 wurde den beiden Brü- Frühjahr 1908 einen Vertrag mit der norwegischen dern Henry und Rene Bossier vom französischen Gesellschaft Storm, Bull & Co. Diese sollte auf Staat eine Konzession zur wirtschaftlichen Nut- den Kerguelen eine Walfangstation errichten, die zung der Kerguelen für einen Zeitraum von 50 Bossiers sollten als Gegenleistung für die Jagd-

Abb. 12: Die vier Schiffe im Hafen Port Jeanne d`Arc, 1910. Abb. 14: Ein Wal auf Rampe Port Jeanne d`Arc, 1909.

66 67 Aufgeschreckt von den vermuteten Zerstörungen den Funker der „Austral“. Der Hilferuf kam von der „Lozère“ der Brüder Bossier. Auch die „Atlantis“ und der hemmungslosen Ausbeutung der Tierbe- nördlich der Kerguelen gelegenen Insel Saint Paul, rammte einen unterseeischen Felsen und wurde stände der Kerguelen wurde noch am selben Tag, wo die Brüder Bossier eine Fabrik zur Verarbeitung beschädigt. Drei Tage harte Arbeit waren notwen- dem 30. Dezember 1924, ein Teil der Kerguelen als der dort gefangenen Langusten betrieben. Die dort dig, um die „Atlantis“ wieder flott zu machen. Die Nationalpark Frankreichs deklariert, um wenigstens lebenden Arbeiter meldeten, dass die Bewohner „Atlantis“ verließ die Kerguelen am 10. Januar Teile der Insel vor dem Zugriff der Gesellschaft Irvin der Insel von einer mysteriösen, tödlichen Krankheit 1941 unter dem neuen Namen „Tamesis“. Kapitän & Johnson zu schützen. heimgesucht wurden und baten um schnelle Hilfe. Rogge berichtete der deutschen Seekriegsleitung Bereits im Oktober des Jahres 1925 traf wieder ein Heute wird vermutet, dass es sich um eine Beriberi- über die Wasservorkommen und die extrem iso- Schiff auf den Kerguelen ein. Die Brüder Bossier Epidemie gehandelt hat. Die Ereignisse überschlu- lierte Lage der Kerguelen. So ist es zu erklären, hatten trotz der entzogenen Konzession ein Schiff gen sich. Um die Bewohner von Saint Paul zu retten, dass auf direkten Befehl aus Berlin weitere Schiffe gechartert, um eine Jagdkampagne durchzuführen. wurden die beiden Schiffe der Bossiers von den zu dem neuen „Flottenstützpunkt Kerguelen“ Die „Lozère“, unter dem Kommando von Edouard Kerguelen abgezogen, Aubert de La Rüe und sei- entsandt wurden. Am 6. März 1941 erreichte der Paul Amour, jagte fast fünf Monate in den Gewäs- ne Frau wurden evakuiert und auf den Schiffen mit deutsche Kreuzer „Komet“ unter Kommando von sern der Kerguelen. Am Ende des Jahres 1926 nach Saint Paul genommen. Die Kerguelen waren Kapitän Robert Eyssen die Kerguelen. Weiter- nutzte die Gesellschaft Irvin & Johnson ihre weiter- Abb. 15: Madame de la Rüe (links) in Port Couvreux, 1928. nun erstmal nach mehr als zehn Jahren wieder voll- hin wurden die „Pinguin“ (ex Fracht-Motorschiff hin bestehende Konzession und entsandte sieben ständig verlassen. „Kandelfels“, Abb. 16) unter Kapitän Ernst-Felix Schiffe zu den Kerguelen, um eine groß angelegte Schäfern und ihren Frauen vor dem Haus in Port Durch die Geschehnisse in der Langustenfabrik und Krüder, der Versorger „Alstertor“ unter Kapitän- Jagdkampagne durchzuführen. Auch die Bossiers Couvreux (Abb. 15). die damit verbundenen riesigen finanziellen Verlus- leutnant Block und ein vor Süd-Georgien aufge- charterten die „Lozère“ ein weiteres Mal. Am 13. Auch die anglo-norwegische Gesellschaft erreichte te wurden 1931 sämtliche Unternehmungen der brachter und umgebauter Walfänger, die „Adju- Oktober 1926 erreichte das Schiff die Insel und im späten Jahr 1928 mit ihrem Hauptschiff, der Brüder Bossier eingestellt. Die beiden Brüder, die tant“, zu den Kerguelen entsandt. Die „Komet“ begann mit der Jagd auf Wale und See-Elefanten. „Radioleine“, die Kerguelen. Zwischen dem Paar de mehr als 40 Jahre sämtliche Unternehmungen auf und die „Pinguin“ trafen am 12. März 1941 an der Die anglo-norwegische Jagdkampagne verließ die la Rüe und dem Kapitän der „Radioleine“, dem Nor- den Kerguelen maßgeblich beeinflussten, waren nun Ostküste der Kerguelen zusammen. Die „Komet“ Insel im Frühjahr 1927. Die Jagd nach den Tieren weger B. Olsen, kam es im Frühjahr 1929 zu einer am Ende, ohne dass sie ihre Träume der Besiedlung wählte einen Ankerplatz vor Port Couvreux, wäh- war so erfolgreich, dass Vorbereitungen für eine geschichtsträchtigen Zusammenarbeit. Nachdem der Insel mit Nutzvieh oder die Ausbeutung unbe- rend Kapitän Krüder mit der „Pinguin“ in die tief weitere Jagdsaison getroffen wurden und Heiz- sie an einer Erkundung der damals kaum erforsch- stätigter Kohlevorkommen verwirklichen konnten. eingeschnittene Gazellebucht einfahren musste, und Arbeitsmaterial in Port Jeanne d`Arc bis zur ten Heard-Insel teilgenommen hatten, untersuchte Die Brüder Bossier starben im Jahr 1941. um dort mit der schon wartenden „Alstertor“ die Wiederaufnahme der neuen Kampagne im Oktober das Ehepaar den bis dahin kaum bekannten Westen geplante Versorgungsübergabe durchzuführen des Jahres 1927 zurückgelassen wurden. der Kerguelen mit Unterstützung des norwegischen und neues Trinkwasser zu laden. Am 8. Oktober 1927 traf die „Lozère“ zu ihrer dritten Schiffes „Kildalkey“. Der Geologe de la Rüe gewann Die Kerguelen im Zweiten Weltkrieg Die „Komet“ verließ schon zwei Tage später, am Jagdkampagne bei den Kerguelen ein. dabei neue Erkenntnisse über die Beschaffenheit der 14. März 1941, die Kerguelen. Unterdessen erhielt Doch diesmal sollte die Kampagne nicht ohne Pro- Insel und veröffentlichte die Ergebnisse seiner For- Während in Europa der Krieg tobte, erreichte 1939 die Besatzung der „Pinguin“ von Kapitän Krüder bleme ablaufen, am 12. Februar 1928 rammte die schung in mehreren Büchern. Am 23. Februar 1929 der Kreuzer „Schleswig-Holstein“ die Gewässer die Erlaubnis, in der knappen Freizeit die Insel zu „Lozère“ einen unterseeischen Felsen in der Nähe verließ die gesamte Flotte der anglo-norwegischen um die Kerguelen, um nach feindlichen Schiffen betreten. Die Matrosen berichteten von den vielen der Gazelle-Bucht. Der Schaden war so groß, dass Gesellschaft die Kerguelen für immer. Damit ging die zu suchen. Am 14. Dezember 1940 erreichte der Kaninchen, die sich auf der Insel tummelten. Das Kapitän Albert Fontaine beschloss, das Schiff zu wohl blutigste Zeit der Kerguelen mit dem Abzug der deutsche Hilfskreuzer „Atlantis“ unter Kommando Vorkommen von Kaninchen war so groß, dass evakuieren. Die „Lozère“ sank kurz darauf mit- Walfänger und Robbenschläger zu Ende. von Kapitän Rogge die Kerguelen, um sein Schiff Kapitän Krüder am letzten Tag eine groß ange- samt der kompletten Ladung von 1 220 Tonnen nach langer Fahrt instand setzen zu lassen und legte Treibjagd veranstalten ließ. Eine „gewaltige Öl. Die Besatzung trat einen langen Marsch nach Das Jahr 1931 sollte zu einem weiteren Schicksals- Süßwasser auf zu nehmen. Kapitän Rogge ent- Strecke“ wurde an Bord gebracht und ein Fest- Port Couvreux an, wo sie drei Tage später, am 15. jahr der Kerguelen werden. Am 22. Januar 1931 schied sich für einen Liegeplatz in der Gazelle- essen veranstaltet. Vor dem Verlassen der Insel Februar 1928, eintrafen. Zum Glück beendete die erreichte die französische Fregatte „Antares“ unter Bucht, nahe Port Couvreux. Er geriet in die gleiche wurde der Erste Offizier Schwinne noch einmal an anglo-norwegische Jagdkampagne ihre Unterneh- der Führung von Kapitän Perot den Hafen von Port missliche Lage wie schon zwölf Jahre zuvor die Land geschickt. Er sollte nach möglichen Spuren mungen im Frühjahr, so dass die gesamte Besat- Jeanne d`Arc. Perot war von der französischen suchen, die die Anwesenheit deutscher Truppen zung der „Lozère“ von Port Couvreux aus nach Regierung beauftragt worden, noch einmal den verraten könnten. Selbst Patronenhülsen wurden Südafrika zurückgebracht werden konnte. Besitz der Kerguelen für Frankreich zu deklarieren. aufgesammelt und entfernt. Die „Pinguin“ verließ Um den Verlust der „Lozère“ zu ersetzen, kauften Es kam zu einer weiteren offiziellen Zeremonie in die Insel am 18. März 1941, die „Alstertor“ und die die Brüder Bossier noch im Jahr 1928 zwei neue Port Jeanne d`Arc. Zur Unterstützung der „Antares“ „Adjutant“ am 25. März 1941. Nach dem heutigen Schiffe für die Jagd bei den Kerguelen, die „Austral“ erreichte nur drei Tage später die „Saint Paul“ mit Wissensstand sind Planungen von Kapitän Krüder und die „Espérance“. Die beiden Schiffe erreichten einer Kohlelieferung die Kerguelen, mit an Bord nie in die Tat umgesetzt worden. Er schrieb beim die Kerguelen am 12. November 1928. Mit an Bord waren wieder Edgar Aubert de la Rüe und seine Verlassen der Kerguelen: „Der Krieg ist doch bald befand sich der Geologe Aubert de la Rüe mit sei- Frau, die von den Bossiers bevollmächtig wurden, aus. Wir werden in Zukunft versuchen, die Schif- ner Frau. De la Rüe war von den Brüdern Bossier für ein Jahr die Kerguelen zu erforschen. Die „Saint fe, die uns über den Weg laufen, unbeschädigt zu beauftragt worden, geologische Untersuchungen Paul“ verließ die Kerguelen, nachdem sie die Kohle- kapern. Wir werden sie hierher dirigieren und vor auf der Insel anzustellen, denn sie hatten noch lieferung in Port Jeanne d`Arc abgeladen hatte, in Anker legen. Wenn sie in Berlin mit dem Kriegs- immer nicht ihren Plan aufgegeben, Minen zur För- Begleitung der „Antares“. ende das Halali für unsere ozeanische Jagd bla- derung von erhofften Kohle- und Edelsteinvorkom- Die beiden Schiffe der Brüder Bossier, die „Austral“ sen, kehrten wir mit einer stolzen, fix und fertigen men auf den Kerguelen zu errichten. De la Rüe und und die „Espérance“, trafen im Februar 1931 für Reedereiflotte zurück.“ (aus „Gespensterkreuzer seine Frau wurden in Port Couvreux abgesetzt. Ein eine weitere Jagdkampagne in Port Jeanne d`Arc HK33 Pinguin auf Kaperfahrt“, Hamburg 1998). Bild aus dieser Zeit zeigt Frau de la Rüe neben den ein. Am 28. März 1931 erreichte ein SOS-Signal Abb. 16: Hilfskreuzer „Pinguin“ vor Kerguelen. Aus der nicht unberechtigten Sorge, feindliche

68 69 Schiffe könnten die Kerguelen als Versteck nut- Mit an Bord waren Ingenieure und Wissenschaft- Geschichtliche Ereignisse nach der zen, entsandte Australien den schweren Kreuzer ler, die den Bau der ersten Station leiten sollten. Stationsgründung „Australia“ im Dezember 1941 zu den Kerguelen. Am 11. Dezember 1949 traf die „Lapérouse“ im Die „Australia“ blieb vom 1. bis 4. November 1941 Golf de Morbihan, im Osten der Kerguelen, ein. Im Jahr 1956 wurde als Alternative zur „Lapé- an der Insel und entdeckte Spuren der deutschen Der Leiter der Expedition, Pierre Sicaud, sollte rouse“ ein neues Transportschiff für die Route Mission vom März des gleichen Jahres. Es wurde eine geeignete Stelle für die Errichtung der Station Madagaskar-Crozet und Kerguelen eingesetzt, beschlossen, strategisch wichtige Buchten der suchen und entschied sich am 16. Dezember die „Gallieni“ (Abb. 22), benannt nach Joseph Kerguelen zu verminen. Noch heute wird in See- 1949 für eine kleine Bucht im Nordosten des Golf Simon Gallieni (1849-1916), der von 1896 bis karten vor dem Befahren dieser Buchten gewarnt, de Morbihan (Abb. 17). Die 130 Tonnen Material 1905 Generalgouverneur von Madagaskar und niemand hat sich später Gedanken um diese und Lebensmittel wurden entladen und mit eini- später sogar französischer Verteidigungsminister Minen gemacht. gen Zelten und Holzbaracken eine erste Station war. Das 115 Meter lange Transportschiff bot in errichtet. Pierre Sicaud benannte die Stelle an der 36 Kabinen genügend Platz für den Transport von die Station errichtet wurde zu Ehren Frankreichs Wissenschaftlern und der notwendigen Ausrüs- Die Station Port-aux-Français „Port-aux-Français“. tung. Jeweils zweimal im Jahr wurde die Strecke (eine Rotation) Madagaskar-Crozet-Kerguelen- Schon kurz nach dem Krieg, im Jahr 1947, wurde Am 16. Januar 1950 verließ die „Lapérouse“ die Madagaskar gefahren. in Frankreich vom Office de la Recherche Scienti- Kerguelen. Sie ließ einige Männer und sämtliches Ein für lange Zeit einmaliges gesellschaftliches fique Coloniale über die Errichtung einer permanent Material auf der Insel zurück, um die Station weiter Ereignis fand im Jahr 1957 statt. Der 31-jährige besetzten Station auf den Kerguelen nachgedacht. auszubauen. Fast drei Monate arbeiteten die Männer Marc Péchenard und die 26-jährige Martine Raulin, Wesentliche Unterstützung erhielt das Projekt durch am weiteren Aufbau der Station, bis am 5. April 1950 beide aus Paris, heirateten am 16. Dezember 1957 den Geologen Edgar Auberg de la Rüe, der mit seiner das französische Schiff „Commandant Charcot“ in auf den Kerguelen. Péchenard hatte durch seine Frau schon zu Zeiten der Brüder Bossier mehrmals Port aux Français eintraf. Das Schiff brachte alle Teil- Tätigkeit für die französische Marine die Inseln ken- die Kerguelen besucht hatte. Die Idee mündete am 8. nehmer dieser ersten Expedition wieder zurück nach nen gelernt und hatte sich mit der Hochzeit einen April 1947 in den Eintrag eines Resolutionsvorschla- Frankreich. Eine Überwinterung wurde aufgrund der Abb. 19: Die „Lamperouse“ vor Kerguelen, 1951. Traum erfüllt (Abb. 23). ges in der französischen Nationalversammlung. Die- schwierigen Bedingungen noch nicht angestrebt. An Während unserer eigenen Aufenthaltszeit auf den ser forderte die Rechte der Souveränität Frankreichs Bord der „Commandant Charcot“ befand sich auch Er war somit der erste offizielle Kommandant einer Kerguelen im Jahr 2003 konnten wir noch die an den Inseln Kerguelen, Saint Paul, Amsterdam und ein kleines Wasserflugzeug, das es ermöglichte, die französischen Kampagne auf den Kerguelen. Am Erinnerungstafel zu diesem Ereignis in der kleinen Crozet durch die Errichtung einer wissenschaftlichen ersten Luftaufnahmen der Kerguelen zu erstellen. Sie 3. Mai desselben Jahres erreichte die „Lapérouse“ Kapelle Notre Dame de Vents bewundern. Station zu behaupten. Schon ein Jahr später, am 14. sollten als Grundlage für spätere Erkundung dienen. erneut die Kerguelen (Abb. 19). April 1949, beschloss die Nationalversammlung, die Am 8. April 1950 verließ die „Commandant Charcot“ Eine weitere historische Verknüpfung mit den wis- Souveränität Frankreichs über diese Inseln durch die die Kerguelen in Richtung Frankreich. Unter der Leitung von F. Armengaud setzte sie die senschaftlichen Arbeiten der 1950er Jahre bildet Errichtung einer solchen permanenten Station auf Am 8. September 1950 entschied der französische erste wissenschaftliche Kampagne ab, die auf den folgende Fotografie. Sie beschreibt, wie Wissen- den Kerguelen zu manifestieren. Es sollte möglichst Staat, die 1949 errichtete Station als permanente Kerguelen überwintern sollte. Das Schiff verließ schaftler der Sommermission 1957 einen großen schnell eine Mission mit wissenschaftlichem, militä- wissenschaftliche Station zu führen. Notwendige schon einen Tag später die Kerguelen und nahm See-Elefantenbullen mit einer Transportraupe zur rischem und wirtschaftlichem Charakter aufgestellt Ausrüstung für eine Überwinterung in der Station die Mitglieder der Sommerkampagne mit zurück Station schleppten (Abb. 24). und entsandt werden. wurden bereitgestellt. Am 3. Januar 1951 erreichte nach Frankreich. Am 6. August 1955 wurden die Die gleiche motorbetriebene Raupe steht heute als Am 4. November 1949 wurde für diesen Beschluss das gemietete Schiff „Italo Marsano“ den Hafen Kerguelen per Beschluss aus Paris Teil der fran- Museumsstück vor dem alten Bibliotheksgebäude vom französischen Staat ein Budget von 20 Millio- Port aux Français mit den Mitgliedern der Sommer- zösischen Überseeterritorien. Seit dieser ersten auf der Insel. Während unseres Besuches wurde nen Franc zur Verfügung gestellt. In kürzester Zeit kampagne. Das Schiff transportierte neues Material Überwinterung in der Basis Port aux Français im sie mehrmals für ein paar lustige Fotos gebraucht wurde eine Expedition zusammengestellt und aus- und Lebensmittel zu den Kerguelen und verließ die Jahr 1951 entsandte Frankreich bis zum heutigen (Abb. 25). gerüstet. Die „Lapérouse“, ein Transportschiff unter Insel schon am 21. Januar 1951. Zurück blieben die Tag in jedem Jahr eine neue wissenschaftliche Die wissenschaftlichen Arbeiten der frühen 1960er Kapitän B. Dupont de Dinechin, wurde noch im Wissenschaftler und Helfer, wiederum unter dem Mission zu den Kerguelen. Schon im Jahr 1955 Jahre hatten ihren Schwerpunkt auf geologischen, November zu den Kerguelen geschickt. Kommando von Pierre Secaud (Abb. 18). zeigte sich die Station Port aux Français mit meh- biologischen und meteorologischen Forschungen. reren Gebäuden und ermöglichte umfangreiche Besonders die meteorologische Station wurde sehr wissenschaftliche Arbeiten auf den Kerguelen gut ausgerüstet und lieferte zu dieser Zeit wichtige (Abb. 20 und 21). Erkenntnisse über die klimatischen Verhältnisse

Abb. 17: Erste Station in Port-aux-Français, 1949. Abb. 18: Wissenschaftler in Geländewagen Kerguelen, 1951. Abb. 20: Station Port-aux-Français im Winter 1953. Abb. 21: Station Port-aux-Français im Sommer 1953.

70 71 Dem IPEV selbst sind zahlreiche Unterorganisa- tionen und Institute verschiedener Universitä- ten angeschlossen. Die regelmäßigen Missionen zu den Kerguelen werden noch heute in eine Sommer- und eine Wintermission unterteilt. Im Sommer sind es bis zu 120 Wissenschaftler, die ihre Forschungen auf den Kerguelen durchführen. Aufgrund der Wetterverhältnisse sind die Winter- missionen kleiner. Meist sind es etwa 40 Wissen- schaftler, die während der kalten Monate auf den Kerguelen verbleiben.

Die Zukunft der Kerguelen Abb. 22: Die „Gallieni“ 1964 vor Kerguelen. Die Kerguelen bilden für Frankreich einen un- dieser Region. Doch auch entferntere Schichten der Abb. 23: Brautpaar Pechenard im Dezember 1957. schätzbaren Wert für die Forschung in der sub- Atmosphäre waren Ziel wissenschaftlicher Unter- antarktischen Klimazone. Die komplette Insel suchungen. So wurden unter anderem Wetterbal- Kerguelen steht unter besonderem Naturschutz lons präpariert (Abb. 26), die mehr als 30 000 Meter verfügt über einen Haushalt von etwa 26 Millio- und einige Regionen auf Kerguelen sind zu Total- hoch steigen konnten, um die Verhältnisse in diesen nen Euro, der im Hauptteil durch die Einnahmen reservaten erklärt worden. Selbst Wissenschaft- Atmosphärenregionen genauer zu untersuchen. von Steuern, Schiffzulassungen und den Handel ler haben dort nur mit Spezialgenehmigungen Abb. 26: Wissenschaftler mit Wetterballon, 1964 auf Kerguelen. mit Fischereirechten, Einnahmen aus dem Tou- Zutritt. Der Wert der Insel für die marine Fauna Noch heute sind die „Meteos“, wie die Meteorolo- rismus und – man mag es kaum glauben – dem ist ein weiteres Indiz für den besonderen Status auch in Zukunft die Kerguelen nicht von Touristen- gen auf der Insel genannt werden, die erste Anlauf- Handel und die Zulassung neuer Briefmarken der Kerguelen. Viele endemische Tierarten und scharen überrannt werden. Die isolierte Lage der stelle, bevor Aktionen außerhalb der wissenschaftli- dieser Gebiete aufgebracht wird. Weiterhin erhält die mit Abstand größten Kolonien von Königs- Insel bietet einen guten Schutz vor dieser Gefahr. chen Station durchgeführt werden. die TAAF Subventionen aus dem Ministerium der pinguinen finden sich auf der Insel. Im Zeitalter Eine Bedrohung anderer Art lässt sich allerdings Überseegebiete sowie der Europäischen Union. des zunehmenden Tourismus bahnen sich aller- nicht mehr aufhalten. Die globale Erderwärmung Doch nicht nur Wetterballons dienten der wissen- Die Gelder werden überwiegend für die Charter dings Veränderungen an. So laufen schon heute verschont auch die Kerguelen nicht. Meteorolo- schaftlichen Arbeit. Am 1. April 1964 startete zum der beiden Schiffe „Marion Dufresne“ und der einige Antarktis-Kreuzfahrtschiffe die Kerguelen gische Messungen haben auch auf den Kergue- ersten Mal eine Rakete von den Kerguelen. Es war „Astrolable“ sowie für die logistische Versorgung auf ihrem Weg zur Eisgrenze an. Finanzstarken len einen Anstieg der Jahresmitteltemperaturen eine Centaure-Rakete, die zur Erforschung der der wissenschaftlichen Stationen verwendet. Ins- Touristen ist es vorbehalten, einen kurzen Einblick aufgezeigt. Auswirkungen auf die besonders Ionosphäre gestartet wurde. 1968 folgten weitere gesamt teilt sich die gesamte Aufgabenlast dieser in diese wunderbare und ursprüngliche Region sensible Tier- und Pflanzenwelt der Subantarktis Raketenstarts, und im Jahr 1975, als allein sieben Distrikte in zwei Hauptaufgabengebiete. Zum ei- unserer Erde zu erlangen. Weiterhin baut auch können heute nur grob abgeschätzt werden. Es unterschiedliche Raketentypen auf den Kerguelen nen die logistische Versorgung (Gebäude, Trans- die TAAF die Möglichkeiten für die touristische bleibt zu hoffen, dass die Kerguelen, als Juwel gestartet worden sind. Es waren allesamt Raketen port, Ausrüstung, Energie und Lebensmittel) der Erschließung der Kerguelen langsam aus. So gibt im einsamen südlichen Indischen Ozean, ihre zur Erforschung der Atmosphäre, so z. B. Raketen Inseln durch die TAAF, zum anderen die wissen- es Überlegungen, die alte Walfangstation Port Ursprünglichkeit und Artenvielfalt trotz der sich des Typs Eridan und Arcas. schaftliche Organisation der Arbeiten durch das Jeanne d`Arc teilweise zu renovieren und zu einer anbahnenden Probleme erhalten können und die IPEV (Institute Polaire Francais Paul Emil Victor). Art Museum zu machen. Die historischen Zeug- Menschen mit viel Sorgfalt über jegliche Arten der nisse der grausamen Walfängerzeiten sollen als Nutzung der Insel nachdenken. Der heutige Status der Kerguelen Magnet für zahlungskräftige Touristen dienen. Bis heute ist der Tourismus zu den Kerguelen aber Nachdem die Kerguelen und die Insel Saint Paul, sehr gering und die klimatischen Verhältnisse Meine Rückkehr nach Afrika Amsterdam und der Crozet-Archipel im Jahr 1955 der Insel werden ihren Teil dazu beitragen, dass per Gesetz offiziell Teil der französischen Über- Der Aufenthalt auf den Kerguelen ging für mich seeterritorien wurden, wird jedes dieser Gebiete persönlich viel zu schnell zu Ende. Wie gern durch einen eigenen Distrikt-Kommandanten ver- hätte ich weitere Zeit mit der Erkundung der waltet, der für jeweils ein Jahr die Verantwortung Insel verbracht, aber die Zeit für die Rückfahrt auf den Inseln trägt. Dieser Inselverbund bildet die nach Südafrika rückte unaufhaltsam näher. Am TAAF (Territoire des Terres Australes et Antarcti- frühen Morgen des 2. Februar 2003 verließ ich ques Francaises). Die Oberverwaltung wird seit zusammen mit Kapitän Gerd Engel an Bord des Dezember 2004 von Michel Champon geleitet, „Sposmoker II“ die Kerguelen. Die Rückfahrt soll- der wiederum direkt dem Minister für die Über- te nicht weniger anstrengend werden als unsere seegebiete Frankreichs untersteht. Aufgabe der abenteuerliche Ankunft (siehe folg. Beitrag von Oberverwaltung ist es, die öffentliche Ordnung Tschiesche). Stürme und haushohe Wellen sollten auf den Inseln aufrecht zu erhalten, die Interes- uns begleiten. Nach 25 Tagen nonstop Segeln sen der TAAF zu wahren und die Inseln im Namen erreichten wir am 27. Februar 2003 den sicheren des Staates Frankreich zu verteidigen. Die TAAF Abb. 24: Alte Raupe auf Kerguelen, 1957. Abb. 25: Alte Raupe im Jahr 2003. Hafen von Port Elizabeth in Südafrika.

72 73 Zusammenfassung Boulaire, A. (1997): Kerguelen, le phénix de mers australes. Edition France-Empire. Im Jahr 1771 begann der Bretone Yves-Josef de Bonner, W. N. (1979): Antarctic (Kerguelen) fur seal. Kerguelen Tremarec im Auftrag des französischen In: Mammals in the Seas, volume II: pinniped Königs Ludwig XV. eine Expedition in den süd- species summaries and report on sirenians. FAO lichen indischen Ozean. Er sollte einen bis da- Fisheries Series No. 5, Vol II: 49-51. hin unbekannten Kontinent entdecken und wirt- Brennecke, J. (1998): Gespensterkreuzer HK33. schaftliche Beziehungen zu Frankreich aufbauen. Hilfskreuzer Pinguin auf Kaperfahrt. Koehlers Am 13. Februar 1772 erreichte de Kerguelen eine Verlagsgesellschaft mbH, Hamburg 1998. bis dahin unbekannte Insel, die er Austral-Frank- Chun, C. (1905): „Aus den Tiefen des Weltmee- reich nannte. Noch im selben Jahr startete er eine res“. Schilderungen von der Deutschen Tiefsee- zweite Expedition zu dieser Insel. Durch widrige Expeditionen. 2. Auflage, Jena. Artikel aus der Umstände gelang es ihm persönlich aber nie, die Vossischen Zeitung, Berlin, 1. Mai 1899. Insel selbst zu betreten. Contre-Admiral de Brossard (1970): Kerguelen - Le Im Jahr 1776 wurde die Insel ein zweites Mal decouvreur et ses iles. Edition France-Empire. entdeckt. Der britische Kapitän Cook ankerte Contre-Admiral de Brossard (1970): Kerguelen - Le im nordwestlichen Teil der Insel und benannte decouvreur. Edition France-Empire. die Insel nun offiziell nach ihrem Erstentdecker Couesnon, P. & A. Guyader (1999): Histoire postale Kerguelen-Insel. In den Folgejahren wurden die des Terres Australes et Antarctiques Françaises, Kerguelen zum Ziel unterschiedlicher Walfänger des origines à 1955. Publié à compte d‘auteur. und der industrielle Walfang hielt vor allem im 18. Delepine, G. (1995): Les îles australes françaises, Jahrhundert Einzug. Höhepunkt war die Errich- Editions Ouest-France. tung einer Walfangstation in Port Jeanne d`Arc Delepine, G. (2002): Histoires extraordinaires et durch eine norwegisch-englische Gesellschaft. inconnues dans les mers australes, Kerguelen, Erst im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert waren Crozet, Amsterdam et Saint-Paul. Editions Ou- die Kerguelen das Ziel mehrerer wissenschaftlicher est-France. Expeditionen. Die wohl bekannteste war die erste Duchene, J.-C. (1989): Kerguelen, recherches au Deutsche Südpolarexpedition unter der Leitung von bout du monde. Territoire des Terres Abb. 1: Der Katamaran „Sposmoker II“ im Stralsunder Hafen. Erich von Drygalski in den Jahren 1901 bis 1903. Australes et Antarctiques Françaises. Im Zweiten Weltkrieg waren die Kerguelen das Ziel Dupouy, A. (1929): Le breton Yves de Kerguelen. La von deutschen und australischen Kriegsschiffen. Renaissance du livre, Paris. Im Jahr 1949 errichtete Frankreich die erste Sta- Enzensperger, J. (1990): Alpine Klassiker. Band 13: Eine außergewöhnliche Expedition des Deutschen tion auf den Kerguelen und im Jahr 1951 wurde Josef Enzensperger, Meteorologe und Kletterer. diese Station permanent besetzt, so dass die Verlag J. Berg, München. Meeresmuseums zu den subantarktischen Kerguelen Inseln von da an in den Besitz Frankreichs über- Herzog H. & M. Jarnoux (1964): Le francais du bout nommen wurde. du monde. In: ParisMatch, No. 787, 5 Rue Pierre- Karl-Heinz Tschiesche Heute sind die Kerguelen Teil der französischen Charron, Paris 1964. Überseedepartements und werden logistisch von Lüdecke, C. (1992): Die erste deutsche Südpolarex- Der Eigner eines großen Katamarans (Abb. 1) plante Brüllenden Vierziger, eines der gefürchteten See- der TAAF (Terres Australes et Antarctiques Fran- pedition. In: Historisch-Meereskundliches Jahr- ab Herbst 2002 eine Weltumseglung. Seine Route gebiete unserer Erde, passiert werden. Das ist caises) und wissenschaftlich vom IPEV (Institute buch, Band 1, Dietrich Reimer Verlag, Berlin/ sollte unter anderem von Südafrika über die Ker- sicher ein Hauptgrund dafür, dass sich nur äußerst Polaire Emil Victor) betreut. Der vorliegende Text Hamburg. guelen und Australien verlaufen. Er hatte die Idee, selten Segler zu diesen Inseln vorwagen. Nach beschreibt detailliert die Entdeckungsgeschichte Migot, A. (1957): The Lonely South, Rupert Hart- Wissenschaftler des Deutschen Meeresmuseums umfangreichen Erkundigungen über diesen Archi- der Kerguelen von der Erstentdeckung im Jahr Davis, London. für eine Teilnahme zu gewinnen. Aus diesem Grunde pel und die zu durchsegelnde Strecke von etwa 1772 bis heute. Rüe, A. de la (1951): In: Geographia, 20 Rue Bergere, trat er an den Direktor mit der Frage heran, ob er 5000 Kilometern entschied ich mich für die Mit- Paris 1951. als Walexperte an einer Mitreise in die südpolare, als reise und somit für die Durchführung der ersten Schmid, M. & A. Giret (1998): Kerguelen, Birken- walreich geltende Region interessiert sei. Da jedoch Expedition des Deutschen Meeresmuseums in die Literatur Halde Verlag, Winterthur Schweiz. die Planung den Jahreswechsel mit einschloss, für subantarktische Region. Tac, J. le (1958): La mariee du bout du monde. In: Segler in diesen Breiten zwar die wettermäßig güns- Unternehmungen in sehr weit entfernte und unbe- Amicale des Missions Australes et Polaires Françai- ParisMatch, No. 487, 5 Rue Pierre-Charron, tigste, für einen Direktor jedoch die arbeitsreichste kannte Gebiete verlangen intensive Vorbereitung. ses (A.M.A.P.O.F) (1998): Trois naufrages pour Paris 1958. Zeit, lehnte er schweren Herzens ab. Als Harald Neben der ganz privaten Planung und der Beschaf- trois iles. Terres Australes Francaise au XIX siec- Warland, W. (2004): Venus Transit - The Portugue- Benke mir das Angebot unterbreitete, war ich sehr fung der erforderlichen Ausrüstung waren Abstim- le. Editions de la Dyle, Aix-en-Provence, Frank- se contribution and German participation on the überrascht, aber auch erfreut. mungen über die zu erfüllenden Arbeitsaufgaben reich. international campaign of 1874 and 1882. Com- erforderlich. Aus den Angaben des Bootseigners Arnaud, P. M. & J. Beurois (1996): The shipow- mon Project of Escola Secundaria de Albufeira Das Ziel waren die subantarktischen Kerguelen. war erkennbar, dass der Segeltörn die Hauptzeit ners of the dream. The Bossiere`s leases and (Portugal) and Schloßgymnasium Düsseldorf. Sie liegen etwa in der Mitte zwischen Südafrika in Anspruch nehmen würde. Da die Reise maximal the exploitation of the French companies in the und Australien, und nur 2000 Kilometer trennen acht Wochen dauern sollte, was sich allerdings als southern Indian Ocean 1893–1939. L`impremerie diese Inselgruppe von der Antarktis. Um dorthin völlige Fehleinschätzung erwies, standen höchstens Bonnet, Marseille. zu gelangen, müssen die „Roaring Forties“, die zwei Wochen für den Aufenthalt auf den Kerguelen

74 75 zur Verfügung. Darauf musste das Arbeitsprogramm den Sammlungen bisher keine Objekte. Auch Bild- abgestimmt werden, um reichen Nutzen aus dem dokumente für die geplanten neuen Ausstellungen Vorhaben zu ziehen. waren bisher nicht vorhanden. So wurde festgelegt, bereits im Verlaufe der Fahrt Zu den beiden Museumsmitarbeitern, Karl-Heinz an möglichst vielen Punkten Planktonproben zu Tschiesche, seit 1972 wissenschaftlicher Mitar- entnehmen, um die Artenzusammensetzung zu beiter und Leiter des Meeresaquarium und dem dokumentieren. Weiterhin waren von dieser selten Präparator Dirk Kwasny, meldete sich als drit- besuchten Inselgruppe Foto- und Filmdokumente tes Crewmitglied Michael Kracke (Abb. 2). Seit der Landschaft sowie der Tier- und Pflanzenwelt mehreren Jahren beschäftigte sich der junge zu erstellen. Als sehr wichtig galt die Dokumenta- Berufsschullehrer aus Hannover intensiv mit der tion der historischen Zeugnisse aus der Zeit der Inselgruppe der Kerguelen und stellte alles Wis- Robbenschläger und Walfänger. Das Sammeln von senswerte darüber im Internet zusammen. Er Tieren und Pflanzen für den Fundus des Museums glaubte jedoch nicht daran, diese Region einmal war vorab nicht einzuschätzen und sollte entspre- selbst besuchen zu können. Da erreichte ihn der chend den sich bietenden Möglichkeiten realisiert Anruf eines norddeutschen Kamerateams, das werden. ursprünglich die Expedition begleiten wollte und Da die Erfüllung der vorgesehenen Aufgaben durch bei den Recherchen auf seine Internetseite stieß eine Person nicht zu bewältigen war, entschied sich (www.kerguelen.de). Michael wurde hellhörig, nahm die Museumsleitung für die Mitreise eines jungen sofort mit Gerd Engel und dem Meeresmuseum und interessierten zoologischen Präparators. Verbindung auf und entschied sich schnell für die Mitreise. Obwohl Michael dem Museum gegen- über keinerlei Verpflichtungen hatte, sagte er uns Die Crew seine volle Unterstützung zu.

Der Eigner und Skipper des Katamarans „Sposmo- ker II“, Gerd Engel, war zeitlebens auf dem Wasser Das Boot Abb. 3: Kapstadt, der Starthafen der Expedition, im abendlichen Lichterglanz. zu Hause. Er fuhr als Kapitän, war viele Jahre Elb- lotse und seine besondere Vorliebe galt von früher Der Katamaran „Sposmoker II“ (Spaßmacher), einer Jugend an der Segelei. Im Gespräch erwähnte Gerd der größten Deutschlands, wurde 1995 mit Hilfe Der lange Törn zu den Brasilien. Was war passiert? Lag es an einer plötz- Engel, dass er fast alle Meeresgebiete unserer Erde Segelbegeisterter unter dem Motto: „Segelzeit für „Inseln am Ende unserer Welt“ lichen Erkrankung der Besatzung oder war der Seg- kennt. Nur die Kerguelen wären ihm noch unbe- Arbeitszeit“ hauptsächlich von Laien gebaut. ler gar von Piraten gekapert worden, was in diesen kannt und da möchte er jetzt hinsegeln. „Sposmoker II“ ist 20 Meter lang, zehn Meter breit „Sposmoker II“ sollte von Stralsund aus mit einigen Regionen durchaus vorkommen kann? Für dieses Vorhaben suchte er Mitreisende einer und wiegt etwa zwölf Tonnen. Sein Mast ragt 20 Passagieren über den Atlantik nach Südafrika segeln. Im Hafen von Salvador im Nordosten Brasiliens Institution, die den Törn von Kapstadt in Südafrika Meter empor. Ausgestattet ist der Katamaran mit In Kapstadt wäre unser Team im November aufge- endlich angekommen, nahm Mario sofort telefoni- bis zu den Kerguelen und den dortigen Aufenthalt zwei Yanmar 40 PS Dieselmotoren, GPS, Inmarsat, stiegen, um zu den Kerguelen zu starten. Nach dem sche Verbindung mit Gerd Engel auf und teilte ihm für Dokumentation, Sammeltätigkeit oder wissen- einem Beiboot mit Außenborder sowie mit einem Aufenthalt auf dem Archipel und der Erfüllung der mit, dass das Boot eines Nachts havarierte. Später schaftliche Untersuchungen nutzen wollten. unsinkbaren Plastikbeiboot. Die hydraulische Steue- geplanten Aufgaben war vorgesehen, mit dem zu beschrieb Mario Schmidt die Begebenheit so: „Es Für das Deutsche Meeresmuseum war das Ange- rung ist an beiden Rümpfen möglich. Ein Wind- dieser Zeit vorherrschenden Westwind nach Aus- war in der Dämmerung und fast schon dunkel. Es bot sehr günstig, gab es doch aus dieser Region in generator sorgt zusätzlich für Stromerzeugung. tralien weiterzusegeln und vom südwestlich gelege- gab einen Schlag am Ruder, eher dumpf wie von Im linken Rumpf des Katamarans sind drei Kojen, nen Perth aus den Heimflug anzutreten. Der Skipper einer großen weichen Masse. Vermutlich kein Con- die Küche, die Toilette, der Trinkwasservorrat und wollte von dort aus mit neuen Passagieren den Rest tainer oder Balken. Vielleicht ein schlafender Wal ein kleiner Aufenthaltsraum untergebracht. Auf der der Welt umrunden. Doch es sollte sich alles völlig den wir möglicherweise erschreckt hatten.“ rechten Seite befinden sich die Koje des Skippers, anders entwickeln. Der Walfachmann des Deutschen Meeresmuseums der Kartentisch mit der dazugehörenden Technik, Während der ersten Etappe führte der Rügener Harald Benke bestätigte, dass Bootskollisionen mit ein PC-Stellplatz sowie die meisten Nahrungsmit- Segellehrer Mario Schmidt als Skipper das Boot. Nach schlafenden oder an der Oberfläche treibenden telvorräte und der Wartungszugang zu den beiden dem Auslaufen des Katamarans aus dem Stralsunder Walen schon des Öfteren Segler in arge Bedrängnis Dieselmotoren. Von der Steuerplattform, zwischen Hafen im Oktober 2002 konnten wir im Internet über brachten und nicht immer glimpflich ausgingen. den beiden Rümpfen gelegen, führten zwei Nie- www.fleetfinder.com die Route verfolgen. Bis etwa auf Die Hydrauliksteuerung des „Sposmoker II“ war dergänge zu den Räumlichkeiten. Sie besaßen die geografische Breite des nordwestafrikanischen durch den Stoß so stark in Mitleidenschaft gezogen keine festen Türen und waren nur durch abhängbare Staates Sierra Leone verlief die Fahrt wie vorgesehen. worden, dass trotz einer Hilfskonstruktion an Kreu- Tücher provisorisch zu schützen. Eine Heizung für Plötzlich wurde eine unerklärliche Kursänderung fest- zen nicht zu denken und nur noch das Ablaufen mit die Innenräume war zwar vorhanden, jedoch defekt gestellt, und der Katamaran lief in südwestliche statt dem Wind möglich war. Der aber trieb das Boot weit und ließ sich trotz mitgeführter Ersatzteile nicht in südöstliche Richtung. Sowohl für den Bootseigner weg vom ursprünglichen Zielhafen. reparieren, was in den subantarktischen Breiten als auch für uns war das unerklärlich. Eine Funkver- Für uns bedeutete dies einen großen Zeitverzug. später recht spürbar wurde. Aber das Boot war ja bindung konnte nicht hergestellt werden. Einige Tage In Salvador mussten zunächst die Schäden an den auch schon in die Jahre gekommen, denn immerhin später und etwa auf der Breite des südlichen Angola Rudern und den funktechnischen Anlagen beseitigt Abb. 2: Die Crew von links nach rechts: Michael Kracke, Dirk hatte „Sposmoker II“ bereits 400 000 Seemeilen auf erfolgte erneut eine rätselhafte Kursänderung. Das und danach der Atlantik von Nordbrasilien nach Kwasny, Dr. Karl-Heinz Tschiesche; vorn Gerd Engel. den Weltmeeren zurückgelegt. Boot steuerte nun in nordwestliche Richtung nach Südafrika überquert werden.

