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SWR2 Tandem

Die Emanzipation vom Wie sich der Bassist Hellmut Hattler immer wieder neu erfindet

Sendung: Freitag, 21. April 2017, 19.20 Uhr Redaktion: Bettina Stender Autor: Rainer Schlenz

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„Swing Ur Soul“

O-Ton Heute treffe ich immer mehr Leute, die sagen: ‚du warst der Soundtrack meines Lebens und das hat mich immer begleitet. Egal, was du gemacht hast, von über TabTwo bis zu Hattler. Das sind zwar riesige Sprünge. Aber das hat mich immer begleitet und berührt‘. Und das ist das größte Kompliment, was man mir eigentlich machen kann. Dass es halt was Echtes ist, was man macht, egal, was man macht. Aber dass immer dieser Code sozusagen durchscheint.

Kaum ein deutscher Musiker hat eine so markante Sprache entwickelt wie er. Der Bassist und Komponist Hellmut Hattler hat verschiedenste Bands gegründet, ist aber immer erkennbar er selbst geblieben.

“Swing Ur Soul“

„Die Emanzipation vom Krautrock - Wie sich der Bassist Hellmut Hattler immer wieder neu erfindet.“ Eine Sendung von Rainer Schlenz.

Mit nicht einmal 20 Jahren wird Hattler Profi. Eine beständige Karriere: Mit 65 Jahren steht Hattler immer noch auf der Bühne, seine erste Band „Kraan“ existiert weiterhin. Und dennoch ist Hattler kein Mann der Vergangenheit.

O-Ton Also diese Nostalgienummer. ..Ich kann das verstehen, hat mit mir jetzt nicht wahnsinnig viel zu tun. Aber wenn das so ist für meine Leute, völlig in Ordnung. Es ist auch normal, wenn Leute mit Erwartungen ins Konzert kommen und bestimmte Sachen hören wollen, das irgendwelche Jugendhormone ausschüttet. Und wenn’s ihnen was bedeutet, dann bist du als Musiker schon mal gesegnet.

Die Nachhaltigkeit seiner Kunst liegt darin, dass Hattler vor allem aus sich selbst schöpft, nicht Moden hinterher rennt, sondern Stile prägt. Dabei kennt er nur ein Kriterium: Seine Gänsehaut.

O-Ton „Da hat das Denken erst mal überhaupt nix mit zu tun. Du bist einfach begeistert und dein ganzer Körper jauchzt und du willst einfach nur da dran weitermachen. Und diese Begeisterung des Ursprünglichen, was in der Komposition drin steckt, das ist für mich wichtig und das will ich halt transportieren auf Teufel komm raus.“

„Nam Nam Basssolo“

O-Ton Das macht mich total fassungslos…also das Kraan Live-Album, da guckst du mal bei Amazon, das ist immer ganz vorne dran, das ist unfassbar. Das ist wirklich was, das ist ein Phänomen, aber das zeigt halt auch, dass dieses frische Aufspiel, dieses Improvisieren, dieses Unerklärliche, was in der Band passiert ist, dass es halt da aufgenommen worden ist und dass das funktioniert, nach wie vor. 2

1975 schießt in Deutschland, später auch international, ein Album durch die Decke: Kraan Live! Konzentrierte musikalische Energie, eine Band, die sich blind versteht; Klänge, die man zuvor nie gehört hat. Und ein Bassmann, der alles will, nur nicht Brummeln im Background. Mit Hattler kommt ein neuer Typus Bassist auf die Bühne – einer der die Schwerkraft aufheben kann

O-Ton Ich hab dann auch mit Plektrum gespielt, was damals also völliger No-Go war, weil ich halt von der Gitarre kam. Und das war mir scheißegal. Ich wollte einfach das Ding so spielen. Hab festgestellt, ich kann meine Gefühle schnell umsetzen, kann das machen, was mir in den Kopf kommt. Und das war eigentlich genau das perfekte…Schnittstelle zu meiner Innenwelt. Der Bass.

