Auswertung 201 4 Inhaltsübersicht

Inhalts- und Kontaktübersicht ...... 2 Erstmals über 100 Vorfälle (Zusammenfassung) ...... 3 Rechte Szene im Bezirk fest verankert (Vorfallsarten) ...... 4 Mehr rassistische und antisemitische Angriffe (Angriffe) ...... 5 : Zentrum rechter Aktivitäten (Ortsteile) ...... 7 Handeln Sie jetzt! 10 Empfehlungen! ...... 8 Starke Zunahme des Antisemitismus (Motive) ...... 10 „Reichsbürger“ und ihre Verschwörungsideologien (Veranstaltungen) ...... 12 Die Bibliothek der neuen Rechten (Veranstaltungen) ...... 13 Rechte Parteien: Einzug der AfD droht (Wahlkampf) ...... 14 Über uns: Wie wir wirken ...... 15 Danksagungen und Impressum ...... 16 Kontaktieren Sie uns!

Kontakt: Post- und Besuchsanschrift: E-Mail [email protected] Register Charlottenburg- Telefon +49 (0)1 575 7652025 Web www.berliner-register.de c/o SJD – Die Falken Schlossstraße 1 9 Das Register Charlottenburg-Wil- 1 4059 Berlin mersdorf nimmt Beobachtungen und Erlebnisse auf: Rechte und dis- kriminierende Angriffe, Bedrohun- gen, Beleidigungen und Pöbeleien, Wenn Sie Opfer, Angehörige*r oder Hitlergrüße, Sachbeschädigungen, Zeug*in eines Angriffs wurden, Veranstaltungen, Kundgebungen, wenden Sie sich bitte direkt an die Aufkleber, Sprühereien oder Grä- Berliner Opferberatung „ReachOut“: berschändungen registrieren wir. www.reachoutberlin.de

2 Erstmals über 1 00 Vorfälle

Das Register Charlottenburg-Wilmers- dorf recherchierte im Jahr 2014 insge- samt 105 rechte und diskriminierende Vorfälle im Bezirk (Abb. 1). Nie zuvor wurden so viele Vorfälle bekannt. Dies stimmt auch mit der Angriffsstatis- tik der Opferberatung ReachOut über- ein. Seit Jahren steigen die Angriffe. 2014 zählte ReachOut 16 Angriffe in Abb. 1 : Vorfälle und Angriffe im Bezirk, 201 1 -201 3 Charlottenburg-Wilmersdorf (Abb. 1). 64 Vorfälle fanden allein im Ortsteil Charlottenburg statt – wie auch in den Vorjahren mit Abstand die meisten. Im Ortsteil Wilmersdorf ereigneten sich 19 Vorfälle, was ein Zuwachs gegenüber dem Vorjahr ist. In (5 Vorfälle) gab es deutlich weniger Vorfälle (2013: 24 Vorfälle). 4 Vorfälle ereigneten sich in Charlottenburg-Nord, zwei in Schmar- gendorf, was etwa den Vorjahreswerten entspricht (Abb. 2). Abb. 2: Vorfälle nach Ortsteilen, 201 4 Die Mehrheit der Vorfälle fand in den Sommer- und Herbstmonaten statt. Am häufigsten (je 13-mal) geschah dies im Juli und Oktober. Im Durchschnitt passierten über 2 Vorfälle pro Woche. Im Berliner Vergleich gibt es im Bezirk viele rechte Veranstaltungen (siehe S. 4 u. 12-14). Antisemitismus ist ein relativ häufiges Motiv (siehe S. 4-6). Die Jahreswerte beziehen sich 2010 bis Mai 2013 auf die Recherchen der antifa- Abb. 3: Vorfälle nach Monaten, 201 4 schistischen Chronologie des Infoportal Titelfoto: Auf einer propalästinensischen Demo CW. 2011, 2013 und 2014 waren Wahl- streckt ein Mann den rechten Arm mit Victoryzeichen. kampfjahre. 2014 war das erste Jahr, in Er hat eine 88 („Heil Hitler“),„1 1 . September“, einen dem das Register ganzjährig mit einer Reichsadler, die Worte„Ehre. Treue“ (Waffen-SS) und Personalstelle zur Recherche besetzt war. einen Text zum antizionistischen Kampf tätowiert. 3 Rechte Szene im Bezirk fest verankert