76 77 Als wir endlich am 17. Dezember 2002 erstmals Neben dem Boot waren stets tauchende und auf dem Katamaran in Kapstadt standen (Abb. 3), springende Brillenpinguine (Spheniscus demer- wurde uns schnell bewusst, dass vor der Abreise in sus) zu beobachten. Diese kleine Pinguinart lebt die Subantarktis noch etliche Details an dem Boot vor Südwestafrika und nutzt den kühleren Ben- zu reparieren waren. Ute Nitz, eine erfahrene Hoch- guelastrom vor der Küste. In Erdhöhlen erbrüten seeseglerin aus unserer Hansestadt Stralsund, die sie jeweils zwei Eier, die von den Einwohnern als den Törn von Salvador nach Südafrika mitgesegelt Nahrungsmittel sehr geschätzt werden. war, gab uns Ratschläge und wir führten die erfor- Auch viele Südafrikanischen Seebären (Arctoce- derlichen Reparaturen gewissenhaft aus. phalus pusillus) trieben an uns vorüber. Häufig lagen sie auf dem Rücken und hielten ihre Glied- Eine Erholungspause während der umfangreichen maßen in die Luft um die entstehende Verduns- Arbeiten nutzten wir, um das Two Ocean Aquari- tungskälte zur Abkühlung zu nutzen. um zu besuchen. Der Direktor Lex Fearhead, der Die kleineren Verwandten dieser größten Pelzrob- über unseren Besuch bereits vorher vom Meeres- benart sollten wir später noch ausgiebig kennen museum informiert worden war, führte uns durch lernen. Die ruhige Fahrt entlang der südafrikani- die Anlage. Die Unterwasserwelt der beiden hier schen Küste machte es möglich, das Plankton- zusammenstoßenden Ozeane, des Atlantischen netz auszuwerfen und erste Proben zu ziehen. und des Indischen Ozeans, wird in hervorragend Während eines Stopps des Bootes wurde die gestalteten und gut gepflegten Aquarien eindrucks- Klarheit des Wassers sichtbar. Noch in 25 Meter voll präsentiert. Tiefe konnten wir unser weißes Netz mühelos Nach dem alle nötigen Reparaturen erledigt, der erkennen. Reiseproviant ergänzt und die letzte Post an die Etwa 175 Seemeilen südlich des Kaps der Guten Heimat abgeschickt war, verließen wir am 23. De- Hoffnung, bei nahezu völliger Flaute, musste zember 2002 den Royal Captown Yachting Club. Diesel aufgefüllt werden, und die Motoren standen Jedes Mitglied unserer Crew hatte zweimal täg- still. lich eine vierstündige Wache zu übernehmen. Der Wir nutzten auch diese Gelegenheit, um Proben Skipper Gerd Engel erklärte uns segeltechnische zu entnehmen (Abb. 5). Da es bereits dämm- Details und wies an, dass jede Sichtung eines rig war, bemerkten wir erst jetzt, dass im weiten Schiffes, jede Veränderung von Windstärke oder -richtung ihm unabhängig von der Tages- oder Nachtzeit sofort mitzuteilen sei. Letztendlich lag die Verantwortung für uns in seiner Hand. Es ist Abb. 6: Die südafrikanische Forschungs- und Wetterstation auf Marion Island. fast unglaublich, aber während der gesamten Segelstrecke von circa 5000 Kilometern wurde Umkreis des Bootes massenhaft Portugiesische Der Grund dafür war das Leuchten im Wasser weder ein anderes Schiff noch ein uns überfliegen- Galeeren (Physalia spec.) trieben. Noch nie zu- unter mir und der südliche Sternenhimmel über des Flugzeug bemerkt. vor hatte ich diese Staatsquallen (Siphonophora) mir. Nach Anbruch der Dunkelheit schienen nur Da nach unserem Auslaufen nahezu Windstille in natura gesehen. Der auf dem Wasser treiben- die winzigen Positionslichter des Bootes. Marine herrschte (Abb. 4), tuckerten Tag und Nacht die de gasgefüllte blauviolette Schwimmkörper des Leuchtorganismen, bis hin zu Suppentellergröße, Dieselmotoren. Die langsame Fahrt bot Gelegen- Tierstockes trägt bei einigen Arten bis 50 Meter glitten wie Phantome aus einer anderen Welt an heit, die fantastische Bergkulisse Südafrikas zu lange Tentakeln, die sehr starkes Nesselgift ent- uns vorüber. Am Heck, wo das Wasser an den genießen. halten. In diesen treibenden Fallen verfängt sich Rudern vorbei strömte, entstand ein regelrech- Plankton wie Krebstierchen, Fischlarven und ter Silberstrudel. Es bot sich ein Meeresleuch- Jungfische. Wehe dem Schwimmer oder Taucher, ten dar, wie man es eindrucksvoller wohl kaum der in diesen Nesselwald gerät. Portugiesische erleben kann. Auslöser des Lichtschweifes hinter Galeeren werden im Atlantik und auch im westli- unserem Boot waren einzellige Organismen, die chen Mittelmeer oft massenweise an die Strände Meeresleuchttierchen (Noctiluca spec). Je weiter getrieben. Vorsichtig sammelten wir einige Exem- wir uns von der Küste entfernten, umso seltener plare ein, und Dirk brachte sie fachgerecht in den wurde dieses einmalige Naturschauspiel. Sammlungsgefäßen unter. Der vierzigste Breitengrad Süd wurde am 29. De- Am 26. Dezember 2002 gerieten wir in den Agul- zember 2002 erreicht und damit segelten wir in has-Strom. Aus dem Norden kommend, verläuft die gefürchteten „Brüllenden Vierziger“ ein, die er entlang der ostafrikanischen Küste zum Kap wir vorerst noch völlig friedfertig erlebten. Bereits der Guten Hoffnung. Trotz dieser Gegenströ- jetzt deutete sich an, dass technische Pannen mung trieb uns der aufkommende Wind mit fünf wohl unsere ständigen Begleiter werden sollten. bis sechs Knoten weiter nach Südosten. Da wäh- Häufig fiel der Autopilot aus, so dass über gro- Abb. 4: Bei Flaute und hochsommerlichen Temperaturen be- rend der ersten Segeltage das Wetter noch völlig ße Strecken per Hand gesteuert werden musste. gann am 23. Dezember 2002 der lange Törn. Im Hintergrund klar war, erwartete ich stets sehnsüchtig meine Für Ungeübte, wie wir es waren, bedeutete das der Lion`s Head bei Kapstadt. Abb. 5: Entnahme von Planktonproben während der Fahrt. um 20:00 Uhr beginnende vierstündige Wachzeit. eine gewaltige Konzentration, besonders wenn

78 79 der Wind auffrischte, die Richtung änderte oder Das Auftauchen eines Seglers vor ihrer Insel ge- Vor Marion-Island erlebten wir auch erstmals Orkas plötzlich Böen einsetzten. Nun gab auch noch hörte zu den absoluten Seltenheiten. Begeistert (Orcinus orca), Schwertwale, die vor der Küste die in Kapstadt reparierte Inmarsat-Anlage den folgten sie der Einladung, uns auf dem Katamaran patrouillierten. Selbst zwischen unserem zur An- Geist auf, wodurch erhebliche Probleme mit den zu besuchen. Mit unserem Schlauchboot wurden legestelle pendelndem Schlauchboot und dem vereinbarten E-Mail-Übertragungen zum Meeres- die Stationsmitarbeiter abgeholt. Es kam zu einer Katamaran zogen Tiere ihre Runden. Zur Nahrung museum entstanden. Ein Kontakt war nur noch herzerfrischenden Begegnung. Wir bereiteten eine eines Orkas, der fast zehn Meter lang und zehn über das Satellitentelefon möglich. schmackhafte Suppe für alle zu und sorgten für Tonnen schwer werden kann, gehören auch Pin- Nach zwölf Segeltagen und etwa 2 200 Kilometern aufmunternde Getränke. Sie brachten uns köstliche guine, Seebären und junge See-Elefanten. zurück gelegter Strecke kam am 3. Januar 2003 Leckerbissen mit, die uns noch viele Tage an diese Die langsame Vorbeifahrt an der Küste war unsere Land in Sicht. Stürmische Tage mit viel Regen Begegnung erinnern sollten. erste und sehr eindrucksvolle Begegnung mit einer und Hagelschauern lagen inzwischen hinter uns, Nach einer klaren und nahezu windstillen Nacht subantarktischen Insel. und endlich klarte das Wetter auf. Deutlich konn- begaben wir uns am folgenden Morgen nahe der Mit acht bis neun Knoten segelten wir nun den über ten wir die Konturen der Prince-Eduard-Insel und Küste bei prächtigstem Wetter auf eine Teilumrun- 1 000 Kilometer weiter ostwärts liegenden Crozet- später die der Marion-Insel erblicken. Zusam- dung der baumlosen und gebirgigen Insel. Die Inseln entgegen. Seevögel sind immer die Vorbo- Abb. 8: Auf Possession, einer Crozet-Insel, begrüßten uns fran- men bilden sie die Prince-Eduard-Inseln, die zu höheren Berge waren schneebedeckt, ihr höchster ten bei der Annäherung an eine Insel. Stundenlang zösische Wissenschaftler. Südafrika gehören (Position: 46° 56’ Süd, 50° 48’ Gipfel erreicht 1 297 Meter, eine beachtliche Höhe habe ich ihre Flugkünste bewundert. Sturmschwal- Ost). Auf Marion-Island gibt es eine Forschungs- auf diesem kleinen nur etwa fünf Kilometer mes- ben, Albatrosse oder Sturmvögel segelten knapp 40 Kilometer Entfernung gesichtet. Vom französischen station (Abb. 6), die wir bald oberhalb eines senden Eiland. Auf den grünen Flächen leuchte- über der Wasseroberfläche dahin, tauchten in Täler Stationsleiter wurden wir in die auf einem Hochplateau hohen Felsens liegen sahen. Über Funkkontakt ten weiße Punkte, die sich bei der Betrachtung mit meterhoher Wellen ein, überflogen plötzlich einen gelegene Basis zum Kaffee eingeladen. Auf der Stre- wurde uns mitgeteilt, dass wir die Insel auf Grund dem Fernglas als brütende Albatrosse entpuppten. gewaltigen Wellenkamm, um im nächsten Tal erneut cke dorthin führte der Weg durch eine beachtliche Ko- des strengen Schutzstatus nicht betreten dürf- Und dann tauchten die ersten Kolonien der großen zu verschwinden – und all´ das ohne sichtbaren lonie von Königspinguinen und vorbei an großen See- ten. Ein Inselaufenthalt hätte einer Genehmigung Königspinguine auf (Aptenodytes patagonicus, Abb. Flügelschlag! Die Artbestimmung der Seevögel fiel Elefanten. Die Forschungsbasis besteht aus mehreren der Verwaltung des zuständigen Departements in 7). Mitunter standen sie dicht gedrängt auf dem mir nicht leicht. Ihr Federkleid erfährt während der Flachgebäuden als Wohnunterkünfte sowie dem zen- Pretoria bedurft. meist schmalen Küstenstreifen. An anderen Orten Entwicklung vom Jungtier zum adulten Vogel viele tralen Versorgungsgebäude mit Küche, Speiseraum, erstreckten sich die viele tausend Tiere umfassen- Veränderungen. Albatrosse benötigen mehrere Jah- Bibliothek und Aufenthaltsräumen. Außerdem gibt es Die südafrikanische Station ist mit technischem den Kolonien hangaufwärts bis weit ins Inselinnere. re bis sie alle Stadien ihrer Jugendfärbung durch- mehrere technische Gebäude und eine kleine Kapelle. Personal und 14 Wissenschaftlerinnen und Als wir vor der Station ankerten, konnten wir die flin- laufen haben. Es ist wohl nur für einen erfahrenen Beim Kaffee wurde uns mitgeteilt, dass wir die Bucht Wissenschaftlern biologischer, geologischer und ken Schwimmer um unser Boot herum beobachten. Ornithologen, der mehrfach diese Regionen bereist leider verlassen müssen, da am kommenden Morgen meteorologischer Disziplinen besetzt, die etwa Wie Pfeile schossen sie durch das glasklare Was- hat möglich, die Arten eindeutig anzusprechen. das große Forschungs- und Versorgungsschiff, die ein Jahr hier ihre Aufgaben erfüllen, bevor sie per ser, um plötzlich aufzutauchen und nach Sekunden „Marion Dufresne“ erwartet würde. Eine Mitteilung, Schiff ausgetauscht werden. wieder in ihrem Element zu verschwinden. Nach vier Segeltagen entdeckten wir bei klarem Wet- deren Tragweite wir in diesem Augenblick noch nicht ter Land, das bereits vorher durch darüber hängende ahnten. Noch am späten Nachmittag segelten wir Wolken zu erahnen war. Die Vorläufer des Crozet- also los und erreichten nach etwa zwei Stunden die Archipels tauchten auf, Ile aux Cocons und Ile des Baie Americain. Pingouins. Nach weiteren 120 Kilometern erreichten Froh darüber wieder einen sicheren Ankerplatz wir die Hauptinsel Ile de la Possession, auf deren gefunden zu haben, genossen wir bei einem Glas Ostseite sich eine französische Forschungsstation Rotwein den windstillen Abend. Der harmonische befindet. Wir näherten uns gerade von der Südseite Abend des 8. Januar 2003 war die sprichwörtliche her der Station, als überraschend aus dem Lautspre- Ruhe vor dem Sturm. cher unter Deck deutlich eine deutsche Frauenstim- Am nächsten Morgen hing der Himmel voller di- me ertönte: „Hallo, wer seid ihr denn? Ein deutsches cker Wolken und das Barometer sank rapide. Uns Boot, ich fasse es nicht, das kann ich nicht glauben!“ war ja bekannt, dass in diesen südlichen Breiten Ihre Stimme überschlug sich fast vor Begeisterung. das Wetter in kürzester Zeit umschlagen kann. „Ich stehe auf dem hohen Berg, ihr könnt mich Der Sturm nahm gewaltig zu und erreichte bald sehen. Ich bin Karoline!“ Sie war eine junge Biologin die Stärke zehn bis elf. Mächtige Brecher erschüt- aus Straßburg, die hier ein halbes Jahr über Pinguine terten den Bootsrumpf. Die zwölf Tonnen unseres arbeitete, wie sich später herausstellte. Katamarans, von den mächtigen Wellen hochgeho- Wir ankerten in der Bucht vor der Station. Unser ben und abgesenkt, rissen krachend an der Kette Skipper nahm mit der Stationsleitung Verbindung und zerstörten dabei die Ankerführung am Bug. auf. Die Inseln gehören, wie auch die Kerguelen, Der erfahrene Kapitän ahnte, dass sich ein Orkan zu den „Territoires des Terres Australes et Antarc- ankündigte. Nun hieß es schnellstens den Anker tiques Francaises“ (TAAF). Eine bange halbe Stun- hieven und raus aus der Bucht! Das war jedoch de verging, bis wir die Erlaubnis zum Landgang leichter gesagt als getan, denn die 50 Meter lan- erhielten. Als wir mit dem Schlauchboot anlegten, ge Ankerkette, zusätzlich beschwert mit riesigen waren bereits einige Stationsmitarbeiter an der Tangen, lief durch die zerstörte Führung nun auch Anlegestelle (Abb. 8). Sie waren nicht wenig über nicht mehr über die Führungsrolle. Außerdem war das Auftauchen unseres Katamarans überrascht, der Anker nur per Hand herauszuholen. Wir muss- Abb. 7: Die 290 km2 große Marion-Insel beherbergt über eine Million Pinguine und etwa 30 000 Albatrosse. hatten aber von der Insel aus unser Boot bereits in ten feststellen, dass er sich vermutlich an einem

80 81 Abb. 9: Das Felseiland IIe de l`Est, Ostinsel, vor Possession. Abb. 10: Zahlreiche Felsnadeln und Klippen säumen die Küste der Ostinsel.

Felsblock auf dem Grunde verkeilt hatte. Trotz senen Sturm durch die Landmasse etwas dämpfte. seinem Platz. Mindestens ein zweiter Mann war Als wir endlich die Bucht vor der Station erreichten, Aufbietung aller Kräfte lies er sich nicht lösen. Wir Die Nacht erschien uns endlos, und bereits der ständig mit an Deck. Als sich am 11. Januar 2003 fand der Anker trotz mehrfacher Versuche keinen waren völlig erschöpft und ratlos. Plötzlich änder- schwächste Schimmer des Morgenlichts wirkte der Orkan ein wenig beruhigte und wir in einer klei- Halt. Das mehrmalige Einholen der 50 Meter langen te sich die Windrichtung. Für Sekunden ebbte der erlösend. Jetzt konnten wir zumindest die aus dem nen Bucht den Anker werfen konnten, sank Gerd Ankerkette führte zu unserer völligen Erschöpfung Sturm ab, das Boot drehte sich, wir zogen erneut an Wasser ragenden Felsen und die Nähe der Küste Engel nach den über 70 Stunden am Ruder an Ort und wir mussten uns entschließen, erneut die etwa der Kette. Ein Ruck, und der inzwischen völlig ver- erahnen (Abb. 10). und Stelle zusammen und schlief sofort ein. Die zwei Stunden entfernt liegende Baie Americain auf- bogene Anker war frei. Sofort startete der Skipper Auch am Tage tobte der Sturm. An ankern war nicht gewaltige physische und psychische Anstrengung zusuchen, die wir vor einigen Tagen so fluchtartig die Motoren und steuerte aus der gefährlichen, von zu denken, und so tuckerten die Diesel weiter vor der letzten Tage forderte eben ihren Tribut. verlassen hatten. Hier hielt der Anker sofort. Nach steilen Klippen gesäumten Bucht aufs offene Meer. sich hin. In nahezu regelmäßigen Abständen von nur Wir mussten unbedingt noch einmal die Insel Pos- den Strapazen der letzten Tage, die an unseren Langsam kämpfte sich das Boot gegen die anrol- wenigen Minuten stürzten eiskalte Fallwinde von den session anlaufen, um unseren stark geschrumpften Gesichtern und Händen deutlich ablesbar waren, lenden Wellen vorwärts. Unser Ziel war die Ost- steilen Hängen und den dahinter liegenden 1 000 Trinkwasservorrat aufzufüllen. Als wir mit gesetz- fielen wir schnell in einen todesähnlichen Schlaf. insel, Ile de l’Est (Abb. 9), die wir am Vortag so Meter hohen Bergen auf das Meer herunter und trie- ten Segeln aus der schützenden Bucht aufs offene Am folgenden Morgen war man geneigt, zu glau- traumhaft schön in der Sonne liegend sahen. Fast ben peitschenden Regen oder Hagel vor sich her, Wasser liefen, spürten wir, dass der Sturm noch ben, dass die Geschehnisse der vergangenen Tage 20 Kilometer trennten uns von der Insel, hinter der wie Nadelstiche unsere Gesichter traf. Das Meer immer mit einer Stärke von acht bis neun unseren und Nächte lediglich ein Albtraum waren. Nahezu deren hohem Felsmassiv wir uns einigermaßen glich einem Hexenkessel. Einerseits die Fallwinde, Katamaran gewaltig durchschüttelte. Dabei traf uns Windstille, ein strahlend blauer Himmel und weiße Schutz vor der Gewalt des Sturmes erhofften. Nach die das Wasser aufwühlten und andererseits die einmal der unerwartete Schlag einer Welle so hart, Postkartenwolken boten sich uns dar, und um unser Stunden und erst in der anbrechenden Dunkelheit Orkanböen, die das zerstiebende Wasser haushoch dass in der Küche alles aus den Halterungen flog. Boot jagten Königspinguine nach Nahrung. Das sahen wir schemenhaft durch den Nebel und die die Hänge hinauf trieb. Wir erlebten ein einzigartiges Der Schreck saß uns tief in den Knochen, hatten wir Schlauchboot wurde zu Wasser gelassen, und zu Regenschwaden die Umrisse der steil aufragen- Naturschauspiel, ausgelöst durch die unbezähmbare doch gehofft, das Schlimmste vorerst überstanden zweit begaben wir uns zur Insel. Ein Erkundungs- den Felsen. Noch bedrohlicher erschienen uns die Gewalt der Elemente, dessen Beobachtung uns fast zu haben. Die Strecke zur Insel mussten wir kreu- gang und die Suche nach brauchbarem Trinkwas- Felsnadeln und Klippen, die überall in Inselnähe vergessen ließ, in welcher Situation wir uns eigent- zend zurücklegen und so näherten wir uns ihr nur ser waren geplant. Der Küstenstreifen bestand aus aus dem Meer ragten. Sternenlos und stockfinster lich befanden. Das Geschehen um uns im Film oder langsam an. fein zerriebener schwarzer Lava, ein Anzeichen für war die Nacht. Bild richtig festzuhalten, war schier unmöglich. Auch Plötzlich wurde eine neue, bis dahin unbekann- den vulkanischen Ursprung der Crozet-Inseln. Die in den wenigen regenlosen Augenblicken war die te Gefahr sichtbar – Eisberge (Abb. 11). Gewaltige hellen Körper der Königs- und Eselspinguine wirk- Gerd Engel wich von nun an nicht mehr vom Ruder. Luft stets mit feinen Wassertröpfchen durchsetzt, Brocken von über 20 Meter Höhe, aber auch ihre teils ten auf dem dunklen Untergrund noch leuchtender Er wurde von uns mit heißen Getränken und mit- wodurch die empfindliche Kameratechnik sehr bald großen und kleinen Bruchstücke, die Grauler, trieben (Abb. 12). unter mit etwas Essbarem versorgt. Wir umfuhren ihre Funktion aufgegeben hätte. auf uns zu. Schon die Kollision mit dem Stück eines Vorbei an ruhenden See-Elefanten (Mirounga leoni- das Felseiland solange, bis wir eine Seite gefunden Während der drei Tage und der endlos erschei- Eisberges hätte fatale Folgen für uns gehabt, und so na), die nur träge die Köpfe wendeten, mitunter ein hatten, die den inzwischen zum Orkan angewach- nenden Nächte wich der Skipper nicht einmal von war höchste Aufmerksamkeit von Nöten. Stück zur Seite robbten, kletterten wir über einen

82 83 Abb. 13: Walknochen auf Possession – die letzten Zeugnisse eines Ausrottungsfeldzuges. Abb. 11: Eisberge und ihre Bruchstücke stellen für jedes Segelboot eine große Gefahr dar. Wache war es bereits völlig dunkel. Bei klarem Wet- verloren hatte, waren wir nahezu manövrierunfähig. grünen Hang aufwärts, und bald fanden wir einen waren. Die „Antares“ war ein französisches dampf- ter, wenn der Wind keine besondere Aufmerksamkeit Vom starken Wind mit gerefften Segeln getrieben, kleinen Bach, dessen Wasser wir später mit Kanis- betriebenes Expeditionsschiff, das im Januar 1932 erforderte und auch der Autopilot funktionierte, wid- glitten wir durch die Bucht von Morbihan der Station tern zum Boot transportierten. Auf einer Anhöhe in der Bucht ankerte und dessen Besatzung auf der mete ich mich dem fantastischen südlichen Sternen- entgegen. Zu beiden Seiten sahen wir riesige Tang- stießen wir erstmals auf Zeugnisse menschlichen Anhöhe des Morne Rouge den Gedenkstein errich- himmel. Hier störte nicht die in heimatlichen Breiten wälder. Alle Versuche zu ankern misslangen. Durch Wirkens in der Vergangenheit, einen eingemauerten tete. Das Schiff fuhr weiter zu den Kerguelen, und auf übliche nächtliche Lichtverschmutzung die Betrach- die dichten Tange hindurch erreichte der Anker gar Trankessel der Robbenschläger. Auch Grundmauern der Rückreise in den Norden des Indischen Ozeans tung der Sterne. Sie leuchteten mit einer Intensität, nicht erst den Grund. Inzwischen war der Wind wie- und spärliche Holzreste kündeten von der Existenz wurden die kleinen Inseln Neu-Amsterdam und St. wie ich es noch nie zuvor erlebt hatte. Eine Karte der zu einem Sturm angewachsen. Ohne steuern zu ehemaliger Wohnbehausungen. Um eine gute Sicht Paul für Frankreich in Besitz genommen, Inseln, die des südlichen Sternenhimmels führte ich natür- können, trieben wir an einer Ankertonne, einem letz- über die Bucht und das Inselgebiet zu erhalten, stie- ich mit Dirk viel später noch kennen lernen sollte. lich in meinem Reisegepäck mit. So gelang es mir ten Fixpunkt, vorüber und unweigerlich auf die Küste gen wir auf eine Anhöhe. Nach etwa vier Stunden mussten wir leider die erste im Laufe der Zeit, fast alle Sternbilder des Südens zu. Diese aussichtslose Situation erkennend, wurde Zu unserer großen Überraschung stand hier oben intensive Erkundung einer subantarktischen Insel aufzufinden. Den prächtigsten Anblick allerdings bot in Windeseile das Schlauchboot über Bord gehievt ein Erinnerungsstein, auf dessen quadratischer Ober- beenden. Auf dem Rückweg zu unserem Boot stie- der bei uns im Winter dominierende Orion und der und unter großen Mühen in dem schwankenden seite die Initialen „B.C. Antares 1932“ eingraviert ßen wir auf eine Hütte, die den Stationsmitarbeitern in seiner Nähe strahlende Sirius im Großen Hund Gefährt der Außenborder befestigt. Michael und Dirk während ihrer oft mehrtägigen Forschungsaufent- (Canis Major). Gewöhnungsbedürftig jedoch war die starteten ihn und erreichten trotz der starken Wellen halte außerhalb der Basis als Unterkunft dient. Neben Stellung des „Himmelsjägers“ schon, denn er stand die Sicherheit bietende Tonne. dem kleinen Gebäude standen aufgetürmt alte Wal- auf dem Kopf. Vom Orion ausgehend erschloss ich Es gelang in letzter Sekunde, ein Seil anzubringen. knochen (Abb. 13), letzte Zeugnisse des massen- mir allmählich viele weitere Bilder, wie Hase (Lepus), Inzwischen knoteten Gerd und ich die noch an Bord haften Schlachtens dieser Giganten der Meere. das Schiff mit Kiel und Segel (Argo, Carina, Vela) und befindlichen Seilstücke zusammen, wohl ahnend, Am Nachmittag des 13. Januar 2003 holten wir den natürlich das Kreuz des Südens (Crux) und andere. dass eine der ohnehin zu dünnen Leinen dem immer Anker ein und segelten bei Windstärke fünf bis sechs In der Morgendämmerung des 19. Januar 2003 ent- stärker werdenden Sturm nicht standhalten würde. und etwa zehn Knoten Fahrgeschwindigkeit an der deckten der Kapitän und Dirk als erste die Kergue- Die beiden mutigen jungen Männer fuhren ein zwei- Ile de l’Est vorüber, vor deren Gestade wir so dra- len. Schon vier Stunden später segelten wir am Cap tes Mal zur Tonne und konnten, inzwischen bis auf die matische Stunden hatten. Fast 700 Seemeilen, also Challenger und Cap Geologie vorüber. Hohe Fels- Knochen durchnässt, zwei weitere Seile befestigen. circa 1 300 Kilometer offener Ozean, trennten uns massive säumten die Küsten. Gegen 8:00 Uhr sahen Es wurde dunkel. Der Sturm nahm weiter zu. Wir noch von unserem Ziel, den Kerguelen. Zum Glück wir mit dem Fernglas die französische Basisstation sahen durch die Bullaugen, wie sich hohe Wellen an blieben wir während der Weiterfahrt von sehr starken Port-aux-Français. Funkkontakt zur Insel konnte auf- der Hafenanlage brachen und die Gischt hoch über Stürmen und den gefürchteten Eisbergen verschont. grund der nun defekten Stromversorgung an Bord die Laternenmasten geschleudert wurde. Zu uns Abb. 12: Die erste Begegnung mit Königspinguinen in der Baie Ein faszinierendes Erlebnis boten mir zuweilen die nicht aufgenommen werden. Da ein Dieselmotor leuchteten die Lichter der Stationsgebäude herüber American auf Possession. Nächte an Deck. Schon bei Antritt meiner zweiten nicht mehr lief, der andere inzwischen die Schraube – dort die Geborgenheit und um uns die tobende

84 85 Abb. 14: Nach vier Segelwochen strandete „Sposmoker II“ in einem nächtlichen Sturm auf den Kerguelen, zum Glück unmittelbar vor der französischen Forschungsstation. Abb. 15: Als „Gestrandete“ wurden wir freundlich aufgenommen, und jeder erhielt eine eigene Kammer. der Elemente! Die Wellen des inzwischen orkanarti- Als wir am frühen Morgen des 20. Januar 2003 in mitzuteilen, dass wir erfolgreich auf den Kerguelen ahnte ich doch, was sie während des langen nonstop gen Sturmes hoben und senkten den „Sposmoker unserer zwar durchnässten, aber doch noch wär- gestrandet seien. Törns zurück nach Südafrika, nicht wie ursprünglich II“ und ließen das zwölf Tonnen schwere Gewicht menden Seglerbekleidung an Deck gingen, bot sich Im Bewusstsein der großen Gefahr, der wir auf der vorgesehen nach Australien, zu überstehen hatten. an den drei Leinen zerren. Wellen schlugen an die uns ein kurioses Bild: Unser Boot stand, die beiden Rückreise wiederum ausgesetzt sein könnten, bat Bootswandung, als ob ein großer Vorschlagham- Ruder fest in das Ufergeröll gerammt, hoch aufge- ich aus Sicherheitsgründen um die Erlaubnis, so mer den Rumpf zertrümmern würde. Gegen 23:00 richtet und etwa 50 Meter vom Wasser entfernt, lange auf der Insel bleiben zu dürfen, bis uns das Zusammenfassung Uhr ging ich an Deck, um mir von dort einen Ein- sicher an Land (Abb. 14). Das Wasser des Golfs von französische Forschungs- und Versorgungsschiff, druck zu verschaffen. Da passierte es, eine Leine Morbihan hatte sich mit der Ebbe zurück gezogen. die „Marion Dufresne“ mit nach Réunion nimmt, um Zwei Mitarbeiter des Deutschen Meeresmuseums konnte der gewaltigen Kraft nicht widerstehen – sie Er sah aus wie ein friedlicher Binnensee. Wir standen von dort aus den Heimflug anzutreten. Der Direktor Stralsund segelten in einer vierköpfigen Crew im riss. Schon nach wenigen Minuten knallten die bei- fröstelnd und übermüdet, fassungslos, aber auch war sofort bereit in diesem Sinne Verhandlungen Dezember 2002 mit einem Katamaran von Kapstadt den anderen Seile durch. Nun war das Boot dem glücklich darüber, dass keiner von uns einen ernst- mit der Verwaltung der französischen südpolaren zu den selten besuchten subantarktischen Kerguelen. tosenden Sturm und den anrollenden Wellen völlig lichen Schaden erlitten hatte, an Deck. Gebiete aufzunehmen. Nach einigem Hin und Her Während des 5 000 Kilometer langen Törns passier- ausgeliefert. Unaufhaltsam trieb es auf die Küste Unerwartet näherte sich ein Radfahrer hemdsärm- wurde unserer Bitte zugestimmt. ten sie die südafrikanische Marion-Insel und legten zu, die zum Glück vor der französischen Station lig und in kurzen Hosen unserem Boot. Als er den Da die „Marion Dufresne“ jedoch erst im April wie- an den französichen Crozet-Inseln an. Hier ereilte die nicht aus aufragenden Felsen, sondern aus einem großen Katamaran mit den vier hilflosen Gestal- der die Insel anlaufen sollte, ergab sich für uns ein Crew ein heftiger Orkan, den sie jedoch unbescha- Geröllstrand bestand. Plötzlich knirschte es gewaltig ten aus nächster Nähe sah, lachte er herzlich und unerwartet langer Aufenthalt zur Erkundung des ein- det überstand. Nach knapp vierwöchiger Segelzeit unter uns. Wir hatten das Flachwasser erreicht und reichte zu unserer Überraschung wortlos einen Korb drucksvollen Archipels und seiner Bewohner. erreichte der Katamaran die Kerguelen und ankerte bereits Bodenkontakt. Eine bange Frage bewegte nach oben. Was war drin? Frisch gebackene, noch Am 2. Februar 2003 morgens um 7:00 Uhr verließ der vor der französischen Forschungsstation. In einem alle: Was wird in den folgenden Sekunden gesche- warme Croissants! Wir waren also, 12 000 Kilometer inzwischen von den hilfsbereiten und hervorragen- erneuten Orkan strandete das Boot auf der Insel. Die hen? Die nächste Welle hob uns empor und trug von Paris entfernt, in Frankreich angekommen. Der den französischen Technikern reparierte und wieder Besatzung blieb unverletzt und erhielt in der Station uns weiter landeinwärts. Wieder rumpelte es unter freundliche und hilfsbereite Mann war der Bäcker der seetüchtige Katamaran mit unserem Freund Michael Quartier. Die beiden Museumsmitarbeiter konnten uns. Noch einmal wurden wir angehoben, und kurz Forschungsstation. und dem Skipper den Golfe du Morbihan. Von der bis zur Ankunft des französischen Forschungs- und darauf erfolgte ein gewaltiger Stoß. Wir saßen fest. Wir wurden als „Schiffbrüchige“ in der Station auf- Höhe, auf der die Kirche „Notre Dame du Vent“ steht, Versorgungsschiffes „Marion Dufresne“ auf der Insel Unser Ziel, die Kerguelen, war erreicht. In diesem genommen und jeder erhielt ein kleines Zimmerchen verfolgte ich mit bangen Gefühlen das immer kleiner bleiben um die vorgesehenen Aufgaben zu erfüllen. Augenblick erinnerte ich mich an einen früheren (Abb. 15) in einem der inseltypischen flachen Wohn- werdende Boot, bis es sich als winziges Pünktchen Der Bootseigner und ein Crewmitglied segelten nach Ausspruch unseres Skippers: „Wer strandet, ertrinkt bauten. Eine meiner ersten Handlungen war es, mit hinter der gewaltigen Bergkulisse des Archipels verlor. umfangreichen Reparaturarbeiten mit dem Katama- nicht“ – das wurde nun wahr. dem Museum zu telefonieren und dem Direktor Meine besten Wünsche begleiteten die beiden Segler, ran nach Südafrika zurück.

86 87 Erkundungen auf den Kerguelen Karl-Heinz Tschiesche

Die Forschungsstation Port-aux-Français, in der nehmen oder uns allein auf Erkundungstouren wir nach unserer Strandung am 20. Februar 2003 begeben durften, mussten wir uns zur Sicherheit freundlich aufgenommen wurden, liegt in einer einem Gesundheitscheck unterziehen. Die Ver- geschützten Bucht des Golfes von Morbihan. Ihr antwortung des Arztes und seiner Stellvertrete- Aufbau begann 1949. rin für die meist jungen und temperamentvollen Heute umfasst die Station etwa 50 Gebäude, die Stationsmitarbeiter, die ein halbes Jahr oder län- als Wohnstätten, Versorgungseinrichtungen und ger auf der Insel leben, ist recht groß. Sollte eine wissenschaftliche Labors dienen (Abb. 1). Auf der ernsthafte Situation eintreten, sind die Patienten Insel werden unter anderem Untersuchungen und auf das viermalige Anlegen des Forschungs- und Datenerfassungen zu biologischen, geophysika- Versorgungsschiffes innerhalb eines Jahres ange- lischen und meteorologischen Fragestellungen wiesen. Es bietet die einzige Möglichkeit, in ein durchgeführt. Außerdem sind Anlagen zur Telekom- Krankenhaus auf der 3300 Kilometer entfernten munikation und Satellitensteuerung vorhanden. Insel Réunion zu gelangen. In einem zentral gelegenen zweistöckigen Gebäu- de befinden sich die Küche, ein großer Speiseraum, Die Kerguelen, vor 40 Millionen Jahren durch Vulkan- Klubräume sowie eine Bar. Eine Verkaufsstelle tätigkeit entstanden, zählen zu den ältesten Inseln versorgt die Stationsmitarbeiter mit Artikeln des unseres Planeten. Sie liegen auf 49° südlicher Breite täglichen Bedarfs. Für Unterhaltung in der Freizeit und 70° östlicher Länge und sind nur knapp 2 000 sorgen eine Bibliothek und Kinoveranstaltungen. Die Kilometer von dem antarktischen Kontinent entfernt. Poststelle ist gleichzeitig die Verbindungszentrale Ihre Ausdehnung in Ost-West-Richtung beträgt 140 über Funk und Internet zur Außenwelt. Kilometer und von Nord nach Süd 120 Kilometer. In der Krankenstation waren zu unserer Zeit ein Es ist das von allen Kontinenten auf unserer Erde Arzt und eine Zahnärztin tätig. Bevor wir an Ex- entfernteste Inselgebiet, und ist bis heute nur auf kursionen außerhalb des Stationsgeländes teil- dem Seewege zu erreichen (Abb. 2).

Abb. 2: Karte der Kerguelen mit Lage der Forschungsstation.

Der Archipel umfasst circa 7 000 m2 und wird von einstigen Eisbedeckung des Archipels, worüber die einer Hauptinsel (Grande Terre) sowie von über Entdecker im 18. Jahrhundert noch berichteten, ist 400 kleineren Inseln und mehreren hundert Klippen fast nur noch der Cook-Gletscher im westlichen gebildet. Im Verhältnis zur Landmasse besitzen die Teil der Insel erhalten. Seine riesige Eismasse von Kerguelen mit 2 800 Kilometern die längste Küste circa 500 km2 Oberfläche läuft in viele Gletscher- unserer Erde. Zumeist handelt es sich um felsige zungen aus. An den Hängen des Mont Ross gibt Steilküsten, die sich 200 Meter und stellenweise es noch einige kleine Gletscher. Auf den Kerguelen sogar bis 800 Meter über den Meeresspiegel erhe- macht sich, wie auch in den anderen eisbedeck- ben. Die große Hauptinsel ist durch viele Buchten ten Regionen unserer Erde, das Abschmelzen des reich gegliedert und schon von weitem als hohes Eises durch die zunehmende Erwärmung der Erd- Gebirgsland zu erkennen. Das höchste Bergmassiv, atmosphäre immer stärker bemerkbar. der Mont Ross, befindet sich im Südteil und erreicht 1850 Meter Höhe. Er wurde vor etwa einer Million Ein zusammenhängender sandiger bzw. kiesbe- Jahren durch Vulkanausbrüche aufgeworfen. deckter Flachstrand von etwa vier Kilometer Länge Im Laufe langer Zeiträume entstanden durch Ero- ist nur am Kap Ratmanoff im Osten der Halbinsel sion breite tiefe Täler. Dabei bildeten sich Forma- Courbet zu finden. tionen, deren nadel- oder bogenförmige Fels- Das Klima des Archipels wird durch den ihn um- Abb. 1: Die Forschungsstation Port-aux-Français. gebilde teilweise heute noch existieren. Von der gebenden Ozean geprägt, es ist nicht mit den ant-

88 89 Bei unseren Exkursionen auf der Halbinsel Courbet, an deren Südseite sich die Basisstation Port-aux- Française befindet, aber auch auf der großen Halb- insel Jeanne d’Arc und auf anderen Inseln war in den Niederungen bei der Begehung Vorsicht geboten. Das überall von den Bergen herab laufende Was- ser sammelt sich oft in riesigen Flächen der Täler oder an leichten Hängen, die dicht von Moosen und Azorella-Kissen (Azorella selugo), einem flachen, polsterbildenden Doldenblütler, bewachsen sind. Es ist nicht ungefährlich, diese grünen Matten zu überqueren. Der Boden schwankt unter den Füssen, und es ist bereits mehrfach vorgekommen, dass die Pflanzendecke nachgab, Personen wie in einem Moor versanken und sich nur unter größten An- Abb. 3: Das Stachelnüsschen überzieht große Flächen der Abb. 4: Kerguelenkohl ist nur noch an Stellen zu finden, die für strengungen aus dieser saugenden Masse befreien Abb. 5: Die großen Braunalgen bilden riesige Tangwälder. Inseln. Kaninchen unerreichbar sind. konnten. Das ist sicher einer der Gründe dafür, dass längere Exkursionen oder tagelange Aufenthalte in der Kaninchen überwuchert sind, kam es nicht arktischen Bedingungen zu vergleichen. Im Som- Nichtschwimmer, zu Tausenden nur eine große Insel. den über die Inseln verteilten etwa 40 Arbeitshütten selten vor, dass man unversehens einbrach. Ange- mer (Januar) liegen die Durchschnittstemperaturen Sogar Rentiere brachten die norwegischen Walfän- nie allein durchgeführt werden dürfen und stets mummelt mit Wind- und Regenbekleidung, an den bei +7°C, und es wird kaum wärmer als +10°C. Im ger aus Lappland mit. Sie sind Wasserdurchquerun- ein Sprechfunkgerät mitgenommen werden muss. Füßen schwere Gummistiefel und auf dem Rücken Winter sind Lufttemperaturen unter -10°C recht gen gewöhnt und leben inzwischen auf vielen Inseln. Unfälle in dieser sehr unwegsamen Gegend kön- den gewichtigen Fotorucksack mit Stativ und Not- selten, im Mittel liegen sie um +2°C. Unberechenbar Seit Jahren beschäftigen sich Forschungsprogram- nen ebenso wie die urplötzlichen Änderungen des verpflegung war das Vorwärtskommen in diesem sind die Winde in dieser Region. In kürzester Zeit me mit genetischen und populationsdynamischen Wetters zu gefährlichen Situationen führen. weglosen, pflanzenüberwucherten Bergland eine entwickelt sich aus einer schwachen Luftbewegung Fragen verwilderter Tiere, um diese unter Kontrolle Eine Blütenpflanze, das Stachelnüsschen (Acae- schweißtreibende Angelegenheit. ein gewaltiger Sturm, der auch schnell zum Orkan zu bringen oder ganz auszumerzen. na adscendens), ist vielerorts vorherrschend (Abb. anschwillt. Er ändert plötzlich die Richtung, klingt Selbst die Insektenwelt, deren charakteristische 3). Dieses krautige, fiederblättrige Rosengewächs Zu unserer Aufenthaltszeit trug Acaena bereits ihre rasch ab, um kurze Zeit später mit doppelter Gewalt Arten in Anpassung an die sturmgepeitschte Insel- überzieht weite Teile der flachen Inselgebiete und roten, kugelförmigen Fruchtstände, deren Samen loszubrechen. An 150 Tagen im Jahr fegen Stürme welt im Verlaufe der Evolution ihre Flugfähigkeit sogar der Berghänge. Acaena wird fast kniehoch wie bei einer heimischen Klette mit Häkchen ver- mit mehr als 85 km/h über die Inseln, und an 40 durch die Rückbildung der Flügel eingebüßt hat, und bildet einen dichten Rasen, der jeden Blick sehen sind. Überall an der Kleidung bleiben sie Tagen toben Orkane. Die höchste Windgeschwin- ist durch eingeschleppte Insektenarten gefährdet. auf den darunter liegenden Erdboden verhindert. hängen. Auch am Gefieder einiger Vögel konnten digkeit wurde 1970 mit 288 km/h gemessen. Natürlich wurden auch Pflanzen aus anderen Erd- Da von dieser Pflanze auch die Gänge und Höhlen wir die fest haftenden Samenträger sehen. teilen absichtlich oder versehentlich eingeführt und trugen zur Veränderung der Flora des Archipels bei. Zur Tier- und Pflanzenwelt der Kerguelen Die Annahme, dass die so weit von unseren Zivilisa- tionen entfernt gelegenen Inseln ihre Ursprünglich- Die ursprüngliche Tier- und Pflanzenwelt der keit bis heute bewahren konnten, trifft also nur sehr Kerguelen blieb durch Siedlungsversuche der bedingt zu. Immerhin fehlen auf den Inseln Touris- Robbenschläger und Walfänger sowie durch tenherbergen und Marinas für segelnde Abenteu- militärische Einrichtungen und zuletzt durch den Auf- rer. Noch ist kein Flugzeug dort gelandet. Aber wie bau und die ständig wechselnde Besetzung der fran- lange sich diese relativ unberührte Natur in diesem zösischen Forschungsstation in jüngerer Zeit nicht Zustand so erhalten lässt, ist äußerst ungewiss! unbeeinflusst. Außer der Ausrottung einheimischer Die Kerguelen sind heute ein strauch- und baum- Tierarten in der Vergangenheit üben eingeschlepp- loses Inselreich. Dass das nicht immer so war, te Arten auf die heimischen Lebensgemeinschaften beweisen Kohle- und Fossilfunde. Sie deuten dar- einen erheblichen Einfluss aus: Mäuse und Ratten auf hin, dass im Quartär hier auch Wälder existier- gelangten als blinde Passagiere ankernder Schiffe ten. Die Pflanzenwelt wird in ihrem Wuchs durch die auf die Inseln. Kaninchen, zur Ernährung der Ein- nahezu ständigen Stürme beeinflusst und hat sich gereisten mitgebracht, verwilderten und haben sich durch niedrige Formen diesen extremen Bedingun- inzwischen massenhaft vermehrt und über die Inseln gen angepasst. Bisher wurden über 200 Moos- und verbreitet. Zur Bekämpfung der Mäuseplage in den Flechtenarten nachgewiesen. Über 60 Arten davon Wohngebäuden und als Haustiere brachten Walfän- sind endemisch, d.h. sie kommen ausschließlich ger Katzen mit, die sich schnell vermehrten und auch auf den Kerguelen vor. Vier Farn- und zwei Bärlapp- verwilderten. Inzwischen wird ihre Population auf über arten, von denen eine in geschützten Lagen eine 20 000 Tiere geschätzt. Sie jagen Kaninchen, richten Höhe von 50 Zentimetern erreichen soll, sind auf aber auch unter den boden- und höhlenbrütenden den Kerguelen heimisch. Blütenpflanzen sind mit Vögeln millionenfachen Schaden an. Schafe wur- etwa 30 Arten bis in eine Höhe von 400 Meter ver- den ebenfalls angesiedelt und bevölkern, da aber treten. In höheren Lagen gibt es nur noch Flechten. Abb. 6: Tangfelder im Golf von Morbihan.

90 91 Der Kerguelenkohl, „le chou de Kerguelen“, eben- die Tiere Algen vom Untergrund abweiden und da- wurden die Kaninchen bejagt. Wir konnten Jäger falls eine Blütenpflanze, war früher einmal recht bei langsam vorwärts kriechen, entsteht zwischen begleiten und erlebten, wie schwierig es war, die bedeutungsvoll (Abb. 4). Bereits von den alten Schalenrand und Fels ein Spalt von wenigen Milli- äußerst aufmerksamen Tiere zu erlegen. Trotzdem Seefahrern wurde dieses Kreuzblütengewächs als metern. Wird die Schnecke nur leicht berührt, zieht gelang es während unseres Aufenthaltes mehr- wertvolles Gemüse erkannt und als Mittel gegen sie ihre Schale blitzschnell fest an den Fels. Ein Ab- fach, so viele Tiere zur Strecke zu bringen, dass die gefürchtete Krankheit der Seefahrt, den Skor- lösen, ohne sie zu zerstören, ist dann nicht mehr für die 140 Mitarbeiter köstliche Mahlzeiten zu- but, genutzt. Durch akuten Vitamin C-Mangel aus- möglich. Während der Exkursionen auf den Inseln bereitet werden konnten. Der Versuch, durch die gelöst, bereitete Skorbut zahllosen Seeleuten ein konnten wir auch bei Ebbe an den Felsen keine der Jagd eine Bestandsregulierung zu erreichen, wäre qualvolles Ende. Auch der Entdecker der Inseln, bis zu fünf Zentimeter Durchmesser erreichenden ein sinnloses Unterfangen. Mitte der 1950er Jahre Yves Joseph de Kerguelen de Trémarec, verlor Napfschnecken finden. hatte man zu diesem Zwecke den Myxomatose- während seiner zweiten Reise auf der Rückfahrt Es erscheint unklar, wie die Vögel diese großen Virus eingeführt, dessen Verbreitung in anderen, einen Großteil der Mannschaft durch diese Krank- scharfkantigen Schneckenhäuser vom Substrat lö- wärmeren Ländern zu verheerenden Folgen führte. heit. Offensichtlich war ihm die heilende Wirkung Abb. 7: Die Dominikanermöwe ist die einzige Möwenart im sen, verschlucken und nach der Verdauung, vom Aber auf den Kerguelen blieb ein durchschlagen- des ascorbinsäurehaltigen Kohls, der große Teile antarktischen Raum. Fleisch gesäubert, wieder auswürgen. So jedenfalls der Erfolg aus. Es fehlen die den Erreger übertra- der Insel dicht bewuchs, nicht bekannt. wird es in der Literatur beschrieben. Wir konnten genden Insekten. Sogar eine Resistenz gegen die Die Wurzeln dieser langsam wachsenden, viele Jahre Die ersten intensiven Begegnungen mit der Tierwelt aber nicht ein einziges Mal eine „würgende“ Möwe gefährlichen Krankheitskeime konnte festgestellt ausdauernden Pflanze dringen mehrere Meter tief in der Kerguelen ergaben sich für uns bereits unmit- beobachten. Auf welche Art aber kämen sonst die werden. Der Kaninchenbestand ist inzwischen so das steinige Erdreich ein. Die Blattrosette erreicht telbar auf dem bebauten Gelände der Basisstation. großen, unzerstörten und sauberen Schalen an die angewachsen, dass gebietsweise 20 bis 40 Tiere etwa 70 Zentimeter Durchmesser und Blüten- oder Als ich nach der ersten Nacht das Fenster der mir hochgelegenen „Würgestellen“? je Hektar registriert werden. Fruchtstände können einen Meter hoch werden. zugeteilten Kammer öffnete, begrüßte mich lautes Zu den beeindruckendsten Tieren innerhalb des Von einem luftgefüllten Gewebe umgeben, sind die Möwengekreisch. Doch mein Augenmerk galt, so Auf den freien, unbebauten Flächen des Stations- Stationsgeländes gehörten die Südlichen See-Ele- Samen des Kohls schwimmfähig und werden so wie in den zurückliegenden Segelwochen, vorerst geländes befanden sich sehr viele Kaninchenbaue. fanten (Mirounga leonina). In den ersten Tagen nach von Insel zu Insel verbreitet. Auf kleinen Inselchen der Wetterlage. Schließlich hingen unser Tun und Überall waren die flinken Tiere (Oryctolagus cunni- unserer Ankunft konnte ich auf dem Gelände cir- sahen wir die Pflanzen massenhaft zartrosa blühen. sogar unsere Existenz in hohem Maße vom Wetter culus) zu sehen. Da die Jagd innerhalb der Basis- ca 250 dieser teils riesigen Tiere zählen. Sie lagen Die Bestäubung erfolgt hier aus Mangel an Flugin- ab. Der Blick aus dem Fenster aber zeigte mir blauen station nicht erlaubt war, entfaltete sich die Popula- nicht nur am Strand, sondern auch zwischen den sekten, die in unseren Breiten für die Pollenüber- Himmel und rasch dahin ziehende Wolken. Der Spuk tion nahezu ungestört. Zu den natürlichen Feinden Gebäuden, vor den beiden Gewächshäusern, auf tragung bei Kreuzblütlern sorgen, durch den Wind. der vergangenen Orkannacht war verflogen. Inzwi- der Kaninchen zählen die Dominikanermöwen, die der Terrasse vor dem Speiseraum, auf den Verbin- Die enorme Vermehrung der im 19. Jahrhundert schen hatte die Schar der Möwen zugenommen. Braune Skua (Catharacta skua lonnbergi) und die dungsstraßen (Abb. 8) und oft auch direkt vor den angesiedelten Kaninchen hat dazu geführt, dass Ich warf einige Croissantstückchen hinaus. Laut reichlich vorhandenen verwilderten Katzen. Be- Eingängen der Wohnunterkünfte. der Kerguelenkohl auf der Hauptinsel heute nahezu kreischend stürzten sich die großen Vögel darauf. sonders letztere haben sich auf Kaninchenjagd Auf einer Anhöhe am Rande der Station steht die ausgerottet ist. Nur an den für Karnickel unzugäng- Es waren Dominikanermöwen (Larus dominicanus) spezialisiert. Außerhalb der Grenzen der Station Kirche „Notre Dame du Vent“. Nur wenige Minuten lichen Stellen ist er noch anzutreffen. Außerhalb der (Abb. 7), die einzige echte Möwenart auf den Ker- Station fanden wir ein umzäuntes Gärtchen, wo guelen und im gesamten antarktischen Raum. Mit der Kohl in einigen Exemplaren kultiviert wurde. In einer Flügelspannweite von etwa 1,30 Meter ähnelt dem wissenschaftlichen Namen ist seine positive sie der in unseren Breiten heimischen Heringsmöwe Wirkung auf den menschlichen Organismus festge- (Larus fuscus). Die Brutzeit war bereits vorüber, und schrieben, Pringlea antiscorbutica. so konnten wir auf unseren Exkursionen des Öfte- Viel üppiger als auf dem Lande gedeiht die Pflan- ren Küken davon eilen sehen, die kaum von Flech- zenwelt im Meer um den Archipel. Im oberen ten auf den Steinen zu unterscheiden waren. Bereich des Sublitorals, das bis 200 Meter in die Die Altvögel begannen bei jeder Annäherung laut zu Tiefe hinabreicht, bilden Grünalgen, Rotalgen und schreien und führten Angriffsflüge auf uns aus. Die besonders die Braunalgen riesige Bestände, die Dominikanermöwen sollen sich unter anderem von den Lebensraum für viele Fische und vor allem den dort vorkommenden Napfschnecken (Nacel- für wirbellose Tiere bilden. Unter den Braunalgen la kerguelensis) ernähren. Nur so lässt sich erklä- erreichen die Riesentange der Gattungen Macro- ren, dass wir häufig auf sehr hoch über der Küste cystis und Durvillea gewaltige Ausmaße (Abb. 5). gelegenen Plätzen große unverletzte Schalen ohne Sie können hier bis zu 40 Meter lang werden und restliches Schneckenfleisch an der blanken Perl- sitzen am Boden bis zu Tiefen von 25 Meter fest. muttinnenschicht fanden – Reste der Möwenmahl- Diese dichten Tangwälder waren es, die bei unserer zeiten. Drift durch den Golf von Morbihan den Anker nicht Versuche mit Napfschnecken haben ergeben, dass den Boden erreichen ließen, was letztlich zur Stran- diese Tiere unter Wasser mit dem 4 000-fachen dung des Katamarans führte (Abb. 6). und über Wasser mit dem 2 000-fachen ihres Kör- In den flachen Gewässern der Subantarktis und pergewichts belastet werden konnten, bevor die auch der Antarktis sind bisher über 700 Algenarten Muskelkraft des Schneckenfußes nachgab und sie festgestellt worden. Insbesondere die riesigen vom Substrat abfielen. Aus eigener Erfahrung beim Brauntange produzieren eine gewaltige Menge an Sammeln lebender Napfschnecken der Adria für Biomasse, deren wirtschaftliche Nutzung bereits in unsere Meeresaquarien weiß ich, wie schwer die Erwägung gezogen wurde. Tiere abzulösen sind. Im Ruhezustand bzw. wenn Abb. 8: See-Elefanten belagerten auch das Stationsgelände und wurden gelegentlich zum „Verkehrshindernis“.