„Nam Nam Basssolo“

Hellmut Hattler ist von sich und von der Band Kraan absolut überzeugt. So überzeugt, dass er die Schule schmeißt

O-Ton Und ich hab‘ dann sechs Wochen vor dem Abitur so sicher gewusst wie nichts sonst, dass ich mit den Jungs, mit denen ich wirklich gut Musik machen kann…ähm, den normalen Schulbetrieb verlassen muss und bin wirklich Profi geworden mit knapp 19.

„Nam Nam Basssolo“

Ulm ist der Startpunkt der Band. Dann lockt Berlin. Und irgendwann kommt das Bedürfnis nach dem Leben in einer Landkommune. Ein wohlhabender Graf bringt die Lösung. Er bietet der Band Kraan ein komplettes Anwesen im Teutoburger Wald an, Gut Wintrup. Hier findet eine Zeit lang alles statt. Kunst und Kochen, Lieben und Leben. Deutschlands erstes selbstverwaltetes Irrenhaus, meint Hattler

O-Ton Superchaotisch, weil wir hatten ja überhaupt keine Ahnung von realem Sozialismus, nur von gedachtem. Also wir haben das schon versucht, ein Modell zu leben ohne Privateigentum. Das erwirtschaftete Geld ging in eine Gruppenkasse und davon wurde alles bezahlt, was nötig war. Und das hat natürlich nur teilweise geklappt. Und je nachdem, wer mit welchem Mädel grad aufgetaucht ist, gab’s natürlich dann wieder Probleme. Also das ganz normale Ding.

„Nam Nam Basssolo“

Es ist an der Wohnform erkennbar, an der Musik, Kleidung, Brillen, der Selbstorganisation: Kraan ist auch ein politisches Statement. Es liegt in der Luft der Zeit. Die Nachkriegsgeneration wird erwachsen. Und in Deutschland unter sehr speziellen Vorzeichen. Der deutsche Weg dieser Bandgeneration, ihre besondere Ästhetik, die Lust am Neuen, der aufgeladene Zeitgeist bekommen einen Namen: Krautrock.

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O-Ton Und ich glaube, das war auch das, was die ganze Krautrock-Bewegung damals verbindet. Das war wie ‘ne kleine Kulturrevolution...der Gedanke, sich neu zu positionieren und auch auszudrücken, dass man gegen bestimmte Dinge ist, dass man die nicht will. Und als gemeinsame Erfahrung und als gemeinsame Bewältigung von diesen ganzen Nachkriegswirren war das extrem wichtig auch zur Emanzipation der deutschen Musik oder europäischen Musik.

Kraan wird zu einem international erfolgreichen Topact. Vielleicht auch deswegen, weil sich die Band gerade nicht am internationalen Mainstream orientiert. In gewissem Maße steht Kraan sogar in einer deutschen Tradition: Die Musik ist tiefgründig, vielschichtig, aber nie schwermütig.

„Yaqui Yagua“

Nach der Gleichschaltung und Massenhysterie der Kriegsgeneration setzt die Nachkriegsgeneration auf Individualität statt auf Vorbilder. Und Hellmut Hattler hat, wie er sagt, das unverschämte Glück, die für ihn richtigen Individualisten schon in seiner Schulklasse gefunden zu haben: Den Schlagzeuger Jan Fride und den Gitarristen Peter Wolbrandt:

O-Ton Und dieses ganz klare geschmackliche Übereinstimmen, das ist ganz, ganz selten. Und das ist eigentlich das, was uns verbunden hat. Und das hat man, egal in welchem Kontext, ob das eine Songstruktur war, ein Instrumentalstück, eine Komposition oder Improvisation, das konnte man immer raushören. Und das ist eigentlich das, was mir wichtig war.

„Yaqui Yagua“

Der Rausch der Landkommune ist irgendwann verflogen. Es folgt eine erste Häutung der Band. Zur neuen Besetzung gehören der Keyboarder Ingo Bischof und der Schlagzeuger Udo Dahmen. Kraan veröffentlicht ein neues Live-Album, "Tournee", heißt es. Wie Kraan live ein Höhenflug.

