Plenarprotokoll 13/38

Deutscher

Stenographischer Bericht

38. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Inhalt: -

Wahl des Abgeordneten Ulrich Heinrich F.D.P...... 2939 B zum Schriftführer 2919 A Heinrich-Wilhelm Ronsöhr CDU/CSU . . 2940 D Erweiterung und Abwicklung der Tages ordnung 2919 B Tagesordnungspunkt 4: Absetzung des Punktes 3 von der Tages a) Zweite und dritte Beratung des von den ordnung 2920 A, 2921 D Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. Dr. PDS (zur GO) . 2920 A, 2921 C eingebrachten Entwurfs eines Geset- Jörg van Essen F.D.P. (zur GO) . . . . 2921 A zes zur Überleitung preisgebundenen Wohnraums im Beitrittsgebiet in das all- gemeine Miethöherecht (Mietenüber- Tagesordnungspunkt 10: leitungsgesetz) (Drucksache 13/783)

Abgabe einer Erklärung der Bundesre- Zweite und dritte Beratung des von der gierung zu den Auswirkungen der aktuel- Bundesregierung eingebrachten Ent- len währungspolitischen Entwicklungen wurfs eines Gesetzes zur Überleitung in der Europäischen Union auf die Land- preisgebundenen Wohnraums im Bei- wirtschaft trittsgebiet in das allgemeine Miet- höherecht (Mietenüberleitungsgesetz) , Bundesminister BML 2922 A (Drucksachen 13/1041, 13/1187) Dr. Gerald Thalheim SPD 2924 C CDU/CSU 2927 D Zweite und dritte Beratung des von den Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Abgeordneten Franziska Eichstädt NEN ...... 2929 B Bohlig, (Berlin), weite- ren Abgeordneten und der Fraktion Günther Bredehorn F.D.P. 2931 A BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- Dr. Günther Maleuda PDS ...... 2933 A brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Meinolf Michels CDU/CSU . . . . . 2934 B Überleitung der Mieten in den neuen Horst Sielaff SPD ...... 2936 A , 2942 B Bundesländern und Ost-Berlin in das Vergleichsmietensystem durch wohn Albert Deß CDU/CSU ...... 2937 B wertbezogene Preisbildungsfaktoren Dr. Gerald Thalheim SPD . 2939 A, 2940 A (Drucksachen 13/549, 13/1386, 13/1394) II Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 b) Beschlußempfehlung und Bericht des Namentliche Abstimmung 2963 A Ausschusses für Raumordnung, Bauwe- sen und Städtebau zu dem Antrag der Ergebnis 2968 D Abgeordneten Franziska Eichstädt-Boh- lig, Helmut Wilhelm (Amberg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Verknüpfung ei- Tagesordnungspunkt 15: ner Mietrechtsänderung Ost mit einer gleichzeitigen Wohngeldanhebung a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Zweiten Gesetzes zur zu dem Antrag der Abgeordneten Änderung des Futtermittelgesetzes Klaus-Jürgen Warnick und der Gruppe (Drucksachen 13/671, 13/1351) . . . 2963 D der PDS: Sozial verträgliches und über- schaubares Mietensystem in Deutsch- land sowie Mindestbedingungen bei Namentliche Abstimmung 2964 A der Einführung des Vergleichsmieten- systems in Ostdeutschland (Drucksa- Ergebnis ...... 2971 B chen 13/546, 13/759, 13/1386 c) Zweite und dritte Beratung des von der Zusatztagesordnungspunkt 2: Fraktion der SPD eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des a) Ergänzungswahl von Mitgliedern des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Wahlprüfungsausschusses gemäß § 3 Gesetzbuch — Verlängerung des Kündi- Abs. 2 des Wahlprüfungsgesetzes gungsschutzes für gewerblich genutzte Räume und gewerblich genutzte unbe- Wahlvorschlag der Fraktionen BÜND- baute Grundstücke (Drucksachen 13/ NIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. 67, 13/776) (Drucksache 13/1392) d) Beschlußempfehlung und Bericht des - b) Nachwahl eines beratenden Mitglieds Rechtsausschusses zu dem Antrag des des Wahlprüfungsausschusses gemäß Abgeordneten Klaus-Jürgen Warnick § 3 Abs. 2 des Wahlprüfungsausschusses und der weiteren Abgeordneten der PDS: Verlängerung der erweiterten Kündigungsschutzregelungen für Mie- Wahlvorschlag der Gruppe der PDS terinnen und Mieter in Ostdeutschland (Drucksache 13/1393) ...... 2964 B bis zum Jahr 2000 (Drucksachen 13/582, 13/1396) Zusatztagesordnungspunkt 3: Dr.-Ing. Dietmar Kansy CDU/CSU . . . 2943 D

Achim Großmann SPD ...... 2945 D Ergänzungswahl von Mitgliedern des Gremiums gemäß § 9 Abs. 1 des Geset- Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ zes zur Beschränkung des Brief-, Post- DIE GRÜNEN ...... 2948 A und Fernmeldegeheimnisses (Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz) (Drucksa- Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. . . 2950 B che l3/1403) ...... 2964 C

Klaus-Jürgen Warnick PDS ...... 2951 D Zusatztagesordnungspunkt 4: Dr. Dietrich Mahlo CDU/CSU . . . . 2952 B

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bun- Ergänzungswahl von Mitgliedern des desministerin BMJ 2953 C Gremiums gemäß § 41 Abs. 5 des Au- ßenwirtschaftsgesetzes zur Kontrolle Iris Gleicke SPD ...... 2954 D der Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Drucksache Dr. Michael Luther CDU/CSU . . . . 2956 C 13/1404) 2964 C Dr. Jürgen Heyer, Minister (Sachsen-An halt) 2958 C Zusatztagesordnungspunkt 5 Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMBau 2960 B Wahl des Leiters der deutschen Delega Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ tion in der Nordatlantischen Versamm DIE GRÜNEN (Erklärung nach § 31 GO) . 2962 C lung und als ordentliches Mitglied im Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 III

Ständigen Ausschuß der Nordatlanti- Änderung des Lastenausgleichsgeset- schen Versammlung (Drucksachen 13/ zes (Drucksachen 13/188, 13/1364) 1387, 13/1388) Joachim Hörster CDU/CSU (Erklärung c) Beschlußempfehlung und Bericht des nach § 31 GO) 2965 A Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Präsidenten des Bundesrechungs- Dr. Peter Struck SPD (Erklärung nach § 31 hofes: Rechnung des Bundesrech- GO) ...... 2965 C nungshofes für das Haushaltsjahr 1993 - Einzelplan 20 - § 101 BHO (Drucksa- chen 12/7383, 13/725 Nr. 79, 13/1244) Tagesordnungspunkt 14:

Überweisungen im vereinfachten Ver- d) Beschlußempfehlung und Bericht des fahren Rechtsausschusses zu den dem Deut- schen Bundestag zugeleiteten Streitsa- chen vor dem Bundesverfassungsge- a) Erste Beratung des von der Bundesre- richt 2 BvE 1/95 und 2 BvE 2/95 gierung eingebrachten Entwurfs eines (Drucksache 13/1305) Gesetzes zu dem Protokoll Nr. 11 vom 11. Mai 1994 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und e) Beschlußempfehlung und Bericht des Grundfreiheiten (Drucksache 13/858) Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: b) Erste Beratung des von der Bundesre- Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der gierung eingebrachten Entwurfs eines Bundeshaushaltsordnung in die Veräu- Gesetzes zu dem Übereinkommen vom ßerung der ehemaligen US-Wohnsied- 6. November 1992 über den Beitritt der lung Centerville-Nord in Augsburg Griechischen Republik zu dem Schen- (Drucksachen 13/780, 13/1245) gener Übereinkommen vom 19. Juni 1990 (Gesetz zum Beitritt der Griechi- f) Beschlußempfehlung des Petitionsaus- schen Republik zum Schengener Über- schusses Sammelübersicht 31 zu Peti- einkommen) (Drucksache 13/1269) tionen (Drucksache 13/1325) c) Antrag des Bundesministeriums der Fi- g) Beschlußempfehlung des Petitionsaus- nanzen: Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 schusses Sammelübersicht 33 zu Peti- der Bundeshaushaltsordnung zur Ver- (Drucksache 13/1327) . . . 2976 A äußerung bundeseigener Grundstücke tionen in Wiesbaden, ehemaliges Camp Lind- sey (Drucksache 13/1293) Zusatztagesordnungspunkt 7: d) Antrag der Abgeordneten Dr. Günther Maleuda, Eva-Ma ria Bulling-Schröter Weitere abschließende Beratungen und der Gruppe der PDS: Regelung der ohne Aussprache Altkredite der LPG - Rechtsnachfolger (Drucksache 13/1330) 2966 C Zweite Beratung und Schlußabstim- mung des von der Bundesregierung Zusatztagesordnungspunkt 6: eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 25. März 1981 zwischen der Bundesrepublik Deutsch- Weitere Überweisungen im vereinfach- land und dem Königreich Marokko ten Verfahren über Kindergeld (Drucksache 13/665) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Zweite Beratung und Schlußabstim- Siebzehnten Gesetzes zur Änderung mung des von der Bundesregierung ein- des Bundesausbildungsförderungsge- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu setzes (Drucksache 13/1395) . . . . 2967 A dem Abkommen vom 20. September 1991 zwischen der Bundesrepublik Deutsch- land und der Tunesischen Republik über Kindergeld (Drucksache 13/664) Tagesordnungspunkt 15: b) Zweite und dritte Beratung des vom a) Beschlußempfehlung und Bericht des Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- Ausschusses für Arbeit und Sozialord- nes Zweiunddreißigsten Gesetzes zur nung (Drucksache 13/1320) IV Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

b) Berichte des Haushaltsausschusses Förderung des Baus eines Abschiebege- gemäß § 96 der Geschäftsordnung fängnisses auf dem Bukarester Flughafen (Drucksachen 13/1398, 13/1399) . . 2967 C MdlAnfr 39 Manfred Such BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN Tagesordnungspunkt 2 (Fortsetzung): Antw StMin Helmut Schäfer AA . . . 2980 C Fragestunde ZusFr Manfred Such BÜNDNIS 90/DIE - Drucksache 13/1347 vom 12. Mai 1995 - GRÜNEN 2980 C

Einreise indonesischer Polizisten oder Ge- Information und Haltung des Bundesmini- heimdienstmitarbeiter zu Ermittlungs- sters für besondere Aufgaben, Friedrich zwecken im Zusammenhang mit dem Bohl, im Zusammenhang mit der Verhin- derung des Plutoniumschmuggels von Deutschland-Besuch des indonesischen Rußland nach Deutschland Präsidenten Suharto im April 1995

MdlAnfr 35 MdlAnfr 40 Norbert Gansel Manfred Such BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN Antw BM BK 2973 D Antw StMin Helmut Schäfer AA . . . 2981 A ZusFr Norbert Gansel SPD . . . . 2974 C, 2975 B ZusFr Manfred Such BÜNDNIS 90/DIE ZusFr Volker Neumann (Bramsche) SPD . 2975 C GRÜNEN 2981 A

ZusFr Friedhelm-Julius Beucher SPD . 2975 C Beiträge der Bundesregierung und der EU-Partner zur Unterstützung des Interna- ZusFr Erika Simm SPD 2975- D tionalen Strafgerichtshofs für das ehemali- ge Jugoslawien bzw. des Internationalen ZusFr Manfred Such BÜNDNIS 90/DIE Kriegsverbrechertribunals für Ruanda GRÜNEN ...... 2975 D

ZusFr CDU/CSU . . 2976 B MdlAnfr 41 Dr. SPD ZusFr Dr. Eberhard Brecht SPD 2976 C Antw StMin Helmut Schäfer AA . . . . 2981 D ZusFr Annette Faße SPD 2977 A ZusFr Dr. Eberhard Brecht SPD 2982 A

Kontakte des Bundesnachrichtendienstes ZusFr Alois Graf von Waldburg-Zeil CDU/ zu dem V-Mann des Bundeskriminalamtes CSU 2982 C namens „Roberto" im Zusammenhang mit dem Plutoniumschmuggel von Rußland nach Deutschland Deutsche Haltung bei den Verhandlungen zur Verlängerung des Atomwaffensperr- MdlAnfr 36, 37 vertrages zur Initiative von elf Nicht Volker Neumann (Bramsche) SPD Atomwaffenstaaten betr. weltweiter Ver- zicht auf die Errichtung neuer mit hochan- Antw BM Friedrich Bohl BK . . 2977 B, 2978 D gereichertem Uran betriebenen For- schungsreaktoren ZusFr Volker Neumann (Bramsche) SPD 2977 B, 2979 A MdlAnfr 43, 44 Wolf-Michael Catenhusen SPD ZusFr Norbert Gansel SPD . . . 2978 A, 2979 C Antw StMin Helmut Schäfer AA . . . . 2982 D ZusFr Manfred Such BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . ...... 2978 B ZusFr Wolf-Michael Catenhusen SPD . 2983 A

ZusFr Annette Faße SPD ...... 2978 C ZusFr Horst Kubatschka SPD 2983 C

ZusFr Erwin Marschewski CDU/CSU . . 2980 A ZusFr SPD 2984 B Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 V

Errichtung des geplanten Forschungsreak- Angelika Graf (Rosenheim) SPD . . . . 3007 B tors München II Heinz-Günter Bargfrede CDU/CSU . . . 3009 D MdlAnfr 45, 46 Horst Kubatschka SPD Gila Altmann (Aurich) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ...... 3011 B Antw StMin Helmut Schäfer AA . . . 2984 C F.D.P. ...... 3012 B ZusFr Horst Kubatschka SPD 2985 A Dr. PDS 3014 A

Renate Blank CDU/CSU 3015 A Zusatztagesordnungspunkt 9: Jutta Müller (Völklingen) SPD . . 3016 D tr. Krebsrisiko Aktuelle Stunde be Norbert Königshofen CDU/CSU . . . 3018 D durch bodennahes Ozon Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ BK (zur Friedrich Bohl, Bundesminister DIE GRÜNEN ...... 3019 D GO) 2986 B

Gila Altmann (Aurich) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2987 B Tagesordnungspunkt 6:

Dr. Peter Paziorek CDU/CSU 2988 A Erste Beratung des vom Bundesrat ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes Dr. Marliese Dobberthien SPD 2989 C zur Änderung des Betäubungsmittelge- setzes (Drucksache 13/205) Rolf Köhne PDS ...... 2990 D Helgrit Fischer-Menzel, Senatorin (Ham Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister burg) ...... 3021 B BMBF ...... 2991 D - Hubert Hüppe CDU/CSU . . 3023 A, 3028 B Iris Blaul, Staatsministerin (Hessen) . . . 2993 B Johannes Singer SPD . . . . . 3024 A, 3042 B Hans-Otto Schmiedeberg CDU/CSU . 2995 A Monika Knoche BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Konrad Kunick SPD 2996 A NEN 3026 A, 3028 D

Dr. , Bundesministerin Heinz Lanfermann F.D.P. 3029 A BMU 2997 A Monika Knoche BÜNDNIS 90/DIE Dr. Angelica Schwall-Düren SPD . . 2999 B GRÜNEN 3030 C

Birgit Homburger F D P. 3000 C PDS 3032 A 3033 B CDU/CSU 3001 D Norbert Röttgen CDU/CSU Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE Dr. SPD 3002 D GRÜNEN 3033 C CDU/CSU 3003 D Dr. Angelika Köster-Loßack BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 3034 B Steffen Kampeter CDU/CSU 3005 C Konrad Gilges SPD 3035 A Dr. Günter Rexrodt F.D.P. (Erklärung nach § 30 GO) 3006 D SPD ...... 3035 C

Hubert Hüppe CDU/CSU . . . . 3036 B

Tagesordnungspunkt 5: Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatsse kretärin BMG ...... 3037 C Beratung des Antrags der Abgeordne- ten Elke Ferner, Michael Müller (Düs- Johannes Singer SPD 3039 B seldorf), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Minderung des Ver- Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär BMI 3041 A kehrslärms an Straßen und Schienen (Drucksache 13/1042) SPD ...... 3041 D VI Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Tagesordnungspunkt 7: Christian Sterzing BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN 3057 B Erste Beratung des vom Bundesrat ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes Dr. , Parl. Staatssekretär zur Ergänzung der Unfallversicherung BMWi ...... 3058 B für Kinder in Horten und Krippen und den übrigen Tageseinrichtungen für Kinder (Drucksache 13/373) Zusatztagesordnungspunkt 8: Dr. Günter Ermisch, Staatssekretär (Sach sen) ...... 3043 A Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Konrad Gilges SPD 3043 C wurfs eines Gesetzes über die Rechts- stellung ausländischer Streitkräfte bei Rudolf Meyer (Winsen) CDU/CSU . . 3043 C vorübergehenden Aufenthalten in der Bundesrepublik Deutschland (Streit- Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/DIE GRÜ kräfteaufenthaltsgesetz) (Drucksachen NEN ...... 3044 D 13/730, 13/1358)

Uwe Lühr F.D.P. ...... 3044 D CDU/CSU ...... 3059 C

Rosel Neuhäuser PDS 3045 C

Rudolf Kraus, Parl. Staatssekretär BMA 3045 C Nächste Sitzung ...... 3061 D

Tagesordnungspunkt 8: Anlage 1 Antrag des Abgeordneten Manfred Such und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Liste der entschuldigten Abgeordneten . 3063* A DIE GRÜNEN: Transparenz über Rei- - sen des Bundestages gegenüber den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern (II.) (Drucksache 13/1014)

Manfred Such BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Anlage 2 NEN 3046 A Namensverzeichnis der Mitglieder des CDU/CSU 3047 A Deutschen Bundestages, die an der Wahl des Leiters der deutschen Delegation in Manfred Such BÜNDNIS 90/DIE GRÜ der Nordatlantischen Versammlung und NEN ...... 3047 C des ordentlichen Mitglieds im Ständigen Ausschuß der Nordatlantischen Versamm- Wolf-Michael Catenhusen SPD 3049 A lung teilgenommen haben ...... 3063* B Jörg van Essen F.D.P. ...... 3050 D

Manfred Müller (Berlin) PDS . . 3051 D

Anlage 3

Tagesordnungspunkt 9: Zu Protokoll gegebene Reden zu Zusatzta- gesordnungspunkt 8 (Gesetzentwurf über Antrag der Abgeordneten Heinrich die Rechtsstellung ausländischer S treit- Graf von Einsiedel, Dr. Willibald Jacob kräfte bei vorübergehenden Aufenthalten und der weiteren Abgeordneten der in der Bundesrepublik Deutschland) PDS: Verbot der Rüstungsexporte und Konversion der Rüstungsindustrie Brigitte Schulte (Hameln) SPD . . . . . 3065* D (Drucksache 13/584) Dr. F.D.P. ...... 3066* B Dr. Winfried Wolf PDS 3052 C BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Erich G. Fritz CDU/CSU 3053 C NEN ...... 3067* A

Gernot Erler SPD ...... 3055 B Andrea Lederer PDS ...... 3068* A

Paul K. Friedhoff F.D.P. ...... 3056 D Helmut Schäfer, Staatsminister AA . . . 3069* A Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 VII

Anlage 4 Anlage 5

Repressionen gegen indonesische Bürger- Entschädigung russischer Kriegsgefange- rechtler wegen angeblicher Beteiligung an ner aus dem für die Entschädigung ehe- Demonstrationen gegen den indonesi- maliger russischer KZ-Häftlinge gebilde- schen Präsidenten Suharto während sei- ten „Fonds für Einverständnis und Aus- nes Deutschland-Besuchs im April 1995 söhnung"

MdlAnfr 38 - Drs 13/1347 - MdlAnfr 47, 48 - Drs 13/1347 - Dr. Elke Leonhard SPD Gernot Erler SPD SchrAntw StMin Helmut Schäfer AA . . 3069* C SchrAntw StMin Helmut Schäfer AA . . 3070* B

Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 2919

38. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Beginn: 9.00 Uhr

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Liebe Kolleginnen 7. Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache und Kollegen! Ich wünsche einen guten Morgen und (Ergänzung zu TOP 15) eröffne die Sitzung. - Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge- Wir kommen zunächst zu allgemeinen Dingen. setzes zu dem Abkommen vom 25. März 1981 zwi- Durch das Ausscheiden unserer früheren Kollegin shenKö- der Bundesrepublik Deutschland und dem Claire Marienfeld muß ein Schriftführer nachgewählt nigreich Marokko über Kindergeld - Drucksache 13/ werden. Die Fraktion der CDU/CSU schlägt hierfür 665 - den Abgeordneten Hubert Deittert vor. Sind Sie da- - Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der mit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zu dem Abkommen vom 20. September 1991 Damit ist der Abgeordnete Hubert Deittert zum zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der neuen Schriftführer gewählt. Tunesischen Republik über Kindergeld - Drucksa- chen 13/664, 13/1320, 13/1398, 13/1399 - (Beifall) 8. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregie- Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbun- rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Rechtsstellung ausländischer Streitkräfte bei vorüberge- dene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in henden Aufenthalten in der Bundesrepublik Deutsch- der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt: land 1. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: (Streitkräfteaufenthaltsgesetz - SkAufG) Entwicklung der Ausbildungsplatzsituation in der Bun- - Drucksachen 13/730, 13/1358 - desrepublik Deutschland, insbesondere in den neuen 9. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/ Ländern DIE GRÜNEN: Krebsrisiko durch bodennahes Ozon (in der 37. Sitzung am 17. 5. 1995 bereits erledigt.) 10. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Respektie- 2. a) Ergänzungswahl von Mitgliedern des Wahlprü- rung des Stromeinspeisungsgesetzes - Für erneuerbare fungsausschusses gemäß § 3 Abs. 2 des Wahlprü- Energien - Drucksache 13/1384 - fungsgesetzes Wahlvorschlag der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, so- GRÜNEN und F.D.P. - Drucksache 13/1392 - weit erforderlich, abgewichen werden, wobei wir b) Nachwahl eines beratenden Mitglieds des Wahlprü- gleich noch über eine Fristabweichung zum Tages- fungsausschusses gemäß 3 Abs. 2 des Wahlprü- ordnungspunkt 4 sprechen werden. fungsausschusses Wahlvorschlag der Gruppe der PDS - Drucksache 13/ Die für heute ursprünglich vorgesehene Regie- 1393 - rungserklärung zum Lateinamerika-Konzept der 3. Ergänzungswahl von Mitgliedern des Gremiums ge- Bundesregierung wird auf Wunsch der Bundesregie- mäß I 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Beschränkung des rung abgesetzt und dafür die Regierungserklärung Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Gesetz zu zu den Auswirkungen der währungspolitischen Ent- Artikel 10 Grundgesetz) - Drucksache 13/1401 - wicklungen in der Europäischen Union auf die Land- 4. Ergänzungswahl von Mitgliedern des Gremiums ge- wirtschaft vorgezogen. mäß § 41 Abs. 5 des Außenwirtschaftsgesetzes zur Kon- trolle der Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmel- Darüber hinaus ist interfraktionell vereinbart wor- degeheimnisses - Drucksache 13/1404 - den, daß über die Änderung des Futtermittelgesetzes 5. Wahl des Leiters der deutschen Delegation in der Nordatlantischen Versammlung und als ordentliches - Punkt 15 a) der Tagesordnung - bereits nach Tages- Mitglied im Ständigen Ausschuß der Nordatlantischen ordnungspunkt 4 namentlich abgestimmt werden Versammlung - Drucksache 13/1387, 13/1388 - soll. Anschließend finden die Wahlen und danach die 6. Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren Beratungen ohne Aussprache sowie die Fragestunde (Ergänzung zu TOP 14) statt. Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Sind Sie mit den Änderungen bzw. Ergänzungen gebrachten Entwurfs eines Siebzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes einverstanden? - Das ist der Fa ll. Es ist so beschlos- (17. BAföGÄndG) - Drucksache 13/1395 - sen. 2920 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Die Gruppe der PDS hat beantragt, den Tagesord- müssen wir schon genau sein - forde rt, daß Ihnen ein nungspunkt 4, Mietenüberleitungsgesetz, von der solcher Antrag „vorgelegt" wird. Einen mündlichen heutigen Tagesordnung abzusetzen. Als Begrün- Antrag kann man vielleicht vorbringen oder stellen, dung wird angeführt, die Frist nach § 81 Abs. 1 der aber nicht vorlegen. Aus diesem Wort ergibt sich, daß Geschäftsordnung für die Verteilung der Beschluß- der Antrag schriftlich gestellt werden muß und daß empfehlung sei nicht eingehalten worden. Wird zu es sich in der Sitzung am 11. Mai lediglich um die diesem Geschäftsordnungsantrag das Wo rt ge- Ankündigung eines solchen Antrags gehandelt ha- wünscht? - Herr Gysi. ben kann, der dann aber nicht gestellt wurde. Mithin ist eine Abstimmung gar nicht zulässig. Dr. Gregor Gysi (PDS): Frau Präsidentin! Meine Ich weise darauf hin, daß es beim Petitionsaus- Damen und Herren! Eine Geschäftsordnung hat ja schuß 50 000 Petitionen zu diesem Mietenüberlei- bekanntlich einen tieferen Sinn. Die Geschäftsord- tungsrecht gibt. Damit hat sich bisher weder der Bau- nung haben wir uns selbst gegeben. Die Regelung ausschuß noch der Rechtsausschuß beschäftigt. Wol- des § 81 der Geschäftsordnung soll ermöglichen, daß len Sie den 50 000, die petitioniert haben, sagen, daß nicht nur die in den Fachausschüssen im einzelnen deren Meinung Sie überhaupt nicht interessie rt, be- mit den Beratungsgegenständen befaßten Abgeord- vor Sie hier abschließend beraten und entscheiden? neten, sondern alle Abgeordneten der Fraktionen und Gruppen in der Lage sind, sich rechtzeitig über Ich weise darauf hin, daß gestern im Landtag von eine Debatte, eine Diskussion und auch über ent- Brandenburg eine Volksinitiative beschlossen wor- sprechende Entscheidungen zu Tagesordnungs- den ist und daß ein entsprechendes Verfahren in punkten abzustimmen. Mecklenburg-Vorpommern eingeleitet, aber noch nicht entschieden ist. Auch dieses Verfahren sollten Bei dem Tagesordnungspunkt 4, dem Mietenüber- wir abwarten, bevor wir hier eine Beratung durch- leitungsgesetz, geht es um eine Regelung, an der lo- führen und zu einer Entscheidung kommen. gischerweise die Abgeordnetengruppe der PDS ein besonderes Interesse hat. Sie wissen, daß wir vorwie- Zumindest gibt es nicht die geringste Rechtferti- gend in den neuen Bundesländern gewählt worden gung, alles, was in unserer Geschäftsordnung gere- sind, und schließlich geht es um Mieterhöhungen, gelt ist, über Bord zu werfen - aus einem einzigen die Millionen Bürgerinnen und Bürger in den neuen Grund: so schnell wie möglich die Mieten in den Bundesländern betreffen. neuen Bundesländern zu erhöhen, wobei auch noch die Geschäftsordnung verletzt wird. (Zuruf von der CDU/CSU: Brandstifter!)- (Beifall bei der PDS) - Sie können doch trotzdem eine Frist einhalten, oder nicht? Sollten Sie sich über all das hinwegsetzen und (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ glauben, von einem Antrag ausgehen und die Ab- DIE GRÜNEN]: Frau Präsidentin, ich finde stimmung durchführen zu können, und sollte sich es unglaublich, daß hier einfach „Brand eine Zweidrittelmehrheit entscheiden, dieses Gesetz stifter" gesagt wird! So geht es wirk lich ohne ausreichende Beratungszeit für die Fraktionen nicht!) durchzubringen, nur um die Mieten so schnell wie möglich zu erhöhen, dann stelle ich einen Hilfsan- Die Vorlage, über die heute hier entschieden wer- trag. Nur für diesen Fall beantragen wir die Ausset- den soll, erreichte uns gestern abend um 20 Uhr. Die zung der Plenarsitzung für zwei Stunden, damit sich Abgeordnetengruppe der PDS war nicht mehr in der unsere Gruppe mit der Beschlußempfehlung be- Lage, nach 20 Uhr zu tagen, um sich mit dieser Be- schäftigen, das Abstimmungsverhalten besprechen schlußempfehlung auseinanderzusetzen. Wir wollen und darüber hinaus prüfen kann, ob und welche Än- gerne gründlich darüber beraten, wie wir abstim- derungsanträge sie gegebenenfalls stellt. men, ob und gegebenenfalls welche Änderungsan- träge wir stellen. (Beifall bei der PDS - Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Ihr Abstimmungsverhal Allerdings kennt unsere Geschäftsordnung auch ten stand doch schon fest, bevor wir das Ge eine Ausnahme, die besagt, daß mit Zweidrittelmehr- setz gemacht haben!) heit in diesem Bundestag eine Fristverkürzung oder die Aufhebung der Frist beschlossen werden kann. Das setzt allerdings einen Antrag gemäß § 20 Abs. 2 Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Bevor ich Herrn Satz 3 der Geschäftsordnung voraus. Dort heißt es, van Essen das Wort gebe, möchte ich darauf auf- daß ein solcher Antrag der Bundestagspräsidentin merksam machen: Politische Zwischenrufe gehören am Vortag bis 18 Uhr vorgelegt werden muß. Nach zu einer lebhaften parlamentarischen Debatte. Wir unserer Kenntnis lag ein solcher Antrag nicht vor. müssen aber darauf achten, was wir dazwischenru- fen. Das Wort „Brandstifter" - ich weiß nicht, wer es Nun sagen die Parlamentarischen Geschäftsführer gerufen hat - gehört hier nicht hin. Darauf sollten wir und die Fraktionen, der Antrag sei dadurch gestellt uns verständigen. worden, daß er im Beisein der Präsidentin in der Älte- stenratssitzung am 11. Mai angekündigt wurde. Frau (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne Präsidentin, ich widerspreche hier förmlich einer Ab- ten der SPD - Bundesminister Dr. Theodor stimmung über die Abkürzung der Frist, weil § 20 Waigel: Das moniert der Herr Fischer, der Abs. 2 Satz 3 unserer eigenen Geschäftsordnung - da Tugendwächter des Parlaments!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 2921