92 93 Nasensack aufgebläht und bildet den Resonanz- ins Wasser, ein sehr gefahrvolles Unternehmen boden für das laute Brüllen. Flößen die warnen- für die unerfahrenen Tiere. Schwertwale, die den Laute dem Rivalen nicht genügend Respekt einzigen natürlichen Feinde der See-Elefanten, ein und veranlassen ihn zum Rückzug, geraten lauern bereits an den Küstenabschnitten auf die massigen Leiber hart aneinander. Die Vorder- die leichte Beute. Ende November kommen die körper hoch aufgerichtet, die Rüssel aufgebläht inzwischen gesättigten Alttiere wieder an Land. und brüllend, schlagen sie aufeinander ein (Abb. Jetzt beginnt für sie die drei Monate währende 10). Mit den hauerartigen Zähnen fügen sie sich Zeit des Haarwechsels. bei den Kämpfen oft tiefe Wunden zu. Die Narben Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Mitte solcher Auseinandersetzungen konnten wir an der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts wur- alten Bullen deutlich erkennen. den See-Elefanten um ihres Speckes willen rück- Die Weibchen gebären nach einer elfmonati- sichtslos gejagt, und die größte Robbenart unse- gen Tragezeit im Oktober ein Jungtier, das über rer Erde war nahezu ausgerottet. Ein großer Bulle, Abb. 9: Ein letzter Rest des alten Haarkleides. Abb. 10: Junge See-Elefantenbullen bei einer noch spielerischen einen Meter lang ist und bis zu 50 Kilogramm dessen Körpermasse etwa zu einem Drittel aus Auseinandersetzung. wiegen kann. Die sehr nahrhafte Muttermilch Speck besteht, erbrachte immerhin etwa 400 Liter von ihr entfernt und beiderseits von grünen Hügeln bewirkt, dass die Jungtiere innerhalb von nur drei Tran. Die an Land sehr unbeholfenen und daher gesäumt, erstreckt sich ein Wiesental mit einem rere Meter langen Schlauch mit der Betäubungs- Wochen das Vierfache ihres Geburtsgewichts wehrlosen Tiere waren stets eine leichte Beute Bachlauf. Ich nannte dieses Gebiet für mich das „Tal mittelflasche verbunden war, wurde in das Hinter- erreichen. Die Mütter, die während der Stillpha- der Robbenschläger, die den Rüssel der Männ- der Elefanten“. Wenn keine längere Exkursion für teil des Bullen eingestochen. Das ging natürlich se keine Nahrung aufnehmen, verlieren dagegen chen als Leckerbissen zu schätzen wussten. uns möglich war, verbrachten wir oft viele Stunden nicht ohne heftige Reaktion des Tieres vonstat- etwa 100 Kilogramm ihres Gewichts. Bereits 18 Die Bejagung endete aufgrund internationaler in diesem Tal. Im Januar 2003, unserem Ankunfts- ten. In typischer Weise richtete der Bulle seinen Tage nach der Geburt beginnt die Zeit der Paa- Vereinbarungen, nationaler Gesetze und vor allem monat, lagen hier etwa 50 See-Elefanten in Gruppen Vorderkörper hoch auf und drehte sich dabei rung. Nach der anstrengenden Stillzeit und der wegen der inzwischen eingetretenen Unrentabili- oder einzeln. Außer dem gelegentlichen Prusten bei schnell dem Störenfried zu. Der lange Schlauch kurz darauf folgenden Paarung verschwinden tät. Danach erholten sich aus Restbeständen, die der Atmung oder den seltener zu beobachtenden ermöglichte dem Wissenschaftler, vor dem wehr- die Weibchen im Meer, um durch die Aufnahme auf kleinen, unzugänglichen Inseln das Massaker spielerischen Auseinandersetzungen zweier Tiere, haften Maul des erregten Tieres zu flüchten und von Fischen und Kalmaren ihre Kraftreserven überlebt hatten, die Populationen allmählich wie- gab es nur wenige Aktivitäten im Bestand. Es war es in einem Kreis zu umrunden. Dabei musste wieder aufzufüllen. Aus Zoountersuchungen ist der. Im Jahre 1956, also kurz nach der Gründung die Zeit des Haarwechsels, der sich von Ende die Kanüle im Körper stecken bleiben, damit das bekannt, dass ein großer Bulle täglich bis zu 60 der französischen Station, wurden auf den Ker- November bis in den März hinein vollzieht. Dabei auf Körpergewicht berechnete Betäubungsmit- Kilogramm Nahrung aufnehmen kann. Die Jun- guelen 235 091 Tiere gezählt. Aber bald kündig- wird das alte Fell in teils großen Flächen zusammen tel vollständig injiziert werden konnte. Das war gen wagen sich nach zehn Wochen erstmals te sich eine neue Gefahr für den Bestand an: die mit der äußeren Hautschicht abgestoßen (Abb. 9). schwierig und auch nicht ganz ungefährlich. Der Während dieser Wochen befinden sich die Tiere Erfolg stellte sich erst nach mehreren Versuchen in einem Dämmerzustand und nehmen nur wenig ein. Nachdem der Bulle auf das Anstoßen seines Kenntnis von den Vorgängen in ihrer Umgebung. Es empfindlichen Rüssels mit einem langen gepols- war auffällig, dass die schweren Tiere oft kilome- terten Stab keinerlei Reaktionen mehr zeigte, terweit von der Küste entfernt und mitunter auch konnte am Schädeldach der Sender angebracht in hoch gelegenem Gelände lagen. Schon dieser werden. Über Satellit werden später die Signale Umstand deutete darauf hin, dass sie um diese Zeit aus dem Meer empfangen und zur Auswertung an äußerst selten das Meer aufsuchen und nach Futter die Wissenschaftler weiter geleitet. Mittels dieser jagen. telemetrischen Methode erhofft man Einblicke Im Verlaufe des März waren immer weniger Tiere in einen weitestgehend unbekannten Lebensab- an Land zu finden, und zum Zeitpunkt unserer schnitt der See-Elefanten zu erhalten. Abreise, Anfang April, war kein einziges Tier mehr Nach fünf Monaten im Meer kehren die Bullen im zu sehen. Die See-Elefanten hatten sich ins Meer September auf die subantarktischen Inseln zu- zurückgezogen, um erst nach fünf Monaten das rück. Bald danach suchen auch die Weibchen, Land erneut aufzusuchen. Was sie in der Meer- zumeist trächtig, das Land auf und schließen sich Zeit treiben und wo sie sich aufhalten, ist kaum zu Herden zusammen. Die älteren, acht bis zehn bekannt. jährigen Bullen erkämpfen sich eine Weibchen- Als die „Marion Dufresne“ Ende März anlegte, um gruppe und bilden einen „Harem“. Gegen alle Personal auszutauschen, neue Verpflegung und Rivalen wird die Weibchenherde verteidigt. Jetzt Material zu bringen sowie Altmaterial abzuholen, wird aus den spielerischen Kämpfen, die wir zur kam ein Forscherteam für mehrere Tage mit auf Zeit des Haarwechsels beobachten konnten, sehr die Insel. Die Wissenschaftler beschäftigten sich oft blutiger Ernst. mit den Fragen des Winteraufenthaltes der See- In großen Harems, die mitunter mehr als hundert Elefanten. Es war der allerletzte Termin, um noch Weibchen umfassen können, leben oft mehrere vereinzelte Bullen für ihre Untersuchungen an Bullen, deren Ranghöchster als „Haremsmeis- Land anzutreffen. Die Anbringung eines Sende- ter“, „Strandmeister“ oder als „Pascha“ bezeich- gerätes setzte die Betäubung der massigen Tiere net wird. Auseinandersetzungen gehen immer voraus. Eine kräftige Kanüle, die über einen meh- akustische Warnsignale voraus. Dabei wird der Abb. 11: Nach abgeschlossenem Haarwechsel verlassen die See-Elefanten für ein halbes Jahr das Land.

94 95 Seebären (Arctocephallus tropicalis) lernten wir während des Aufenthaltes der „Marion Dufresne“ auf den kleinen französischen Inseln Saint-Paul und Amsterdam 2 000 Kilometer weiter nördlich kennen (Abb. 13). Beide Arten wurden ihres Pelzes wegen intensiv gejagt und galten um 1930 als ausgerottet. Aus ganz kleinen Restbeständen in unzugänglichen Gebieten entwickelten sich später wieder recht beachtliche Populationen. Auf einer Felsklippe, in erreichbarer Entfernung von der Basis, befand sich eine Kolonie der Kerguelen- Kormorane (Phalacrocorax verrucosus). Besonders auffällig sind ihre blauen Augen und die kräftigen Abb. 12: Die südlichste Pelzrobbenart, der Antarktische Seebär. Abb. 13: Subantarktischer Seebär auf der Insel Saint Paul. gelben Warzen an der Schnabelwurzel. Die Kolo- nie bestand aus etwa 150 Tieren. Wir konnten sie zunehmende offizielle Fischerei sowie die Fisch- dern griff an. Schneller als wir vermuteten kam er sowohl balzend, paarend, brütend wie auch mit frisch piraterie um den Archipel. Der Fischbestand wur- auf uns zugerobbt. Wir ergriffen eiligst die Flucht. geschlüpften Jungen oder bereits große Jungvögel de dadurch drastisch reduziert und mit ihm eine Verletzungen durch das kräftige Raubtiergebiss fütternd beobachteten (Abb. 14). Die meisten Kor- wichtige Futtergrundlage für die See-Elefanten. können schwerwiegenden Folgen haben. Unmittel- morane zeigten bei behutsamer Annäherung kaum Das blieb nicht ohne Folgen. Bis 1970 sank ihr bar am Stativ brach er seine Attacke ab. Er riss es Fluchtverhalten und es gelang sogar, bei sitzenden Bestand um 80 000 Tiere. Nicht mehr die Jagd zum Glück nicht um, beruhigte sich wieder und lief Tieren das Gefieder zu berühren. Insgesamt sollen wird also in Zukunft über die Existenz der Tiere gemächlich davon. auf dem Archipel etwa 12 000 Kormorane leben. bestimmen, sondern die Eingriffe des Menschen Eine knappe Wegstunde von der Station entfernt Während der Foto- und Filmarbeiten erregten die in ihr Lebensumfeld (Abb. 11). befand sich ein begrünter, zum Wasser hin abfal- abgelegten Rucksäcke und Taschen großes Interes- Seeleoparden (Hydrurga leptonyx), die räube- lender Hang. Hier hielten sich häufig Seebären mit se bei den taubenähnlichen Schwarzgesicht-Schei- Abb. 14: Die Kerguelenkormorane bilden an der felsigen Küste rischsten Robben, konnten wir während unseres halbwüchsigen Jungen auf. Viele Stunden an ver- denschnäbeln (Chionis minor). Sie kamen ganz dicht große Kolonien. Aufenthaltes nicht beobachten. Obwohl ihr schiedenen Tagen brachte ich an dieser Stelle zu herangelaufen, zupften an Riemen und Bändern, eigentlicher Lebensraum die Packeisgrenze des und die Tiere, in deren unmittelbarer Nähe ich still hackten auf abgelegte Objektive ein oder beschäf- Fischzuchtanlagen. Die Einfuhr der dafür benötig- Südpolarmeeres ist, dringen sie besonders im hinter dem Stativ stand, erweckten bald den Ein- tigten sich mit davon rollenden Filmdosen. In allen ten Arten erfolgte in zwei Etappen des Zeitraumes Winterhalbjahr auf die subpolaren Inseln vor druck, dass sie meine Anwesenheit akzeptierten. Vogelkolonien und auch zwischen See-Elefanten von 1951 bis 1980. Es wurden Forellen, Saiblinge, und wurden schon mehrfach auf den Kerguelen Nur beim Klicken des Fotoapparates „spitzten“ oder Seebären sind sie zu finden. Sie stehlen Eier Meerforellen und Lachse importiert. Die Produktion gesichtet. An der Ostküste wurden sie auch noch einige die kleinen Ohrmuscheln. Ich sah Alttiere, die oder frisch geschlüpfte Küken und fressen die Nach- lief offensichtlich nicht schlecht, trotzdem wurde im Frühling zwischen See-Elefanten beobachtet. mit noch nassem und glänzendem Fell vom Nah- geburten der Säugetiere. Schlafenden Tieren hacken sie aber Ende der 1980er Jahre aufgegeben. Nach- Die Seeleoparden ernähren sich von Robben, rungsfang auf Fische oder Tintenfische aus dem sie in die Augen und auch Menschen, die einmal folgend besiedelten die eingeführten Arten Küsten- Pinguinen und zu einem großen Teil von Krill, den Meer zurückkehrten. Zuweilen schlugen sie einen liegend die wärmenden Sonnenstrahlen genießen, regionen und Flüsse der Inseln. Seit Jahren ist planktonischen Krebsen, die sie mittels ihrer spe- kleinen Trupp vorüberwatschelnder Eselspinguine müssen sich in Acht nehmen. Insgesamt sind auf den hier in Abständen ein Ichthyologenteam tätig, das ziellen Backenzähne aus dem Wasser filtern. Auch in die Flucht oder machten Jagd auf sie, denn Pin- Kerguelen über 30 Brutvogelarten nachgewiesen. aufgrund genau bekannter Ausgangsbedingungen Wissenschaftler wurden schon des Öfteren ange- guine gehören durchaus zu den Beutetieren der wichtige populationsdynamische und genetische griffen, die von ihren Booten aus Untersuchungen Seebären. Mehrmals kamen sie bis auf zwei, drei Daten sammelt. durchführten. Im Jahr 2003 wurde eine britische Meter an mich herangerobbt, blickten zu mir herauf Angeln am Ende der Welt Als ich zur Flussmündung zurückkehrte, waren den Taucherin durch einen Seeleoparden getötet. Das und liefen vorüber oder kehrten zu ihrer Gruppe zu- beiden Anglern in knapp zwei Stunden neun große ist bisher der einzige bekannte Todesfall durch rück. Angesichts der Erfahrung mit dem schlafen- Die Halbinsel Courbet ist von mehreren großen Fische an die Haken gegangen, und wir hatten zu diese Tiere. den Seebären fühlte ich mich anfangs nicht ganz Flüssen durchzogen. Der Chef der Meteorologen, tun, die über 30 Kilogramm Frischfisch zu dem weit wohl dabei, denn eine Flucht wäre in einer solchen Jeannot, lud uns zu einer Angeltour zum Riviere du entfernt geparkten Pickup zu schleppen. Terry er- Situation kaum noch möglich gewesen. Chateau ein, einem Wasserlauf, der in einer östlichen legte in der Zwischenzeit so viele Kaninchen, dass Exkursionen auf dem Archipel Der wissenschaftliche Name des Antarktischen Bucht der Halbinsel in das Meer mündet und nur mit er damit ein 80-Liter-Fass füllen konnte. Seebären geht auf das deutsche Expeditionsschiff einem Auto zu erreichen ist. Auch der Küchenchef Am Abend wurden wir zum Essen in die meteorolo- Nachdem uns die Erlaubnis erteilt wurde, auch „Gazelle“ zurück. 1874 fand einer der seltenen Terry fuhr mit, um Kaninchen zu jagen. An der Fluss- gische Station eingeladen. Es gab natürlich frischen außerhalb des Stationsgeländes tätig zu sein, nutz- Durchgänge des Planeten Venus vor der Sonnen- mündung angekommen wurden sofort die Angeln Lachs im Überfluss, und wie es sich für Fisch gehört, ten wir dafür jede sich bietende Möglichkeit. Bereits scheibe statt. Zur Beobachtung und Messung die- ausgeworfen. Schon nach wenigen Minuten hat- ausreichend Wein und Whisky. unweit der Station waren Antarktische Seebären ses Phänomens brachte die „Gazelle“ Astronomen te Dirk einen kapitalen Lachs am Haken. Er war 70 (Arctocephalus gazella) anzutreffen. Eines Tages auf die Insel. Auch der deutsche Zoologe und Ent- Zentimeter lang und wog fünf Kilogramm. Während stießen wir auf ein schlafendes Tier, vor dem wir in decker Wilhelm Peters war Expeditionsteilnehmer. die beiden weiterangelten, erkundete ich die Um- Die Halbinsel der Walfänger einigen Metern Entfernung das Stativ mit der Video- Einen Seebären nahm er auf der Rückreise mit in gebung, suchte nach Algen sowie Schnecken- und kamera aufbauten. Dirk hatte gerade die ersten die Heimat und beschrieb ihn als neue Art. Zur Muschelschalen für unsere Sammlung. Eines Tages erhielten wir die Möglichkeit, mit dem Aufzeichnungen gemacht, als der Seebär erwach- Erinnerung an das Unternehmen wurde dem Tier Ursprünglich gab es in den Gewässern der Kergu- kleinen Versorgungsschiff „Aventure“ auf die im Nord- te. Er war wohl sehr überrascht von der Verände- der Artname Arctocephallus gazella verliehen (Abb. elen weder Forellen noch Lachse. Mit der Grün- westen des Golfes von Morbihan gelegene Halbinsel rung in seiner Umgebung und flüchtete nicht, son- 12). Die nahe verwandte Art, den Subantarktischen dung der Forschungsstation entstanden auch Jeanne d`Arc zu fahren und fünf Tage dort zu bleiben.

96 97 dunklem Gefieder. Auf einem kleinen Felsvorsprung entdeckte Dirk einen sitzenden Vogel. Der anstren- gende und steile Aufstieg durch den hohen Acaena- Bewuchs lohnte sich. Nur wenige Meter vor uns stand auf einer ebenen Felsplatte ein adulter Ruß- albatros (Phoebetria palpebrata), wohl die schönste Albatrosart überhaupt (Abb. 16). Inzwischen war ich nah herangekommen und hielt mich mit einer Hand an dem Felsvorsprung fest. Da geschah etwas Unerwartetes: der große graue Vogel kam schwer- fällig herangeplatscht und nahm meinen Zeige- finger vorsichtig in seinen Schnabel, als ob er ihn prüfen wollte. So etwas hatte ich in freier Wildbahn noch nie erlebt! Wenig später bemerkte ich aus den Abb. 18: Commerson-Delfine begleiteten oft unser Arbeitsboot. Augenwinkeln heraus einen Schatten, und nur einen Meter vor mir landete Sekunden später der Partner. Am letzten Nachmittag in Port Jeanne d’Arc suchte Die beiden begrüßten sich schnäbelnd und waren ich die alten Wohngebäude und ihre Umgebung nach nun intensiv miteinander beschäftigt. persönlichen Spuren der Menschen ab, die hier ein- Wir suchten unsere Umgebung mit dem Fernglas ab mal lebten, arbeiteten und sicher auch litten. Viel war und erspähten vor einer kleinen Felsenhöhle etwas nicht mehr zu finden: Initialen an einem alten Nor- Auffälliges. Wieder erfolgte ein schweißtreibender wegerbett, eine aufgehende Sonne an die Holzwand Aufstieg. Auf einem Kegelnest saß in seinem grauen gemalt und draußen ein Holzkreuz, umlegt von einer Flaumfederkleid ein junger Rußalbatros (Abb. 17). schweren bereits eingewachsenen Ankerkette. Abb. 15: Die von Norwegern gegründete alte Walfangstation „Port Jeanne d’Arc“. Konnte es denn soviel Glück auf einmal geben? Am folgenden Morgen kam die „Aventure“, um uns Zurückgekehrt in die Basisstation unterhielten wir uns abzuholen. Jerome, der junge Kapitän, sagte uns, Am Nordwestende der Halbinsel befindet sich die Wir entdeckten einen riesigen Wasserfall und mit einem jungen kanadischen Ornithologen, der auf dass er auf dem Rückweg noch weitere Außensta- alte Walfang- und Verarbeitungsstation Port Jeanne sahen den südlichsten Punkt der Kerguelen, das den Kerguelen ein halbes Jahr über Albatrosse arbei- tionen anlaufen müsse, um Wissenschaftler und d’Arc, die Anfang des 20. Jahrhunderts von nor- Kap Challenger, das wir am 19. Januar umsegelt tete. Als wir ihm die Videoaufzeichnungen zeigten, Material auszuwechseln. Uns konnte das nur recht wegischen Walfängern gegründet wurde (Abb. 15). hatten. war er nahezu sprachlos. Fliegend hatte er schon sein, lernten wir so noch mehrere Landschaften des Heute existieren noch die damaligen Heizkessel und mehrere Exemplare gesehen, aber sitzend aus dieser weitläufigen Golfs kennen. andere vor sich hinrostende technische Anlagen für Über einem Felsmassiv zogen große Vögel ihre Nähe und dann noch einen Jungvogel! Er konnte es die Trangewinnung. Von den vier alten Wohngebäu- Runden. Durch das Glas erkannte ich Albatrosse mit einfach nicht fassen. Das Schiff war noch nicht lange unterwegs, als uns den ist eines restauriert und dient als Unterkunft für zwei der mitfahrenden Ichthyologen auf Wasser- die zeitweise dort tätigen Wissenschaftler. bewegungen aufmerksam machten. Sofort ent- Auch wir zogen mit einem jungen Biologen und deckten wir im klaren Wasser weiße Rücken: es seinem Freund, einem Physiker, der sich ansons- waren Commerson-Delfine (Cephalorhinchus com- ten mit Magnetfelduntersuchungen beschäftigt, mersoni, Abb. 18). Drei Tiere umspielten unser Boot, in dieses Gebäude ein. Luc, der Biologe, sollte schossen weit voraus, ließen sich einholen, tauch- während seines Aufenthaltes auf den Kerguelen ten auf die andere Seite und sprangen aus dem Daten der verwilderten Katzenpopulation zusam- Wasser. Commerson-Delfine, auch Jacobitas oder mentragen. Das schon über viele Jahre laufende Toninas genannt, leben außer an den Kerguelen in Forschungsprojekt wird von der Universität in Lyon einer weiteren Population nur noch in einem Gebiet betreut. Luc und sein Freund Pierre stellten im wei- um Feuerland und die Falklandinseln. ten Umkreis um die Gebäude mit Kaninchenteilen beköderte Katzenfallen auf. Die gefangenen Tiere Wir haben die bis etwa 1,60 Meter langen Delfine wurden nicht getötet, sondern nur nach bestimm- in Schulen von drei und fünf Tieren einige Male beo- ten Vorgaben untersucht und die Daten erfasst. bachten können. Sie jagen gemeinsam nach Fischen Durch gezielte Feldbeobachtungen mit einem oder Tintenfischen und auch nach Krill. Es war nicht speziellen Fernglas mussten außerdem die Revier- einfach, die flinken Schwimmer im Bild festzuhal- grenzen und -größen ermittelt werden. Bisher ist ten aber sehr eindrucksvoll, sie eine längere Zeit zu bekannt, dass ein Tier eine Fläche von sieben bis beobachten. Von den großen Walen, die vor langer zehn Hektar beansprucht. Die Katzen sind äußerst Zeit um die Kerguelen herum sehr zahlreich vorkamen scheu und verhalten sich wie Wildtiere. Exemplare, und den Bau der Fangstation nach sich zogen, war die gelegentlich mit nach Europa genommen wur- nichts zu sehen. den, sind alle nach kurzer Zeit eingegangen. Am späten Nachmittag erreichten wir die Basisstati- Ausgedehnte Exkursionen führten uns über weite on, im Gepäck viele gesammelte Objekte und belich- Teile der Halbinsel. Sie ist nur über eine 500 Meter Abb. 16: Rußalbatrosse gehören zu den anmutigsten Fliegern, Abb. 17: Ein junger Rußalbatross zeigte bei unserer Annäherung tete Filme. Wir glaubten, dass eine weitere Steigerung breite Landenge mit der Hauptinsel verbunden. auch wenn sie auf dem Lande recht tollpatschig wirken. keinerlei Scheu. an Natureindrücken nun kaum noch möglich sei.

98 99 Abb. 19: Wandernde Königspinguine. Abb. 21: Die Pinguinkolonie am Kap Ratmanoff ist die größte Konzentration von Königspinguinen auf dem Archipel.

Am Strand der Königspinguine Weite Strecken führten über unwegsames, mit großen gen von 5 600 Kilometern in 12 Tagen oder 15 000 derts auf den Kerguelen nahezu ausgerottet waren, Steinen übersätes Gelände, so dass wir nur durch Kilometern in 10 Monaten nachzuweisen. lässt einem schon einen kalten Schauer über den Der Stationskommandant Roger Rolland bot uns Feststemmen der Beine und Arme ohne Rückgrat- Rücken laufen. Walfänger und Robbenschläger an, mit dem fünfköpfigen kreolischen Bautrupp verletzungen die Fahrt überstehen konnten. Mitunter Bei der Annäherung an die Küste wurde das ganze nutzten die Eier und das Fleisch als Nahrungsmittel den einzigen längeren Flachstrand des Archipels sackte unser Transportgefährt tief in den weichen Ausmaß der Pinguinkolonie erkennbar. Soweit das und die Bälge als Fußmatten. Vernichtender war die am Kap Ratmanoff zu besuchen. Dort sollte es Boden ein und musste durch den anderen Traktor Auge den langen Strand überblicken konnte, stan- Nutzung der Tiere zur Ölgewinnung und sogar als eine größere Kolonie der Königspinguine (Apte- wieder heraus gezogen werden. Die letzten Kilome- den die großen Vögel dicht an dicht (Abb. 21). Nach Heizmaterial für die Trankessel. nodytes patagonicus) geben. Vorgesehen war ein ter fuhren wir am Strand entlang, und je näher wir den Angaben der Ornithologen leben in der Kolonie Trotz der vielen Individuen in dieser Kolonie war nicht mehrtägiger Aufenthalt für Ausbesserungsarbeiten dem Kap kamen, desto mehr wandernde Gruppen 170 000 bis 180 000 Tiere. Ganz langsam gehend, ein Kadaver zu finden. Scheidenschnäbel (Chionis und die Wintersicherung des Gebäudes. Das Vor- der bis zu 95 Zentimeter großen Pinguine zogen an bahnte ich mir einen Weg zwischen den Pinguinen minor), Braune Skuas (Catharacta skua lonnbergi) und haben würde uns genügend Zeit für Exkursionen in uns vorüber (Abb. 19). Den letzten Kilometer konnten hindurch, die nur sehr gemächlich etwas zur Seite Riesensturmvögel (Macronectes spec.) sorgen für ihre die Umgebung bieten. die Traktoren nur noch in einem Wasser führenden watschelten. Einige machten ihrem Unmut über die restlose Beseitigung. Sie ernähren sich aber auch von Die Fahrt wurde mit zwei Traktoren angetreten. Flussbett zurücklegen. Das wollte uns der Fahrer Störung Luft und schlugen kräftig mit ihren Flügeln gestohlenen Eiern oder erbeuteten Jungtieren, wie wir Während der eine das gesamte Gepäck und die in jedoch nicht mehr zumuten. Wir stiegen aus und gegen meine Oberschenkel – und das tat richtig mehrfach beobachten konnten. Fässern verstaute Verpflegung transportierte, zog erreichten zu Fuß die Außenstation. weh. Diese „Schlägerei“ konnte auch bei den Tieren Zweifelsohne waren die Tage am Kap Ratmanoff, über der zweite Traktor einen überdachten Anhänger Die Doppelstockbetten waren schnell bezogen und untereinander beobachtet werden. Zwischen den die es noch viel zu berichten gäbe, das eindrucksvollste mit Sitzen für die Personenbeförderung. bepackt mit Foto- und Filmausrüstung machten wir Alttieren standen fast gleichgroße Jungvögel (Abb. Erlebnis unseres Kerguelenaufenthaltes. uns auf den Weg zur Küste. Neben See-Elefanten, 23), die völlig oder mitunter nur noch teilweise von die überall am Flussufer umher lagen, kamen wir ihrem Daunengefieder bedeckt waren, das sie erst auch an mehreren Wanderalbatrossen (Diomedea nach etwa einem Jahr völlig verlieren. Diese Jung- exulans) vorüber, die sich einzeln oder paarweise auf tiere stammten aus der Frühbrut, also aus den im ihrem Nest oder in dessen Nähe aufhielten (Abb. 20). November gelegten Eiern. Die Nester lagen etwa 20 bis 30 Meter auseinander. Mitten in der Kolonie befanden sich viele Spätbrü- Hier erlebten wir wieder das gleiche Verhalten wie ter, die noch das Ei in der Hautfalte zwischen den bei den Rußalbatrossen: bei behutsamer Annähe- Füßen warm hielten. Ihre Jungen schlüpfen etwa rung blieben die Vögel ruhig sitzen. Als ich bei einem Ende März. Da sich der gesamte Brutzyklus über Tier das Bauchgefieder etwas zurück strich, konnte fast 14 Monate hinzieht, können Königspinguine ich sogar die Beringung erkennen. Der Wanderalbat- nicht in jedem Jahr ein Junges aufziehen. Ein Paar, ros ist die stattlichste Art dieser Vogelfamilie und mit das immer streng monogam lebt, bringt es besten- einer Spannweite bis zu 3,50 Meter einer der größten falls in drei Jahren auf zwei Jungtiere. Abb. 20: Mit einer Flügelspannweite bis zu 3,50 Meter ist der flugfähigen Vögel überhaupt. Sie legen enorme Flug- Das Wissen darüber, dass diese zu Millionen vor- Abb. 22: Königspinguine müssen etwa elf Monate lang ihre Wanderalbatross einer der größten flugfähigen Vögel der Erde. strecken zurück. So gelang es zum Beispiel, Leistun- kommenden Meeresvögel Anfang des 20. Jahrhun- Jungen mit Futter versorgen.

100 101 Als wir Anfang April mit dem französischen For- Weiterführende Literatur schungsschiff „Marion Dufresne“ (Abb. 24) nach Réunion fuhren, um von dort nach Hause zu fliegen, Carwardine, M. (1996): Wale und Delphine. Delius konnten wir mit der Ausbeute sehr zufrieden sein. Klasing. Edition Nahelschmid. Mit einem reichen Schatz an herbarisierten Algen Duchene, J. C. (1989): Kerguelen. Recherches au bout und Landpflanzen, den Planktonproben und vor du monde. Mission de Recherche des T.A.A.F. allem mit zahlreichen Arten wirbelloser Tiere sowie Deimer, P. (1987): Das Buch der Robben. Rasch und mit etwa 3 000 Bilddokumenten und vielen Video- Röhring, Hamburg. aufzeichnungen gelangte erstmalig Belegmaterial Giret, A. (1998): Kerguelen. Birkenhalde Verlag, Win- aus einer der entlegendsten Gebiete unserer Erde in terthur. die Sammlungen des Deutschen Meeresmuseums. Naveen, R. u. a. (1991): Die Antarktis lebt. Buchge- meinschaft Donauland Kremayr und Scheriau, Wien. Zusammenfassung Nowak, R. M. (1999): Walkers`s Mammals of the World. John Hopkins University Press. Von Januar bis Anfang April befanden sich zwei Odening, K. (1984): Antarktische Tierwelt. Urania- Mitarbeiter des Deutschen Meeresmuseums in Verlag Leipzig. der französischen Forschungsstation Port-aux- Pütz, K. (1994): Untersuchungen zur Ernährungsöko- Française auf den subantarktischen Kerguelen. logie von Kaiserpinguinen (Aptenodytes forsteri) Während des Aufenthaltes auf den Inseln bestand und Königspinguinen (Aptenodytes patagonicus). ihre Aufgabe darin, Bild- und Filmmaterial dieser Alfred-Wegener-Institut, Bremerhaven. einzigartigen Landschaften sowie ihrer Pflanzen- und Tierwelt zu erstellen. Außerdem war vorge- sehen, die alten Walfangstationen zu besuchen und Bilddokumente davon anzufertigen. Nach Möglichkeit sollten für den Fundus des Museums auch Naturobjekte (Herbarmaterial, Kleintiere) ge- sammelt werden. Die Rückreise erfolgte mit dem Abb. 23: Junge Königspinguine können erst das Wasser auf- Forschungs- und Versorgungsschiff „Marion Duf- suchen wenn ihr Daunengefieder völlig verschwunden ist. resne“ über die Insel Réunion.

Abb. 24: Das Forschungs- und Versorgungsschiff „Marion Dufresne“ vor der Insel Amsterdam.

102 103 Polare marine Lebensräume und globale Klimaänderung Ulrich Bathmann

Die Arktis schmilzt! Am 2. Februar 2007 hat das Norden im Sommer. Vorhersagen anhand gekoppelter „Intergovernmental Panel on Climate Change“ Eis-Ozean-Atmosphärenmodelle lassen einen Rück- (IPCC) den ersten Teil seines vierten Berichtes ver- gang von über 50 % in der Meereisbedeckung zum öffentlicht (siehe Kasten 1). Damit wird erstmals im Ende des 21. Jahrhunderts erwarten (Carmack et al., Namen der Vereinten Nationen wissenschaftlich auf 2006). Die Abnahme im Eisvolumen in der Arktis geht internationaler Ebene festgestellt, dass derzeit ein mit einer Abnahme der Schneebedeckung einher. Sie Klimawandel stattfindet, der zum großen Teil vom wird durch ansteigende Temperaturen hervorgerufen; Menschen verursacht wird. so erhöhte sich die mittlere globale Temperatur zwi- schen 1980 und 2006 um nahezu 0,4 °C (Abb. 2). Der Mit einer Riesenwelle von Schlagzeilen nimmt die Meeresspiegel stieg entsprechend und wird bis zum Presse diese Erklärungen auf. Die Politik reagiert Jahr 2100 zwischen 18 bis 58 Zentimeter höher sein durch vollmundige Versprechungen: verstärkter als heute. Klimaschutz und eilig ins Leben gerufene Sofort- Schnelle Klimaveränderungen beeinflussen die maßnahmen sollen abhelfen. Aber das Klimasys- Ökosysteme und Nahrungsnetze der Arktis auf tem dieser Erde agiert und reagiert viel langsamer allen trophischen Ebenen (ACIA, 2004). Beispiels- und nachhaltiger, und Gegenmaßnahmen greifen weise führt die Abnahme der Meereisbedeckung entsprechend träge, wie es auch im IPCC Report in der Arktis zu einer Verschlechterung der 2007 dargestellt ist. Wir Wissenschaftler sind beru- fen, ein verlässliches Bild des Zustandes und der Entwicklung des Erdklimas sowie der Konsequen- zen für das Leben auf unserem Planeten zu zeich- nen. Dies muss – unabhängig von Medienrummel und von Parteien- und Personenprofilierung – an- hand von Fakten erfolgen. Als Polarforscher bereise ich seit 23 Jahren die marinen Polargebiete beider Hemisphären jenseits des 60. Breitengrades und bearbeite den Lebensraum Ozean, der teilweise oder ganzjährig mit Meereis bedeckt ist. Von eini- gen jetzt schon unübersehbaren Auswirkungen des Klimawandels auf Organismen in den beiden Polar- regionen handelt dieser Beitrag.

Arktis

Die Gletscher auf der Nordhalbkugel verringern sich im Eisvolumen seit über 100 Jahren (Abb.1). Auch die Fläche, die in der Arktis mit Meereis bedeckt ist, nimmt seit 30 Jahren durchschnittlich um 8,4 % pro Jahr- zehnt ab, wobei dieser Rückgang starke Schwankun- gen aufweist. Zusätzlich nahm die Eisdicke zwischen 1991 und 2001 um etwa 22 % ab (Steppuhn et al., 2007). Diese Aussagen beruhen auf sehr genauen Abb. 2: Beobachtete Veränderungen der (a) globalen Ober- Messungen der Eisausdehnung vom Satelliten, wäh- flächentemperatur; (b) Mittlerer globaler Anstieg des Meeres- rend die Messungen der Eisdicken mittels Bohrungen spiegels aus Tidenmessern (blau) und vom (c) Satelliten (rot). oder elektromagnetischer Methoden nur punktuell Schneebedeckung der nördlichen Hemisphäre zwischen März durchgeführt werden können (Haas, 2006). und April. Die dokumentierbaren Änderungen im Eisvolumen Alle Veränderungen wurden gegen die Referenzzeit 1961 bis sind saisonal verschieden und zeigen u. a. ein frühe- 1990 normalisiert. Die geglätteten Kurven geben das 10-Jah- res Aufbrechen der arktischen Meereisdecke im Früh- res-Mittel wieder, während die Kreise Jahreswerte anzeigen. Die Abb. 1: Elefantenfußgletscher. In einzigartig halbkreisförmiger Symmetrie ergießt sich ein Gletscher aus einem Bergdurchbruch. ling und einen weiteren Rückzug des Meereises nach schraffierten Flächen repräsentieren Unsicherheitsbereiche.

104 105 wärmeren und kälteren Klimas abwechseln. Im sub- arktischen Nordpazifik folgte ab 1976/77 auf eine Periode warmer Winter eine Phase sehr viel kälterer Winter. Dieser Trend hat sich 1988/89 umgekehrt. In den Jahren mit kalten, langen Wintern kam es zu einer zeitlichen Überschneidung beim Laichen von Frühjahrspopulationen des Zooplanktons (Copepo- den) zeitgleich mit den Sommerpopulationen im Mai (Abb. 4). Dies führte zu zeitlich begrenztem und sehr hohem Nahrungsangebot für Fischlarven mit dem Ergebnis, dass die Fischlarven erst zu viel und dann viel zu wenig Nahrung vorfanden (Chiba et al., 2006). Ob die Erwärmung in der Arktis, die seit 30 Jahren in den Aufzeichnungen hervortritt (vgl. Abb. 2), sich Abb. 4: Schematische Darstellung der dekadischen Variationen fortsetzt, ist bisher nicht eindeutig vorherzusagen, der jährlichen Planktonproduktion in Abhängigkeit vom Nahrungs- aber dennoch wahrscheinlich (IPCC, 2007). Die angebot und Saisonlänge im westlichen Nordpazifik (verändert Konsequenzen im Ökosystem können wir dagegen nach Chiba et al., 2006). erst ansatzweise abschätzen (Werner et al., 2004).

Kasten 1 – Vierter Sachstandsbericht des IPCC, 2007

Das IPCC wurde 1988 von der World Meteorological Organisation (WMO) und dem United Nations Environment Programme (UNEP) eingesetzt, als die Möglichkeit einer globalen Klimaänderung deutlicher wurde. In seinem vierten Bericht, dessen Zusammenfassung am 2.2.2007 veröffentlicht wurde, stellt das IPCC folgende Änderungen im Klimasystem fest (wenn nicht anders gekennzeichnet, gelten die Änderun- Abb. 3: Eisbär spurtet im Galopp über die noch geschlossene Meereisdecke in der Arktis. gen für den Zeitraum 1906-2005):

Lebensbedingungen der Eisbären (Abb. 3). Diese finmarchicus. Diese Arten allein fressen bis zu 80% Ursachen der Klimaänderungen

Räuber lauern an Eislöchern Robben auf, die Luft der Primärproduktion des Phytoplanktons (Hirche - Der Kohlendioxid-Gehalt (CO2) der Luft hat seit 1750 um 35% von 280 ppm auf 379 ppm (= Teile pro holen, und je weiter das Meereisfeld sich aus- und Mumm, 1992). Ihre Entwicklung wird erheb- 1 Mio. Teile, parts per million) im Jahr 2005 zugenommen. Die Zuwachsrate der letzten 10 Jahre ist dehnt, desto leichter wird der Beutefang. Müssen lich von der Eisdynamik beeinflusst (Falk-Peter- die größte seit 50 Jahren. Der heutige Wert ist der höchste in den letzten 650.000 Jahren. 78% der die Bären hingegen zwischen kleineren Schollen sen et al., 2006). Bestandfluktuationen setzen sich Erhöhung gehen auf die Nutzung fossiler Brennstoffe zurück und 22% auf Landnutzungsänderungen durchs das Eiswasser schwimmen, verlieren sie kaskadenförmig im Nahrungsnetz fort, da diese (z.B. Rodungen). nicht nur den Vorteil eines gezielten Beutefangs, Planktonkrebse z. B. im Weißen Meer die wichtigste - Andere wichtige Treibhausgase wie z.B. Methan und Lachgas, deren Konzentrationen seit 1750 um sondern müssen auch noch zusätzliche Energie Nahrungsgrundlage der endemischen Heringsart 148% bzw. 18 % zugenommen haben, machen zusammen etwa halb soviel aus wie der CO2-Anstieg. zum Schwimmen und als Kompensation gegen Clupea pallasi marisalbi sind (Prygunkova, 1985). - Die für Klimaänderungen verantwortlichen Änderungen der Strahlungsbilanz werden vorwiegend durch die Abkühlung im Wasser aufwenden. Dies geht Die Heringe wiederum sind Nahrung für Sattel- Kohlendioxid verursacht, in kleinerem Umfang durch andere Treibhausgase. Änderungen der solaren alles zu Lasten der Speckreserven, besonders robben (Phoca groen landica) und Wale (z.B. Beluga, Einstrahlung haben dagegen nur einen geringen Einfluss. bei den Muttertieren, die dann ihre Jungen nicht Delphinapterus leucas). Verschlechtern sich also die mehr ausreichend säugen können. Lebensbedingungen des Planktons, wirkt sich dies Beobachtungen negativ über die Nahrungskaskade bis hin zu den - Die Erwärmung des Klimasystems ist ohne jeden Zweifel vorhanden. Die mittlere globale Oberflächen- Nicht nur die großen Tiere reagieren auf die Er- großen arktischen Säugetieren aus. temperatur stieg um +0,74°C, und 11 der letzten 12 Jahre waren die wärmsten seit Beginn der syste- wärmung und die Verringerung der Meereisdecke matischen Aufzeichnungen. Die Temperaturzunahme der letzten 50 Jahre ist doppelt so hoch wie die in der Arktis, genauso drastisch sind Verände- Auch in 2 500 Meter Wassertiefe, wo sich die Ver- der letzten 100 Jahre. Die Erwärmung der Arktis war doppelt so stark wie die Erwärmung im globalen rungen der Lebensgemeinschaften im Plankton. hältnisse normalerweise über Jahrzehnte nicht Mittel. Plankton umfasst die meist mikroskopisch klei- ändern, haben sich die Wassertemperaturen erhöht, - Die Häufigkeit heftiger Niederschläge hat zugenommen. nen Organismen des Ozeans, die fast ausschließ- so z. B. in der Framstraße im Zeitraum von 2001 bis - Rekonstruierte Daten aus Beobachtungen und anderen Quellen, wie z.B. Baumringdaten, deuten darauf lich durch Meeresströmungen verbreitet werden 2004 um 0,025 °C (Soltwedel et al., 2005). Noch ist hin, dass die Temperaturen der letzten 50 Jahre sehr wahrscheinlich höher waren als jemals zuvor in den und die Grundlage des Lebens im Ozean bilden. es zu früh, die Konsequenzen dieser Entwicklun- vergangenen 500 Jahren und wahrscheinlich höher als in den vergangenen 1300 Jahren. Das Phytoplankton (Algen) nutzt Sonnenlicht und gen für die Organismen der Tiefsee abzuschätzen. - Die schneebedeckte Fläche hat seit 1980 um etwa 5% abgenommen. Nährsalze in der lichtdurchfluteten Oberflächen- Wir registrieren jedoch jetzt bereits ein Vordringen - Weltweit schrumpfen die Gletscher und tragen gegenwärtig mit 0.8 mm pro Jahr zum Meeresspiegel- schicht, um neue Biomasse aufzubauen, die dann atlantischer Arten in das Nordpolarmeer. anstieg bei; etwa 1 cm in 13 Jahren. dem Zooplankton (vorwiegend kleine Krebse) als Vor diesem Hintergrund langfristiger Änderungen - Das Meereis verzeichnet in der Arktis seit 1978 einen Rückgang im Jahresmittel um 8% und im Sommer Nahrung dient. Das Zooplankton liefert Nahrung verwirren die Auswirkungen der so genannten um 22%. In der Antarktis ist bisher kein Rückgang feststellbar. (Energie, Substanzen) u.a. für Fische und Wale. dekadischen Oszillationen des Klimas das Bild, - Die Eisschilde auf Grönland und der Antarktis verlieren gegenwärtig Masse durch Schmelzen und Glet- Im Zooplankton der Arktis dominieren die beiden z.B. der Arktischen Oszillation. Diese Klimaschwan- scherabbrüche und tragen 0.4 mm pro Jahr zum Meeresspiegelanstieg bei, etwa 0,5 cm in 13 Jahren. Kleinkrebsarten Calanus glacialis und Calanus kungen führen dazu, dass sich längere Perioden

106 107 Fortsetzung von Kasten 1

- Die Temperaturen in den oberen Schichten des Permafrostbodens sind seit 1980 um 3°C gestiegen, und die Ausdehnung des saisonal gefrorenen Bodens hat seit 1900 um 7% abgenommen, im Früh- ling sogar um 15%. - Die Ozeane sind im globalen Mittel wärmer geworden, bis in Tiefen von 3 000 Metern. Diese Erwär- mung trägt durch die Wärmeausdehnung des Wassers zum Anstieg des Meeresspiegels bei. - Der Meeresspiegel ist seit 1993 durchschnittlich um etwa 3 mm pro Jahr gestiegen, im 20. Jahrhun- dert um 17 cm. Davon ist etwas mehr als die Hälfte verursacht durch thermische Ausdehnung des wärmeren Ozeans, etwa 25% durch Abschmelzen der Gebirgsgletscher, und etwa 15% durch das Abschmelzen der Eisschilde. - Änderungen des Antriebs der globalen Meeresströmungen durch Tiefenwasserbildung im Nord- atlantik (oft vereinfacht, aber unzutreffend als „Golfstrom“ bezeichnet) können aus den vorliegenden Daten nicht abgeleitet werden. - Beobachtete Änderungen des Salzgehalts im Ozean sind ein Indikator für Änderungen von Nieder- schlag und Verdunstung, und für verstärkten Transport von Wasserdampf in der Atmosphäre von niederen zu höheren Breiten.

Schlussfolgerungen Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Erwärmung der letzten 50 Jahre wesentlich durch anthropogene Treibhausgase (hauptsächlich Kohlendioxid) verursacht worden ist.

Modellvorhersagen - Klimaprojektionen für die nächsten 100 Jahre lassen sich überzeugend durch Klimamodelle simulieren, die mit Daten aus verschiedenen Szenarien der Energienutzung angetrieben werden. Solche Modelle sagen – je nach Energienutzung – eine weitere Temperaturerhöhung und einen Meeresspiegelanstieg Abb. 5: Gletscherabbrüche an der Antarktischen Halbinsel. bis zum Ende des 21. Jahrhunderts voraus. - Für die letzte Dekade des 21. Jahrhunderts ist der wahrscheinlichste Wert der globalen Erwärmung Antarktis Viele Gletscher kalben hier direkt in den Ozean (Abb. für das niedrigste Szenario 1.8°C (1.1–2.9°C), und für das höchste Szenario 4.0°C (2.4–6.4°C). Die 5). Seit über 30 Jahren nimmt die Bedeckung des größte Erwärmung findet dabei in hohen nördlichen Breiten statt. In der Antarktis wird eine so deutliche Klima- Ozeans mit Meereis an der Halbinsel ab (Atkinson - Für die nächsten 2-3 Jahrzehnte hängt die projizierte Erwärmung nur wenig von den Annahmen über erwärmung wie in der Arktis bisher nicht beo- et al., 2005). Der Rückgang der Meereisausdeh- zukünftige Emissionen ab, und selbst bei einem sofortigen Ende aller Emissionen würde durch die bachtet. Einzige Ausnahme ist die Antarktische nung, der hier ebenfalls mit der Erwärmung gekop- Trägheit des Klimasystems ein weiterer Temperaturanstieg um bis zu ca. 0.6°C erfolgen. Halbinsel, die sich wie ein Finger von 72° S bis pelt ist, ist nicht kontinuierlich. So gibt es immer - Für den Anstieg des Meeresspiegels sind die Modellvorhersagen für 2090 – 2100: 18 – 38 cm für das 62° S nach Norden in Richtung des südameri- wieder Jahre mit sehr hohem Eisaufkommen (1981, niedrigste und 26–59 cm für das höchste Szenario. Die Prognosen haben eine geringere Unsicher- kanischen Kontinents ausstreckt (siehe Karte 1988, 1996/97, 2001) aber auch Jahre mit wenig Eis heitsbreite gegenüber früheren Berichten, vor allem durch höhere Genauigkeit bei der Abschätzung Umschlagseite hinten). (1978, 1994, 1999, 2003). Die Populationsentwick- der thermischen Ausdehnung. Sie unterscheiden sich aber nicht wesentlich von den früheren Wer- ten. Auch nach vollständigem Ende der Emissionen wird der Meeresspiegel über viele Jahrhunderte ansteigen, bedingt durch die immer tiefer dringende Erwärmung des tiefen Ozeans. Allerdings gibt es noch eine erhebliche Unsicherheit hinsichtlich der weiteren Entwicklung des grönländischen und des antarktischen Eisschilds, hier kann ein höherer Beitrag zum zukünftigen Anstieg nicht ausgeschlossen werden. Modellergebnisse lassen den Schluss zu, dass eine dauerhafte Erwärmung deutlich über 3°C über Jahrtausende zu einem vollständigen Abschmelzen des grönländischen Inlandeises führen würde, entsprechend einem Meeresspiegelanstieg um 7m. - Es ist heute sehr wahrscheinlich, dass der Antrieb der globalen Meeresströmungen durch Tiefen- wasserbildung im Nordatlantik im 21. Jahrhundert um durchschnittlich 25% abnehmen wird. Die Temperaturen in der Atlantischen Region werden dennoch zunehmen, da der Einfluss der globa- len Erwärmung überwiegt. Es ist allerdings sehr unwahrscheinlich, dass es zu einem abrupten Zusammenbruch im 21. Jahrhundert kommt. - Der Niederschlag wird in höheren Breiten sehr wahrscheinlich zunehmen, während es in den Tropen und Subtropen (einschließlich der Mittelmeerregion) wahrscheinlich zu einer Verminderung des Niederschlags kommen wird.

Abb. 6: Erfolgreicher Krillfang an Bord der „Polarstern“ zur Be- Abb. 7: Antarktischer Krill (Euphausia superba) weidet Eisalgen http://www.awi.de/de/aktuelles_und_presse/selected_topics/klimawandel/ipcc_bericht_2007/summary/ stimmung der Alterszusammensetzung und des Entwicklungs- an der Unterseite vom Meereis ab. Das Foto stammt aus einem Sprachliche Änderungen des Originaltextes sind kursiv hervorgehoben. standes der Tiere. Aquarium an Bord des Forschungseisbrechers „Polarstern“.

108 109 Für schlüssige Aussagen fehlen allerdings noch hinreichend lange Untersuchungen und Daten- reihen in den anderen antarktischen Gebieten jen- seits der Halbinsel.