„Yaqui Yagua“

Eines der Stücke kommt mit einem Text aus, der sich auf ganze zwei Wörter beschränkt: Yaqui Yagua. Auch das ein Bekenntnis

O-Ton Ach, das ist kein Text. Ich glaub, Peter Wolbrandt hat einfach so lautmalerische Sachen gemacht. Weil er halt eher musikalisch denkt als inhaltlich. Und das fand ich auch total super. Weil bei mir isses genauso. Letztlich sind es immer musikalische Worte, die ich benutze. Weil ich eigentlich der Musik verpflichtet bin und nicht dem gesprochenen Wort.

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„Yaqui Yagua“

Yaqui Yagua von dem Album „Kraan Tournee“. Aufgenommen im Jahr 1978. Die Band häutet sich weitere Male. Den Kern bilden weiterhin Hellmut Hattler und der Gitarrist Peter Wolbrandt, der Rest ist weniger konstant. Mitte der 80er Jahre stößt ein junger Musiker dazu – der Trompeter Joo Kraus

„Dinner for Two“

O-Ton Und das sind Seelenverwandtschaften, wenn jemand versteht, wie du phrasiert haben willst oder wie du 'ne Melodie interpretierst, ohne dass es zickig oder nur abgelesen klingt oder sowas. Und da hat Joo Kraus absolut dazugehört. Vor allem war er total hungrig. Der wollte unbedingt Musik machen.

Joo Kraus passt perfekt in die Band: Er knüpft an Sounds an, mit denen einst der Saxophonist der Urbesetzung von Kraan, Alto Pappert, experimentiert hat. Der schickte seine Sax-Klänge durch ein Wah-Wah-Pedal, das eigentlich für die E-Gitarre gemacht war. Joo Kraus moduliert mit viel Elektronik experimentelle Trompetensounds, später spielt er ein komplett elektronisches Blasinstrument. Nebenbei wird er zum gefragten Experten für den Elektro-Groove. Zusammen mit Hellmut Hattler gibt er einen Elektronik-Workshop. Was musikalisch dabei rauskommt, bringen die beiden auf die Bühne – eigentlich eine Verlegenheitslösung, weil die Band Kraan nicht komplett einsetzbar war.

O-Ton Und dann haben sich die Zeitungskritiken ziemlich überschlagen, weil das irgendwie plötzlich den Zeitgeist bedient hat. Wir waren ein bissl überrascht auch und das hat uns ermutigt, daran weiter zu machen. Und dann, ein Jahr später, war Kraan mal wieder zu Ende. Und dann haben wir zu zweit weiter gemacht. Und plötzlich ging’s ab wie 'ne Rakete.

Das Duo nennt sich „Tab Two“ und erfindet ein neues Label: die beiden machen „Hip Jazz“. Eine Mischung aus elektronischen Grooves, HipHop-Elementen und einem jazzigen Kern. Von der Zahl der Köpfe ist Tab Two ein Duo, aber genau genommen wird die Formation durch eine Dreiecksbeziehung definiert. Bestehend aus einem Bassisten, einem Trompeter und einer Maschine. Diese Konstellation bildet sich zum idealen Zeitpunkt.

O-Ton Vorher waren die Drumcomputer einfach gruselig, haben einfach bumm-tscha, bumm-tscha gemacht. Als Inspirationsquelle haben die meiner Ansicht nach nicht wirklich gedient. Und das war das erste Mal so, dass diese Maschinen dann wirklich so attraktive Signale ausgesendet haben, dass man mit denen arbeiten konnte. Mit dem Unterschied, dass es halt unbewusste, dumme Kisten sind, die nicht auf mich reagieren. Damit konnte ich aber leben, weil als Egozentriker ist das perfekt.

Tab Two ist durch die Zellteilung von Kraan hervorgegangen. Das Konzept indessen ist ein vollkommen anderes. Statt lebensverlängernder Maßnahmen für’s in die Jahre 5 gekommene Hippie-Glück kommt jetzt die Perspektive Zukunft. Gestützt vom Rechner, gespeist von zwei grandiosen Musikern.

„No flagman ahead“

No flagman ahead – ein Welterfolg. Tab Two macht international Karriere und landet beim selben Plattenlabel wie Tina Turner. Es dauert nicht lange und Tab Two hat einen neuen Fan: Tina Turner will „No flagman ahead“ covern. Hattler und Kraus fragen sich: Was will diese begnadete Sängerin mit einem Rap? Und schicken Tina Turner ein neues, eigens für sie komponiertes Stück. Es passiert…erst mal gar nichts. Dann kommt Turners neue CD raus.