Die wichtigste Aktionsform rechter Ak- Facebook zur Berichterstattung und zur teur*innen (Abb. 4) war die Veranstal- Mobilisierung. Dort verlinkte sie auch tung. Es fanden 45 Versammlungen auf den völkisch-rassistischen, demokra- statt, davon 24 Vortrags- und 14 tieskeptischen Dresdner Verein „Pegida“. Parteiveranstaltungen sowie 7 Demon- Im Jahr 2015 gab es in Charlottenburg- strationen und Kundgebungen. Dies liegt Wilmersdorf 16 Angriffe (siehe Seite 5). vor allem an Veranstaltungsreihen reichs- Zwölfmal gab es Bedrohungen, Beleidi- ideologischer Gruppen (siehe S. 12-14). gungen und Pöbeleien. Meistens handel- In keinem anderen Berliner Bezirk te es sich um Hitlergrüße oder den Na- finden so viele rechte Veranstaltungen tionalsozialismus verherrlichende Parolen statt. Sogar jede vierte passiert im Bezirk. (Abb. 5) im öffentlichen Raum. Beispiele In Charlottenburg-Wilmersdorf ist die hierfür sind rassistische Drohungen ge- rechte Szene stark institutionalisiert. genüber Kindern (14.-15. April, Charlot- 21 Mal wurde Propaganda gemeldet. Vor tenburg-Nord) und ein Hitlergruß vor allem klebten die teils rechtspopulistische der Heinz-Galinski-Grundschule (22. Partei AfD und die nazistische NPD September, Westend). Es gab zehn Aufkleber in den Straßen. Die AfD nutzt Sachbeschädigungen, davon sechs an

Abb. 4: Vorfallsarten, 201 4 4 Denkmälern und Kunstinstallationen. Bürotür wurde öfters beschädigt. Außer- Die Günter-Schwannecke-Gedenktafel dem wurden Stolpersteine, Denkmäler wurde zweimal mit Werkzeug eingeschla- zur Erinnerung an Opfer des National- gen. In das Auto eines Juden wurde ein sozialismus, beschmiert. Sachbeschädi- Hakenkreuz geritzt. Die Fensterscheibe gungen sind im Berliner Vergleich häufig. der Wohnung des Bezirksvorsitzenden Die Stolpersteininitiative geriet ins Visier der Partei Die Linke wurde nachts einge- eines Immobilienbesitzers der Dahl- schmissen. Dies ist bemerkenswert, weil mannstraße 1. Er setzte ihr ein Ultima- auch 2013 die Wohnungstür einer Politi- tum zur Verlegung der Stolpersteindenk- kerin Der Linken beschädigt wurde. Ihre mäler vor seiner Haustür (Sonstiges).

Abb. 5: Vorfallsarten nach Motiven ausgewertet, 201 4 Mehr rassistische und antisemitische Angriffe