Parallel zur ansteigenden Temperatur verrin- gert sich durch die Zunahme des Kohlendioxids

(CO2) in der Atmosphäre der Säuregrad (pH-Wert) des Meerwassers; es wird saurer (siehe Kasten 1). Nicht nur die Korallenriffe der Tropen und Subtropen sind durch den kalklösenden Effekt niedriger pH-Werte bedroht, sondern auch die Planktonorganismen der Polarregionen, die ein Außenskelett aus Kalk bilden. Bei den Phyto- planktonalgen sind dies die Kalkplättchenträger (Coccolithophoriden, Abb. 10) und im Zooplank- ton u. a. die Flügelschnecken (Pteropoden, Abb. 11). Erstere haben in der Erdgeschichte durch ihre mikroskopisch kleinen, aber zahlreichen Abb. 10: Coccolithus pelagigus – Foto mit dem Rasterelektro- Kalkplättchen zur Ablagerung mächtiger Sedi- nenmikroskop. mentschichten in der Tiefsee beigetragen. Heben sich die Meeresböden durch tektonische Bewe- lebt (Atkinson et al., 2004). Allerdings sind diese gungen der Erdkruste, bilden sich Formationen, Bestandsangaben nur bedingt verlässlich, denn wie z. B. die Kreideklippen von Dover, Møn oder akustische Messmethoden ergeben Schätzun- Rügen. Die im offenen Ozean schwimmenden gen von bis zu 155 Millionen Tonnen Krill. Hoch- Flügelschnecken nutzen ihre Kalkschale wie die Abb. 8: Säugende Krabbenfresserrobbe auf antarktischem Meereis. Der Kot der Tiere auf dem Eis wird durch die Krillnahrung rötlich gefärbt. rechnungen aus dem Nahrungsbedarf von Walen, Landschnecken als Schutzhülle, aber auch als Robben und Pinguinen ergeben einen Krillbestand Tarier-Gewicht. Sobald ein Räuber sich nähert, lung des antarktischen Krills ist mit dieser Meereis- von mindestens 150 bis 300 Millionen Tonnen hören die Tiere mit den Schwimmbewegungen dynamik verbunden. (Smetacek und Nicol, 2005). Trotz dieser großen ihrer beiden Fußlappen auf, worauf das Schalen- Antarktischer Krill (Euphausia superba, Abb. 6) Unsicherheiten in der Abschätzung des Krillbe- gewicht sie schnell weg vom Fressfeind absin- gehört zu den Leuchtgarnelen (Schwimmkrebsen), standes ist der Rückgang der Krillmenge an der ken lässt. Löst sich die Kalkschale bei niedrigem die nach drei bis vier Jahren geschlechtsreif wer- Antarktischen Halbinsel unbestritten. Die zahlrei- pH-Wert auf, verlieren die Tiere ihren doppelten den (Siegel, 1995). Die Tiere erreichen ein Alter chen Inseln und Buchten in einer weiten Region Schutz. Dieser negative Effekt einer erhöhten von sieben Jahren und durchlaufen während ihrer um die Halbinsel sind Brut- und Aufzuchtgebiete Treibhausgaskonzentration von CO2 auf kalkiges Entwicklung zehn Stadien von wenigen Millime- vieler antarktischer Wirbeltiere. Weniger Nahrung Plankton wird auch für die Gewässer der Antark- tern bis zu sieben Zentimeter Körperlänge. Wäh- für ihre Jungen bedeutet eine Abnahme der Popu- tis berichtet (Orr et al., 2005). rend fast aller Lebensphasen nutzt Krill intensiv lationsgrößen aller Arten (Abb. 8). den Lebensraum Meereis als Versteck und Wei- In allen anderen Regionen der Antarktis ist die Ent- degrund. Eisalgen und Plankton in Kavernen des wicklung der Meereisbedeckung nicht eindeutig. Meereises liefern auch im Winter gute Nahrung Seit 1973 lässt sich per Satellit die Ausdehnung des (Abb. 7). Die Spalten im Eis und zwischen zusam- Meereises der Antarktis im Winter genau verfolgen, men geschobenen Eisschollen bieten zahlreiche mit beachtlichen Schwankungen hinsichtlich der Versteckmöglichkeiten vor Fischen, Pinguinen, Ausdehnung und Dicke des Eises (Parkinson, 2004). anderen Vögeln, Robben (Abb. 8) und Walen, die Mehrere meteorologische Forschungsstationen alle Krill als bevorzugtes Objekt auf ihrem Speise- in der Antarktis zeichnen sogar eine geringfügige plan haben. Damit fällt dem Meereis als Lebens- Abkühlung über die letzten Dekaden auf, wie sie raum der Krillbestände eine Schlüsselfunktion für auch an der deutschen Antarktisstation Neumay- die antarktischen Nahrungsnetze zu. er (siehe Karte Umschlagseite hinten) zu sehen ist Der Rückgang von antarktischem Krill parallel (http://web.awi.de/MET/Neumayer/obse.html). zum schwindenden Meereis an der Antarktischen Es gibt aber auch Anzeichen, dass eine Erwärmung Halbinsel betrug zwischen 1976 und 2004 38 % mit einhergehender Verringerung der Meereisaus- oder 81%, je nachdem ob nur wissenschaftliche dehnung (ca. 20 % Rückgang) zukünftig generell in oder alle Netzfänge (Abb. 9) berücksichtigt werden der Antarktis stattfinden wird. Dies hätte dann für (Atkinson et al., 2004). Dies ist deshalb beson- die Nahrungsbeziehungen im Plankton bis hin zu ders dramatisch, weil an der Halbinsel der Großteil Abb. 9: Krillnetz an Bord des deutschen Forschungseisbrechers den höchsten trophischen Ebenen der Wirbeltiere (58 bis 71%) des bekannten, circa 100 Millionen „Polarstern“ vor dem Fang im winterlichen, meereisbedeckten dramatische Konsequenzen (Smetacek und Nicol, Tonnen mächtigen antarktischen Krillbestandes Weddellmeer. 2005). Abb. 11: Flügelschnecke (Pteropode) Limacina spp.

110 111 Ausblick Carmack, E., D. Barber, J. Christensen, R. Macdo- ka, J. Matthiessen, V. Mokievsky, E.-M. Nöthig, nald, B. Rudels & E. Sakshaug (2006): Climate N. Quéric, B. Sablotny, E. Sauter, I. Schewe, Obwohl sich in der Erdgeschichte das Klima an- variability and physical forcing of the food webs B. Urban-Malinga, J. Wegner, M. Wlodarska- dauernd und teilweise dramatisch geändert hat, and the carbon budget on panarctic shelves. Kowalczuk & M. Klages (2005): HAUSGARTEN: kam es jedoch in den letzten 800 000 Jahren zu Progress in Oceanography 71 (1): 145-181. Multidisciplinary investigations at a deep-sea, keinem vergleichbaren Anstieg des Treibhausgases Chiba, S., K. Tadokoro, et al. (2006): Effects of long-term observatory in the Arctic Ocean, Oce-

Kohlendioxid (CO2) in der Atmosphäre. Das Klima- decadal climate change on zooplankton over anography 18: 46-61. system der Erde reagiert relativ zum menschlichen the last 50 years in the western subarctic North Smetacek, V. &. S. Nicol (2005). Polar ocean eco- Zeitempfinden unter natürlichen Bedingungen sehr Pacific. Global Change Biology 12: 907-920. systems in a changing world. Nature 437: 362- träge mit mehreren tausend Jahren Reaktionszeit. Falk-Petersen, S., S. Timoveef, V. Pavlov & J. R. Sar- 368.

Der außergewöhnlich starke Anstieg des CO2 seit gent (2006): Climate variability and possible ef- Steppuhn, A., A. Micheels, A. A. Bruch, D. Uhl, Beginn der Industrialisierung wirkt sich jedoch fect on Arctic food chain: The role of Calanus. In: T. Utescher & V. Mosbrugger (2007): The sen- während der letzten Dekaden in stark zunehmen- Øbæk, J. B., I. Tombre, R. Kallenborn, E. Hegseth, sitivity of ECHAM4/ML to a double CO2 sce- dem Maße aus. S. Falk-Petersen & H. Hoel (Eds.) Environmental nario for the Late Miocene and the compa- Die Polarregionen reagieren sehr empfindlich, Challenges in Arctic-Alpine regions. Arctic-Alpine rison to terrestrial proxy data. Global and schnell und eindeutig. Physikalische Veränderun- Ecosystems and People in a Changing Environ- Planetary Change, Article in Press, doi:10.1016/ gen (z.B. in der Meereisausdehnung) sind überall ment. Springer Verlag: pp 250. j.gloplacha.2006.09.003. in der Arktis offenkundig; deutlich auch an der Ant- Haas, C. (2006): Auf dünnem Eis? – Eisdickenände- Werner, F. E., A. Aretxabaleta & K. P. Edwards (2004): arktischen Halbinsel. Die Organismen sind unmit- rungen im Nordpolarmeer, Warnsignale aus den Modelling marine ecosystems and their environ- telbar betroffen. Wollen wir als Menschheit unsere Polarregionen: wissenschaftliche Fakten / Hrsg.: mental forcing. In: Stenseth, N. C., Ottersen G., Lebensräume erhalten, müssen wir verstehen, wel- José L. Lozán, H. Graßl, P. Hupfer, H.-W. Hubber- Hurrell, J. W. & A. Belgrano (eds.) Marine Eco- che (Klima-) Änderungen unausweichlich sind und ten, D. Piepenburg und L. Karpe. Wiss. Auswer- systems and Climate Variations. Oxford Univ. wo und wie wir die Effekte mildern können. Hierfür tungen, Hamburg: 95-99. Press: 33-46. ist ein Forschungsansatz notwendig, der alle Dis- Hirche, H.-J. & N. Mumm (1992): Distribution of ziplinen umgreift. Vom Verständnis physikalischer dominant copepods in the Nansen Basin, Zusammenhänge über die Aufdeckung von Mecha- Arctic Ocean, in summer. Deep Sea Res. 39: nismen der biogeochemischen Kreisläufe bis zum 485-505. http://web.awi.de/MET/Neumayer/ Begreifen der Biologie und Ökologie der beteiligten obse.html (Feb. 2007): Synoptic Observations Organismen. at Neumayer. Html-Website des Alfred-Wege- ner-Insituts für Polar- und Meeresforschung Bremerhaven. Zusammenfassung IPCC Report (2. 2. 2007): http://www.awi.de/de/ak- tuelles_und_presse/selected_topics/klimawandel/ In der Arktis verschlechtert der durch den Klima- ipcc_bericht_2007/summary/ wandel verursachte Rückgang der Bedeckung Orr, J. C., V. J. Fabry, O. Aumont, L. Bopp, S. C. und Dicke des Meereises die Lebensbedingun- Doney, R. A. Feely, A. Gnanadesikan, N. Gruber, gen vieler Organismen im Nahrungsgeflecht, vom A. Ishida, F. Joos, R. M. Key, K. Lindsay, E. Maier- Plankton bis zu den Eisbären. In der Antarktis sind Reimer, R. Matear, P. Monfray, A. Mouchet, R. G. solche Effekte an der Antarktischen Halbinsel in Najjar, G. K. Plattner, K. B. Rodgers, C. L. Sabi- den letzten Jahrzehnten ebenfalls deutlich, was ne, J. L. Sarmiento, R. Schlitzer, R. D. Slater, I. am Rückgang des Meereises und den negativen J. Totterdell, M. F. Weirig, Y. Yamanaka, & A. Yool Auswirkungen auf dem Krill gezeigt wird. In (2005): Anthropogenic ocean acidification over anderen Gebieten der Antarktis sind solche Ver- the twenty-first century and its impact on cal- änderungen aufgrund der gewaltigen Eismassen cifying organisms. Nature 437: 681-686. des Antarktischen Kontinents bisher (noch) nicht Parkinson, C. L. (2004): sea ice and nachweisbar. wider linkages: insight revealed from models and observations. Antarctic Science 16: 387-400. Prygunkova, R. V. (1985): About interannual impact Literatur of Copepoda dynamics to herring fishery in Kan- dalaksha Bay. In: Problems of investigations and ACIA (2004): In: S. J. Hassol (Eds.): Impacts of a sustainable use of the White Sea, Arkhangelsk: warming Arctic: Arctic climate impact and as- 165-167 (in Russian). sessment. Cambridge University Press, Cam- Siegel, V. (1995): Krill – Schlüsselfigur im antarkti- bridge: pp 144. schen Ökosystem. In: Hempel, G. & I. Hempel Atkinson, A., V. Siegel, E. A. Pakhomov & P. Rothery (Hrgs): Biologie der Polarmeere. Gustav Fischer, (2004) Long-term decline in krill stock and incre- Jena: pp. 188-196. ase in salps within the Southern Ocean Nature Soltwedel, T., E. Bauerfeind, M. Bergmann, N. Bu- 432: 100-103. daeva, E. Hoste, N. Jaeckisch, K. v. Juterzen-

112 113 Für die Fauna ergeben sich aus diesen physikali- gleichen Gesetzmäßigkeiten folgt. Hinzu kommen Leben in Kälte und Dunkel – schen Besonderheiten zwei Alternativen. Aufgrund Unterschiede in der Biologie und Reproduktion der der isothermalen Wasserkörper kann ein Austausch Arten, die wir unabhängig von ihrer Größenklasse Wirbellose Tiere der südpolaren Tiefsee der Organismen zwischen dem Schelf und der um- untersucht haben. So betreiben einige Arten Brut- gebenden Tiefsee (Sub- und Emergenz) im Südpo- pflege. Andere Arten hingegen, die sich über freie Angelika Brandt larmeer leichter erfolgen als anderswo auf der Welt. Larven (Entwicklungsstadien, welche sich in ihrer Dies lässt zunächst vermuten, dass die Tiefsee- Körpergestalt von den erwachsenen Tieren völlig gemeinschaften einige der besonderen Merkmale unterscheiden) entwickeln, produzieren in der Regel Die marinen Tiergemeinschaften der südpolaren Der Antarktisvertrag wurde am 1. Dezember 1959 in mit der Schelffauna teilen müssten. Alternativ könn- eine hohe Anzahl an Nachkommen, von denen Flachwasserregionen sind, im Vergleich zu den Washington, D.C. unterzeichnet. Ziel des Abkommens te aufgrund der Ausbreitung des südpolaren Tie- letztlich nur ein geringer Teil überlebt und sich wei- Tiefseegebieten, gut untersucht. Die Organis- ist es, die Antarktis für friedliche Zwecke zu nutzen, fenwassers nach Norden und aufgrund fehlender ter fortpflanzt. Die freien Larven treiben oft weit mit men dieser Region wurden oft durch einige außer- die internationale Kooperation zu fördern und die wis- Barrieren eine Ausbreitung in andere Tiefseebecken der Wasserströmung fort, so dass diese Arten eine gewöhnliche Merkmale charakterisiert, z.B. kom- senschaftliche Erforschung zu unterstützen. 1961 in erfolgen. Bisher konnten diese Fragen nicht beant- viel weitere zoogeographische Verbreitung aufwei- men viele Organismen nur im Untersuchungsgebiet Kraft getreten, endete er zunächst 1991, wurde jedoch wortet werden, da wenig über die Tiefseegemein- sen als Arten, die Brutpflege betreiben und oft in vor (erhöhter Endemismusgrad in vielen Tiergrup- bis zum Jahr 2041 verlängert. Die Antarktis wird im schaften bekannt war. ihrer geographischen Verbreitung und genetischem pen). Des Weiteren zeichnen sich viele Tiere durch Wesentlichen durch zwei Organisationen „verwal- Austausch deutlich begrenzt sind. Riesenwuchs, langsames Wachstum, hohes Alter, tet“. Das Scientific Committee of Antarctic Research Das ANDEEP-Projekt sollte helfen, diese Wissens- späte Reife oder geringere Nachkommenzahl aus. (SCAR) vereinigt weltweit die wissenschaftlichen lücke zu schließen. Im Rahmen dieses Projektes Schnelle Artenbildung (adaptive Radiation) auf- Institutionen mit einem Interesse an der Antarktis und wurden an 40 Stationen am Meeresboden zwi- Die Biodiversität verschiedener grund der langen Isolation hat zu hohen Artenzah- koordiniert die wissenschaftliche Forschung. Der „Rat schen 748 und 6 348 Meter Tiefe Organismen aller Organismengruppen len in einigen Gruppen der Flohkrebse (Amphipoda) der Leiter der nationalen Antarktisprogramme“ (COM- Größenklassen gesammelt und Umweltparameter und Meeresasseln (Isopoda) geführt. NAP) koordiniert Tätigkeiten der Behörden, die für die gemessen (Abb. 1). Damit beginnen wir, die kom- nationalen Antarktisprogramme zuständig sind. Falls plizierten Muster der Biodiversität des Südpolar- Die Zwerge (Meiofauna) Der antarktische Kontinentalschelf ist ein hervorra- 2041 nicht alle Antarktisvertragspartner einen neuen meeres zu verstehen. Allerdings handelt es sich nur gendes Evolutionslabor für Zoologen, da er von den Antarktisvertrag unterzeichnen, ist nicht sichergestellt, um einzelne Stichproben, denn wir haben bisher Einzeller - Kammerlinge (Foraminifera) Schelfen der benachbarten Kontinente, die ehemals dass die umfangreichen Rohstofflager in der Tiefsee von den rund 27,9 Millionen km2 Tiefseeboden des In den Weddellmeerproben des ANDEEP-Projektes zusammen mit der Antarktis den Superkontinent des Südpolarmeeres nicht ausgebeutet werden. Für Südpolarmeeres nur insgesamt 130 000 m2 Meeres- wurden 158 lebende Arten von einzelligen, in Kalk- Gondwana bildeten, durch die antarktische Zirkum- das Vorkommen vieler seltener, lokaler Arten hätte boden untersucht. schalen lebenden Organismen gefunden, welche polarströmung isoliert ist. Betrachtet man eine dies verheerende Folgen, die zum Aussterben dieser man als Kammerlinge (Foraminiferen) bezeichnet. geographische Karte der Antarktis (siehe hinterer Arten führen könnten. Biologische Kenntnisse, wel- Diese Tiere kommen aber auch in anderen Tiefsee- Umschlag dieses Bandes), so fällt die isolierte Lage che Organismen dort leben und in ihrem Dasein durch regionen vor und sind daher nicht als typische süd- des Kontinentes sofort ins Auge. Die Antarktis ist industrielle Nutzung gefährdet sind, können helfen, polare Organismen zu charakterisieren, dennoch von großen Meeresflächen umgeben, deren größter geeignete Maßnahmen für eine „nachhaltige“, für sind die gefundenen Arten sehr interessant. Teil Tiefseegebiete sind. Sie stehen mit den Tiefsee- das Erdsystem nicht bedrohliche Nutzung einzuset- Den höchsten Artenreichtum zeigen die Foramini- becken der angrenzenden Ozeane, dem Pazifischen, zen. Obwohl der Forschungseisbrecher „Polarstern“ feren am unteren Kontinentalhang zwischen 3 100 Atlantischen und Indischen Ozean in Verbindung, seit 1982/83 Expeditionen in die Antarktis durchführt, und 4 100 Metern Tiefe. Da es mit zunehmender eine offensichtliche Isolation gibt es anscheinend war die Tiefsee des Südpolarmeeres biologisch bis- Kälte und zunehmendem Druck für Organismen nicht. Hinzu kommt, dass aufgrund der enormen her weitestgehend unbekannt. Um grundlegende immer schwieriger wird, Skelette aus Kalk aufzu- Tiefenwasserbildung (siehe Beitrag von Bathmann) Kenntnisse über das Leben in den Tiefen des Süd- bauen, zeichnen sich in dieser Tiefe etwa die Hälfte die Wasserkörper annähernd gleichmäßig temperiert polarmeeres zu schaffen, wurde das ANDEEP-Projekt der Arten durch weiche Schalen aus, der Anteil der sind. So gibt es keine Temperaturbarriere, die den ins Leben gerufen. Das Projektziel ist, die historischen Arten mit weichen Schalen nimmt mit der Tiefe zu. Tieren die Ausbreitung vom Kontinentalschelf in die und ökologischen Gründe für die in der antarktischen Tiefsee oder umgekehrt verwehrt. Tiefsee vorherrschenden Besiedlungsmuster von Im Gegensatz zu den meisten anderen Tiergruppen Organismen zu erkennen und zu verstehen. Abb. 1: Weiße Kreise ANDEEP I & II Expedition in 2002, schwarze sind viele Foraminiferenarten des Weddellmeeres Heute ist der Begriff „Biodiversität“, der Artenreich- Kreise ANDEEP III Expedition in 2005. auch aus der Tiefsee des Nordatlantiks bekannt. tum oder die Artenvielfalt, in den Focus vieler Dis- Die tieferen Meeresregionen des Südpolarmeeres Ungefähr ein Drittel der Lebensgemeinschaften kussionen gelangt, die im Zusammenhang mit der zeichnen sich durch einige Besonderheiten aus. Um ein möglichst umfassendes Bild der Fauna des wurde in Aggregaten aus abgestorbenen Pflan- Klimaerwärmung stehen. In einer Zeit sich wandeln- Der kontinentale Schelf liegt meist etwa 500 Meter Tiefseebodens zu erhalten, haben wir im ANDEEP- zenteilen (Phytodetritus) gefunden. Diese haben der Umweltbedingungen, in denen selbst Politiker tief, teilweise werden bis zu 800 bis 1000 Meter Projekt sehr kleine Organismen bis zur Größe eines an vielen Stationen mehr als 75 % der Meeres- von globalen Veränderungen (Global Change) spre- erreicht (in den meisten anderen Gebieten der Erde Viertel Millimeters (Meiofauna) und Organismen grö- bodenoberflächen charakterisiert. Besonders diese chen, ist es von besonderer Bedeutung, den Arten- liegt er durchschnittlich ‚nur‘ 200 Meter tief) und ßer als ein Viertel Millimeter untersucht. Diese Tiere Phytodetritusgemeinschaften sind durch Arten bestand einer Region gut zu kennen. Nur wenn die die Wassersäule ist weitgehend einheitlich tempe- werden als Makrofauna zusammengefasst, sie sind gekennzeichnet, welche auch im Nordatlantik in einem Lebensraum vorkommenden Arten detail- riert (isothermal). Das im Weddellmeer entstehende, mit dem bloßen Auge gerade noch oder mit einer vorkommen was auf eine ökologische Ähnlichkeit liert bekannt sind, ist es möglich, Veränderungen absinkende und sich nach Norden ausbreitende Stereolupe gut zu erkennen. Große Organismen, dieser beiden weit entfernten Regionen hinweist in der Zusammensetzung der Arten dieser Region kalte Tiefenwasser trägt zum Antrieb des globa- die mit bloßem Auge bzw. in der Tiefsee auf Unter- (Daten Pawlowski, Gooday, pers. Komm.). zu messen und ggf. Naturschutzmassnahmen zu len Strömungssystems im Weltozean bei (siehe wasserfotos zu sehen sind, werden als Megafauna ergreifen. Beiträge von Hempel und Bathmann). bezeichnet. Es stellt sich die Frage, ob die Verbrei- Eine besondere Gruppe dieser Foraminiferen, die tung der Arten in den verschiedenen Größenklassen im Flachwasser der Antarktis bisher überhaupt

114 115 nicht nachgewiesen wurde, sind die Komokiacea, nur im Südpolarmeer vorkommen. Dennoch gibt kommen, und im obersten Zentimeter Sediment bis z.B. 30 Arten in 3 000 Meter Tiefe auf 216 Arten. Tiere, die stark verzweigt sind und fast wie abgestor- es regionale Unterschiede im Vorkommen und in zu drei Arten existieren (Fonseca et al., 2006). Der bisher bekannte Umfang des weltweiten Ar- bene und zerfaserte Pflanzenteile aussehen. Mehr der Tiefenverteilung der Nematodenarten. Auch teninventars der Isopoda wurde durch diese erste als 70 % der in der südpolaren Tiefsee nachge- die Ernährungsbiologie dieser Organismen ist sehr Erforschung der südpolaren Tiefsee um 15,3 % wiesenen Komokiacea sind neue Arten, die bisher unterschiedlich. So gibt es Gattungen, die sich von Makroskopische Organismen (≥ 250 µm) erweitert (Brandt et al., 2007; Kensley, 1998). niemand gesehen hatte und die nun beschrieben kleinen Kieselalgen aus der Wassersäule ernähren (Makrofauna) werden müssen, um sie der Wissenschaft bekannt (Diatomeen). Im Südpolarmeer sind auf vielen Tief- zu machen. Diese Tiergruppe ist am häufigsten und seestationen große Mengen der Algen als grüne Makrofauna – Meeresasseln (Isopoda) Makrofauna – Meeresborstenwürmer artenreichsten an den tiefsten Stationen des Wed- Oberflächenschicht auf Unterwasserfotos vom Die Meeresasseln stellen nach den Flohkrebsen (Polychaeta) dellmeeres in mehr als 4 800 Meter Tiefe gefunden Meeresboden zu sehen (Abb. 2 und 3). mit 35 % die zweithäufigste Tiergruppe der Brut- Vor den ANDEEP-Expeditionen existierte sehr worden. Auch in dieser Organismengruppe zeigte pflege betreibenden Ranzenkrebse (Peracarida) wenig Information über die Diversität der Meeres- sich eine starke Übereinstimmung der Fauna im dar. Der Begriff „Ranzen“ bezieht sich auf ihren borstenwürmer im Südpolarmeer. Die Artenzah- Weddellmeer und der Fauna des Nordatlantiks. Brutbeutel, den sie allerdings an ihrer Bauchseite len dieser Tiergruppe sind im Vergleich zu den und nicht auf dem Rücken tragen (Abb. 4). Die Meeresasseln mit über 200 Arten (davon 78 neue Asseln wurden mit mehr als 13 000 Individuen Arten) deutlich geringer. Die Artenvielfalt der Poly- Vielzeller – Fadenwürmer (Nematoda) und 674 Arten auf 40 Stationen in der Tiefsee des chaeten nimmt mit zunehmender Tiefe ab, und Auf der Gattungs- und Familienebene sind diese Südpolarmeeres nachgewiesen, einer vergleichs- erreicht am Kontinentalhang bereits nur noch etwa vielzelligen Meiofaunaorganismen vergleichbar mit weise hohen Zahl im Vergleich zu den 371 Arten, die Hälfte des Artenreichtums auf dem Schelf. den Gemeinschaften anderer Meere. Nematoda die bisher von vielen Forschergenerationen auf Interessanterweise waren opportunistische, weit sind kleine weißliche, dünne, eben fadenförmige dem kontinentalen Schelf gefunden wurden. Die verbreitete und häufige Polychaetenarten an den Tiere. Sie dominieren mit oft mehr als 90 % der meisten Arten sind – vermutlich aufgrund ihrer Kontinentalhängen temperierter Regionen in der Organismen, die in der obersten Schicht des Meeres- Brutpflege – nicht sehr weit verbreitet. Die häu- südpolaren Tiefsee selten. Dafür waren Arten bodens leben. Andere vielzellige Tiergruppen der figste Art, Betamorpha fusiformis, kommt an 29 von Gattungen häufiger, die sonst in der Tiefsee Meiofauna fanden sich selten. Interessanterweise von 40 Stationen vor. Allerdings haben inzwischen selten auftreten. Viele Borstenwurmarten kamen sind die Meiofaunadichten und die Nematoden- molekulargenetische Untersuchungen gezeigt, auch außerhalb der Antarktischen Konvergenz häufigkeiten im Südpolarmeer, im Vergleich zu allen dass es sich bei dieser Art um einen Komplex aus bei circa 50° südlicher Breite vor oder gehören bisher untersuchten Tiefseeregionen, am höchsten, vielen sehr ähnlichen Arten handelt (sogenann- Gattungen an, die bisher nur auf der Nordhalbku- sowohl auf dem Schelf als auch am Kontinental- te kryptische Arten). Ein anderer Komplex, der gel bekannt waren. Andererseits kamen die in der hang und in der Tiefsee. Eine weitere Besonderheit Eurycope complanata-Artenkomplex, wurde an Tiefsee der Weltmeere häufigen Arten in der süd- fällt im Gegensatz zu anderen Organismengruppen 22 verschiedenen Stationen nachgewiesen, der polaren Tiefsee eher selten vor. Daher können wir auf, nämlich, dass keine Gattungen auftreten, die von Ilyarachna antarctica an 18 Stationen. schließen, dass sich die Zusammensetzung der 86 % der Meeresasseln aus den ANDEEP-Proben Meeresborstenwürmer in der südpolaren Tiefsee Abb. 3: Sedimentprofilaufnahmen der antarktischen Tiefsee sind entweder nur aus dem Südpolarmeer be- von der Tiefseefauna der umgebenden Ozean- geben Aufschluss über die Sedimentzusammensetzung, Korn- kannt oder neu oder unbeschrieben. Die ver- gebiete unterscheidet (Hilbig, 2004). größen und den Sauerstoffverbrauch durch im Boden lebende bleibenden 14 % waren bisher hauptsächlich Die Meeresborstenwürmer zeigen in ihrer Arten- Organismen. Projekt ANDEEP I: a) Station 99 (5 191 m); Projekt im Süd- und Nordatlantik nachgewiesen. Das zusammensetzung erst bei 2 500 bis 3 000 Meter ANDEEP II: c) Stn. 133 (1 121 m); Projekt ANDEEP III: b) Stn. 121 ANDEEP-Material lieferte außerdem zwei neue Meerestiefe einen Wechsel zu einer Kontinental- (2 659 m); d) Stn. 150 (1 984 m). Familien und 43 neue Gattungen für die Zoogeo- Hanggemeinschaft, welche sich dann bis in das graphie des Südpolarmeeres. Unsere Kenntnisse Abyssal bis über 4 000 Meter Tiefe fortsetzt. Die Auf der Artebene zeigen die Nematoda ein anderes über die Tiefenverbreitung der Tiefseearten des weite zoogeographische Verbreitung vieler Poly- Bild. Weit mehr als 50 % der Arten sind neu für die Südpolarmeeres wurden erheblich erweitert, von chaetenarten kann möglicherweise durch ihre Wissenschaft, fast 40 % wurden nur an einer einzi- Langlebigkeit und Verbreitung über planktische gen Station nachgewiesen und fast 60 % sind bisher Larvenstadien erklärt werden. nur in einer Region gefunden worden (z. B. Wed- Diese zoogeographischen Muster stehen im dellmeer, Antarktische Halbinsel oder Südsandwich Gegensatz zu denen der Brutpflege betreiben- Graben). Dieser Befund weist auf einen sehr hohen den Meeresasseln. Genfluss wird durch die Brut- lokalen, aber auch regionalen Artenreichtum hin. pflege der Larven wesentlich eingeschränkt, und In anderen Organismengruppen der Meiofauna, ist durch sehr viele lokale, bisher nur in der Tief- wie bei den Muschelkrebsen (Ostracoda), liegt der see des Südpolarmeeres nachgewiesener, Arten Anteil der neuen Arten höher als 70 %. charakterisiert (siehe oben). Ein spezielles Gerät zur Beprobung der Meiofauna ist der so genannte Multi-Corer. Er entnimmt auf einer kleinen Fläche gleichzeitig acht oder zwölf Makrofauna – Weichtiere (Mollusca) Abb. 2: Ausgewählte Aufnahmen der Meeresbodenoberfläche Bodenproben mit parallelen Probenrohren, die Alle Molluskengruppen sind in der Tiefsee des in der antarktischen Tiefsee. Projekt ANDEEP II: a) Station 131 jeweils einen Durchmesser von circa zehn Zentime- Südpolarmeeres mit insgesamt etwa 260 Arten (3053 m); b) Stn. 137 (4 976 m); c) Stn. 142 (6 348 m); tern haben. Bereits in einer einzelnen Probe fanden vertreten (Linse et al., 2006). Dies sind weitaus d) Stn. 143 (774 m); e) Stn. 59 (4 655 m); Projekt ANDEEP III: f) sich sehr viele Nematodenarten, so konnten z.B. bis Abb. 4: Beispiel für die Artenvielfalt der Meeresasseln des Süd- weniger Arten als auf dem kontinentalen Schelf, Stn. 121 (2 659 m). zu sechs Arten einer Gattung in einer Probe vor- polarmeeres. auf dem rund 800 Arten nachgewiesen worden

116 117 sind. Der Rückgang an Arten mit der Tiefe war für Schnecken (Gastropoda) deutlicher als für Muscheln (Bivalvia), das Verhältnis ihrer Arten- zahlen nimmt von 2,9 auf dem Schelf zu 1,4 in der Tiefsee ab. Muscheln und Kahnfüßer (Scapho- poda) kamen oft mit mehreren Individuen an ver- schiedenen Standorten vor, während Schnecken häufig mit nur einem Individuum an einem oder wenigen Standorten gefunden wurden. Wie auf dem Schelf zeigten die Mollusken in der Tiefsee auch einen anscheinend hohen Prozentsatz an endemischen Arten, die nur in einer begrenzten Region vorkommen (rund 75% Endemiten), und zeichneten sich durch das Fehlen sonst weit verbreiteter Tiefseearten des Atlantiks aus. Etwa 40 % der nachgewiese- nen Arten wurden nur in abyssalen Tiefen von rund 4 000 Meter gefunden. Die meisten Tief- seeschnecken sind Allesfresser oder Räuber, die wie Staubsauger organische Partikel von Meeresboden absaugen. Ein interessanter Fund war der eines sogenannten „Lebenden Fos- sils“, dem Antarktischen Einschaler (Laevipilina antarctica - Monoplacophora, auch Urmützen- schnecken oder Napfschaler genannt). Dieser Fund erweitert das Vorkommen dieser sehr sel- tenen Tiergruppe von 210 bis 644 Meter bis in 3 136 Meter Wassertiefe (Schrödl et al., 2006). Die Tiefseemuscheln zeichnen sich neben Filt- Abb. 5: Das Exemplar des kleinen Schwammes Asbestopluma rierern durch einige karnivore Arten aus (Linse, erkennt man an den Eiern im Gewebe als erwachsenes Tier. 2004). Molekulargenetische Untersuchungen haben dokumentiert, dass einige Arten des bis 4 400 Meter Tiefe nachgewiesen, von denen Abb. 6: Am Kapp Norvegia besiedeln Glasschwämme gebietsweise in hohen Dichten den Meeresboden unterhalb von 60 Meter Tiefe. Sie Schelfs mit der Tiefseemuschelart Limopsis vier Arten neu sind. Die meisten Funde gehören charakterisieren Lebensräume, die nicht regelmäßig durch Meereis oder Eisberge zerstört werden, erreichen beachtliche Größen von über tenella verwandt sind. Da sie von ihr abstam- allerdings zu den Hornschwämmen. Eine weitere 50 Zentimeter und vermutlich ein Alter von mehreren hundert Jahren. men, können wir erklären, dass diese Muschel- Besonderheit war die weite Verbreitung von sehr Die Schwämme werden überwiegend von Stachelhäutern, wie Seegurken (Bildmitte) oder Haarsternen (rechts und links, beide sitzen auf gruppe aus der Tiefsee kommend den antarkti- kleinen (teilweise kleiner als 1 mm) räuberischen Schwämmen!), genutzt. Sie siedeln auch aufeinander – alle der gezeigten großen Schwämme siedeln auf einem Schwammnadelfilz, der schen Schelf besiedelt hat. Schwämmen (Abb. 5, Familie Cladorhiszidae), die von früheren Generationen von Schwämmen gebildet wurde. mit acht neuen Arten in der südpolaren Tiefsee nachgewiesen wurde (Janussen, pers. Komm.; Charakteristika der südpolaren Tiefseearten weite Tiefenverbreitung zwischen 1100 bis 6300 Meter Megafauna – Schwämme (Porifera) Brandt et al., 2007). Wassertiefe haben können (Brandt et. al., 2007). Auf dem antarktischen Schelf kommen vor allem Tiefenzonierung Bei den Meeresasseln erstrecken sich die Schelf- Die Schwämme des tiefen Weddellmeeres sind die Glasschwämme in dichten Populationen vor gemeinschaften bis in eine Tiefe von 1 500 bis auf Unterwasserfotos gut zu erkennen. Sie sind in (Abb. 6). Sie sind sehr groß, erreichen ein hohes Die ANDEEP-Ergebnisse unterstützen frühere 2 000 Meter, die Arten kommen also in der Antark- der südpolaren Tiefsee mit 76 Arten aus 47 Gat- Alter und wurden mit hohen Populationsdichten Annahmen, dass Arten, die auf dem kontinentalen tis in wesentlich tieferen Regionen vor als in den tungen und 30 Familien sehr artenreich. Alle gro- vor Kapp Norwegia nachgewiesen. Glasschwäm- Schelf leben, in der Antarktis bis in größere Tiefen gemäßigten Breiten. Ausbreitungsprozesse der Fauna ßen Gruppen der Schwämme, Kalk-, Horn- und me in der Tiefe erreichen ebenfalls circa 70 Zen- nachgewiesen werden können, als dies von anderen vom Schelf in die Tiefsee (Submergenz) aber auch Glasschwämme, sind in der Tiefsee verbreitet. timeter Höhe, und fast die Hälfte der nachge- Kontinenten bekannt ist (Brey et al., 1996). Es gibt im umgekehrt aus der Tiefsee auf den Schelf (Emergenz) Insgesamt wurden 17 neue Arten nachgewie- wiesenen Arten waren neu für die Wissenschaft Weddellmeer kleine Kammerlinge (Foraminiferen), die konnten sich über lange evolutionsbiologische Zeit- sen und 37 neue zoogeographische Nachweise (Janussen et al., 2004). genetisch fast identisch sind mit Arten aus dem Ross- skalen entwickeln und sind bei verschiedenen Meeres- für das Südpolarmeer gefunden (Brandt et al., Die Bedeutung der Lebensraumstrukturierung meer auf der anderen Seite des antarktischen Konti- asselfamilien dokumentiert. Die Tiefseefauna des 2007). durch die Schwämme selbst ist groß, da ihre nentes (Pawlowski, mündl. Mitt.; Brandt et. al., 2007). Bathyals1 und Abyssals2 (rund 2 000 bis über 5 000 Die Entdeckung eines Kalkschwammes in der Silikatnadeln dem Meeresboden ein Gerüst Es gibt morphologische und molekulargenetische Hin- Meter Tiefe) unterscheidet sich von der Schelffauna südpolaren Tiefsee war sehr erstaunlich, da geben und damit Habitate für bewegliche Orga- weise, dass bestimmte Foraminiferenarten eine sehr bei den Meeresasseln grundsätzlich und besteht zu man bisher geglaubt hatte, dass Kalkschwäm- nismen, wie z.B. Meeresborstenwürmer, Meeres- me typische Flachwasserbewohner seien. Unter- asseln oder Fadenwürmer, schaffen. Damit halb von 840 Meter waren sie im Südpolarmeer tragen die Schwämme direkt zur Artenvielfalt 1 Als Bathyal bezeichnet man den Kontinental(ab)hang, den Teil des Kontinentalrandes, an dem der Meeresboden von bisher nicht bekannt. Während ANDEEP wur- bei und fördern das Vorkommen bodenlebender der Schelfkante (100 bis 200 Meter Tiefe) bis zum Kontinentalfuß in etwa 2 000 bis 4 000 Meter Tiefe abfällt. Auch der den sechs Kalkschwammarten zwischen 1 120 Meio- und Makrofaunaorganismen. Tiefseeboden dieser Zone wird als Bathyal bezeichnet (griech. bathys - Tiefe).

118 119 97 % aus Vertretern der Unterordnung Asellota, die Viele Weichtierarten sind ebenfalls bisher nur in der Die abyssalen Organismen zeigen Verbindungen und Schwämmen erbracht. Es wurden viele faszinie- auf dem Schelf recht selten ist. Tiefsee des Südozeans nachgewiesen. Weltweit zu Tiefseeregionen der angrenzenden Ozeane rende Endeckungen gemacht, wie z.B. den ersten Tief- Die Meeresborstenwürmer (Polychaeta) zeigen verbreitete (kosmopolitische) Arten, die auch in (bei Kammerlingen und Meeresborstenwürmern). seenachweis einer besonderen Familie der Muschel- ebenfalls eurybathe Artengemeinschaften, die über anderen Tiefseeregionen häufig vorkommen, sind Es gibt aber auch Organismen (Meeresasseln), krebse (Platycopidae) und von Kalkschwämmen südlich weite Tiefenzonen ausgebreitet vorkommen. Auch in der südpolaren Tiefsee hingegen selten. die bisher fast ausschließlich im Südozean und der Polarfront. Aus diesen Ergebnissen resultiert ein bei ihnen verändert sich erst ab circa 2 000 bis 2 500 häufig nur mit wenigen Individuen nachgewiesen sehr komplexes Bild über die Gemeinschaftsmuster in Meter Tiefe die Schelffauna, um sukzessive einer Auf der anderen Seite gibt es auch Hinweise auf worden sind. Die Artenzahlen in dieser Tiergruppe der Tiefsee des Südpolarmeeres. Organismengruppen, Tiefseefauna Platz zu machen. Es ist zwar für viele Zusammenhänge zwischen der südpolaren Tief- sind höher als alle bisher publizierten Daten (z.B. wie z.B. Kammerlinge und Meeresborstenwürmer zei- Polychaeten eine weite Tiefenzonierung bekannt, es seefauna und der Fauna anderer Tiefseebecken. 216 Arten in 3000 Meter Tiefe). Sie stellen daher gen klare faunistische Beziehungen zwischen den Tief- unterscheidet sich aber die Artenveränderung dieser So gibt es z.B. einige Kammerling-Arten, die sehr die vorherrschende Theorie der Abnahme der seefaunen des Weddellmeeres und des Nordatlantiks, Organismen am antarktischen Kontinentalhang und weit verbreitet sind. Einige Arten dieser einzel- Artenzahlen zu den polaren Regionen (latitudinale bei den Meeresasseln hingegen sind 585 Arten (86 %) in der antarktischen Tiefsee von der in gemäßigten ligen Tiergruppe wurden aus dem Weddellmeer Gradienten) zumindest für diese Tiergruppe in neu für das Südpolarmeer und bisher nur in der Tief- Regionen. Auch bei den Fadenwürmern liegt der und dem Arktischen Ozean in Tiefen von 572 bis Frage (Tab. 1). see dieser Region nachgewiesen. Mehr als die Hälfte Übergang der Schelffauna zur Tiefseefauna unterhalb 4975 Meter nachgewiesen und unterscheiden dieser Arten ist selten und wurde bisher nur mit einem von 2 000 Meter Tiefe. sich genetisch kaum (siehe oben, Pawlowski, Die Meeresasseln betreiben Brutpflege, haben oder wenigen Individuen gesammelt. Die unterschied- Für die Weichtiere (Mollusca) wurde vor dem Hin- mündl. Mitt.). Diese Daten verdeutlichen, dass es einen reduzierten Genfluss und ein geringeres lichen Muster zeigen, dass wir erst kleine Ausschnitte tergrund einer stammesgeschichtlichen Analyse innerhalb der kleinen Organismen, der Meiofauna, der Prozess der Emergenz auf den Schelf nachge- tatsächlich Tiefseeorganismen geben kann, die Tabelle 1: Artenzahlen einiger ausgewählter Tiergruppen des Südpolarmeeres, die im Manuskript behandelt wiesen, da die Tiefseemuschelart Limopsis tenella kosmopolitisch oder bipolar verbreitet sind. Unter- worden sind (Datengrundlage: Clarke & Johnston, 2003; Brandt et al., in Begutachtung). der ursprüglichste Vertreter des untersuchten Ver- suchungen der Populationsgenetik einer Gattung wandtschaftskreises ist (siehe oben). Die abyssa- (Epistominella) dokumentieren einen substanti- Tiergruppe Taxon Name Artenzahlen len Wellhorn-Schnecken zeigen hingegen keine ellen Genfluss von antarktischen bis in arktische Kammerlinge (Foraminifera) (Komokiacea) 50 Gemeinsamkeiten mit der Fauna des Schelfs und Tiefseegebiete, aber nur geringen Genfluss in der der Kontinentalhänge. entgegengesetzten Richtung. Dieses könnte durch Schwämme (Porifera) Hornschwämme 420 das sich nach Norden ausbreitende Tiefenwasser Kalkschwämme 26 und die leichte Verbreitung früher passiv verdrifte- Glasschwämme 61 Gemeinsamkeiten und Unterschiede der ter Entwicklungsstadien zu erklären sein. Tiefwasserfauna des Südpolarmeeres mit Krebstiere (Crustacea) Meeresasseln 956 jener in angrenzenden Ozeanen Innerhalb der Meeresborstenwürmer (Polychaeta) Muschelkrebse ~393 zeigte sich, dass mehr als die Hälfte aller nach- Ringelwürmer (Annelida) Meeresborstenwürmer 569 Wie bereits dargestellt gibt es starke faunistische gewiesenen Arten auch in Regionen nördlich der Unterschiede in den Faunengemeinschaften des Antarktischen Konvergenz gefunden worden waren, Weichtiere (Mollusca) Muscheln 158 Südpolarmeeres und der umgebenden Tiefsee. Bei mehr als 20 % sogar nördlich des Äquators (Brandt Schnecken (beschalte) 523 den Fadenwürmern (Nematoda) zeigen sich auf et al., in Begutachtung). Tintenfische 34 Gattungsniveau keine Unterschiede in der faunisti- schen Zusammensetzung zwischen südpolarer Tief- Auch eine molekularbiologische Studie zur Ver- Kahnfüßer 8 see und den nördlicheren Regionen, auf Artniveau wandtschaft der Glasschwämme (Hexactinellida) Wurmmollusken >25 jedoch zeigen sich erhebliche Unterschiede. zeigte enge phylogenetische Beziehungen zwi- Meeresasseln zeigen eine starke Differenzierung hin- schen den arktischen und antarktischen Arten. Migrationspotential als Arten mit freischwimmen- der Diversität des Südpolarmeeres kennen. Weiterfüh- sichtlich ihres scheinbar alleinigen Vorkommens nur Vor dem Hintergrund von paläontologischen Daten den Larven, wie z. B. die Borstenwürmer (Polycha- rende interessante Fragestellungen beziehen sich z.B. in bestimmten Regionen (Endemismusgrad). Dieses wurde deutlich, dass die Besiedlung der südpola- eta) (siehe oben). Andere Organismen, die wie die auf die evolutionäre Bedeutung dieser verschiedenen zeigt sich besonders deutlich bei der schwimmfä- ren Tiefsee durch die Glasschwämme zeitlich sehr einzelligen Kammerlinge frühe Entwicklungsstadien biogeographischen Muster, die Faktoren, welche die higen und erfolgreichsten Familie der Tiefseeasseln lange zurückliegt und auf das frühe Känozoikum besitzen, die leicht transportiert werden können, Häufigkeit des Vorkommens von Arten manifestieren (Familie Munnopsidae), aber auch in anderen Fami- datiert (vor etwa 40 Mio. Jahren). Sie sind vermut- haben demgegenüber eine sehr weite Verbreitung (seltene oder häufige Arten) sowie die funktionelle Rolle lien, die in der südpolaren Tiefsee häufig sind, wie lich nach ihrer starken Radiation (Artenvermehrung) (siehe oben). der häufigen aber auch der seltenen Arten im Ökosys- den Desmosomatidae, Haploniscidae und Ischnome- während der Kreidezeit vom Schelf in die Tiefsee tem des Südpolarmeeres. sidae. Innerhalb dieser Familien sind über 95 % der eingewandert und gingen später auf dem Schelf nachgewiesenen Tiefseearten des ANDEEP-Materials zurück (Janussen et al., 2004). Zusammenfassung unbeschrieben und neu für die Wissenschaft. Literatur Weiterhin ist auch eine Familie der Muschelkrebse Meeresbodenorganismen der südpolaren Tiefsee Das Material der ANDEEP-Expedition hat einen umfang- (Ostracoda, Familie Macrocyprididae) in der Tiefsee weisen verschiedene Trends auf. Bei den Isopoda reichen Erkenntnisgewinn an Arten und Artenzahlen in Brandt, A., C. De Broyer, I. De Mesel, K. E. Elling- des Südozeans häufig, die sonst eher selten in der oder Polychaeta enthält die Fauna am Kontinental- der Tiefsee des Südozeans bewirkt (bei den Meeresas- sen, A. J. Gooday, B. Hilbig, K. Linse, M. R. A. Tiefsee der Weltozeane bekannt ist. hang Arten, die auch auf dem Schelf vorkommen. seln fast 90 %). Kenntnisse über die Tiefenzonierung Thomson & P. A. Tyler (2007): The biodiversity of der Arten wurden deutlich erweitert, seltene Arten wur- the deep Southern Ocean benthos. Phil. Trans. den wiederentdeckt, die bisher nur von Einzelfunden Roy. Soc. B 362: 39-66. 2 Als Abyssal (zu gr./lat. abyssus - grundlose Tiefe, das Bodenlose) wird der Teil des Meeresbodens zwischen 2 000 und bekannt waren. Das Material hat die ersten moleku- Brandt, A., S. B. Brix, W. Brökeland, T. Cedhagen, 6 000 Meter Wassertiefe bezeichnet. Alle Tiefenbereiche unterhalb von 6 000 Meter Tiefe, vor allem die Tiefseegräben, largenetischen Daten von Tiefseeorganismen bei den M. Choudhury, N. Cornelius, B. Danis, I. De Me- bezeichnet man als Hadal (zu gr. Hades - Unterwelt). Kammerlingen, den Muschelkrebsen, Meeresasseln sel, R. J. Diaz, D. C. Gillan, B. Hilbig, J. Howe,

120 121 D. Janussen, S. Kaiser, K. Linse, M. Malyutina, Janussen, D., K. R. Tabachnick & O. S. Tendal S. Brandao, J. Pawlowski, M. Raupach & A. J. (2004): Deep-sea Hexactinellida (Porifera) of the Die stammesgeschichtliche Stellung der arktischen Gooday (2007): The Southern Ocean deep sea: . Deep-Sea Res. II, 51: 1857-1883. First insights into biodiversity and biogeography. Kensley, B. (1998): Estimates of species diversity of Rosenmöwe (Hydrocoloeus roseus) Nature 447: 307-311. free-living marine isopod crustaceans on coral Brey, T., C. Dahm, M. Gorny, M. Klages, M. Stiller reefs. Coral Reefs 17: 83-88. Viviane Sternkopf, Dorit Liebers-Helbig, Peter de Knijff & Andreas Helbig † & W. E. Arntz (1996): Do Antarctic benthic inver- Linse, K. (2004): Scotia Arc deep-water bivalves: tebrates show an extended level of eurybathy? composition, distribution and relationship to Antarctic Scienc, 8, 1: 3-6. the Antarctic shelf fauna. Deep-Sea Res. II 51: Clarke, A. & N. M. Johnston (2003): Antarctic mari- 1827-1838. Einleitung entlegenen Vorkommens sind allerdings keine genauen ne benthic diversity. Oceanography and Marine Linse, K., H. J. Griffiths, D. K. A. Barnes & A. Clarke Angaben über die Individuenanzahlen bekannt. Man Biology: an Annual Review 41: 47-114. (2006): Biodiversity and biogeography of Ant- Die Rosenmöwe (Hydrocoloeus roseus) ist ohne Zwei- rechnet mit weltweit 10 000 bis 15 000 Tieren. Trotz Fonseca, G., A. Vanreusel & W. Decraemer (2006): arctic and Sub-Antarctic Mollusca. Deep-Sea fel eine der schönsten und farbenfrohesten Möwen. ihrer arktischen Verbreitung wird sie auch in Deutsch- Taxonomy and biogeography of Molgolaimus Res. II 53: 985-1008. Es waren Sir James Clark Ross, der sie 1823 vor Alas- land gelegentlich beobachtet (Tabelle 1). Ditlevsen, 1921 (Nematoda: Chromadoria) with Schrödl, M., K. Linse & E. Schwabe (2006): Review ka entdeckte (vgl. Andreev, 1999) und MacGillivray, reference to the origins of deep sea nematodes. on the distribution and biology of Antarctic der sie 1824 beschrieb (vgl. Peters, 1934). Ihrem Ent- Hinsichtlich der verwandtschaftlichen Beziehungen Ant. Sci. 18: 23-50. Monoplacophora, with first abyssal record of decker zu Ehren heißt sie im Englischen Ross’s Gull. der Wat-, Alken- und Möwenvögel (Charadriifor- Hilbig, B. (2004): Polychaetes of the deep Weddell Laevipilina antarctica. Polar Biol. 29: 721-727. Ihren deutschen Namen verdankt sie ihrem Brutkleid: mes) ist man sich einig, dass Möwen (Laridae), See- and Scotia Seas - composition and zoogeogra- nur dann zeigen Rosenmöwen eine zarte rosa Brust- schwalben (Sternidae) und Skuas (Stercorariidae) phical links. Deep-Sea Res. II, 51: 1817-1827. und Bauchfärbung (Abb. 1). eine engere Verwandtschaftsgruppe bilden (Mayr & Die Rosenmöwe ist eine hocharktische Art. Über Amadon, 1951; Hudson et al., 1969; Bauer et al., ihr Brutgebiet gab es lange Zeit nur Spekulationen. 2005). Innerhalb der Möwen gibt es große mor- Erst der russische Forscher Sergej Alexandrowitsch phologische Ähnlichkeiten. Die auffälligsten Unter- Buturlin fand Anfang des 20. Jahrhunderts die ersten schiede betreffen die Färbung der Beine und des Brutplätze in Nordost-Sibirien (Abb. 2). Deckgefieders, die Schwarzausdehnung im Kopf- Die Rosenmöwe gilt heute trotz ihrer geringen gefieder sowie die Färbung des Schnabels (Abb. 3). Populationsgröße nicht als gefährdet (Bezzel, 1985; Morphologische Untersuchungen zu den Verwandt- Hjort,1982; Enticott & Tipling, 1997). Aufgrund ihres schaftsbeziehungen der Möwen ergaben bisher kein

Abb. 1: Rosenmöwenpaar im Prachtkleid (Hydrocoloeus roseus) Jana-Delta, Russland.