O-Ton Und dann habe ich das electronic press kit von ihr gesehen und war sehr erfreut, dass es Tina Turners Lieblingssong von ihrem Album ‚Wildest Dreams‘ geworden ist. Und das freut mich dann doch sehr.

„Thief of Hearts“

So steil der Aufstieg, so abrupt ist der Absturz von Tab Two. Das Projekt fällt in sich zusammen, als Joo Kraus die Kooperation beendet – ohne Vorankündigung. Für Hattler kommt die Implosion völlig überraschend.

O-Ton Wenn du das Gefühl hast, du bist jetzt endlich so weit, dass du alles gemacht hast. Du hast den Boden bestellt, du hast das Saatgut ausgebracht, die Sonne scheint, du hast gewässert. Und jetzt steht alles zum Ernten bereit. Und dann sagt er: ‚Hier ist Sperrgebiet, du darfst hier die Früchte nicht abernten‘. Das ist superfrustrierend irgendwie. Es war dann auch so gespenstisch, dass ich die Hintergründe und Ursachen nicht wirklich verstanden habe.

Was dann kommt, ist Schweigen. Hellmut Hattler sortiert sich neu. Die Fassungslosigkeit sitzt tief, weil er auch privat eine Trennung zu verarbeiten hat. Danach stehen die Zeichen auf Befreiung, auf Unabhängigkeit. Das ist die Ausgangsbasis für ein neues Bandprojekt. Der Name sagt eigentlich alles: Hattler!

O-Ton Bei diesem Projekt, da bin ich Zucht-, Zahl- und Kappellmeister. Das ist schon so. Weil es auch kein Bandprojekt ist im Sinne von Kraan: zusammen wohnen, zusammen teilen. Es ist komplett anders. Hattler ist eine Zusammenwürfelung von hochqualifizierten Fachkönnern...

…wie den Gitarristen Thorsten de Winkel, der das Berklee College of Music mit Bestnoten absolviert und die deutsche Jazzszene aufgemischt hat. Drummer Oli Rubow gehört zu jener Sorte Schlagzeuger, die den Groove im Blut und die Elektronik im Griff haben. Und über allem zieht Sängerin Fola Dada ihre Bahnen, die zwischen Zartheit, Geschmeidigkeit und perkussiver Attacke die nötige Vokalkraft in die Band bringt. 6

„Salaud“

Der Impuls fürs Komponieren geht bei Hattler nicht von der Melodie aus, nicht von Akkorden. Sondern vom Groove. Und den lässt der Bassist zunächst mal extern stricken, von Experten, die Hattler gerne seine „Laborratten“ nennt. Dazu gehört der Groovespezialist Peter Musebrink von der Band Deep Dive Corporation.

O-Ton Der ist wirklich ein totaler Crack und total wahnsinnig und besessen von seinen Kisten und kommt dann alle halbe Jahre und führt mir ein paar Sachen vor und dann lass ich mich wirklich davon inspirieren. Und wenn da alles einfach schon super klingt, macht’s auch total Spaß, dazu zu spielen und Melodien zu entwickeln.

Hattler baut um die Grooves allmählich Akkorde und Melodien und spielt erst mal alles auf dem Bass. Früher waren die Basslinien quasi Anschauungsmaterial für die Instrumentalisten. Bis Hattler für sich entdeckt: Der Tieftöner eignet sich wunderbar auch für die Höhen.

O-Ton Und dann habe ich irgendwann mal gesagt, mein Bass klingt so geil, oben, in den Melodien, warum lass‘ ich das nicht einfach? Und seitdem mach‘ ich bei ganz vielen Stücken auch die Melodieführung allein, mal mit fretless, mal mit normalem Bass. Das klingt super und insgesamt isses schon diese Doppelnummer – melodiös und harmonisch.

„Salaud“

Aus dem Projekt „Hattler“ wächst dann doch eine Band zusammen. Vielleicht ist es gerade der lockere Verbund der Akteure, der zu einer Festigkeit der Gruppe geführt hat.