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Dann möchte ich Herrn Gysi sagen - Sie haben Dr. Gregor Gysi (PDS): Ich möchte noch einmal dem allerdings gerade widersprochen -, daß die vor- darauf hinweisen, daß der Parlamentarische Ge- liegende Tagesordnung in der Sitzung des Ältesten- schäftsführer der F.D.P. nichts zu der Frage gesagt rates am 11. Mai 1995 mit Beteiligung der PDS ver- hat, daß nach unserer Geschäftsordnung ein solcher einbart worden ist. Zu diesem Zeitpunkt stand be- Verkürzungsantrag Ihnen, Frau Präsidentin, bis zum reits fest, daß die Beschlußempfehlung des Aus- Vorabend 18.00 Uhr vorliegen muß, und das verlangt schusses für Raumordnung, Bauwesen und Städte- Schriftform, was nicht gegeben ist. bau erst am Mittwoch, dem 17. Mai 1995, vorliegen würde. Dazu erfolgte kein Widerspruch. Ich möchte auch auf folgendes hinweisen. Sie ha- ben hier einen Beschluß über den Status der Gruppe Herr Gysi, Sie haben den Widerspruch hier eben gefaßt. Dazu gehört, daß unsere Zustimmung zu ei- formuliert. nem Einvernehmen im Ältestenrat überhaupt nicht erforderlich ist, weil unser Parlamentarischer Ge- Ich nehme an, daß Herr van Essen jetzt dazu Stel- schäftsführer kein Stimmrecht hat. Uns dieses Recht lung nehmen wird. erst zu nehmen und sich dann darauf zu berufen, das halte ich für ein ziemlich starkes Stück. Sie können doch in den Fraktionen alles ohne uns vereinbaren, Jörg van Essen (F.D.P.): Vielen D ank, Frau Präsi- anent! dentin. Die Parlamentarischen Geschäftsführer der und das tun Sie ja auch perm Fraktionen des Bundestages haben mich gebeten, zu (Beifall bei der PDS) dem Begehren der PDS kurz Stellung zu nehmen. Im übrigen nehmen wir den Bauausschuß und den Niemand in diesem Hause nimmt den Wunsch ei- Rechtsausschuß ernst. Beide haben hier am Mitt- ner Fraktion oder Gruppe, die eine Verschiebung woch getagt. Wenn Sie davon ausgehen, daß jede wünscht, weil noch Beratungsbedarf besteht, auf die Kungelei schon am Montag feststeht und die Aus- leichte Schulter. Aber in diesem Fa ll können wir dem schüsse gar nichts mehr zu sagen haben, ist das Ihr Begehren wirklich nicht zustimmen; denn wir haben Problem. Wir mußten uns darauf einstellen, daß Mittwoch voriger Woche in der sogenannten inter- beide Ausschüsse am Mittwoch durchaus noch Ver- fraktionellen Runde ausführlich über die Problematik änderungen beschließen können. gesprochen, auch darüber, daß die Beratungen erst am gestrigen Mittwoch abgeschlossen sein würden. (Beifall bei der PDS) Wir haben auch darüber gesprochen, daß das natür- lich bedeutet, daß Fristen nicht eingehalten -werden. Der Geschäftsführer der PDS war dabei; er hat nicht Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Ich halte noch ein- widersprochen. Wir haben einvernehmlich festge- mal fest: Nach ständiger Parlamentspraxis ersetzt stellt, daß die Einrede der Fristverkürzung nicht er- eine Vereinbarung im Ältestenrat den in § 81 Abs. 1 hoben wird. der Geschäftsordnung genannten Antrag. Ich lasse dennoch über den Absetzungsantrag und über die Wir haben am letzten Donnerstag im Ältestenrat Fristabweichung abstimmen. ebenfalls über dieses Thema gesprochen. Auch da ist die Tagesordnung für diese Woche einvernehmlich, Wir stimmen zunächst über den Absetzungsantrag mit Zustimmung der PDS, verabschiedet worden. der Gruppe der PDS ab. Wer stimmt dafür, den Ta- Von daher besteht überhaupt kein Grund, diesem gesordnungspunkt 4, Mietenüberleitungsgesetz, von Begehren nachzugeben. der Tagesordnung abzusetzen? - Wer stimmt dage- gen? - Enthaltungen? - Damit ist der Absetzungsan- Auch aus einem anderen Grund ist dies so: Der trag der PDS mit den Stimmen der CDU/CSU, der Kompromiß, über den heute beraten wird, ist ja seit F.D.P., der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Montag bekannt. Daher hatten Sie z. B. in Ihrer NEN ohne Enthaltungen abgelehnt. Gruppensitzung am letzten Dienstag Gelegenheit, über die Dinge zu sprechen, die heute beraten wer- Wir kommen zur Abstimmung über die Fristabwei- den. chung. Wer stimmt dafür, heute die Vorlagen zum Mietenüberleitungsgesetz unter Abweichung von Nein, so kann man im parlamentarischen Leben der Frist für den Beginn der Beratung zu behandeln? nicht miteinander umgehen. Wir müssen kurz und - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist eindeutig feststellen: Wer sich auf die PDS verläßt, über diesen Antrag gegen die Stimmen der PDS posi- der ist offensichtlich verlassen. tiv entschieden. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Der Abgeordnete Gysi hatte einen Hilfsantrag ge- Wir sind deshalb der Auffassung, daß wir die Ta- stellt. Die Vertagung bedarf nach § 26 unserer Ge- gesordnung so, wie beschlossen, heute abwickeln schäftsordnung entweder des Antrags einer Fraktion sollten. Das ist unser Antrag, Frau Präsidentin. Wir oder des Antrags von 5 % der Abgeordneten. werden entsprechend abstimmen. (Dr. Gregor Gysi [PDS]: Es ist ein Ausset (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) zungsantrag!) Ich lasse - mit Ihrem Einverständnis - trotzdem Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Gysi, noch über den Hilfsantrag abstimmen. Wer stimmt für den einmal zum Antrag. Hilfsantrag auf Aussetzung, den Kollege Gysi ge- 2922 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 Präsidentin Dr. Rita Süssmuth stellt hat? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - währungsländer geboten hat, dann ist das von Ihrer Damit ist auch dieser Hilfsantrag der PDS mit den Seite sicher keine Böswilligkeit, sondern einfach nur Stimmen aller Fraktionen bei einer Enthaltung abge- die Folge mangelnder Kenntnisse über die Auswir- lehnt. kungen von Auf- und Abwertungen. Deshalb nehmen Sie mir bitte eines ab: Das seit Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: Dezember 1994 geltende System ist sogar noch gün- stiger als das alte Switch-over-System. Ich bin gern Abgabe einer Erklärung der Bundesregie- bereit, in einem Währungsseminar Nachhilfe zu ge- rung zu den Auswirkungen der aktuellen ben. Aber eines ist auch klar: Eine dauerhafte Besei- währungspolitischen Entwicklungen in der tigung dieser Verzerrungen wird nur durch eine ge- Europäischen Union auf die Landwirtschaft meinsame europäische Währung zu erreichen sein. Dazu liegen Entschließungsanträge der Fraktionen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU der CDU/CSU und der F.D.P. sowie der Fraktion der und der F.D.P.) SPD vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluß an die Regie Deshalb fordert die deutsche Landwirtschaft alle An- rungserklärung anderthalb Stunden vorgesehen. strengungen zur Verwirklichung der Währungs- Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. union. Die Bauern wollen möglichst schnell eine eu- ropäische Währungsunion. Ich erteile das Wort zur Abgabe einer Regierungs- In der derzeitigen Situa tion, wo auf der Marktseite erklärung dem Bundesminister für Ernährung, L and- der Druck größer wird, sind die Ausgleichszahlun- wirtschaft und Forsten, Jochen Borche rt. gen der Agrarreform ein wesentliches Element der Einkommensstabilisierung. Bei aller Kritik, die die Jochen Borchert, Bundesminister für Ernährung, Bauern bisher an der Agrarreform hatten: Die festen Landwirtschaft und Forsten: Frau Präsidentin! Meine und kalkulierbaren Prämienzahlungen aus Brüssel, Damen und Herren! Es ist unser gemeinsames Ziel, zusammen mit stabileren Erzeugerpreisen, bildeten das Vertrauen der Bürger in die weitere europäische die Brücke, die zu der wachsenden Akzeptanz der Entwicklung zu festigen und zu gewinnen. Ohne die- neuen europäischen Agrarpolitik geführt hat. ses Vertrauen in die Verläßlichkeit ge troffener Ent- Sie alle, verehrte Kolleginnen und Kollegen, haben scheidungen kann es keine Fortschritte im europä- sicher schon die besorgten Fragen erlebt, die in jeder ischen Einigungsprozeß geben. Vertrauen und- Ver- Bauernversammlung hochkommen: Wie sicher, wie läßlichkeit sind ebenfalls die Voraussetzungen für dauerhaft sind diese Prämien? Können wir diese Zah- weitere Fortschritte in Richtung der Europäischen lungen bei unserer Zukunftsplanung einkalkulieren? Währungsunion. Diese Fragen wurden auch an die Kommission ge- Unsere Bauern leiden zur Zeit unter den Wäh- richtet. Kommissar Fischler antwortete darauf am rungsturbulenzen in Europa. Es kann doch nicht 16. April in einer Zeitung - ich zitiere -: vernünftig sein, daß die Bauern morgens die Devi- senkurse studieren müssen, um abzuschätzen, ob sie Das heißt ganz eindeutig, daß sie für ihre Arbeit noch vernünftige Preise bekommen. - gemeint sind die Ausgleichszahlungen - Heute ist es so, daß die Schwäche einiger europä- ischer Währungen die deutsche Landwirtschaft be- stabil bleiben werden. Wir behalten die bisherige sonders hart trifft und zu erheblichen Einbrüchen im Politik bei und damit die Höhe der Ausgleichs- Agrarexport geführt hat. Gleichzeitig steigen die Ein- zahlungen. fuhren nach Deutschland, weil Schwachwährungs- Also, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, länder zu Billigpreisen anbieten können. nicht die Bundesregierung hat dies den Bauern ein- geredet, wie Sie in Ihrem Entschließungsantrag be- Die Folgen sind Markt- und Preisdruck, Einnahme- haupten; nein, es war die Kommission, die von der einbußen und damit Einkommensverluste für die Aufwertungsfestigkeit der Prämien ausging. Landwirtschaft. Der Berufsstand schätzt die Einnah- meverluste auf Grund der Marktverschiebungen al- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) lein in den letzten vier Monaten auf rund eine Mil- liarde DM. Es ist unerträglich, daß die Landwirte in Herr Fischler wollte noch im April die bisherige Po- Deutschland mit Preissenkungen kämpfen müssen, litik und damit auch die Höhe der Ausgleichszahlun- während ihre Berufskollegen in anderen Ländern, in gen beibehalten. Dann kam dieser agrarmonetäre Großbritannien, Spanien und Italien, durch die Vorschlag. Für die deutschen Bauern ist das, vorsich- Schwäche ihrer Währungen erhebliche Preis- und tig ausgedrückt, ein ungeheuerlicher Vorschlag. Einkommensvorteile verbuchen können. (Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Ein Affront!) Ich weiß, meine Damen und Herren von der SPD, das agrarmonetäre System ist schwer zu durch- Die Kommission will eine Senkung der Ausgleichs- schauen; es ist schwierig. Wenn Sie deshalb - zumin- zahlungen der Agrarreform in Höhe des Aufwer- dest entnehme ich das Ihrem Entschließungsantrag - tungssatzes und einen bef risteten Ausgleich für ein immer noch nicht verstanden haben, daß das alte aufwertungsbedingtes Sinken der Inte rventions- Switch-over-System überhaupt keinen Schutz vor preise. Dieser Kommissionsvorschlag ist für die Bun- abwertungsbedingten Preisvorteilen der Schwach- desregierung in keiner Weise akzeptabel, weil er ei- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 2923

Bundesminister Jochen Borchert nen Bruch mit den Beschlüssen des Agrarrates vom vor, die Ausgleichszahlungen der Aufwertungslän- Mai 1992 und Dezember 1994 darstellt und weil er der in nationaler Währung festzuschreiben? Dann die Landwirte in Deutschl and und in den anderen wäre die Aufwertungsfestigkeit gewahrt, und die Aufwertungsländern einseitig und unsolidarisch be- Abwerter hätten keinen ungerechtfertigten Anstieg lastet. der Ausgleichszahlungen in ihren Ländern. Zwar schlägt die Kommission gleichzei tig einen Ich kann nicht verstehen, warum die Kommission Einkommensausgleich vor. Aber er gleicht die Auf- ausgerechnet das Modell gewählt hat, das die Land- wertungsverluste bei weitem nicht aus, und er soll wirte am stärksten belastet, die bisher schon unter nach drei Jahren, spätestens nach fünf Jahren, aus- den Währungseinflüssen zu leiden hatten. laufen. Das hat nichts mehr mit Aufwertungsfestig- keit zu tun. Ich meine, auch für die Kommission muß (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge gelten: Verträge sind einzuhalten. ordneten der F.D.P. - Dr. Hermann Otto Sohns [F.D.P.]: Übrigens auch die österrei (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) chischen Landwirte!) Erst im Dezember 1994 haben wir das neue agrar- monetäre System beschlossen. Heute, wo dies erst- - Das gilt für Deutschland wie für Österreich und für der. mals zur Anwendung kommen könnte, sagt die Kom- Landwirte aus einer Reihe anderer L an mission lapidar: Den Paragraphen, der den Bauern in Die Kommission beruft sich im Zusammenhang mit den Hartwährungsländern feste Prämien garantiert, dem Haushaltsargument noch darauf, daß sich der wenden wir nicht an. So festigt man nicht das Ver- Rat selbst die Möglichkeit vorbehalten habe, die be- trauen in Europa; so zerstört man die Ideale von stehenden Regelungen zu ändern, wenn es die Haus- Adenauer, Schuman und Monnet. haltslage erfordert. Auch der SPD-Antrag versucht (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) verzweifelt, der Bundesregierung auf diesem Weg et- was am Zeug zu flicken. Im Kern geht es für Millionen von Bürgern um die Verläßlichkeit der Brüsseler Ratsentscheidungen Nur, meine Damen und Herren von der SPD: Hier und um das Vertrauen in die europäische Politik. Es sind Sie schlecht informiert. Schließlich war dies ein kann nicht angehen, daß wir in harter und stabiler Kernpunkt der Diskussion des Rates im Dezember D-Mark in Brüssel einzahlen und durch eine Aufwer- 1994. Dort hatte der Rat einen anderslautenden Kom- tung unser Anteil an der Finanzierung des euro- missionsvorschlag ausdrücklich zurückgewiesen. Rat päischen Haushalts laufend wächst, während- die zu- und Kommission haben sich auf folgenden Text ge- rückfließenden ECU-Förderbeträge aus Brüssel für einigt - ich zitiere -: unsere Bauern in D-Mark immer weniger wert sind. Wem will man ein solches System noch erklären? Die nationalen Be träge der Ausgleichszahlungen der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik blei- Jeder weiß, daß die Kommission sehr viel Macht ben von Aufwertungen unberührt. auf sich konzentriert. Wer so viel Macht besitzt, muß besonders verantwortungsvoll und sensibel damit Meine Damen und Herren, nach dem Kommissi- umgehen. onsvorschlag soll nur ein Teilbetrag des Aufwer- tungsausgleichs zu 100 % von der Gemeinschaft fi- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nanziert werden. Das ist kein Ersatz für eine dauer- Dies - aber nicht nur dies - vermisse ich bei dem hafte, währungsfeste Absicherung der Brüsseler Aus- Kommissionsvorschlag. Ich bin daher sicher, daß die- gleichsbeträge in D-Mark; denn nach drei Jahren soll ser Vorschlag einen Anstoß für eine grundsätzliche die Beihilfe für die Senkung der Ausgleichszahlun- Diskussion über das Verhältnis von Kommission und gen auslaufen. Rat anläßlich der Regierungskonferenz 1996 geben wird. Zwar gibt es die Option auf eine Verlängerung um zwei Jahre, ob es aber dazu kommen wird, ist doch Meine Damen und Herren, als Hauptbegründung mehr als zweifelhaft, zumal Brüssel schon heute von für ihren Vorschlag führt die Kommission Haushalts- einer Überkompensation spricht. Ich weiß gar nicht, engpässe an. Ich halte dies für nicht überzeugend. wo die jetzt ins Feld geführte Überkompensation her- Denn die Haushaltssituation war im Dezember 1994, kommen soll. als die agrarmonetären Beschlüsse gefaßt wurden, schon bekannt. Die Kommission selbst hat die Finan- Die Kommission meint, die Preise seien höher, als zierbarkeit der Dezember-Beschlüsse bestätigt. Es es bei der Festlegung der Ausgleichszahlungen ge- sind zwischenzeitlich keine neuen haushaltswirksa- plant war. Ich halte dieses Argument für völlig unver- men Fakten aufgetaucht. ständlich: Aber selbst wenn man unterstellt, es stimmt, was Erstens war es das Hauptziel der Agrarreform, die Kommission sagt, nämlich daß die geltende Rege- über Marktentlastung, über ein Gleichgewicht am lung zu einer Ausuferung der Kosten führen würde, Markt, wieder bessere Preise zu erzielen. warum greift die Kommission dann nicht auf Alterna- tiven zurück, die Kommissar Fischler im April-Rat Zweitens sind die Erzeugerpreise nach einem kur- selbst dargestellt hat und die nicht einseitig L and- zen, sicher erfreulichen Intermezzo wieder deutlich wirte in bestimmten Mitgliedsstaaten diskriminiert gefallen, und das in erster Linie durch Interventionen hätten? Warum schlägt die Kommission z. B. nicht der Kommission. 2924 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 Bundesminister Jochen Borche rt trägeDas bezeichnet nicht die Kommission gerüttelt als bef riwirdedigend. und daß aufwertungsbe- Ich kann das nicht als befriedigend bezeichnen, son- dingte Einkommensverluste als Folge von Preissen- dern hier wird massiv in die Richtung, in die Zielset- kungen aus dem europäischen Haushalt ausgegli- zung der Agrarreform eingegriffen. chen werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge (Zuruf von der SPD: Dann setzen Sie sich ordneten der F.D.P.) einmal durch!)

Es gibt aber noch mehr Fragezeichen hinter dem Ich hoffe, daß der Deutsche Bundestag unseren Kommissionsvorschlag. Die neuen Regelungen sol- Bäuerinnen und Bauern und der Bundesregierung in len nur bis zum 31. Dezember 1995 gelten. Ich frage dieser essentiellen Frage den Rücken stärkt. mich: Was soll das? Was würde passieren, wenn wir Wir wollen mit aller Kraft den Prozeß der europä- am 3. Januar eine Aufwertung hätten? Würden dann ischen Einigung weiter vorantreiben. Das geht aber wieder die alten Rechtsvorschriften gelten, wie es ei- nur auf der Basis von Vertrauen und Verläßlichkeit. gentlich der Fall sein müßte? Das scheint mir jedoch höchst zweifelhaft, wenn sie bereits jetzt, vor der er- Vielen Dank. sten Bewährungsprobe, ausgesetzt werden sollen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Werden die Vorschläge, die jetzt gemacht werden, dann als Basis für weitere Benachteiligungen der Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster Bauern in den Aufwertungsländern wieder aus der spricht der Abgeordnete Dr. Gerald Thalheim. Tasche gezogen? Oder steht etwa die Absicht dahin- ter, die Aufwertungsfestigkeit gänzlich aufzuheben? Mein Mißtrauen ist groß, sehr groß. Dr. Gerald Thalheim (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bun- Alles in allem: viele Fragezeichen und viele Unge- desminister, wenn man Ihre Presseerklärungen ernst reimtheiten, die mich zu dem Schluß führen, dieser nimmt - das tun zur Zeit nicht allzu viele in Deutsch- Vorschlag ist unausgewogen und unannehmbar. Er land -, dann befinden wir uns gegenwärtig mitten im muß vom Tisch. „Währungskrieg". Herr Bundesminister, Zweifel sind angebracht, ob das 50 Jahre nach Kriegsende die ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) eignete Vokabel ist. Zweifel sind aber auch ange- bracht, ob das nicht vielmehr eine Auseinanderset- Für die Bundesregierung steht fest: Das,- was wir zung zwischen der Bundesregierung und der Euro- mit der EG-Agrarreform und den agrarmonetären päischen Kommission ist, die auf dem Rücken der Neuregelungen beschlossen haben, nämlich die Bauern ausgetragen wird. Mengenrückführung gegen feste, unbefristete und verläßliche Ausgleichszahlungen, muß weiterhin Be- (Dr. Uwe Küster [SPD]: Sehr bedauerlich!) stand haben. Wer an diesen Eckpfeilern der Agrarre- Wie dieser sogenannte Krieg ausgehen kann, war form rüttelt, verläßt die Geschäftsgrundlage der vergangenen Montag in der „Süddeutschen Zei- Agrarreform. tung" zu lesen. Da stand als Überschrift: „Ernäh- rungsminister Borchert steuert in Brüssel auf eine si- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so chere Niederlage zu!" Herr Bundesminister, was ist wie des Abg. Horst Sielaff [SPD]) in Deutschland geschehen, daß Sie von Krieg reden? Deshalb werden wir nicht zulassen, daß das Ver- Die Währungsturbulenzen der letzten Monate ha- trauen unserer Bäuerinnen und Bauern so mißachtet ben nicht nur zu Wechselkursänderungen gegen- wird; wir werden nicht zulassen, daß alle, die auf die über dem Dollar, sondern auch zu Wechselkursände- europäische Politik vertraut haben, enttäuscht wer- rungen gegenüber Währungen im europäischen Bin- den. Wir werden nicht zulassen, daß diejenigen, die nenmarkt, wie der italienischen Lira, geführt. Die Europa ohnehin skep tisch gegenüberstehen, jetzt Folgen dieser Entwicklung - wie Sie das hier auch Oberwasser kriegen. dargestellt haben - sind für die deutsche Landwirt- schaft dramatisch. Sie wirken sich auf drei Ebenen Deshalb lehnen wir auch den SPD-Ansatz ab, aus. uns mit einer völligen Neukonzeption der vielfälti- gen flächenbezogenen Beihilfen auf eine gefährli- (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Suchen Sie jetzt che Diskussion einzulassen. Angesichts der intensi- aber nicht den falschen Schuldigen!) ven Produktion bei uns gäbe es bei diesem Vor- schlag in Europa einen Hauptverlierer einer sol- Erstens. In erster Linie sind dadurch die Agrarex- chen Politik: die deutschen Bauern. Dies werden porte in die Abwertungsländer der Europäischen wir verhindern! Union belastet. Diese haben sich deutlich verteuert und sind damit nicht mehr wettbewerbsfähig. Die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Agrarexporte aus Süddeutschland z. B. nach Italien, insbesondere bei Milch und Rindfleisch, sind davon Ich hoffe, meine Damen und Herren, daß Sie, daß in besonderer Weise betroffen. Umgekehrt strömen der Deutsche Bundestag ebenso wie bereits der Bun- Agrarprodukte aus Abwertungsländern deutlich bil- desrat die Bundesregierung in ihrer Forderung unter- liger auf den deutschen Markt. Marktanteile gehen stützen, daß an der Aufwertungsfestigkeit der Aus- verloren; die Einkommen der landwirtschaftlichen gleichszahlungen der Reform und der Strukturbe- Familien sinken. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 2925

Dr. Gerald Thalheim Zweitens. Wechselkursänderungen schlagen nicht wenn es Ende Mai zur Entscheidung in Brüssel nur unmittelbar auf die Preise am Markt durch, sie kommt? beeinflussen auch die Marktordnungspreise, die von Brüssel festgelegt werden. Diese Marktordnungs- Mit der Bandbreitenerweiterung oder - besser ge- preise, die im Rahmen der Interventionspreise festge- sagt - der Suspendierung des Europäischen Wäh- legt werden, entstehen vor allen Dingen bei Ge- rungssystems im Jahr 1993 ist der Switch-over weg- treide, Milch und Zucker. Die Wechselkursänderun- gefallen. - Sie haben das vorhin angesprochen. Ich gen in diesem Bereich führen zu zusätzlichen Ein- komme darauf zu einem späteren Zeitpunkt noch nahmeverlusten. Es droht sogar eine weitere Preis- einmal zurück. - Offensichtlich haben die Aufwer- spirale nach unten. tungsländer - insbesondere Deutschland und die Niederlande - in der entscheidenden Nacht am Drittens kommt hinzu, daß entgegen den gebets- 2. August 1993 die Dimension der Folgen nicht er- mühlenhaft vorgetragenen Aussagen jetzt auch die kannt, um auf eine praktikable Nachfolgeregelung Aufwertungsfestigkeit der in ECU festgelegten Aus- zu drängen. Das ist zumindest mein Eindruck, und gleichszahlungen der EU-Agrarreform zur Disposi- entsprechende Nachfragen - auch von mir - an Bun- tion gestellt werden soll. Wenn dies geschieht, steht desminister Waigel im EU-Ausschuß haben diesen bei Änderungen der Währungsparität in den Aufwer- Eindruck eher bestätigt als widerlegt. tungsländern ein geringerer Be trag in nationaler Währung für die Flächen- und Tierprämien zur Ver- Zunächst hielten sich die Wechselkursänderungen fügung. Die Situation in den Aufwertungsländern in den Monaten nach dem August 1993 in Grenzen, wird noch dadurch verschärft, daß in den Abwer- so daß der Eindruck entstehen konnte, daß dieses tungsländern erhebliche Einkommensverbesserun- Thema nicht mehr von Gewicht sein würde. Wurde gen entstehen, die zu Wettbewerbsverzerrungen füh- die agrarpolitische Brisanz der Währungsfragen ren. verkannt, Herr Bundesminister? War es Ihre Gutgläu- bigkeit? War es das Prinzip Hoffnung als Politikersatz Wir Sozialdemokraten und - darauf lege ich Wert - in diesem Bereich? Oder, Herr Bundesminister, war auch ich persönlich haben mehrfach auf das Risiko es - das betrifft das, was Sie uns vorgeworfen haben - von Aufwertungsnachteilen für die deutschen Bau- etwa mangelnde Kenntnis? Nicht ohne Grund, Herr ern hingewiesen. Bundesminister, wird seit Jahren die Geschichte er- zählt, in Ihrem Ministerium gebe es zwei Leute, die (Zuruf von der F.D.P.: Wer hat das denn sich in Währungsfragen auskennen. Der eine ver- nicht getan?) steht sie, kann sie aber nicht erklären. Der andere Die Landwirte sind für die ungelösten Probleme- in kann sie zwar erklären, aber versteht sie nicht. der Währungspolitik und auf den Devisenmärkten (Heiterkeit und Beifall bei der SPD - Zuruf nicht verantwortlich. Sie dürfen keinesfalls die Leid- des Abg. Siegfried Hornung [CDU/CSU]) tragenden sein. - Herr Hornung, bei Ihren Zwischenrufen frage ich (Beifall bei der SPD) mich immer, zu welcher Kategorie Sie in dieser Frage Wir verlangen, daß die Ausgleichszahlungen den gehören. deutschen Landwirten in gleicher Höhe in deutscher (Erneute Heiterkeit bei der SPD) Mark ausgezahlt werden wie in der Vergangenheit. Wenn Sie heute so tun, als wäre der Vorschlag der (Beifall bei der SPD) EU-Kommission wie ein Unglück über die Bundesre- Das gilt insbesondere für die Flächen- und Tierprä- gierung oder die deutsche Landwirtschaft hereinge- mien der EU-Agrarreform. Wir haben das sowohl im brochen, dann, Herr Bundesminister, ignorieren Sie Deutschen Bundestag als auch am Montag in Brüssel Ihre eigenen Beschlüsse - ganz konkret die vom De- gegenüber Kommissar Fischler deutlich gemacht. So- zember des vergangenen Jahres. weit zur Bewertung der Situa tion. Wenn man zu Ihrem Bild der Währungskriegser- Was aber ist zu tun? Was hat die Bundesregierung klärung zurückkommt, dann muß man eher anneh- entgegen den vielen Ankündigungen in den letzten men, Sie stehen nicht nur mit Brüssel auf Kriegsfuß, Jahren wirklich getan, um dieses Ziel zu erreichen? sondern auch mit der Wahrheit - oder besser: mit den Im agrarmonetären Bereich hat es seit Kiechle nur Tatsachen. Flickwerk gegeben. (Widerspruch bei der CDU/CSU und der (Zuruf von der CDU/CSU: Na, Na, Na! - F.D.P.) Zuruf des Abg. Hans-Ulrich Köhler [Hain - Herr Hornung, wir kommen jetzt zu den Details. spitz] [CDU/CSU]) Darüber können wir dann ganz genau diskutieren. Kaum war ein Loch gestopft, brach ein neues auf. Kiechle selber hat immer gesagt, Herr Köhler, in dem Mit den jetzigen Vorschlägen droht sich das Chaos Bereich könne man wählen zwischen Pest und Cho- der Vergangenheit fortzusetzen. Zur Lösung der Pro- lera. Meine Frage an Sie, Herr Minister: Was werden bleme sind weder der von der Kommission beschlos- sene Verordnungsentwurf vom 10. Mai 1995 noch die Sie wählen, die Pest oder die Cholera, unter Ihrer Präsidentschaft im Dezember 1994 be- (Zuruf von der CDU/CSU: Weder noch! - schlossenen Regelungen geeignet. Der nicht akzep- Horst Kubatschka [SPD]: Die Pest, weil die table Kommissionsbeschluß - hier sind wir sicher ei- schwarz ist!) ner Meinung - sieht zwar vor, daß für drei Jahre die 2926 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Dr. Gerald Thalheim Aufwertungsverluste bei den Tier- und Flächenprä- daß die Prämien im stärksten Aufwertungsland - in mien zu 100 % aus der EU-Kasse ausgeglichen wer- der Regel ist dies Deutschland - in nationaler Währ- den. Für weitere zwei Jahre ist eine Verlängerung ung gleichbleiben, während sie in allen anderen Län- auf der Grundlage eines Verwaltungsratsbeschlusses dern entsprechend angehoben werden. - Soweit die möglich. Unsere Erfahrungen mit Verwaltungsrats- Verordnung. beschlüssen lehren uns aber, daß die Kommission hier eine starke Stellung hat und diese Aussage da- Welche Konsequenzen hat das? Dadurch werden mit auf tönernen Füßen steht. die wettbewerbsverzerrenden Einkommensverbes- serungen in den Schwachwährungsländern - die von (Hans-Ulrich Köhler [Hainspitz] [CDU/ Ihnen hier mit Recht so kritisiert werden - noch wei- CSU]: Das sind genau unsere Befürchtun ter ausgedehnt. Diese Vorteile werden heute auch gen, nichts anderes!) nicht mehr wie in der Vergangenheit durch hohe In- flationsraten in diesen Ländern aufgezehrt. Im Ge- Dies alles, Herr Köhler, steht bereits im Wider- genteil: In vielen dieser Länder liegt mittlerweile die spruch zu der versprochenen Dauerhaftigkeit und Inflationsrate unter der deutschen, das heißt, diese Verläßlichkeit. Zudem trägt der Kommissionsbe- Verbesserungen werden unmittelbar einkommens- schluß das „Verfallsdatum" 31. Dezember 1995. Er wirksam. Ein solcher Beschluß, nämlich die Anwen- hat also eine recht kurze Halbwertszeit. Um bei die- dung von Art. 7, würde die Steuerzahler der Gemein- sem Bild zu bleiben: Für uns ist der Kommissionsvor- schaft zudem rund 1 Milliarde ECU zusätzlich ko- schlag der Einstieg in den Ausstieg aus der Aufwer- sten, wovon allein Deutschland 29 % beizutragen tungsfestigkeit der Ausgleichszahlungen. hätte. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Aber wir Der Kommissionsbeschluß enthält noch weitere Be- diskutieren deshalb, weil die Kommission lastungen für die Einkommen: Erstens. Eine Wäh- zu dem nicht mehr steht!) rungsveränderung von 1 Prozentpunkt wird bei den Marktordnungspreisen nicht ausgeglichen. Zwei- - Herr Hornung, ich habe auch aus dem Munde des tens. Die Beihilfen werden innerhalb von drei Jahren Ministers kaum gangbare Alternativen gehört. Und degressiv abgebaut. Drittens. Die zugrunde gelegten auf die möglichen Alternativen werde ich noch zu Berechnungen für den Ausgleich der Einkommens- sprechen kommen. - Angesichts der Tatsache, daß verluste entsprechen nicht der Realität. die Agrarleitlinie von 1996 jetzt schon um 890 Millionen ECU überzogen ist, war daher auch Fazit: Der Beschluß der Kommission ist ungeeignet - diese Regelung von Anfang an unrealistisch. und nicht akzeptabel. Jetzt, Herr Minister, zu der Nachfolgeregelung des (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der alten ,,Switch-over". Sie wollten glauben machen, F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜND wir wüßten an diesem Punkt nicht Bescheid und Sie NISSES 90/DIE GRÜNEN) könnten unseren Entschließungsantrag so interpre- Er stellt zentrale Bestandteile der EU-Agrarreform tieren. In Art. 8, der die Nachfolgeregelung des alten von 1992 in Frage. Versprochen war, daß die Preis- Switch-over beinhaltet, steht nichts anderes, als daß senkungen durch die Reform dauerhaft und verläß- die Ausgleichszahlungen in Höhe von 50 % bzw. lich ausgeglichen werden sollen. Soweit, Herr Bun- 25 % in den Ziel-1-Gebieten na tional mitfinanziert desminister, der Vorschlag der Europäischen Kom- werden. Weiter steht in Art. 8 eine deutliche Degres- mission. sion. Sie müssen hier schon einmal erklären, wieso diese Regelung besser ist als der alte Switch-over. Wenden wir uns jetzt dem Verordnungsbeschluß Dieser alte Switch-over wirkte automatisch, aller- zu, der in Ihrer Präsidentschaft verabschiedet wurde. dings mit der Konsequenz, daß für das Aufwertungs- Sie haben hier deutlich gemacht, was Sie eigentlich land 25 % in jedem Jahr abgezogen - - wollten. Das mag ja alles richtig sein. Nur, Herr Bun- desminister, sind Sie in Europa nicht in der Opposi- (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Das sind doch die tion: Sie regieren in Europa! Argumente von vorgestern!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ - Herr Heinrich, wo kommen wir hin, wenn wir nicht DIE GRÜNEN) einmal die zur Zeit geltenden Verordnungen zur Grundlage der Diskussion machen würden! Dann ist aber nicht entscheidend, was Sie möglicher- weise gewollt haben. Entscheidend ist, was im Ver- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Dazu steht ordnungstext tatsächlich steht. Es reicht auch nicht, doch die Kommission! Das ist doch das aus dem Kommuniqué zu zitieren, das Sie nach Ab- Schlimme!) schluß der Verhandlungen vorgelegt haben. Ich Bei den Beratungen der erwähnten Verordnung, werde Ihnen aus der Verordnung zitieren. Dann sieht Herr Bundesminister, wurde auch der Art. 9, der den das völlig anders aus. Finanzierungsvorbehalt enthielt, erwähnt. Sie haben Genauso ungeeignet zur Lösung der Probleme ist im Ausschuß und hier mehrfach darauf hingewiesen, der von Ihnen im Dezember gemachte Vorschlag. daß Sie im Rahmen der Verhandlungen den Ein- Nach Art. 7 dieser Verordnung soll zum Ausgleich druck gewinnen mußten, daß A rt. 9 nicht auf Art. 7 währungsbedingter Veränderungen der Tier- und Anwendung findet. Nach den großzügigen Informa- Flächenprämien der Agrarreform das sogenannte tionsmöglichkeiten, die Sie uns angeboten haben, ist Mini-Switch-over eingeführt werden. Das bedeutet, zumindest bei mir angekommen, daß das zwar zu- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 2927