122 123 Tabelle 1: Beobachtungen der Rosenmöwe in Deutschland (nach Bauer et al., 2005; Bartel, pers. Mitteilung). Bis auf die letzte Beobach- Unterschiedlichkeit wird als Maß für die Nähe oder Ergebnisse und Diskussion tung vom 29. Dezember 2003 handelte es sich ausschließlich um Altvögel. Ferne der Verwandtschaft genutzt. Die Stammbaumrekonstruktion auf der Basis des Datum Fundort Bundesland Beleg Im Labor der Vogelwarte Hiddensee sequenzier- gesamten Cytochrom-b Gens und des LDH Intron 3 05.02.1858 Helgoland Schleswig-Holstein Männchen, Balg ten wir das komplette mitochondriale Cytochrom- zeigt deutlich, dass die Familie der Laridae eine ein- 05.12.1953 Hamburger Hallig Schleswig-Holstein Weibchen, sterbend gefunden b-Gen (mit 1 143 Basen) und das nukleare Intron heitliche Abstammungsgemeinschaft bildet (Abb. 3, 08.01.1990 Silbersee bei Heuchelheim Hessen Todfund, Fotos 3 des Lactatdehydrogenase (LDH)-Gens (mit 228 Markierung mit schwarzem Dreieck). Die Monophy- Basen). DNA-Isolierung, PCR und Sequenzierung lie (= gemeinsame Abstammung) der Laridae wird in 04.03.1990 Helgoland Schleswig-Holstein Fotos folgten den Standardprotokollen (vergleiche Liebers der Bayesian-Analyse mit 100 % gestützt. Andere 05.-06.09.1993 Dithmarscher Speicherkoog Schleswig-Holstein am 06.09. auf Straße überfahren, et al., 2001). Die Rekonstruktion der Stammbäume Algorithmen ergaben ein sehr ähnliches Bild (hier Fotos erfolgte unter Verwendung der Bayesian-Methode nicht gezeigt). Im Stammbaum wird eine deutliche 31.10.1996 Dithmarscher Speicherkoog Schleswig-Holstein verölt (Mr Bayes 3.0; Huelsenbeck, 2000). Zweiteilung der Möwen in eine „moderne“ und eine 25.-29.03.2001 Altmühl bei Herrieden Bayern Fotos „ursprüngliche“ Gruppe deutlich. 14.-15.05.2001 Dithmarscher Speicherkoog Schleswig-Holstein Fotos Bei der Auswertung der Sequenzdaten erstellt das Programm nicht nur einen Stammbaum, son- Innerhalb der Gattung Larus – den „modernen“ 05.-06.12.2002 Öpfinger Stausee Baden-Württemberg Fotos dern ermittelt auch die Wahrscheinlichkeit für jede Möwen – ist eine deutliche Trennung in sechs Grup- 29.12.2003 Westerheversand Schleswig-Holstein Jungvogel, Fotos Verzweigung. Diese so genannten Stützwerte (in pen ablesbar: Die jüngste, am stärksten abgeleite- Prozent) geben an, wie sicher die Monophylie an te Gruppe I (vgl. Abb. 3) bilden die Großmöwen. eindeutiges Bild über die Abstammungsgeschichte Die Jungenaufzucht erfolgt von Anfang Juni bis dieser Verzweigung ist. Mit anderen Worten, wie Zu diesem Artenkomplex zählen unter anderem innerhalb dieser Gruppe (Dwight, 1925; Moynihan, Ende August (Hjort 1982; Burger & Gochfeld, 1996). wahrscheinlich es ist, dass alle an diesem Ast ver- die an unseren Küsten beheimatete Silbermöwe 1959; Schnell, 1970a, b; Chu, 1998). Komplette Brutausfälle sind aber nicht selten (Zöck- bundenen Arten einer Abstammungsgemeinschaft (L. argentatus, Abb. 5) und die Mantelmöwe (L. ler, 1997). Ursache sind meist eine zu späte Schnee- angehören. 100%ige Stützwerte zeigen, dass mit marinus). Alle diese Großmöwen zeigen annähernd Seit Mitte der 1960er Jahre werden vermehrt schmelze, Hochwasser oder eine hohe Dichte an großer Wahrscheinlichkeit alle Arten an diesem Ast den gleichen Habitus – es sind große Möwen mit molekulare Methoden wie die Untersuchung der Raubtieren, wie Eisfüchse (Alopex lagopus), Wan- einen gemeinsamen Vorfahren haben. Niedrige- weißem Körpergefieder, mehr oder weniger dunk- Proteinstrukturen, DNA-Hybridisierungen oder der derfalken (Falco peregrinus), Silbermöwen (Larus re Stützwerte verdeutlichen, dass nicht alle Arten ler Mantel- und Flügelfärbung sowie einem weißen Vergleich von DNA-Sequenzen angewendet, um argentatus vegae), Eismöwen (Larus hyperboreus) sicher dieser Abstammungsgemeinschaft angehö- Kopf (vgl. Abb. 4). Die Populationsdifferenzierung die morphologisch begründeten Stammbäume zu oder Raubmöwen (Stercorarius spec.) ren bzw. dass die Monophylie basierend auf den innerhalb der Großmöwen, basierend auf mitochon- überprüfen bzw. zu korrigieren (Chrochet et al., Die längste Zeit des Jahres verbringen die Rosen- vorliegenden Daten nicht eindeutig nachweisbar drialen DNA-Sequenzen, wurde bereits an anderer 2000; Pons et al., 2005). Ziel dieser Arbeit ist es, die möwen auf ihren Wanderungen entlang der Packeis- ist. Stelle erörtert (Helbig et al., 2004). Eine umfassende phylogenetische Stellung der Rosenmöwe inner- grenze (vgl. Abb. 2). An der Wasseroberfläche jagen halb der Gattung Larus zu überprüfen und mit den sie nach Nahrung, wobei sie kleine Fische, Krebstiere bisherigen Ergebnissen zu vergleichen. und Kopffüßer bevorzugen. Sie durchsuchen aber auch Schlickflächen nach Mollusken und Insekten- larven (Andreev, 1999). Zugbewegung im Spätsommer und Herbst Biologie der Rosenmöwe Zugbewegung im Winter Zugbewegung im Frühjahr Mit einer Körpergröße von 29 bis 33 Zentimeter ist Material und Methoden Zugbewegung im Sommer die Rosenmöwe eine der kleinsten Möwen. Ihre Aufenthaltsraum im Winter Flügeldecken und ihr Rückengefieder sind einfar- Zur Rekonstruktion der Stammesgeschichte der big grau gefärbt, sie hat einen kurzen schwarzen Möwen wurden insgesamt 59 Arten untersucht, Aufenthaltsraum im Sommer - Herbst Schnabel und rote Beine. Der dünne schwarze die den Gattungen Larus, Hydrocoloeus, Rissa, Brutgebiet Halsring und die rosafarbene Tönung ihrer Unter- Pagophila, Xema und Creagrus angehören. Als Einzelbeobachtungen außerhalb der seite zeigen sich nur zur Brutzeit. Während des Außengruppen wurden die mit den Möwen nahe angegebenen Aufenthaltsgebiete Winters sind diese Gefiederpartien weiß. Nur dann verwandten Seeschwalben (Sterna sandvichen- wird ein dunkler Ohrfleck sichtbar (Hjort, 1982). Die sis, Chlidonias leucopterus, C. niger), Raubmöwen Rosenmöwe ist nur unwesentlich größer als die (Stercorarius longicaudus, S. pomarinus) sowie der Zwergmöwe (Hydrocoloeus minutus), mit der sie im entfernter verwandte Meerstrandläufer (Calidris Schlichtkleid häufig verwechselt wird. maritima) herangezogen. Das größte nachgewiesene Brutgebiet der Rosen- Es wurden sowohl Blut- als auch Gewebeproben möwe erstreckt sich entlang der sibirischen Eismeer- untersucht, die größtenteils aus der Sammlung der küste (Abb. 2), von der Mündung der Kolyma bis zur Vogelwarte Hiddensee stammen. Fehlende Proben Jana-Indigirka-Niederung (Il’icef & Zubakin, 1990). wurden vom Burke Museum (Universität Washing- Man vermutet in diesem Areal circa 95 % aller Brut- ton, Seattle) und dem Zoologischen Museum in paare. Sie nisten in losen Kolonien von meist fünf bis Kopenhagen bereitgestellt. zehn Paaren, es wurden aber auch schon Kolonien bis Grundlage der durchgeführten Verwandtschafts- zu 60 Paaren gefunden (Andreev, 1999). Auf Grönland, analyse zwischen den Arten ist ein Vergleich Spitzbergen und in Kanada wurden vor allem Einzel- bestimmter, jeweils entsprechender Sequenzen paare nachgewiesen (Burger & Gochfeld, 1996). von Gen-Bausteinen (Basen genannt). Der Grad der Abb. 2: Jahreszeitliche Verbreitung und Wanderungsbewegungen der Rosenmöwe (verändert nach Il’icef & Zubakin 1990, Harrison 1983).

124 125 Überprüfung der Ergebnisse mittels einer weiteren Kaliforniermöwe (�� ������������) Methode (autosomale AFLP-Marker) ist derzeit in 70% Kanadamöwe (�� �������������) Bearbeitung. Dominikanermöwe (�� �����������) Beringmöwe (�� �����������) Nächstverwandt zu den Großmöwen sind die A Tundramöwe (�� ��������) kleinen weißköpfigen Möwen der Gruppe II (vgl. 80% Weißkopfmöwe (�� ����������) Gruppe I Abb. 3). In unserer Analyse bilden sie aber keine Mittelmeermöwe (�� �����������) Großmöwen Abstammungsgemeinschaft. Die Stellung der Heer- „weißköpfig“ 80% Atlantische Weißkopfmöwe (�� �� ��������) mannmöwe (L. heermanni) muss noch genauer Mantelmöwe (�� �������) untersucht werden. Bekannteste Vertreterin dieser Silbermöwe (�� ����������) Gruppe ist die Sturmmöwe (L. canus, Abb. 6). In Eismöwe (�� �����������) ihrer Färbung sind die Großmöwen (Gruppe I) und B C Westmöwe (�� ������������) die kleinen Möwen mit weißem Kopf der Gruppe 70% II sehr ähnlich. Auf diesen äußeren Ähnlichkeiten Ringschnabelmöwe (�� ������������) „schwarzköpfig“ 60% Gruppe II beruht ihre gemeinsame Gruppierung in morpholo- Sturmmöwe (�� �����) kleine weißköpfige gischen Analysen (Dwight, 1925; Chu, 1998). Möwen Heermannmöwe (�� ���������) Japanmöwe (L. crassirostris), Schwarzbandmöwe Japanmöwe (�� �������������) 70% Gruppe III (L. belcheri) und Dickschnabelmöwe (L. pacificus, Schwarzbandmöwe (�� ��������) Möwen mit Abb. 7) gehören in die nächstverwandte Gruppe III D E 70% Schwanzbinde Dickschnabelmöwe (�� ���������) (Abb. 3). Alle drei Arten sind durch ein schwarzes Hemprichmöwe (�� ����������) Band auf dem Schwanz gekennzeichnet. „Kappe“ Korallenmöwe (�� ���������) Gruppe IV Schwarzkopfmöwe (�� ��������������) schwarzköpfige Die schwarzköpfigen Möwen bilden im gezeigten 60% Fischmöwe (�� �����������) Möwen Stammbaum eine gut gestützte, monophyletische 80% 70% Reliktmöwe (�� ��������) Gruppe (Gruppe IV, siehe Abb. 3). Neben der an Aztekenmöwe (�� ���������) unseren Küsten selten brütenden Schwarzkopf- Gruppe V F 80% Präriemöwe (�� ��������) möwe (L. melanocephalus) zählt auch die Fisch- Möwen mit Graumöwe (�� ��������) Kappe möwe (L. ichthyaetus, Abb. 8) zu dieser Gruppe. Bis „Maske“ Blutschnabelmöwe (�� ���������) auf die Korallenmöwe (L. audouinii), die einen wei- Abb. 4: Bezeichnung und Erscheinungsbild der Kopffärbungen Dünnschnabelmöwe (�� �����) ßen Kopf hat, ist bei allen Vertretern dieser Gruppe ausgewählter Möwengruppen im Brutgefieder. Weißköpfige Bonapartemöwe (�� ������������) der Kopf und der Hals dunkel gefärbt (vgl. Abb. 4). Möwen (Larus argentatus A), schwarzköpfige Möwen (L. hempri- Andenmöwe (�� ��������) Die schwarze Zeichnung am Kopf ist bei den Möwen chii B und L. ichthyaetus C ), Möwen mit Kappe (L. pipixcan der nächstfolgenden Gruppe V deutlich kleiner. Sie D und L. modestus E), „maskierte“ Möwen (L. philadelphia F). Patagonienmöwe (�� ������������) Gruppe VI Maorimöwe ��� �������) Möwen mit bildet nur noch eine so genannte „Kappe“, die sich Zeichnungen: Viviane Sternkopf. Silberkopfmöwe (�� ���������������) Maske in ihrer Ausdehnung nicht über den Halsbereich Lachmöwe (�� ����������) erstreckt (vgl. Abb. 4). Die Nord-Amerikanische tragen. Im Stammbaum ist für alle untersuchten Graukopfmöwe (�� �������������) Aztekenmöwe (L. atricilla, Abb. 9) ist eine Vertrete- Arten die Färbung des Kopfgefieders angegeben, Hartlaubmöwe (�� ����������) rin dieser Gruppe. Bei der Graumöwe (L. modestus) d.h. ob sie ein rein weißes Kopfgefieder bzw. eine fehlt eine schwarze Kappe. vollständige oder teilweise Schwarzfärbung tra- Zwergmöwe (������������ �������) gen (Abb. 3). Eine dunkle Kopffärbung wird als Ebenfalls monophyletisch ist die große Gruppe der basales, d.h. ursprüngliches Merkmal der Möwen 70% Rosenmöwe (������������ ������) Klippenmöwe (����� ������������) „maskierten“ Möwen (Gruppe VI; Abb. 3). Hierzu angesehen (Chu, 1998; Crochet et al., 2000). Die- „Ursprüngliche“ zählen die heimische Lachmöwe (L. ridibundus, ses Merkmal ist beim gemeinsamen Vorfahren aller Dreizehenmöwe (����� ����������) Möwen Elfenbeinmöwe (��������� �������) Abb. 10), aber auch viele Möwen der südlichen Laridae wahrscheinlich nur einmal entstanden und Schwalbenmöwe (���� ������) Hemisphäre, wie z.B. die Andenmöwe (L. serra- ging dann mehrfach partiell (z. B. bei den Möwen Gabelschwanzmöwe (�������� ��������) nus), die Graukopfmöwe (L. cirrocephalus) aus mit Maske oder Kappe) oder vollständig verloren. Süd-Amerika und Süd-Afrika sowie die Silber- Somit handelt es sich bei der weißen Kopffärbung Seeschwalben (������� ����������) kopfmöwe (L. novaehollandiae) aus Neuseeland. um eine konvergente Entwicklung, die mehrfach Bei den meisten Vertretern dieser Gruppe ist die unabhängig voneinander entstanden ist (Crochet et Raubmöwen (������������) Außengruppen Kopfzeichnung auf eine kleine Maske reduziert al., 2000; Pons et al., 2005). Strandläufer (��������) (vgl. Abb. 4). Die ältesten Formen innerhalb der Laridae bilden Abb. 3: Stammbaumrekonstruktion der Möwen (Laridae) mittels Bayesischer Analyse. Bei Abstammungsgemeinschaften mit einem Stütz- Interessanterweise finden sich bei den schwarzköp- die „ursprünglichen“ Möwen. Diese Gruppe ent- wert über 90 %, sind die Äste fett gezeichnet. Sind die Stützwerte für eine Verzweigung kleiner 90 %, wurden die exakten Zahlen in Prozent figen Möwen (Gruppe IV), den Möwen mit Kappe hält Arten, die aufgrund ihrer äußeren Merkmale in an die Äste geschrieben. Am Stammbaum sind zusätzlich die verschiedenen Kopffärbungen im Brutkleid jeder Art angezeigt. Die Familie (Gruppe V) und den Möwen mit Maske (Gruppe VI) Gattungen gestellt werden, die zum Teil nur einen der Laridae ist mit einem schwarzen Dreieck gekennzeichnet. Die Deletion, d.h. der Verlust von zwei Basen im Intron 3 des Lactatdehyd- jeweils einzelne Arten, die keine dunkle Kopffärbung Vertreter besitzen. Zu dieser „ursprünglichen“ rogenase (LDH)-Gens, die nur bei den „ursprünglichen“ Möwen gefunden wurde, ist durch ein schwarzes Rechteck markiert. zeigen, sondern ganzjährig ein weißes Kopfgefieder Gruppe gehören unter anderem die Rosenmöwe

126 127 Abb. 5: Silbermöwe (L. argentatus), Hafen Stralsund (Gruppe I Abb. 6: Sturmmöwe (L. canus) mit leichter Schnabeldeformation, Abb. 11: Rosenmöwe (Hydrocoloeus roseus) Churchill, Kanada. Abb. 12: Zwergmöwe (Hydrocoloeus minutus) Petten, Noord- – Großmöwen). Hafen Kloster/ Hiddensee (Gruppe II – kleine weißköpfige Möwen). Holland.

Abb. 7: Dickschnabelmöwe (L. pacificus) Australien (Gruppe III Abb. 8: Fischmöwe (L. ichthyaetus) Kaspisches Meer (Gruppe IV Abb. 13: Dreizehenmöwe (Rissa tridactyla) Staple Islands, Abb. 14: Elfenbeinmöwe (Pagophila eburnea) Spitzbergen. – Möwen mit schwarzer Schwanzbinde). – schwarzköpfige Möwen). Schottland.

Abb. 9: Aztekenmöwe (L. atricilla) Zwillbrock, Holland (Gruppe V Abb. 10: Lachmöwe (L. ridibundus) Hafen Stralsund (Gruppe VI Abb. 15: Schwalbenmöwe (Xema sabinii) Jana-Delta, Russland. Abb. 16: Gabelschwanzmöwe (Creagrus furcatus) Galapagos- – Möwen mit Kappe). – Möwen mit Maske). Inseln.

128 129 hat der Name Hydrocoloeus (Kaup, 1928) Priorität Literatur (vgl. Helbig in Bauer et al., 2005; Helbig, 2005). Neben den DNA-Sequenzen gibt es auch auf morphologi- Andreev, A. V. (1999): Zwischen Eissumpf und Pack- scher Ebene Übereinstimmungen zwischen beiden eis – das Leben der Rosenmöwe Rhodostethia Arten, z.B. in Bezug auf osteologische Merkmale rosea. Limicola 13: 1-22. (Chu, 1998) und bezüglich der Gefiedermerkmale in Bauer, H.-G., E. Bezzel & W. Fiedler (2005): Das allen Altersklassen (Ewins und Weseloh, 1999), wel- Kompendium der Vögel Mitteleuropas. Nonpas- che ihre Zusammenfassung auf Gattungsniveau noch seriformes. 2. überarbeitete Auflage. Aula-Verlag einmal bestärken. Wiesbaden. Bezzel, E. (1985): Kompendium der Vögel Mittel- Die Rosenmöwe (Abb. 17) zählt somit zu den europas – Nonpasseriformes. Aula-Verlag Wies- ursprünglichen und ältesten Formen der Möwen, die baden. wahrscheinlich schon sehr lange an die arktischen Burger, A. & M. Gochfeld (1996): Family Laridae Lebensbedingungen angepasst ist. Trotz ihrer relativ (Gulls). In: Handbook of the birds of the world kleinen Populationsgröße behauptet sie sich erfolg- (J. del Hoyo, A. Elliot & J. Sargatal, eds.): Vol. reich in den harschen klimatischen Bedingungen 3: Hoazins to Auks. Pp. 572-623, Lynx Edicions, der Arktis. Möge sie noch lange ungestörte Brut- Barcelona. plätze im hohen Norden finden! Chu, P. C. (1998): A phylogeny of the gulls (Aves: Larinae) inferred from osteological and integu- mentary characters. Cladistics 14: 1-43. Zusammenfassung Crochet, P. A., F. Bonhomme & J.-D. Lebreton (2000): Molecular phylogeny and plumage evo- Die Rosenmöwe ist eine seltene, hocharktisch lution in gulls (Larini). J. Evol. Biol. 13: 47-57. verbreitete Möwe. Entdeckt wurde sie bereits Dwight, J. Jr. (1925): The gulls (Laridae) of the world: 1823, doch noch lange Zeit gab sie den Forschern their plumages, moults, variations, relationships Rätsel über ihr Verhalten, ihre Brutplätze und and distribution. Bull. Amer. Mus. Nat. Hist. 52: ihre Verwandtschaft auf. Sowohl in ihrer äußeren 63-408. Abbildung 17: Fliegende Rosenmöwe im Prachtkleid (oben) zusammen mit Schwalbenmöwe (Xema sabinii) Jana-Delta, Russland. Erscheinung als auch im Knochenbau ähnelt sie Enticott, J. & D. Tipling (1997): Photographic hand- der Zwergmöwe, bisher als Larus minutus bezeich- book of the seabirds of the world. New Holland (Abb. 11) mit ihrer Schwesterart der Zwergmöwe nicht eindeutig ist. Oft werden sie daher bei der net. In der vorliegenden Arbeit wurden erstmals für (Publishers) Ltd. (Abb. 12), die Dreizehenmöwe (Rissa tridactyla, Berechnung der Stammbäume vernachlässigt. Da nahezu alle Möwenarten die Sequenzen des kom- Ewins, P. J. & D. V. Weseloh (1999): Little Gull (Larus Abb. 13), die Elfenbeinmöwe (Pagophila eburnea, aber alle „ursprünglichen“ Möwen dieses Signal in pletten mitochondrialen Cytochrom-b-Genes und minutus). In: The birds of North America, No. 428 Abb. 14), die Schwalbenmöwe (Xema sabinii, ihren DNA-Sequenzen tragen, stützt diese Dele- des nuklearen Lactatdehydrogenase (LDH) Intron (A. Poole and F. Gill, eds.). Philadelphia, PA. Abb. 15) sowie die Gabelschwanzmöwe (Crea- tion zusätzlich zum berechneten Stammbaum die 3 ermittelt. Die Rekonstruktion der Stammesge- Harrison, P. (1983): Seabirds – An identification grus furcatus, Abb. 16). Monophylie dieser Gruppe. Diese „ursprüngliche“ schichte aus diesen Daten zeigt eindeutig, dass guide. Houghton Mifflin Company, Boston. Gruppe bildet damit die Schwestergruppe zu allen die Rosenmöwe und die Zwergmöwe Schwester- Helbig, A. J., D. Liebers & P. de Knijff (2004): Art- Die Gruppe der „ursprünglichen“ Möwen wurde bis- Möwen der Gattung Larus. Entgegen den Unter- arten sind, die nicht der Gattung Larus angehören, bildung und Verwandtschaftsverhältnisse im her nicht als monophyletische Einheit definiert (vgl. suchungen von Pons et al. (2005) belegen unsere sondern Mitglieder einer Gruppe „ursprünglicher“ Silber-Heringsmöwen-Komplex Larus argenta- Crochet et al., 2000; Pons et al., 2005). Unsere Daten Daten sowohl die Monophylie der Gattung Larus als Möwen sind, die aus den Gattungen Hydrocoloeus, tus / fuscus. Limicola 18: 233-258. zeigen aber, dass die „ursprünglichen“ Möwen eine auch die Monophylie der „ursprünglichen“ Möwen. Rissa, Pagophila, Xema und Creagrus besteht. Helbig, A. J. (2005): Anmerkung zur Systematik und einheitliche Abstammungsgemeinschaft bilden. In Konsequenter Weise muss die Zwergmöwe aus Taxonomie der Artenliste der Vögel Deutsch- der Bayesischen Analyse erhält die gesamte Grup- Innerhalb der „ursprünglichen“ Möwen bereiteten der Gattung Larus ausgliedert werden. Zusammen lands. Limicola 19: 112-128. pe einen Stützwert von 70 %. Außerdem tragen alle vor allem die phylogenetische Stellung der Elfen- mit der Rosenmöwe bilden sie die gemeinsame Hjort, C. (1982): Rosenmöwe – Rhodostethia ro- Vertreter dieser Gruppe eine Deletion im LDH Intron beinmöwe sowie die Einordnung der Zwerg- und Gattung Hydrocoloeus. sea. In: Handbuch der Vögel Mitteleuropas (U. 3. Eine Deletion ist der Verlust einer oder mehrerer Rosenmöwe seit langem Probleme. Der vorliegen- Glutz von Bolzheim & K. M. Bauer, eds.) Band 8/I Basen. Allen „ursprünglichen“ Möwen „fehlen“ im de Stammbaum, basierend auf mitochondrialen und Charadriiformes (3. Teil) Akademische Verlags- LDH Intron 3 zwei Basen (siehe rechteckiges Sym- nuklearen DNA-Sequenzen, untermauert mit jeweils Danksagung gesellschaft Wiesbaden. 180-196. bol in Abb. 3), während die „modernen“ Möwen an 100 %igen Stützwerten folgende Hypothesen: Hudson, G. E., K. M. Hoff, J. van den Berge & dieser Stelle über eine vollständige DNA-Sequenz (1) die Schwalbenmöwe ist die Schwesterart der Wir danken den zahlreichen Probensammlern E. C. Trivette (1969): A numerical study of the verfügen. Solche Deletionen, insbesondere von Elfenbeinmöwe und und Museen für die Übersendung von Blut- und wing and leg muscles of Lari and Alcae. Ibis größeren Fragmenten, sind stammesgeschichtlich (2) die Zwergmöwe ist die Schwesterart der Rosen- Gewebeproben für unsere DNA-Untersuchun- 111: 459-524. sehr informative Signale, da davon ausgegangen möwe. gen. Unser Dank gilt ebenfalls Julia Bayer, Arie Huelsenbeck, J. P. (2000): Mr Bayes: Bayesian in- werden kann, dass sie im Verlaufe der Evolution nur Den Nomenklaturvorgaben folgend, muss die Zwerg- de Knijff†, Neil Murray, Harm Niesen, Hans-Ullrich ferences of phylogeny (software). University of einmal verloren gegangen sind (vgl. Page & Holmes, möwe (ehemals Larus minutus) aus der Gattung Larus Peter, Thomas Tennhardt, Chris Ward und Chris- Rochester, NY. http://brahms.biology.rochester. 1998). ausgegliedert werden. Sie gehört in die „ursprüngli- toph Zöckler für die Bereitstellung des Fotomate- edu/software.html Die Berücksichtigung von Deletionen bei der che“ Gruppe der Möwen und ist die Schwesterart der rials sowie Peter H. Barthel für die Bestätigung der Il‘icef, V. D. & V. A. Zubakin (1990): Handbuch der Rekonstruktion von Stammbäumen ist jedoch pro- Rosenmöwe (ehemals Rhodostethia rosea). Für eine Sichtungsdaten. Vögel der Sowjetunion. Band 6/I Wittenberg. blematisch, da die Gewichtung dieser Merkmale nur aus Rosen- und Zwergmöwe bestehende Gattung 211-222.

130 131 Liebers, D., Helbig, A. J. & P. de Knijff (2001): Ge- Pons, J.-M., A. Hassanin & P.-A. Chrochet (2005): netic differentiation and phylogeography of the Phylogenetic relationships within the Laridae Mit den Pinguinen in die Tiefe tauchen: gulls in the Larus cachinnans-fuscus group (Aves: (Charadriiformes: Aves) inferred from mitochon- Charadriiformes). Mol. Ecol. 10: 2447-2462. drial markers. Mol. Phyl. Evol. 37: 686-699. Neue Erkenntnisse über das Verhalten Mayr, E. & D. Amadon (1951): A classification of re- Schnell, G. D. (1970a): A phenetic study of the subor- cent birds. Amer. Mus. Novit. 1496: 1-42. der Lari (Aves) I. Methods and results of principal von Pinguinen im Meer Moynihan, M. (1959): A revision of the family La- components analyses. Syst. Zool. 19: 35-57. ridae (Aves). Amer. Mus. Novit. 1928: 1-42. Schnell, G. D. (1970b): A phenetic study of the sub- Rory P. Wilson & Dieter Adelung Page, R. D. M. & E. C. Holmes (1998): Molecular order Lari (Aves) II. Phenograms, discussion, evolution - A phylogenetic approach. Blackwell and conclusions. Syst. Zool. 19: 264-302. Science Verlag. Zöckler, C. (1997): Im sibirischen Brutgebiet von Peters, J. L. (1934): Check-list of the birds of the Schwalbenmöwe Larus sabini und Rosenmöwe Einführung world, Vol. II: Galliformes, Gruiformes, Charadri- Rhodostethia rosea. Limicola 11:121-133. iformes. Harvard University Press. Von den Pinguinen sind wir wegen ihres aufrechten Ganges und adretten Aussehens fasziniert. Dabei ist den meisten Menschen nicht bewusst, welche hervorragenden Leistungen diese Tiere erbringen müssen, um in ihrem meist extremen Lebensraum bestehen zu können (Abb. 1). Während der letzten zwei Jahrzehnte hat sich die Pinguinforschung dramatisch gewandelt. Zuvor wurden die Pinguine fast ausschließlich an ihren Brutplätzen untersucht, die meistens, wenn auch nicht immer, riesige Kolonien lärmender Vögel umfassen. Nur dort sind diese interessanten Tiere leicht zugänglich. Allerdings nisten die meisten Arten an ziemlich unwirtlichen Plätzen, wie z.B. auf den kalten und nassen Inseln rings um die Antark- tis, am Rand der Antarktis selbst (Abb. 2) oder in heißen, trockenen Gebieten, die an plankton- und fischreiche Küstengewässer grenzen, wie in Süd- afrika oder Südamerika.

Die Unwirtlichkeit der Brutkolonien hat die Forscher zwischen 1950 und 1990 nicht davon abgehalten, an diesen Plätzen intensiv zu forschen. Peinlich genau wurden die Gelegegröße (ein oder zwei Abb. 1: Adeliepinguin mit bettelndem Jungtier. Die circa 20 Millio- Eier im Nest), die Länge der Brutperiode (bis zu nen Adeliepinguine halten sich, wie die Kaiserpinguine, ganzjährig 68 Tagen), die Kükensterblichkeit, das Verhalten im antarktischen Bereich auf. Als Nahrung bevorzugen sie Krill. der adulten Tiere und die Paarbindung registriert. Aber von allen Untersuchungen an Land erhält denen versucht wurde, den Pinguinen dorthin zu man keine Auskunft über die marinen Faktoren, die folgen, wo sie am meisten zuhause sind, aber bis- vor allem das Leben der Pinguine bestimmen. Hier her unerreichbar – im Meer. schlossen die Unwirtlichkeit und Unzugänglich- keit der Meeresgebiete und Tiefenzonen, die von den Pinguinen genutzt werden, über Jahrzehnte Neue Technologien jeden Versuch aus, die ökologischen Bedingungen dieser Tiere im Meer zu erforschen und zu ver- Da die Wissenschaftler den Pinguinen im Meer nicht stehen. Erst die technischen Entwicklungen der folgen können (Abb. 3), um sie zu untersuchen, modernen Welt ermöglichten es den Forschern haben sie kleine Aufzeichnungsgeräte entwickelt. herauszufinden, wie die Pinguine im Meer leben. Diese werden den Pinguinen angeheftet und zeich- Inzwischen haben uns die Fortschritte in der Silizi- nen automatisch für eine bestimmte Zeit ihr Leben umchiptechnologie zu Einblicken verholfen, die ein im Meer auf. oder zwei Dekaden früher nicht vorstellbar waren. Gerald Kooyman (Kooyman, 2004) war dabei der Dieser Beitrag soll einzelne Methoden vorstellen, Erste. Er verwendete ein einfaches Kapillarröhrchen mit deren Hilfe es möglich ist, herauszufinden was aus Glas, das er mit einem wasserlöslichen Farb- die Pinguine im Meer tun. Außerdem werden einige stoff füllte (ähnlich wie Puderzucker, obwohl dies bemerkenswerte Beobachtungen vorgestellt, bei nicht ausdrücklich in der Veröffentlichung genannt

132 133 600

500

400

300 auchtiefe (m) T 200

max. 100

0 0 10 20 30 40 Körpergewicht (kg)

1400 1200 1000 800 600 auchdauer (s) T 400

max. 200 0 0 10 20 30 40 Körpergewicht (kg) Abb. 2: Die Adeliepinguine brüten, wie die Zügel- und Eselspinguine, oft in riesigen Kolonien. Die Nester sind meist an Hängen oder Berg- Abb. 4: Königspinguine sind nach den Kaiserpinguinen mit circa kuppen gelegen und bestehen aus kleinen Steinen, so dass Schmelz- und Regenwasser gut ablaufen können. 90 Zentimeter die zweitgrößten Pinguine. Sie bewohnen die sub- Abb. 5: Beziehung zwischen dem Körpergewicht der Pinguine antarktischen Inseln und erreichen ein Lebensalter von ungefähr und (a) der maximalen Tauchtiefe sowie (b) der maximalen Tauch- wurde). Das eine Ende der Röhre war verschlos- bei jedem Aufenthalt im Meer erreicht wurde, ließ 20 Jahren. Ihr Bestand wird auf über drei Millionen geschätzt. dauer (Ropert-Coudert, Kato und Wilson, 2006). sen, so dass das Wasser nur von dem offenen sich aus der Distanz bestimmen, bis zu der sich Ende, abhängig von der Tiefe bzw. dem daraus der Farbstoff aus der Kapillare herausgelöst hatte. die Tauchkurve der sich auf Beutezug befindlichen resultierenden Druck entsprechend weit in das Gerald Kooymans Pioniertat ergab, dass Kaiser- Vögel Sekunde für Sekunde dokumentieren (Abb. ������� ����������� �������� Röhrchen eindringen konnte. Die Maximaltiefe, die pinguine (Aptenodytes forsteri) bis in 265 Meter 6 – Beispiel des Tauchganges eines Magellan- Tiefe tauchen können. Dieser Befund machte pinguins (Spheniscus magellanicus) mit höchster Furore und wurde seinerzeit ungläubig betrachtet. Auflösung). Tiefenmesser, gekoppelt mit einem Nachfolgend haben allerdings komplexe elektro- Messsystem für die Schwimmgeschwindigkeit, nische Druckmesser gezeigt, dass Kaiserpinguine zeigen in der Regel eine Abstiegsphase, der eine ��� sogar im Extremfall Tiefen von 550 Meter erreichen Bodenphase folgt (während der die Vögel annä-

(Kooyman & Kooyman, 1995) und Königspinguine hernd in der gleichen Tiefe verbleiben) und einer ��� (Aptenodytes patagonicus, Abb. 4), die nur die anschließenden Aufstiegsphase, in der die Vögel halbe Körpermasse der Kaiserpinguine besitzen, an die Oberfläche zurückkehren, um ihre Sauer- ���

in der Regel Tiefen bis über 300 Meter erreichen stoffreserven aufzufüllen. � � (Pütz & Cherel, 2005). � �

� ��� �

Tatsächlich konnte in vielen späteren Untersuchun- Während die Abstiegs- und die Aufstiegsphase � gen gezeigt werden, dass die Fähigkeit tief und meistens ein glattes Profil aufweisen, kann die � lange zu tauchen, ganz wesentlich von der Kör- Bodenphase einen wellenförmigen Verlauf zeigen ��� permasse abhängt. Daher können größere Arten (Abb. 7). Es wurde deshalb gleich vermutet, dass sowohl tiefer als auch länger tauchen als kleinere dies mit der Verfolgung von Beutetieren zusam- ��� Arten (Abb. 5). menhängt. Aber erst durch zwei weitere techni- sche Geräte, mit denen die Tiere ausgestattet ��� Die Daten über maximale Tauchtiefen geben aller- waren, wurde dies wirklich bewiesen. Bei dem � � � � � �� �� �� �� Abb. 3: Die südafrikanischen Brillenpinguine (Spheniscus demer- dings ein ziemlich schiefes Bild von den normalen einen Gerät handelt es sich um einen Miniatur- ���� ��� sus) gehören mit 60 bis 70 Zentimetern zu den kleineren Pingu- Lebensgewohnheiten der Pinguine im Meer. Elek- logger, der von dem Pinguin verschluckt werden Abb. 6: Einzelner Tauchgang eines Magellanpinguins (Aufzeich- inarten. Wie alle Pinguine sind sie flugunfähig, nutzen aber die tronische Datenlogger mit Tiefenmesser können muss, um die Magen- (Wilson et al., 1995) oder nungsfrequenz 9 Hz). Die Aufzeichnung zeigt sowohl die hohe verkürzten Flügel zur Fortbewegung im Wasser und können so heutzutage viele Male pro Sekunde Daten regist- die Ösophagustemperatur (Ancel, Horning und zeitliche Auflösung als auch die Präzision der aufgezeichneten blitzschnell manövrieren. rieren (Ropert-Coudert & Wilson, 2005) und daher Kooyman, 1997) aufzuzeichnen. Da die Pingu- Parameter.

134 135 ine warmblütig, ihre Beutetiere aber kaltblütig wurde versucht herauszufinden, wie viel Nah- 2500 sind, führt die Aufnahme von Beute zu einem rung die Pinguine tatsächlich im Meer aufnehmen messbaren Abfall der Magen- oder Ösophagus- und wie sie ihre Jagdstrategie dem Jagderfolg

temperatur. Aus dem Temperaturabfall kann anpassen. 2000 der Zeitpunkt und auch die Menge der aufge- nommenen Nahrung berechnet werden. Dazu müssen die Geräte später durch provoziertes Beeindruckende Fresser Auswürgen zurückgewonnen werden, wenn die 1500 Pinguine an Land zurückgekehrt sind. Bei dem Die Daten, die mit Magentemperatursensoren zweiten Gerätetyp wird der Öffnungswinkel des gewonnen wurden, zeigen, dass einige Pinguin-

Schnabels viele Male pro Sekunde gemessen. arten beachtliche Mengen an Nahrung konsumie- 1000 Da Pinguine ihren Schnabel unter Wasser nur öff- ren können. So ergaben Berechnungen von Pütz nen, um Beute zu verschlucken, zeigt das Gerät und Bost (1994), dass Königspinguine, die unge- kummulativaufgenommene Beute (g) Schluckereignisse mit bemerkenswerter Präzi- fähr zwölf Kilogramm wiegen, bis zu 14 Kilogramm Abb. 11: Eselspinguine haben ein ähnliches Nahrungsspektrum sion an (Abb. 7). Dadurch wurde bestätigt, dass Nahrung täglich zu sich nehmen. Nachfolgende 500 und Verbreitungsgebiet wie die Zügelpinguine. Sie sind mit bis die Wellenbewegungen in dem Bodentauchprofil Arbeiten zeigten jedoch, dass die Messungen zu 80 Zentimeter Größe und fünf Kilogramm Körpergewicht die von den Manövern herrühren, die der Beutever- mit den Magentemperatursensoren fehleranfällig größte der drei Pygoscelis-Arten.

folgung und dem nachfolgenden Fressen ent- sind. Diese Fehler rühren von Bewegungen der 0 sprechen (Simeone und Wilson, 2003). Magenmuskulatur her, die den kalten Speisebrei 0 1 2 3 4 5 6 7 8 Adeliepinguinen, Zügelpinguinen (Abb. 10) und Nachdem die Beuteaufnahme bei frei lebenden zur besseren Verdauung vermischt (Wilson et al., Zeit im Meer (Std.) Eselspinguinen (Abb. 11) einsetzte, zeigten eine Pinguinen registriert werden konnte, wurde vor 1995, Peters, 1997), und dadurch mit wärmeren Abb. 9: Menge der von einem vier Kilogramm schweren Magel- große Variabilität in der Verdauungsphysiologie je allem in zwei Richtungen geforscht: Zum Einen Magenbereichen in Kontakt bringt und schnel- lanpinguin während eines ungefähr achtstündigen Beutezuges nach herrschenden Bedingungen. ler erwärmt. Daher erscheinen die angestellten vor Carbo Virgenes/Argentinien aufgenommenen Beute. Die So gibt es Zeiten mit niedrigem pH-Wert und �

� Berechnungen, die von einer langsamen Erwär- Beuteaufnahme wurde mit einem IMASEN (Wilson et al., 2002) intensiven Magenbewegungen, Bedingungen, die � � � �

� mung der aufgenommenen Nahrung auf Körper- bestimmt. eine schnelle Verdauung und damit eine maxima- � � � � � temperatur ausgehen, bis zu einem gewissen Grad le Energiegewinnung der adulten Tiere erlauben, � � � � � �

� fraglich. Allerdings hat neuerdings der Einsatz von um rasch die eigenen Reserven aufzufüllen. Dem � � � � � � � � � �

� � Sensoren, mit denen man den Schnabelöffnungs- stehen Perioden ohne Magenbewegungen und mit � � � � � � �� � � � � � � �

� � winkel messen kann, gezeigt, dass frei lebende hohem pH-Wert gegenüber, in denen der Verdau- � � � Pinguine tatsächlich in kurzer Zeit große Nah- ungsprozess deshalb ruht. Dies tritt immer dann �

� � � rungsmengen vertilgen können. ein, wenn die Elterntiere für ihren Nachwuchs Nah- � � � � � �

� So ergab z.B. eine Untersuchung an Magellan- rung sammeln und den Magen dabei lediglich als � � � �

� �

� pinguinen (Abb. 8), dass diese nur vier Kilogramm Transportbehälter benutzen. Die Tatsache, dass die � � � � � � schweren Vögel bis zu 2,4 Kilogramm Fisch Pinguine so große Mengen an Nahrung aufnehmen � � � � � � � � innerhalb von acht Stunden fressen können (Abb. können, wirft auch ein neues Licht auf ihre Rolle � � � � � 9 – unpublizierte Daten). im marinen Ökosystem. Frühere Arbeiten, die auf � �

� Wie die Vögel diese Menge aufnehmen, ist zur- einfachen energetischen Modellen beruhten, erga-

� � zeit noch nicht ganz klar. Aber Untersuchun- ben, dass alle Pinguine der Welt zusammen etwa gen von Gerrit Peters, in der er Sensoren für die bis zu 24 Millionen Tonnen Beute/Jahr konsumie- � � Magenbewegungen, die Magentemperatur und ren (Brooke, 2004). Die neuen Untersuchungen, in den pH-Wert im Magen bei Magellanpinguinen, denen die beschriebenen Sensoren zur Messung der Nahrungsaufnahme verwendet wurden, kön- �

� nen zur Folge haben, dass die bisherigen Anga- � � �

� ben revidiert werden müssen und die Gesamtnah- � � � � �

� �� rungsmenge wesentlich höher liegt. � � � � �

�� Strategien zur Beutesuche

�� Die Untersuchungen mit der hoch entwickelten Log- � �� ��� ��� ��� gertechnologie haben gezeigt, dass Pinguine kom- ���� ����� ��� plexe Entscheidungen treffen, um den Erfolg ihres Abb. 7: Zwei Tauchgänge eines Magellanpinguins. Beim ersten Beutefangs zu maximieren. So erholen sich die Pin- Tauchgang wurde keine (keine Schnabelöffnung und glattes guine nach einem Tauchgang nicht einfach beliebig Bodenprofil), beim zweiten Tauchgang dagegen viel Beute auf- Abb. 8: Die etwa 70 Zentimeter großen Magellanpinguine kom- Abb. 10: Zügelpinguine sind mit den Adelie- und Eselspinguinen lange an der Oberfläche, sondern laden ihren Körper genommen (häufiges Schnabelöffnen, Tiefe während der Boden- men im Süden von Chile und Peru sowie den auf den Falkland eng verwandt. Sie bevölkern die subantarktischen Insel und den nur mit soviel Sauerstoff auf, wie sie für den folgen- phase variiert beträchtlich). Das Schnabelöffnen während der Inseln vor. Als Hauptnahrung dienen ihnen kleine Fische wie Sar- Norden und Westen der Antarktischen Halbinsel. Ihre Nahrung den Tauchgang benötigen, d.h. sie bleiben nur so Oberflächenphase dient dem Atmen. dellen. Sie brüten bevorzugt in selbst gegrabenen Erdhöhlen. besteht aus kleinen Fischen und Krill. kurz wie unbedingt nötig an der Oberfläche. Auch

136 137 führung des nächsten Tauchganges notwendig ist. 14 zeigten, dass die Pinguine beim Schwimmen unter Die Messdaten zeigen, dass diese Art von Voraus- Wasser bemerkenswert wenig Energie verbrauchen, � �

� planung tatsächlich stattfindet (Wilson, 2003). war es unter den begrenzten Bedingungen in dem

� 12 � � � � �

� Kanal natürlich nicht möglich, die entscheidende � � � � �

� Diese Strategie müssen die Pinguine aber ändern, 10 Frage zu beantworten, wie der Energieaufwand � � � � � � �

� wenn Beute gemacht werden soll, denn für das in der Tiefe zu modellieren ist. In den letzten fünf � � � � � 8 � Erjagen von Beute wird natürlich mehr Sauerstoff Jahren wurden jedoch eine Reihe viel versprechen- � � � � � benötigt, als es ein bloßes Abtauchen mit Boden- der Techniken entwickelt, um den Energieaufwand � � � � � und Auftauchphase erfordert (vgl. Abb. 6 und 7). 6 in den verschiedenen Tauchstufen zu erfassen. � � Auftrieb (N) Eine entsprechend vorausschauende Strategie Erste Hinweise kamen durch die Verwendung von muss die Zahl der Beutetiere bei dem vorange- 4 Beschleunigungs- (Sato et al., 2002) und Magnet- gangenen Tauchgang berücksichtigen. Dies ist feldstärkemesser (Wilson & Liebsch, 2003) Mit ihnen 2 �� deshalb möglich, weil die Beutetiere der Pinguine lässt sich das Muster der Flügelschläge in Bezug � �� ���� ���� �� stets in Schwärmen auftreten. Tatsächlich schei- zu der jeweiligen Tauchphase aufzeichnen. Es war 0 ���� ��� nen die Pinguine ihre Beute immer in mehreren nicht überraschend festzustellen, dass die Pinguine 0 10 20 30 40 50 Abb.12: Muster von Atemzügen 20 Sekunden nach dem Auftau- aufeinander folgenden Tauchgängen zu erbeuten, hart arbeiten müssen, um in die Tiefe abzutauchen chen (Zeitpunkt = 0). Aufgrund der zunehmenden Sauerstoffsät- denn auf Tauchgänge, in denen viel Beute gemacht Tiefe (m) (in erster Linie wegen des Auftriebeffektes), sie aber tigung nimmt die Amplituden des Schnabelwinkels langsam ab. wurde, folgen in der Regel ähnlich erfolgreiche Abb. 13: Berechnete Beziehung zwischen Auftrieb und Tiefe weniger während der Bodenphase arbeiten müssen Die Größe des Schnabelwinkels bei dem Einatmen ist linear mit Tauchgänge. Auf nicht erfolgreiche Tauchgänge eines vier Kilogramm schweren Magellanpinguins für zwei unter- und dass der Aufstieg an die Oberfläche dann rein

dem Atemzugvolumen korreliert (Wilson et al., 2003). folgen dagegen ebenfalls erfolglose (Wilson, schiedliche eingeatmete Luftvolumina (oben 160 ml O2/kg, unten passiv ohne Energieverbrauch erfolgt.