Im Jahr 2014 gab es 16 Angriffe. In ganz mittag, abends und nachts. Vier Angriffe Berlin gab es 168. In Charlottenburg- waren im Juli, je zwei im Januar und Wilmersdorf geschahen also im Berliner April. Im Mai und August wurden keine Vergleich durchschnittlich viele Angriffe. Angriffe erfasst, in allen übrigen Die Angriffe geschahen am Nach- Monaten je einer. 5 Sieben Angriffe fanden auf offener Bahnhof Kaiserdamm: Ein Unbekannter Straße statt. Fünf Angriffe wurden in S- verletzte einen Kioskbetreiber mit Stein- und U-Bahnhöfen verübt und zwei in würfen. Er beleidigte ihn rassistisch. Bus und Bahn. Fünf dieser sechs Vor- Angriffe geschehen zu jeder Tageszeit fälle waren rassistisch motiviert. Nahe und aus Opfersicht unvorbereitet. Die des Umsteigebahnhofs Zoologischer Täter stammen vermutlich aus der „Mit- Garten gab es vier Angriffe. te“ der Gesellschaft, sie sind keine Nazis. Neunmal war Rassismus das Motiv (56 Drei der Angriffe im Juli waren antise- Prozent). Antisemitisch waren 4 Angrif- mitisch motiviert. Ein Angriff ereignete fe (25 Prozent) motiviert. Zweimal war sich am Vorabend des antisemitischen Homosexuellenfeindlichkeit (13 Prozent) Qudstag-Marsches. Zwei Angriffe entwi- der Anlass (Abb. 5). Über jedes zweite ckelten sich aus der des Qudstag- Angriffsmotiv war berlinweit Rassismus. Marschs am 25. Juli heraus gegen prois- Ein typischer Vorfall ereignete sich am raelische Demonstrant*innen. Damals 17. Juni auf dem Hardenbergplatz am fand der Gazakonflikt statt. Sie wurden Bahnhof Zoologischer Garten: An kollektiv für Handlungen Israels verant- einem Currywurststand schlug eine Frau wortlich gemacht und deswegen ange- eine Touristin plötzlich in den Rücken. griffen. Die Angriffe sind qualitativ ver- Dann beleidigte sie einen Mann rassis- schieden: eine Kippa kann niemand able- tisch und bespuckte ihn. Ein weiterer gen. 2012 und 2013 gab es je einen anti- geschah am 21. September 2014 am U- semitisch motivierten Angriff im Bezirk.

Abb. 6: Vorfälle in den Ortsteilen und ausgewertet nach Vorfallsarten, 201 4 6 Charlottenburg: Zentrum rechter Aktivitäten

Rechte Akteur*innen haben in Charlot- tenburg ihren Schwerpunkt (Abb. 6 u. 8). In diesem Ortsteil fanden 64 Vorfälle statt. Charlottenburg führt auch in allen Unterkategorien die Statistik an: In Char- lottenburg fanden die meisten Veranstal- tungen (31), die meisten Angriffe (10) und die meiste Propaganda (10) statt. Abb. 7: Bitte nur rechts halten! Die „Osteria da Charlottenburg war bei allen Motiven am Gina“ war ein häufiger Veranstaltungsort häufigsten, bspw. bei rechter Selbstdar- dorf war ein rassistisch motivierter An- stellung (19) und Antisemitismus (17). griff. In und wur- Die zwei häufigsten Motive machten al- den erneut keine Vorfälle gemeldet (Abb. lein 21 von 31 Veranstaltungen dort aus. 6). Hohe Zustimmungswerte zu rechten In Wilmersdorf fanden die zweitmeisten Parteien lassen in Charlottenburg-Nord (19) Vorfälle statt. Insbesondere die Pro- mehr Vorfälle vermuten (vgl. S. 14). paganda der NPD nahm zu: im Dreieck Auch die Ergebnisse der Beratungsstelle Babelsberger Straße, Bundesallee und ReachOut bestätigen diese Gewichtung: Volkspark Wilmersdorf klebten über das Seit 2010 gab es mehr Angriffe im ehe- ganze Jahr verteilt neue Aufkleber der maligen Bezirk Charlottenburg als im nazistischen Partei. Die Sachbeschädi- Bezirk Wilmersdorf. Rassistische Vorfälle gungen nahmen zu: Linke Parteibüros verteilten sich 2013 und 2014 ca. gleich. wurden zum Ziel. Die Scheiben eines Antisemitische sowie homosexuellen- SPD-Büros wurden eingeworfen. Die und transfeindliche Angriffe (LGBTIQ*- eines Piraten-Büros wurde mit einem Feindlichkeit) fanden in diesen Jahren „Pegida"-Schriftzug beschmiert, als eine ausschließlich im Bezirk Charlottenburg Ausstellung gegen rechte Propaganda statt. Sie machen den Unterschied aus. stattfand. In Charlottenburg-Nord, Schmargendorf und Westend gab es nur Eine Erklärung hierfür zu finden ist wenige Vorfälle. In Westend gingen die schwierig: In Charlottenburg leben mehr Vorfälle von 24 (2013) auf 5 zurück. Vor Menschen mit Migrationssgeschichte als allem die gemeldeten Propagandavorfälle in Wilmersdorf. Viele jüdische Einrich- und Veranstaltungen nahmen ab. Die tungen sitzen dort. Doch Angriffe waren 2013 wegen des Wahlkampfs geschehen meist spontan. Eine struktu- rechter Parteien und zur Eröffnung des relle Erklärweise greift also zu kurz. Flüchtlingslagers Soorstraße gestiegen. Erstmals wurden Vorfälle im Internet Das Engagement der Intiative „Willkom- gewertet, bspw. E-Mail-Hetzschriften. men im Westend“ war dazu sehr wichtig! Bei 9 Vorfällen wurde ihr genauer Ort Einer der beiden Vorfälle in Schmargen- nicht bekannt. 7 Handeln Sie jetzt:

g ibilisierun etzen #2 Sens e ister forts nd politisch #1 Reg ner*innen u lottenburg- Anwoh ür die egister Char nen sollten f Das R s sollte Akteur*in eson- dorf wirkt. E orfälle, insb Wilmers . Es steigenden V it fortführen ensibilisiert seine Arbe n- e Angriffe, s zwerk aus A der ende llte ein Net oo- en und pass so uen. Eine K werd eln können. tellen aufba rten entwick laufs artnerschaft Antwo on mit der P perati et sich. Es okratie eign für Dem enden Fi- ner hinreich bedarf ei s – des Register nanzierung nd. und vom La vom Bezirk

felder #5 Dunkel erhellen nburg- in Charlotte Vor allem truktu- kale, zivile S Nord sind lo für die sensibel n vonnöten, re minierende e und diskri recht kann isse sind. So Ereign gezeigt inierung auf Diskrim werden. egengewirkt und entg newald, uch für Gru en in Dies gilt a sdorf. Aktivwerd und Wilmer #8 burg Schmargen- Charlotten und n Angriffs- Parteien en die hohe 9 Rechten n Geg harlotten- # folg lasse szahlen in C einen Er Vorfall k- k sen lokale A teien sollten burg müs nden. ratische Par ntworten fi Demok pfstrate- teur*innen A tis- en Wahlkam ür Antisemi sch in ihr n wie asselbe gilt f ten Parteie D Qudstag- ien mit rech Gegen den g ch der NPD mus. t es AfD und au rsch benötig der . Anwoh- Aufma sstra- andersetzen e Handlung ausein rolen verbessert seits. n sollten Pa h staatlicher ner*inne kweisen tegien – auc rteien zurüc rechter PA arteien ten rechter P und Aktivitä r melden. dem Registe 1 0 Empfehlungen!

Inhaltlich #3 reten entgegent sreihen, gen eranstaltung ndnis ge Rechten V ren #4 Bü den und Struktu neu grün Netzwerken ffent- Rechts rchen und Ö echts wird ollten Reche tz dnis gegen R s ntgegengese Das Bün en keitsarbeit e Dort komm lich logien, reaktiviert. innen n. Ihre Ideo Anwohner* werde en und ruppen und ntationsweis G emeinsam Argume en und mmen, um g lten verstand zusa iskriminie- Codes sol rechte und d den. gegen sam erkannt wer ukturen wirk rende Str Themen n. Geeignete vorzugehe itismus us, Antisem sind Rassism e Rechte. und die neu anda #6 Propag elden m initia- e und lüchtlings leber, Plakat #7 F tützen Aufk rechten n unters rereien von tive Schmie d Gruppen un istische und Parteien, ten dem Antifasch n sowie r*innen soll he Initiative Einzelakteu antirassistisc en det werden. ativen müss gister gemel chtlingsiniti Re chte Szene- Flü n. Um u müssen re . stützt werde Daz den können unter chbarschaft erkannt wer tät in der Na codes Solidari cht es inieren, brau zu koord ordina- ssionelle Ko eine profe gees willige. Refu tion für Frei e here! are Welcom ter Platz Keinen Me #1 0 ! für Rechte orf rg-Wilmersd harlottenbu o- C te, Reichside e neue Rech sollt ere Nazis nen und and log*in drängen. ssen zurück entschlo echts dnis gegen R Das Bün n. dem widme sollte sich echte sollten auf r Gaststätten che besser Anmietversu nnen. reagieren kö Starke Zunahme des Antisemitismus