Dr. Gerald Thalheim treffen mag. Das Entscheidende ist aber, daß in dem der Preis wären, um die Aufwertungsfestigkeit der Kommissionsbeschluß eindeutig dieser Finanzie- Ausgleichszahlungen zu erreichen. rungsvorbehalt steht, auf den sich die Kommission ch Heinrich [F.D.P.]: Das, was Sie ma jetzt beruft. Es mag ja sein, daß diejenigen, die später (Ulri dazugekommen sind, z. B. Kommissar Fischler - und chen, ist Kaffeesatzleserei!) jeder, der heute die Verordnung liest, weiß nicht un- - Herr Heinrich, darüber wird noch zu diskutieren bedingt, was in der Vergangenheit beraten wurde -, sein. den Eindruck gewinnen, daß das der entscheidende Artikel ist. Aber nach wie vor bin ich der Meinung, Wenn man die Entwicklung zusammenfassen und daß im Zweifel das entscheidend sein wird, was im sich die Probleme verdeutlichen will, kann man das Verordnungstext steht. sehr einfach und mit wenigen Bemerkungen tun: Eine Entscheidung, die hier vernünftig wäre, ist nicht Fazit aus der Gegenüberstellung ist, daß sowohl durchzusetzen. Was aber durchzusetzen ist, ist nicht der jüngste Beschluß der Kommission als auch Ihr vernünftig. Was vernünftig und durchsetzbar ist, ist Weg untauglich sind, die Probleme zu lösen. Ich wiederum nicht bezahlbar. - Es besteht die Gefahr, gebe Ihnen recht - das war Ihr heute vorgetragener daß hier ein Kompromiß zustande kommt, der wenig Alternativvorschlag -, daß es die eleganteste Lösung vernünftig und kaum bezahlbar ist. Auf nichts ande- wäre, die Flächen- und Tierprämien in nationaler res als auf diese Gefahr wollten wir an der Stelle auf- Währung festzuschreiben. merksam machen.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Stimmen Noch eines ist hinzuzufügen: Die Ursachen der ge- Sie dem zu!) genwärtigen Schwierigkeiten liegen in der mangeln- den wirtschafts- und finanzpolitischen Konvergenz in - Herr Hornung, ich habe hier und im Ausschuß ein- der Europäischen Union. Derzeit bewegen wir uns drucksvolle Argumente gehört, denen nur beizu- von dem Ziel einer Währungsunion eher weg als dar- pflichten ist. Allerdings bleibt da eine Frage: Wenn auf zu. Wenn der Bundesregierung in diesem Zusam- das so einleuchtend ist, warum hat man das dann menhang ein Vorwurf zu machen ist, dann ist es der, nicht von Anfang an beschlossen? daß kaum noch politischer Wille erkennbar ist, auf dieses Ziel zuzugehen. Eine grundsätzliche Lösung (Beifall bei der SPD - Dr. Karl-Heinz Ho rn der agrarmonetären Probleme ist nur im Rahmen ei- hues [CDU/CSU]: Herr Kollege, wer ist ner Währungsunion möglich. Ein gemeinsamer „man"?) Agrarmarkt und vor allem ein funktionsfähiger Bin- - nenmarkt sind auf Dauer ohne gemeinsame Währ- - Das ist leicht zu sagen: Bei der EU-Agrarreform war ung nicht denkbar. Minister Kiechle der Entscheidende, der dieses Pro- jekt mit vorangetragen hat. Und hier kann man ganz (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne konkret fragen: Warum hat Minister Kiechle - wohl- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - wissend um die Probleme in seiner langen Amtszeit, Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das haben die es mit den Währungsfragen gab - nicht darauf Sie vom Minister abgeschrieben!) hingewirkt, daß die Ausgleichszahlungen in natio- naler Währung festgelegt werden? Herr Bundesmini- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster ster, wenn Sie sich das heute als Ziel und Ausweg spricht der Kollege Rudolf Seiters. vornehmen, dann können wir Sie nur unterstützen und Ihnen bei dem Eintreten für dieses Ziel viel Er- folg wünschen. Es wird allerdings Ihr Geheimnis Rudolf Seiters (CDU/CSU): Frau Präsidentin! bleiben, wie Sie die Partner in der Gemeinschaft Meine Damen und Herren! Meine erste Anmerkung überzeugen wollen, dem zuzustimmen, da das nicht lautet: Wir haben wahrhaftig keine Veranlassung, einmal im vergangenen Dezember unter deutscher uns für die Stabilität der D-Mark zu entschuldigen, Präsidentschaft gelungen ist. Es stellt sich damit die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Frage: Zu welchem Preis werden Sie dieses Ziel er- reichen? weder für die in den vergangenen zehn Jahren kon- kurrenzlos niedrige Inflationsrate - heute liegt sie bei Meinen jüngsten Informationen zufolge soll Ende 2,3 % - noch für die Aufwertung der D-Mark gegen- Mai ein Paket geschnürt werden, in dem eine Neu- über den Währungen der anderen EU-Länder in den festsetzung der Preise enthalten ist und gleichzei tig vergangenen vier Monaten von über 5 %. die Tiertransporte behandelt werden sollen. Es be- steht die Gefahr, daß Sie Ihr Ziel zu einem hohen Die Stabilität einer Währung ist der Ausweis ihrer Preis erreichen, daß Sie nämlich Ihre Vorstellungen Leistungsfähigkeit und gleichzeitig ein Indikator für in den beiden anderen Bereichen nicht durchsetzen solide Finanzpolitik. können. (Lachen des Abg. Matthias Weisheit [SPD] - Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Da An dieser Stelle sind weitere Befürchtungen anzu- kann man nur lachen, wenn man keine Ah merken: Sie wissen, daß es nach wie vor Probleme im nung hat!) Ölsaatenbereich bzw. bei den Basisflächenfestset- zungen in den neuen Ländern gibt. Es wäre ein Pyr- Unsere Währung hat in den vergangenen Monaten rhussieg, wenn Zugeständnisse gerade auf diesen selbst den stärksten Spekulationen und Turbulenzen Gebieten zu Lasten der deutschen Landwirtschaft standgehalten. Sie hat obendrein die Stabilität der 2928 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Rudolf Seiters mit der D-Mark gekoppelten europäischen Währun- Meine Damen und Herren, wir wollen Europa vor- gen verteidigt. Deswegen sage ich zuallererst: Wir anbringen. Wir halten am Kurs der Vertiefung und haben allen Grund, mit der Währungspolitik der Erweiterung der Europäischen Union fest. Wir wol- Bundesbank und der Stabilitätspolitik dieser Bundes- len die Handlungsfähigkeit der Union verbessern, regierung zufrieden zu sein. die demokratische Kontrolle stärken, eine gemein- same Außen- und Verteidigungspolitik entwickeln, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Fortschritte in der Innen- und Rechtspolitik erreichen sowie die Wirtschafts- und Währungsunion verwirkli- Meine zweite Anmerkung lautet: Der Vorwurf der chen. SPD, die Bundesregierung habe die Lage verkannt bzw., so der Entschließungsantrag, den Bauern hin- Wir messen unsere hohen Beiträge an die Euro- sichtlich der Ausgleichszahlungen etwas Falsches päische Union nicht nur an den Rückflüssen aus der eingeredet, liegt haarscharf neben der Sache - er ist Agrarmarktordnung, weil wir wissen, daß die Bun- falsch abwegig und unbegründet. Ihre Kritik, Herr desrepublik Deutschland politisch und ökonomisch Kollege Thalheim, war in der Substanz wirk lich aus- von der Europäischen Union in höherem Maße profi- gesprochen dünn. Lassen Sie mich aus meiner Erfah- tiert, als dies durch Agrarrückflüsse und Hilfen aus rung aus Oppositions- und Regierungstagen in die- den Strukturfonds ausgedrückt wird. Wir halten an sem Hause eines sagen: Für die Glaubwürdigkeit ei- der gemeinsamen Agrarpolitik fest, weil wir über- ner Opposition ist es manchmal sehr viel wich tiger, zeugt sind, daß auch die deutsche Landwirtschaft da- sich, wenn man sich in der Sache schon einig ist, von ihren Nutzen hat. dann auch einmal ohne Wenn und Aber hinter die Aber wir können nicht stillschweigend zusehen, gemeinsame deutsche Position zu stellen, als daran wenn durch eine Entscheidung der Kommission oberflächlich herumzumäkeln. Grundsatzbeschlüsse in der gemeinsamen Agrarpoli- tik unterlaufen und verbindliche Zusagen über die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Aufwertungsfestigkeit der Ausgleichszahlungen der Der Minister hat es bereits gesagt: Erst im Dezem- Agrarreform gebrochen werden. ber letzten Jahres wurde das agrarmonetäre System (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Nur um in Europa auf eine neue Basis gestellt. In Kenntnis das geht es!) der GATT-Beschlüsse und in Kenntnis der haushalts- politischen Eckdaten wurden ausdrücklich die Ent- Wir können nicht stillschweigend zusehen, wenn scheidungen aus der Agrarreform 1992 bestätigt, für eine Ausgleichsbeihilfe für Währungsverluste ange- aufwertungsfest erklärt und von der EG-Kommission,- boten wird, die keinen vollen Ausgleich vorsieht, die dem Ministerrat, dem Europäischen Parlament und befristet ist und vom Aufwertungsstaat mitfinanziert auch vom Deutschen Bundestag ge tragen. Insbeson- werden muß, während gleichzeitig eine Reihe von dere hat das Europäische Parlament mit seinen Be- Abwertungsländern erhebliche Währungsgewinne schlüssen immer wieder bekräftigt, daß die Bauern erzielen, die nicht abgeschöpft werden. vor Währungsschwankungen geschützt werden sol- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist un len und die mit der EG-Agrarreform festgelegten gerecht!) Prämienzahlungen sicher und verläßlich sind. Wor- auf soll man sich denn verlassen, wenn nicht auf sol- Und wir können nicht stillschweigend zusehen, che klaren Beschlüsse? Das muß auch in der Zukunft wenn bei Landwirten und Bürgern in Europa der Ein- gelten. druck entsteht, daß das System der Ausgleichsmaß- nahmen der Europäischen Union für die Anpassung (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) der landwirtschaftlichen Umrechnungskurse bei Währungsveränderungen eine stabilitätsorientierte Das heißt: Nicht die Finanzpolitik oder die Agrar- Währungs- und Finanzpolitik bestraft, während es politik der Bundesregierung machen diese heutige eine Politik, die die Stabilität der eigenen Währung Debatte erforderlich, erst recht nicht die deutsche vernachlässigt, belohnt. Das geht nicht, meine Da- Landwirtschaft, die in den vergangenen fünf Jahren men und Herren! einen dramatischen Strukturanpassungsprozeß be- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wältigen mußte. Anlaß für die heutige Debatte ist, daß der Vorschlag der EU-Kommission die getroffe- Wir lehnen also die Kommissionsentscheidung ab: nen Agrarvereinbarungen unterläuft, die EG-Agrar- nicht nur weil sie die Landwirte in den Aufwertungs- politik unglaubwürdig macht und deshalb für die ländern zusätzlich und einseitig belastet, sondern deutsche Landwirtschaft und für die Politik gleicher- auch weil sie ein verhängnisvolles Signal für die Eu- maßen nicht akzeptabel ist. ropäische Wirtschafts- und Währungsunion bedeutet. Es ist nicht akzeptabel, die Landwirtschaften in den (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Aufwertungs- bzw. Hartwährungsländern finanziell dafür büßen zu lassen, daß eine Mehrzahl der EU- Es geht um erhebliche aufwertungsbedingte Verlu- Mitgliedstaaten die im Vertrag von Maast richt gefor- ste. Wir können die deutschen Bauern nicht auf die- derten Stabilitäts- und Konvergenzkriterien bislang sen Verlusten sitzen lassen - auch nicht teilweise -, nicht erfüllt. wie die Kommission es will, denn unsere Landwirte haben diese Verluste nicht zu verantworten. Es kann auch nicht hingenommen werden, daß die Kommission einen vollen Ausgleich der Aufwer- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) tungsverluste mit der Begründung verweigert, daß Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 2929 Rudolf Seiters die Mittel im EU-Haushalt dazu nicht ausreichten keit der deutschen Währung, sondern wir beklagen, und die Agrarrichtlinie überschritten werde. Gerade daß ein bestimmter Wirtschaftszweig Leidtragender vor dem Hintergrund unserer eigenen Beiträge an der nicht erreichten Ziele der EU und der Bundesre- die EU-Kasse - die sich durch die DM-Aufwertung gierung ist. Was die deutsche Position angeht, haben übrigens weiter erhöhen - können wir nicht zulas- wir sie in Brüssel einhellig vertreten. Aber wir sind sen, daß die Kommission die Haushaltsprobleme ein- hier im Deutschen Bundestag, und hier können wir seitig auf dem Rücken der deutschen, der niederlän- auch die Verantwortlichen für diese Entwicklung be- dischen oder der dänischen Landwirtschaft lösen nennen. will. Die EU-Agrarreform ist noch nicht einmal in der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) dritten Stufe der Umsetzung, und schon zerbröseln ihre Fundamente. Für die staatlich verordneten Preis- Insofern - da sollten wir uns doch einig sein - rei- senkungen innerhalb der Agrarreform wurde den chen die Auswirkungen der aktuellen währungspoli- Bauern der volle Ausgleich für die Verluste zugesi- tischen Entwicklung in der Europäischen Union weit über die Agrarpolitik hinaus. chert, und die Bundesregierung hat sich zum Garan- ten für die Einhaltungen dieser Zusicherungen er- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Richtig!) klärt. Sie zeigen vor allem, daß es richtig ist, an den in (Horst Sielaff [SPD]: Genauso ist das!) Maastricht beschlossenen Konvergenzkriterien für die Währungsunion ohne Wenn und Aber festzuhal- Wie dem Rattenfänger von Hameln folgten die Bau- ten. Sie zeigen zudem, daß dem Konvergenzkrite- ern dem Pfeifen der CDU/CSU, der F.D.P. und der rium Wechselkursstabilität ein wich tiger Stellenwert Verbandsvertreter auf die Subventionsschiene. Auch zukommt. die SPD hat eine Politik der staatlichen Einkommens- transfers vertreten. Gleichzeitig sind die Entwicklungen eine überzeu- gende Begründung dafür, daß es mit der Verwirkli- Zu Recht können die Landwirte, aber auch die Ver- chung des Binnenmarktes allein nicht get an ist, daß braucherinnen und die Verbraucher sowie die Um- ein Binnenmarkt ohne Währungsunion monetär in- weltschützerinnen und die Umweltschützer heute stabil bleibt und eine gemeinsame europäische die Bundesregierung des Vertrauensbruchs ankla- Währung der deutschen Wirtschaft ebenso wie dem gen. Denn bereits zu Beginn der Agrarreform waren einzelnen Bürger zugute kommt. die Gefahren der weiteren Abkoppelung der Ein- kommen der Landwirtschaft von den Preisen der Pro- (Beifall bei der CDU/CSU) dukte absehbar und sind von uns und der Agrar- Wir unterstützen die Absicht der Bundesregierung, opposition auch deutlich benannt worden. im Falle einer Aufwertung des „grünen" Kurses der Die EU-Agrarpolitik, unterstützt von der Bundesre- D-Mark eine reale Absenkung der Ausgleichszah- gierung lungen für die deutsche Landwirtschaft zu verhin- dern und auf der bevorstehenden Sitzung des Agrar- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist ministerrats Ende Mai diesen Vorschlag abzulehnen. aber schlicht die Unwahrheit!) Wir unterstützen das Ziel der Bundesregierung, daß die aufwertungsbedingten Einkommensverluste der - wir dürfen nicht darüber hinwegsehen, daß die deutschen Landwirtschaft in vollem Umfang durch deutschen Kommissare den Vorschlägen zugestimmt die Europäische Union kompensiert werden. haben -, Was die EU-Kommission jetzt vorgeschlagen hat, (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ ist leider ein politisch falsches Signal. Es zerstört das DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!) Vertrauen in die Gültigkeit europäischer Zusagen. Es verschärft die Politik des Preisdrucks und richtet schadet der Glaubwürdigkeit der europäischen Poli- sich auf die künstlich niedrig gehaltenen Weltmarkt- tik. Es untergräbt die Bereitschaft zur Solidarität, die preise aus. Sie wissen genau wie ich, daß kein Land gerade Deutschland gegenüber der Union immer der Welt auf Dauer einen Preisdruck, ein Dumping, wieder unter Beweis gestellt hat. aushalten kann, d. h., Lebensmittel unter den Erzeu- Wir sollten gemeinsam dafür eintreten, daß alles gungskosten auf den Markt zu werfen. Ebensowenig dies nicht geschieht. Die Landwirte in Deutschland können das 90 % der Betriebe in Deutschland und und in anderen Aufwertungsländern sowie die Bür- auch nicht der größte Teil der jetzigen Ostbetriebe, ger in ganz Europa haben bessere Lösungen ver- die auf einem stärkeren Modernisierungsstand sind. dient. Für diese besseren Lösungen werden wir uns mit Nachdruck einsetzen. Zu meiner eigenen Überraschung vertritt der öster- reichische Kommissar Fischler diese Preisdruckposi- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) tion, diese Ausrichtung der EU-Politik, deutlicher als andere Kommissare vor ihm. Ganz klar hat er am Montag das Ziel der Realisierung des Preisdruckes Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste spricht formuliert. Er hatte es nicht einmal mehr nötig, das die Kollegin Frau Höfken. ganze politisch zu verbrämen, indem er sagt, es gehe um Einkommensstabilität, um Umwelterhaltung, um Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Mengenreduzierung. Nein, er hat sich von Kompen- Kollege Seiters, wir beklagen doch nicht die Festig- sationszahlungen massiv distanziert. 2930 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Ulrike Höfken Milchquoten, Flächenstillegungen, Prämien und zember 1994. Es war durchaus absehbar, welche Op- Währungspolitik werden von der EU jetzt mehr als tionen - die sie jetzt wahrgenommen hat - die Kom- vorher verschärft als Elemente des Preisdruckes be- mission mit dieser Neuordnung gehabt hat. Darauf nutzt, nicht nur im Wettbewerb der Betriebe oder ein- zieht sich Kommissar Fischler, eigentlich zu Recht, zelner Regionen untereinander, sondern auch der zurück. Mitgliedstaaten, in diesem Fall zu Lasten der Mit- gliedstaaten mit stärkerer Währung. Ich erwarte, daß wir in den Verhandlungen - das ist absehbar - einen Kompromiß erreichen werden, Mit den jetzigen Vorschlägen der Kommission über aber einen mehr oder minder faulen Kompromiß, der Ausgleichsmaßnahmen für die Senkung der land- den Ausgleich nicht in voller Höhe sicherstellt. Dann wirtschaftlichen Umrechnungskurse einiger Währun- wird die Bundesregierung aufgefordert sein, einen gen wird der Ausstieg aus der Währungsfestigkeit nationalen Ausgleich bereitzustellen. Das wird von eingeleitet und damit - auch das wissen Sie - der ihr zu Recht erwartet und eingefordert werden. Damit steht, Ausstieg aus den Ausgleichszahlungen. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Die Oppo wie Sie gesagt haben, die Agrarreform zur Disposi- sition steht in der Verantwortung! - Weite tion. rer Zuruf von der CDU/CSU) (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Also stim - Oh doch. men Sie unserem Antrag zu!) Besonders be troffen sind Be triebe, die exportorien- Die Kommission hat in der Währungsfrage keine tiert wirtschaften, wie z. B. die Milchbetriebe, die pragmatischen Lösungen vorgeschlagen, sondern nach Italien liefern, und die Regionen, die über kei- sich nach den Mehrheiten gerichtet. Im Hinblick auf nen eigenen Markt mehr verfügen. Das ist sicher die die Haushaltslage der EU wäre es sachlich angemes- Crux der Agrarpolitik der Bundesregierung: Sie fährt sen gewesen, Vorschläge in Richtung einer Auszah- eine Politik, die die eigenen Märkte systema tisch lung in nationaler Währung zu unterbreiten und da- vernichtet, und orientiert sich auf das EU-Agrar- mit im EU-Haushalt Gelder einzusparen. Pragma- system mit seiner mehr oder minder staatskapitalisti- tisch wären Vorschläge zum Ausgleich des Haushal- schen Ausrichtung. tes zwischen 1995 und 1996 durch Vorziehen der Zahlungen gewesen, was in der Vergangenheit be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN reits praktiziert wurde. sowie bei Abgeordneten der SPD und des - Abg. Dr. Willibald Jacob [PDS]) Die jetzigen Vorschläge - kein Ausgleich für den Die Agrarreform, deren Geschäftsgrundlage be- ersten Prozentpunkt; das haben Sie alles schon er- reits verlassen ist, ist, wenn man sie an ihren eige- wähnt -, vor allem aber die Begrenztheit der Vor- nen Zielen mißt, gescheitert. Wir brauchen eine schläge auf drei Jahre bzw. bis zum 31. Dezember neue Politik, die die Landwirtschaft in der Bundes- 1995, machen deutlich, daß diese ganze Politik der republik wieder neu orientiert, die Überschüsse um- EU verstärkt auf die Wettbewerbsschwächung und weltgerecht reduziert, den Bauern neue Einkom- einen erneuten Preisdruck abzielen. mensmöglichkeiten schafft, die Umwelt bewah rt und rückstandsfreie Lebensmittel liefert. Wir brau- Ich gönne den Bauern in Italien und in Großbritan- chen politische Unterstützung zur Schaffung einer nien durchaus ihre höheren Gewinne und ihre besse- wieder marktorientierten Landwirtschaft. Die Mo- ren Einkommen - das ist gar keine Frage -, aber delle der Massenproduktion haben ohnehin keine langfristig wird diese Entwicklung hin zu einem zu- gesellschaftliche Unterstützung. Das sehen Sie in al- sätzlichen Preisdruck auch nicht im Sinne dieser Län- len Veröffentlichungen der letzten Zeit - ob das die der liegen. Klima-Enquete ist, die Diskussion des Sachver- ständigenrates, oder ob es die Presseerklärungen (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Auf einer solchen des Naturschutzbundes Deutschlands sind -, eine Basis kann man doch keine gemeinsame Massenproduktionslandwirtschaft mit all ihren Ne- Politik machen!) benwirkungen und Risiken findet keine Unterstüt- zung. Dies wird dann auch dort nicht mehr haltbar sein, wenn sich die Inflationsrate anders entwickelt, als Aber wenn sich die Landwirtschaft den Zielen der das gegenwärtig der Fall ist. Umweltpolitik verschreibt und diese unterstützt, dann erhält sie auch eine entsprechende Unterstüt- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Schon wie zung. Das habe ich z. B. in der letzten Woche in Han- der Zustimmung!) nover bei der Demons tration im Zusammenhang mit der Atomkraft gesehen. Es waren 300 Trecker dort. Eine Weiterentwicklung in diese Richtung wird die Ich habe vorher noch nie gesehen, wie eine Bauern- Landwirtschaft in Europa insgesamt zu einer agrarin- demonstration in diesem Ausmaß von jungen Leuten dustriellen Produktion führen, und das zu Lasten al- beklatscht wurde. Da, so glaube ich, gibt es ein ge- ler Länder. sellschaftliches Bündnis, das durchaus auch eine an- dere Landwirtschaftspolitik und eine bessere Situa- Aber die Verantwortung für diese Entwicklung hat tion der Bauern und Bäuerinnen erwirken kann. die Bundesregierung, auch auf Grund der Beschlüsse zur Neuordnung des agrarmonetären Systems im De- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 2931 Ulrike Höfken Wir werden den Entschließungsantrag der SPD un- schläge sind weder politisch noch sachlich haltbar. terstützen, Sie sind eine Zumutung für die deutschen Landwirte. Und nicht nur das: Sie stellen die Glaubwürdigkeit (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Haben Sie sich das der Politik in Frage. auch gut überlegt?) (Horst Sielaff [SPD]: Richtig!) auch den Antrag der CDU/CSU, weil sie ja letztlich in ihren Aussagen nicht unterschiedlich sind. Aber Die Vorschläge der Kommission sehen vor, nicht nur wir erwarten von Ihnen eine Neuausrichtung der -die Marktordnungspreise, sondern auch die struktur Agrarpolitik, damit das endlich wahr wird, was Sie und reformbedingten Ausgleichszahlungen, wie Flä- immer wieder - auch jetzt - angekündigt haben, chenprämien, Tierprämien usw., voll an den ECU zu nämlich eine Reform der Reform, die spätestens mit binden. der Revision der Maastricht-Verträge eingeleitet wer- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Unerhört den muß. ist das!) Danke. Ein solcher Beschluß erfolgt knapp ein halbes Jahr nachdem die Aufwertungsfestigkeit der reformbe- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dingten Ausgleichszahlungen den Bauern zugesagt sowie bei Abgeordneten der SPD) worden war, nämlich im Dezember 1994. Auch unser Bundesminister Jochen Borchert und der Bundes- kanzler stehen hier gegenüber den deutschen Land- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Es spricht jetzt der wirten im Wort, da sie immer wieder erklärten, die Kollege Günther Bredehorn. Ausgleichszahlungen sind aufwertungsfest, dauer- haft und verläßlich. Günther Bredehorn (F.D.P.): Frau Präsidentin! (Horst Kubatschka [SPD]: Na und, was ist?) Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Die EG-Agrarre- form war notwendig." Das schrieb ich am 22. Mai Die F.D.P. unterstützt daher Bundeslandwirtschafts- 1992 in einer Presseerklärung der F.D.P.-Fraktion zu minister Jochen Borchert, auf der nächsten Minister- den damaligen Entscheidungen des EG-Ministerra- ratssitzung eine Korrektur des Kommissionsbeschlus- tes zur Reform der EG-Agrarpolitik. ses zu erreichen. Nach Berechnungen des Deutschen Bauernver- Und weiter schrieb ich damals: bandes haben die deutschen Landwirte durch die Es bleibt in Brüssel leider bei zu wenig Mut zum agrarmonetäre Währungsentwicklung in den ersten Markt und zu marktwirtschaftlicher Anpassung. vier Monaten des Jahres 1995 Erlösverluste von rund Da die Reform im Ergebnis zu mehr Agrarsubven- 1 Milliarde DM hinnehmen müssen. Es zeigt sich tionen führen wird, bleibt die Landwirtschaft ganz deutlich, daß deutsche Milchprodukte, z. B. auch jetzt, weil keine klare Anpassungsorientie- Käse, auf Grund der harten D-Mark auf dem italieni- rung gefunden wurde, weiterhin in hohem Maße schen Markt keine Chance mehr haben. Umgekehrt von staatlichen Transfers abhängig. können die Italiener durch die schwache Währung ihre Produkte - Obst, Gemüse und Wein - in Am 10. Mai 1995, also drei Jahre später, beschließt Deutschland zu Preisen absetzen, die unsere Produ- die EU-Kommission einmütig, für die deutschen zenten unter Druck bringen. Landwirte die Ausgleichszahlungen zusammen mit Die starke Mark führt innerhalb des gemeinsamen den Marktordnungspreisen bei Aufwertung entspre- europäischen Marktes zu erheblichen Wettbewerbs- chend zu senken, sie zeitlich zu befristen und zum nachteilen für die deutschen Landwirte. Dies darf so Teil national finanzieren zu lassen. nicht weitergehen. In Hartwährungsländern müssen Trotz meiner damaligen Skepsis hätte ich mir nicht währungsbedingte Verluste durch EU-Mittel ausge- vorstellen können, daß so schnell eine solch brutale glichen werden. Politik der Kommission gegenüber unseren deut- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Richtig!) schen Bauern umgesetzt würde. Diese Entscheidung steht im klaren Widerspruch zu den Zusagen vom Die jetzigen Vorschläge der Kommission belasten Dezember 1994 und ist damit ein schwerer Vertrau- einseitig die Landwirte in den Aufwertungsländern. ensbruch gegenüber unseren Bauern. Die schon bisher bestehende Überkompensation in Abwertungsländern durch in nationaler Währung ge- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der ringere Preissenkungen und höhere Ausgleichszah- CDU/CSU) lungen soll dagegen unverändert beibehalten wer- den und würde durch neue Abwertung sogar noch Die Glaubwürdigkeit der EU-Agrarpolitik, ja die drastisch verstärkt. So beläuft sich die Überkompen- Akzeptanz der so notwendigen Weiterentwicklung sation zur Zeit in Ita lien auf 52 %, in Großbritannien unserer Politik zu einem vereinten Europa steht auf auf 22 %, in Spanien auf 29 %. Dies zeigt doch deut- dem Spiel. lich, wie notwendig eine gemeinsame europäische Währung ist. Die F.D.P. ist nicht bereit, die Beschlüsse der Korn- mission zu akzeptieren. Mit Schreiben vom 9. Mai Solange die mit den Maastrichter Verträgen be- 1995 an die verantwortlichen EU-Kommissare haben schlossene Wirtschafts- und Währungsunion nicht wir dies unmißverständlich klargemacht. Die Vor- umgesetzt ist, brauchen wir für die Landwirtschaft in 2932 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 Günther Bredehorn Europa ein funktionsfähiges agrarmonetäres System. Es ist ganz eindeutig: Sobald wir durch die Agrar- Der jetzige Beschluß der EU-Kommission zu Wäh- reform im Bereich des Getreides etwas mehr Luft be- rungsveränderungen und Ausgleichsmaßnahmen kamen und sich die Preise leicht positiv entwickel- führt zu einer weiteren Benachteiligung der deut- ten, hat die Kommission versucht, durch verschie- schen Bauern, aber auch der Landwirte in Öster- dene flankierende Maßnahmen und Entscheidungen reich, den Beneluxstaaten und Dänemark. sofort wieder einen Druck in Richtung Weltmarkt- preis auszuüben. Man muß das, glaube ich, einmal (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Vollkom so hart sagen. Denken Sie daran, daß wir bei der Ein- men unverständlich!) führung der Milchgarantiemengenregelung zu- Zu den Einzelheiten: Erstens. Ausgleichszahlun- nächst auch eine durchaus positive Entwicklung hin gen und Strukturbeträge sind im Rahmen der Agrar- zu mehr Markt und hin zu auskömmlichen Preisen reform festgelegt worden. Wesentliches Merkmal hatten. dieser Ausgleichszahlungen war ihre Aufwertungs- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Genau so festigkeit. Dies ist bei der Entscheidung über die war es!) Neuregelung des agrarmonetären Systems im De- zember 1994 vom EU-Agrarministerrat nach ausführ- Leider Gottes, muß man sagen, entwickeln wir uns lichen Diskussionen und in Kenntnis der Restriktio- heute stark in Richtung auf 50 Pfennige für den Liter nen des EU-Haushaltes noch einmal bestätigt wor- Milch, nähern uns also dem Weltmarktpreis. Man den. Jetzt sollen die landwirtschaftlichen Direktbei- kann einfach nicht verstehen, daß die Kommission hilfen dem landwirtschaftlichen Wechselkursmecha- genau den anderen Weg beschreitet, obwohl die Si- nismus unterworfen werden. Sollen nun die deut- tuation klar ist, was die Mengen angeht. Wir sind ja schen Bauern, die Einkommenseinbußen in der Re- auch bereit, hier das Richtige zu tun; das hat auch gel nicht durch Verlagerung ihrer Produktion oder Minister Borchert erklärt. weitere Rationalisierungsmaßnahmen abfangen kön- (Horst Sielaff [SPD]: Erklärungen reichen nen, Verlierer der Agrarreform werden? nicht, Herr Bredehorn!) Zweitens. Brüssel wird Einkommensverluste durch Ich sage Ihnen das einmal aus meiner Praxis her- Währungsänderungen bei den Agrarpreisen nicht zu aus: In den letzten fünf Jahren sind die Milchpreise 100 % ausgleichen. Als Ersatz für die bisherige Rege- um 12 bis 15 Pfennige gefallen. Das bedeutet für ei- lung bietet man den Landwirten nun einen auf drei nen ganz durchschnittlichen Betrieb - ich rechne nur Jahre befristeten degressiven Einkommensausgleich mit 12 Pfennigen - mit 50 Kühen gleich 300 000 kg an. Die Kosten will man nur noch zu 50 %, -in struk- Milch, daß er immerhin 36 000 DM weniger auf dem turschwachen Gebieten zu 75 % tragen. Der Rest soll Markt erzielen kann. Leider hält diese Tendenz an. durch nationale Hilfen ausgeglichen werden. Die Meine Damen und Herren, wir sollten auch hier der prekäre EU-Haushaltssituation soll also auf dem Rük- Kommission die rote Karte zeigen. ken der Hartwährungsländer ausgetragen werden. Dies käme einer Bestrafung einer erfolgreichen und (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU soliden Währungspolitik gleich. Dies werden wir in sowie bei Abgeordneten der SPD) dieser Form nicht akzeptieren. Fünftens. Der Vorschlag der EU, einen Sockelbe- Drittens. Der Regelungsvorschlag aus Brüssel be- trag bei den Beihilfen einzuziehen - für Deutschland trifft den Geltungszeitraum bis zum 31. Dezember sind dies 40,7 Millionen DM je Prozentpunkt Aufwer- 1995. Was danach geschehen soll, steht noch in den tung - käme einer Begrenzung in zweierlei Hinsicht Sternen. Wie verträgt sich dies mit der von uns gefor- gleich: Höhe und Zeitraum sind gedeckelt. Auch das derten und notwendigen langfristigen, auf verläßli- war so nicht beschlossen. Auf der nächsten Sitzung chen Rahmendaten basierenden Agrarpolitik? Auf des Agrarministerrats sollte ernsthaft darüber ver- Schnellschüsse dieser Art sollte eine solide Agrarpo- handelt werden, ob Reformausgleichszahlungen litik verzichten. nicht in nationaler Währung festgeschrieben werden können. Im Bereich direkter Hilfen entstünden da- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU durch keine Handelsverzerrungen. Aufwertungs- und der SPD) festigkeit wäre erreicht. Viertens. Die Behauptung der Kommission, der Sechstens. Der Kommissionsvorschlag, den ersten Vorschlag egalisiere Überkompensationen auch in Prozentpunkt einer Aufwertung nicht auszugleichen, Hartwährungsländern, ist aus meiner Sicht völlig un- bedeutet eine weitere Benachteiligung unserer haltbar. Richtig ist vielmehr, daß bei der EG-Agrarre- Landwirte. form durch Mengenbegrenzung wieder mehr Markt (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Unver möglich werden sollte. schämt!) ung [CDU/CSU]: Vollkom (Siegfried Horn Auch dies ist so nicht akzeptabel. men richtig!) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Will die EU-Kommission den ersten Keim eines Markt-Preis-Gefüges mit ihren Vorschlägen erstik- Meine Damen und Herren, die deutsche Landwirt- ken? Setzt sie weiter auf dirigistische Bestimmungen schaft muß wissen, wohin die Reise geht. Investiti- und konterkariert damit die Ziele der Agrarreform? onsentscheidungen können nur vor dem Hinter- Wird der Kurs der Politik des Drucks hin zu Welt- grund verläßlicher Rahmenbedingungen ge troffen marktpreisen fortgesetzt? werden. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion fordert daher Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 2933