2003). Offenbar folgen die Pinguine genau dieser 40 ml O2/kg bei einer angenommenen Körperdichte von 1,03 g/ Der aussichtsreichste Weg, um den Energieauf- dies ließ sich mit dem genannten Gerät zur Messung genannten Strategie. So atmen Magellanpinguine ml und einem Luftvolumen im Gefieder von 180 ml/. wand von frei lebenden Pinguinen zu bestimmen, des Schnabelöffnungswinkels herausfinden. Dieses zwischen zwei Tauchgängen eine bestimmte Zeit könnte von einer Methode kommen, die als „Overall registriert nicht nur die Beuteaufnahme unter Was- ein, wobei die Zahl der Atemzüge von der Tiefe des tauchen eingeatmeten Luftmenge variiert (Abb. 13). Dynamic Body Acceleration“ (OBDA) bezeichnet wird ser, sondern auch die Anzahl der Atemzüge an der kommenden Tauchganges abhängt (siehe oben), Daher werden die Pinguine nicht durch das tiefe (Wilson et al., 2006), da die für die Fortbewegung Oberfläche zwischen den Tauchgängen. Außerdem aber auch davon, ob sie vorher Beute gemacht Einatmen vor einem Tieftauchgang energetisch eines Tieres aufgewendete Energie von der Größe wird die Menge der eingeatmeten Luft bei jedem haben. Dabei besteht eine direkte Beziehung zwi- bestraft, weil die Luft komprimiert ist, wenn sie sich der Fortbewegung abhängt. Die Fortbewegung Atemzug dokumentiert (Abb. 12). Vögel, die sich auf schen der Zahl der Atemzüge und der Menge der in der Bodenphase des Tauchganges befinden. wird über die Beschleunigung gemessen, indem die einen kurzen flachen Tauchgang vorbereiten, atmen gerade gefressenen Beute. Wilson (2003) belegte Dadurch kann wiederum die Tauchdauer verlängert Daten der gleichzeitig in den drei Raumdimensionen nur wenige Male vor dem Tauchgang ein. Dagegen z.B., dass Magellanpinguine, die zwischen 20 und werden. Hinzukommt, dass sich eine beträchtliche arbeitenden (3D-Beschleunigungsmesser) Beschleu- atmen Pinguine, die tief abtauchen und lange unter 22 Meter tief tauchen, vor dem Tauchgang im Mit- Sauerstoffmenge vom letzten großen Atemzug im nigungsmesser, miteinander kombiniert werden, um Wasser bleiben wollen, wesentlich länger ein und tel vier Mal einatmen, wenn sie beim vorangegan- Atmungssystem befindet. Pinguine, die nur flach so die gesamte dynamische Körperbeschleunigung beginnen den Tauchgang mit einem steilen Abstieg genen Tauchgang keine Beute gemacht haben, tauchen wollen, atmen nur wenig Luft beim letzten (OBDA) zu erfassen. Diese ist mit dem Energieauf- (Wilson, 2003). dass sie aber für jeweils zwei Beutetiere, die sie Atemzug ein. Somit befindet sich nur wenig Sauer- wand korreliert (Wilson et al., 2006). Zunächst sind bei dem vorherigen Tauchgang erbeutet haben, stoff im Atmungstrakt. Dies begrenzt zwar die Dauer Der Vorteil dieser Strategie wird offensichtlich, ein Mal zusätzlich einatmen. des Tauchgangs, vermindert aber ihren Auftrieb und

wenn man die Sauerstoffmenge betrachtet, die infolgedessen den Energieaufwand. Wenn Pinguine ���

der Vogel an der Oberfläche aufnimmt. Wenn der bei einem flachen Tauchgang tief einatmen würden, � � � Sauerstoffmangel im Körper hoch ist, wird der Der letzte Atemzug könnten sie nur kurze Zeit unter Wasser bleiben, ��� � Sauerstoff aufgrund des großen Unterschieds zwi- da ihr erhöhter Auftrieb einen höheren Energieauf- � � � schen dem Partialdruck des Körpergewebes und Weiterhin ließ sich mit Hilfe des Schnabelöffnungs- wand erfordert und damit die Sauerstoffreserven im ��� demjenigen der Außenluft sehr schnell aufgenom- sensors bei den Jagdstrategien nachweisen, dass Atmungstrakt schneller erschöpft sind.

men. Umgekehrt verhält es sich bei nur geringem die Sauerstoffmenge des letzten Atemzugs vor dem � Sauerstoffmangel. So sollten die Pinguine im Sin- Abtauchen von der maximalen Tiefe abhängig ist, ne einer möglichst kurzen Erholungsphase an der die bei dem Tauchgang erreicht werden soll und Energetische Betrachtungen �� � �

Oberfläche (unter Erholung ist hierbei zu verste- dementsprechend unterschiedlich groß ist (Ancel et � �� � �

hen, dass der Sauerstoffgehalt des Körpers wie- al., 1997; Sato et al., 2002; Wilson & Zimmer, 2004). Die Energetik schwimmender Pinguine konnte � � der auf den Zustand vor dem Tauchgang aufgefüllt So atmen die Pinguine beim letzten Atemzug mehr bereits in den 1990er Jahren durch Untersuchun- � �� wird) mit nur so viel Sauerstoff abtauchen, dass Luft ein, wenn sie tiefer tauchen wollen, als wenn gen an eingefangenen Vögeln teilweise aufgeklärt �� sie damit gerade den beabsichtigten Tauchgang sie nur flach tauchen. Die eingeatmete Luftmenge werden (z.B. Culik, Wilson & Bannasch, 1994). �� durchführen können und mit einem möglichst beeinflusst den Auftrieb der Vögel und dieser ist Hierzu mussten die Pinguine in einem Schwimm- � �� �� �� �� ��� niedrigen Sauerstoffgehalt wieder an die Oberflä- der wichtigste Faktor, der den Energieaufwand kanal mit den Abmessungen 20 x 1 x 1 Meter hin ���� ��� che zurückkehren, damit dieser dann auf Grund des Vogels beim Tauchen beeinflusst (Lovvorn et und her schwimmen. Der Kanal war so mit Glas- Abb. 14: Tauchgang eines Magellanpinguins: Veränderung der des großen Partialdruckunterschiedes schnell auf- al., 2004). Allerdings reduziert sich der luftbeding- platten abgedeckt, dass die Pinguine nur an den gesamten zur Körperbeschleunigung aufgewendete dynami- gefüllt werden kann. Diese Überlegung verlangt, te Auftrieb mit der Tiefe, da der Wasserdruck die beiden Enden des Kanals in den dort befindlichen schen Energie ODBA . Während des Abtauchens ist die OBDA dass die Pinguine wissen, wie lange sie sich an der Luft zusammendrückt. Dementsprechend verän- Respirationskammern zum Luftholen auftauchen erhöht und beim Aufstieg reduziert. Der am Beginn der Boden- Oberfläche aufhalten müssen, um gerade soviel dert sich der Energie- und Sauerstoffaufwand mit konnten. Dort wurde dann der Sauerstoffverbrauch phase sichtbare Pik ist wahrscheinlich auf die Verfolgung eines Sauerstoff im Körper zu speichern wie zur Durch- der Tiefe, wenngleich beides mit der vor dem Ab- bestimmt. Obgleich schon diese Untersuchungen Beutetieres zurückzuführen.

138 139 .

) 2.0 G

zu diesem Ansatz nur Daten über den Kormoran ( marinen Ökosystem besser eingeschätzt werden. Culik, B. M., R. P. Wilson & R. Bannasch (1994):

g 1.5 n

(Phalacrocorax carbo) veröffentlicht worden, aber u llachse Durch andere Messgeräte konnte ferner nachge- Underwater swimming at low energetic cost by

g 1.0 Ro

i n

die Beziehung ist frappierend (Wilson et al., 2006). u 0.5 Körperneigung wiesen werden, dass die Pinguine ihre Verdauungs- pygoscelid penguins. Journal of Experimental

e l

h Vortrieb c 0.0

Inzwischen sind zwei weitere Untersuchungen s geschwindigkeit dem jeweiligen Bedarf anpassen Biology, 197: 65-78. e durchgeführt worden, die eine am Menschen und die B -0.5 können. So ist zur Selbstversorgung mit Nahrungs- Kooyman, G. L. (2004): Genesis and evolution of andere an Ohrenscharben (Phalacrocorax auritus, L. -1.0 energie ihre Verdauungsgeschwindigkeit hoch. Sie bio-logging devices: 1963-2002. Memoirs of the -1.5 Tauchprofil Halsey et al., unveröffentlicht). Beide ergaben eine 0 wird aber stark gedrosselt, wenn sie Nahrung zu National Institute for Polar Research, 58: 15-22. 10

ähnliche Beziehung. Demnächst sollen entsprechen- ) ihren Küken bringen, damit nicht alles verdaut ist, Kooyman, G. L. & T. G. Kooyman (1995): Diving m

( 20

de Untersuchungen an Magellanpinguinen erfolgen. e bevor die Eltern das Nest erreichen. behavior of emperor penguins nurturing chicks

f

e i

Man kann erwarten, dass die OBDA – Daten von T 30 In ihrem unwirtlichen Lebensraum ist es für die Pin- at Coulman Island, Antarctica. Condor, 97: 536-

Beute suchenden Magellanpinguinen dramatische 40 guine wichtig, mit den Energiereserven sparsam 549.

Wechsel in dem Tauchzyklus (Abb. 14) zeigen und 50 umzugehen. Entsprechend treffen die Pinguine auf Lovvorn, J. R., Y. Watanuki, A. Kato, Y. Naito & G. 0 20 40 60 80 100 120 diese den Schemata für dem geschwindigkeits- und Zeit (s) ihren Beutezügen komplexe Entscheidungen über A. Liggins (2004): Stroke patterns and regulation auftriebsabhängigen Energieaufwand entsprechen. die Dauer ihrer Erholungspausen und die Menge of swim speed and energy cost in free-ranging Darüber hinaus zeigt eine gründliche Analyse jedes der eingeatmeten Luft. Diese Entscheidungen hän- brunnich‘s guillemots. Journal of Experimental Kanals des 3D-Beschleunigungsmessers spezifische gen davon ab, wie viel Beute vorhanden ist und wie Biology, 207: 4679-4695.

Verhaltensmuster, wenn er auf eine hohe zeitliche ) 2 lange der nächste Tauchgang dauern wird. Dadurch Peters, G. (1997): Die Regulation der Verdauungs-

G (

Auflösung gesetzt ist, (Abb. 15, vgl. Watanabe et al., g vermögen sie ihren Fangerfolg gezielt zu optimie- prozesse bei Pinguinen (Spheniscidae) Disser-

n

u g

2005). Mit anderen Worten: man kann erwarten, dass i 1 Rollachse ren. So beeinflusst die jeweilige Tauchtiefe den tation an der Universität Kiel.

n

u e der Einsatz der 3D-Beschleunigungsmesser bei frei l Energieaufwand darüber, dass der Wasserdruck Pütz, K. & C. A. Bost (1994): Feeding-Behavior of

h Körperneigung

c s lebenden Pinguinen nicht nur das Verhalten dieser e 0 das Gefieder und die Atemwege umso stärker free-ranging king penguins (Aptenodytes-Pata- B Vortrieb interessanten Vögel genau aufzeigen wird, sondern zusammendrückt, je tiefer die Tiere tauchen. Dies gonicus). Ecology, 75: 489-497. auch ihre energetischen Kosten. Da das Verhalten -1 wirkt sich auf ihre Wärmeisolierung und Sauerstoff- Pütz, K. & Y. Cherel (2005): The diving behaviour of eines Tieres seine Antwort auf seine Umgebung ist, 38 versorgung unter Wasser aus. brooding king penguins (Aptenodytes patagoni-

) 40

werden wir bald in der Lage sein zu verstehen, wie m Der Einsatz neuer Beschleunigungsmesser erlaubt cus) from the Falkland Islands: variation in dive

( e

f 42 e

genau Pinguine auf Umweltbedingungen reagieren i es, die Beziehung zwischen Energieaufwand und profiles and synchronous underwater swimming T (vgl. Wilson et al., 2002) und wie hoch die Kosten 44 den vom Vogel beeinflussten Parametern wie provide new insights into their foraging strate- Tauchprofil für diese Reaktionen sind. Sowohl vom Standpunkt 46 Schwimmgeschwindigkeit und Tauchtiefe herzu- gies. Marine Biology, 147: 281-290. des Naturschutzes als auch von der biologischen 30 35 40 45 50 stellen. So soll in zukünftigen Untersuchungen fest- Ropert-Coudert, Y. & R. P. Wilson (2005): Trends Grundlagenforschung werden wir dadurch ein sehr Zeit (s) gestellt werden, wie die Kosten für ein bestimmtes and perspectives in animal-attached remote viel besseres Verständnis der Tiere in der freien Wild- Abb. 15: Dreidimensionale Darstellung der Beschleunigung wäh- Verhalten den Fangerfolg beeinflussen. Dies ermög- sensing. Frontiers in Ecology and the Environ- bahn gewinnen, als wir es bisher haben. Obwohl rend des Tauchganges eines Magellanpinguins (derselbe Tauch- licht den Wissenschaftlern vorauszusagen, welche ment, 3: 437-444. bereits jetzt der Fortschritt im Verständnis der Pingu- gang wie in Abb. 7). Chancen die Pinguine in einer sich wandelnden Ropert-Coudert, Y., A. Kato & R. P. Wilson (2006): ine in ihrem maritimen Umfeld sehr groß ist, stehen Die Grafik zeigt die Änderungen in der Aktivität an. Der Pik in der Umwelt haben werden. Weitere technologische http://polaris.nipr.ac.jp/~penguin/penguiness/ die interessantesten Erkenntnisse noch aus. OBDA, der in Abb. 7 der Beutejagd zugeschrieben wurde, entspricht Fortschritte werden dazu beitragen, das Leben der index.html hier dem Anstieg von Flügelschlagfrequenz und -amplitude und den Pinguine unter Wasser noch besser zu verstehen, Sato, K., Y. Naito, A. Kato, Y. Niizuma, Y. Watanu- dadurch bedingten Veränderungen in der Lage der Körperachsen. als es bis heute der Fall ist. ki, J.-B. Charrassin, C. A. Bost, Y. Handrich & Y. Zusammenfassung Die blaue Kurve zeigt die Bewegungen der dorso-ventralen Achse, Le Maho (2002): Buoyancy and maximal diving also der Körperneigung, die rote Kurve die Rollbewegung des Kör- depth in penguins: do they control inhaling air Pinguine gehören für den Menschen zu den herausra- pers nach rechts und links und die schwarze Kurve den Vortrieb des Danksagung volume? Journal of Experimental Biology, 205: genden Sympathieträgern, obwohl sie vorwiegend in Pinguins an. Die unten dargestellte Kurve gibt das Tauchprofil des 1189-1197. extrem unwirtlichen Zonen der Erde beheimatet sind Tieres wieder. Deutlich erkennbar ist der steile Ab- und Auftauch- Ein Großteil der hier vorgestellten Arbeit wurde durch Simeone, A. & R. P. Wilson (2003): In: Depth studies und einen großen Teil ihres Lebens im Meer verbrin- winkel und die ausgedehnte Bodenphase. Beim Verschlucken der die Deutsche Forschungsgemeinschaft unterstützt. of magellanic penguin (Spheniscus magellani- gen. Da man diesen gewandten Schwimmern und Beute wird der Flügelschlag eingestellt, so dass sich die Tiefenposi- Wir sind besonders Mandy Kierspel dankbar für ihre cus) foraging: can we estimate prey consump- Tauchern dorthin nicht folgen konnte, wusste man bis tion verringert, weil der Auftrieb den Vogel nach oben zieht. stete Hilfe bei der Herstellung der Geräte und ihre tion by perturbations in the dive profile? Marine vor Kurzem sehr wenig über ihre Lebensbedingungen Hilfe bei den Analysen. Biology, 143: 825-831. im Meer. Ihre Aktivitäten unter Wasser entzogen sich auf, wie die Ergebnisse zum besseren Verständnis Watanabe, S., M. Izawa, A. Kato, Y. Ropert-Coudert naturgemäß völlig unserer Beobachtung. Erst in den der Pinguine als wichtige Toppräuber der Nahrungs- & Y. Naito (2005): A new technique for monito- letzten Jahren gelang es durch die rasante Entwick- kette im südlichen Ozean beitragen. Literatur ring the detailed behaviour of terrestrial animals: lung elektronischer Messgeräte, geeignete Systeme Pinguine nutzen zwar nur die oberen Wasserschich- A case study with the domestic cat. Applied zur Datenerfassung zu bauen, die klein genug sind, ten der Ozeane, tauchen aber von allen Vögeln am Ancel, A., M. Horning & G. L. Kooyman (1997): Prey Animal Behaviour Science, 94: 117-131. um sie auf frei lebenden Vögeln zu befestigen, ohne tiefsten. So werden von den größten Pinguinen ingestion revealed by oesophagus and stomach Wilson, R. P. (2003): Penguins predict their perfor- dass diese dadurch in ihrem Verhalten nennenswert maximale Tauchtiefen von über 500 Metern erreicht. temperature recordings in cormorants. Journal mance. Marine Ecology Progress Series, 249: beeinträchtigt wurden. Mit diesen Geräten lässt sich Mit Geräten zur Registrierung der Nahrungsauf- of Experimental Biology, 200: 149-154. 305-310. das Verhalten der Tiere über verschiedene Sensoren nahme konnte gezeigt werden, dass Pinguine das Brooke, M. D. (2004): The food consumption of the Wilson, R. P., D. Grémillet, J. Syder, M. A. M. Kierspel, S. im Sekundentakt erfassen und aufzeichnen. Dieser Dreifache der früher angenommenen Nahrungs- world‘s seabirds. Proceedings of the Royal So- Garthe, H. Weimerskirch, C. Schäfer-Neth, J. Ale- Beitrag stellt einige der technologischen Fortschritte menge konsumieren. Über die genaue Kalkulation ciety of London Series B-Biological Sciences, jandro Scolaro, C. A. Bost, J. Plötz & D. Nel (2002): auf dem Gebiet der Pinguinforschung vor. Er zeigt ihres Bedarfs kann die Bedeutung der Tiere im 271: 246-248. Remote-sensing systems and seabirds: their

140 141 use, abuse and potential for measuring marine Wilson, R. P., C. R. White, F. Quintana, L. G. Halsey, environmental variables. Marine Ecology Pro- N. Liebsch, G. R. Martin & P. J. Butler (2006): Vögel der Antarktis – Ökologische Langzeitstudien gress Series, 228: 241-261. Moving towards acceleration for estimates of Wilson, R. P. & N. Liebsch (2003): Up-beat motion in activity-specific metabolic rate in free-living ani- auf der Fildes Halbinsel (King George Island) swinging limbs: new insights into assessing mo- mals: the case of the cormorant. Journal of Ani- vement in free-living aquatic vertebrates. Marine mal Ecology, 75: 1081-1090. Hans-Ulrich Peter, Christina Brahn, Osama Mustafa & Simone Pfeiffer Biology, 142, 537-547. Wilson, R. P. & I. Zimmer (2004): Inspiration by ma- Wilson, R. P., A. Simeone, G. Luna-Jorquera, A. gellanic penguins: reduced swimming effort Steinfurth, S. Jackson & A. Fahlman (2003): Pat- when under pressure. Marine Ecology Progress terns of respiration in diving penguins: is the last Series, 278: 303-307. Einleitung neten chilenischen Stationen Frei und Escudero, die gasp an inspired tactic? Journal of Experimental Wilson, R. P., K. Pütz, D. Grémillet, B. M. Culik, M. chinesische Station Great Wall, die uruguayische Biology, 206: 1751-1763. Kierspel, J. Regel, C. A. Bost, J. Lage & J. Co- Die Antarktische Halbinsel und angrenzende Insel- Station Artigas sowie einen chilenischen Flugplatz. Wilson, R. P., A. Steinfurth, Y. Ropert-Coudert, A. oper (1995): Reliability of stomach temperature gruppen besitzen den größten Tier- und Pflanzen- In den Sommermonaten arbeiten circa 250 Stati- Kato & M. Kurita (2002): Lip-reading in remote changes in determining feeding characteristics reichtum der Antarktis (z.B. Convey, 2001). Schon onsmitglieder auf etwa 29 km2: Dann überschnei- subjects: an attempt to quantify and separate of seabirds. J. exp. Biol. 198: 1115-1135. deshalb besteht ein großes wissenschaftliches Inte- den sich wissenschaftliche Feldarbeiten, Stations- ingestion, breathing and vocalisation in free-li- resse, in diesem Gebiet zu arbeiten. Gleichzeitig ist betrieb und Transport von Personen und Cargo in ving animals using penguins as a model. Marine es die touristisch am intensivsten genutzte Region Raum und Zeit. Die Fildes Halbinsel erreichen in Biology, 140: 17-27. der Antarktis. Gründe sind neben der relativ hohen den Sommermonaten jährlich etwa 700 bis 2 200 Biodiversität die Nähe zu Südamerika, das relativ Touristen von Kreuzfahrtschiffen sowie maximal 800 milde Klima im Vergleich zu anderen Gebieten der weitere, die mit Flugzeugen anreisen (vgl. www.IAA- Antarktis und die geringe Packeis-Ausdehnung TO.org). Dabei sind durchreisende Wissenschaftler in den Sommermonaten, die eine relativ einfache bzw. staatliche Delegationen, die ihre Stationen be- Erreichbarkeit mit Schiffen garantiert. Der Südteil suchen, noch nicht berücksichtigt. von King George Island (Abb. 1) weist die höchste Das Vorkommen geschützter Arten, besonderer Ar- Dichte an Forschungsstationen und Feldhütten in tengemeinschaften sowie geologischer und histori- der Antarktis auf. Allein die Fildes Halbinsel (Abb. scher Werte führt zu Interessenskonflikten zwischen 2) beherbergt die russische Station Bellingshausen, Forschung, Logistik, Tourismus und Natur. Monito- 1968 gegründet, sowie die in den Folgejahren eröff- ring und bisheriges Management wurden der Kom-

Abb. 1: King George Island – eine Insel der (erstellt von Osama Mustafa).

142 143 Forschungsstelle für Wirbeltierforschung am Tier- park Berlin auf King George Island eingestellt. Es folgten aber weiterhin Expeditionen der Arbeits- gruppe Polar- und Ornitho-Ökologie aus Jena zur Fildes- bzw. benachbarten Potter-Halbinsel, die nicht nur Monitoring-Aufgaben erfüllten, sondern auch Untersuchungen zur Ökologie, zum Verhalten und zur Systematik insbesondere der Vögel des Ge- bietes beinhalteten (vgl. Blechschmidt et al., 1993; Welcker & Peter, 1999; Welcker, 2000; Pfeiffer et al., 2001; Hahn et al., 2003; Buesser et al., 2004; Ritz et al., 2006). Diese Untersuchungen wurden teilwei- se von der DFG gefördert (PE 454/1 bis 16). Eine Studentenexkursion im Sommer 2000/01 eröffnete Abb. 3: Blick von Fildes auf den vergletscherten Teil King George die Möglichkeit der breiten GIS-basierten Datenauf- Islands. nahme der Fauna und Flora (Quellmalz et al., 2001; Peter et al., 2001). Von 2003 bis 2006 wurde im Auf- der Brutsaison kartiert und zur Ermittlung des Brut- trag des Umweltbundesamtes eine Evaluierung des erfolges anhand des Vergleichs mit der Anzahl der Gefährdungsgrades des Gebietes durchgeführt, aus überlebenden Jungvögel am Ende des Sommers der Vorschläge für eine Ausweisung als „Besonde- erneut aufgesucht. Daten zum Brutbestand und res antarktisches Verwaltungsgebiet“ einschließlich Bruterfolg von Raubmöwen (Braune Skua Catha- möglicher Managementpläne hervorgingen (Peter racta antarctica lonnbergi, Südpolarskua Catha- et al., 2007). racta maccormicki, Mischpaare C. a. lonnbergi x C. maccormicki) wurden durch die Autoren und ergän- zend durch Zipan Wang (2003/04) und Igor Chupin Untersuchungsgebiet (2004/05) gesammelt. Die spezielle Lebensweise der Buntfußsturm- Die Fildes Halbinsel und die ihr vorgelagerte Insel schwalbe (Oceanites oceanicus) und des Schwarz- Ardley liegen im Südwesten von King George Island bauchmeerläufers (Fregetta tropica) erforderte eine (Abb. 1), die mit circa 1 400 km2 die größte Insel der aufwändige Kartierung ihrer Brutgebiete. Die beiden South Shetland Islands ist. Diese verlaufen in Süd- im Gebiet vorkommenden Sturmschwalbenarten west-Nordost-Richtung in circa 120 Kilometer Ent- brüten von Dezember bis März in natürlichen Höh- fernung parallel zur Küste der Antarktischen Halbin- len, bevorzugt unter Steinen in Geröllhalden oder sel. Wie auch die anderen größeren Inseln der South kleineren Felsspalten. Um am Brutplatz dem hohen Shetland Islands ist King George Island fast vollstän- Räuberdruck durch Skuas zu entgehen, suchen die dig vergletschert. Das Eis bedeckt mehr als 92 % der Sturmschwalben ihre Brutkolonien erst nach der Inselfläche. Dämmerung auf, wo sie in bzw. an den Bruthöhlen, Mit 29 km2 ist die das größte eisfreie und nur dort, in charakteristischer Weise ihre Paar- Gebiet der Insel (Abb. 2 und 3). Sie liegt auf einer partner rufen und so auch ihre okkupierte Bruthöhle geographischen Breite von 62°08´ bis 62°14´ S sowie verteidigen (vgl. Beck and Brown, 1972). Deshalb einer Länge von 59°02´ bis 58°51´ W. Die Insel Ardley eignen sich die nächtliche Rufe der Sturmschwal- südöstlich von der Fildes Halbinsel ist 1,2 km2 groß. ben als Nachweis der Brutplätze. Voraussetzung war, dass das Gebiet nachts systematisch und flä- chendeckend abgelaufen und kartiert wurde. Material und Methode Abb. 2: Die Fildes Region, bestehend aus der Fildes Halbinsel und den umliegenden Inseln (erstellt von Osama Mustafa). In den Südsommern 2003/04, 2004/05 und 2005/06 Ergebnisse und Diskussion plexität menschlicher Aktivitäten in der Fildes Regi- vor und zu Beginn der intensiven anthropogenen erfolgte eine umfassende Kartierung aller Brutvögel on nur teilweise gerecht. Beeinflussung des Gebietes gesammelt, die eine in der Fildes Region sowie Sichtungen und Totfun- Pinguine wichtige Vergleichsbasis für den heutigen Gefähr- de von Gastvögeln und Durchzüglern mit Hilfe von Im Untersuchungsgebiet brüten drei Pinguinar- Mitarbeiter des Jenaer Ökologie-Instituts arbeiten dungsgrad darstellen (Bannasch & Odening, 1981; GPS (Garmin 72). Dabei wurde auch der Bruterfolg ten, Zügel- (Pygoscelis antarctica, Abb. 4), Adélie- seit 1983 in der Fildes Region. Schwerpunkte der Bannasch et al., 1984; Peter et al., 1988 a,c,1990, ausgewählter Arten ermittelt. Pinguinzählungen (P. adeliae, Abb. 5) und Eselspinguin (P. papua, Abb. Forschungen waren und sind Untersuchungen zur 1991; Kaiser et al., 1988a; Gebauer et al.,1989; und Kartierung der Nestgruppen auf Ardley Island 6). Der Schwerpunkt der Verbreitung der Pinguine Ökologie der Vögel, Robben und Vegetation, auch Rauschert et al., 1987; Mönke & Bick, 1988; Nad- mittels GPS (Novatel smart antenna™) erfolgten liegt im Untersuchungsgebiet auf Ardley Island. Im bezüglich der Auswirkungen anthropogener Ein- ler & Mix, 1989; Lange & Naumann 1989,1990; teilweise in Zusammenarbeit mit chilenischen, rus- Untersuchungszeitraum wurden die Brutpaarzah- flüsse. Kaiser, 1995). Nach 1990 wurde das in der damals sischen und chinesischen Wissenschaftlern. Kolo- len (=BP, Abb. 7) und der Bruterfolg ermittelt. In den 1980er Jahren wurden von deutschen Wis- sowjetischen Station Bellingshausen angesiedel- nien und Einzelnester des Südlichen Riesensturm- Der Zügelpinguin hatte mit über 200 BP Ende der senschaftlern Basisdaten für die Zeit unmittelbar te biologische Langzeitforschungsprogramm der vogels (Macronectes giganteus) wurden zu Beginn 1970er Jahre seine höchste Brutpaarzahl auf Ardley

144 145 Island. Die Anzahl verringerte sich nach dem Bau des benachbarten Flugplatzes und der zunehmen- den touristischen Besuche und wissenschaftlichen Aktivitäten. Letztere bedeuteten nicht nur Störun- gen, sondern auch die Entnahme von Altvögeln aus der Kolonie. Überlagert werden diese Phänomene durch die Auswirkungen der regionalen Erwärmung, die auch die Ursache für den Bestandsrückgang in Nachbargebieten darstellen dürfte. Mit 9 BP wurde 2005/06 die niedrigste Zahl seit Beginn der Erfas- sung erreicht. Eselspinguine zeigten einen stark fluktuierenden Brutbestand mit einer insgesamt positiven Tendenz. Die BP-Zahlen schwanken zwischen 1 656 (1983/84) und 5 746 (1993/94). Ähnliche Populationsentwick- lungen wurden auch an anderen Orten festgestellt (Woehler et al., 2001), wobei neben stark schwan- kender Nachwuchs-Rate auch eine im Vergleich zu anderen Pinguinarten geringere Brutorttreue als Ursache in Frage kommt. Als dritte Pygoscelis-Art zeigt der Adéliepinguin eine schon mehr als zehn Jahre anhaltende Tendenz des Rückgangs; 1993/94 wurden noch 1 516 BP gezählt, während in der Saison 2005/06 nur noch 334 BP vor- handen waren. Dieser Rückgang spiegelt den allge- meinen Trend im Bereich der Antarktischen Halbinsel wieder. Der Adéliepinguin kann als ein sensitiver Indi- kator für die Variabilität der physikalischen und biolo- gischen Umweltgrößen angesehen werden (Woehler Abb. 6: Eselspinguin als häufigster Brutvogel im Untersuchungsgebiet. et al., 2001). Abb. 4: Zügelpinguin (Pygoscelis antarctica). So hat im Bereich der Westküste der Antarktischen Halbinsel der Bestand in zahlreichen Kolonien 6000 P. adeliae 250 abgenommen. Dieser Trend kann mit der Klimaän- P. papua derung in dieser Region in Verbindung gebracht wer- P. antarctica den. Dabei sind zwei Prozesse zu unterscheiden, die 5000 auf sowohl regionale als auch lokale Auswirkungen 200 haben (Smith et al., 2003; Peter, 2006). Die Änderung der Meereis-Bedingungen, d.h. die räumliche und zeitliche Eisausdehnung und -dicke, geben uns eine 4000 Erklärung für die Veränderung der Populationsdichte 150 auf der regionalen Skala. Im Bereich der westlichen Antarktischen Halbinsel hat sich seit der Mitte des 3000 20. Jahrhunderts die Wintertemperatur um fast 6° C erhöht und damit die Eisbedeckung reduziert. Das 100

Meereis ist das Winterhabitat der Adéliepinguine, die Brutpaarzahl 2000 Temperaturerhöhung aber wirkt sich auf das jährliche Muster der Entwicklung und die Krill-Verfügbarkeit aus. 50 Der Bruterfolg (Jungvögel/BP) der Pinguine auf Ard- 1000 ley Island schwankte in den Jahren 1994 bis 2006 stark. Die geringsten Werte erreichten die Zügelpin- guine (im Mittel 0,9, jährliche Extrema zwischen 0 und 0 0 1,54). Nach dem schneereichen Winter und späten 1971/721973/741975/761977/781979/801981/821983/841985/861987/881989/901991/921993/941995/961997/981999/002001/022003/042005/06 Frühjahr 2003/04 kam es zum Totalausfall der Brut. In den 1980er Jahren war der Bruterfolg auf Ardley Island geringer als in Kolonien auf der Drake-Seite (Peter et al., 1988c). Ob neben erhöhten Störungen Abb. 7: Brutpaarzahlen von Esels- (P. papua), Adélie- (P. adeliae) und Zügelpinguinen (P. antarctica) auf Ardley Island (verändert nach Peter Abb. 5: Fast flügger Adéliepinguin. durch Besucher auch interspezifische Konkurrenz et al., 2007).

146 147 mit anderen Pinguinarten bzw. die geringere Nah- 1984/85) ist die BP-Zahl nahezu identisch, nachdem wird) und dem allgemeinen Nahrungsangebot rungsverfügbarkeit innerhalb der (im sie in den 1990er Jahren bis auf 50 % zurückgegan- während der Brutzeit. Zum letzten Punkt liegen Kapsturmvogel (Daption capense) Unterschied zur offenen Drake Passage) eine Rolle gen war (Chupin, 1997). keine eigenen Untersuchungen vor. Ferner wird Kapsturmvögel (Abb. 9) sind zirkumpolar verbrei- spielen, ist offen. Tabelle 1 zeigt auch die Verlagerung der Brutplätze die Langleinenfischerei als eine wichtige Mortali- tet und gehören zu den häufigen Brutvögeln auf Der Bruterfolg des Adeliepinguins betrug 1,17 Jung- von Nebles Point (statt 118 nun nur maximal 7 BP) tätsursache angesehen (Nel et al., 2002). King George Island. Die Brutplätze dieser Kliff- vögel/BP (Extrema zwischen 0,94 und 1,46) und des und der Umgebung der chinesischen Station (statt Auffällig ist die große Variabilität nicht nur zwi- brüter sind nicht immer einzusehen. Die Gesamt- Eselspinguins 1,34 (1,19 bis 1,45). 33 nur noch maximal 6) in den Bereich Dart Island schen den Untersuchungsjahren, sondern auch Brutpaarzahl wird auf mindestens 500 geschätzt. (statt 50 nun maximal 94 BP) und Two Summit (statt zwischen den Gebieten. Besondere Ereignisse, Unberücksichtigt bleiben dabei die Kolonien auf Südlicher Riesensturmvogel 45 nun maximal 117 BP). Das lässt sich auch durch wie extrem tief fliegende Flugzeuge außerhalb den entfernteren Inseln an der Drake-Seite von (Macronectes giganteus) Ringablesungen auf Nebles Point in den 1980er des normalen Einflugssektors zum Flugplatz, Fildes. Da am Flat Top, dem größten Brutplatz im Der geschätzte Gesamtbestand des zirkumpolar ver- Jahren beringten Altvögeln belegen. Die Ursachen welche die Vögel zum Auffliegen veranlassen Untersuchungsgebiet, die Brutplätze an der N-, W- breiteten Südlichen Riesensturmvogels (Abb. 8) ist in für das fast vollständige Verschwinden der Brut- und tief fliegende Helikopter, scheinen dabei eine und SW-Seite nur teilweise einsehbar und damit den letzten 25 Jahren auf etwa 30 000 BP zurück- paare im Bereich von der chinesischen Station besondere Rolle zu spielen, ohne dass sich allge- nur bedingt erfassbar sind, müssen auch hier die gegangen. Dieser Art, die nach den IUCN-Kriterien Great Wall (teilweise im heutigen Stationsgelände meine Tendenzen über die Jahre abzeichnen. Brutpaarzahlen höher angesetzt werden. als „Critically Endangered“ eingestuft werden muss gelegen) können durch intensiven Helikopter- und und als besonders empfindlich gegenüber mensch- Besucherverkehr, insbesondere in der Bauphase, Tab. 1: Brutpaarzahl (BP) und Bruterfolg (Jungvögel/ BP) des Südlichen Riesensturmvogels im Untersuchungsgebiet. lichen Störungen angesehen wird, galt bei den erklärt werden, während der Rückgang auf Nebles Untersuchungen besondere Beachtung (vgl. auch Point parallel zur Stationierung eines Helikopters in 1984/85 2003/04 2004/05 2005/06 Pfeiffer, 2005). der benachbarten Station Ende der 1980er Jahre ORT BP BP Juv/BP BP Juv/BP BP Juv/BP Tabelle 1 zeigt für die Fildes-Region die Brutpaarzah- erfolgte. Nordküste 50 46 0,83 80 0,28 100 0,18 len und den Bruterfolg in den drei Untersuchungs- Die Brutpaarzahl ist aber nur ein Kriterium zur Nebles Point 118 7 0 5 0,2 7 0,14 jahren. Als Vergleich wurden die Brutpaarzahlen aus Beurteilung anthropogener und natürlicher Diomedea Island 4 0 - 0 - 2 1 der Saison 1984/85 (nach Peter et al., 1989, 1991), Einflüsse. Weiterhin entscheidend ist der Brut- Ardley 17 15 0,2 16 0,13 12 0,75 d. h. unmittelbar vor dem Bau der chinesischen und erfolg. Dieser ist nicht nur im Zusammenhang Geology Island 17 12 0 11 0,18 12 0,83 uruguayischen Station und der Intensivierung des mit Besucheraktivitäten und dem Flugverkehr zu Great Wall 33 0 - 0 - 6 0 Flugverkehrs, dargestellt. sehen, sondern auch abhängig von natürlichen Two Summit Island 45 117 0,39 111 0,54 111 0,77 Insgesamt stieg die Brutpaarzahl zwischen 2003/04 Faktoren, wie dem Erbeuten der Jungvögel durch bis 2005/06 von 297 über 327 auf 342 an. Im Ver- Skuas (der durch menschliche Störungen und Dart Island 50 92 0,18 94 0,05 77 0,3 gleich zu den 1980er Jahren (339 in der Saison dem temporären Verlassen des Nestes verstärkt Fildes Strait 5 8 0,75 10 0,7 15 0,73

Abb. 8: Südliche Riesensturmvögel auf dem Nest. Abb. 9: Kapsturmvogel auf dem Nest.

148 149 der Saison genutzt. Im Winter verlassen sie normaler- licherweise ist das im Zusammenhang mit dem weise das Gebiet und überwintern auf den Falklands Erlöschen der benachbarten Zügelpinguin-Kolonie und an den Küsten Südamerikas. Antarktisstationen zu sehen. Das regelmäßige Auftreten im Bereich der bieten Scheidenschnäbeln auch im Winter Nahrung, Drake-Küste und insbesondere auf den Inseln lässt so dass die Anzahl der im Gebiet bleibenden Vögel vermuten, dass in diesem Bereich Scheidenschnäbel ansteigt, begünstigt außerdem durch das häufigere brüten. Da die Nester in Felsspalten oder zwischen Auftreten von milden Wintern. Im April/Mai und Sep- Steinen angelegt werden, ist aber ein Brutnachweis tember/Oktober ziehen zahlreiche Vögel durch das auf größere Distanz nicht möglich. Gebiet, maximal über 100 am gleichen Tag (Peter et Bemerkenswert ist das Fehlen von Scheidenschnä- al., 1988b). Im Sommer dagegen verweilen fast aus- beln als Brutvögel in den Pinguinkolonien auf der schließlich Brutvögel im Gebiet, in den letzten drei Insel Ardley, möglicherweise der relativ hohen Skua- Jahren selten mehr als zehn Altvögel. Dichte geschuldet. In der Fildes Region sind die Brutplätze auf die Südwestspitze begrenzt, in den Sommern 2003/04 Skuas (Arten der Gattung Catharacta) und 2004/05 brüteten hier nur ein bzw. drei Paare, In der Saison 2003/04 wurden 31 Paare Braune in den beiden folgenden Sommern kein Paar. Mög- Skuas (C. antarctica lonnbergi, Abb. 12), 132 Paare Südpolarskuas (C. maccormicki, Abb. 13) und neun Mischpaare (C. a. lonnbergi x C. maccormicki) in der Fildes Region kartiert. Im Vergleich zu den Vorjahren war insbesondere bei den Braunen Skuas und den Mischpaaren eine deutliche Reduktion der Brut- paarzahl festzustellen (Abb. 14). Eine Ursache dafür war die extreme Schneelage bis zum Januar, die ein Brüten zahlreicher Paare auf Fildes verhinder- te. In den drei Folgejahren erreichte die Brutpaar- Abb. 10: Buntfußsturmschwalbe (Oceanites oceanicus). zahl der Skuas insgesamt ihr absolutes Maximum. Die steigende Tendenz ist dabei insbesondere auf Wenn man die Erfassungen in den letzten 25 Jahren Erfassung dieser Art auf der Fildes Halbinsel und die Zunahme der Südpolarskuas zurückzuführen; betrachtet, scheint die Brutpaarzahl von maximal 300 Ardley Island. 2006/07 brüteten 250 Paare. in den 1980er Jahren (Peter et al., 1989) auf 1 500 in Man kann in diesem Zusammenhang erwarten, dass den 1990er Jahren (Soave et al., 2000) gestiegen zu Weißgesicht-Scheidenschnabel (Chionis alba) sich die Veränderungen in der Eisbedeckung und sein, um in den letzten Jahren wiederum auf 500 (bis Scheidenschnäbel (Abb. 11) sind regelmäßige Brut- Meeresoberflächentemperatur, bedingt durch den 1 000) abzufallen. Die Ursachen können vielfältig sein, vögel an der Spitze der Antarktischen Halbinsel und rapiden Klimawandel über die Veränderungen im wobei aber direkte anthropogene Störungen aufgrund den vorgelagerten Inselgruppen. Sie brüten bevor- marinen Nahrungsnetz nicht nur auf den Bruterfolg der Lage der Brutplätze unwahrscheinlich sind. zugt im Küstenbereich am Rande von Pinguinkoloni- (Hahn et al., 2007), sondern auch auf die Brutpaar- en, seltener in der Nähe von anderen Koloniebrütern. zahlen in der Zukunft auswirken werden. Braune Sturmschwalben In der Brutzeit ernähren sie sich von Eiern und toten Abb.12: Braune Skua brütend auf dem Nest. Skuas ernähren sich in der Brutzeit überwiegend (Oceanites oceanicus und Fregetta tropica) Küken der Pinguine, daneben von angespülten Mee- von Vögeln und toten Robben. Daneben spielen Die systematische Kartierung von Sturmschwalben- restieren und Algen. Aas spielt eine große Rolle, auch auf Fildes aufgrund der hohen Stationsdichte auch brutgebieten anhand der nächtlichen Rufaktivität die Nachgeburten von Säugetieren werden zu Beginn anthropogene Nahrungsquellen eine Rolle, die nicht ergab insgesamt 235 aktive Brutgebiete der Bunt- nur die Gefahr der Einschleppung von Krankheiten, fußsturmschwalbe (Oceanites oceanicus, vgl. Abb. wie der Geflügelcholera, mit sich bringen, sondern 10) und des Schwarzbauchmeerläufers (Fregetta auch die Nestlingsentwicklung negativ beeinflussen tropica) gefunden. Die erfassten Areale weisen eine können (Peter et al., 2001). unterschiedliche Größe auf und erstrecken sich auf den Großteil von Fildes Peninsula und Ardley Island. Dominikanermöwe (Larus dominicanus) Die ermittelten Gesamt-Brutpaarzahlen betragen Dominikanermöwen (Abb. 15) sind auf der Südhalbku- 3 500 bis 5 000 BP für Buntfußsturmschwalben und gel auch außerhalb der Antarktis auf allen Kontinenten 500 bis 1 000 BP für Schwarzbauchmeerläufer. verbreitet. In der Antarktis brüten sie im Bereich der In der Vergangenheit wurden mehrere Unter- Antarktischen Halbinsel sowie auf den antarktischen suchungen an Sturmschwalben im Gebiet durch- Inseln. Sie bevorzugen Küstenbereiche zur Brut. geführt (Bannasch und Odening, 1981; Roby et al., Der Gesamtbestand lag im Sommer 2004/05 nur 1986; Peter, et al., 1988a; Lange und Naumann, unwesentlich über 150 BP, im darauf folgenden 1989; Nadler und Mix, 1989; Soave et al., 2000). Jahr nur bei 120 gezählten Paaren bzw. Nestern. Bei diesen, meist lokal eng begrenzten Studien, Im Vergleich zu den Daten der Vorjahre scheint der wurden die Brutpaarzahlen der beiden Arten stets Bestand dieser Art stabil zu sein. deutlich unterschätzt. Unsere Untersuchungen In den 1980er Jahren wurde von den in der Station waren die erste umfassende und flächendeckende Abb. 11: Weißgesicht-Scheidenschnabel (Chionis alba). Abb. 13: Südpolarskua im Bruterevier. Bellingshausen arbeitenden Biologen die Zahl der

150 151 400 detaillierten Untersuchungen zum Bruterfolg nach- Ferner konnten wir mehrmals Küstenseeschwalben Skuas (gesamt) gewiesen werden konnte (Kaiser 1995; Kaiser et al., (Sterna paradisea,) beobachten: am 22. Dezember 350 1988a; Peter et al., 1989), kann nicht belegt werden. 2003: zwei Individuen, 25. und 28. Dezember 2004: Mischpaare Anthropogene Störungen, die ein temporäres Ver- jeweils ein Individuum, 14. Dezember 2005: 28 Indi- Südpolarskua lassen der Nester oder teilweise sogar der Kolonie viduen und am 23. Dezember 2005 35 Individuen. 300 300 Braune Skua bedeuten, verursachen eine höhere Wahrschein- Von November 2004 bis Januar 2005 hielt sich ein lichkeit, dass die Eier oder Küken durch Skuas oder Trupp von acht Weißbürzelstrandläufern (Calidris 250 Dominikanermöwen erbeutet werden. fuscicollis) an der Nordküste von Ardley Island auf. Diese Art wurde auch schon in den 1980er Jahren 200 Potentielle Brutvögel, Gastvögel und mehrfach gesichtet (Rauschert et al., 1987; Nadler Durchzügler und Mix, 1989). 150 Die Blauaugenscharbe (Phalacrocorax atriceps) als Besonders bemerkenswert ist die Beobachtung

Brutpaarzahl potentieller Brutvogel auf den vorgelagerten, kleinen von drei Rußalbatrossen (Phoebetria palpebrata),

Brutpaarzahl Inseln wurde regelmäßig im Gebiet als Nichtbrüter mit die im Januar 2005 teilweise im Synchronflug (Balz!) 100 100 bis zu 14 Individuen an einer Stelle beobachtet. Ein und am Flat Top sitzend beobachtet wurden. Diese Brüten konnte auch aufgrund der Nichterreichbarkeit Beobachtung ist nicht die erste dieser Art am Flat 50 der Inseln in den letzten Jahren nicht nachgewiesen Top (Peter et al., 1988a); dies ist bemerkenswert, da werden. Für diese Art gibt es im Bereich der Maxwell King George Island weitab vom nächsten Brutplatz 0 Bay Brutnachweise u.a. für Potter Halbinsel, Barton (South Georgia) liegt. 1980 1982 1985 1986 1987 1997 1999 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Halbinsel und Duthoit Point. Für die Fildes Region Silbersturmvogel (Fulmarus glacialoides), Schnee- 1 1 1 1 1 1 1 2 2 2003 2004 2 2 2 980 982 985 986 987 997 999 001 002 0 006 007 05 liegen nur aus zwei Jahren (1979, 1987) Nestfunde sturmvogel (Pagodroma nivea) und Antarktissturm- auf Ardley Island bzw. einer vorgelagerten Insel (Ban- vögel (Thalassoica antarctica) halten sich – außer- Jahr nasch und Odening, 1981; Mönke und Bick, 1988) halb der Brutzeit – selten im Gebiet auf bzw. können Abb. 14: Skua-Brutpaarzahlen auf Fildes und Ardley in den Jahren 1980Jahr bis 2007 (verändert nach Peter et al., 2007). vor bzw. Brutverdacht für eine Insel auf der Drake- durchziehend beobachtet werden. Für die beiden Seite von Fildes (Peter et al., 1988a). ersten Arten liegen Fotobelege der Überwinte- Brutpaare mit 62 bis 180 (1985) angegeben. Für die In den letzten 26 Jahren lagen die Maximalzahlen Bemerkenswert ist die Zahl der regelmäßigen oder rungsmannschaft der Station Bellingshausen aus zweite Hälfte der 1990er Jahre liegen nur die Daten für Fildes (einschließlich Nebles Point) und Ardley seltenen Gastvögel im Gebiet, die aber hier nicht den Jahren 2004 bis 2006 sowie Todfunde aus den von Soave et al. (2000) aus dem Jahr 1996 (136 BP) Island bei nahezu 900 BP im Sommer 1984/85, wäh- brüten. Sommermonaten vor. und von Welcker (2000) für die Jahre 1999 (146 BP) rend 1986/87 nur 170 BP gezählt wurden (Mönke Hervorzuheben ist die Beobachtung von Königs- Vermehrt werden als Irrgäste verhungerte Kuh- und 2000 (153 BP) vor. und Bick, 1988). pinguinen (Aptenodytes patagonicus) am 31. Dezem- reiher (Bubulcus ibis) registriert, im Untersu- Bemerkenswert ist, dass erst in den letzten zehn In Abhängigkeit von der Schneelage und dem Brut- ber 2004 (tot gefunden am 8. Januar 2005) und am 16. chungszeitraum maximal zehn im Sommer Jahren auch Inlandbrutplätze gefunden wurden, erfolg werden im Verlauf der Saison und in den Februar 2006, einer Art, die in den Vorjahren nur selten 2004/05. Erste Beobachtungen aus dem Bereich während in den 1980er Jahren nahezu ausschließlich unterschiedlichen Jahren verschiedene Brutplätze registriert wurde: 3. bis 17. Februar 1988 (Lange und der Südshetlands stammen schon aus den 1970er küstennahe Bereiche zur Brut ausgewählt wurden. genutzt. Wenn Bruten gestört werden, verlassen Naumann, 1989a), 1989/90 (Erfurt und Grimm, 1990) und 1980er Jahren (Peter et al., 1988a; Kaiser et die Altvögel diese und suchen neue Plätze auf. Als bzw. am 28. Dezember 2000 an der Nordwestküste al., 1988b). Antarktisseeschwalbe (Sterna vittata) stabil erwiesen sich die Kolonien im Bereich nörd- von Fildes (Quellmalz et al., 2001). Weitere auch in den Vorjahren nachgewiesene Die im Gebiet vorkommende Antarktisseeschwalbe lich der Landebahn. In diesem Gebiet werden Brut- Kaiserpinguine, sowohl immature als auch adulte, Vogelarten sind Wanderalbatros (Diomedea (Abb. 16) brütet von Oktober bis März. Insgesamt plätze insbesondere in der Umgebung der Seen werden nahezu jährlich beobachtet (z.B. Mönke und exulans), Schwarzbrauenalbatros (Diomedea betrug der Brutbestand in der schneereichen Som- und temporären Fließgewässer besetzt. Inwieweit Bick, 1988; Peter et al., 1988a; Lange und Naumann, melanophris), Weichfedersturmvogel (Pterod- mersaison 2003/04 weniger als 100 Paare, während diese Gebiete auch heute noch durch den Flugver- 1989; Erfurt und Grimm, 1990; Quellmalz et al., 2001), roma mollis), Blausturmvogel (Halobaena cae- es 2000/01 mehr als 200, 2004/05 etwa 700 und im kehr und teilweise durch Besucheraktivitäten beein- obwohl die nächsten bekannten Brutplätze im Bereich rulea), Entensturmvogel (Pachyptyla desolata), Sommer 2005/06 400 bis 450 BP waren. flusst werden, wie in den 1980er Jahren anhand von der Antarktischen Halbinsel mehrere hundert Kilome- Schwarzhalsschwan (Cygnus melancoryphus), ter entfernt sind (Coria und Montalti, 2000). Aus dem Südgeorgien-Spitzschwanzente (Anas georgica), Untersuchungszeitraum liegen Beobachtungen von je Graubruststandläufer (Calidris melanotos), Chile- einem subadulten Kaiserpinguin (Aptenodytes forsteri) Skua (Catharacta chilensis) und die Spatelraub- am 6. Januar und am 22. Februar 2004 sowie am 11. möwe (Stercorarius pomarinus) (vgl. auch Krylov Januar bis mindestens 26. Januar 2006 vor. 1968; Peter et al., 1988; Nadler und Mix, 1989; Als weitere Pinguinart wurden einzelne Gold- Lange und Naumann, 1989, 1990; Rauschert et schopfpinguine (Eudyptes chrysolophus) vom 16. al., 1987; Quellmalz et al., 2001; Simonov, 1973). Februar bis mindestens 25. Februar 2005 und im darauf folgenden Sommer am 13. Dezember 2005 Die Brutplätze sämtlicher Brutvögel der Fildes gesichtet. Diese Art wurde in den vergangenen Region sind in der Abb. 17 dargestellt. Hierbei Jahren regelmäßig insbesondere in der Pinguinko- wird deutlich, dass besonders die Küsten mit lonie auf Ardley Island registriert. Entweder waren Schwerpunkt Ardley Island Seevogelkonzentra- es mausernde Vögel oder potentielle Brutvögel, tionen aufweisen, während die höher gelegenen die als Einzelvögel Nester bauten (Mönke und Bereiche im Norden und Süden sowie teilweise Bick, 1988; Peter et al., 1988a, Lange und Nau- auch die Nordwestplattform weit weniger dicht Abb. 15: Dominikanermöwe (Larus dominicanus). Abb. 16: Antarktisseeschwalbe (Sterna vittata). mann, 1989; Erfurt und Grimm, 1990). besiedelt sind.