Rechte Akteur*innen stellten sich über- Gegner*innen und möglichen Opfer- wiegend selbst dar (Abb. 9). Hierzu gruppen der Partei damit das Signal der nutzten sie insgesamt 35 Vorträge, Präsenz in der Öffentlichkeit. Vorträge Parteiveranstaltungen, Kundgebungen, und Parteiveranstaltungen wurden dann Infostände und Aufkleber (Abb. 5). Mit als rechte Selbstdarstellung eingeordnet, einem Infostand mobilisierte die AfD wenn die eigene Organisation im Vorder- am 14. November zu einer ihrer grund stand oder das Thema nicht näher öffentlichen Veranstaltungen. NPD- bekannt war. Ein Beispiel ist das Referat Aufkleber demonstrierten den des schwedischen Neonazis Dan

Abb. 8: Vorfallsmotive ausgewertet nach Ortsteilen, 201 4

Eriksson beim NPD-Kreisverband. Ein strationen anlässlich des Gazakonflikts. weiteres ist der Vortrag über die konser- Dabei wurde moderner und israelbezo- vative Revolution zur Weimarer Zeit in gener Antisemitismus verbreitet. Am der Bibliothek des Konservatismus. Qudstag-Marsch, der jedes Jahr auf dem Antisemitisch waren 21 Vorfälle Kurfürstendamm stattfindet, sprachen motiviert. Hervorzuheben sind Demon- sich Redner gegen das Existenzrecht 1 0 Israels aus, es wurden dämonisierende an- tisemitische Karikaturen getragen sowie „Kindermörder Israel“ und „Israel ver- gasen“ gerufen. Aus der Demonstration he-raus gab es zwei Angriffe (vgl. Abb. 10; siehe S. 6). Der Qudstag ist eine welt- weite Demonstration, die die islamische Eroberung Jerusalems fordert. 2013 gab es 11 antisemitische Vorfälle (plus 91 Prozentpunkte). Das sind, im Berliner Vergleich, viele. Abb. 9: Vorfälle nach Motiven, 201 4

Abb. 1 0: Qudstag-Marsch am Kurfürstendamm – mit dabei die antizionistische, jüdische Sekte Neturei Karta; daneben (links) ein Mann mit Hisbollah-Fahne; im Hintergrund (rechts oben) eine Figur, die Israel archaische Ritualmorde an Kindern zuschreibt

Rassismus war das dritthäufigste Motiv In ihren zahlreichen Vortragsreihen (sie- (18 Prozent). Das ist für Berliner Ver- he S. 12-14) ging es überwiegend um die hältnisse (insg. 43 Prozent) sehr gering. rechte Selbstdarstellung, die Reproduk- Sozialchauvinismus, die feindselige Hal- tion antisemitischer Stereotype, politi- tung gegenüber Wohnungslosen, Sozial- sche Gegner*innen und die Verharm- hilfeempfänger*innen oder Menschen losung oder Verherrlichung des Natio- mit Behinderung, wurde entgegen frühe- nalsozialismus. Bei Demonstrationen rer Jahre nicht festgestellt (Abb. 5 u. 9). stand Antisemitismus im Vordergrund. 1 1 „Reichsbürger“ und ihre Verschwörungsideologien