Günther Bredehorn Bundeslandwirtschaftsminister Jochen Borchert auf - geordnetengruppe der PDS die Anstrengungen von er hat dabei unsere volle Unterstützung -, unseren Minister Borchert, im Agrarministerrat Ende Mai ei- Bedenken, die sich auch in dem Entschließungsan- nen durch die EU finanzierten Einkommensausgleich trag der Koalition widerspiegeln, Rechnung zu tra- für die Währungsverluste zu erreichen. Die Wäh- gen und in Brüssel im Agrarministerrat unmißver- rungsfestigkeit der Flächenprämien muß gesichert ständlich unsere Forderungen vorzutragen. Das werden. heißt, Aufwertungsfestigkeit muß erhalten bleiben, und währungsbedingte Einkommensverluste sind zu Aber es geht nicht nur um Geld; denn im Ergebnis 100 % durch EU-Mittel auszugleichen. der von der EU-Kommission angestrebten agrarmo- netären Regelungen wächst die Verunsicherung und In der EU sind mehr Markt und mehr unternehme- schwindet das Vertrauen der Bauern in die Politik rische Landwirtschaft nötig. Dies hat die F.D.P. immer weiter. In der europäischen Agrarpolitik ist offen- wieder betont. Weitere Flickschusterei in Form dirigi- sichtlich einiges außer Kontrolle geraten. Oder han- stischer Entscheidungen darf es nicht länger geben. delt es sich ganz bewußt um entsprechende Zielset- Die F.D.P. erwartet, daß die Agrarreform in der verab- zungen? redeten Form umgesetzt wird und insbesondere den deutschen Bauern, die sich dem erforderlichen Struk- Niemand kann heute sagen, was in naher und fer- turanpassungsprozeß in der EU stellen und diesen ner Zukunft an der Währungsfront passieren wird. auch meistern, keine weiteren wi rtschaftlichen Nachteile entstehen. (Dr. Uwe Küster [SPD]: Schon wieder so ein Ich bedanke mich. kriegerischer Begriff!) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) - Sie können dafür ja einen anderen Begriff nehmen. Aber ich glaube, Sie, ich und andere verstehen, was Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster gemeint ist. spricht der Abgeordnete Herr Maleuda. Wir halten es für unrealis tisch, die offenen Fragen der europäischen Agrarpolitik mit der schnellen Ein- Dr. Günther Maleuda (PDS): Frau Präsidentin! führung einer einheitlichen EU-Währung zu beant- Meine Damen und Herren! Bei allen Unterschieden worten. Bei den gegenwärtigen Strukturdefiziten in in der Bewertung der europäischen Agrarpolitik be- der deutschen Landwirtschaft würde das für viele steht die Erwartung, daß die heutige Plenardebatte Unternehmen das Aus bedeuten. und die Beratung des Agrarausschusses am vergan- gen Montag mit dem Agrarkommissar in Brüssel die Generell geht es doch um die Rolle von Markt Position des Bundesministers für die bevorstehenden oder Regulierung. Bei genauerem Hinsehen zeigt Beratungen Ende Mai stärken. sich, daß in der praktischen Politik kein Widerspruch Ein großer Aufschrei zu den Währungsturbulenzen zwischen Markt und Regulierung besteht. Können in der EU geht durch den Blätterwald. Parteien und Profite durch Marktwirtschaft realisie rt werden, dann Verbände versuchen, sich in ihren Erklärungen zu wird der Kampf gegen Regulierung geführt. Sind übertreffen. Von Vertrauensbruch und H andelskrieg Profite in Gefahr oder lassen sie sich durch Regulie- ist die Rede. Die europäische Agrarreform sei in rung - sprich: durch Subventionen, Steuersenkun- Frage zu stellen. Auf keinen Fall dürfe eine harte gen, Außenzölle oder Absatzförderung - erhöhen, D-Mark gegen einen weichen ECU eingetauscht dann wird um Regulierungen gekämpft. werden. Es wird beklagt, daß durch die Währungsturbulen- Was ist geschehen? Es sind die für die Marktwirt- zen „die Warenströme im EU-Binnenmarkt verändert schaft normalen Währungsschwankungen auf den und durcheinandergebracht wurden". Davon kann internationalen Märkten eingetreten, allerdings mit doch eigentlich niemand überrascht sein. Was sind unerwarteten Folgen. Diese Währungsschwankun- denn die Ursachen für den durch die EU-Kommission gen sind nicht nur Ausdruck wirtschaft licher Stärke, verstärkten Preisdruck? Steckt nicht auch hinter die- sondern zunehmend auch ein Mittel des Kampfes um ser Politik der Versuch von interessie rter Seite, „die Märkte und der Spekulation. Warenströme" zum eigenen Vorteil zu verändern? Inzwischen haben sich die Währungsrelationen in- nerhalb der EU wieder umgekehrt. Italien, das einer Die gegenwärtige breite Debatte sollte nicht auf der Sündenböcke für die ganze Aufregung war, liegt die währungspolitischen Probleme verengt werden. inzwischen mit 6,164 % über dem Grünen Kurs und Es muß auch über die vorhersehbaren Konsequen- damit an der Spitze aller EU-Mitgliedsländer. Jetzt zen des GATT gesprochen werden. Nach einer Stu- werden die Italiener Hilfe von Brüssel fordern. Die die der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisa- Deutsche Mark hat die 5-%-Marke inzwischen wie- tion der Vereinten Nationen, FAO, sind die Haupt- der unterschritten. nutznießer des GATT die amerikanischen und kana- dischen Farmer und sicher noch mehr die Nahrungs- Aus der Sicht der Bauern ist jedoch zu sagen, daß mittelkonzerne, die eine Steigerung des landwirt- das Kind bereits im Brunnen liegt. Die Einnahmen schaftlichen Nettoexports um 7,1 Milliarden Dollar der Bauern sind um ca. 1 Milliarde DM zurückgegan- erreichen werden. Auch Aus tralien und Neuseeland gen; weitere Einnahmeausfälle stehen bevor. Es muß werden mit ähnlichen Steigerungsraten auf der Ge- sofort gehandelt werden. Deshalb unterstützt die Ab- winnerseite stehen. 2934 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Dr. Günther Maleuda Für Westeuropa prognostiziert die FAO, daß sich Die SPD macht es sich zu leicht, wenn sie in einer die Nettoeinfuhren der wichtigsten landwirtschaftli- so schwierigen Situation mit ihrem Entschließungs- chen Rohstoffe im Jahre 2000 gegenüber dem Durch- antrag die deutsche Regierung einseitig attackie rt. schnitt der Jahre 1987/89 von 5,5 Milliarden auf Dies ist vordergründig und in der Sache wenig hilf- 15,3 Milliarden Dollar erhöhen, sich also fast verdrei- reich. fachen werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - In diesem Lichte handelt es sich bei den gegenwär- Dr. Gerald Thalheim [SPD]: Verantwortung tigen Währungsturbulenzen um einen Wind, der die ist Verantwortung!) Agrarstrukturen durcheinanderwirbeln kann. Ein Sturm ist aber nicht ausgeschlossen. Auch deshalb Meine Damen und Herren, wir wollen Europa. Da- gehört die EU-Agrarpolitik auf den Prüfstand. her haben wir nicht nur das demokratische Recht, sondern auch die Pflicht, für Fairneß und gerechte Unserer Meinung nach sind z. B. solche Fragen zu Rahmenbedingungen zu kämpfen. Worum geht es? beantworten: Welche Entscheidungen müssen unbe- Um nichts anderes als darum, daß die Kommission dingt in Brüssel getroffen werden, um den europä- mit ihrem Vorschlag das in die Agrarreform gesetzte ischen Integrationsprozeß zu fördern? Welche Ent- Vertrauen mißbraucht. scheidungen gehören in na tionale Kompetenz, um den differenzierten wirtschaftlichen und sozialen Be- Die Agrarreform ist mit der Zusicherung in G ang dingungen der einzelnen Länder Rechnung tragen gesetzt worden, den Landwirten die Ausgleichszah- zu können? lungen währungssicher zuteil werden zu lassen. Nach kurzer Zeit verläßt die Kommission diese Linie Oder: Welche Regelungen sind notwendig, um und mutet gerade den Landwirten der Hartwäh- eine optimale Standortverteilung der Produktion, rungsländer eine Regelung zu, die voll zu ihrem eine flächendeckende Landbewirtschaftung und Nachteil geht. eine Regionalisierung der Produktion zu erreichen? Gemessen an der Gesamtsituation dieser Agrar- Oder schließlich: Wie muß sich die Agrarproduk- politik und der Behandlung in Brüssel handelt es sich tion in Europa entwickeln, um die Welternährungs- hierbei lediglich um den sogenannten berühmten probleme lösen zu helfen? letzten Tropfen, der das Faß zum Überlaufen ge- Gerade in diesen Zusammenhängen gesehen un- bracht hat. terstützen wir die Forderungen des Deutschen- Bau- ernverbandes, Klarheit über die Zukunft der L and- Während der letzten Jahre war stets zu beobach- wirtschaft zu schaffen und - wie es von Herrn Brede- ten, daß die Kommission immer den kleinsten ge- horn gerade gesagt wurde - die Frage zu beantwor- meinsamen Nenner bei ihren Vorschlägen verwirk- ten, wohin die Reise gehen soll. lichte. Nicht fachliche und faire Vorschläge sind ge- macht worden, sondern solche, die bei der wider- Meine Damen und Herren, Währungskrisen kom- streitenden Interessenlage, die eine Wirtschaftsunion men und gehen; die Bäuerinnen und Bauern in mit 15 teils unterschiedlichen Ländern mit sich Deutschland jedoch müssen in allen Wechselfällen bringt, Zustimmung erfahren. des Lebens eine Zukunft haben. Wir erneuern des- halb unsere an dieser Stelle geäußerte Bereitschaft, Diese Verhaltensweise hat dazu geführt, meine Da- uns an dem notwendigen Dialog über eine neue men und Herren, daß einerseits die einen - meist die Agrarpolitik zu beteiligen und für ihre Umsetzung zu Weichwährungsländer - alle ihre Forderungen erfüllt wirken. bekamen, andererseits die Lasten fast einseitig auf die Hartwährungsländer, insbesondere auf Deutsch- Ich danke Ihnen. land, abgeschoben wurden.

(Beifall bei der PDS) (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Und das darf nicht sein!)

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat jetzt Die Folge ist klar: Deutschlands Bauern finden der Abgeordnete Meinolf Michels. sich, was ihr heutiges Einkommen im Vergleich zu dem in anderen EU-Ländern anbelangt, im unteren Drittel der Skala wieder. 1984 wurde die Milchquo- Meinolf Michels (CDU/CSU): Frau Präsidentin! tierung eingeführt. Sie wurde von der Zusage beglei- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Hintergrund tet, daß am Verbrauch orientierte Mengen für die für diese Regierungserklärung ist der unannehmbare Landwirte zu auskömmlichen Preisen führen wür- Vorschlag - wie wiederholt dargestellt - der Europä- den. Die Landwirtschaft hat dies akzeptiert. In den ischen Kommission zur Regelung währungsbeding- letzten Jahren aber ist die Kommission ihrer Verant- ter Entwicklungen. wortung nicht nachgekommen. Sie hat eben nicht Ich bin dankbar dafür - und ich sage dies auch für die produzierte Menge dem veränderten Verbrauch meine Fraktion -, daß die Regierung in dieser ent- angeglichen, im Gegenteil. England z. B. legt großen schlossenen Weise für die deutschen Bauern eintritt. Wert darauf, die Quote ungekürzt zu behalten, weil in England die Milchproduktion auf Grund der wäh- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge rungsbedingten Preisentwicklung außerordentlich ordneten der F.D.P.) günstig ist. Italien hat seine völlig unsolidarische Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 2935

Meinolf Michels Verhaltensweise am Ende noch mit einer Erhöhung Viertens. Keine Interventionsgetreidefreigabe in der Quote gekrönt bekommen. den europäischen Markt hinein. (Beifall des Abg. Ulrich Heinrich [F.D.P.]) Fünftens. Wir brauchen ein Signal. Was soll z. B. nach Ablauf der Milchquotenregelung und Agrarre- Obwohl Italien die Einzelquotierung bis heute noch form werden? nicht umgesetzt hat, hat es die Strafzölle nicht bezah- len müssen. Die deutschen Bauern produzieren zur (Horst Sielaff [SPD]: Ja, das wüßten wir Zeit die Milch zu einem Preis, der so schlecht ist, daß gern von der Bundesregierung!) sich jeder milchproduzierende Betrieb heute schon ausrechnen kann, wann er sich in die Pleite gemol- Die Landwirte müssen langfristig planen können. ken hat, wenn sich dies nicht schnellstens ändert. Nur dann können sie investieren. Ohne Investitionen verlieren unsere Bauern ihre Zukunft. Vor drei Jahren kam es nun zu der Agrarreform. Diese fußt im wesentlichen darauf, daß die Getreide- Sechstens. Keine weitere Reduktion der Flächen- mengen näher an den Bedarf herangeführt werden. stillegung, damit die Getreidemenge näher an den Die zurückgeführte Erntemenge sollte am Markt ei- Bedarf herangeführt wird. nen auskömmlichen Preis finden. Was ist daraus ge- worden? Siebtens. Es ist nicht mehr einsehbar, daß die Ein- zahlungen in nationaler Währung und die Aus- Erstens. Frankreich und England haben eine Kür- gleichszahlungen in europäischer Währung geleistet zung der Flächenstillegung durchsetzen können. Die werden. Hier muß der Forderung unseres Ministers Folge: Die Überschußmenge steigt; die Preise sinken. Borchert gefolgt werden, Einzahlungen und Auszah- Frankreich ist mit seinen Forderungen bei der Kom- lungen in nationaler Währung festzusetzen. mission fast immer erfolgreich. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zweitens, Während die Zusage, daß sich der Preis am Markt bilden sollte, sich noch nicht einmal voll Schließlich können wir z. B. bei der Rapspreisge- auswirken konnte, gab die Kommission Getreide aus staltung kein derartiges Abschmelzen der Aus- der Intervention in großer Menge für den europä- gleichsleistungen hinnehmen, wie dies zur Zeit von ischen Markt frei. seiten der Kommission vorgesehen ist. Man kann sich heute schon ausrechnen, wann unsere Bauern (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist die Sau dafür bezahlen müssen, daß sie überhaupt noch Raps - erei!) anbauen dürfen. Damit hat die Kommission ihre eigene Aussage kon- Letztendlich geht es nicht an, daß die Weichwäh- terkariert. Unsere Forderung kann nur sein: Der rungsländer bei uns zunehmend Marktanteile ge- Handel soll sich bitte am Markt bedienen; do rt sollte winnen, während unsere jungen Bauern von Jahr zu sich auch der Preis bilden. Aber heute bildet die In- Jahr perspektivloser dastehen. tervention für den Handel eine billige und zu jeder Zeit verfügbare Vorratshaltung. Die Preise sind auf (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das wäre ein völlig unakzeptables Niveau gesunken. Ich habe das Ende Europas!) den Kommissar Fischler aufgefordert, kein Getreide Daß wir diese Entwicklung zu allem Überfluß gegen mehr aus der Intervention freizugeben, damit zumin- unsere eigenen Interessen finanzieren, ist vollends dest die Preisfindung für die neue Ernte sich nicht unannehmbar. noch weiter verschlechtert. Meine Damen und Herren, selbst Experten hätten Meine Damen und Herren, zur Zeit wird über es nicht für möglich gehalten, daß sich die in der Kri- Preise gesprochen, die bestenfalls ein gutes Trink- tik des Deutschen Bauernverbandes gegenüber der geld ausmachen. Unser Gespräch am Montag in EG-Agrarreform und der GATT-Regelung zum Aus- Brüssel haben wir genutzt, um Kommissar Fischler, der für die Fehlentscheidungen der Vergangenheit druck gebrachten Befürchtungen so schnell bewahr- heiten sollten. Ursache sind falsche Entscheidungen nicht verantwortlich gemacht werden kann, unsere Sorgen vorzutragen. Ich habe ihm acht Punkte vorge- der Kommission. Die deutschen Bauern haben ein Recht darauf, daß ihre Sorgen hier artikuliert wer- legt und um entsprechende Beachtung gebeten. den. In so schwieriger Zeit muß der gerechte Schutz Erstens. Er möge sich als Kommissar um Gerech- für unsere Bauern eine Staatsaufgabe sein. tigkeit gegenüber allen Mitgliedsländern bemühen; dies sei seine Pflicht. Mit unserem Entschließungsantrag unterstützen wir Bundesminister Jochen Borchert bei seinen (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!) schwierigen Verhandlungen, die er am 29. dieses Monats in Brüssel zu führen hat, und wünschen ihm Zweitens. Wenn ein währungsbedingter Ausgleich von Herzen im Interesse der deutschen Landwirt- notwendig ist, dann müßte er voll und unbegrenzt schaft dabei viel Erfolg. geleistet werden, damit die Zusage, die bei Einfüh- rung der Agrarreform gegeben wurde, eingehalten (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wird.

Drittens. Die Milchquote muß europaweit zeit- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Jetzt hat der Abge- gleich und korrekt angepaßt werden. ordnete Horst Sielaff das Wort. 2936 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Horst Sielaff (SPD): Frau Präsidentin! Meine Da- Heute erleben wir, wie unzuverlässig diese Aussa- men und Herren! Zunächst möchte ich zwei Vorbe- gen waren. Unsere Befürchtungen und Hinweise auf merkungen machen. den Finanzierungsvorbehalt wurden lautstark als parteipolitische Polemik und als Gezänk abgetan. Die erste Vorbemerkung: Lieber Meinolf Michels, Das waren die Fakten. wir wollen die eigene Regierung nicht einseitig kriti- sieren. Das gemeinsame Gespräch in Brüssel hat das (Beifall bei der SPD) gezeigt. Die Regierung hat ausdrücklich gelobt, wie einmütig wir dort aufgetreten sind. Ein Drittes. Die Einseitigkeit der Vorwürfe gegen Brüssel verwundert uns allerdings schon. Es drängt (Beifall bei der SPD und der F.D.P.) sich der Verdacht auf: Die vielen Rücktrittsforde- Aber man muß auch zur Kenntnis nehmen: Nicht wir rungen aus den Reihen der CDU/CSU an die Adresse des EU-Agrarkommissars sind auch ein als Opposition sitzen im Ministerrat und in den Gre- Ablenkungsmanöver. Vor wenigen Tagen erklärte mien, sondern die Regierung. Man muß es sich schon der EU-Agrarkommissar Fischler, im Vergleich zu gefallen lassen, daß man in die Verantwortung ge- nommen wird. Man kann sich da nicht heraussteh- den Beschlüssen vom letzten Dezember seien die Vorschläge „erstens logisch, zweitens budgetneutral len. und drittens GATT-verträglich". Viertens entsprä- (Zuruf von der CDU/CSU: Auch eine SPD- chen sie den im Ministerrat bereits vorgetragenen Kommissarin sitzt in Brüssel!) Prinzipien, denen kein Mitgliedstaat widersprochen habe. Die zweite Vorbemerkung: Ich glaube, es ist unbe- stritten, daß wir es waren, die diese Thema tik sehr (Zuruf von der SPD: Hört! Hört!) frühzeitig und immer wieder auf die Tagesordnung des Agrarausschusses gesetzt haben. Insofern sollte Im Ministerrat sitzt auch der Agrarminister der man solche Unterstellungen hier nicht leichtfertig Bundesrepublik Deutschland. Nach dieser Aussage machen. hat er nicht widersprochen, (Beifall bei der SPD - Dr. R. Werner (Zuruf von der SPD: Der ist Hinterbänkler!) Schuster [SPD]: Jetzt holt euch die Wahrheit ein!) und heute tut er so, als habe er mit den Auswirkun- gen und Folgen dieses Beschlusses rein gar nichts zu Vermutlich war das auch nicht so ernst gemeint.- tun. Unterschiedliche Interpretationsversuche sollen - mein Kollege Thalheim hat darauf hingewiesen - Meine Damen und Herren, wir sind uns, glaube von der Mitverantwortung ablenken. ich, heute hier einig - ich möchte das noch einmal unterstreichen -: Die gegenwärtige Agrarpolitik der (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Herr Kol EU-Kommission ist für unsere Landwirtschaft nicht lege Sielaff, können Sie die Prinzipien er hinnehmbar. Wir meinen, diese Beschlüsse dürfen läutern?) nicht Realität werden. Die Glaubwürdigkeit der Politik, insbesondere der (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Regierung Dr. , stehe auf dem Spiel, er- F.D.P.) klärte Herr Bredehorn für die F.D.P. in ihrem Presse- dienst. Gemeinsam fordern wir die Bundesregierung auf, die Annahme der EU-Agrarbeschlüsse der Kommission (Günther Bredehorn [F.D.P.]: Das ist richtig!) zu verhindern. Sie würden ohne andere Kompensa- tionsmöglichkeiten und -maßnahmen in der Tat den Herr Borchert, wer Ihren Worten geglaubt hat, muß Niedergang weiterer landwirtschaftlicher Betriebe in sich hintergangen fühlen, wenn diese Brüsseler Be- der Bundesrepublik Deutschland nach sich ziehen. schlüsse Realität werden. Ich sage, Herr Bredehorn: Sie würden weiterhin den Agrarmarkt durcheinan- In der Tat steht auch die Glaubwürdigkeit dieser Re- derbringen und die einheimische Landwirtschaft, gierungspolitik und der Agrarpolitik von Herrn Bor- insbesondere die ökologischen Landwirte, an den chert mit auf dem Prüfstand. Rand der Existenzmöglichkeiten bringen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Ein Zweites. Kontinuität und Verläßlichkeit müs- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sen endlich in die Agrarpolitik einziehen. Auch darin scheinen wir uns einig zu sein. Die Beschlüsse müs- Viertens füge ich hinzu: Die Bundesrepublik sen zudem dauerhaft und langfristig angelegt sein, Deutschland ist innerhalb der EU kein Zwerg und, damit der Landwirt auf längere Sicht planen kann. wie ich hoffe, auch kein Papiertiger. Der Bundes- Selbst der neue Agrarkommissar hat diese Kontinui- kanzler erklärte vor wenigen Tagen - ich zitiere die tät noch vor wenigen Tagen gefordert; der Landwirt- „Frankfurter Rundschau" vom 12. dieses Monats -: schaftsminister hat darauf hingewiesen. Jetzt erleben „Wir sind Nummer eins in Europa" und „Die Füh- unsere Landwirte, wie kurzlebig solche Zusagen rungsrolle ist da, nicht weil wir sie suchen - sie ist sind. einfach da". Aber jahrelang wurde uns und den Bauern - auch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - von Ihnen, Herr Borchert - versichert, die Aus- Siegfried Hornung [CDU/CSU]: So ist es gleichszahlungen seien dauerhaft und verläßlich. auch!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 2937

Horst Sielaff Diese Aussagen sind mit der zur Schau gestellten sie schlägt jetzt vor, daß der Butterinterventionspreis Hilflosigkeit des Landwirtschaftsministers schwer in um weitere 2 % gesenkt werden soll. Allein dieses Einklang zu bringen. Verhalten der Kommission läßt doch unsere Bauern langsam verzweifeln. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Situation der deutschen Landwirtschaft ist in weiten Bereichen bereits mehr als entmutigend. Die Zeigen Sie in der Agrarpolitik: Die Bundesrepublik aktuelle Währungssituation verschlimmert die Lage Deutschland hat eine Führungsrolle und hat als größ- der deutschen Landwirtschaft dramatisch. ter Einzahler etwas in der europäischen Agrarpolitik zu sagen. Der Einkommensrückstand der deutschen Land- Fünftens. Sollten diese Beschlüsse nicht rückgän- wirtschaft ist sehr stark währungsbedingt. Mit viel gig gemacht werden, so müßte in der Tat darüber Mühe haben sich vor allem die süddeutschen Bauern nachgedacht werden, wie die währungsbedingten Absatzmärkte in Italien aufgebaut. Durch den Verfall Verluste unserer Landwirtschaft, notfalls durch eine der Lira bricht dieser Absatzmarkt weg. Deshalb ver- Anhebung der Vorsteuerpauschale, ausgeglichen suchen die süddeutschen Bauern über ihre Ver- werden können, wie es auch der Bauernverband for- marktungseinrichtungen, verstärkt landwirtschaftli- dert, zumal sich schon heute herausstellt, daß die von che Produkte auf dem deutschen Markt unterzubrin- Brüssel bereitgestellten Finanzierungsmittel von ca. gen. Dies hat zur Folge, daß die Agrarpreise in ganz 136 Millionen ECU als Ausgleichszahlungen bei wei- Deutschland nach unten gedrückt werden. tem nicht ausreichen werden. Als ob diese negativen Entwicklungen noch nicht Sechstens. Angesichts dieser Situa tion auf dem eu- ausreichten, schlägt die Kommission jetzt vor, daß die ropäischen Agrarmarkt ständig von seiten der Bun- Ausgleichszahlungen in den Hartwährungsländern desregierung von der Erweiterung der EU zu spre- gekürzt werden sollen. Dieser Vorschlag ist unan- chen, wie es z. B. Herr Seiters heute getan hat, wun- nehmbar. Bundesminister Jochen Borche rt hat die dert einen ebenfalls. Ich meine, erst wenn ein klares volle Rückendeckung der CSU, wenn er forde rt, daß Konzept für eine langfristige Perspektive das agrarmonetäre Ausgleichssystem geändert wer- den muß. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das hat damit gar nichts zu tun!) (Beifall bei der CDU/CSU) einer umweltfreundlichen und sozial verträglichen- Es kann nicht sein, daß Finanzminister Theo Wai- Agrarpolitik erkennbar ist, kann m an ernsthaft über gel immer höhere Beträge für die gemeinsame euro- eine Erweiterung der EU, gerade um agrarstruktu- päische Agrarpolitik zur Verfügung stellen muß und rierte Länder, nachdenken. Alles andere ist nicht red- davon immer weniger an die deutschen Bauern zu- lich, lieber Herr Seiters. rückfließt. Die Landwirtschaft in den Schwachwäh- rungsländern wird durch dieses System immer wett- (Beifall bei der SPD) bewerbsfähiger und erhält dazu noch höhere Aus- Die Art und Weise des Hin und Her in den Be- gleichszahlungen. schlüssen der EU trägt jetzt schon mehr zur Verdros- senheit als zur Akzeptanz der EU bei. Wir als Opposi- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das kon tion hoffen, Herr Borche rt, daß Sie im Ministerrat Er- terkariert die ganze EU-Politik!) folg haben und diese Agrarbeschlüsse zurückgewie- Unsere eigene Landwirtschaft verliert Marktan- sen werden können. teile und erhält dafür auch noch niedrigere Aus- Danke schön. gleichszahlungen. Deutschland als größter Nettozah- ler in den EU-Haushalt finanziert die Vorteile der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Schwachwährungsländer. Es kann nicht sein, daß ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) der deutsche Finanzminister dadurch die Existenzbe- drohung der deutschen Bauern mitfinanzieren muß. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: In der Debatte Meine Damen und Herren, die Landwirtschaft in fährt jetzt der Kollege Albe rt Deß fort. Europa ist auf dem besten Weg in eine Zweiklassen- gesellschaft. Die Bauern in den Hartwährungslän- Albert Deß (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe dern sind die Verlierer, die Kollegen in den Schwach- Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte an das an- währungsländern die Gewinner. Länder mit einer so- knüpfen, was Kollege Michels angesprochen hat: liden Finanz- und Haushaltspolitik werden bestraft, Was der deutschen Landwirtschaft zur Zeit von Brüs- unsolide, ja chaotische Finanz- und Haushaltspolitik sel zugemutet wird, ist unerträglich. Bei steigenden wird belohnt. Auf diesem System kann Europa nicht Kosten erhält sie immer weniger für ihre Produkte. In aufgebaut werden. keinem Land der Welt sind, gemessen an der Kauf- kraft, die Nahrungsmittel so billig wie in der Bundes- Bis zur Vollendung der Wirtschafts- und Wäh- republik Deutschland. rungsunion ist ein neues Agrarausgleichssystem not- wendig. An diesem Punkt ist meiner Ansicht nach Der Butterpreis hat inzwischen das Niveau von auch Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl gefordert. Die Ende der 30er Jahre erreicht. Der Kommission in deutsche Landwirtschaft darf nicht auf dem Altar der Brüssel ist der Preis anscheinend noch zu hoch; denn europäischen Einigung geopfert werden. 2938 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Albert Deß Die Verluste, die unsere Bauern erleiden, können Dann bleibt als Alternative nur noch: Rindfleisch aus betrieblich und durch Mehrarbeit nicht mehr ausge- Großbritannien, Wassertomaten aus Holl and, Baby- glichen werden. Was würden andere Gruppen in un- nahrung aus Spanien und schwermetallhaltiges Ge- serer Gesellschaft aufschreien, wenn sie ähnliche Be- müse aus Osteuropa. Da kann ich den deutschen lastungen wie die bäuerliche Bevölkerung ertragen Verbraucherinnen und Verbrauchern nur noch guten müßten. Appetit wünschen. (Zuruf von der SPD: Das ist wohl wahr! - Ich wünsche mir, daß wir gemeinsam alle Anstren- Horst Kubatschka [SPD]: Machen Sie mal gungen unternehmen, um unseren Bauern wieder Vorschläge!) eine Perspektive zu geben. Der Vorschlag der Kom- mission muß weg. Er ist ein eklatanter Vertrauens- Wären Löhne, Gehälter und Diäten in Deutschland bruch. an das Europäische Währungssystem gebunden, ginge ein Sturm der Entrüstung durch unser L and, (Beifall bei der CDU/CSU) wenn in Deutschland 5 % weniger ausbezahlt wür- Dazu ist weiter notwendig, daß Agrarüberschüsse in den und in Italien und Großbritannien dafür 10 % Europa konsequent abgebaut werden, um die Agrar- mehr. Wir hätten dann sicherlich eine breite gesell- märkte zu entlasten und einen Preisanstieg der schaftliche Akzeptanz für unsere Forderung, daß die Agrarprodukte zu ermöglichen, damit die landwirt- deutsche Landwirtschaft nicht weiter benachteiligt schaftlichen Einkommen wieder ansteigen können. werden darf. Meine Damen und Herren, es gibt in der SPD Wir Bauern brauchen jetzt eine breite Solidarität. durchaus agrarpolitisch vernünftige Kolleginnen und Wird sie uns verweigert, wird die Landwirtschaft Kollegen. harte Konsequenzen ziehen. Die Jugend wird aus- steigen aus einem Beruf, der stark zur gesellschaftli- (Horst Sielaff [SPD]: Endlich hören wir das chen und sozialen Stabilität in unserem Land bei- einmal!) trägt, der unsere Kulturlandschaft pflegt und uns täg- Der Antrag der SPD zur heutigen Debatte ist aber lich mit frischen, qualitativ hochwertigen Nahrungs- scheinheilig und unglaubwürdig. mitteln versorgt. Nahrungsmittel kann man eventuell noch importieren, nicht aber eine gepflegte Kultur- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - landschaft und auch nicht gesellschaftliche und so- Widerspruch bei der SPD) ziale Stabilität. - Jetzt hören Sie bitte auf, meine sehr verehrten Da- (Beifall bei der CDU/CSU) men und Herren. Es ist schon ein Stück aus dem To ll -haus, wenn die SPD-Fraktion der Bundesregierung Mit den Werten in unserer Gesellschaft kann doch Vorwürfe macht, während die SPD-regierten Länder etwas nicht stimmen, wenn eine Tonne Abfallbeseiti- im Bundesrat fordern, daß steuerliche Vergünstigun- gung inzwischen mehr kostet als eine Tonne Ge- gen der Landwirtschaft in dieser schwierigen Zeit treide. gestrichen werden. Mehr Falschheit ist nicht mög- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Weit mehr! lich. Weit mehr! Ein Vielfaches!) (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, wir Bauern werden an Mit einem Antrag vorzutäuschen, daß man sich für die Gesellschaft und an die Politik die Frage stellen, die Interessen der Bauern einsetzt, zugleich aber die ob sie eine bäuerlich strukturierte Landwirtschaft Bauern im steuerlichen Bereich weiter zu belasten, mit all ihren positiven Auswirkungen will oder ob sie ist schon ein starkes Stück. einer agrarindustriellen Produktion auf Agrarinseln zu Weltmarktpreisen das Wort redet. Wenn sich un- Es ist Finanzminister , der im Rahmen sere Gesellschaft für die bäuerliche Richtung ent- des Jahressteuergesetzes bereit ist, die Bel ange der scheidet, muß sie auch bereit sein, den Bauern und Landwirtschaft zu vertreten, die SPD-Länder wollen Bäuerinnen Rahmenbedingungen zu geben, bei de- das jedoch ablehnen. nen genügend Luft zum Atmen vorhanden ist. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Noch kann (Beifall des Abg. Siegf ried Hornung [CDU/ die SPD zustimmen!) CSU]) Im heutigen Antrag der SPD steht weiter, daß sich die CDU/CSU immer wieder weigerte, die vorhande- Brüssel macht zur Zeit die Luft unerträglich dünn. nen und anwachsenden Agrarüberschüsse abzu- Wenn die Kommission in Brüssel und die verantwort- bauen. Am 12. Dezember 1991 hat die SPD in einem lichen Regierungen in der EU in ihrer Mehrheit wei- Entschließungsantrag das Gegenteil gefordert. Da- ter eine ruinöse Preisdruckpolitik für die deutschen mals hat sie geschrieben: Bauern betreiben, müssen sie eines berücksichtigen: Man kann die Preise so weit absenken, bis keine Die Bundesregierung muß von dem von ihr im Bauern mehr da sind. Die Zeche bezahlen nicht nur wesentlichen immer noch verfolgten falschen unsere Bauern, sondern auch unsere Verbraucher. agrarpolitischen Konzept der Mengenregulie- rung wegkommen; (Beifall des Abg. Bartholomäus Kalb [CDU/ CSU] - Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist das muß man laut und deutlich sagen!) wahre Gesicht der SPD!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 2939

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Deß, gestat- hier so klipp und klar: Dieses Thema geht weit über ten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Thal- die Agrarpolitik hinaus und zeigt für mich deutlich heim? auf, ob Europa in der Zukunft vereinigungsfähig ist, ob es gemeinsame Richtlinien und gemeinsame Posi- tionen finden kann oder ob wir genau in dem Be- (CDU/CSU): Ja, gerne. Albert Deß reich, der schon immer als Klammer Europas be- zeichnet worden ist, nämlich dem agrarpolitischen Dr. Gerald Thalheim (SPD): Herr Deß, sind Sie be- Bereich, in einer unnö tigen Art und Weise unter reit zu akzeptieren, daß die Überschußprobleme bei Druck kommen, so daß man eigentlich den Glauben der Milch nach wie vor ungelöst sind und daß des- an Europa verlieren muß. halb die Forderung absolut berechtigt ist, ja sogar heute hier in der Diskussion wieder gefordert wurde, Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, für mich die Quoten bei der Milch zu senken? Was ist Ihrer steht in allererster Linie die Politik in Brüssel auf dem Meinung nach in dem Fall zu tun? Ich kann hier bis Prüfstand. jetzt nichts feststellen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Albert Deß (CDU/CSU): Ja, da sind wir einer Mei- Denn da ist eine ganz entscheidende Richtungs- nung. Ich trete konsequent dafür ein, daß in Europa wende vorgenommen worden, die weder bei der eine Agrarpolitik der Mengenreduzierung betrie- Agrarreform noch bei den darauffolgenden GATT- ben wird. Die SPD hat aber damals, 1991, genau das Verhandlungen so gewollt war. Es war auch nicht Gegenteil gefordert. der Wille dieses Parlaments, daß die Agrarreform mit ihren Auswirkungen auf dem Feld der agrar- (Vorsitz : Vizepräsident Hans Klein) monetären Entwicklung so mißbraucht wird. Damit Die SPD hat in ihrem Antrag damals gefordert: werden wir als na tionales Parlament mehr oder we- niger immer konfrontiert werden, weil wir Gott sei Preisstützungen in der Landwirtschaft sind nach- Dank aus einem Hartwährungsland kommen und haltig abzubauen, und der Marktzugang muß er- wir Gott sei Dank in einer stabilen finanziellen leichtert werden. Situation sind und leider Gottes durch ein unmögli- An anderer Stelle heißt es: ches System auf europäischer Ebene Nachteile hin- nehmen müssen. Von der allgemeinen Zielsetzung, einen freien Welthandel mit offenen Grenzen zu schaffen,- darf Ich muß in diesem Zusammenhang die Ro lle der der EG-Agrarbereich nicht ausgenommen wer- Kommission hinterfragen. Was versteht die Kommis- den. sion eigentlich unter Politik für Europa, wenn sie sich in ihren Vorschlägen ausschließlich an den zu erwar- (Zuruf des Abg. Dr. Gerald Thalheim [SPD]) tenden Mehrheiten orientiert und sich nicht mehr in - Herr Kollege Thalheim, wenn diese SPD-Forderun- erster Linie um eine sachgerechte Lösung bemüht? gen umgesetzt worden wären, wäre längst das Ende der bäuerlichen Landwirtschaft eingeläutet. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU - Siegfried Hor Das ist der eigentliche, schwierige Ansatzpunkt, den nung [CDU/CSU]: Das ist die Wirklichkeit!) wir in dieser Frage zu vermerken haben. Ein Teil dessen, was die SPD 1991 gefordert hat, ist (Dr. Gerald Thalheim [SPD]: Warum hat heute leider eingetreten und hat mit zu dieser Herr Bangemann zugestimmt? - Horst Sie- schwierigen Situa tion in der Landwirtschaft geführt. laff [SPD]: Der gehört doch zur F.D.P., oder? Wer damals diese Forderungen aufgestellt hat, ist Jetzt sind Sie sprachlos! - Gegenruf des heute mit seinen Vorwürfen an die Bundesregierung Abg. Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: unglaubwürdig. Wer in den SPD-regierten Ländern Machen Sie ihn doch nicht b ange, Mann!) die Landwirtschaft benachteiligt, ist agrarpolitisch unglaubwürdig. Bayern unterstützt seine Bauern. - Die Kommission wird von mir in ihrer Gesamtheit, Die CSU unterstützt Minister Borchert in seiner in ihren Entscheidungsstrukturen hef tig kritisiert. schwierigen Aufgabe, weitere Benachteiligungen Dazu gehört auch Herr Bangemann. der deutschen Bauern zu verhindern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - (Beifall bei der CDU/CSU und der. F.D.P. - Zuruf von der CDU/CSU: Und Frau Wulf Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: -Mathies!)Eine ungewöhnlich starke Rede!) - Die Wulf-Mathies von der SPD natürlich auch.

Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kol- Liebe Freunde, das hier ist doch kein parteipoliti- lege Ulrich Heinrich. scher Kampf. Seht das doch endlich einmal ein. Es ist vielmehr die Frage, ob wir als deutsches Parlament in Ulrich Heinrich (F.D.P.): Herr Präsident! Meine sehr der Lage sind, Einfluß auf die zukünftigen Entschei- verehrten Damen und Herren! Das Thema, das wir dungsstrukturen in Europa zu nehmen. Hier liegt für heute diskutieren, erweckt den Anschein, als wäre es mich einiges im argen. Die Agrarpolitik ist auf Grund ausschließlich ein agrarpolitisches Thema. Ich sage der Klammer, auf Grund des hohen Integrations- 2940 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Ulrich Heinrich niveaus in Europa der Bereich, wo die Schwächen Ich habe erhebliche Bedenken auf Grund der Tat- am deutlichsten zum Vorschein kommen. sache, daß derzeit nur zwei Länder einer Währungs- union beitreten könnten, nämlich die Bundesrepu- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Der ein blik Deutschland - - zige!)

Die Problematik erkennt man bei uns früher als in Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Heinrich, anderen Bereichen. Deshalb ist es ein dummes Ge- darf ich Sie einen Moment unterbrechen? - Vielleicht schwätz - ich habe es heute in der Zeitung gelesen -, bekommen wir den Herrn Parlamentarischen Ge- die Debatte würde wieder einmal zeigen, daß die schäftsführer dazu, auch dem Redner seine Aufmerk- Agrarpolitiker eine Extrawurst haben wollten. Wir samkeit zu schenken. wollen keine Extrawurst, sondern wir wollen eine eu- ropäische Regelung, die dann auch für unsere Unter- (Dr. Uwe Küster [SPD]: Herr Präsident, ich nehmer, für unsere Landwirte, eine entsprechende bedanke mich für diesen zarten Hinweis!) Entwicklungsmöglichkeit eröffnet und nicht auf un Bitte, fahren Sie fort. kalkulierbarer Basis, der Willkür von europäischer Politik, unternehmerisches Handeln zunichte macht. (F.D.P.): Ich habe erhebliche Be- Das ist doch der eigentliche Skandal, der hier zu be- Ulrich Heinrich denken, nachdem derzeit nur zwei Länder die Krite- klagen ist. rien erfüllen, nämlich die Bundesrepublik Deutsch- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) land und Luxemburg, daß das Ziel, spätestens bis 1999 eine Währungsunion in der Europäischen Union herbeizuführen, erreicht wird. Ich habe größte Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Heinrich, Bedenken. Deshalb werden wir uns wahrscheinlich gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. notgedrungen über die Problematik der unterschied- Thalheim? lichen Währungsentwicklung unterhalten und dar- über streiten müssen, welchen Weg wir zu gehen ha- ben. Deshalb brauchen wir bald ein solides Funda- Ulrich Heinrich (F.D.P.): Ja, bitte. ment, das uns erlaubt, in der Zukunft auch über län- gere Zeiträume hinaus eine vernünftige Regelung Vizepräsident Hans Klein: Bitte, Herr Kollege. vorzulegen. Das, was derzeit diskutiert wird, ist dazu nicht geeignet. - Herzlichen Dank. Dr. Gerald Thalheim (SPD): Herr Kollege Heinrich, könnte es vielleicht sein, daß es auch Sachzwänge fi- (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und nanzieller Natur sind, die Ihren Kommissar Bange- der SPD) mann oder die Kommissarin Wulf-Mathies dazu ver- anlaßt haben, so zu entscheiden, wie sie entschieden haben, und daß wir bei der heutigen Debatte diese Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat Herr Kol- Dimension doch vielleicht etwas verdrängen? lege Heinrich-Wilhelm Ronsöhr.

Heinrich-Wilhelm Ronsöhr (CDU/CSU): Herr Prä- Ulrich Heinrich (F.D.P.): Lieber Herr Kollege Thal- sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! heim, die finanzielle Begründung, die Vorlage so zu Am letzten Montag hat der EU-Agrarkommissar gestalten, wie sie jetzt auf dem Tisch liegt, ist für Fischler vor dem Ernährungsausschuß Ziele formu- mich fadenscheinig und nicht nachvollziehbar; denn liert. es liegen Alternativvorschläge auf dem Tisch, die ge- nau diese Finanzierbarkeit berücksichtigen und eher (Horst Sielaff [SPD]: Jetzt fordern Sie den noch Geld sparen würden. Aber der politische Wille, Rücktritt!) sich mit den entsprechenden Vorschlägen auseinan- Diesen Zielen hat er aber dann durch seine Vor- derzusetzen, fehlt bei der Kommission, weil sie den schläge nicht entsprochen. Das ist das eigentliche Weg des geringsten Widerstandes gehen wi ll und Problem, das wir hier aufzuarbeiten haben. Ich habe hier keinen sachgerechten Lösungsvorschlag auf den den Eindruck, daß Sie von der SPD, Herr Thalheim Tisch legt, den man dann politisch im Rat zu diskutie- und Herr Sielaff, an diesem eigentlichen Problem in ren und zu entscheiden hat. dieser Debatte vorbeidiskutiert und vorbeiargumen- (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und tiert haben. der SPD - Dr. Gerald Thalheim [SPD]: Wir (Beifall bei der CDU/CSU - Horst Sielaff reden nach dem 29. Mai noch einmal dar [SPD]: Sie müssen zuhören! Haben Sie über!) nicht gehört, was ich gesagt habe?) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich Zu den hier angesprochen Ausgleichszahlungen - möchte noch einmal darauf hinweisen, daß wir uns das ist doch von uns allen in Brüssel so kritisiert wor- an Hand dieses Beispiels sehr gut überlegen müssen, den - hat doch der Agrarkommissar Vorschläge un- wohin der europäische Weg führt, wenn die Integra- terbreitet, die den Zielvorstellungen, die er vorher tion und vor allen Dingen die Wirtschafts- und Wäh- genannt hat, nicht entsprachen. Er nannte die Ziel- rungsunion hier nicht konsequent durchgeführt und vorstellungen nur deshalb, weil er davon ablenken umgesetzt wird. wollte, daß er sich an seinen bisherigen Vorgaben, Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 2941 Heinrich-Wilhelm Ronsöhr aber auch an den Beschlüssen der Europäischen Wir haben unsere Forderungen in unserem Antrag Union nicht orientieren wollte. Der Bundeslandwirt- festgeschrieben. Wir stehen auf der Seite der deut- schaftsminister, Jochen Borche rt, hat doch in seiner schen Landwirte. Wir wollen Schaden von ihnen ab- heutigen Regierungserklärung verdeutlicht, an wel- wenden. che Beschlüsse sich der EU-Kommissar nicht halten will. Ich kann nicht nachvollziehen, warum die SPD (Horst Sielaff [SPD]: Wir auch!) das nicht nachvollziehen kann. Die SPD ist offenbar nicht in der Lage, solche For- (Beifall bei der CDU/CSU) derungen mitzutragen. So sprach der EU-Agrarkommissar doch auch von (Horst Sielaff [SPD]: Auch das stimmt nicht! der Aufwertungsfestigkeit der Ausgleichszahlun- - Der Abgeordnete meldet sich zu einer gen. Er sprach davon, daß die Landwirte einen vollen Zwischenfrage) Ausgleich erhalten sollen. Nur, realisieren wi ll er die- Der Antrag der SPD zum Währungsausgleich - dar- sen vollen Ausgleich nicht; das ist hier schon mehr- auf hat Albert Deß zu Recht hingewiesen - erschöpft mals angesprochen worden. Sein Vorschlag läßt 1 % sich in verunglückten Angriffen gegen die CDU/ des Ausgleichs - das ist immerhin 40 % des Aus- CSU. gleichsvolumens - unter den Tisch fallen. Zudem ist dieser Ausgleich noch zeitlich limitiert. Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege, gestatten In bezug auf die zeitliche Limitierung - daran will Sie eine Zwischenfrage? ich erinnern - sprach er vor dem Ausschuß immer von fünf Jahren. Richtig ist jedoch, daß er diese zeit- liche Limitierung seines Vorschlages gar nicht durch- Heinrich-Wilhelm Ronsöhr (CDU/CSU): Ich ge- setzen will. Er will den Ausgleich erst einmal auf drei statte keine Zwischenfrage, weil ich nicht sehr viel Jahre festschreiben mit einer Op tion - man weiß Zeit habe. Herr Sielaff hatte ausreichend Zeit, seine nicht, ob sie durchsetzungsfähig ist - auf zwei wei- Position zu begründen. tere Jahre. Das läßt die SPD-Argumenta tion vollkom- Sie von der SPD haben im Ausschuß erklärt, daß men außer acht. Sie Ihren Antrag in einer Nacht geschrieben haben. Ich bedanke mich ganz ausdrücklich beim Bundes- Manches müssen Sie im Dunkeln formuliert haben; rat, daß er hier zu einer anderen Auffassung als die denn bei Licht besehen sind einige Ihrer Formulie- rungen einfach falsch. SPD im Deutschen Bundestag gekommen ist.- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - (Horst Sielaff [SPD]: Unsinn!) Horst Sielaff [SPD]: Das stimmt doch über Bei einer Forderung Ihres Antrags kann ich Sie al- haupt nicht!) lerdings unterstützen. Es geht um die Forderung, Einige aus der SPD suchen offenbar noch Aspekte, Wettbewerbsnachteile für die deutsche Landwirt- mit denen EU-Kommissar Fischler seine Vorschläge schaft möglichst zu besei tigen. Nur, dann fangen Sie begründen könnte. doch einmal bei den SPD-regierten Ländern an. Bis- her ist jede SPD-Landesregierung zu einem Wettbe- Wenn wir diese Widersprüche von Herrn Fischler werbsnachteil für die deutsche Landwirtschaft ge- jetzt nicht verdeutlichen, dann ist zu fragen - das hat worden. Jochen Borchert hier zu Recht angesprochen -: Was passiert eigentlich bei weiteren Aufwertungen in den (Widerspruch bei der SPD) nächsten Jahren? Meine Damen und Herren, wir wollen die Agrarre- (Horst Sielaff [SPD]: Ja, das ist unsere form und ihre Zielvorstellungen sichern. Auch hier Sorge!) ist die EG-Agrarkommission zu kritisieren - - Sie haben keine Sorge artikuliert, sondern Kritik an (Zuruf des Abg. Horst Sielaff [SPD]) der Bundesregierung geübt. - lassen Sie mich doch einmal ausreden; ich lasse Wenn man bei der ersten Aufwertung nicht den doch auch Sie ausreden -, da sie nicht nur bei der vollen Ausgleich zahlt, wird man uns wahrscheinlich Frage des Aufwertungsausgleichs von den Zielvor- in den nächsten Jahren noch schlechtere Vorschläge stellungen zur Agrarreform abrückt. Sie will Preise präsentieren. Hier ist Vertrauen zerstört worden. Hier möglichst nah an das Interventionsniveau heranfüh- ist Widerstand angesagt. Herr Sielaff, Jochen Bor- ren. chert hat diesen Widerstand von Anfang an verdeut- Ziel der Agrarreform war und ist es jedoch, die licht. Deswegen läuft Ihre Kritik ins Leere. Preise vom Interventionsniveau nach oben wegzu- (Beifall bei der CDU/CSU) entwickeln, und zwar auch durch mengenregulie- rende Maßnahmen. Das wäre auch unter finanziellen Wir wollen eine glaubwürdige Politik. Wir wollen, Gesichtspunkten sinnvoll. Sich über dieses Ziel der daß das bisher Gültige für die deutschen Bauern Agrarreform hinwegzusetzen, ist auch ein Ver- auch jetzt Gültigkeit haben soll. Deshalb unterstüt- trauensbruch. Wir brauchen in der EU-Agrarpolitik zen wir Jochen Borchert. Wir unterstützen ihn, damit Kontinuität und nicht willkürliche Vorschläge der er seine Position für die deutsche Landwirtschaft Kommission. Auch hier sind die eindeutigen Aus- durchsetzen kann. sagen von Jochen Borchert zu begrüßen. 2942 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Meine Damen und Herren, wir kritisieren die Kom- Ich hoffe, Herr Präsident, es war kurz genug. mission da, wo es notwendig ist. Deshalb sind wir keine Gegner Europas. Ich kritisiere auch die SPD- (Beifall bei der SPD) Landespolitik von Niedersachsen. Ich kritisiere sie deshalb, weil ich mein Bundesland stärken und nicht Vizepräsident Hans Klein: Sehr gut. - Herr Kollege schwächen will. Ronsöhr, Sie haben jetzt Gelegenheit zu replizieren, wenn Sie wollen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Ich möchte Europa stärken, wo es notwendig ist. Ich Muß ich?) kritisiere deshalb auch die Kommission da, wo sie Schwächen aufzeigt, da, wo sie Schwächen verdeut- - Sie müssen nicht, nein. licht. Damit schließe ich die Aussprache. Es ist beantragt Deshalb fordern wir, daß die deutsche Landwirt- worden, die Entschließungsanträge der Fraktionen schaft jetzt und auch in Zukunft keine aufwertungs- der CDU/CSU und F.D.P. sowie der Fraktion der SPD bedingten Nachteile erfahren darf. Es darf nicht sein, auf den Drucksachen 13/1401 und 13/1385 zur feder- daß wir die Zahlungen an die Europäische Union in führenden Beratung an den Ausschuß für Ernäh- harter Deutscher Mark vornehmen, aber Auszahlun- rung, Landwirtschaft und Forsten, zur Mitberatung gen aus der Europäischen Union in dem ständig an den Ausschuß für die Angelegenheiten der Euro- schwächer werdenden ECU zurückbekommen. Die päischen Union sowie an den Haushaltsausschuß zu europäische Agrarpolitik darf nicht die bestrafen, die überweisen. Besteht damit das Einverständnis des die Maastricht-Kriterien erfüllen, deren gute Finanz- Hauses? - Dies ist offensichtlich der Fall. Dann sind politik zu einer harten Währung geführt hat, und die- die Überweisungen so beschlossen. jenigen begünstigen, deren Politik ständig zur Ab- wertung der Währung führt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf: Jochen Borchert hat ein Konzept, das genau dies a) - Zweite und dritte Beratung des von den nicht eintreten lassen will. Deshalb unterstützen wir Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. ein- ihn. Jochen, du hast unsere volle Unterstützung! gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Überleitung preisgebundenen Wohn- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) raums im Beitrittsgebiet in das allge- - meine Miethöherecht (Mietenüberlei- Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Ronsöhr, tungsgesetz) erlauben Sie mir eine kleine Bemerkung, aber es ist - Drucksache 13/783 - für den einen oder anderen Neuen - das war Ihre Jungfernrede - hilfreich zu wissen: Zwischenfragen (Erste Beratung 28. Sitzung) werden zeitlich nicht angerechnet. Da wird die Uhr angehalten. Sie bietet dem Redner natürlich auch die - Zweite und dritte Beratung des von der Möglichkeit, seine eigene Redezeit auf diese Weise Bundesregierung eingebrachten Ent- etwas zu verlängern. Verweigert der Redner die Zwi- wurfs eines Gesetzes zur Überleitung schenfrage, bin ich gelegentlich in der Situa tion, in preisgebundenen Wohnraums im Bei- der ich jetzt bin, daß ich dem Zwischenfrager, der trittsgebiet in das allgemeine Miethöhe nicht zu Wort gekommen ist, das Wort für sehr viel recht (Mietenüberleitungsgesetz) mehr, nämlich für eine Kurzintervention, erteilen - Drucksachen 13/1041, 13/1187 - muß. (Erste Beratung 33. Sitzung) Herr Kollege Sielaff, Sie haben das Wo rt. - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Franziska Eichstädt-Boh- Horst Sielaff (SPD): Herr Präsident! Meine Damen lig, Andrea Fischer (Berlin), Antje Herme- und Herren! Ich mache es in der Tat kurz. Herr Ron- nau, weiteren Abgeordneten und der söhr hat etwas unterstellt, was in der Sache nicht Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein- stimmt. gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ich bitte, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir den In- Überleitung der Mieten in den neuen halt des gemeinsamen Antrages, der im Ausschuß Bundesländern und Ost-Berlin in das vorliegt, nicht aufgekündigt haben. Ich habe aus- Vergleichsmietensystem durch wohn drücklich gesagt, daß wir diesen Punkt - nicht die Er- wertbezogene Preisbildungsfaktoren klärungen und Erläuterungen - ausdrücklich mit un- (MietÜberleitungsG) terstützen. Wir haben dann einen erweiterten Antrag - Drucksache 13/549 - gebracht, nachdem wir in Brüssel erfahren haben, daß zumindest die Beratungen im Ministerrat unter- (Erste Beratung 28. Sitzung) schiedlich interpretiert werden. Insofern ist es nicht aa) Beschlußempfehlung und Bericht des hilfreich, wenn von der CDU behauptet wird, die Ausschusses für Raumordnung, Bauwe- SPD trage diesen gemeinsamen Punkt in der EU- sen und Städtebau (18. Ausschuß) Agrarpolitik nicht mehr. Wir tragen diesen Punkt ge- gen die neuen Beschlüsse der EU-Kommission mit. - Drucksache 13/1386 - Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 2943

Vizepräsident Hans Klein Berichterstattung: d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Abgeordnete Iris Gleicke Berichts des Rechtsausschusses (6. Aus- Hildebrecht Braun (Augsburg) schuß) zu dem Antrag des Abgeordneten Dr. Michael Luther Klaus-Jürgen Warnick und der weiteren Norbert Otto (Erfurt) Abgeordneten der PDS bb) Bericht des Haushaltsausschusses Verlängerung der erweiterten Kündigungs (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Ge- schutzregelungen für Mieterinnen und schäftsordnung Mieter in Ostdeutschland bis zum Jahr 2000 - Drucksache 13/1394 - - Drucksachen 13/582, 13/1396 - Berichterstattung: Berichterstattung: Abgeordnete Hans-Joachim Hacker Abgeordnete Dr. Rolf Niese Dr. Michael Luther Antje Hermenau Adolf Roth (Gießen) Ich wäre den Kollegen, die an dem jetzt aufgerufe- Jürgen Koppelin nen Tagesordnungspunkt nicht teilnehmen wollen, für einen raschen Wechsel dankbar, damit wir in der b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Beratung fortfahren können. Berichts des Ausschusses für Raumord- nung, Bauwesen und Städtebau Zum Mietenüberleitungsgesetz liegt ein Entschlie- (18. Ausschuß) ßungsantrag der Gruppe der PDS vor. Außerdem zu dem Antrag der Abgeordneten Franziska sind Änderungsanträge angekündigt. Eichstädt-Bohlig, Helmut Wilhelm (Am- berg), Antje Hermenau, weiterer Abgeord- Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE die gemeinsame Aussprache eineinhalb Stunden GRÜNEN vorgesehen. - Dagegen erhebt sich kein Wider- spruch. Dann ist das so beschlossen. Verknüpfung einer Mietrechtsänderung Ich weise schon jetzt darauf hin, daß wir im An- Ost mit einer gleichzeitigen Wohngeldan- schluß an die Aussprache zwei nament liche Abstim- hebung mungen und eine Wahl mit Stimmkarte und Wahl- zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus ausweis haben werden. Jürgen Warnick und der Gruppe der- PDS Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kolle- Sozial verträgliches und überschaubares gen Dr. Dietmar Kansy das Wort. Mietensystem in Deutschland sowie Min- destbedingungen bei der Einführung des Vergleichsmietensystems in Ostdeutsch- Dr.-Ing. Dietmar Kansy (CDU/CSU): Herr Präsi- land dent! Meine Damen und Herren Kollegen! Meine Damen und Herren! Fast fünf Jahre nach Inkrafttre- - Drucksachen 13/546, 13/759, 13/1386 - ten der Wirtschafts- und Währungsunion debattiert und beschließt der Deutsche Bundestag erstmalig ein Berichterstattung: Gesetz, das das Mietrecht in den neuen Bundeslän- Abgeordnete Iris Gleicke dern regelt. Die heute geltenden mietrechtlichen Hildebrecht Braun (Augsburg) Vorschriften sind Verordnungen, die gemäß Eini- Dr. Michael Luther gungsvertrag von der Bundesregierung mit Zustim- Norbert Otto (Erfurt) mung des Bundesrates erlassen wurden. Ich halte es deswegen für ein gutes Zeichen, wenn die in den c) Zweite und dritte Beratung des von der langen Beratungen gefundene jetzige Fassung des Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs Gesetzes von CDU/CSU, SPD und F.D.P. gemeinsam eines Gesetzes zur Änderungen des Ein- getragen wird. führungsgesetzes zum Bürgerlichen Ge- setzbuche - Verlängerung des Kündi- Lassen Sie mich anmerken: Dies ist bei unter- gungsschutzes für gewerblich genutzte schiedlichen ordnungspolitischen Vorstellungen in Räume und gewerblich genutzte unbe- der Wohnungspolitik nicht selbstverständlich. Aber baute Grundstücke dies erleichtert es uns, gemeinsam bei den Men- schen in den neuen Bundesländern, aber nicht nur - Drucksache 13/67 - dort, um Vertrauen für die jetzt gefundene Regelung (Erste Beratung 9. Sitzung) zu werben, und dies möchte ich am Anfang meiner Ausführungen auch tun. Beschlußempfehlung und Bericht des Mein Kollege Dr. Luther wird im Laufe dieser De- Rechtsausschusses (6. Ausschuß) batte aus der Sicht der CDU/CSU-Bundestagsfrak- - Drucksache 13/776 - tion zu den wichtigsten Detailregelungen dieses Ge- setzes Stellung nehmen. Ich möchte den Beginn die- Berichterstattung: ser Aussprache nutzen, die politischen Leitlinien die- Abgeordnete Dr. Dietrich Mahlo ses Gesetzes im Grundsätzlichen zu erläutern und Dr. Eckhart Pick für sie zu werben. 2944 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 Dr.-Ing. Dietmar Kansy Die erste Frage war: Brauchen wir fast fünf Jahre auch uns bekannte Probleme bei bestimmten Grup- nach der Wiedervereinigung überhaupt noch sepa- pen zu entschärfen, beispielsweise die Situa tion der rate Regelungen für die neuen Bundesländer? Diese Einzelpersonen in einer großen Wohnung und ähnli- Frage wird uns naturgemäß nicht nur in West- che Fälle. deutschland gestellt, wo nur wenige Menschen per- sönliche Erfahrungen mit den Schwierigkeiten in ei- Meine Damen und Herren, dennoch sind die vor- ner Übergangszeit von einer staatlichen Zwangswirt- gesehenen Mietbegrenzungen und das Sonderwohn- schaft in eine Soziale Marktwirtschaft haben, son- geld - ich sagte es schon - angesichts der allgemei- dern sie wird auch von ostdeutschen Wohnungsei- nen Situation in den neuen Bundesländern gerecht- gentümern, ostdeutschen Genossenschaften und fertigt. Wohnungsunternehmen gestellt. Viele argumentie- Auf der anderen Seite wissen wir um die schwie- ren dort, nun wollten sie endlich kraftvoll Soziale rige Situation der ostdeutschen Wohnungswirt- Marktwirtschaft auch im Wohnungsbereich prakti- schaft. Der SED-Staat hat - ich sagte es bereits - ei- zieren, um die schwere Hypothek sozialistischer Miß- nen großen Teil der Wohnungen, insbesondere im wirtschaft zu überwinden, und dürften es nicht. Altbau, in einem miserablen Zustand hinterlassen. Sozusagen programmgemäß kommen die Verursa- Hier besteht ein riesiger Investitionsbedarf, um die cher der Situation in den neuen Bundesländern her- Wohnungen in einen angemessenen Zustand zu ver- ein, nämlich die PDS-Kollegen. Ich erinnere an die- setzen. Eine Reihe der in dem Gesetz enthaltenen ser Stelle: Am Ende der SED-Herrschaft waren von Regelungen, wie die sogenannten Kappungsgrenzen den rund 7 Millionen Wohnungen in den neuen Län bei laufenden Mietverträgen, die Kappungsgrenzen dern 1,4 Millionen Wohnungen verfallen oder kurz bei Wiedervermietung aus dem Bestand und die davor. Mit dieser Hypothek müssen wir uns heute Kappungsgrenzen bei der Modernisierung, er- auseinandersetzen. schweren es den Unternehmen natürlich, möglichst umfangreich instandzusetzen und zu modernisieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Nötige Investitionen in Milliardenhöhe könnten ver- schoben werden, was dann auch Auswirkungen auf Dazu dient auch die Mietanpassung, die wir mit die- sem Gesetz vornehmen müssen. die Baukonjunktur und den Arbeitsmarkt in den neuen Ländern hätte. Hier liegt ein erkennbarer Ziel- Es bleibt die Frage, warum noch bis Ende 1997 für konflikt vor. Wer fair mit diesem Thema umgeht, muß die neuen Länder ein Sonderrecht gelten muß. dies auch aussprechen.

(Manfred Müller [Berlin] [PDS]: Weil- die In dem großen Bereich der Neubauten - wir haben Hälfte arbeitslos ist!) das schon beim Altschuldenhilfegesetz diskutiert - ist zudem die Finanzierung in weitem Umfang nicht Die Antwort ist: Wir haben im Einigungsvertrag ver- durch staatliche Zuschüsse, sondern durch Kredite einbart, daß die Mietanpassung in den neuen Län der Staatsbank der DDR erfolgt. Diese Kredite waren dern nicht losgelöst von der Einkommensanpassung das Äquivalent zu den Spareinlagen der DDR-Bürger erfolgen kann. Erinnern wir uns - viele in West- zur DDR-Zeit. Diese Spareinlagen wurden bei der deutschland wissen es nicht -: Bei der Wiedervereini- Wirtschafts- und Währungsunion 1 : 1, zu einem klei- gung waren die Wohnungsmieten in der ehemaligen nen Teil auch 1: 2, umgetauscht. So blieben als Kon- DDR tatsächlich auf sehr niedrigem Niveau, teilweise sequenz dieser von allen gewünschten Umtauschak- preisgebunden und auf dem Niveau der Vorkriegs- tion Schulden in D-Mark. Rund 30 Milliarden DM zeit, mit den dargestellten Konsequenzen des Ver- Schulden - das ist die Mehrheit dieser Schulden - falls ganzer Stadtteile. wurden den Unternehmen erlassen. Der kleinere Durch die beiden Grundmietenverordnungen, von Teil, der im übrigen pro Wohnung geringer ist als die denen ich vorhin sprach, ist in den letzten knapp fünf durchschnittlichen Finanzierungsschulden in West- Jahren der höchstzulässige Mietzins bei der Netto- deutschland, muß gemäß Altschuldenhilfegesetz ab kaltmiete von im Schnitt 80 Pf zum Zeitpunkt der 1. Juli dieses Jahres bedient werden, und zwar im Wiedervereinigung auf durchschnittlich 4,50 DM pro Schnitt mit etwa 1 DM pro Quadratmeter Wohnfläche Quadratmeter und Monat erhöht worden. Aber die- und Monat. ser Anstieg wurde begleitet von hohen Einkommens- Deswegen haben die Bauminister des Bundes und zuwächsen, und zwar bei den Realeinkommen, trotz der neuen Länder bereits vor längerer Zeit in dem so- dieser bisherigen Mieterhöhung. genannten Magdeburger Kompromiß vereinbart, Dies, meine Damen und Herren, führt dazu, daß daß zeitgleich mit dem Fälligwerden des verbliebe- heute nicht nur die Durchschnittsmiete sichtbar un- nen Teils der Schulden - ich wiederhole, der größere ter der vergleichbaren westdeutschen Nettokaltmiete Teil ist erlassen worden, aber nicht allein deswegen - liegt, sondern auch der prozentuale Anteil des Fami- die Miete erhöht werden kann, um die Unternehmen lieneinkommens, der für das Wohnen aufgewandt nicht handlungsunfähig zu machen und Investitio- wird, in den neuen Ländern noch etwa 5 % niedriger nen jeder Art völlig zu stoppen. ist als in den alten Ländern. Die Warmmieten betra- (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Burkhard gen - natürlich etwas unterschiedlich in den neuen Hirsch) Ländern - heute etwa zwischen 18 und 23, 24 % des Familieneinkommens. Dies wird u. a. durch ein Son- Diese Mieterhöhung, die tatsächlich frühestens derwohngeld Ost erreicht, das mit diesem Gesetzent- zum 1. August dieses Jahres zu Mehrausgaben der wurf sowohl verlängert als auch verbessert wird, um Mieterhaushalte führen wird, wird im Schnitt etwa Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 2945

Dr.-Ing. Dietmar Kansy 80 Pfennig pro Quadratmeter und Monat be tragen, Er war nämlich der Verhandlungsführer der Bundes- ohne eventuelle Aufwendungen für Modernisierung, regierung, und mir kam er manchmal so vor wie der die wir deswegen gedeckelt haben, um die Mieter Hase in dem berühmten Märchen von Hase und Igel. nicht zu überfordern. Auf der einen Seite der Furche standen die neuen Länder und später noch die sozialdemokratische Meine Damen und Herren, in Westdeutschland Bundestagsfraktion, und auf der anderen Seite stan- wird auch gefragt: Warum ist das Wohngeld in den den die Koalitionsfraktionen und die Justizministe- neuen Ländern besser als in den alten? Es ist unbe- rin. Er ist ordentlich gehetzt worden, hat aber diese stritten, daß eine Rentnerin in Düsseldorf bei gleicher Prozedur überlebt, und wie wir ihn kennen, hat er Miete und gleichem Einkommen weniger Wohngeld uns auch schon zum Glas Bier eingeladen. In diesem erhält als eine Rentnerin in Leipzig. Dennoch halten Sinne vielen Dank, Herr Minister, für Ihre Arbeit. wir auch das Sonderwohngeld noch für eine Über- gangszeit für gerechtfertigt, weil die Menschen in (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) den neuen Ländern in ihrer großen Mehrheit Bela- stungen ausgesetzt sind, die wiederum bei der gro- Zum Schluß noch ein erstes Wort auch an die Men- ßen Mehrheit der Westdeutschen zur Zeit trotz man- schen in den neuen Ländern, die uns heute hören cher Probleme nicht vorhanden sind. und sehen, an die Mieter und die Wohnungsunter- nehmer, an den Mieterbund, an die Verbände der Kritik erfahren wir auch aus Verbänden der Woh- Wohnungswirtschaft, an die vielen Hundertausende nungswirtschaft. Sie halten die Einführung der Kap- Christdemokraten, Sozialdemokraten, Freidemokra- pungsgrenze bei Neuvermietung aus dem Bestand ten draußen, in den Ländern und Kommunen: Haben oder bei der Modernisierung für einen gefährlichen Sie bitte Vertrauen in die Lösung, die gefunden Weg, der selbst sozial verpflichteten Umgang mit Ei- wurde! Verteidigen Sie sie vor Ort gegen Agitatoren, gentum erschwert, vernünftiges unternehmerisches insbesondere, wenn sie als Kurpfuscher heute Wun- Handeln behindert und die heute schon viel zu große derheiler spielen. Dieses Gesetz, geschrieben im Gei- Zahl staatlicher Reglementierungen weiter vergrö- ste des Einigungsvertrages, ist ein Stück Hoffnung ßert. Nur, meine Damen und Herren, dieses auch im für uns alle zusammen. Sinne der Wohnungswirtschaft dringend notwendige Gesetz war nur durch Kompromisse mit den neuen Vielen Dank. Ländern und mit der sozialdemokratischen Bundes- tagsfraktion zu haben, und zwar faire Kompromisse (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so und keine faulen. - wie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Und ordnungspolitische Glaubensbekenntnisse hel- Vizepräsident Dr. : Das Wort hat fen eben nicht überall weiter. der Abgeordnete Achim Großmann. Aber ich sage, diese Kappungsgrenzen sind Über- gangsregelungen, die nur in den neuen Ländern gel- Achim Großmann (SPD): Herr Präsident! Meine ten und nach dem festen Willen der CDU/CSU-Bun- Damen und Herren! Nach dem Magdeburger Kom- destagsfraktion nicht im allgemeinen deutschen promiß vor zweieinhalb Jahren, bei dem die Zweite Mietrecht landen werden und landen dürfen. Grundmietenverordnung beschlossen und das Fen- Damit komme ich zum Schluß noch einmal auf den ster für den Übergang ins Vergleichsmietensystem langen und mühseligen Weg zurück, den wir mit die- sozusagen aufgemacht worden ist, hatte die Bundes- sem Kompromiß bis heute gegangen sind. Ich regierung zweieinhalb Jahre Zeit, um einen Gesetz- möchte mich für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion entwurf zur Einführung der Vergleichsmiete vorzule- sowohl bei Bundesbauminister Töpfer, Bundesjustiz- gen. Wir alle wissen, daß diese Zeit miserabel ge- ministerin Leutheusser-Schnarrenberger, den Baumi- nutzt worden ist. Die Bundesregierung hat ihre Haus- nistern der neuen Länder einschließlich Berlins sowie aufgaben nicht gemacht. Erst unter wirklich starkem den Bundestagsfraktionen der F.D.P. und SPD für die zeitlichem Druck ist zum Jahresende 1994/95 Bewe- Kompromißbereitschaft und die Suche nach diesem gung in diese Frage gekommen. Danach hat die Bun- Kompromiß bedanken. desregierung durch S treit innerhalb der Koalitions- parteien weitere wertvolle Wochen vertan. Die Rah- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge menbedingungen des Zustandekommens dieses Ge- ordneten der SPD) setzentwurfes müssen wir daher scharf kritisieren.