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(1997): Human Impact and breeding suc- weise von Vogelarten im Südwesten von King cess in Southern Giant Petrel Macronectes gi- George Island (Südshetland-Inseln, Antarktis). ganteus on King George Island (South Shetland Beiträge zur Vogelkunde 36: 165-170. Islands). Korean Journal of Polar Research 8: Mönke, R. & A. Bick (1988): Fachlicher Bericht über 113-116. die Teilnahme der DDR-Biologengruppe an der Convey, P. (2001): Terrestrial ecosystem responses 31. Sowjetischen Antarktisexpedition (SAE), to climate changes in the Antarctic. In: G. R. Station Bellingshausen, King George Island (Süd- Walther, C. A. Burga & P. J. Edwards: „Finger- shetland Inseln/Antarktis). Berlin, Potsdam. prints“ of climate change: adapted behaviour Nadler, T. & H. Mix (1989): Fachlicher Bericht über and shifting species ranges. Kluiwer Academic/ die Teilnahme der DDR-Biologengruppe an der Plenum Publishers, New York: 17-42. 32. Sowjetischen Antarktisexpedition, Station Coria, N. & D. Montalti (2000): A newly discovered Bellingshausen, King George Island, Südshet- breeding colony of Emperor Penguins Apteno- land-Inseln. 66 S. dytes fosteri. Marine Ornithology 28: 119-120. Nel, D., P. G. Ryan, R. J. M. Crawford, J. Cooper Abb. 17: Übersicht über sämtliche Brutvögel (Kolonien und Einzelbrüter, 2005/06, Peter et al., 2007). Erfurt, J. & H. Grimm (1990): Expeditionsbericht der & O. A. Huyser (2002): Population trends of al- 2. DDR-Antarktisexpedition, Überwinterungsteil- batrosses and petrels at sub-Antarctic Marion Zusammenfassung und Riesensturmvögel werden Daten zur Abundanz- nehmer an der 34. Sowjetischen Antarktisexpe- Island. Polar Biology 25: 81-89. dynamik in den letzten 25 Jahren und zum Bruterfolg dition, Station Bellingshausen. Berlin. Peter, H.-U. (1995): Von der Nahrungsökologie zur Die Fildes Halbinsel (King George Island, South Shet- vorgestellt, die als Indikatoren für natürliche, aber auch Gebauer, A., M. Kaiser. & H.-U. Peter (1989): Der Artbildung bei Raubmöwen. In: Hempel, I. & G. land Islands, Antarktis) weist eine hohe Dichte an anthropogene Einflüsse dienen können. Einfluss der Vigilanz und verschiedener Erre- (ed): Biologie der Polarmeere. Gustav Fischer- Forschungsstationen und Feldhütten auf. Es kommt gungszustände auf die Herzrate brütender Ant- Verlag Jena. 316-321. zu Überschneidungen verschiedener Interessen: Wis- arktisseeschwalben. Der Falke 36: 131-137. Peter H.-U. (2006): Die Vogelwelt der Polarregionen senschaft, Schutz von Flora, Fauna, geologischer und Danksagung Hahn, S., K. Reinhardt, M. S. Ritz, T. Janicke, D. und ihre Gefährdung. In: J. L. Lozan (ed): Warnsig- historischer Werte, Stationsbetrieb, Transportlogis- Montalti & H.-U. Peter (2007): Oceanographic nale aus den Polarregionen. Hamburg. 140-146. tik und Tourismus. Die vorliegende Arbeit gibt einen Wir danken zahlreichen in- und ausländischen and climatic factors differentially affect repro- Peter, H.-U., R. Bannasch, A. Bick, A. Gebauer, M. Überblick über das Vorkommen und die Häufigkeit der Kollegen für die logistische Unterstützung und die duction performance of antarctic skuas. Marine Kaiser, R. Mönke & D. Zippel (1989): Bestand 13 Brutvogelarten des Gebietes. Für Pinguine, Skuas Bereitstellung von Daten, insbesondere Anne Fröhlich, Ecology Progress Series 334: 287-297. und Reproduktion ausgewählter antarktischer

154 155 Vögel und Robben im Südwestteil von King Rauschert, M., D. Zippel & M. Gruner (1987): George-Island. Wissenschaftliche Zeitschrift der Reisebericht Teil 2. Fachlicher Bericht über Briefmarken erzählen über polare Lebensräume FriedrichSchiller-Universität Jena, Naturwissen- die Teilnahme der Biologengruppe der DDR schaftliche Reihe. 38: 647-659. an der 30. Sowjetischen Antarktisexpedition und deren Erforschung Peter, H.-U., R. Bannasch, A. Bick, A. Gebauer, M. (SAE), Station Bellingshausen, King George Kaiser, R. Mönke & D. Zippel (1988c): Effects on Island (Südshetlandinseln/Antarktis). Berlin, Stephanie Kruske und Dorit Liebers-Helbig anthropogenic influences on abundance and Potsdam. reproduction of Antarctic birds and seals in the Ritz M. S., S. Hahn, T. Janicke & H.-U. Peter (2006): southern parts of King George Island. Fifth SCAR Hybridisation between South polar skua (Catha- Themen des Meeres sind auf Briefmarken vieler Aber auch Pinguine erfreuen sich großer Beliebt- Symposium on Antarctic Biology. racta maccormicki) and Brown skua (C. antarcti- Länder mit wunderschönen Motiven darge- heit, gefolgt von allen anderen Vögeln (Tafel 3). Peter, H.-U., S. Braun, C. Buesser, U.Gerighausen, ca lonnbergi) in the region. stellt worden. Im Jahr der Polarforschung haben Vergleichbar in der Anzahl sind auch Briefmarken J. Gonzales, J. Gutsell, T. Kahl, O. Mustafa, S. Polar Biology 29:153-159. wir die Briefmarkensammlung des Deutschen zu Fischen (Tafel 4) und zu Wirbellosen (Tafel 5). Pfeiffer, J. Valencia. & Z. Wang (2001): Human Roby, D. D., M. Sallaberry & K. L. Brink (1986): Notes Meeresmuseums nach Objekten mit Motiven zur Der Pflanzenwelt im polaren Lebensraum konnte impacts on Fildes Peninsula, King George Is- on Petrels (Procellariiformes) breeding on Ardley Arktis und Antarktis gesichtet. Die Sammlung an keine Tafel gewidmet werden. Sie findet bei der land, South Shetland Islands. Amsterdam, VIII Island, South Shetland Islands. Serie Científica Briefmarken umfasst insgesamt 4 087 Einträge. Herausgabe von Briefmarken über die Polarge- SCAR International Biology Symposium. INACH 34: 67-72. Darunter sind sehr unterschiedliche Sammel- biete bisher kaum Berücksichtigung. Peter, H.-U., C. Buesser, O. Mustafa & S. Pfeiffer Simonov, I. M. (1973): Zivotnyj mir poluostrova objekte: Einzel-Briefmarken, Blöcke mit bis zu Bei dieser Übersicht und auch bei der Auswahl der (2007): Evaluierung des Gefährdungsgrades der Fajlds [The wildlife of Fildes Peninsula]. Trudy zwölf Briefmarken sowie Ganzsachen, die wie Briefmarken ist noch ein historischer Umstand zu Gebiete Fildes Peninsula und Ardley Island und arkticeski y antarkticeski. naucno-issledvadel Ersttagsbriefe und Postkarten meist mehr als eine bedenken. In der Briefmarkensammlung des Deut- Entwicklung der Managementpläne zur Auswei- Instituta, Leningrad 318: 183-192. Briefmarke tragen. schen Meeresmuseums klafft noch heute eine Lücke, sung als besonders geschützte oder verwaltete Smith, R. C., W. R. Fraser & S. Stammerjohn (2003): weil zu DDR-Zeiten der Ankauf bzw. der Austausch Gebiete. Forschungsbericht, Umweltbundesamt Climate variability and ecological response of Die Mehrzahl der Briefmarken ist von den Post- von Briefmarken mit dem „nichtsozialistischen Wäh- Dessau. 349 S. the marine ecosystem in the Western Antarctic stellen der internationalen Antarktisstationen rungsgebiet“ nur eingeschränkt möglich war. Peter, H.-U., M. Kaiser & A. Gebauer (1988a): Un- Peninsula (WAP) region. In: D. Greenland, D.G. herausgegeben. Beispiele dafür sind das „British tersuchungen an Vögeln und Robben auf King Goodin,R.C. Smith. Climatic variability and eco- Antarctic Territory“, die „Terres Australes et George Island (South Shetland Islands, Antark- system response at long-term ecological research Antarctiques Françaises“, das „Australian Ant- Forschung (Tafel 1) tis). Geodätische und geophysikalische Veröf- sites. Oxford University Press, Oxford, 158-173. arctic Territory“ sowie die „Ross Dependency“ fentlichungen Reihe 1,14: 1-127. Soave, G. E., N. R. Coria, D. Montalti. & A. Curtosi von Neuseeland. Andere Poststellen wie die von Aus der Vielzahl der Briefmarken möchten wir Peter, H.-U., M. Kaiser, A. Gebauer & D. Zippel (2000): Breeding flying birds in the region of the „South Georgia and the South Sandwich Islands“ die Aufmerksamkeit zunächst auf die Ausgabe (1988b): Zur Dynamik der Winterbestände des Fildes Peninsula, King George Island, South dokumentieren den Anspruch einzelner Länder der Ungarischen Post lenken. Sie würdigt fünf Weißgesicht-Scheidenschnabels (Chionis alba) Shetland Islands, Antarctica, 1995/96. Marine auf meist unbewohnte Gebiete des antarktischen bedeutende Seefahrer und Antarktis-Forscher. Die auf King George Island (South Shetland Islands). Ornithology 28: 37-40. Kontinents und der subantarktischen Inseln. Die- Reihe der Wertzeichen beginnt mit dem großen Beiträge zur Vogelkunde 34: 205-220. Welcker, J. (2000): Untersuchungen zum Ge- se in großen Stückzahlen herausgegebenen Mar- Abenteurer Ernest H. Shackleton (1874-1922). Ihn Peter, H.-U., M. Kaiser & A. Gebauer (1990): Ecolo- schlechterverhältnis junger Dominikanermöwen ken dienen daher nicht zuerst dem eigentlichen führten vier Expeditionen in die Antarktis. Bei sei- gical and morphological investigations on South Larus dominicanus (Lichtenstein 1823). Insti- Zweck einer Briefmarke – sie sollen wohl vielmehr nem zweiten Versuch, den Südpol zu erreichen, Polar Skuas (Catharacta maccormicki) and tut für Ökologie., Friedrich-Schiller-Universität Ansprüche der jeweiligen Länder auf eine spätere wurde sein Forschungsschiff, die „Endurance“, Brown Skuas (Catharacta lonnbergi) on Fildes Jena: 80 S. Nutzung der Antarktis anmelden. im Packeis der Weddell-See zerdrückt. Ihm folgt Peninsula, King George Island, South Shetland Welcker, J. & H.-U. Peter (1999): Breeding distribu- James Cook (1728-1779). Er überquerte als erster Islands. Zoologische Jahrbücher Systematik tion and breeding success in the Kelp gull (Larus Betrachtet man in unserer Sammlung das Ver- den südlichen Polarkreis. Der russische Admiral 117: 201-218. dominicanus) on Fildes Peninsula, King Georg hältnis von Briefmarken mit Motiven aus der Ark- und Antarktisforscher Fabian G. Bellinghausen Peter, H.-U., M. Kaiser & A. Gebauer (1991): Bree- Island. The Ring 21: 196. tis und solchen aus der Antarktis, könnte für den (1778-1852) umfuhr 1820 erstmals die Antarktis. ding Ecology of the Southern Giant Petrels Woehler, E. J., J. Cooper, J. P. Croxall, W. R. Fraser, uneingeweihten Betrachter der Eindruck entste- Den Abschluss der Serie bilden Robert F. Scott Macronectes giganteus on King George Island G. L. Kooyman, G. D. Miller, D. C. Nel, D. L. Pat- hen, dass Polarforschung heute vor allem in der (1868-1912) und Roald E. G. Amundsen (1872- (South Shetland Islands, Antarctic). Zoologische terson, H.-U. Peter, C. A. Ribic, K. Salwicka, W. Antarktis stattfindet. 80 % der Motive aus polaren 1928). Beide lieferten sich im Jahre 1911 in der Jahrbücher Systematik 118: 465-477. Z. Trivelpiece & H. Weimerskirch (2001): A sta- Lebensräumen und über deren Erforschung the- Antarktis wochenlang ein spannendes Rennen Pfeiffer, S. (2005): Effects of Human Activities of tistical assessment of the status and trends of matisieren die Antarktis. So werden zum Beispiel zum Südpol – Amundsen gewann, Scott verlor Southern Giant Petrels and Skuas in the Ant- Antarctic and Subantarctic seabirds,SCAR Bird Wale auf den Briefmarken häufig in der Antarktis auf tragische Weise sein Leben. arctic. Institute of Ecology, University of Jena, Biology Subcommittee: 44 p. dargestellt, wenngleich sich ihre Lebensräume PhD Thesis, 110 p. über fast das gesamte Weltmeer erstrecken. Größter Blickfang auf dieser Tafel ist der Block Pfeiffer, S., H.-U. Peter & O. Hüppop (2001): Auswir- Der Löwenanteil der Briefmarken über polare „100 Jahre Deutsche Antarktisforschung“. Sie kungen anthropogener Störungen auf Skuas der Lebensräume ist der Erforschung der Polargebiete würdigt Georg von Neumayer, den Initiator des Nord- und Südshetlands. Journal für Ornitholo- gewidmet. Eine Auswahl zu berühmten For- ersten Internationalen Polarjahres (1882/83) und gie 43: 122. schern, Forschungsvorhaben und Forschungs- des ersten Antarktischen Jahres 1901, in dem Quellmalz, A., A. Brückner, J. Gutsell. & H.-U. Peter schiffen haben wir in Tafel 1 zusammengestellt auch die deutsche Antarktisexpedition mit dem (2001): Zur Avifauna des SW-Teils von King Geor- (Tafeln 1-5 im Maßstab 1:1, Tafeln 6-8 leicht ver- Forschungsschiff „Gauß“ startete. In der Karte ge Island, Süd Shetland Inseln, im Südsommer kleinert). Unter den Tieren erreichen Meeressäu- von der Antarktis sind die Route des Forschungs- 2000/2001. Institut für Ökologie, unveröffentli- ger und besonders die Wale eine Spitzenstellung. schiffes während der Jahre 1901 bis 1903 und cher Expeditionsbericht. Jena. Diese Motive zeigen die Tafeln 2 und 3 (oben). einige Vorstöße mit Schlitten vom eingefrorenen

156 157 Schiff in die Umgebung eingezeichnet. Das zwei- Fürsorge für ihren Nachwuchs und der Gewandt- te Forschungsschiff, die „Polarstern“, dient heute heit der Tiere unter Wasser bei der Jagd auf Forschung neben der Erforschung der Polarmeere auch der Fische. In den Briefmarken ist auch etwas vom Versorgung der permanent besetzten „Neumayer- Mitgefühl für den Daseinskampf dieser Vögel Station II“ in der Antarktis. Zum Zeitpunkt der und ihres Nachwuchses unter den harschesten Drucklegung dieses Bandes befindet sich die Lebensbedingungen der Erde zu spüren. Lange neue Antarktisstation „Neumayer III“ bereits auf verweilt der Briefmarkenfreund auf den farben- ihrer vierwöchigen Überfahrt zur Eiskante an der prächtigen Details der Königspinguine. Man Atka-Bucht. schwankt, ob es sich um ein naturgetreues Detail Und was entdecken Sie alles auf der 76 Pence- aus dem Federkleid der Pinguine an der Hals- Briefmarke, welche die Post vom „British Ant- kehle handelt oder ob die Gestalter der Brief- arctic Territory“ herausgab? Illustriert das Motiv marken eine künstlerische Verfremdung gewählt nicht eindrücklich die Metapher von der „Spitze haben. des Eisberges“? Seevögel der Antarktis wie Albatrosse und Sturmvögel sind dagegen unterrepräsentiert. Dabei sind diese Vögel mit der Eleganz ihres Wale und andere Meeressäuger Fluges geradezu wie für Briefmarken geschaf- (Tafel 2+3 oben) fen. Vögel der Arktis, wenngleich nicht weniger attraktiv und farbenfroh als die Flugkünstler der Als Motive wählten die Künstler die Schönheit Antarktis, fehlen in der Sammlung des Deutschen der Tiere, deren Lebensraum sowie ihre Nahrung Meeresmuseums bisher nahezu vollständig. und Verbreitung. Bei den Walen auf Tafel 2 kehrt das Auge immer wieder auf zwei Blöcke zurück. Es sind dies „Antarctic Whales & Dolphins“ vom Fische (Tafel 4) „Australian Antarctic Territory” und „The Seas must Live“ aus dem früheren Süd-West-Afrika. Die Briefmarken über Fische geben einen ersten Der letztgenannte, unterste Block beginnt mit Eindruck von der Formenvielfalt. Besonders einem Buckelwal, gefolgt von einem Schwert- beeindruckend sind sowohl für die Zeichner als wal, der mit Robben sein tödliches Spiel treibt. auch für die Betrachter die Fische der Tiefsee. Mit Der Blauwal ist auch auf diesem Block der größte ihren großen Augen und den Furcht einflößenden Wal. Ein Forscher begleitet den sanften Riesen Mäulern regen diese Kreaturen die Fantasie der und verdeutlicht im Verhältnis die gewaltige Grö- Menschen über die Tiefsee an. Der Laternenfisch ße dieser Meeressäuger. Die untere Reihe beginnt in der oberen Serie, herausgegeben von der Post- mit einem südlichen Glattwal. Diese Tiere haben stelle „Australian Antarctic Territory“, beeindruckt unter der Waljagd besonders gelitten, so dass mit seiner Fähigkeit zur Biolumineszenz. Diese ihr Bestand noch heute gefährdet ist. Für Kinder Serie überrascht den Laien auch damit, dass in und Erwachsene gleichermaßen spannend ist der der eiskalten Antarktis bis zum Wedell-Meer noch Kampf zwischen einem Pottwal und einem Rie- Rochen vorkommen. senkalmar. Das letzte Wertzeichen zeigt einen Die 20 Pence-Marke von der Poststelle des Finnwal – das gewaltige Skelett eines solchen Tie- „British Antarctic Territory“ stellt eine weitere res lässt auch die Besucher des Meeresmuseums Eigenschaft der in der Antarktis lebenden Fische erstaunen. Der Blockrand illustriert zusätzlich die vor – ihre Angepasstheit an die eisigen Tempera- enorme Vielfalt des Planktons in den Polargebie- turen. Der bis zu 2,2 Meter lange Schwarze See- ten. Alle diese Planktonorganismen sind detail- hecht lebt in Tiefen bis zu 2 500 Meter. Bei seiner getreu dargestellt. Es erscheint oft unglaublich, Größe können ihn nur Wale und See-Elefanten dass diese kleinsten Organismen des Ozeans die fressen, für andere Beutegreifer ist er zu groß. Grundlage des Nahrungsnetzes im Meere bilden Das Besondere an diesen Fischen sind spezielle und zudem die Hauptnahrung der Bartenwale Eiweißmoleküle in ihrem Blut und Gewebe. Sie sowie einiger Robben-, Fisch- und Pinguinarten wirken als „Frostschutzmittel“ und ermöglichen sind. ein Leben bei Wassertemperaturen unter 0°C. Auch auf der 1 $-Marke der Poststelle „Australian Antarctc Territory“ ist der Schwarze Seehecht Vögel (Tafel 3 unten) abgebildet. Einen Bezug zum 20. Jahrestag des Antarktisver- Bei den Vögeln dominieren erwartungsgemäß die trages “Commission for the Conservation of Ant- Pinguine. Die Gestalter der Briefmarken waren arctic Marine Living Resources“ (CCAMLR) stellt offensichtlich fasziniert von der engen Partner- die 0,79 EUR-Briefmarke der “Terres Australes et schaft eines Pinguinpaares, der gemeinsamen Antartiques Français“ her. Tafel 1: Forschung

158 159 Wale … und andere Meeressäuger

Vögel

Tafel 2: Wale Tafel 3: Andere Meeressäuger und Vögel

160 161 Fische Wirbellose

Tafel 4: Fische Tafel 5: Wirbellose Tiere

162 163 Tafel 6: Postkarten Tafel 7: Ganzsachen

164 165 Die Antarktiskarte mit den 36 Sektoren symbo- Ganzsachen (Tafeln 7 und 8) lisiert die unterschiedlichen Gebietsansprüche, aber auch Nutzungs- und Forschungsinteressen Von den insgesamt 345 Ganzsachen mit Motiven der Staatengemeinschaft. Dieses Symbol ist auch aus der Arktis und Antarktis haben wir sechs aus- auf anderen Briefmarken abgebildet, wie z.B. auf gewählt. Besonders hervorzuheben ist die Ganz- den 33 Pence- und 43 Pence-Briefmarken von sache von den Falklandinseln. Sie stellt erstmals „South Georgia and South Sandwich Islands“ auf in der hier gezeigten Auswahl die Meeresalgen dieser Tafel. in den Mittelpunkt. Die Ganzsachen auf Tafel 8 zeigen nochmals verschiedene Aspekte der Polarforschung. Beispiele sind der Vertrag zur Wirbellose (Tafel 5) gemeinsamen Nutzung und Verwaltung von Spitz- bergen sowie die Geschichte der Entdeckung Auffällig auf dieser Tafel ist die Farbenfreude von Franz-Josef-Land im Nordpolarmeer durch der Motive. Unter den Briefmarken mit wirbello- die Österreich-Ungarische Nordpolexpedition in sen Tieren sind hier vor allem Krebse, Muscheln den Jahren 1872 bis 1874. Ihr eigentliches Ziel und Schnecken, Stachelhäuter und Kopffüßer war die Entdeckung der Nord-Ost-Passage. Die vertreten. Einige Briefmarken erinnern an Ernst Exkursion leiteten Julius Payer als Kommandant Haeckels „Kunstformen der Natur“. In der Serie der Landreisen, und Carl Weyprecht, der Kapi- des „British Antarctic Territory“ zeigt die 1 Pence- tän des Forschungsschiffes „Admiral Tegetthoff“. Marke eine etwa 0,2 Millimeter messende, einzel- Beide werden auf dem Sonderstempel genannt. lige Kieselalge. Welche Nahrungsbeziehungen erkennen Sie auf Dem Krill kommt eine besondere Bedeutung im der Ganzsache der Polnischen Post? Und wie Ökosystem der Antarktis zu – was besonders in denken Sie über die darauf gewählte Position des der ersten Reihe an unterschiedlichen Briefmar- Menschen? ken zum Ausdruck kommt. Die polnische 5 Zloty-Briefmarke lässt mit einer Vielleicht weckt diese kleine Auswahl aus der Landkarte, einem Eisberg, der Vielfalt des Plank- Briefmarkensammlung des Deutschen Meeres- tons mit dem Krill als seinem wichtigsten Vertre- museums das Interesse für die polaren Lebens- ter und einem Forschungsschiff besonders schön räume. Möglicherweise rufen sie auch eigene den Zusammenhang zwischen Lage und Gestalt Erinnerungen an Reisen oder Reisebeschreibun- der Antarktis, dem Lebensraum aus Wasser und gen anderer in diese Regionen wach. Blättern Eis, seiner Lebewesen und Erforschung durch Sie doch einmal Ihre eigene Sammlung durch, den Menschen erkennen. An dieser Kombination womöglich finden Sie darin noch schönere Brief- von Ideen hat der Gestalter S. Malecki bestimmt marken. einige Zeit getüftelt. Jeder Naturfreund, der bis- her noch keine Leidenschaft für die wirbellosen Die Vielfalt der Motive auf den Briefmarken welt- Tiere entwickelt hat, kann beim Anblick dieser weit und deren künstlerischen Umsetzungen zeigt Tafel die faszinierende Vielfalt der oft kleinen, eine weitere Facette der Beschäftigung mit den verborgenen Organismen entdecken. polaren Lebensräumen, die sich auch für Nicht- Forschungsreisende lohnt. Zugleich spiegeln die Briefmarken oft interessante Aspekte historischer Postkarten (Tafel 6) Entwicklungen und Veränderungen von Sicht- weisen wieder. In den Sammlungen des Deutschen Unter der Fülle der im Deutschen Meeresmuse- Meeresmuseums werden auch diese Dokumente um vorliegenden Postkarten fiel uns die Auswahl der wissenschaftlichen Zeitgeschichte bewahrt. besonders schwer. Wir wählten den Ersttagsbrief der Post vom „Australian Antarctic Territory“ mit den kinderreichen Kaiserpinguinen, die Post- Danksagung karte mit dem scheinbar freundlich lächelnden Beluga von der Postverwaltung auf den Faröer Wir danken insbesondere Horst Schröder für zahl- Inseln sowie die auf Beute lauernde Schneekrab- reiche Anregungen und Diskussionen, die diesen be (Snow Crab) auf einer Karte der Grönländi- Artikel erst so lebendig werden ließen. schen Post. Könnten Sie mit Ihren Augen auch längere Zeit auf diesen Karten verweilen und von spannenden Expeditionen in die Polargebiete träumen?

Tafel 8: Ganzsachen

166 167 Das Jahr 2006 der Stiftung Deutsches Meeresmuseum Harald Benke

Im Jahre 2006 fand ein für die Entwicklung der regierung verzeichnet. Es gibt insgesamt 20 solcher Stiftung Deutsches Meeresmuseum (DMM) sehr Projekte in den neuen Ländern. Diese Leuchtturm- bedeutendes Ereignis statt. Nach der erfolgreichen förderung, von der auch das Meeresmuseum pro- Durchführung eines Architektenwettbewerbes für fitiert, wird aufrechterhalten. Das möchte ich Ihnen den Museumsneubau auf der nördlichen Hafeninsel heute sagen; Sie können damit in eine vernünftige von Stralsund im Jahre 2002 wurde der Entwurf Zukunft blicken.“ Diese Aussagen der Kanzlerin Abb. 3: Mit Hilfe vieler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des DMM des Architekturbüros Behnisch und Partner aus der Bundesrepublik Deutschland lassen auf eine sowie von über 20 Biologie-Studenten der Universität Rostock Stuttgart ausgewählt und prämiert. Am 15. Sep- sichere Zukunft des Deutschen Meeresmuseums wurde der Finnwal auf dem Gelände des NAUTINEUMs Dänholm tember 2006 legte Bundeskanzlerin Dr. Angela hoffen. Mit der Grundsteinlegung für das OZEA- bei eisiger Kälte und zeitweise im Eisregen vollständig zerlegt. Merkel zusammen mit dem Ministerpräsidenten NEUM wurde eine Vision der Mitarbeiterinnen und des Landes Mecklenburg-Vorpommern Dr. Harald Mitarbeiter des DMM ein wenig mehr Wirklichkeit. Ringstorff und dem Oberbürgermeister der Hanse- Seit vielen Jahren bestimmt nun schon die Planung stadt Stralsund Harald Lastovka im Rahmen eines dieses Museumsneubaus ihre Arbeit. Ausstellungen großen Volksfestes den Grundstein für das neue OZEANEUM (Abb. 1). In ihrer Rede sagte die Bun- Es wurden nicht nur Planungen für das OZEANEUM Obwohl die Planungs- und Sammelarbeiten für deskanzlerin: „Hier beginnen wir einen der größten durchgeführt, sondern auch schon Exponate für das das OZEANEUM einen großen Anteil der Arbeits- Abb. 4: Bildungsminister Metelmann (im Hintergrund mit Dr. Ben- und sicherlich auch beeindruckendsten Museums- zukünftige neue Haus, aber auch für die anderen zeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des ke) eröffnete den neuen interaktiven Beschäftigungsraum für Kin- bauten in ganz Deutschland.“ Weiterhin machte die Einrichtungen des DMM gesammelt bzw. in der DMM ausmachten, ging das Museum weiterhin der und jung gebliebene Erwachsene. Bundeskanzlerin folgende für das DMM relevante Werkstatt des Meeresmuseums hergestellt. So wur- seinen angestammten Aufgaben nach. Unter Aussage: „Dass der Bund sich maßgeblich an der de am 19. Januar 2006 in einer Bucht vor Wismar ein Federführung der Leiterin der Museumspäda- seerundgangs“ bereits zum dritten Mal die Foto- Finanzierung des Ozeaneums beteiligt, hat einen 16,50 Meter langer Finnwal tot geborgen. Nach einer gogik Ute Mascow wurde in Zusammenarbeit ausstellung „Leben unter Wasser“. In Kooperati- besonderen Hintergrund. Es ist schon gesagt wor- „Ausleihe“ des Kadavers nach Berlin durch Green- mit dem Gestalter Roland Heppert eine Gruppe on des Staatlichen Museums für Naturkunde in den: Das Deutsche Meeresmuseum in Stralsund peace, die mit überaus starkem Interesse der Me- interaktiver Exponate für Kinder und jung geblie- Görlitz (SMNG) mit der Abteilung Visuelle Medien gehört zu den national bedeutenden kulturellen dien weltweit verfolgt wurde, gelangte der Wal dann bene Erwachsene hergestellt. Diese Ausstellung im Verband Deutscher Sporttaucher (VDST) prä- Leuchttürmen in den neuen Bundesländern. Diese letztlich am 19. Januar 2006 nach Stralsund (Abb. 2). mit dem Titel „Erkunden – Entdecken – Staunen“ sentierte sie die Ergebnisse des Internationalen sind in dem so genannten Blaubuch der Bundes- Auf dem Gelände des NAUTINEUMs Dänholm wur- wurde mit Unterstützung des Vereins der Freun- UW-Fotowettbewerbes „Kamera Louis Bouton“. de das Tier seziert und zerlegt (Abb. 3). de und Förderer des Meeresmuseums realisiert In zehn Kategorien wurden jeweils die Preisträ- Die Knochen werden nun inzwischen vorbereitet, und am 15. Januar 2006 durch den ehemaligen gerbilder vorgestellt, dazu der Siegerfilm der um das Skelett des Wals später in der Ausstellung Bildungsminister Professor Hans-Robert Metel- Kategorie UW-Video: „Frühling in der Ostsee“. des OZEANEUMs zu präsentieren. mann eröffnet (Abb 4). Die Ausstellung wurde zusammen mit dem Direk- Um den Besuchern des Museums neben neuen tor des SMNG Professor Willi Xylander am 5. Juli Präsentationen in der Dauerausstellung auch aktu- 2006 eröffnet. elle Themen vorzustellen, werden Sonderausstel- lungen im eigenen Hause konzipiert und präsentiert Eine der erfolgreichsten Sonderausstellungen des oder aus anderen Einrichtungen für eine gewisse DMM, ist die Ausstellung „Ostsee-Küsten“. Neben Zeit ins DMM geholt. Nachdem die sehr erfolgrei- Einsätzen in zwölf Städten Deutschlands wurde sie che Sonderausstellung „Rotes Eis – Die Kanadische – bis auf Polen – in allen Anrainerstaaten der Ost- Robbenjagd“ des Internationalen Tierschutzfonds see vorgestellt. Im Januar wurde sie im Staatlichen Ende Januar auslief, wurde am 1. Februar 2006 Museum für Naturkunde Görlitz (21. Einsatzort) eine eigene Sonderausstellung des DMM mit dem präsentiert. Titel „Lofoten – Lofotfischerei“ mit Fotos von Rolf Reinicke eröffnet. Weiterhin wurden die Ausstel- Jüngeren Datums, aber nicht weniger erfolg- lungen „Baltic Lights – Leuchttürme der Ostsee“, reich, ist die DMM-Ausstellung „Störe – bedroh- erstellt vom Wasser- und Schifffahrtsamt Stral- te Giganten – lebende Fossilien“. Im Berichtsjahr Abb. 1: Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel legte am 15. Septem- sund (3. März bis 15. Mai 2006) und „Das Echolot wurde sie in den Städten Itzehoe, Bremerhaven ber 2006 zusammen mit dem Ministerpräsidenten des Landes – Die Tiefe hören“ vom IfM-GEOMAR (Eröffnung: und Buxtehude gezeigt. Eine weitere häufig Mecklenburg-Vorpommern Dr. Harald Ringstorff und dem Ober- Abb. 2: Am 19. Januar 2006 gegen Abend wurde der vor Wismar 9. Oktober 2006) gezeigt. angeforderte Sonderausstellung des DMM ist die bürgermeister der Hansestadt Stralsund Harald Lastovka den gestrandete 16,50 Meter lange Finnwal auf dem Gelände des Als weitere Sonderausstellung zeigte das DMM Ausstellung „Korallenriffe – bedrohte Wildnis in Grundstein für das neue OZEANEUM. NAUTINEUMs abgeladen. während der Sommermonate im Verlauf des „Ost- tropischen Meeren“, die im Wattenmeerhaus in

168 169 menstellung im Kanonenschuppen auf der Stral- Außenstellen sunder Kronlastadie als „Infopunkt OZEANEUM“ wieder aufgebaut und am Weltumwelttag am Als ein Baustein zur weiteren Bekanntmachung 5. Juni 2006 in Anwesenheit des Umweltministers des NAUTINEUMs wurde die Vortragsreihe Professor Wolfgang Methling eröffnet. Sie dient „Montagabend im NAUTINEUM“ eingeführt. Die- seither als Informationszentrum über das Projekt se Vorträge erzielten im Berichtsjahr große Besu- OZEANEUM, und konnte im Berichtsjahr 9 254 cherresonanz. Das Interesse ist bestimmt auch Besucher begrüßen (Abb. 7). der Tatsache geschuldet, dass die Vortragsteil- nehmer an dem Abend die Möglichkeit haben, vor Die von der Deutschen Bundestiftung Umwelt finan- dem Vortrag die Ausstellungen der Einrichtung zu zierte und von der wissenschaftlichen Mitarbeiterin besuchen. Teilweise wurden hier auch Führungen Ines Podszuck koordinierte Sonderausstellung Mee- über das Freigelände durch die betreuenden Mit- resWelten in der blauen Traglufthalle im Hafen von arbeiter angeboten. Abb. 5: Die Ausstellung über das OZEANEUM in der Landesver- Stralsund lief nach fünf erfolgreichen Betriebsjahren Abb. 9: Die Bilder der Bemühungen des neuen Männchens der tretung Mecklenburg-Vorpommerns wurde zur erfolgreichsten am 31. Oktober 2006 aus. Insgesamt hatten 120 000 Sowohl im NAUTINEUM als auch in der zweiten Unechten Karettschildkröte (oben) erschienen sogar in der chine- Präsentation seit Bestehen dieser Einrichtung in Berlin. Besucher diese Ausstellung gesehen. In der Gale- Außenstelle des DMM, im NATUREUM Darßer sischen Medienberichterstattung. rie von MeeresWelten wurden im Berichtsjahr zwei Ort, wurde die Attraktivität der Ausstellung wei- Wilhelmshaven und im Natureum Niederelbe zu Sonderausstellungen gezeigt: „Treibhaus Erde“ der ter erhöht. Im Berichtsjahr konnte das 15-jährige weiter reduziert werden. Nicht nur Gestaltung und sehen war. BUND-Jugend Deutschland vom 4. Mai 2006 bis Jubiläum dieser Außenstelle des DMM gefeiert Technik der Aquarien wurden optimiert. Auch der Eine der bedeutendsten Sonderausstellungen zum 10. August 2006 und „Zwischen Tellerrand und werden (Abb. 8). Seit Eröffnung des NATURE- Tierbestand wurde ergänzt. Es fanden im Berichts- in der Geschichte des DMM war die Ausstellung UMs im Jahre 1991 besuchten bereits 1 850 000 jahr insgesamt 35 Tiertransporte statt. Herauszu- „OZEANEUM Stralsund – Lebensräume im und Besucher diese naturkundliche Einrichtung. heben ist hier der Einzug einer neuen männlichen am Meer“ in der Landesvertretung Mecklenburg- Unechten Karettschildkröte (Caretta caretta), die Vorpommern in Berlin vom 5. April bis 7. Mai des von polnischen Kollegen des Aquariums in Gdynia Berichtjahres (Abb. 5). Die Eröffnung wurde durch übernommen wurde (Abb. 9). Zur Bereicherung der den Kulturstaatsminister Bernd Neumann (BKM), Artenvielfalt in den Aquarien wurden eine Exkursion den Staatsekretär Engelbert Lütke-Daldrup (Bun- nach Fiskebäcksskil, Schweden und Fangfahrten desministerium für Verkehr, Bau und Stadtent- nach Hiddensee, Zingst und Poel durchgeführt. Im wicklung), den Minister Hans-Robert Metelmann Tropenbereich konnten einige größere Tiere, wie (Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur des zwei Ammenhaie und einen Schwarzspitzenriffhai, Landes Mecklenburg-Vorpommern) und den Ober- erworben werden. bürgermeister der Hansestadt Stralsund Harald Lastovka vorgenommen (Abb. 6). Die Ausstellung Für die Wasserversorgung der Aquarien wur- wurde zur erfolgreichsten Präsentation in der Lan- den 21590 Kilogramm Meersalz verbraucht. Der desvertretung Mecklenburg-Vorpommerns seit Bedarf an Meerwasser lag bei 647 700 Liter und Bestehen dieser Einrichtung in Berlin. Die Exponate somit deutlich niedriger als im Vorjahr. Diese wurde anschließend in leicht veränderter Zusam- Reduzierung wurde durch den Einbau eines Sieb- Abb. 7: Bundeskanzler a.D. Gerhard Schröder informierte sich Abb. 8: Am 17. Juni 2006 wurde im NATUREUM in Anwesen- trommelfilters im Schildkrötenaquarium ermög- anlässlich eines Besuches mit dem Ministerpräsidenten des Lan- heit von Vertretern kooperierender Einrichtungen und zusammen licht. Das Wasser im Becken ist deutlich klarer und des Mecklenburg-Vorpommern Dr. Harald Ringstorff und dem mit den langjährigen Mitarbeitern das 15-jährige Jubiläum dieser der Salzverbrauch geringer. Landwirtschaftsminister Dr. Till Backhaus im INFOPUNKT über Außenstelle gefeiert. den Baufortschritt des OZEANEUMs. Die Gesunderhaltung des Tierbestandes wurde durch die regelmäßigen Wasseranalysen und Mehr“, mit Grafiken von Olga Flack aus Duisburg, Aquarien sich anschließende Korrekturmaßnahmen sicher- vom 16. August 2006 bis zum 31.Oktober 2006. gestellt. Eine abwechslungsreiche, artgerechte Als gemeinsames Sonderausstellungsprojekt wurde Im NATUREUM und besonders im Meeresmuse- Fütterung und der gezielte Einsatz von Vitami- in Kooperation mit dem WWF-Deutschland im um dienen die Aquarien als lebende Ergänzung der nen, Mineral- und Zusatzstoffen gewährleisteten Berichtsjahr die Erlebnis-Ausstellung „Kaltwasser- Ausstellungen. Sowohl die Gestaltung der Aqua- einen guten Gesundheitszustand der Tiere im Korallenriffe in unseren Meeren“ vom Korallenriff- rienbecken als auch die Aquarientechnik werden Aquarium ökologen des DMM Dr. Götz-Bodo Reinicke, konzi- ständig verbessert. So wurde die Filtertechnik auf piert. Mit Unterstützung privater Spenden konnten einen technisch besseren Stand gebracht, was für dieses Vorhaben durch den WWF Mittel der zu weniger Meerwasserverbrauch und damit zur Besuchermagnet Abb. 6: Anhand der Architekturmodelle erläuterte Direktor Dr. Norddeutschen Stiftung für Umwelt und Entwicklung Reduzierung der Betriebskosten führte. Die Aqua- Harald Benke dem Kulturstaatsminister Bernd Neumann (BKM, (NUE) eingeworben werden, die die Realisierung ei- rien mit ihrer Beleuchtung und den starken Pum- Durch die ständige Steigerung der Attraktivität Bildmitte) und dem Staatsekretär Engelbert Lütke-Daldrup (Bun- nes eindrucksvollen Raumerlebnisses erlaubten. Sie pensystemen sind die größten Energieverbraucher der Ausstellungen und Aquarien ist das DMM desministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung; links) das wurde in der Sonderausstellung MeeresWelten des im DMM. Durch den Einsatz moderner, energiespa- weiterhin ein Besuchermagnet und das meistbe- Bauvorhaben OZEANEUM. Rechts im Bild: Der Oberbürgermeis- DMM bis zum Abschluss des Projektes am 31. Ok- render Leuchtmittel konnte der Energieverbrauch suchte Museum Norddeutschlands. Im Berichts- ter der Hansestadt Stralsund, Harald Lastovka. tober 2006 gezeigt. bei gleichzeitig gesteigerter Beleuchtungsqualität jahr besuchten 548 041 Gäste das DMM. Damit

170 171 Abb. 10: Besucherschlangen vor dem Eingang zum Meeresmu- Abb. 12: Professor Gotthilf Hempel, Ehrenmitglied im wissenschaft- seum gehören zum gewohnten sommerlichen Stadtbild. lichen Beirat des DMM (rechts im Bild, mit Dr. Götz-Bodo Reinicke), referierte am Rande der Tagung über Beispiele sozio-ökonomischen gehört das DMM zu wenigen Museen in Deutsch- Wandels in den Dörfern kenianischer Küstenfischer. land, die über 500 000 Besucher im Jahr ver- zeichnen können (Abb. 10). die große internationale Naturschutztagung „Marine Nature Conservation in Europe 2006“, die durch den Umweltminister des Landes Mecklenburg- Wissenschaftliche Öffentlichkeitsarbeit Vorpommern Professor Wolfgang Methling eröff- net wurde (Abb. 11). An der erfolgreichen Tagung, Das DMM ist aber nicht nur ein Ausstellungs- und die vom 8. bis zum 12. Mai 2006 in den Räumen Forschungsmuseum. Es sieht seine Funktion auch des DMM statt fand, nahmen Wissenschaftler und als Vermittler zwischen Wissenschaft, Behörden Behördenvertreter aus der ganzen Welt teil. Im Rah- und der Öffentlichkeit. Zusammen mit dem Bun- men dieser Veranstaltung hielt Professor Gotthilf desamt für Naturschutz (BfN) veranstalte das DMM Hempel, Ehrenmitglied im Beirat des DMM, einen Abendvortrag über Umweltschutzprojekte an der Küste Kenias (Abb. 12). Ebenfalls in Zusammen- Abb. 14: Die Tage des Meeres während der Herbstferien gehören zu den Hauptveranstaltungen im Programm der Abteilung Museums- arbeit mit dem BfN fand vom 26. bis 27. September pädagogik. 2006 die Fachtagung „Kormorane“ im DMM statt. Bedingt durch das kontroverse Thema kam es hier Zum 50. Todestag des Museumsgründers Pro- Kolloquium fand reges Interesse bei Vertretern der zu intensiven Diskussionen der Teilnehmer. Erfreu- fessor Dr. Otto Dibbelt wurde am 18. Mai 2006 Wissenschaft, Kultur und Öffentlichkeit. Anlässlich lich war jedoch, dass auf dieser Veranstaltung die ein Ehrenkolloquium abgehalten (Abb. 13). Dieses dieses Jubiläums erschien der Band 19 der haus- zukünftige Zusammenarbeit der unterschiedlichen eigenen Publikationsreihe MEER UND MUSEUM Interessenvertreter geplant wurde. mit dem Titel „Otto Dibbelt und die Entstehung des Natur-Museums in Stralsund“. In bewährter Form wurde die fachliche Konzeption und Erarbeitung der Themen für die Ausstellungen des OZEANEUMs durch Vorträge von Fachkollegen unterstützt, die in mehreren Fällen am folgenden Tag für eingehende Nachbesprechungen und Diskussionen den Mitarbeiterinnen und Mitarbei- tern des DMM zur Verfügung standen. Professor Karsten Reise vom Alfred-Wegner-Institut in List auf Sylt stellte den Lebensraum Wattenmeer vor. Professor Gerold Wefer vom MARUM in Bremen berichtete über moderne Tauchtechnik und Pro- fessor Wolfgang Wägele, Direktor des Museums Alexander Koenig in Bonn, berichtete über aktuelle Biodiversitätsforschung. Dr. Gerd Wegener von der Abb. 13: Ehrenkolloquium anlässlich des 50. Todestages von Bundesforschungsanstalt für Fischerei in Hamburg Professor Otto Dibbelt. Von links: Gerhard Schulze (Gasteditor referierte über Fischereiforschung und Profes- des Bandes MEER UND MUSEUM über O. Dibbelt), Dr. Harald sor Dietbert Thannheiser, Emeritus der Universität Abb. 11: Umweltminister Wolfgang Methling eröffnete die inter- Benke (Direktor), Dr. Sonnfried Streicher (ehem. Direktor), Klaus Abb. 15: Kollegin Anita Riechert konzipierte und gestaltete den Hamburg, berichtete über das Leben der Inuit im nationale Tagung „Marine Nature Conservation in Europe 2006“. Harder (verantwortlicher Kurator). mehrbändigen Museumsführer für blinde Besucher. Zeitalter des Klimawandels.