18 Vorfälle waren durch Verschwörungs- zahlen und halten Strafbefehle für ideologien motiviert. Vier Gruppen ste- unwirksam. Manche gründen eigene, chen hervor: Die Gruppe Blauer Him- konkurrierende Reichsregierungen. mel Berlin (12 Veranstaltungen), das Besonders aktiv ist die Gruppe Blauer Neuschwabenlandtreffen (1), die Biblio- Himmel Berlin in Charlottenburg. Am 6. thek des Konservatismus (1) und De- Januar trug dort der Reichsideologe Iwan monstrationen zum Gazakonflikt (3). G., ein Holocaustleugner, in der Wilma Verschwörungsideologien erklären Ereig- 163 (Wilmersdorfer Str.) antisemitische nisse durch konspirative Verschwörun- Verschwörungskonstrukte, nationalso- gen. Sie liefern vermeintliche Antworten, zialistische und revisionistische Ideologie warum Menschen Schlechtes widerfährt. vor. Daraufhin kündigte die Wilma. Seit Dabei machen sie einen Zirkelschluss: dem 6. März traf sich die Gruppe in der Die Antwort wird vorausgesetzt. Daher Osteria da Gina (Droysenstraße, Abb. 7). sind Verschwörungsideologien für Der Reichsideologe Claus P. bringt eine andere nicht unüberprüfbar. weitere Verschwörungsideo-logie in die In Charlottenburg-Wilmersdorf ist die Gruppe ein: die Chemtrailverschwö- verschwörungsideologische Reichs- rung. Sie geht davon aus, dass fremde ideologie in rechten Zirkeln wirkmächtig. Mächte per Flugzeug Giftstoffe („Chem- Die Reichsideologie geht davon aus, das trails“) verstreuten. Tatsächlich ist dies Deutsche Reich bestünde bis heute, wäre wissen-schaftlich widerlegt. Die Chem- aber von den Alliierten besetzt. Sie hal- trailideologie dockt an den Glauben an ten die Bundesrepublik für illegal und eine jüdische Weltverschwörung an. P. nicht souverän. Die Reichsideolog*innen hält die Polizei am Kaiserdamm für CIA- nennen sich „Reichsbürger“. Einige stel- gesteuert. Der rechte Esoteriker Volkmar len sich eigene Pässe aus. Andere lehnen F. stellt pseudomedizinische Geräte vor. es ab Steuern an die Bundesrepublik zu Insgesamt verbindet die Gruppe Blauer Himmel Berlin Reichsideologie, Weiterführende Literatur Holocaustleugnung, Antisemitismus, Amadeu Antonio Stiftung: Wir Geschichtsrevisionismus und die Ableh- sind wieder da. Die „Reichsbürger“. nung der BRD mit rechter Esoterik. Sie Überzeugungen, Gefahren und scheint auf den ersten Block sonderbar. Handlungsstrategien, Broschüre, Doch ihre Ideologie schafft zahlreiche Berlin, 201 4. Einstiegspunkte für esoterisch, ausstei- Weblink: http://www.amadeu- gerisch und antisemitisch orientierte antonio-stiftung.de/w/files/ Menschen in die rechte Szene. pdfs/reichsbuerger_web.pdf Das Neuschwabenlandtreffen tagt seit dem 19. Dezember 2014 alle zwei Wo-

1 2 chen in der Osteria da Gina. Dies ist ein neue Weltordnung errichten würden. Sie neonazistischer, geschichtsrevisionisti- dockt an antisemitische Argumentatio- scher, antisemitischer, reichsideolo- nen an. Seit sich das Neuschwaben- gischer Stammtisch. Sie bilden sich landtreffen in der Osteria da Gina trifft, ein, dass Hitler und viele Nazis unter ist die Gruppe Blauer Himmel Berlin ins der Antarktis lebten und das Deutsche Rocco (Kaiserdamm) umgezogen. Reich bestünde. Sie verharmlosen Weitere Verschwörungsideologien wur- und verherrlichen die national- den von Oliver Janich in der Bibliothek sozialistischen Verbrechen. des Konservatismus vertreten (siehe S. Auch die New-world-order-Verschwö- 13). Auf dem Qudstag-Aufmarsch rungsideologie wird vertreten. Sie besagt, wurden Jüd*innen dämonische Eigen- dass Geheimorganisationen illegal eine schaften zugeschrieben (siehe S. 10-11). Die Bibliothek der neuen Rechten