Wir hätten großen Schaden nicht nur für die Woh- Ich glaube, daß der Kompromiß, den wir heute mit- nungswirtschaft, sondern langfristig auch für die tragen werden, eine seriösere Grundlage hätte ha- Mieter in den neuen Ländern herbeigeführt, die ver- ben können, noch mehr Meinungen hätten ausge- nünftige Wohnungen brauchen, wenn wir uns nicht tauscht werden können, das eine oder andere noch geeinigt hätten. präziser hätte dargestellt werden können, wenn die In einer ganz besonders schwierigen Situa tion war Bundesregierung entsprechend frühzeitig einen ei- unser Bundesbauminister, deswegen soll er eine Son- genen Gesetzentwurf vorgelegt hätte und wir diese derportion Dankeschön auch in dieser Debatte be- Hetze nicht gehabt hätten. kommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 2946 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Achim Großmann Unter diesen Vorzeichen hat die SPD im Gesetzge- Kompromisse können nur entstehen, indem beide bungsverfahren einen Mietenkompromiß erzielt, der Seiten aufeinander zugehen und von ihren ursprüng- trotzdem einen Großteil unserer Forderungen bein- lichen Forderungen ein Stück zurücknehmen. Aber haltet. Wir haben den Mieterinnen und Mietern in alle Mieterinnen und Mieter in den neuen Bundes- den neuen Bundesländern versprochen, dafür zu ländern sollen wissen: Wenn wir um diesen sozialver- kämpfen, daß der Übergang in das Vergleichsmie- träglichen Mietenkompromiß nicht gekämpft hätten, tensystem so sozialverträglich wie nur eben möglich läge jetzt ein Gesetz auf dem Tisch, mit dem das erfolgen soll, begleitet von einer verlängerten Gel- Wohngeld abgebaut worden wäre, in dem Kriterien tungsdauer des Wohngeldsondergesetzes und einem für drastische Mietpreiserhöhungen enthalten wä- verbesserten besonderen Wohngeld. Heute können ren, und wir hätten ein Zweiklassenmietrecht für Ost wir den Mieterinnen und Mietern sagen: Wir haben und West. Darauf, daß wir das verhindert haben, sind Wort gehalten, wir haben unser Versprechen gehal- wir ein Stück stolz. ten. Der Kompromiß, der auf dem Tisch liegt, ist mie- terfreundlich und sozialverträglich. Er ist für die Mie- (Beifall bei der SPD) ter, aber auch für die Wohnungswirtschaft ausgewo- Den Kompromiß so zu erstreiten, wie er heute ver- gen. abschiedet wird, war ein Stück harter Arbeit. Leider haben sich nicht alle Fraktionen dieses Hauses an (Beifall bei der SPD) dieser harten Arbeit beteiligt. Ein paar Eckwerte - denn natürlich interessie rt die Die PDS hat die Mieter verunsichert und ihnen Menschen, was in dem Gesetzentwurf steht -: Bei Angst eingejagt. Wohnungen, die keinen ausreichenden Standard ha- ben, die also mindestens drei Beschaffungskriterien (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nicht erfüllen, können keine Mieterhöhungen erfol- gen. Wo z. B. ein Bad oder eine Zentralheizung fehlt, Sie hat auf dem Rücken ängstlicher Mieter eine ego- können die Mieten in den ersten eineinhalb Jahren istische Kampagne zur eigenen parteipolitischen Pro- nur um 10 % und, wenn diese Menschen in Städten filierung ausgetragen. wohnen, die über 20 000 Einwohner haben, um wei- (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Sehr tere 5 % steigen. Darüber hinaus gibt es beim norma- wahr! - Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. len Wohnungsbestand Mietsteigerungen von nur - Widerspruch der Abg. Dr. Dagmar Enkel 15 % in zweieinhalb Jahren, wobei, wie gesagt, bei mann [PDS]) größeren Städten eine weitere fünfprozentige Miet- - erhöhung möglich ist. Wir haben im Gesetz geregelt, - Sie wollen mit populistischen Argumenten den daß die Umlage für Modernisierungen, die bis jetzt Mietern weismachen, daß Mietsteigerungen nicht maximal 11 % betrug, gekappt wird. Für Modernisie- nötig seien und daß sich die Altschulden in Luft auf- rungen dürfen die Mieten um maximal 3 DM pro lösen könnten. Quadratmeter erhöht werden. Zusätzlich - das macht (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Sinn - gibt es die Möglichkeit, daß Vermieter und F.D.P. - Zuruf von der PDS: Mieter sind Mieter einen Vertrag schließen, d. h. auf freiwilliger mündige Bürger!) Basis sagen, wir wollen ein bißchen mehr Moderni- sierung haben. Dann kann die Kappungsgrenze au- Sie haben auf Marktplätzen und in Wohnsiedlungen ßer Kraft gesetzt werden. mit Halbwahrheiten und Unwahrheiten agitiert, Die Freibeträge im Wohngeldsondergesetz, die (Dr. Dagmar Enkelmann [PDS]: Die SPD zum 1. Juli dieses Jahres herabgesetzt werden soll- auch!) ten - teilweise sollten sie ganz wegfallen -, haben statt hier im Bundestag zu arbeiten. In Wirklichkeit wir erhalten. Das Wohngeldsondergesetz, das am haben Sie in Bonn die Hände in den Schoß gelegt. 31. Dezember dieses Jahres ausgelaufen wäre, gilt Sie haben nicht einen einzigen Änderungsantrag im ein weiteres Jahr. Darüber hinaus bleibt es bei der Gesetzgebungsverfahren eingebracht. Berücksichtigung des „warmen Wohngeldes" bis Mitte nächsten Jahres. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.) Schließlich - das ist für uns sehr wichtig - gibt es ein Zustimmungsverfahren. Ein Mietvertrag ist, wie Sie wollen spalten, weil Sie als Partei nur überleben das Wort schon sagt, ein Vertrag. Beide Seiten müs- können, wenn Sie spalten. sen zustimmen. Dieses rechtliche Verfahren, das im (Zuruf von der PDS: In zehn Minuten sind Westen im Miethöhegesetz Gültigkeit hat, haben wir die Änderungsanträge da!) auf den Osten unseres L andes, auf die neuen Bun- desländer, übertragen. Wir haben nicht zugelassen, Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat ei- daß es ein Zweiklassenmietrecht gibt. Ich glaube, nen Gesetzentwurf vorgelegt, der aus meiner Sicht auch das ist ein großartiger Erfolg. völlig unpraktikabel ist. Man muß sich einmal vor- stellen, daß Mietstrukturen geschaffen werden sol- (Beifall bei der SPD) len, die sich in den Mietpreisen je nach guter, mittle- Natürlich sähe der Kompromiß anders aus, wenn rer und schlechter Wohngegend teilweise nur um die SPD in Bonn mit Mehrheit regiert hätte. Pfennigbeträge unterscheiden. Das ist im Grunde ge- nommen ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Bü- (Zuruf von der SPD: Das ist wohl wahr!) rokraten. Die Wohnungsgesellschaften müßten ihre Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 2947 Achim Großmann Verwaltungen erneut aufblähen, obwohl wir doch Der Dank gilt leider nicht - man muß ja sehen, daß alle froh sind, daß die völlig überbevölkerten Verwal- die Gefechtslage geklärt bleibt - für einen sehr we- tungsapparate aus der alten DDR-Zeit gerade abge- sentlichen Teil, bei dem wir nur einen ganz geringen speckt worden sind. Kompromiß erzielt haben. Das ist das Wohngeld. Was Sie, die Koalitionsparteien, und auch Sie, Herr (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bauminister Töpfer, mit dem Wohngeld veranstalten, Schauen wir uns den Antrag der GRÜNEN ein biß- ist ein Trauerspiel. chen näher an. Es gibt riesige Tabellen, die m an (Beifall bei der SPD) kaum überschauen kann. Eine Kategorie ist nach Wohnungsstandard, nach Wohnungsgröße und nach CDU/CSU und F.D.P. haben bei den Haushaltsbe- einfach, mittel und gut unterschieden. Da soll also für ratungen noch im Februar dieses Jahres gesagt und eine Wohnung mit 40 bis 80 m2 in der Kategorie mit ihrer Mehrheit vom Bundestag beschließen las- „einfach" die Miete ab 1996 4,44 DM, ab 1997 sen: 4,66 DM und ab 1998 4,89 DM be tragen. Bei der Ka- tegorie „mittel" steigt die Miete von 4,44 DM auf Die Bundesregierung bleibt darüber hinaus ge- 4,48 DM. Es wird also ein riesiger bürokratischer halten, für Anfang 1996 eine allgemeine Lei- Aufwand benötigt, um zu entscheiden, ob in einer stungsnovelle zum Wohngeldgesetz vorzulegen Wohnung vier Pfennige mehr oder weniger bezahlt und dabei Rechtsvereinfachungen vorzusehen. werden sollen. Das ist völlig unvorstellbar. Heute, zwei Monate später, sind Sie nicht bereit, Ihre (Dr. Gerhard Friedrich [CDU/CSU]: Das ist eigene Forderung in das Gesetz hineinzuschreiben. der schlanke Staat!) Bauminister Töpfer hat zum Jahreswechsel 1994/ Nehmen wir nun einmal die Mieterhöhung von 95 gesagt, er lege 1996 die Wohngeldnovelle vor, was 1996 auf 1997. Sie würde bedeuten, daß die Miete eine Mehrbelastung von 1,8 Milliarden DM für den um 22 Pfennig steigt. Rechnet man nun das Po rto für Bund ausmache. Einen Monat später haben Sie ge- den Brief, den man dem Mieter schicken muß, dann sagt: Vorwärts, wir müssen zurück. Sie haben dann ist die Mieterhöhung der ersten fünf Monate schon den geordneten Rückzug angetreten. weg, nur weil der B rief mit der Mieterhöhung ver- schickt werden muß. Bei der Wohngeldnovelle wurde wieder von 1996 gesprochen. Es war aber nur noch von 1 Milliarde (Beifall und Heiterkeit bei Abgeordneten DM die Rede; 0,8 Milliarden DM waren schon ver- der SPD und der F.D.P.) schwunden. Allein diese Beispiele machen klar, daß der Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wirklich Im April haben Sie erneut eine Presseerklärung ge- nicht ernst zu nehmen ist. Er ist ein Zeichen von Bü- macht; Sie wollen offensichtlich in der Erinnerung rokratie, von aufgeplusterten Apparaten, und hilft der Leute bleiben. Wiederum haben Sie gesagt: Die uns beim Übergang ins Vergleichsmietensystem Wohngeldnovelle kommt 1996. Aber Sie haben nicht weiter. schon keine Hausnummer mehr genannt. Sie haben nicht gesagt, was das für den Bund bedeutet. (Zuruf von der F.D.P.: Bravo!) Es wird noch komplizierter; denn Sie haben immer Jetzt, da endlich ein guter Kompromiß unter Dach nur gesagt: Die Wohngeldnovelle kommt 1996. - und Fach ist, spielen Sie den schlechten Verlierer, Wann sie in Kraft tritt, haben Sie bis heute nicht ge- statt zu sagen: Ja, das ist ein wichtiges Stück Mieter- sagt. schutz, das wir erzielt haben und das auch die SPD mit erkämpft hat. Eine noch bessere Lösung verhin- Herr Bundesbauminister, nehmen Sie die Gelegen- dert nicht die SPD, eine noch bessere Lösung verhin- heit heute wahr, nicht so zu reden, daß die Journali- dern die Bundesregierung, die CDU/CSU und die sten draußen im Lande verkünden können „Wun- F.D.P. Das ist die Wahrheit. derbar, Bauminister Töpfer erhöht 1996 das Wohn- geld", sondern sagen Sie uns, wann Sie die Wohn- Ich bin bereits darauf eingegangen, daß die Koali- geldnovelle einbringen. Aber sagen Sie uns bitte tionsparteien durch wochenlangen Koalitionsstreit gleichzeitig, welchen finanziellen Umfang sie haben eine zügige Beratung verspielt haben. Genutzt hat es soll und vor allen Dingen, wann sie in Kraft treten der F.D.P. nichts, wie wir seit letztem Sonntag wissen. soll. Dennoch respektiere ich den Kompromißschritt, den die F.D.P. gemacht hat. Für die überwiegend kon- (Beifall bei der SPD) struktive Arbeit sage ich den Kollegen aus CDU, CSU und auch der F.D.P. Dank, ebenso der Justizmi- Meine Damen und Herren, große Teile des Mieten- nisterin, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, und überleitungsgesetzes tragen die Handsch rift der dem Bundesbauminister Töpfer, aber auch den ost- SPD. Wir konnten nicht alle Forderungen durchset- deutschen Bauministern, die sich sehr ins Zeug ge- zen. Aber wir stehen zu diesem Kompromiß. Die SPD legt haben. wird diesem Gesetz deshalb in zweiter und dritter Lesung zustimmen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Vielen Dank. Ich bin sicher, daß sich die Arbeit und der Streit ge- lohnt haben. (Beifall bei der SPD) 2948 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile der gagement der Gegenblickwinkel, die Situa tion der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig das Wo rt. Mieter, ernstgenommen wird und daß insbesondere die Aspekte Durchschnittseinkommen der ostdeut- schen Mieter, Arbeitslosigkeit und Rentensituation Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Her- wirklich ernsthaft in die Debatte eingebracht wer- ren! Ich glaube, es ist fast schon ein historischer Tag: den. Wir erleben hier ein Stück große Koalition. (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Haben (Beifall bei der PDS - Widerspruch bei der Sie mir nicht zugehört, Frau Kollegin?) CDU/CSU) Sie sind nicht eingebracht worden. Sie ist eben sehr bewußt dargestellt worden. Ich glaube, es ist die erste wichtige große Koalition, die Tatsache ist - ich wiederhole es -: Das Durch- wir in diesem Hause miterleben. schnittseinkommen Ost entspricht dem, was zu einer Sozialwohnung berechtigt. Das heißt also, daß 50 % Eigentlich wollte ich zu unserem Gesetzentwurf der Ostdeutschen sozialwohnungsberechtigt sind. nicht so viel sagen. Aber nachdem Herr Großmann Das findet in diesem Gesetz überhaupt keine Berück- ihn so abgetan hat, muß ich es doch tun. sichtigung. Die Einkommenssteigerungen, die für Zunächst muß ich darauf hinweisen, daß ich es dieses Jahr erwartet werden, betragen für die Rent- wirklich als sehr ignorant empfinde - ich muß die ner höchstens 2,5 %, für die Einkommensbezieher, SPD eigentlich einbeziehen; ich wollte ursprünglich d. h. die arbeitende Bevölkerung, 4,5 % verfügbares vor allem die Regierungskoalition ansprechen -, daß Einkommen. Ich frage Sie, in welcher Beziehung die Sie die sehr qualifizierte Studie, die zehn ostdeut- von Ihnen vorgesehenen Mietsteigerungen dazu ste- sche Städte zusammen mit dem Deutschen Städtetag hen. In dieser Beziehung haben Sie den Auftrag des im Herbst 1994 vorgelegt hatten und die Grundlage Einigungsvertrages nicht ernsthaft durchdacht. unseres Gesetzentwurfs ist, so schlicht in den Papier- korb geworfen haben und daß Sie, Herr Großmann, (Beifall bei Abgeordneten der PDS) sie nach dem Motto ex und hopp als eine bekloppte Ich möchte nur einen Satz dazu sagen. Die Wohn- Sache abtun. geldabhängigkeit liegt im Durchschnitt bei 20 %. Sie Damit haben Sie eindeutig bewiesen, daß ein me- werden die Wohngeldabhängigkeit erhöhen, wäh- thodisch gut durchdachter Ansatz für ein Übergangs- rend Sie gleichzei tig das Wohngeld kappen. Das hal- recht vom Tisch gefegt wird, daß Sie sich um das, ten wir für eine absolut unverantwortliche Politik. was die ostdeutschen Städte - Dresden, Leipzig, Zwickau, Erfurt, Gera, Magdeburg, Halle, Dessau, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rostock und Potsdam - selbst erarbeitet haben, um und bei der PDS) das, was da gedacht und entwickelt wird, einen Dreck scheren, weil Sie meinen, daß das eigentlich Ich möchte ein paar Sätze zum Verfahren sagen. Es überhaupt nichts wert sei. Ich halte das für sehr arro- ist vom ersten bis zum letzten einfach nur ärgerlich. gant. Das erste Ärgernis ist der Magdeburger Beschluß (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom Juni 1992. Mit ihm wurde beschlossen, den Eini- sowie bei Abgeordneten der PDS) gungsvertrag und die Einkommensentwicklung der ostdeutschen Mieter nicht ernstzunehmen, sondern Auf dem aufbauend, haben wir etwas relativ Einfa- im Endeffekt das Problem der Altschulden und ihrer ches gemacht. Wir haben erst einmal einen Mietspie- Finanzierung in den Mittelpunkt zu rücken. gel simuliert, damit das, was der Einigungsvertrag vorgibt - nämlich am Wohnwert, an der Lage, der Ich werfe Ihnen das jetzt nicht vor, weil ich die Größe und der Ausstattung orientierte Mieten -, dif- Zwickmühle auch sehe. Was ich Ihnen vorwerfe, ist, ferenziert wird. Das Problem ist nämlich: Nicht Sie daß Sie der Bevölkerung nicht deutlich und offen ge- haben die Hausaufgaben des Einigungsvertrages er- sagt haben, daß Sie beabsichtigen, spätestens zum füllt, sondern wir haben sie erfüllt. Daß sich dadurch 1. Juli 1995 diese Forderung des Einigungsvertrages so differenzie rte Mieten ergeben, liegt an der Me- zu durchbrechen und eine Mieterhöhung durchzu- thode. setzen, die ganz andere Ziele verfolgt. Das soll man (Widerspruch bei der CDU/CSU) den Menschen sagen, darauf haben sie einen An- spruch. Ich werde Ihnen gleich an einem Beispiel vorrech- nen, daß sich bei diesen Mieterhöhungen, die Sie (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Es ist jetzt gemeinsam beschließen werden, das Po rto alle- doch Unsinn, was Sie sagen!) mal lohnt. Das zweite Ärgernis. 1994 tut die Bundesregierung Vorher möchte ich auf das, was uns das Wichtigste nichts, sie sagt nichts, sie ist auf Wählerfang, wi ll die ist, eingehen. Hier wird immer wieder - und ich er- Leute einfangen, statt ihnen reinen Wein einzu- schrecke darüber, wie einseitig - der Blickwinkel schenken. der Wohnungswirtschaft in den Vordergrund ge- rückt. Ich finde den Blickwinkel der Wohnungswirt- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - schaft wichtig. Ich möchte ihn nicht beiseite schie- Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Es gibt ben. Aber ich bitte darum, daß mit dem gleichen En- kein DDR-Sonderrecht!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 2949

Franziska Eichstädt-Bohlig Der nächste Punkt. Am 12. Januar 1995 macht Bau- Ein halbes Jahr später wird am Dach und an der minister Töpfer ohne solide ausgearbeitete Grund- Fassade etwas repariert; es kommen zweimal Be- lage eine Eckwertevereinbarung. Jeder kann die schaffenheitszuschläge hinzu. Das sind 60 Pfennige, Eckwerte nach seinem Gusto interpre tieren, und zusammen 45 DM. dann geht der Streit und das Hickhack los. Offenbar mußte keiner diese Vereinbarung einhalten. Im Frühjahr 1996 kommt die Modernisierungsan- kündigung: 3 DM nach der Kappungsgrenze plus Viertens. Herr Großmann, ich sehe das etwas an- 1,70 DM nach der Wärmedämmung, das macht ders als Sie. Tatsache ist, daß im Endeffekt von Ihrer 352,50 DM. Fraktion zwar ein paar Vorteile, vor allem im Bereich Ich erspare es mir, das Haus als denkmalgeschützt Wohngeld, durchgesetzt wurden, was ich sehr wich- auszuweisen. tig finde. Aber an anderer Stelle sind deutliche Ver- schlechterungen herausgekommen. Ich sage nur: Zum 1. Januar 1997 kommen 5 % weitere Mieter- Modernisierung 3 DM plus Wärmedämmung plus höhung; das macht 26 Pfennig oder 19,50 DM. Denkmalschutz plus sonstige Auflagen, die hinzu- Gleichzeitig kommt eine Betriebskostenerhöhung kommen können. Das geht massiv ins Geld. von, sagen wir einmal, 30 Pfennig; das macht 22,50 DM. Dann, wenn das alles zusammenkommt Das fünfte Ärgernis. Die F.D.P., immer auf der Su- - das ist kein unrealis tisches Modell -, ist zwischen che nach besser verdienenden Wählerschichten, fällt dem 1. August 1995 und dem 1. Januar 1997 Ihre ihrem Koalitionspartner in den Rücken und trampelt Miete um 7,03 DM oder 527,25 DM, bezogen auf die im wohnungspolitischen Porzellanladen herum, daß Warmmiete, gestiegen; das ist eine Steigerung um die Fetzen nur so fliegen. glatte 80 %. In Zahlen macht es warm 15,83 DM aus oder, als Gesamtmiete warm, 1 187 DM. (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr starke Worte!) In diesen anderthalb Jahren haben Sie also sechs Mieterhöhungserklärungen bekommen. Sechsmal Sechstes Ärgernis. Ich sage es deutlich: Die SPD Porto macht 6 DM für die Wohnungsbaugesellschaft. läßt sich auf den Basarhandel mit der CDU/CSU und Als Drei-Personen-Haushalt mit einem Einkommen letztlich mit der F.D.P. ein. Ich sehe es anders als Sie, von zunächst noch 2 300 DM haben Sie nach der Herr Großmann: Im Endeffekt hat die F.D.P. doch neuen Regelung einen Anspruch auf Wohngeld in sehr viel auf ihre Seite gezogen, insbesondere im Be- Höhe von 86 DM. Ich hoffe, daß in der Zwischenzeit reich Neuvermietung und letztlich auch im Bereich Ihr Einkommen auf einen Betrag zwischen 2 400 DM Modernisierung. und 2 500 DM gestiegen ist. Dann bekommen Sie noch 55 DM Wohngeld. Aber das heißt im Endeffekt: Letztes Ärgernis. Ich finde, daß man es deutlich sa- 1 100 DM monatlich legen Sie selbst auf den Tisch. gen muß: Sowohl den Vermietern als auch den Mie- Es bleiben Ihnen und Ihren vielleicht zwei Kindern tern wird jetzt die Pistole auf die Brust gesetzt. Tau- gerade 1 200 DM monatlich zum Leben nach Beglei- sende von Mieterhöhungserklärungen sollen im chung der Miete; das sind 400 DM pro Person. Juni aus der Hüfte geschossen werden. Die Mieter Ich halte das für unzumutbar und möchte das deut- haben dann de facto nur einen Monat Frist; am lich sagen. Ich bedaure, daß Sie sich in all den Dis- 1. August ist Zahltag. kussionen die Situation der Mieter nie wirklich ernst- haft klargemacht haben. Jetzt möchte ich Sie mit der Praxis und den vielen Portogeldern konfrontieren, die eigentlich nötig sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Ich weiß, die meisten hier sind überwiegend Eigen- bei der PDS sowie bei Abgeordneten der heim- und Eigentumsbesitzer, und unsere Einkom- SPD) men kennen wir alle selbst. Wenn Sie diese Wohnung nun nicht mehr bezahlen (Unruhe bei der CDU/CSU - Zuruf von der können und dringend auf der Suche nach einer an- SPD: Oje!) deren sind, dann wird Ihr Nachmieter für dieselbe Wohnung, wenn sich der Vermieter rechtlich korrekt Versetzen Sie sich einmal drei Minuten lang in die verhält, 1 300 DM bezahlen, für eine 75 Quadratme- Rolle des Mieters einer Wohnung von 75 Quadrat- ter große Wohnung normalen Zustands. metern, der ein Einkommen von 2 300 DM hat, das Ich komme zum Schluß. Ich denke schon, daß Sie etwa 360 DM unter dem ostdeutschen Durchschnitt sich diese Zahlen sehr ernsthaft zu Gemüte führen liegt. Sie haben eine Miete von 4,50 DM netto kalt, und nicht behaupten sollen, das alles gäbe es gar das macht 8,80 DM warm und 660 DM warm. Das nicht. Das wird die Wirklichkeit der nächsten Jahre. sind 28 % Ihres Einkommens, das Wohngeld nicht eingerechnet. Ich möchte mein Fazit ziehen. Das erste habe ich schon gesagt: Das Gesetz ist nicht am Einigungsver- Als erstes bekommen Sie die Mieterhöhung von trag orientiert, sondern einseitig an der Problematik 15 %. Das sind 67 Pfennig, und das macht 50,25 DM. der Altschulden und des Instandsetzungsbedarfs der Gleichzeitig kündet Ihnen der Eigentümer die Um- Wohnungswirtschaft. Das finde ich richtig, das muß lage für Heizung und Warmwasser an, denn die Be- man sehr ernst nehmen. Allerdings muß m an sich in triebskosten sind freigegeben. Das sind noch einmal dieser Beziehung mehr einfallen lassen. Das zweite - 50 Pfennig, und das macht 37,50 DM. Sie haben es eben gesehen -: Das Gesetz ist zu kom- 2950 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 Franziska Eichstädt-Bohlig pliziert; es ist verkorkst; es wird zu vielfachem S treit Wir haben hier keine Kabinettsitzung, sondern und zu Prozessen führen. Ich kann das nicht deutlich eine Parlamentssitzung. Deswegen bin ich der Mei- genug sagen. Das ist der einzige Punkt, bei dem ich nung, daß die Redner der Fraktionen die Möglichkeit mir mit meinem Kollegen, Herrn Braun, einig bin. haben sollten, miteinander zu sprechen.

Der dritte Punkt: Das Gesetz treibt die Menschen in das Wohngeld, während gleichzei tig das Wohn- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Abgeord- geld ab 1. Juli deutlich gekappt wird. Was an Wohn- neter Braun, ich habe Ihre Redezeit eben angehalten. geld hinzukommt, fangt nur für die Niedrigsteinkom- Aber ich möchte Ihnen sagen: Je länger Sie über die men einen kleinen Teil der Belastungen auf. Es reicht Usancen sprechen, um so mehr Zeit nehmen Sie sich in keiner Weise aus, die Mieterhöhungen deutlich selber bei dem berechtigten Wunsch, zur Sache zu aufzufangen. Das Kernproblem, das wir dabei sehen, sprechen. ist: Sie treiben die Mieter ins pauschalierte Wohn- Wenn Sie mit der Anrechnung der Redezeit nicht geld und damit in die Sozialhilfe, also Herrn Seehofer einverstanden sind, dann müssen wir darüber im Äl- direkt in die Arme. Das ist nicht verantwortungsvoll. testenrat oder zwischen den Fraktionen verhandeln. Darüber läßt sich sicherlich reden. Aber ich empfehle (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS Ihnen sehr, jetzt zur Sache zu kommen. SES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Der letzte Punkt, den ich vorbringen möchte: Die Hildebrecht Braun (Augsburg) (F.D.P.): Ich komme Chance, mietgebundene Sozialwohnungen im Osten gerne zur Sache. Ich werde aber darum bi tten, daß zu schaffen, wird mit diesem Gesetz - insofern ist diese Dinge in Zukunft etwas anders geregelt wer- heute ein historischer Tag - vertan. Es wäre dringend den. Sei's denn drum! nötig gewesen, für den Osten, insbesondere für die kommunalen Wohnungsbestände, einkommensab- Grund zum Feiern, wie Herr Kansy sagte, gibt es hängige Mieten und damit eine Mietdifferenzierung heute wohl kaum, eher Grund zu Nachdenklichkeit. zu schaffen. Aber auch darüber durfte nicht disku- Gewiß, ein mühseliges Gesetzgebungswerk ist zu ei- tiert werden. nem vorläufigen Ende gekommen. Koalition, SPD- Fraktion im Bundestag und Bundesrat haben zusam- Ich danke Ihnen. men einen Kompromiß in allen wich tigen Punkten gefunden. Alle Parteien haben sich bewegt und dazu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beigetragen, daß dieses Gesetz noch etwa im Zeit- und bei der PDS) - plan verabschiedet werden kann. Das Gesetz soll den sozialverträglichen Übergang Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort hat zum Vergleichsmietensystem in den östlichen Bun- der Abgeordnete Hildebrecht Braun. desländern ebnen. Ein bißchen trägt es dazu in der Tat bei; aber der Schritt ist viel zu klein. Der Weg weg von staatlicher Fremdbestimmung zu Selbstbe- Hildebrecht Braun (Augsburg) (F.D.P.): Herr Präsi- stimmung der Mieter und Vermieter in einem freien dent! Meine Damen und Herren! Hier, in diesem Land ist offensichtlich noch weit. Haus, stimmt etwas nicht. Ich habe zu Beginn der Wie ist das Gesetz insgesamt zu würdigen? Debatte erfahren, daß von den 16,5 Minuten, die der F.D.P. für diese Debatte - eine Debatte des Parla- Erstens. Alle beklagen zu Recht, daß das westdeut- ments, wohlgemerkt - zur Verfügung stehen, mir ge- sche Mietrecht viel zu kompliziert sei. Das künftige rade 6 Minuten bleiben sollen, weil eben auch das ostdeutsche Mietrecht wird noch viel komplizierter Ministerpaar das Wort ergreifen wird. Die Minister sein. Kein Mensch wird in der Lage sein, die gesetz- entscheiden, wie lange sie sprechen wollen; das wird lich richtige Miete für seine Wohnung ohne fachli- uns schlichtweg abgezogen. chen Rat festzustellen. So etwas verdient gewiß nicht das Prädikat „empfehlenswert". (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist Sache Ihrer Frak Zweitens. Viele Mieter in den neuen Bundeslän- tion! Auf die Barrikaden!) dern - das richtet sich jetzt speziell an Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig, die mir vielleicht doch zuhören Herr Präsident, es gibt das Parlament. Es wird das will - werden in Zukunft eine zu hohe Miete zahlen. Gesetz erlassen, oder es wird es nicht erlassen. Ich Denn würde die Miete freigegeben, so würde in den möchte eigentlich die Möglichkeit haben, strukturschwachen Räumen und dort, wo beträchtli- che Leerstände vorhanden sind, die Miete nicht oder (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ allenfalls ein wenig steigen, jedenfalls weniger, als DIE GRÜNEN]: Jetzt ruft er zum Regie es die Kappungsgrenzen dieses Gesetzes nahelegen. rungssturz auf!) Wir machen uns nichts vor: Gesetzliche Kappungs- auf die lichtvollen Ausführungen meiner Vorrednerin grenzen werden ausgenützt werden. Sie wirken be- von den GRÜNEN zu antworten, ohne deswegen kanntlich mietentreibend und nicht mietensenkend. darauf verzichten zu müssen, eigene Überlegungen Strukturschwache Räume werden von noch mehr vorzutragen. Menschen verlassen, da die Mieten do rt zu hoch und in den Ballungszentren relativ gesehen zu niedrig (Beifall bei der PDS) sind. Die Marktmiete würde dies berücksichtigen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 2951

Hildebrecht Braun (Augsburg) Sie würde über die niedrige Miete für strukturschwa- im Wohnungsbau weiter entmutigen. Wir brauchen che Regionen einen Standortvorteil ergeben, der aber einen kontinuierlichen Wohnungsbau, wenn jetzt nicht genutzt werden kann. Dies widersp richt wir auch in drei und fünf Jahren genügend Wohnun- jeder vernünftigen Strukturpolitik, die die ländlichen gen haben wollen Räume stützen will. Sechstens. Wir Liberalen stehen zum Wohngeld. Drittens. Für die Wohnungsgesellschaften ist die Das Wohngeld ist die Säule der individuellen Förde- staatlich verfügte Mietanhebung zu niedrig. Die Be- rung, in der Fachsprache Subjektförderung genannt. dienung der Altschulden frißt die Mietanhebung Wir sehen aber auch mit Sorge, daß allein die Ver- nicht nur auf, sie liegt sogar weit darüber. Die Genos- besserung des Wohngeldgesetzes Ost zu einer Mehr- senschaften und Wohnungsbaugesellschaften wer- belastung von nahezu einer halben Milliarde DM im den in den nächsten zwei Jahren Maßnahmen in Mil- Jahre 1996 führen wird. liardenhöhe, die längst geplant sind, nicht durchfüh- Die Verbesserung des Wohngelds West war nicht ren und nicht durchführen können. Das bedeutet zeitgleich möglich. Damit werden wir Probleme be- Schaden für den Aufschwung Ost. kommen. Es kann nicht sein, daß die Mieter in Deutschland West relativ und absolut - auch bei glei- Viertens. Die Modernisierung von Plattenbauten chem Einkommen, wie Herr Kansy sagte - deutlich wird tendenziell verteuert, da staatlich festgesetzte mehr Miete bezahlen und dafür weniger Wohngeld Kappungsgrenzen in der Regel ausgenutzt werden. bekommen. Das kann auf Dauer nicht gutgehen. Wenn der Gesetzgeber sagt, 3 DM Mieterhöhung sei in Ordnung, so wird für diesen Satz in vielen Fällen (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Ändern Sie modernisiert werden, auch wenn es billiger ginge. In es!) Altbauten jedoch mit Außentoiletten wird die Moder- Ich möchte auf die hohen Abschreibungen zu spre- nisierung deutlich zurückgehen, ja nahezu zum Still- chen kommen. Natürlich kam und kommt die Forde- stand kommen, da dort durch die Kappungsgrenzen rung, die hohen Abschreibungen bestehen zu lassen, eine vernünftige und, wie ich betone, mieterfreundli- weil andernfalls auch auf Grund dieses Gesetzes die che Sanierung in einem Aufwasch unmöglich ge- nötigen Investitionen nicht mehr möglich sein wer- macht wird. den. Das ist eine gefährliche Geschichte; denn es ist nicht dauerhaft verantwortbar, daß Mieter und Ver- (Walter Schöler [SPD]: Stimmen Sie zu?) mieter im Osten Kostgänger des Staates sein sollen, damit die Wohnungswirtschaft nicht zusammen- Wichtig ist, daß wir durch die Herausnahme der bricht. vom Vermieter nicht verschuldeten Modernisie- rungsmaßnahmen aus der Kappungsgrenze die Aus- Ziel ist und muß bleiben, daß wir in Ost und West wirkungen dieses Instruments wenigstens etwas mil- eine Marktmiete haben, die für eine ausgeglichene dem konnten. Dennoch: Große Altbaubestände mit Mietenentwicklung sorgen wird. Denjenigen, die die ihren Wohnungsflächenreserven werden in den Miete auf Grund ihres Einkommens nicht bezahlen nächsten Jahren nicht saniert werden. Dies führt können, wollen und werden wir durch Wohngeld nicht nur zu einer Benachteiligung der dort lebenden helfen. Das ist der richtige Weg, nicht jedoch das Menschen, die den Wohnstandard unserer Zeit nur Konzept der Opposition, die laufend neue staatliche durch einen Umzug erreichen können. Eingriffe in den Wohnungsmarkt zur gerechteren Verwaltung des Mangels findet, statt Wege aufzuzei- Wir sorgen mit dieser Kappungsgrenze auch für ei- gen, die aus dem Mangel herausführen. nen Einbruch bei den Beschäftigten im Ausbauge- werbe. Wir gefährden zigtausend Arbeitsplätze mit Vielen Dank. allen Folgen für die Menschen, die arbeitswillig und (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der arbeitsfähig sind, für die auch Arbeit da wäre, die CDU/CSU - Walter Schöler [SPD]: Stimmen aber auf Grund einer unseligen Politik des Staates Sie zu?) keine Arbeit bekommen werden.