O-Ton Diese Besetzung ist über zehn Jahre stabil, was ich nie und nimmer gedacht hätte. Und insofern mache ich mir jetzt gar keinen Kopf, was zu verändern. Auf der anderen Seite gibt mir der Name HATTLER einfach die Freiheit zu tun, was ich möchte. Also ich kann mit Leuten arbeiten, mit Laborratten arbeiten, mit Musikern arbeiten, mit denen ich sonst arbeiten würde. Und das ist die totale Freiheit und die genieß‘ ich dann schon sehr.

„Salaud“

Der Tonfall ist positiv, der Titel allerdings spricht eine andere Sprache. Salaud heißt das Stück, auf deutsch irgendwas zwischen Drecksack und Scheißkerl. Hier eine Fassung von der CD Live Cuts.

„Baby love“

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Beste Live-Qualitäten hat auch diese Besetzung: Siyou’n’Hell. Klingt wie: See you in hell – wir sehen uns in der Hölle. Ist aber eigentlich das knackige Kürzel der Namen der Akteure: Sängerin Siyou Isabelle Ngnoubamdjum und Hellmut Hattler.

„Baby love“

O-Ton Sie ist, die sie ist. Also es gibt niemand, der so authentisch und so echt ist, ohne wenn und aber. Ich kenn‘ niemand. Und das ist absolute Stärke (Hattler über Siyou)

O-Ton Was ich an ihm schätze? Dass er mich so sein lässt wie ich bin! Wow! (Siyou über Hattler)

„Baby love“

Kennengelernt haben sich die Beiden auf einer Bandprobe. Nach dem Ende der Probe packen alle ihre Instrumente ein, Siyou und Hellmut Hattler aber machen weiter. Und es funkt. Die beiden stellen fest, eine Band braucht es gar nicht. Das Duo reicht. Man bringt viel rüber, gibt ganz viel preis von sich, spielt fast wie nackt. Darin liegt die Kraft von Siyou’n’Hell.

O-Ton Man kann sich ja nicht verstecken im Duo. Man stellt sich auf die Bühne, offenbarst alle deine Emotionen und alle deine Fähigkeiten, den anderen zu bedienen und den Teppich auszurollen und wieder einzuziehen. Das macht’s halt durchsichtig und Transparenz ist ein großes Bedürfnis.

Es mag ein Zufall gewesen sein, dass sich die Wege der Sängerin Siyou Isabelle Ngnoubamdjum und des Bassisten Hellmut Hattler kreuzen. Aber wie die anderen Bands von Hattler fällt auch diese Formation in eine bestimmte Zeit, mit spezifischen Entwicklungen: Es ist die Epoche, die sich durch Schlagworte wie Globalisierung und digitale Revolution definiert. Wer oder was die Welt zusammenhält, lässt sich kaum mehr benennen. Vielleicht liegt der Erfolg von Siyou’n’Hell auch in der Überschaubarkeit eines Duos begründet.

O-Ton Es gibt ein Bedürfnis nach Einfachheit, nach Vereinfachung. Also es ist durchsichtiger, was wir machen. Weil jeder versteht natürlich jeden Ton. Wenn du eine Band mit Einspielungen hast, dann weiß keiner mehr genau, was passiert. Und auf der anderen Seite ist es natürlich zwar einfach zu sehen, aber die Komplexität, die zwischen diesen zwei Polen hin und her pendelt, das ist, glaube ich, das, was fasziniert.

Die Komplexität des Duos liegt in seinen Kontrasten: Siyou ist farbig, Hattlers Teint ist hell. Sie kommt aus dem Gospel, sein Kosmos wird durch Kraut und Jazz, durch Bass und Elektronik bestimmt. Siyou schlägt Coverversionen vor, Hattler hat bis dato quasi keine Fremdkompositionen gespielt. Sie ist gläubige Christin, er hat mit der Kirche nichts am Hut. 8

Die Antwort von Siyou’n’Hell: Sie überwinden die Unterschiede und suchen das Gemeinsame. Angesichts von Religionskämpfen in der ganzen Welt, von ideologischen Verwerfungen, von extremer Intoleranz eine geradezu politische Aussage. Und mit Siyou Isabelle Ngnoubamdjum zusammen bekommt für Hattler sogar das Wort „Spiritualität“ eine Bedeutung.