Die Bibliothek des Konservatismus ist thek des Konservatismus statt – drei we- eine wichtige Einrichtung der neuen niger als im Vorjahr. Das häufigste Motiv Rechten in Berlin. In ihrem Buchbestand war rechte Selbstdarstellung, zB. der Vor- finden sich Werke konservativer und na- trag zum Stauffenberg-Attentat des neu- tionalsozialistischer Autoren: von Kanz- rechten Journalisten Claus Wolfschlag ler Helmut Kohl und Publizist Peter (Junge Freiheit, Ostpreußenblatt). Der Scholl-Latour, über den „Kronjuristen Kulturwissenschaftler Frank Böckelmann des Dritten Reichs“ Carl Schmitt, bis sprach über „Gleichschaltung“ durch Be- zum Holocaustleugner David Irving. griffe der 68er-Bewegung. Die Auseinan- Träger ist die Förderstiftung Konserva- dersetzung mit dem politischen Gegner tive Bildung und Forschung. Deren ist ein weiteres Motiv der Bibliothek. Vorsitzender ist Dieter Stein, Chef- Sophia Kuby hielt einen homosexuellen- redakteur der neurechten Wochenzeitung feindlichen Vortrag. Sie stellte die Junge Freiheit. Die Bibliothek ist in die- Gleichstellung von Frauen infrage, Stefan ses neurechte Netzwerk eingeflochten. Scheil den deutschen Überfall auf Polen Die neue Rechte ist eine uneinheitliche 1939. Ein besonderes Augenmerk gilt politische Richtung, die zwischen Kon- der Lesung Oliver Janichs (Partei der servativen und Neonazis verortet ist. Ei- Vernunft): Er hielt einen verschwörungs- nige neurechte Akteur*innen organisie- ideologischen Vortrag zur Etablierung ren einen Brückenschlag zwischen kon- der Europäischen Union, die er als servativen und neonazistischen Kräften. Projekt von Kommunist*innen und der NSDAP darstellte. Der Vortrag ist der Die Stiftung versucht eine Wiederbelebe- New-world-order-Verschwörungsideolo- bung konservativen Denkens. Im Jahr gie zuzurechnen, die sich antisemitischer 2014 fanden 12 Vorträge in der Biblio- 1 3 Argumentationsmuster bedient. Er ent- demokratieskeptischen, antikommunis- hielt ferner antidemokratische und anti- tischen, homosexuellenfeindlichen kommunistische Einstellungen und Ver- Akteur*innen der neuen Rechten und harmlosungen des Nationalsozialismus. Verschwörungsideolog*innen auf der Weitere Referate hielten Wolfgang Bos- anderen spannt. Diese Brückenschlag- bach, MdB und Vera Lengsfeld (Ex- Strategie ist eine neurechte Strategie. Sie MdB). Beide zählen zum konservativen zielt auf die Bün-delung des rechten Flügel der CDU. Sie wurden nicht mit in Lagers. Dabei verwäs-sern Grenzen die Statistik aufgenommen. Ihre Vorträge zwischen bürgerlichen Konservativismus zeigen aber genau, wie die Bibliothek des und Neonazismus. Konservatismus einen Bogen von Die Bibliothek hat ihren Standort in der bürgerlich-konservativen auf der einen Fasanenstraße in Charlottenburg. Sie Seite – zu geschichtsrevisionistischen, wurde 2012 eröffnet. Rechte Parteien: Einzug der AfD droht

Bei der Europawahl 2014 traten in Char- Die nazistische NPD trifft sich lottenburg-Wilmersdorf mehrere rechte unregelmäßig, Pro Deutschland und Die Parteien an. Allein die Alternative für Freiheit sind weitgehend inaktiv. Deutschland (AfD) hat Erfolgschancen Alle etablierten Parteien des Bezirks soll- für die Bezirksverordnetenversammlung ten einen denkbaren AfD-Einzug in die (BVV) und das Abgeordnetenhaus. Sie BVV einkalkulieren und ernst nehmen. erzielte in allen Abgeordnetenhauswahl- Die demokratie- und europaskeptische kreisen über 5, insgesamt 8 Prozent. Alle Stimmungsmache der AfD und die ande-ren rechten Parteien blieben unter rassistische der NPD sollten sie in ihren 1 Prozent. Die rassistische Wahlkampf- Wahlkampfstrategien für 2016 bedenken. strategie der NPD ging nicht auf. Anwohner*innen sollten Parolen rechter In Charlottenburg-Nord erfuhren Parteien zurückweisen und Aktivitäten rechtspopulistische und neonazistische rechter Parteien dem Register melden. Parteien hohe Zustimmung. Dasselbe gilt für alle Randlagen des Bezirks. Mehr Infos über das Thema Die Alternative für Deutschland hatte Eine ausführliche Analyse zur Eu- in den Villenvierteln Grunewald und ropawahl im Bezirk gibt es auf Neuwestend bezirkliche Hochburgen. unserer Website. Es gibt dort Zurzeit ist nur die AfD aktiv. Sie sucht Tipps für demokratische Parteien Anschluss an die neue Rechte im Umfeld und Anwohner*innen. der Jungen Freiheit. In der AfD werden Weblink: http://www.berliner- marktradikale, ultrakonservative und register.de/node/91 8 neurechte Positionen verteten. 1 4 Über uns: Wie wir wirken