Gerade Menschen mit einer weniger qualifizierten Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wo rt hat Ausbildung, die im Baugewerbe in großer Zahl tätig der Abgeordnete Klaus-Jürgen Warnick. sind, werden ihrer Lebenschancen beraubt. Junge Menschen, denen das Baugewerbe in den letzten Klaus-Jürgen Warnick (PDS): Herr Präsident! zwei Jahren doppelt so viele Ausbildungsplätze zur Meine Damen und Herren! Die demokratischen So- Verfügung stellte wie zu Beginn der 90er Jahre, wer- zialisten lehnen den ausgehandelten Kompromiß als den keinen Ausbildungsplatz finden, da die zumeist sozial nicht verträglich ab. Etwas anderes haben Sie kleinen Handwerksbetriebe wegen der sehr unge- von uns ja nicht erwartet. wissen Zukunftsaussichten ihrer Branchen den Mut zur Einstellung von Lehrlingen nicht aufbringen wer- (Iris Gleicke [SPD]: Doch; eigentlich schon!) den. Das ist aber nicht nur unsere Meinung, sondern auch die Meinung von Mieter- und Seniorenverbän- Fünftens. Die von der Opposi tion zum „casus kna- den sowie vor allem die Meinung von Millionen Mie- xus" hochstilisierte Neuvermietungskappungsgrenze tern im Osten. - wohlgemerkt, die Regierungskoalition hatte bereits eine Kappung bei 20 % angeboten - wird Investoren (Beifall bei der PDS) 2952 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Klaus-Jürgen Warnick Der Glaube an den Rechtsstaat ist für sie weiter er- Sie das für einen ausreichenden Grund halten, keine schüttert. Steuern mehr zu erheben?

Sehen wir uns die Volksinitiativen an: In Branden- (Manfred Müller [Berlin] [PDS]: Für wie burg und Mecklenburg-Vorpommern haben sich ca. dumm halten Sie denn die Bürgerinnen und 100 000 Bürger gegen dieses Mietenüberleitungsge- Bürger?) setz ausgesprochen. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Gegen den Klaus-Jürgen Warnick (PDS): Ich denke, die Bür- Entwurf!) ger im Osten sind Manns genug und wissen genau, was sie hier erwartet. Sie wären auch bereit, mit ei- Mehrere Massenpetitionen mit über 50 000 Unter- ner sozialverträglichen Steuerung, mit sozialverträg- schriften und 100 Einzelpetitionen wurden an den lichen Vorschlägen zu leben. Petitionsausschuß des Bundestags geleitet. Knapp 20 000 Petitionen wurden an den Petitionsausschuß In dieser Volksinitiative wurde ja nicht gefordert: des Abgeordnetenhauses in Berlin gerichtet. Das ist null Prozent Steigerung, sondern eine Steigerung um zusammengenommen das Votum von fast 200 000 10 % verteilt auf drei Jahre, also 3,3 % pro Jahr. Es Ostdeutschen. ging ihnen nicht darum, nichts zu zahlen. Es sollte sozialverträglich sein. Das ist ein gravierender Unter- Doch Bonn ist weit weg, und Papier ist geduldig. schied. Das Urteil der Be troffenen: Wir können fordern, was wir wollen, die da oben machen doch, was sie wol- (Beifall bei der PDS) len. Das ist die Konsequenz. Genau dieses Denken Zurück zur Politikverdrossenheit. Ich zitiere nur hatten wir Ostdeutsche schon einmal. drei x-beliebige Stimmen aus Hunderten von Brie- Ich könnte Ihnen fünf Stunden lang hier solche Aber auch die Beschlüsse der eigenen Landtags- fen. Briefe vorlesen. fraktionen in Ostdeutschland (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Tun Sie uns (Zuruf von der CDU/CSU: Die da oben wur das nicht an!) den demokratisch gewählt und nicht von oben bestimmt!) Eine Stimme - Wohnungsgenossenschaft „Frohe Zukunft", Dahme, vom 10. April -: wurden von Ihnen, von der Bonner CDU und der - SPD, ignoriert, auch von den eigenen Landtagsfrak- Deshalb wenden wir uns an Sie, mit der Bitte, da- tionen. Dazu einige Beispiele: Gestern wurden im für einzutreten, daß uns die Altschulden erlassen Landtag Brandenburg die Forderungen der Volksini- werden. Wirken Sie bitte auf die Regierung der tiative angenommen. Diese Forderungen der Volks- Bundesrepublik Deutschland in diesem Sinne initiative sind weitestgehend mit den Forderungen ein. des PDS-Antrages identisch. Eine Dame aus München, vom 2. April 1995: Die CDU und die SPD in Brandenburg haben da- nach 10 % Kappung bei Neuvermietung gefordert. Ich bitte Sie herzlich, doch einmal im Bundestag Die CDU in Sachsen hat in der Landtagsfraktion öffentlich zu fragen, wovon Rentner noch leben 10 % gefordert. Die CDU und die SPD in Thüringen sollen, wenn die gesamte Rente von den Mieten fordern, die Erhöhung der Wohnkostenbelastung bei aufgefressen wird. maximal 20 % zu begrenzen. Egal; interessiert nicht; - Das habe ich hiermit getan. ab in den Papierkorb. Was kümmert uns in Bonn die Meinung unserer Landtagsfraktionen im Osten! Das (Zuruf von der CDU/CSU: Die Mietenexplo fördert Politikverdrossenheit. sion haben Sie denen eingeredet! - Weitere Zurufe von der CDU/CSU) (Achim Großmann [SPD]: Das ist völlig dummes Zeug!) - Wenn wir so viel Einfluß haben, freue ich mich. Es ist gut, wenn wir auch schon in München so gehört - So ist die Lage. werden. (Beifall bei der PDS) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege Warnick, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle- Landesring Sachsen-Anhalt, Basisgruppe Rentner, gen Mahlo? vom 10. März: Wir können uns des Eindrucks nicht erwehren, Klaus-Jürgen Warnick (PDS): Aber natürlich. als ob dieses Problem, das wir als eines bewe rten, dem höchste sozialpolitische Priorität eingeräumt werden muß (die menschenwürdige, bezahlbare Dr. Dietrich Mahlo (CDU/CSU): Herr Kollege Wohnung gehört doch wohl zu den Grundrechten Warnick, um den Wert von solchen Unterschriften- eines jeden Individuums!), von maßgeblichen sammlungen zu kennzeichnen: Wenn man bei den Stellen und Organen mitunter nicht anders be- Bürgern eine Umfrage machte, ob sie Steuern zahlen handelt und angegangen wird als der Bau eines wollten, und die sich dagegen aussprächen, würden neuen Autobahnabschnittes oder die Streitfrage, Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 2953 Klaus-Jürgen Warnick ob man nun den SchürmannBau abreißen oder Herr Minister Töpfer hat im Anschluß an diese Be- sanieren solle. ratung die Ausschußmitglieder zu einem kleinen Umtrunk eingeladen. Vielen Dank dafür! Sehr gene- (Beifall bei der PDS) rös! Aber ich denke, wir gehen nicht so weit, daß wir von dem Kakao, durch den man uns ziehen will, Soweit Volkes Stimme, die wir hier eigentlich re- auch noch trinken. präsentieren sollten. Aber ich habe das Gefühl, die meisten anderen Parteien vertreten hier mehr die (Beifall bei der PDS) Stimme von Haus und Grund und der Wohnungs- wirtschaft. Dieser Tag ist eine Niederlage für die Mieter im Osten und kein Grund zum Feiern. Kurz zum Gesetzentwurf: Wir kriegen einen Ein- Vielen Dank. stieg in ein System, das sich auch im Westen nicht bewährt hat. Es hat seit 1974 zu Mietsteigerungen (Beifall bei der PDS - Achim Großmann um 120 % geführt. 2 bis 3 Millionen Wohnungen feh- [SPD]: Eine schwache Rede, wie gewohnt!) len; es gibt 1 Million Obdachlose. Das ist das Resultat dieser Entwicklung. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Den Mitglie- (Beifall bei der PDS) dern des Ältestenrates, die hier im Raum sind, möchte ich sagen, daß die Sitzung voraussichtlich um Wir kriegen im Osten sogar einen Einstieg zu we- 13.30 Uhr nach den namentlichen Abstimmungen sentlich schlechteren Bedingungen. Logisch: Man und nach der Wahl zur Nordatlantischen Versamm- muß für Ostdeutschland natürlich Sonderbedingun- lung beginnen wird. gen schaffen, weil das sonst nicht begriffen wird. Ich erteile das Wo rt der Bundesministerin für Ju- Bei der Beweispflicht gibt es eine Schlechterstel- stiz, Frau Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. lung, auch bei dem Zustimmungsverfahren. (Walter Schöler [SPD]: Aber nur zehn Minu ten!) Die größte Dreistigkeit ist für mich aber die A rt Zustimmungsfrist auf einen und Weise, mit der die Monat verkürzt wurde: von hinten durch die kalte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesmi- Küche, schön verschleiert, damit die es nicht merken. nisterin der Justiz: Herr Präsident! Meine Damen Als ob sich die Ostdeutschen die Hosen- mit der und Herren! Ich möchte zur Sache zurückkommen; Kneifzange anziehen und nicht merken, was hier ge- spielt wird! Aber die werden ganz genau begreifen, (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) was hier läuft. denn das, was uns soeben geboten wurde, hatte mit den Problemen, mit denen wir uns monatelang inten- (Beifall bei der PDS) siv auseinandergesetzt haben, wirklich nichts zu tun. Am meisten ärgert mich die Unverfrorenheit, mit Einen Lösungsansatz, auch nur einen ganz entfern- der die SPD diesen Gesetzentwurf als Fortschritt und ten, habe ich in Ihren Ausführungen, die ja im we- tragfähigen Kompromiß verkauft. Dadurch, daß Sie sentlichen aus dem Verlesen von Briefen bestanden, von der SPD diesen faulen Kompromiß mitgetragen nicht entdecken können. haben, haben Sie für meine Beg riffe Ihre Unschuld (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - als Partei der Mieter, wie Sie sich immer betiteln, ein- Manfred Müller [Berlin] [PDS]: Lesepause!) deutig verloren. Ich glaube, Sie haben an den bisherigen Beiträgen (Achim Großmann [SPD]: Der Mieterbund gemerkt, daß es hier wirklich nicht leicht gewesen hat den Kompromiß gelobt!) ist, zu einem Kompromiß zu kommen. Einen Kompro- miß eingehen bedeutet, daß jeder versuchen muß, Wer dem Bauminister Töpfer so auf den Leim geht sich dort wiederzufinden, auch wenn es manchem und sich ohne Not ins gemeinsame Boot holen läßt - ganz besonders schwergefallen ist. Ich glaube, es wie Sie es schon beim Altschuldenhilfekompromiß war gut und richtig, daß wir, letztendlich erfolgreich, und beim falschen Prinzip „Rückgabe vor Entschädi- um eine tragfähige Lösung gerungen haben. gung" gemacht haben -, der hat das Vertrauen der Mieter im Osten verspielt. In der Öffentlichkeit wurde leider häufig der Ein- druck erweckt, bei dem S treit um das Mietrecht Ost (Beifall bei der PDS - Zuruf von der SPD: gehe es nur darum, ob man es mit den Mietern oder Nichts als Ruinen haben Sie hinterlassen!) mit den Vermietern besser meine; danach bemesse sich, ob man sich für oder gegen stärkere gesetzliche Vielleicht macht Ihnen die Basis im Osten noch so Mietpreisbegrenzungen einsetze. Die Sache ist, wie viel Betrieb, daß Sie den Mut haben, dieses Gesetz häufig, natürlich nicht so einfach. Das wird deutlich, am 2. Juni im Bundesrat doch noch zu blockieren. Sie wenn man sich die Ausgangslage vor Augen führt. haben ja noch die Chance, unseren Änderungsanträ- gen hier zuzustimmen. Erstens. Die Wohnungsunternehmen müssen die Kosten für die Altschulden ab dem 1. Juli 1995 durch ( [Köln] [SPD]: Das tun wir das Auslaufen des Zinsmoratoriums von durch- nicht; keine Sorge!) schnittlich 1 DM pro Quadratmeter tragen. 2954 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Zweitens. Wir haben immer noch einen in weiten Drittens. Neben den Mietern können sich auch die Bereichen schlechten Zustand des Wohnungsbe- Wohnungsunternehmen bei ihren weiteren Planun- stands in den neuen Ländern, der eben gerade not- gen auf die vorgesehenen Neuregelungen einstellen. wendige und umfangreiche Instandsetzungs- und Es ist für alle, gerade für die Wohnungsunterneh- Modernisierungsmaßnahmen der Wohnungsunter- men, sehr wichtig, daß das Gesetz Mitte des Jahres nehmen erforderlich macht. Es wird zu Recht von in Kraft treten kann und somit wenigstens teilweise den Mieterinnen und Mietern erwartet, daß die Qua- die Kostenbelastung durch Altschulden aufgefangen lität ihrer Wohnungen langfristig verbessert wird. werden kann. Drittens. Zwar ist das verfügbare Einkommen der Die eingeführten Sonderkappungen insbesondere Haushalte in den neuen Bundesländern in den letz- bei den Neuvertragsmieten sind - auch das muß in ten Jahren erfreulich deutlich gestiegen, aber - auch solch einer Diskussion erwähnt werden - ordnungs- das muß man ganz nüchtern be trachten - natürlich politisch sicher nicht unbedenklich. Sie lassen sich ist die finanzielle Belastbarkeit vieler Mieterinnen aber - deshalb haben wir uns auf diesen Kompromiß und Mieter in den neuen Bundesländern begrenzt. eingelassen und tragen ihn mit - mit der besonderen Lage der Menschen in den neuen Bundesländern Vor diesem Hintergrund war es ein Gebot wirt- rechtfertigen. schaftlicher und sozialer Vernunft, die bisherige Preisbindung im Mietrecht Ost behutsam, d. h. im In Anbetracht dieser Übergangssituation ist es Einklang mit den genannten Einkommensentwick- wichtig, daß eine Einigung auch darüber erzielt lungen, aufzulösen, um gerade im Interesse der Mie- wurde, daß diese Kappungen nur für einen befriste- ter die notwendigen Investitionen im Wohnungsbe- ten Zeitraum gelten - vor allem die Kappung bei stand weiter zu ermöglichen, jedenfalls nicht noch Neuvertragsmieten läuft ja am 30. Juni 1997 aus -, mehr zu behindern. und unser Ziel nicht gefährdet wird, in einigen Jah- ren ein einheitliches Mietrecht in den alten und in Das zeigt: Unser Bestreben, die rechtlichen Rah- den neuen Bundesländern zu bekommen. Ich menbedingungen dafür zu schaffen, daß sich der glaube, wenn man dieses Ziel sieht - wir wollen nur Wohnungsmarkt in den neuen Ländern langsam in noch für möglichst kurze Übergangszeiten da, wo es einen wirklichen Markt mit sozialer Abfederung ent- gar nicht anders geht, ein unterschiedliches Recht in wickeln kann, in dem ordentliche, instandgesetzte den alten und den neuen Bundesländern haben -, Wohnungen zu angemessenen Preisen von den Woh- dann erkennt man, daß es richtig und gut war, daß nungsunternehmen angeboten werden, hat nicht das alle hier um einen Kompromiß gerungen haben. geringste mit einer einseitigen Politik zu Lasten- der Mieter zu tun. Im Gegenteil, es geht um die Umset- Ich darf mich bei allen bedanken, die sich daran zung dessen, was wirtschaftlich notwendig und sinn- wirklich sehr konstruktiv, mit Engagement und voller voll im Interesse aller Bürgerinnen und Bürger in den Überzeugung beteiligt haben. neuen Bundesländern ist - im Interesse der Mieter wie auch der Vermieter, im Interesse der Arbeitneh- Vielen Dank. mer wie auch der Arbeitgeber. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so Was bedeutet dies a lles im Hinblick auf die nun wie bei Abgeordneten der SPD) ausgehandelten Kompromißlinien im Mietenüberlei- tungsgesetz? Welche Signale gehen davon an die Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort hat Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundeslän- die Abgeordnete I ris Gleicke. dern? Erstens. Es ist festzustellen, daß die Mieter durch Iris Gleicke (SPD): Herr Präsident! Meine verehr- zahlreiche Kappungsvorschriften - das war ja gerade ten Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir eine einer der Punkte, um die wir gerungen haben - vor Vorbemerkung. Die Einführung des Vergleichsmie- starken Mietsprüngen geschützt werden. Wir verab- tensystems ist Gegenstand wohl eines der wichtig- schieden heute ein Gesetz, das keinesfalls zu einer sten Gesetze seit der Wiedervereinigung der beiden Mietenexplosion führen wird. Es ist unverantwort- deutschen Staaten. Ich habe Respekt vor allen Kolle- lich, dieses Bild jetzt an die Wand zu malen, weil da- ginnen und Kollegen, die aus wohlerwogenen Grün- durch natürlich ganz bewußt Ängste geschürt wer- den dem Kompromiß ihre Zustimmung versagen. den. Wir, die SPD-Fraktion, nehmen alle sachlich vorge- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) tragenen Einwände und Bedenken sehr ernst. Es werden ja teilweise sehr weitreichende Bedenken Vielmehr werden in allen Bereichen, nämlich bei geäußert, und in der Öffentlichkeit wird die Frage Mieterhöhungen im laufenden Mietverhältnis, bei diskutiert, ob der Kompromiß im Einklang mit den Modernisierungen und bei Wiedervermietungen, Bestimmungen des Einigungsvertrages steht. moderate Mieterhöhungen auf Grund des ausge- handelten Kompromisses erfolgen können. Ich möchte diese kritischen Kolleginnen und Kolle- gen sehr herzlich bitten, sachlich zu bleiben und Zweitens. Das im Gesetzgebungsverfahren noch- nicht um einer Schlagzeile wi llen Angst und Unsi- mals aufgestockte Sonderwohngeld federt diese mo- cherheit zu schüren. deraten Erhöhungen ab; bei Haushalten mit gerin- gem Einkommen wird ein Großteil der Mieterhöhung (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der vom Staat übernommen werden. F.D.P.) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 2955

Iris Gleicke Herr Kollege Warnick, die von Ihnen genannten ja als System gar nicht außer Kraft gesetzt. Ich bitte Volksinitiativen haben ganz berechtigt den Regie- Sie, auch das zu bedenken. rungsentwurf kritisiert. Aber nehmen Sie doch bitte Vergessen wir auch nicht, daß die Bundesregie- schön zur Kenntnis, daß der hier vorliegende und zur Abstimmung stehende Kompromiß erst am Montag rung ursprünglich von regionalen Unterschieden dieser Woche im Ausschuß für Raumordnung, Bau- überhaupt nichts wissen wollte. Wir haben immerhin wesen und Städtebau beschlossen worden ist. Sagen folgendes erreicht: In Städten und Gemeinden mit unter 20 000 Einwohnern, die nicht an eine Stadt mit Sie doch bitte dazu, daß darin die Verbesserungen über 100 000 Einwohnern grenzen, bleibt die Erhö- enthalten sind. Nehmen Sie das end lich zur Kennt- hung auf 15 % begrenzt, die zweite Stufe entfällt. nis! Diese kleineren Städte und Gemeinden beherbergen (Beifall bei der SPD und der F.D.P. sowie bei immerhin fast die Hälfte a ller ostdeutschen Haus- Abgeordneten der CDU/CSU) halte. Ich finde es sehr schade, daß die von mir sehr ge- Die Modernisierungsumlage wird auf maximal schätzte Kollegin Eichstädt-Bohlig behauptet, wir, 3 DM pro Quadratmeter begrenzt. Wir sind davon die SPD, hätten für einen Appel und ein Ei unseren überzeugt, daß mit diesen 3 DM eine Menge ge- Widerstand gegen die Mietenpläne der Bundesregie- macht werden kann. Und diese Begrenzung verhin- rung aufgegeben. dert, daß die Investitionen nur in einen kleinen Teil des Bestandes fließen und daß damit Wohnungen (Achim Großmann [SPD]: Richtig! - Dr.-Ing. entstehen, deren Miete unbezahlbar wird. Das wol- Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Sehr wahr! Un len wir nicht, und das kann eigentlich niemand wol- glaublich!) len. Ich finde es schlimm, daß die wohnungspolitische Es muß doch darum gehen, die Wohnqualität für Sprecherin der PDS in Sachsen von einem Kuh- möglichst viele Menschen zu verbessern. Dann, nur handel auf dem Rücken der Mieter spricht. Den dann werden sie erhöhte Mieten akzeptieren. Des- Vorwurf der Arroganz und Ignoranz weise ich ent- halb setzen wir auf eine breite Streuung der Investi- schieden zurück. Solche Behauptungen und Unter- tionen. stellungen sind überflüssig und helfen niemandem weiter, schon gar nicht den Mieterinnen und Mie- Alle Vorstöße aus den Reihen der Koalition, den tern in den neuen Bundesländern. Um sie und um Mietern mit der Schaffung von allerlei Ausnahmen ihre Interessen geht es doch hier, um nichts- ande- zusätzliche Belastungen aufzubürden, haben wir er- res. folgreich abgewehrt. Mehr als 3 DM darf der Vermie- ter nur dann umlegen, wenn die Mehrkosten der Mo- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne dernisierung auf gesetzliche Vorschriften zurückzu- ten der CDU/CSU und der F.D.P.) führen sind, z. B. dann, wenn bei der Fassadener- Wir haben diesen Kompromiß im Interesse der neuerung die Wärmeschutzverordnung eingehalten Menschen erstritten, und wir haben viel erreicht. Wir werden muß. Aber solche Investitionen, Frau Kolle- haben so viel erreicht, daß ich dem Kompromiß aus gin Eichstädt-Bohlig, führen für die Mieter wiederum innerer Überzeugung und aus ganz pragmatischen zu Einsparungen bei den Heizkosten. Das muß man Gründen zustimme. mit berücksichtigen. Auch wir sehen die Probleme und Schwachstellen, (Beifall bei der SPD, bei der CDU/CSU und die dieser Kompromiß aufweist. Wir hätten uns einen bei der F.D.P.) längeren Übergangszeitraum für die Einführung der Weiterhin besteht natürlich die Möglichkeit, mit Vergleichsmiete gewünscht. Wir wollten eine genau- den Mietern höhere Modernisierungsumlagen auf ere Differenzierung nach Ausstattung, Beschaffen- freiwilliger Basis zu vereinbaren. Solchen Vereinba- heit und regionalen Kriterien. Aber ich darf daran er- rungen werden allerdings nur Mieterinnen und Mie- innern, daß der erste Referentenentwurf vorsah, die ter zustimmen, die sich das leisten können. Und da- Mieter in Ostdeutschland bei einem Übergangszeit- gegen ist nichts einzuwenden. raum von nur zwei Jahren flächendeckend mit 20 % mehr zur Kasse zu bitten. Wir haben ein Zwei-Klassen-Mietrecht in Deutsch- land verhindert und die im Westen gültige Zustim- Auch dem Engagement der ostdeutschen Baumini- mungsfrist von zwei Monaten auch für Ostdeutsch- ster ist es zu danken, daß aus den zwei Jahren im- land durchgesetzt. Alles andere hätte bei den Men- merhin zweieinhalb geworden sind und daß die Er- schen Unverständnis und Verbitterung erzeugt; alles höhung gestaffelt erfolgt. Das bedeutet, daß jetzt andere hätte zu einem unerträglichen Zeitdruck und 15 % und erst ab dem 1. Januar 1997 in einer zweiten damit zu Unsicherheit und Angst geführt. Und die Stufe weitere 5 % verlangt werden dürfen. Und eine Menschen sind ohnehin verunsichert. Mieterhöhung ist dann grundsätzlich ausgeschlos- sen, wenn in bezug auf mindestens drei der fünf be- In einer so angespannten Situa tion muß alles ver- kannten Beschaffenheitsmerkmale erhebliche Schä- mieden werden, was auch nur den Anschein einer den vorhanden sind. Kollege Braun, wir sind davon Benachteiligung erwecken könnte. Im Westen haben überzeugt, daß von den Wohnungsunternehmen die Mieter aus guten Gründen zwei Monate Zeit, um diese 15 % am Markt dort nicht durchsetzbar sein sich bei einer Mieterhöhung sachkundig beraten zu werden, wo Leerstände und strukturschwache Ge- lassen und die Forderung des Vermieters sorgfältig biete sind; denn die ortsübliche Vergleichsmiete wird zu prüfen. Diese Frist wollte die Koalition für Ost- 2956 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Iris Gleicke deutschland einfach halbieren. Das haben wir nicht Die SPD hat im Interesse der Menschen in Ost- zugelassen. deutschland hart um den jetzt erzielten Kompromiß gerungen und dabei wesentliche Verbesserungen (Beifall bei der SPD) durchgesetzt. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Wir ha- ben es uns dabei auch innerparteilich nicht leicht ge- Daß durch unser Bestehen auf der zweimonatigen macht. Frist Mieterhöhungen frühestens zum 1. August wirksam werden können, ist ein angenehmer Neben- Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. effekt für die Mieterinnen und Mieter. (Beifall bei der SPD) Wir haben gegen harten Widerstand aus den Rei- hen der Koalition die Kappungsgrenze bei Wieder- vermietungen durchgesetzt. Die Gegner der Kap- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile dem pungsgrenze sind immer wieder auf §5 des Wi rt Abgeordneten Dr. Michael Luther das Wo rt. -schaftsstrafgesetzes herumgeritten und haben be- hauptet, damit überhöhte Mietforderungen aus- Dr. Michael Luther (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr schließen zu können. Dieser Paragraph hat sich je- Präsident! Meine Damen und Herren! Essen, Klei- doch zum einen in den Altländern längst als völlig dung und Wohnung - das sind die Grundbedürfnisse untaugliches Mittel herausgestellt; zum anderen be- des Menschen; er arbeitet im wesentlichen dafür. In zieht er sich bekanntlich auf die ortsübliche Ver- der Wohlstandsgesellschaft vergißt man das manch- gleichsmiete. Und diese Vergleichsmiete wollen wir mal, und es verkommt zur Selbstverständlichkeit. mit diesem Gesetz ja erst einführen. Man wird aber spätestens dann daran erinnert, wenn es in diesem Bereich eine Veränderung gibt. Mit dem Die Kappungsgrenze liegt zwar nicht bei 10 %, wie Mietenüberleitungsgesetz greifen wir - das ist ganz wir es wollten, sondern bei 15 %. Aber der Mieter- wichtig - in einen dieser Bereiche ein, in den Bereich bund hat festgestellt, es sei entscheidend, daß es des Wohnens. überhaupt eine Kappungsgrenze geben wird. Und der Mieterbund hat recht. Denn was wäre ohne Kap- Das Thema der Mieten ist wichtig für die Men- pungsgrenze geschehen? Jede Wiedervermietung schen gerade in den neuen Bundesländern. Wir müs- hätte einen sprunghaften Anstieg der Miete zur sen, so denke ich, damit sehr sensibel umgehen. Wer Folge gehabt. Das haben wir verhindert. dieses Thema nutzt, um Ängste zu schüren, der han- delt unverantwortlich. (Beifall bei der SPD) - (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so Wer ein Gesetz macht, das Mieterhöhungen er- wie bei Abgeordneten der SPD) möglicht, muß sich gleichzeitig um die soziale Abfe- derung der Folgen dieses Gesetzes kümmern. Wir Ich möchte nicht weiter auf diejenigen eingehen, die haben dafür gesorgt, daß das Sonderwohngeld nicht dies mit Vehemenz be treiben. Ich kann nur sagen: zum Jahresende ausläuft. Wir haben erreicht, daß die Mieter, Sie brauchen keine Angst zu haben. Dieses Kosten für Heizung und Warmwasser dabei weiter- Mietenüberleitungsgesetz ist sozial sehr ausgewo- hin angerechnet werden, und haben erhöhte Freibe- gen. träge ausgehandelt. Das ist ein Riesenfortschritt ge- genüber den ursprünglichen Plänen der Bundesre- Es ist wichtig, daß man, wenn man den Mietern gierung. vorrechnet, wie die Miete in Zukunft aussieht, seriös rechnet. Frau Eichstädt-Bohlig, wenn Sie wollen, (Beifall bei der SPD) führen wir ein Gespräch miteinander und rechnen das dann einmal gemeinsam durch. Es kommt dabei Natürlich hätten wir uns noch bessere Lösungen sicher etwas anderes, etwas Vernünftigeres heraus. vorstellen können. Deshalb halten wir an unserem Antrag zum Wohngeld fest. Auch unser Antrag zur Meine Damen und Herren, in bezug auf die neuen Verlängerung des Kündigungsschutzes über das Bundesländer dürfen wir nicht vergessen, daß die Jahr 1995 hinaus bleibt selbstverständlich auf der Ta- Miete zu DDR-Zeiten im Haushaltsbudget keine gesordnung. Rolle spielte. Für eine 60-Quadratmeter-Wohnung bei einem Preis von 90 Pfennig pro Quadratmeter Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und zahlte man letztendlich 54 Mark Miete. Das heißt: Kollegen, ich wiederhole meine Feststellung, daß es Wohnen war nichts we rt. Das hat sich geändert und sich bei diesem Gesetz um eines der wich tigsten Ge- mußte sich ändern. Nach der Ersten und Zweiten setze seit der Vereinigung der beiden deutschen Grundmietenverordnung konnte ein Be trag von ma- Staaten handelt. Die Bundesregierung hat durch die ximal 3,85 DM erhoben werden, wenn alles in Ord- Verschleppung des Problems unnötigen Zeitdruck nung war. Somit ergibt sich ein heutiger Durch- erzeugt und mit ihrem ursprünglich vorgelegten Ent- schnittswert der Miete in den neuen Bundesländern wurf nicht gerade das nötige Fingerspitzengefühl un- von 4,75 DM pro Quadratmeter. Wenn bereits moder- ter Beweis gestellt. nisiert wurde, ist der Mietbetrag natürlich höher.