172 173 Während der „Tage des Meeres“ unter dem Thema akustischer Methoden (PODs), welches ein Teil- der beiden potentiellen Konkurrenten Edelkrebs Neben den aus den wissenschaftlichen Arbeiten „In den Tiefen der Meere“ vom 23. bis 27. Oktober projekt des Verbundvorhabens MINOS plus ist, und Camberkrebs in der Barthe durchgeführt. Ein resultierenden Fachpublikationen erstellten die 2006 wurde von den Museumspädagogen unter Lei- Untersuchungen an Schweinswalen in der Ost- Projekt zur Entwicklung der Edelkrebsproduktion in Wissenschaftler des DMM auch eine Reihe von tung von Ute Mascow ein umfangreiches Programm see als Grundlage für die Implementierung des M-V wurde von der wissenschaftlichen Mitarbeite- populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen. angeboten, das durch thematische Vorträge und Bestandserholungsplanes für die Schweinswa- rin Ines Podszuck, gemeinsam mit der Landesfor- Führungen der Wissenschaftler bereichert wurde. le der Ostsee (Jastarnia Plan); Erfassung von schungsanstalt für Fischerei in Rostock, beratend Insgesamt erlebten in diesem Jahr 7 738 Besucher Schweinswalen in der deutschen AWZ der Ostsee unterstützt. Das Ziel ist der Aufbau von Elternbe- Wissenschaftliche Sammlungen die Tage des Meeres (Abb. 14). mittels Porpoise Detektoren (POD). Diese Projekte ständen der regionalspezifischen Flusskrebsarten wurden durch die wissenschaftlichen Mitarbeiter zur Erzeugung von Satzkrebsen bei gleichzeitigem Das im Jahr 2005 begonnene Projekt „Entwicklung Eine ganz neue Art von Publikation des Deutschen des Projektes Ursula Verfuß, Anja Meding, Chris- Schutz und Entwicklung der aquatischen Ressour- der Sammlungsdatenbank MeDuSa für das DMM“ Meeresmuseums wurde am 31. Mai 2006 der topher Honnef und Michael Dähne koordiniert. Die cen in Mecklenburg-Vorpommern. wurde in Zusammenarbeit mit der Fachhochschu- Öffentlichkeit vorgestellt. Die Museumsgrafikerin finanziellen Mittel für diese Vorhaben wurden durch le Stralsund im Berichtsjahr fortgesetzt. Nach dem des Hauses, Anita Riechert, hatte in mühevoller das Bundesumweltministerium und das Bundes- Hauptaufgabe der Forschungsaufgaben im Fach- Ausscheiden von PD Dr. Ralf Thiel wurde die Pro- Arbeit einen Ausstellungsführer für Blinde Men- amt für Naturschutz zur Verfügung gestellt. Von den bereich Meereskunde/Fischerei war das laufende jektleitung von Dr. Götz-Bodo Reinicke übernom- schen entwickelt. Dieses umfangreiche Werk fand Wissenschaftlern der Schweinswalarbeitsgruppe Vorhaben „Küsten-Monitoring Ostsee“, bei dem men. Nach der Fertigstellung des Moduls Fischerei überaus großes Interesse bei blinden Besuchern des DMM wurde ein Netz von 39 Messstationen einerseits eine fortlaufende Dokumentation der wurde 2006 das erste Modul für naturwissenschaft- des DMM und wurde von Blindenverbänden als mit Klickdetektoren in der gesamten deutschen küstendynamisch bedingten Veränderungen aus- liche Sammlungsobjekte erarbeitet. Angebot sehr begrüßt (Abb. 15). Ostsee, von der Flensburger Förde im Westen gewählter Küstenabschnitte auf der Insel Rügen bis zur Oderbank im Osten, errichtet und betreut. und Fischland-Darß-Zingst, andererseits beson- In der Präparationswerkstatt verdichteten sich die Die erzielten Daten zeigen nicht nur ein deutliches ders bemerkenswerte Küstenveränderungen durch Arbeiten zur Herstellung der Schauexponate für Forschung Verteilungsmuster der Schweinswale in den deut- episodische Ereignisse an problemlos erreichbaren das OZEANEUM (Abb. 16). Museumspräparator schen Gewässern der Ostsee, sondern auch ein Punkten der Ostseeküste von Mecklenburg-Vor- Volkhardt Heller hospitierte für sechs Wochen am Wie schon in den vergangenen Jahren wurde der saisonales Wanderverhalten der Tiere. Die Unter- pommern dokumentiert wurden. „Museum der Natur“ in Gotha, um in Kooperation wissenschaftliche Anteil der Museumsarbeit weiter suchungen lieferten wichtige Erkenntnisse für die ausgebaut. Die im Folgenden vorgestellten For- stark bedrohten Schweinswale in der Ostsee und schungsvorhaben stehen exemplarisch für eine werden zukünftig als Grundlagen für notwendige Vielzahl von Forschungsarbeiten am DMM. Managementmaßnahmen dienen.

Im Berichtsjahr wurden mehrere umfangreiche vom Die Arbeiten zum F&E-Vorhaben „Digitale Erfas- Bund geförderte Drittmittelprojekte und ein vom sung und Dokumentation der Typenbestände an Land Mecklenburg-Vorpommern gefördertes Projekt Octocorallia“ sowie „ausgewählter Hydrozoa und durchgeführt. So wurde das F+E-Vorhaben: „Erfas- Scleractinia in deutschen Museums-Sammlun- sung von FFH-Anhang II-Fischarten in der deutschen gen“ wurden in 2006 mit dem wissenschaftlichen AWZ von Nord- und Ostsee (ANFIOS)“ weitergeführt, Mitarbeiter Lars Jürgens abgeschlossen. Koor- das durch das Bundesamt für Naturschutz gefördert diniert wurden diese Untersuchungen durch Dr. wird. Die im Rahmen dieses Projektes sowie weite- Götz-Bodo Reinicke. rer Untersuchungen zur Habitatnutzung von Fischen erhobenen Daten fließen in die Arbeiten im Rah- Im Rahmen des von der wissenschaftlichen men des Netzwerkes „Multidisciplinary analysis of Mitarbeiterin Dr. Dorit Liebers-Helbig geleiteten diadromous fish in a globally changing environment DFG-Projektes „Radiation von Großmöwen im - DIADFISH” sowie in die Arbeit des Internationalen Larus argentatus-fuscus-cachinnans-Komplex“, Rates für Meeresforschung (ICES) ein. das in den DFG-Schwerpunkt „Radiationen - Genese biologischer Vielfalt“ eingebettet ist, wur- Das 2004 begonnene Meeressäugertodfund- de im Berichtsjahr mit einer Promotion begonnen. Monitoring in Mecklenburg-Vorpommern wurde in Frau Dipl.-Biologin Viviane Sternkopf arbeitet Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Umwelt, seit dem 1. Juli 2006 als Projektmitarbeiterin am Naturschutz und Geologie in Güstrow fortgesetzt. DMM. Im Möwen-Projekt gibt es eine enge Koo- Die Robben- und Schweinswaltodfunde und -beo- peration mit Professor Peter de Knijff von der Uni- bachtungen in den Gewässern von Mecklenburg- versität Leiden (Holland), der als Zweitgutachter Vorpommern wurden regelmäßig erfasst und die die Arbeiten betreut. Bergung organisiert. Koordiniert wird das Meeres- säugertotfund-Monitoring am DMM durch den Auch die Untersuchungen zur Verbreitung der Kreb- wissenschaftlichen Mitarbeiter Klaus Harder. se in Ostsee und Bodden konnten in Zusammenar- beit mit dem Institut für Ökologie Kloster/Hiddensee Folgende Drittmittelprojekte in der Schweins- der Universität Greifswald fortgesetzt werden. Bei walforschung wurden im Berichtsjahr fortge- der Fortführung des Programms zur „Rettung des setzt: Untersuchungen zur Raumnutzung durch deutschen Edelkrebses in Fließgewässern in M-V“ Abb. 16: Fische sind die häufigsten neuen Exponate für die Ausstellungen im OZEANEUM – hier die Herstellung eines Meeraales von Schweinswale in der Nord- und Ostsee mit Hilfe wurden Untersuchungen zu den Habitatansprüchen beachtlicher Größe.

174 175 mit dem dortigen Präparator sechs Robben- und und einer ozeanographischen Schwebstofffalle Seehund-Präparate zu schaffen. Die Einrichtung zu nennen. Die aufwendige Instandsetzung und eines DMM-eigenen Sektionsraumes für Meeres- Konservierung des Tauchbootes „GEO“ des Ver- säuger auf dem Gelände des NAUTINEUMs haltensforschers Professor Hans Fricke und des Dänholm wurde begonnen. Hier werden zukünftig ersten deutschen Tiefseelanders, der sogenannte bedeutend bessere Möglichkeiten für die Unter- „Urlander“, wurde im Rahmen einer AB-Maßnahme suchung und Sektion von toten Meeressäugern abgeschlossen. Weiterhin wurde mit der konserva- geschaffen. torischen Aufarbeitung der BAH-I und des Unterw asserschweißhabitates begonnen. Alle Sanierungs- Gleich zu Jahresbeginn wurde am 14. Janu- und Rekonstruktionsmaßnahmen erfolgten mit Hilfe ar 2006 von einem Angler ein toter Finnwal auf von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen des Arbeits- einer Sandbank vor Wismar entdeckt. Das Ske- amtes Stralsund. lett wurde geborgen und zur Mazeration im Wal- Container auf dem REWA-Gelände vorbereitet. Im Die sehr umfangreiche private ornithologische Berichtsjahr wurden weiterhin acht tote Kegelrob- Fachbibliothek von Professor Dr. Andreas Helbig ben registriert. 32 Schweinswal-Todfunde (davon wurde als Schenkung an das DMM übergeben. Der fünf Beifänge) wurden geborgen und untersucht. gesamte Bestand wird als eigenständiger Teil der Elf weitere Schweinswale konnten nicht geborgen Bibliothek des DMM erfasst und katalogisiert. Für werden, da die Fundorte unzugänglich waren. Mit die Aufstellung der Bücher konnte eine Kompak- insgesamt 51 registrierten Meeressäuger-Todfun- tus-Anlage erworben werden, die zusammen mit den wurde durch den wissenschaftlichen Mitarbei- Bibliothek und Archiv des DMM im Burmeisterhaus ter Klaus Harder die bisher höchste Zahl pro Jahr untergebracht wurde. im DMM registriert.

Im Sammlungsbereich Mollusca wurde auf der Personelles Grundlage digitaler Bestandslisten, die in 2005 begonnene schrittweise Inventur und Neuord- Das Deutsche Meeresmuseum hat in den letzten nung der Sammlungen fortgesetzt. Mit Ausnahme Jahren als kultureller Leuchtturm und „Blaubuch- der Sammlung Enzenroß ist seit der letzten Inven- Einrichtung“ zunehmend gesamtstaatliche Aufga- tur vor circa 15 Jahren eine vollständige Revision ben übernommen. Die Aufnahme des Projektes Abb. 17: Die vielseitigen Angebote der museumspädagogischen Abteilung bilden wichtige Elemente der Außenwirkung des Museums. der Sammlung, inklusive der Eingliederung bisher OZEANEUM reflektiert diesen Bedeutungszuwachs separater Teilbestände erforderlich geworden. In in eindrucksvoller Weise, stellt jedoch gleichzeitig waren über mehr als 20 Jahre an der Lenkung der sich das DMM mit der Idee des OZEANEUMs. Fortsetzung der Arbeiten des Vorjahres ermöglich- hohe Anforderungen an den gleichbleibenden Mit- Geschicke des Hauses beteiligt. Nach dem Aus- Bereits Ende 2005 hatte das DMM den Antrag te die Mitarbeit von Katrin Schniebs und Nicole arbeiterstab. Bei unverändert starkem Besucher- scheiden von Brigitta Vogt übernahm die langjährige auf Teilnahme eingereicht und wurde neben 364 Schröder-Rogalla vom Museum für Tierkunde in betrieb im Stammhaus am Katharinenberg erfor- Fachbereichssekretärin Ines Westphal die verant- anderen Teilnehmern aus über 1 000 Bewerbern Dresden die Revision der Hauptsammlung Bivalvia dern die vorbereitenden Arbeiten für Bau, Aquarien wortungsvollen Aufgaben im Direktionssekretariat. ausgewählt. Eine Festveranstaltung mit pädago- weiter fortzusetzen. und Ausstellungen des Neubaus auf der Hafeninsel gischen Angeboten bildete den Rahmen der Prä- hohen Einsatz des Kollegiums. Für ihre langjähri- Als neue Mitarbeiter nahmen im Berichtsjahr fol- sentation im Infopunkt OZEANEUM. Dem DMM Der Ankauf der Steinkorallensammlung von Pro- ge Mitarbeit am DMM konnten im Berichtsjahr fol- gende Kollegen ihre Tätigkeit am DMM auf: wurde als ausgewählter Ort eine Urkunde des fessor Helmut Schuhmacher der Universität Essen gende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besonders Stefan Hohenstein als Leiter der Verwaltung und Bundespräsidenten Horst Köhler, ein Pokal und wurde fortgesetzt. Im Rahmen des F&E-Vorhaben geehrt werden: Mitglied der Geschäftsleitung, Dr. Nicole Kube als eine Tafel überreicht. „Digitale Erfassung und Dokumentation der Typen- Leiterin des Fachbereiches Aquarium, Karin Grüger bestände an Octocorallia sowie ausgewählter 20-jährige Betriebszugehörigkeit: als Leiterin des Besucher-Service, als Buchhalterin Während der Jahrestagung der European Ceta- Hydrozoa und Scleractinia in deutschen Museums- Jens Heischkel verstärkt Melanie Skrzypczak die Verwaltung der cean Society vom 22. bis 26. April 2006 in Gdynia Sammlungen“ wurde der vorliegende Datenbestand großen Projektvorhaben und Sylvia Zielke über- (Polen) wurden Diplom-Biologin Ursula Verfuß und zu dieser Sammlung anhand der Originalobjekte 15-jährige Betriebszugehörigkeit: nahm die Aufgaben der Sekretärin im Fachbereich Dr. Harald Benke für ihre langjährigen Verdienste revidiert und vervollständigt. Andreas Tanschus Wissenschaft. Im Zuge der Vorbereitungen für das um die europäische Walforschung ausgezeichnet. Ines Schult OZEANEUM übernahm Dr. Thomas Förster als Pro- Die Sanierung von Sammlungsobjekten gehörte Lisa Wendling jektleiter die Koordination der Ausstellungsvorberei- Am 24. November 2006 wurde dem Direktor im Berichtsjahr zu den umfangreichen Instandset- tungen, Nils Janzen die Betreuung der technischen des DMM durch den Präsidenten des Bundes- zungsarbeiten im Fachbereich Meereskunde. Als 10-jährige Betriebszugehörigkeit: Anlagen und Jens Oulwiger die Leitung des vorbe- amtes für Seeschifffahrt und Hydrographie die Leiter der Arbeitsgruppe für die Konzeption der Brigitte Jarling reitenden Marketings. Seewartmedaille verliehen. Die Medaille wurde Ausstellung Erforschung und Nutzung im OZEA- Ursula Neumann 1881 durch Kaiser Wilhelm I. eingeführt. Sie ist NEUM hat Michael Mäuslein zudem verstärkt die Ellen Karoske die einzige Auszeichnung der Bundesregierung Beschaffung attraktiver Exponate aus dem Bereich Auszeichnungen im maritimen Bereich. Die Auszeichnung wurde der Meeresforschungstechnik verfolgt. Unter den Angelika Vogel und Brigitta Vogt beendeten im dadurch begründet, dass Dr. Harald Benke den zehn größeren Objekten sind die Neuerwerbung Berichtsjahr ihre aktive Arbeit am DMM und traten Im Rahmen des bundesweit ausgelobten Wett- Forschungsanteil des DMM seit seinem Amtsan- eines Modells des Tauchroboters CHEROKEE in den wohlverdienten Ruhestand. Beide Kolleginnen bewerbs „Deutschland - Land der Ideen“ bewarb tritt erheblich erweitert hat. Weiterhin nimmt das

176 177 DMM eine ganz besondere Funktion als Schnitt- tern erreicht werden, von denen jede/r einzelne authentischen Exponaten und modernen Medien stelle zwischen Wissenschaft und Wissensver- an den Vorraussetzungen für eine erfolgreiche die Besucher fesseln und für die Meere begeistern. mittlung wahr. In der Laudatio hieß es: „Es leistet Zukunft des DMM mitwirkt. Der im Bau befindli- Einen ersten Einblick in das OZEANEUM kann man einen wesentlichen Beitrag, um die Bedeutung che Ersatz-Neubau für die Museumswerkstätten über die neu erstellte Internetseite www.ozeaneum. der Meere, ihren besonderen Reiz, aber auch die und Flüssigkeitssammlungen auf dem Gelände de erhalten. damit verbundenen Probleme der Öffentlichkeit am Katharinenberg in Stralsund wird weitere Vor- nahe zu bringen.“ In der Person des Direktors raussetzungen für eine qualitätsvolle Museums- Auf der Baustelle wurde im Berichtsjahr die Pfahl- wollte die Bundesregierung die außerordentli- arbeit schaffen. gründung fertig gestellt. Insgesamt wurden 660 chen Leistungen des Deutschen Meeresmuse- Vollverdrängungsbohrpfähle bis zu 30 Meter tief ums würdigen. Das Deutsche Meeresmuseum steht aber einer in den Untergrund niedergebracht (Abb. 18). Die wachsenden nationalen und internationalen den Bau begleitenden archäologischen Bergungs- Konkurrenz gegenüber. Besonders kommerziell und Dokumentationsmaßnahmen förderten etwa Entwicklungs- und Zukunftsplanung betriebene Einrichtungen wie SeaLife Center 200 000 Einzelfunde zu Tage. Der Rohbau konnte oder multifunktionale Erlebniswelten setzen die infolge eines Vergabenachprüfverfahrens, welches Seit der Wiedervereinigung haben sich die Auf- traditionell gewachsenen Museen und Aquarien vor der Vergabekammer des Bundes beim Bun- gaben des Deutschen Meeresmuseums als nati- zunehmend unter Handlungsdruck. Als meistbe- deskartellamt verhandelt wurde, erst mit dreimo- onal bedeutsames Museum erheblich erweitert. suchtes Museum des Nordens besitzt das DMM Abb. 19: Als Ergebnis eines Malwettbewerbes wurden etwa natiger Verspätung beauftragt werden. Nach der Auch wurden die Bereiche der Ausstellungen und das Potential, sich als hochwertige wissenschaft- 250 Meter Bauzaun am OZEANEUM mit bunten Küsten- und Baustelleneinrichtung erfolgten im Gewerk Rohbau Aquarien enorm vergrößert. So wurde die neue lich-pädagogische Institution zu behaupten und Meeresmotiven bemalt. zunächst die Tiefbau- und Erdarbeiten. Die Stahl- Außenstelle NAUTINEUM Dänholm geschaffen, wegen seines anhaltenden, herausragenden betonarbeiten schritten soweit voran, dass in den die ehemalige Turnhalle als FORUM Meeresmu- Erfolges weiter zu entfalten. Es benötigt für seine Stellung als eine Hauptattraktion der Hansestadt Bereichen der Aquarientechnik die Baukörper bis seum umgebaut und der Neubau eines Meeres- langfristige Existenzsicherung und zur Untermau- Stralsund und der Region mit dem nachgewiese- zur Ebene eins weitestgehend fertig gestellt wer- schildkrötenbeckens mit neuen Bereichen für erung seiner wissenschaftlich-pädagogischen nen wirtschaftsfördernden Potential zu behaup- den konnten. Der Baufortschritt bei den Stahlbau- Sonderausstellungen errichtet. Die hohen Besu- Tätigkeit eine umfangreiche Erweiterung, um sein ten. arbeiten ließ Ende des Berichtsjahres bereits die cherzahlen und die damit hohen Eigeneinnahmen Profil zu schärfen und seine Ausstrahlung signifi- Der größte Erweiterungsschritt in der Geschichte Dimensionen und Konturen des Gebäudekomple- des DMM sind ein Beweis für die große Attrak- kant zu erhöhen (Abb. 17). Nur auf diesem Wege des DMM, der der Stiftung einen international xes erkennen. tivität des Museums. Diese Ergebnisse konnten wird es langfristig gelingen, sich von der Konkur- bedeutsamen Status einräumen soll, wird der Bau nur durch ein überaus hoch engagiertes Team renz abzusetzen, die erforderlichen Besucher- des OZEANEUMs auf der nördlichen Hafeninsel Ein Malwettbewerb der Marketingabteilung über von Museumsmitarbeiterinnen und Mitarbei- zahlen und Einnahmen zu realisieren sowie seine in Stralsund sein. Es ist ein großes Ausstellungs- Motive des Meeres auf dem Bauzaun (Abb. 19) setz- haus mit attraktiven Kaltwasseraquarien und groß- te auch in diesem Bereich großen öffentlichen Inte- zügigen Ausstellungen zu den Themen Weltmeer, resses an den Fortschritten des Vorhabens einen Ostsee, Meeresforschung und Meeresnutzung, Ein publikumsbezogenen Akzent. Die Mitarbeiterinnen Meer für Kinder und Riesen der Meere. Im Aqua- und Mitarbeiter des Deutschen Meeresmuseums rienbereich des Neubaus soll der Besucher eine schließen inzwischen die Feinkonzepte für die Aus- Unterwasserreise von der Ostsee, dem Meer vor der stellungen und die Planung der Aquarien ab. Die Haustür, über Kattegatt, Skagerrak, Nordsee und Eröffnung dieses sowohl in der Architektur- als auch Nordatlantik bis in die arktische Region unterneh- in der Museumsszene stark beachteten Museums- men. Der museale Bereich wird mit hervorragenden neubaus ist für den Sommer 2008 geplant.

Abb. 18: Im Sommer 2006 waren auf dem Bauplatz lediglich die Gründungspfähle und die ersten Fundamente zu erkennen.

178 179 Buchbesprechung Buchbesprechung

Unter Wasser bei der amerikanischen Marine. Ende der 1960iger Faszination Meeresforschung schaftler gebeten, ihre Sicht auf die verschie- Jahre machte er als Mitglied einer Eliteeinheit der Navy Ein ökologisches Lesebuch densten Fragen der Meeresforschung und ihre Bill Curtsinger (Hrsg.) Unterwasseraufnahmen in der Antarktis. Bereits 1968 Arbeitsgebiete darzulegen. Die einzelnen Beiträ- Frederking & Thaler, München 2006 begann er Meeressäuger zu fotografieren – große Gotthilf Hempel, Irmtraud Hempel, Sigrid Schiel (Hrsg.) ge werden durch Informationskästen, ein Glos- 407 S., ca. 410 farbige Abbildungen. Wale, Delfine, Robben und Walrösser. Er hatte damals Verlag H.M. Hauschild, Bremen, (2006). Mit Unterstützung des sar sowie Hinweise auf weiterführende Literatur keinen der heute üblichen Trockentauchanzüge, die Alfred-Wegner-Instituts, Bremerhaven. 462 S., zahlreiche Illustrati- und Informationsressourcen im Internet wirksam onen und graphische Darstellungen. auch bei polaren Temperaturen noch ein komfor- ergänzt. tables Tauchen ermöglichen, und die technischen Ganz im Sinne eines Lesebuchs werden unter Möglichkeiten sowohl der Tauchgeräte als auch der dem großen Thema „Meeresbiologie“ über 90 Unterwasserkameras waren begrenzt. Umso bemer- abgeschlossene Beiträge geboten. Man muss kenswerter ist die Qualität seiner Bilder, die unter das Buch also nicht systematisch durcharbei- Extrembedingungen entstanden sind. Viele der dar- ten, sondern kann ohne Probleme auch mit ei- gestellten Tierarten wurden nie zuvor fotografiert. Seit nem beliebigen Aufsatz einsteigen. Berücksich- 1970 veröffentlichte Bill Curtsinger 33 Reportagen in tigt werden die unterschiedlichsten marinen der Zeitschrift National Geographic, darunter sechs Lebensräume der Erde ebenso wie die Vielfalt Titelgeschichten. In der Juni-Ausgabe 2003 war seine der Organismen von den Bakterien bis zu den jüngste Reportage über Schweinswale zu lesen. Walen, z.B. „Das Leben im Eispalast – Flora und Fauna des arktischen Meereises“, „Die Ostsee“, Curtsinger selbst versteht sich als Künstler und „Das Bakterioplankton – Riese und Regulator Biologe. Das hier vorliegende Werk spannt einen wei- im marinen Stoffumsatz“ oder „Eisendüngung – ten Bogen über seine Arbeiten während der letzten Großexperimente im offenen Ozean“. Auch über rund 35 Jahre. Es sind einmalige Nahaufnahmen von Themen wie Einfluss des Klimawandels auf mari- Haien, Walen, Robben, Walrössern, Pinguinen, Schild- ne Ökosysteme, Geschichte der Meeresbiologie kröten und vielen verschiedenen Fischarten, aber auch und Meeresschutz wird berichtet. Das Buch ist von Quallen und anderen wirbellosen Tieren. Neben geeignet, Begeisterung für die Meeresbiologie beeindruckenden „Portraits“ hat er die Tiere auch in zu wecken. In diesem Sinne gibt es sogar eine ihrer typischen Umgebung fotografiert und versucht, kurze Studienberatung und einige Hinweise zum ihre Bewegung unter Wasser darzustellen. Curtsinger wissenschaftlichen Arbeiten. Der hochwertig ausgestattete Fotoband mit Aufnah- fotografierte bizarre Unterwasserlandschaften und die Bei der Auswahl der Autoren ist die Dominanz men des bekannten Unterwasserfotografen Bill Curt- dazu gehörige Umgebung über Wasser. Manche Bil- einiger weniger wissenschaftlicher Institutionen singer erweckt zunächst den Eindruck, hier liege eines der scheinen künstlerisch verfremdet zu sein, sind es nicht zu übersehen. Es ist schade, dass unter von vielen typischen Büchern mit Hochglanz-Unter- aber nicht. Sie spiegeln ungewöhnliche Stimmungen der Überschrift „Meer und Mensch“ nicht die wasseraufnahmen vor. Aber dieses Buch ist anders: und Lichtsituationen unter Wasser wieder. Die Meeresbiologie kann heute sicher zu den Gelegenheit zu einer kurzen Vorstellung des populären Wissenschaften gezählt werden. Deutschen Meeresmuseums oder anderer Ein- Der berühmte amerikanische Unterwasserfotograf Bill Die fantastischen Unterwasseraufnahmen werden von Dem Informationsbedarf der breiteren Öffent- richtungen, die sich der Popularisierung der Curtsinger nimmt uns mit auf eine Reise in seine per- kurzen Texten begleitet. Irritierend kann für Mitteleuro- lichkeit versuchen unter anderem einige wenige Meeresforschung widmen, genutzt wurde. Einige sönliche Unterwasserwelt. Wer ein Buch mit bunten päer der etwas „amerikanische“ Stil dieser Texte sein: Lehrbücher und diverse Druckerzeugnisse für Abbildungen lassen detailliertere Informationen Bildern aus tropischen Korallenriffen erwartet, wird Sie drücken einen Enthusiasmus aus, der sich mit den Taucher, Meeresaquarianer oder andere an den (z.B. S. 89: „red tide“ vor Helgoland – Zeitpunkt?) enttäuscht sein. Die Aufnahmen stammen meist aus Wiederholungen etwas abnutzt. So waren alle Erleb- Meeren Interessierte gerecht zu werden. Aktuel- und Angaben zu Bildautor oder Quelle vermis- den polaren und gemäßigten Breiten. Natürlich feh- nisse einmalig und jeweils die schönsten für Curtsin- le meeresbiologische Fachbücher und Publikati- sen, weiterhin sollten im Inhaltsverzeichnis alle len kurze Ausflüge in die warmen Meere nicht: ein- ger. Zudem erfährt man viel über seine Kindheit, Fami- onen von Forschungsergebnissen sind dagegen Informationskästen aufgeführt werden. mal nach Costa Rica, der Meeresschildkröten wegen lie und Kinder. Daneben sind aber auch kurze fachliche meist teure englischsprachige Spezialwerke und Im Prolog betrachten die Herausgeber auch und einmal zum Bikini-Atoll, um die Neubesiedlung Abschnitte in Anekdotenform in die Texte integriert. nur einem kleinen Leserkreis bekannt. den Aspekt der Bringeschuld der Wissenschaft der Riffe nach den Atomwaffentests zu untersuchen. Ein Lehrbuch darf man dennoch nicht erwarten. Zu Eine verständliche und anspruchsvolle deutsch- gegenüber der Gesellschaft. Das vorliegende Zudem tauchte er vor seiner „Haustür“, in den Kelp- empfehlen ist dieses Buch für Leser, die einzigartige sprachige Einführung in die Welt der modernen Lesebuch wird dieser Aufgabe gerecht. Ins- wäldern von Maine. Aus dem Süßwasser zeigt er uns Unterwasseraufnahmen schätzen und für die vielleicht Meeresforschung fehlte weitgehend. Diese Lücke besondere Lehrer werden von dem Werk profi- aufregende Bilder von der Lachswanderung im Hum- nachzuempfinden ist, welcher Aufwand für die Her- wollten die Herausgeber mit dem vorliegenden tieren, da es einen unkomplizierten und kompe- ber River in Neufundland und einmalige Aufnahmen stellung solcher Bilder nötig war und ist. Im Medienzeit- meeresökologischen Lesebuch schließen. In tenten Zugang zu vielen Aspekten der modernen aus dem Baikalsee. alter hat man manchmal das Gefühl, einige der Bilder drei Teilen „Ozean und Küstenmeer: Lebensräu- Meeresbiologie schafft. Die spektakulärsten Bilder gelangen dem Fotografen in dem Buch oder zumindest ähnliche Aufnahmen frü- me und ihre Bewohner“, „Biologische Prozesse“ aber in der Arktis und Antarktis. Um die Einmaligkeit her schon gesehen zu haben. Letztlich waren es aber sowie „Meer und Mensch“ bietet es viel Stoff zu Thomas Schaarschmidt, Rostock und den Pioniercharakter dieser Bilder zu verstehen, Fotografen wie Bill Curtsinger, die uns erstmalig diesen modernen Forschungsthemen, aber auch zu den ist eine kleine Exkursion in die Lebensgeschichte von Blick in die Welt unter Wasser eröffnet haben. Grundlagen der Meeresökologie. Bill Curtsinger erforderlich. Seine fotografische Lauf- Der Komplexität des Themas entsprechend bahn begann er als Taucher und Fallschirmspringer Sabine Brasse, Stralsund haben die Herausgeber über 80 Fachwissen-

180 181 Research in Bremerhaven and erected the overwintering station „Georg von Neumeyer“ at the north-eastern Englischsprachige Zusammenfassung entrance to the Weddell Sea not too far from the Georg Forster Station of GDR at Schirmacher Oasis. The ice- breaking research vessel „Polarstern“ meant a break-through for research in the ice-covered sea and became der Fachbeiträge an important platform for international cooperation in Arctic and Antarctic waters.

In 1990, the eastern and western branches of German polar research joined mainly under the roof of the Alfred Wegener Institute which built new laboratories in Potsdam. Since then, studies in Siberia and in Siberian Twenty editions of MEER UND MUSEUM – a concept find its way waters are high on the agenda. Over the recent 15 years, German Polar research has given priority to investi- Götz-Bodo Reinicke gations on the impact of Global Climate Change on Polar Regions and their ecosystems. Interdisciplinary and international cooperations are emphasized as well as close links between the various institutes engaged in In 1980 the first edition of a MEER UND MUSEUM was published to establish an own specific museum polar research in Germany. publication of the “Museum für Meereskunde und Fischerei der DDR”, then already a well-known institution in the German Democratic Republic. The concept of the new publication was based on three major topics. Issues related to the diverse fields of museum work, including scientific museology constitute the concept’s Polar marine ecosystems and global climate change first pillar. Editions dedicated to the development, tasks and profiling of the German Oceanographic Museum Ulrich Bathmann since its foundation (vols. 1, 4), to the Stralsund-born naturalist, travelling scientist as well as museum director in Buenos Aires, Herrman Burmeister (vol. 9), and the museum’s founder Otto Dibbelt (vol. 19) are examples Climate change is affecting distribution and extent of sea ice in the Arctic. This in turn influences the life condi- of this section. tion of many species of the Arctic food web, from plankton to top predators like polar bears. Due to the much larger ice mass and ocean volume involved, climate changes in the Antarctic are not as obvious. Only at the Editions of the second pillar are each dedicated to selected subjects of the wide range of marine scientific Antarctic Peninsula, a reduction in sea ice extend in the last 30 years coincides with a reduction in krill stock research fields: The results of the museum’s two “Acropora”-Expeditions to the Red Sea (vol.2), “Telemetry of about 50%. This is not (yet) seen in other Antarctic regions. and Deep Sea Research” (vol. 12), “Coral Reefs” (vol. 14), “Fishes and Fisheries in the Northern and Baltic Sea” (vol. 16), and the present edition on “Polar Research” demonstrate the wide scope of this section. Germany and its whaling interest in the Southern Ocean – how commercial interests turned The third group of publications concentrates on the description of regional coastal habitats and seascapes, into scientific and political cooperation collecting research data from various colleagues working along the southern Baltic shores. Monographs about Karl-Hermann Kock and Meike Scheidat the “Greifswalder Bodden” (vol. 5), “The Wismar-Bight and the Salzhaff” (vol. 13), “The Darß-Zingster Bodden” (vol. 16) and the “Strelasund and Kubitzer Bodden” (vol. 18) collect various observation data, providing gene- Germany was the first country which undertook whaling attempts in the Southern Ocean in 1873/74. These ral introductions to the specific environmental conditions of the respective area. Especially older editions have efforts were unsuccessful, no whale was caught and large numbers of seals were taken instead. Attempts become sought-after reference publications for otherwise unpublished data. to participate in the early days of Antarctic whaling in 1911-13 were thwarted by the whaling nations which wanted to keep the number of whaling nations small. Germany took part in Antarctic whaling from 1936 to The original concept established by the former museum director Sonnfried Streicher and his scientific staff pro- 1939. Germany was not allowed to take up whaling again after WW II. German whalers worked in the whaling ved to be sustainable to provide a diverse publication representing the spectrum of aspects of the museum’s fleet of the Greek tycoon Aristoteles Onassis and the Dutch whaling fleet “Willem Barendsz” in the 1950’s until work. Contributions are written and illustrated to satisfy scientific requirements as well as the well-versed both were sold to Japan. Germany became a member of the International Whaling Commission (IWC) in 1982. layman’s interest in instructive and descriptive presentations. Future editions will keep building on the three As a member of the group of ‘like – minded’ countries Germany is heavily engaged in the further protection conceptual pillars, and develop the scope for a modern nature museum’s publication. of whales worldwide. Among others, Germany strongly supported the establishment of the Southern Ocean Sanctuary in 1994 which was prolonged for another ten years in 2004.

History of German Polar Research in brief Gotthilf Hempel The German Oceanographic Museum’s Expedition to the sub-antarctic Kerguelen-Archipelago The plans for the first major German arctic expeditions around 1870 were based on the erroneous assumption Karl-Heinz Tschiesche of an ice-free passage from Europe to eastern Asia via the North Pole. The vessels got stuck in the ice masses off eastern Greenland. Similarly, neither Erich von Drygalski (1901-1903) nor Wilhelm Filchner (1912/1913) did In December 2002, two colleagues of the German Oceanographic Museum in Stralsund joined an expedition reach the Antarctic continent, but their expeditions contributed greatly to Southern Ocean oceanography and to the sub-antarctic Kerguelen Archipelago in order to add new items to the collections of the museum and to biology. Carl Weyprecht promoted the First International Polar Year. Germany participated with geophysical get photo and film documents of the living world of the archipelago as well as of the historical whale-catching observatories in Eastern Greenland and South Georgia. The most important contribution between World War and processing stations. I and II was the geophysical work by Alfred Wegener on Greenland´s ice-cap. The expedition started from Cape Town, South Africa with a four head crew on board of a catamaran. Sailing about 5 000 kilometres, the members of the expedition experienced not only the beauty of the ocean but also From 1945 to 1990, polar studies in both parts of Germany developed independently but still showed simi- the power of the elements. larities. For about 30 years, activities were mostly restricted to individual scientists working on foreign invita- Four weeks later in a hard storm the catamaran ran abeach on the Kerguelen Islands, fortunately close to the tions, mostly US and USSR, respectively. Major projects were confined to the participation of FRG in the joint French research station at „Port-aux-Française“. programme EGIG I and II in Greenland and to individual eastern and western German expeditions to Spits- The museum staff used the chance to work at the station for eleven weeks and to collect numerous collection bergen. In the 1970´s, governmental interest in national involvement in polar activities increased in both parts materials. of Germany. Western Germany initiated a polar programme with emphasis on the Southern Ocean and its The French research and supply ship „Marion Dufresne“ offered one of the rare opportunities to leave the resources but also including geological work in North Victoria Land, and glaciological studies Kerguelen Archipelago via the island Réunion. in the in the surroundings of the Weddell Sea. GDR scientists carried out mostly geophysical projects at the various soviet stations in Antarctica. In the early 1980´s, FRG established the Alfred Wegener Institute for Polar

182 183 The history of the Kerguelen Islands the projected foraging depth, with selected strategies enhancing foraging success. Dive depth is a major Michael Kracke factor influencing energy expenditure in penguins due to the compression of air in their feathers and respi- ratory spaces. Use of new accelerometers is allowing scientists to allude to the relationship between energy In the year 1771, the Breton Yves-Josef de Kerguelen Tremarec starts an expedition on behalf of the French expenditure and bird-modulated parameters such as swim speed, dive depth and rate of change of depth. king Ludwig XV. to the southern Indian Ocean. Thus, future studies will be able to see how the costs of certain behaviours affect foraging success which, in He shall discover a still unknown continent in the name of France and build up commercial relations. On turn, will allow workers to determine the options that birds have for surviving in a changing environment. February 13th 1772 Kerguelen discovers an island he calls Austral-French. De Kerguelen bursts for a second expedition certainly in the same year to find out more about the island. He himself, however, does not enter the island once in his life. Phylogenetic position of Artic Ross’s Gull (Hydrocoloeus roseus) In the year 1776, the island is re-discovered by the British captain Cook. He names the island in honour of the Viviane Sternkopf, Dorit Liebers-Helbig, Peter de Knijff and Andreas Helbig† French discoverer „Kerguelen-Island“. Within the following years the island becomes a main destination for whalers from all over the world. Further Ross’s Gull (Hydocoloeus roseus) is one of the rarest, high arctic gulls. Although observed for the first time on, the island experiences a time of industrial exploitation by whalers and sealers in the 18th century. An in 1823, their breeding places, behaviour and especially their phylogenetic relationship remained a scientific English-Norwegian public limited company builds a whaling station in Port Jeanne d`Arc and decimates the mystery for a long time. In appearance and osteology Ross Gulls resemble Little Gulls, until now named as animals to near extinction. Larus minutus. For the first time we used DNA-sequences of the complete mitochondrial Cytochrom-b-Gene Different scientific expeditions set up in the late 18th and 19th century, e.g. the most renowned first German and of the nuclear Lactatedehydrogenase (LDH) Intron 3 to determine the phylogenetic relationships of gulls. -expedition under the Commander Erich von Drygalski in 1901-1903. Our results strongly support a sistertaxon relationship between Ross’s Gull and Little Gull. Both species are In World War II., the Kerguelen islands are called at by different warships from Germany and Australia. not members of the genus Larus but show a close taxonomic relationship to a basal group of gulls, consisting Finally, in the year 1949, France sets up a first permanent scientific station in Port-aux-Francaise. Since 1951, of the genera Hydrocoloeus, Rissa, Pagophila, Xema and Creagrus. As a taxonomic consequence we propo- France sends a scientific mission to the Kerguelen Islands almost every year. se to exclude Little Gull from the genus Larus and instead group it together with the Ross’s Gull in the genus Today, the Kerguelen islands are part of the French Overseas Territories and managed logistically by the TAAF Hydrocoloeus. and scientifically by the IPEV-Institute. The present paper describes in detail the history of the Kerguelen islands from the discovery in 1772 up to today. Birds and Seals of Antarctica: long-term studies on the Fildes Peninsula (King George Island) Hans Ulrich Peter, Christina Braun, Osama Mustafa and Simone Pfeiffer

Life in the dark and cold – Invertebrates of the Antarctic deep sea The Fildes Peninsula (King George Island, South Shetland Islands and Antarctica) has a particularly high Angelika Brandt density of research stations and field huts. Thus, inevitably, conflicts arise between different interests: science, protection of the flora and fauna, of geological and historical sites, station operation, transport, and tourism. The ANDEEP expeditions have led to a large increase in knowledge about species numbers in the deep We present here an overview of the occurrence and abundance of 13 species of birds that breed in the region Southern Ocean (almost 90% in the case of the Isopoda), extensions of bathymetric ranges, a rediscovery and of five seal species. We also provide long-term data over 25 years on the population dynamics and bree- of enigmatic taxa known only from single records and different oceans. The first molecular data have been ding success of penguins, skuas and giant petrels. These data serve as indicators of anthropogenic as well obtained for deep-sea Foraminifera, Ostracoda, Isopoda and Porifera. There are many fascinating discoveries, as of natural influences. for example, the first deep-sea records of calcareous sponges or platycopid ostracods south of the polar front. The picture emerging from these new data is quite complex and diverse and communities on the Southern Ocean deep-sea floor show different zoogeographical patterns. Taxa such as the Foraminifera and Polychaeta Stamps tell about polar environments and their exploration document the existence of strong faunal links between the deep Weddell Sea and the North Atlantic, consis- Stefanie Kruske und Dorit Liebers-Helbig tent with the general direction of thermohaline circulation, whereas 585 (86%) of the SO isopod crustacean species are yet undescribed; more than half of these new species are rare and occur only at one or few sites. The collections of the German Oceanographic Museums hold a large assortment of stamps picturing marine These divergent patterns suggest that we are only beginning to explore and understand the Southern Ocean subjects, including the Arctic and the Antarctic. With respect to the International Polar Year we screened our biodiversity and much more research will be necessary in this environment in future. Interesting follow-up collection in search for topic-related stamps. The vast majority of stamps deal with the exploration of Arctic questions include the evolutionary significance of these different biogeographic patterns (e.g. in terms of and Antarctic environments, some of which are shown on table 1. Almost similarly frequent are specimens species longevity), the factors determining whether species are rare or abundant, and the functional role of the picturing whales and other sea mammals (table 2), which are as fascinating to researchers as to non-resear- abundant species, as well as the many rare species, in Southern Ocean deep-sea ecosystems. chers. Also birds, in particular penguins, are a favourite topic on stamps, as illustrated in table 3. Fish naturally play an important role in Arctic and Antarctic environments and especially the Antarctic Toothfish is a preferred actor on stamps (see table 4). The invertebrate animals – although sometimes less known to the public – are Diving in deep with penguins; recent advances on understanding penguins at sea the most colourful and intriguing (table 5). The vast variety of life cycles, body forms and feeding strategies Rory P. Wilson and Dieter Adelung resembles fairy tale creatures rather than well-known animals, which cope with the most severe living condi- tions in the wild. Finally, a small assortment of postcards (table 6) and official first-day covers (table 7 and 8) Although penguins spend much of their life at sea, and are the most aquatic of all birds, little was known of are included. their marine ecology until recently when huge advances in solid state technology made it possible to construct In general, the stamp collection illustrates the wide diversity of views on polar topics. However, in some cases autonomous loggers that were attached to free-living birds to record their behaviour. This work documents the tiny sovereign symbols also represent distinct national interests and territorial claims in the Polar Regions, some of the technological advances and illustrates how this has led to greater understanding of these impor- e.g. broaching the issue of the International Antarctic Treaty. tant top predators operating in southern ocean ecosystems. Penguins exploit the upper surface waters of the seas but dive exceptionally deep for birds, with maximum depths exceeding 500 m in the largest species. Sys- tems for studying feeding have shown that penguins may consume three times as much as previously thought and they can vary their rate of digestion according to circumstance. Penguins make complex decisions about how long they spend recovering from dives and how much air they inhale according to prey abundance and

184 185 Autorinnen und Autoren dieses Bandes Foto- und Abbildungsnachweise

Prof. Dr. Dieter Adelung, Leibniz-Institut für Meereswissenschaften, Kiel; Adelung, D. (4): Seiten 133, 136 rechts, 137. Archiv Alfred-Wegner-Institut (4): Seiten 35, 41 oben, 106, 110 oben. Archiv Deutsches Meeresmuseum (23): Seiten 9, 159-166, 168 rechts, 169, 170 rechts, 171 rechts, 172-177, Prof. Dr. Ulrich Bathmann; Alfred-Wegener-Institut für Polarforschung, Bremerhaven; 178 rechts. Bayer, J. (1): Seite 128 unten links. Dr. Harald Benke, Direktor, Deutsches Meeresmuseum, Stralsund; Broekeland, W. (1): Seite 117. De Kniff, A. (2): Seite 129 oben links, Mitte rechts. Prof. Dr. Angelika Brandt, Zoologisches Museum, Hamburg; Diaz, B. (2): Seite 116. Enß, D. (1): Seite 40. Dr. Sabine Brasse, Stralsund; Fülle, R. (1): Seite 13 oben. Geisen, M. (1): Seite 111 oben. Dipl.-Biol. Christina Braun, AG Polar- und Ornitho-Ökologie, Institut für Ökologie, Universität Jena; Gernandt, H. (2): Seiten 43 oben, 44. Gutt, J. (1): Seite 119. Prof. Dr. Gotthilf Hempel, Molfsee; Hans-Köhler Verlag (2): Seite 50. Hempel, G. (2): Seiten 39, 47. Prof. Dr. Peter de Knijff, Universität Leiden, Medizinisch-Genetisches Zentrum (MGC), Institut für Humane Janussen, D. (1): Seite 118. und Klinische Genetik; Kahl, T. (1): Seite 145. Kracke, M. (3): Seiten 73 unten, 78 rechts, 87. Dr. Karl-Hermann Kock, Bundesforschungsanstalt für Fischerei, Hamburg; Lehnert, L. (1): Seite 55. Linse, K. (1): Seite 115. Michael Kracke, Sehlem; Luhn, M. (1): Seite 129 Mitte links. Murray, N. (1): Seite 128 Mitte links. Niesen, H. (1): Seite 129 oben rechts. Stephanie Kruske, Rostock; Nunez-Riboni, I. (1): Seite 34 oben. Oerter, H. (1): Seite 104. Dr. Dorit Liebers-Helbig, Wiss. Mitarbeiterin, Deutsches Meeresmuseum, Stralsund; Peter, H.-U. (12): Seiten 129 unten rechts, 146-154. Pichler, C. (1): Seite 41 unten. Dipl.-Geogr. Osama Mustafa, AG Polar- und Ornitho-Ökologie, Institut für Ökologie, Universität Jena; Reichert, J.-P. (1): Seite 89. Reinicke, I. (1): Seite 171 links. Dr. Hans-Ulrich Peter, AG Polar- und Ornitho-Ökologie, Institut für Ökologie, Universität Jena; Rödel, C. (4): Seiten 168 links, 170 links, 178 unten. Scheidat, M. (4): Seiten 51, 54. Dr. Simone Pfeiffer, AG Polar- und Ornitho-Ökologie, Institut für Ökologie, Universität Jena; Stackebrandt, W. (1): Seite 43 unten. Sternkopf, V. (3): Seiten 128 oben, 128 unten rechts. Dr. Götz-Bodo Reinicke, Wiss. Mitarbeiter, Deutsches Meeresmuseum, Stralsund; Tadday, L. (38): Titelbild, Seiten 11, 12, 13 unten, 14-33, 109 oben, 109 unten links, 110 unten. Tennhardt, T. (1): Seite 128 Mitte rechts. Dr. Thomas Schaarschmidt, Wiss. Mitarbeiter, Deutsches Meeresmuseum, Stralsund; Tschiesche, K.-H. (36): Seiten 75-78 links, 79-86, 88, 90-102. Van Franeker, J. (1): Seite 109 unten rechts. Dr. Meike Scheidat, Forschungs- und Technologiezentrum, Büsum; Whaling-Museum Sandefjord (1): Seite 49 oben. Wilson, R.-P. (3): Seiten 134-135. Viviane Sternkopf, Wiss. Mitarbeiterin, Deutsches Meeresmuseum, Stralsund; Wolf-Gladrow, D. (1): Seite 111 unten. Zöckler, C. (3): Seiten 123, 129 unten links, 130. Lilo Tadday, Helgoland; Die historischen Abbildungen im Beitrag von Michael Kracke wurden aus folgenden Werken entnommen (vgl. Literaturverzeichnis): Dr. Karl-Heinz Tschiesche, ehem. Wiss. Mitarbeiter, Deutsches Meeresmuseum, Stralsund; Contre-Admiral de Bossard, 1970 (3): Seiten 57, 60, 64 oben. Dupony, Auguste, 1929 (1): Seite 58. Prof. Rory P. Wilson, Institute of Environment Sustainability, University of Wales Swansea. AMAPOF, 1998 (2): Seiten 61, 62. Chun, Carl, 1905 (2): Seite 64 unten. Enzensperger, Josef, 1990 (3): Seiten 65, 66 oben. Arnaud, Patrick M. und Jean Beurois, 1996 (5): Seiten 66 unten, 67-68. Bennecke, Jochen, 1998 (1): Seite 69. Duchene, Jean-Claude, 1989 (2): Seite 70. De la Rüe, Aubert, 1951 (1): Seite 71 oben. Migot, Andre, 1957 (3): Seiten 71 unten, 72 unten. Herzog, Hubert und Maurice Jaroux, 1964 (2): Seiten 72 oben links, 73 oben. Le Tac, Joel, 1958 (1): Seite 72 oben rechts.

186 187 In dieser Schriftenreihe sind von 1980 bis 2008 die Bände 1 bis 20 erschienen. Die Bände 1 bis 4 und 6 sind vergriffen, die anderen Bände können im DMM bezogen werden. Ausführliche Informationen zu den einzelnen Bänden erhalten Sie im Internet unter www. meeresmuseum.de

Meer und Museum Schriftenreihe des Deutschen Meeresmuseum, Band 20, 2008 Herausgeber Dr. Harald Benke

Redaktion und Layout Dr. Götz-Bodo Reinicke Sylvia Zielke

Gestaltung, Druck und Weiterverarbeitung DRUCKHOF Gampe Industriestraße 5, 18528 Bergen auf Rügen

Bezug Deutsches Meeresmuseum Museum für Meereskunde und Fischerei · Aquarium Katharinenberg 14– 20, 18439 Stralsund

ISSN 0863-1131

Die Stiftung Deutsches Meeresmuseum wird gefördert durch die Bundesrepublik Deutschland, das Land Mecklenburg-Vorpommern und die Hansestadt Stralsund.

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