Das Register Charlottenburg-Wil- Das Register beriet lokale Ak- mersdorf wurde im Jahr 201 3 ein- teur*innen und die Bezirkspolitik. gerichtet. Kern der Arbeit ist rechte Es gab Gespräche mit Jugendgrup- und diskriminierende Vorfälle zu pen. Das Bezirksamt wurde in der veröffentlichen auf der Webseite Antragstellung zur Partnerschaft www.berliner-register.de. Sie wer- für Demokratie beraten. Es fand ein den recherchiert und gesammelt, inhaltlicher Austausch statt. ausgewertet und analysiert. Die Alle zehn Berliner Registerstellen, Perspektive der Betroffenen steht die Opferberatung ReachOut und im Mittelpunkt unserer Arbeit. Un- die Antisemitismusrecherche des sere Schwerpunkte im Jahr 201 4 VdK Berlin standen in engem waren das Register bekannt zu ma- fachlichen Austausch. Außerdem chen und verschwörungsideologi- gibt es eine gemeinsame Presse- sche Veranstaltungen auszuwerten. und Öffentlichkeitsarbeit.

Unser Dank gilt:

Impressum Herausgeber*innen: Register Charlottenburg-Wilmersdorf Druck: Flyeralarm, 97080 Würzburg Auflage: 2. weboptimierte Auflage, 2015 Erscheingungsort: Berlin Bildnachweis: Titelfoto: Boris Niehaus / „Openly antisemitic Protester in Berlin (17.7.2014)“ / Wikimedia Commons / CC-by-sa 4.0 / http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0; Abb. 7 u. 10: eigenes Archiv; Abb. 1-6 u. 8-9: eigene Darstellung Website: www.falken-berlin.de und www.berliner-register.de Das Register Charlottenburg-Wilmersdorf wird gefördert aus Mitteln des Landesprogramms gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen von Berlin. Die SJD – Die Falken LV Berlin ist die Trägerin des Projekts. 1 5 Hier gibt es doch kein Nazi- Ereignisse melden, die nicht problem... – so lautet eine verbrei- zur Anzeige gebracht werden tete Annahme. Das Register (sollen). Wir sind Betroffenen ein Charlottenburg-Wilmersdorf Sprachrohr und unterstützen sie. geht dieser Frage auf den Grund: Für demokratische Akteur*innen Wir dokumentieren und analysie- liefert das Register Charlotten- ren rechte und diskriminierende burg-Wilmersdorf Handlungs- Vorfälle im Bezirk. So machen wir grundlagen gegen rechte und All-tagsdiskrimnierung sichtbar. Wir diskriminierende Strukturen. An- nehmen hierzu Vorfälle in eine wohner*innen können von Jahreschronik auf, die öffentlich unserer Arbeit profitieren und ak- bekannt werden, z.B. durch tiv werden, wenn Rechte in ihrem Zeitungen, im Internet oder Kiez auftreten oder Diskriminie- bei Opferberatungen. Auf der rung verhindert werden kann. Die Website der Berliner Register Bezirkspolitik kann unsere Analy- (www.berliner-register.de) gibt es sen aufnehmen und reagieren. unsere aktuelle Liste. Wir kooperieren mit den Register- Bürger*innen melden dem projekten in den anderen Berliner Register Charlottenburg- Bezirken und der Opferberatung Wilmersdorf solche Vorfälle. Wir ReachOut Berlin. Wir arbeiten mit sammeln sie, werten sie aus und den Fachrecherchestellen RIAS veröffentlichen sie. Für Anwoh- und Amoro Foro sowie mit der ner*innen sind wir eine Mobilen Beratung gegen Anlaufstelle. Hier können sie auch Rechtsextremismus zusammen.