O-Ton Es ist eine universelle Energie einfach, die 'ne Kraft und hat und die wirkt und mit der arbeiten wir. (Siyou) Das ist nicht mehr beeinflussbar von einem. Man gibt irgendwas ab und der andere gibt irgendwas ab. Und plötzlich explodiert das und da kann man nicht sagen: ‚Ich war das‘. Ich mit meinem Denken oder sowas. Sondern da passieren Dinge, die unfassbar sind.

„Baby love“

Baby love – in der Einspielung von Siyou’n’Hell. Das Duo ist nach Kraan, Tab Two und Hattler die jüngste Zusammenarbeit des Bassisten Hellmut Hattler. Jede Formation hat sich scheinbar logisch, beinahe zwingend aus der vorangegangenen entwickelt. Eine glatte Karriere? Überhaupt nicht, meint Hattler nach mehr als 45 Bühnenjahren, vier Bands und nach drei Ehen.

O-Ton Harte Cuts sind einfach total wichtig. Und manchmal darf man einfach nicht nett sein, um geliebt zu werden. Sondern man muss Dinge machen, die echt sind. Und das ist, glaube ich, eh besser für die ganze Menschheit, wenn man echt ist und nicht für irgendwas geliebt werden will, wofür man eigentlich nur zu feige ist. …Hoppla, ziemlich harter Tobak. Aber vielleicht isses so.

Die Entschiedenheit, mit der Hellmut Hattler seinen Weg gemacht hat, ist auch biographisch bedingt: Früh hat er seine Eltern verloren. Hattler war zur Selbständigkeit gezwungen. Das bildet sich unmittelbar auch künstlerisch ab. Hattler hat nie den Markt abgescannt, sein Blick ist im besten Sinne egozentrisch. Das war eine der Voraussetzungen für authentische Musik und für Kompositionen, die das Label „zeitlos“ verdienen. Warum sonst sollte sich das erste Live-Album von Kraan immer noch so gut verkaufen? Auf der anderen Seite hat Hellmut Hattler immer auch die Zeichen der Zeit erkannt: Das Hippie-Glück mit Kraan, den Stand der Technik, der Tab Two und später Hattler möglich gemacht hat, die Reduktion auf Bass und Stimme in Zeiten immer schwerer zu durchschauender Zusammenhänge. Und welche Phase kommt jetzt? Der April 2017 ist ein markantes Datum. Hellmut Hattler ist 65 geworden. Andere gehen da in Rente. Für Hattler kein Thema.

O-Ton Auf der anderen Seite denke ich schon, dass ich eine Tendenz in mir spüre, Dinge rund zu machen, also Zusammenhänge zu flechten zwischen dem, wie das anfing, was ich erlebt habe, als Standortbestimmung zu dem, wo ich jetzt gerade bin.

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Vergleicht man die Anfänge des Musikers mit heute, sind die Stücke weniger kantig, weniger rau. Zum Teil ist die Musik der vergangenen Jahre eingängig genug, um auf Alben für die Lounge kompiliert zu werden. Andrerseits entwickelt Hattler am Bass immer noch eine Energie als gäbe es kein Altern. Der Kraan-Titel „Hoch das Bein“ von seiner brandneuen CD, für die er alle Weggefährten zusammengetrommelt hat, bekommt mit 65 jedenfalls eine geradezu philosophische Bedeutung. Wie lange geht das noch gut?

O-Ton So lange die Beine tragen! Und die Finger auch. Keine Ahnung. Ich hab‘ gedacht, mein Vater ist gestorben, als er 46 war. Da dachte ich auch, alles was danach kommt, ist Freispiel. Und genau so leb‘ ich halt auch. Und ich bin wirklich superglücklich, dass ich spielen kann, dass ich touren kann, dass ich mein Zeug schleppen kann. Und dass ich komponieren kann und texten kann, dass ich ein warmes Haus hab. Das ist phantastisch.

Hoch das Bein

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