(Beifall bei der SPD) Unser erstes Ziel war, mit diesem Überleitungsge- setz ein einheitliches Mietrecht in Deutschland zu Dadurch sind Unsicherheit und Angst entstanden. schaffen und damit auch in den neuen Bundeslän- Das konnte, das durfte so nicht weitergehen. dern das Vergleichsmietensystem einzuführen. Da Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 2957

Dr. Michael Luther ergibt sich allerdings das Problem, daß in den neuen die zweimonatige Überlegungsfrist ist ausreichend Bundesländern weitestgehend staatlich vorgeschrie- für die Information und die Entscheidung, ob man bene Mieten existieren und Vergleichsmieten damit zustimmen sollte oder nicht. Man kann insbesondere erst geschaffen werden müssen. dann nicht zustimmen, wenn z. B. drei Beschaffen- heitszuschläge von bisher fünf nicht erhoben wur- Zweitens. Wir müssen garantieren, daß die Woh- den. nungsbaugesellschaften und die Vermieter auch in Zukunft investieren können, und zwar vor dem Hin- Die Mietentwicklung infolge von Modernisie- tergrund der Altschuldentilgung ab dem 1. Ju li. rungsmaßnahmen muß gedämpft werden. Das steht Drittens. Wir müssen beachten - das ist ganz wich- im Gesetzentwurf. Die Kappung liegt bei 3 DM. Viele tig -, daß die Mietentwicklung der Einkommensent- haben darüber gesprochen. wicklung folgt. Das ist ein Auftrag des Einigungsver- Bauliche Veränderungen, die der Mieter nicht zu trages. vertreten hat, z. B. Wärmeschutzmaßnahmen, kön- Ich habe am 17. März 1995 hier im Deutschen Bun- nen jedoch die 3 DM-Kappung übersteigen. Nun destag meine Vorstellungen in Ergänzung zur Vor- darf man aber diese Steigerung nicht einfach zu der lage des Gesetzentwurfes von CDU/CSU und F.D.P. anderen Miete addieren. Wer Wärmeschutzmaßnah- formuliert. Ich habe überlegt, ob ich diese Rede men vornimmt, muß natürlich erkennen, daß die Be- heute nicht noch einmal halten soll, triebskosten für Heizung dann sinken. Die Erfahrun- gen zeigen, daß sich das etwa die Waage halten (Walter Schöler [SPD]: Das wäre gar nicht wird. aufgefallen!) Die Zweite Grundmietenverordnung kann inso- weil hier überall davon gesprochen wird, wer wel- weit, insbesondere im Altbau, wo die Beschaffenheit chen Erfolg erzielt hat. Im wesentlichen sind dort die bislang schlecht war, nachgeholt werden. Ich Gedanken niedergelegt, die letztendlich heute im möchte aber auf ein Problem hinweisen. Nehmen Gesetz stehen. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich bin wir ein Beispiel: Altbauwohnung, drei Beschaffen- vor allem auch dem Minister Töpfer sehr dankbar, heitsmängel, Außen-WC, kein Bad. Es handelt sich denn es zeigt, daß hier eine gute Vorarbeit geleistet um 9 % aller Wohnungen in den neuen Bundeslän- wurde, nicht nur von ihm, sondern auch von Frau dern. Dort beträgt die Miete heute 2,40 DM pro Leutheusser-Schnarrenberger und in Zusammenar- Quadratmeter. Eine Grundinstandsetzung ist not- beit mit den Länderbauministern. Von dieser Stelle wendig. Wenn ich die Möglichkeiten der Mieterhö- aus recht herzlichen Dank! hung ausreize, also 3 DM pro Quadratmeter für Mo- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) dernisierung, Wärmeschutzmaßnahmen und Be- schaffenheit nachhole - dreimal 0,30 DM gleich Wie sieht die Lösung aus? Im laufenden Mietver- 90 Pfennig -, dann frage ich mich, ob m an mit dieser hältnis kann die Miete angehoben werden. Wenn neuen Miete die Sanierung ausreichend finanzieren das Gesetz, wie verabredet, noch im Juni in Kraft tre- kann. Man kann nicht! Das muß man deutlich sa- ten kann, werden am 1. August 15 % Mieterhöhung gen. Das geht nur unter zwei Bedingungen. Die auf die Grundmiete ohne bereits erhobene Moderni- eine wäre, daß Mieter und Vermieter sich im Vertrag sierungszuschläge fällig. Das sind im Durchschnitt darüber verständigen, daß diese Modernisierung 71 Pfennig. Fehlen in der Wohnung Zentralheizung durchgeführt werden kann und dann eine höhere oder Bad, dann dürfen nur 10 % erhoben werden. Miete genommen werden kann. Hätte man z. B. Für Einfamilienhäuser und Wende-Wohnungen mit 10 DM Umlage, dann bedeutete das bei 60 qm entsprechender Ausstattung können 5 % mehr erho- 600 DM. Das ist ein sehr hoher Sprung, der von vie- ben werden. In einer zweiten Stufe, ab 1. Januar len Mietern, die über ein entsprechendes Einkom- 1997, können weitere 5 % in Orten mit mehr als men verfügen, geleistet werden kann. Aber, wie ge- 20 000 Einwohnern oder in Randgemeinden von sagt, es muß freiwillig geschehen. Großstädten erhoben werden. Ich halte diese Kom- promißlösung für sehr gut. Damit erreichen wir eine Wir müssen allerdings akzeptieren: In diesen Woh- gewisse Regionalisierung. In der Summe bedeutet nungen wohnen gerade ältere Menschen, Menschen das für mein Beispiel einer 60-qm-Wohnung 42 DM mit niedrigen Einkommen, die sich das nicht leisten Mieterhöhung im ersten Schritt und 14 DM im zwei- können. Deshalb macht die 3 DM-Kappungsgrenze ten Schritt. Ich denke, das ist sozial verträglich. an dieser Stelle Sinn. Ich halte deshalb den sächsi- schen Vorschlag, der im Gesetz steht, für eine gute Meine Damen und Herren, wir wollten nahe an Lösung, daß an dieser Stelle eine einkommensorien- das Miethöhegesetz herankommen. Deswegen ist tierte Förderung greifen kann, so daß dennoch Mo- auch schon im Gesetzentwurf der Koalitionsfraktio- dernisierungen und Instandsetzungen möglich sind. nen und der Bundesregierung die Zustimmung des Mieters zu den Mieterhöhungen vorgesehen, und (Beifall bei der CDU/CSU) zwar jetzt auch mit einer Zweimonatsfrist. Es gibt eine Ausnahme, die wichtig zu beachten ist, denn Betriebskosten können natürlich nach wie vor auf die Mieter müssen letztendlich zustimmen. Das dür- die Mieter umgelegt werden. In diesem Zusammen- fen wir nicht vergessen. Sie stimmen auch dann zu, hang weise ich auf einen redaktionellen Fehler in wenn sie zweimal die Miete bezahlt haben oder § 14 Abs. 1 in der Beschlußvorlage des Ausschusses wenn sie zweimal akzeptieren, daß der neue Mietbe- hin. Dort steht: „kann auf die Miete umgelegt wer- trag im Einzugsverfahren erhoben wurde. Ich denke, den". Das ist zu korrigieren in „Mieter". 2958 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Dr. Michael Luther Neuvertragsmieten sind generell nicht mehr miet- Eine letzte wichtige Botschaft: Investitionen im preisgebunden. Damit können Vergleichsmieten Wohnungsbau werden auch mit und gerade mit dem entstehen. Aber - das war unsere Forderung im Mietenüberleitungsgesetz möglich sein, und zwar im Haus, gerade die der Abgeordneten der CDU aus erforderlichen Umfang. den neuen Ländern - wir müssen die Situation ak- zeptieren und Wohnungstausch erleichtern. Die Recht herzlichen D ank. 15 %, die wir jetzt im Mietenüberleitungsgesetz ha- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ben, werden das hoffentlich leisten.

Als besonderen Erfolg werten wir für uns als Abge- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Abgeord- ordnete aus den neuen Ländern die Einführung, die neter Luther, ich nehme an, daß Sie die redaktionelle Verlängerung und die Verbesserung des Wohngeld- Änderung in der Beschlußempfehlung des Ausschus- sondergesetzes. Sie erinnern sich sicherlich an die ses für den Ausschuß vorgetragen haben. Wenn das Debatte zur ersten Lesung hier im Deutschen Bun- so ist, können wir im Protokoll festhalten, daß wir destag, bei der gerade von den Abgeordneten aus nachher über die Beschlußempfehlung in dieser re- den alten Bundesländern - auch von Ihnen, Herr daktionell abgeänderten Form abstimmen. Großmann von der SPD - als strittig angesehen wurde, ob man dieses Gesetz einführen sollte. Aber (Dr. Michael Luther [CDU/CSU]: Ja!) wir müssen ganz deutlich sagen: Wenn wir den Mie- tern in den neuen Bundesländern jetzt über das Maß Es spricht nun als Mitglied des Bundesrates der ein Anpassen der Miete und damit den Übergang in Minister für Wohnungswesen, Städtebau und Ver- das Vergleichsmietensystem anempfehlen, dann soll- kehr des Landes Sachsen-Anhalt, Dr. Jürgen Heyer. ten wir das auch entsprechend begleiten. Das soll das Wohngeldsondergesetz inhaltlich, aber auch mo- Minister Dr. Jürgen Heyer (Sachsen-Anhalt): Herr ralisch tun, unabhängig davon - auch das sage ich Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche ganz deutlich an dieser Stelle -, daß wir uns natürlich Bundestag berät heute in zweiter und dritter Lesung insgesamt um das deutsche Wohngeld kümmern einen Gesetzentwurf, der für die Bürgerinnen und müssen. Bürger in den neuen Ländern von zentraler Bedeu- Wie geht es weiter? Auch in Zukunft brauchen die tung ist. Die Mieterinnen und Mieter, mit denen wir Mieter keine Angst zu haben vor dem, was auf sie häufig sprechen, sind durch die Diskussion über die zukommt. Mieten verunsichert, häufig verängstigt worden. Die - Frage, die uns fast immer gestellt wird, lautet: Was (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Sehr tut ihr dafür, daß ich meine Miete in Zukunft noch wahr!) bezahlen kann? Die Kommunen sollten beginnen, Mietspiegel zu er- Es geht aber andererseits auch darum - ich finde stellen. Vergleichsmietenfähige Mieten werden in diesen Zusammenhang sehr wichtig -, daß die drin- den nächsten vier Jahren entstehen. Bis dahin wer- gend erforderliche Sanierung der Wohnungen in un- den ersatzweise alle Bestandsmieten in den Miet- seren Ländern fortgesetzt wird. spiegel aufgenommen, so daß dann das, was Sie, Frau Eichstädt-Bohlig, mit Ihrem Gesetzentwurf (Dr. Uwe Küster [SPD]: Sehr richtig!) wollen und was das Städtemodell wi ll - ich komme Es geht weiter um die Stabilisierung der Auftragsbe- aus Zwickau, und ich habe mich sehr intensiv mit stände des Baugewerbes - darüber ist hier gespro- diesem Modell beschäftigt -, erreicht wird, nämlich chen worden -, und es geht letztlich auch darum, das ein Mietspiegel, den Sie letztendlich mit Ihrem Ge- Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den setzentwurf vorwegnehmen wollen, welcher aber Rechtsstaat zu stärken. - das sage ich ganz deutlich - so kompliziert ist, daß er den Mietern keine Rechtssicherheit geben würde. (Beifall bei der SPD) Ich plädiere deshalb für unseren Weg und glaube, Ich hatte hier schon am 17. März die katastropha- daß das, was an Gedanken von den Städten der len Ergebnisse einer Umfrage des Allensbacher Insti- neuen Bundesländer in Ihrem Entwurf niedergelegt tuts aus der „FAZ „ vom 8. März 1995 zitiert. Danach ist, auch für mich sehr hilfreich für die Diskussion ge- fühlen sich 72 % der Bürger im Osten durch unser wesen ist. Recht nicht gut geschützt. Richard Schröder hat dazu geschrieben: „Dagegen helfen nur bessere Erfahrun- Als Resümee kann ich sagen: Das Mietenüberlei- gen." Es wird uns nun, buchstäblich in letzter Mi- tungsgesetz ist sozialverträglich und ein guter Kom- nute, gelingen, den Übergang in das allgemeine promiß. Es ist der Start in die Vergleichsmiete, der Miethöherecht sozialverträglich umzusetzen. Damit - sehr moderat erfolgt. Die Mieter brauchen keine das ist meine feste Überzeugung - werden wir diese Angst zu haben. Sie sollten sich jedoch aufklären las- „ besseren Erfahrungen" möglich machen. sen. Ich fordere den Bundesbauminister auf, zusam- men mit den Länderbauministern die entsprechende (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hilde Rechtsaufklärung in den neuen Bundesländern brecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]) durchzuführen. Ich hatte gehofft, daß es uns gelingen würde, das (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Gesetz aus dem parteipolitischen S treit herauszuhal- ordneten der F.D.P. und der SPD) ten. Das ist nicht gelungen. Von der Verantwortung Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 2959

Minister Dr. Jürgen Heyer (Sachsen-Anhalt) dafür kann ich die Bundesregierung nicht freispre- dem Blick auf die Position und die Schwierigkeiten chen. des anderen miteinander verhandelt. Dafür möchte ich Ihnen, Herr Kollege Töpfer, und auch meinen an- (Zuruf von der CDU/CSU: Was soll denn deren Kollegen aus den ostdeutschen Ländern herz- der Quatsch?) lich danken. Ich habe aus diesen Verhandlungen viel Der Bundesregierung war seit langem bekannt, daß gelernt. die Wohnungswirtschaft in den neuen Ländern ab Die alten Länder - ich denke hier vor allem an die 1. Juli 1995 ihre verbliebenen Altschulden selbst tra- Kollegin Brusis aus Düsseldorf - haben uns bei der gen muß. Es war auch klar, daß die Wohnungsunter- Mietenüberleitung solidarisch unterstützt. Ich hoffe, nehmen allein diese Belastung nicht tragen können. daß sie dies auch am 2. Juni im Bundesrat tun wer- Es wäre deshalb dringend geboten gewesen, schon den, vor allem dann, wenn es Ihnen, Herr Töpfer, ge- vor der Bundestagswahl mit den Ländern über die lingt, den Grad der Verbindlichkeit Ihrer Zusage, daß Überleitung der Mieten zu sprechen. Das ist nicht ge- die Verbesserung des Wohngeldes West noch im schehen. Jahr 1996 spürbar wird, zu erhöhen. Nein, Herr Töpfer, noch viel schlimmer: Ihre Vor- (Beifall bei der SPD) gängerin ist ja durch die Lande gereist und hat den Mietern versprochen, daß es im Jahre 1995 keine Und nicht zuletzt, lieber Achim Großmann, ist es Mieterhöhungen geben werde. die Bundestagsfraktion der SPD gewesen, die end- lich diesem Gesetzentwurf wirklich zum Durchbruch (Zuruf von der SPD: Unerhört! - Achim verholfen hat. Dafür herzlichen Dank auch von die- Großmann [SPD]: Ihr Name ist Programm!) ser Stelle. Darin sind ihr dann auch Regierungen in den neuen (Beifall bei der SPD) Ländern gefolgt. Man kann mit falschen Verspre- chungen keine Wahlen gewinnen. Das hat sich jetzt Dieses Verfahren, mit seinem selbstproduzierten in Nordrhein-Westfalen und Bremen gezeigt. Meine Zeitdruck empfiehlt sich nicht zur Wiederholung. Ich Damen und Herren von der F.D.P., mit diesen leicht- sage dies sehr deutlich mit Blick auf die uns verspro- fertigen Aussagen haben Sie aber auch das Ver- chene Wohngeldnovelle. Hier sollten wir deshalb trauen der Bürger in eine verläßliche, am sozialen möglichst bald und rechtzeitig an die Arbeit gehen. Wohl der Menschen orientierte Politik geschwächt. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Wenn ich sage, meine Damen und Herren, wir sind erfolgreich gewesen, so meine ich: Wir haben eine Und wenn nicht meine Kollegen Nagel aus Berlin von den Beteiligten selbst im wesentlichen akzep- und Meyer aus Brandenburg gemeinsam mit Sach- tierte Lösung gefunden: Ausschluß von Mieterhö- sen-Anhalt Vorschläge unterbreitet hätten, die die- hungen für Substandardwohnungen, Kappungs- sen Gesetzentwurf maßgeblich beeinflußt haben, so grenze bei der Mietentwicklung im Bestand, regio- säßen wir meiner Meinung nach heute nicht hier. nale Differenzierung im zweiten Schritt, Kappungs- (Iris Gleicke [SPD]: Das ist wohl wahr!) grenze bei den Neuvertragsmieten und Begrenzung der Modernisierungsumlage stellen eine sozial ver- Wir hatten uns dann, Herr Kollege Töpfer, nach trägliche Entwicklung der ortsüblichen Vergleichs- zahlreichen Verhandlungen über die Eckwerte einer mieten sicher. Und wer sagt, diese Kappungsgrenzen gesetzlichen Regelung verständigt. Wenn Sie diese seien zu niedrig, dem schicke ich gern die Ergeb- Vereinbarungen hätten umsetzen können, hätten wir nisse unserer Infas-Umfrage zur Wohn- und Einkom- nicht nur viel Zeit und Mühe sparen können; wir hät- menssituation in Sachsen-Anhalt zu. Die Belastungs- ten auch die Hoffnungen der Mieter und der Vermie- grenze der Mieter ist danach eindeutig erreicht. ter nicht enttäuscht, die eine schnelle Einigung er- wartet haben. Wir fahren in Sachsen-Anhalt mit ei- Die dringend erforderliche Sanierung des Miet- nem Infomobil durch die Lande, mit dem die Bürge- wohnungsbestandes kann aber maßvoll fortgesetzt rinnen und Bürger über das soziale Mietrecht infor- werden. Einbrüche in der Auftragslage des lokalen miert werden. und regionalen Baugewerbes werden ausbleiben. Es wird deshalb auch nach meiner festen Überzeugung (Dr. Uwe Küster [SPD]: Eine sehr gute Idee! nicht zu einem Abbau von Arbeitsplätzen und Aus- Das muß man einmal loben!) bildungsstellen kommen, wie dies der F.D.P.-Abge- Die Leute waren enttäuscht, daß es uns nicht schnel- ordnete Guttmacher und heute auch wieder Herr ler gelungen ist, zu einer Einigung zu kommen. Es ist Braun leichtfertig behauptet haben. doch so: Nachdem sich die F.D.P. in unsere Verhand- Meine Damen und Herren, die Konjunkturlage lungen eingeschaltet hat, wurde es eigentlich erst unserer Bauwirtschaft ist stabil. Schwächen Sie die richtig schwierig. Bauwirtschaft nicht! Sie wird eher durch solche un- verantwortlichen Prognosen als durch dieses Gesetz (Dr. Uwe Küster [SPD]: Wie immer! Aber geschwächt. nicht mehr lange!) (Beifall bei der SPD) Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf war dann auch - das muß man einmal deutlich sa- Mieterhöhungen werden, meine Damen und Her- gen - mit erheblichen Mängeln behaftet. Ich sage ren, wenn sich die Wohnungswirtschaft anstrengt - aber trotzdem: Wir haben immer fair und offen, mit und ich bin sicher, daß sie das schaffen wird -, zum 2960 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Minister Dr. Jürgen Heyer (Sachsen-Anhalt) 1. August möglich. Der Mieter hat gleichwohl eine Gerade weil es ein so bedeutsames und wichtiges Überlegungsfrist von zwei Monaten. Wir sind durch Gesetz ist, war es von allem Anfang an mein Ziel, den Zeitdruck dazu gezwungen worden, einer sol- eine möglichst breite, parteienübergreifende Lösung chen Regelung zuzustimmen. Ich sage es aber noch zu finden. Ich möchte an dieser Stelle all denen, die einmal: Wir haben einen Kompromiß gefunden, und daran mitgewirkt haben, sehr herzlich danken. Wenn dies ist ein Kompromiß, dem sowohl der Deutsche man Kompromisse abschließt, ist hinterher bei der Mieterbund zugestimmt hat als auch die Wohnungs- Darstellung die Verlockung sehr groß, zu sagen: Ei- wirtschaft. Der Präsident des Deutschen Mieterbun- gentlich sind wir diejenigen, die es gemacht haben. - des, , hat mich kürzlich in Magdeburg Ich möchte dieser Neigung nicht nachgehen. Denn besucht und hat unmittelbar nach der Sitzung des ein Kompromiß ist um so besser, je mehr sich jeder Bauausschusses, in dem der Kompromiß gefunden darin wiederfindet und damit eine Basis geschaffen worden ist, dieser Regelung zugestimmt. ist, die eine oder andere Frage in der Zukunft in ähn- licher Weise zu bewäl tigen. Für alle, meine Damen und Herren, die diesem Kompromiß nicht zustimmen wollen, heißt dies: Sie (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gehen an den Wünschen und Bedürfnissen der Mie- ter und der Wohnungswirtschaft vorbei. Deswegen möchte ich jetzt nicht zuordnen, wer was dazu eingebracht hat, sondern wi ll nur sagen: Wir (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne haben einen Kompromiß geschlossen, der notwendig ten der CDU/CSU und der F.D.P.) war, weil wichtige Ziele zu erreichen waren, die Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir ha- nicht alle zu 100 % zu erreichen sind. Wir haben ben mit diesem Gesetzentwurf sicher nicht alle Pro- nicht Kuhhandel betrieben, wir haben nicht gemau- schelt, sondern sachliche Lösungen gesucht. bleme gelöst. Es wird nun bald darum gehen, Miet- spiegel zu entwickeln. Wir werden auch über eine Welches sind die Ziele, die zu erreichen sind? Wir Verbesserung der Förderung, vor allem im Althaus haben auf der einen Seite die hohe Bedeutung der bestand, nachdenken müssen. Auch die steuerliche Wohnung und damit auch der Miete für unsere Flankierung darf nicht ausbleiben, und ich halte Bürgerinnen und Bürger gerade in den neuen, aber auch eine Verbesserung des besonderen Kündi- auch in den alten Bundesländern zu sehen. Dies ver- gungsschutzes gegen Eigenbedarf für erforderlich. langt sozialverträgliche Regelungen. Wir haben auf Dringend geboten ist eine zuverlässige Aufklärung der anderen Seite den Wunsch und das Erfordernis, der Mieterinnen und Mieter. Ihrem Angebot, Herr die Bausubstanz zu erhalten, zu modernisieren und Kollege Töpfer, dies im Wege einer gemeinsamen- In- zu sanieren, damit sie auch auf Dauer den Erwartun- itiative zu tun, verschließe ich mich nicht, sondern gen an eine wirklich gute Wohnqualität gerecht danke Ihnen dafür. wird. Wir haben weiter dafür zu sorgen, daß die in Meine Damen und Herren, ich werde mich im Ka- den neuen Bundesländern so wich tige Bauwirtschaft binett in Magdeburg dafür einsetzen, daß die Lan- darin nicht nega tive Signale sieht. Es ist immer wie- desregierung Sachsen-Anhalt dem Gesetzentwurf im der darauf hinzuweisen: Zwei Drittel aller Investitio- Bundesrat zustimmen wird. nen in den neuen Bundesländern kommen aus der Bauwirtschaft. Wer damit leichtfertig umgeht, der (Zustimmung bei der SPD) stellt Arbeitsplätze und damit den wirtschaftlichen Aufschwung in Frage. Ich bitte auch diejenigen, die jetzt noch Zweifel an der Richtigkeit des eingeschlagenen Weges haben, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) heute mit Ja zu stimmen. Das sind unsere drei Ziele. Diese so miteinander in Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Einklang zu bringen, daß nicht ein fauler Kompromiß entsteht, sondern man das Ergebnis gegenüber den (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne jeweils Betroffenen gut vertreten kann, das ist die ten der CDU/CSU und der F.D.P.) zentrale Frage gewesen. Zur sozialen Seite: Wir wissen, daß gerade in den Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort hat der Herr Bundesminister Dr. Klaus Töpfer. neuen Bundesländern noch sehr viele ältere Men- schen über viele Jahre in ihrer angestammten Woh- nung wohnen möchten und besorgt verfolgen, ob sie Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister für Raumord- das noch weiter tun können. Es muß also eine soziale nung, Bauwesen und Städtebau: Herr Präsident! Absicherung durch ein Wohngeld geben, das wirk- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu Recht lich verläßlich soziale Anforderungen erfüllt. Ich bin ist mehrmals unterstrichen worden, wie bedeutsam der Meinung, daß wir mit dem Wohngeldsonderge- dieses Gesetz, das wir heute in zweiter und dritter setz - es ist mit den Regelungen über die Miethöhe Lesung beraten, für viele Menschen ist. Wir können untrennbar verbunden -, dessen Änderung wir in ei- davon ausgehen, daß zwischen 4 und 5 Millionen nem Artikelgesetz beschließen, den genannten An- Haushalte in den neuen Bundesländern davon un- forderungen gerecht werden. Wir sollten mit der Dis- mittelbar betroffen werden. Wir wissen, daß viele kussion, wer in Ost und West jetzt besser oder Entscheidungen in der Bauwirtschaft davon mit ab- schlechter gestellt ist, sehr vorsichtig umgehen. Das hängig sind. Alles dies sind Hinweise darauf, daß wir Sonderwohngeld ist ein wichtiger Beitrag zur Ver- diese Gesetzesmaterie mit großem Ernst und großer wirklichung der deutschen Einheit. Deswegen soll- Sachlichkeit zu entwickeln und zu beraten haben. ten Ost und West davon überzeugt sein, daß ein sol- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 2961 Bundesminister Dr. Klaus Töpfer ches Sonderwohngeld richtig ist, um die Einheit in Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch er- Deutschland zu ermöglichen. gänzen: Wenn es uns gelingt, die Wohnungswirt- schaft in den neuen Ländern dazu zu bringen, daß sie (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nur 10 000 Wohnungen zusätzlich privatisiert, dann bedeutet das für diese Unternehmen einen Liquidi- In diesem Zusammenhang ist auch wich tig - Herr tätszufluß in Höhe von über 1 Milliarde DM. Ich bin Kollege Heyer, Herr Großmann und andere haben der Meinung: Privatisieren wir doch, wo immer mög- darauf aufmerksam gemacht -, daß der vorliegende lich, vorhandene Wohnungen, und investieren wir Kompromiß die Verpflichtung enthält, ein neues das Geld in neue Wohnungen und in Modernisierung. Wohngeldgesetz vorzulegen, das im Jahr 1996 wirk- Das gibt einen zusätzlichen Liquiditätsschub für die sam wird. Davon sind wir gar nicht weit entfernt. Wir Wohnungswirtschaft und für die Bauwirtschaft. gehen auf die Haushaltsberatungen zu. Wir werden uns unmittelbar an die Arbeit begeben, um wieder (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) eine Regelung zu finden, die alle Seiten mittragen können. Das Wohngeld wird von Bund und Ländern Modernisieren können und müssen wir weiterhin; zu jeweils 50 % bezahlt. Deswegen brauchen wir bei aber wir müssen auch ein Stück Intelligenz in die Art einer Neuregelung des Wohngeldes die Mitwirkung der Modernisierung hineinbringen, damit nicht a lles auch der Landesfinanzminister. Gerade die Härtefall- auf einmal abgefordert wird und wir den Vorwurf ge- regelung beim Wohngeld sollten wir mit großem macht bekommen, daß die Mieter wegen der Luxus- Nachdruck voranbringen. modernisierung ihren Anspruch auf die alte Woh- nung nicht mehr aufrechterhalten könnten. Auch das (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU ist ein Stück dieses Kompromisses. und der SPD) Hier geht es auch um eine Aufgabe der Bauwirt- Dies ist meine Position. Ich meine, es wäre unehrlich, schaft; auch das sage ich sehr deutlich. Ich kann dem im Vorgriff auf Haushaltsverhandlungen schon jetzt Kollegen Heyer nur recht geben: Wir sollten klarma- eindeutige Regelungen vorzusehen. chen, daß eine Kappung auch ihre Vorteile hat. Sie hat den besonderen Vorteil, daß man mit kleineren Zweiter Punkt: Wir brauchen die Modernisierung. Losen an solche Sanierungen herangeht. Es stellt ein Natürlich sind über viele Jahre hinweg Defizite in gutes Stück Förderung für den Mittelstand in den der Wohnungssubstanz entstanden. Meine Damen neuen Bundesländern dar, wenn man bei der Moder- und Herren, wer mit offenen Augen durch die Städte nisierung mit kleineren Losen voranschreitet. und Dörfer in den neuen Bundesländern geht oder fährt, sieht doch, welch ein Investitionsdefizit dort (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD) aufgelaufen ist. Ich danke vielen meiner Kollegen in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, daß wir uns diese Ich glaube, daß der Arbeitsmarkteffekt keineswegs Defizite gemeinsam angesehen haben. übersehen werden darf. Jetzt geht es um die Frage, wie schnell man das Gehen wir also optimistisch nicht der Pflicht we- aufarbeiten kann. Deswegen bin ich nachhaltig der gen, sondern der sachlichen Argumente wegen hier Meinung, daß man denen, die schneller modernisie- ein Stück weiter voran: mit einer sozialen Absiche- ren wollen, nicht vorwerfen sollte, sie hätten keinen rung über ein Sonderwohngeld, das berechtigter- Sinn für die Mieter. Ich möchte auch mit Blick auf weise und sinnvollerweise bis Ende 1996 verlängert den Kollegen Braun deutlich sagen, daß ich seine Ar- worden ist; durch die gleichen Rechte der zweimona- gumentation verstehe, man könne manche Bausub- tigen Zustimmung, wie wir sie auch im Westen unse- stanz nicht mit 3 DM monatlicher Umlage sanieren. res Vaterlandes haben; durch die Möglichkeit einer Das ist wahr. Kappung, die sich aber für Investitionen nicht blok- kierend auswirken wird, sondern die diese Investitio- Unsere gemeinsame Meinung ist allerdings, meine nen ein bißchen streckt, um sie dann auch solchen Damen und Herren: Wir müssen uns zur Abarbei- Unternehmen zugute kommen zu lassen, die sie in tung dieser gewaltigen Altlast der ehemaligen DDR besonderer Weise brauchen. etwas mehr Zeit als nur zweieinhalb Jahre nehmen. Es geht um einen Kompromiß, für den der Baumi- (Beifall bei der CDU/CSU) nister zu danken hat und von dem er weiß, es ist nicht Kungelei, kein Gemauschel, kein Kuhhandel, Deswegen brauchen wir diesen Übergangsschritt, sondern ein intensives Ringen um eine gute Sachlö- und zwar nicht, weil ich in der Sache nicht Ihrer Mei- sung. Ein kluger Philosoph aus München hat einmal nung wäre, sondern weil ich die Entwicklung mit der gesagt: „ Wenn wir uns zu schnell auf das Falsche ei- wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Mieter und nigen, so bleibt es doch das Falsche." Dies ist hier auch des Staates in Einklang bringen muß. nicht erfolgt. Hier haben wir uns auf etwas geeinigt, was eine gute Basis dafür ist, Ängste und Sorgen ab- Natürlich unternimmt auch der Staat viele An- zubauen und denen endgültig das Handwerk zu le- strengungen, um diese Hypotheken abzuarbeiten. Es gen, die mit Ängsten und Emo tionen ihre politischen gibt das große Programm der Kreditanstalt für Wie- Ziele verfolgen wollen. Das ist unser gemeinsames deraufbau, aus dem wir immerhin mit Haushaltsmit- Ziel, meine Damen und Herren. teln in Höhe von 13 Milliarden DM Investitionen von über 60 Milliarden DM fördern, damit modernisiert (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. werden kann. sowie bei Abgeordneten der SPD) 2962 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 Bundesminister Dr. Klaus Töpfer Wenn sich der Bauminister dafür bedankt, dann Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE dankt er - vielleicht geht das noch in den einen oder GRÜNEN): Ich möchte kurz eine Erklärung zu den anderen PDS-Kopf hinein - nicht in der Weise, daß er Änderungsanträgen der PDS abgeben. Wir werden feiert, sondern so, daß man sich nach einer zwischen- uns bei diesen Anträgen durchweg enthalten; denn menschlich-freundschaftlichen Verhandlung zusam- wir können so kurzfristig nicht beurteilen, ob sie gut, mensetzt und sich fragt, was man daraus für die Zu- falsch, richtig usw. sind. kunft noch lernen könnte. Deswegen habe ich ge- glaubt, daß ein Dankeschön hinterher gar nicht so Ich muß dazu deutlich sagen: Kollegen von der verkehrt wäre. PDS, wir halten Ihr Vorgehen für falsch, denn Sie hatten in drei Ausschüssen Gelegenheit, Anträge (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU zum Gesetz zu stellen. und der F.D.P.) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wenn wir dazu kämen, uns auch bei unterschiedli- riöses Verhalten. cher Meinung in diesem Hohen Hause zusammenzu- Von daher finde ich das ein unse setzen und uns zu fragen, was wir daraus gelernt ha- Da wir nicht wissen, ob die Anträge Gutes oder ben, wäre für die Entemotionalisierung in unserem Schlechtes enthalten, und wir uns daher kein Urteil Lande viel Gutes getan. bilden können, enthalten wir uns. Ich möchte jedoch deutlich Kritik an diesem Vorgehen üben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der F.D.P.) Ich danke all denen, die hieran mitgewirkt haben, sehr herzlich. Lassen Sie mich diesen Dank auf die Bauminister der neuen Bundesländer, auf die CDU/ Vizepräsidentin Dr. : Frau Kollegin, CSU, die F.D.P. und die SPD und nicht zuletzt auch nach § 31 dürfen Sie nur zu Ihrem persönlichen Ab- auf die vielen qualifizierten Mitarbeiter des Justiz- stimmungsverhalten sprechen. und des Bauministeriums ausdehnen. (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Sehr Ich danke Ihnen sehr herzlich. wahr! - Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sprach im Plura (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so lis majestatis von sich!) wie bei Abgeordneten der SPD) - Wer stimmt für den Änderungsantrag der PDS auf Drucksache 13/1416? - Gegenprobe! - Enthaltun- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich schließe da- gen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen mit die Aussprache. der PDS bei Enthaltung der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN mit den Stimmen des übrigen Hauses Wir kommen zu den Abstimmungen. Ich weise abgelehnt. darauf hin, daß wir hintereinander zwei namentliche Abstimmungen und eine Wahl mit Stimmkarte und Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa- Wahlausweis sowie zahlreiche einfache Abstimmun- che 13/1417? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der gen durchführen werden. Änderungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/ CSU, F.D.P., SPD bei Enthaltung der Fraktion BÜND- Außer den Stimmkarten für die namentlichen Ab- NIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der PDS stimmungen benötigen Sie Ihren Wahlausweis und abgelehnt. eine Stimmkarte für die Wahl des Leiters der Delega- tion zur Nordatlantischen Versammlung. Den Wahl- Wer stimmt für den Änderungsantrag der PDS auf ausweis können Sie - soweit noch nicht geschehen - Drucksache 13/1418? - Gegenprobe! - Enthaltun- Ihrem Schließfach entnehmen. Die Stimmkarten wur- gen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen den verteilt. Soweit Sie noch keine haben, können von CDU/CSU, F.D.P. und SPD bei Enthaltung der Sie diese bei den Plenarsekretären erhalten. Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abgelehnt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie können sehr Wir kommen zum Änderungsantrag auf Druck- zu einem zügigen Ablauf der Abstimmungen beitra- sache 13/1419. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - gen, wenn Sie nach der Stimmabgabe Ihre Plätze Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den wieder einnehmen. Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD bei Enthal- tung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abge- Wir kommen zur Abstimmung über die inhaltsglei- lehnt. chen Entwürfe eines Mietenüberleitungsgesetzes der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. sowie der Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa- Bundesregierung auf den Drucksachen 13/783, 13/ che 13/1420? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der 1041, 13/1187 und 13/1386 Nr. 1. Dazu liegen acht Änderungsantrag ist mit denselben Mehrheitsver- Änderungsanträge der Gruppe der PDS vor, über die hältnissen abgelehnt. wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa- Zuvor hat jedoch die Kollegin Franziska Eichstädt che 13/1421? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Bohlig nach § 31 unserer Geschäftsordnung zu einer Änderungsantrag ist mit denselben Mehrheitsver- Erklärung zur Abstimmung das Wort. hältnissen abgelehnt. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 2963

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa- GRÜNEN zur Verknüpfung einer Mietrechtsände- che 13/1422? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der rung Ost mit einer gleichzeitigen Wohngeldanhe- Änderungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/ bung. Das sind die Drucksachen 13/546 und 13/1386 CSU und F.D.P. bei Enthaltung der Fraktion BÜND- Nr. 3. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag abzuleh- NIS 90/DIE GRÜNEN und von Teilen der Fraktion nen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - der SPD gegen die Stimmen der PDS abgelehnt. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußemp- Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa- fehlung ist gegen die Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE che 13/1423? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der GRÜNEN und der PDS mit der Mehrheit des Hauses Änderungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/ angenommen worden. CSU, F.D.P. und SPD bei Enthaltung der Fraktion Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Aus- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abgelehnt. schusses für Raumordnung, Bauwesen und Städte- Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der bau zu dem Antrag der Gruppe der PDS zu einem so- Ausschußfassung mit der vom Berichterstatter vorge- zialverträglichen und überschaubaren Mietensystem tragenen Berichtigung zustimmen wollen, um das auf der Drucksache 13/1386 Nr. 4. Der Ausschuß Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun- empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/759 abzu- gen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera- lehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - tung gegen die Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der GRÜNEN und der PDS angenommen worden. Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist diese Be- schlußempfehlung mit den Stimmen von CDU/CSU, Ich eröffne die SPD und F.D.P. gegen die Stimmen der PDS ange- dritte Beratung nommen worden. und Schlußabstimmung. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent- Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verlangt wurf der Fraktion der SPD zur Verlängerung des namentliche Abstimmung. Ich eröffne die Abstim- Kündigungsschutzes für gewerblich genutzte Räume mung. und unbebaute Grundstücke auf Drucksache 13/67. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/ Ich frage: Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, 776, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist den Gesetzentwurf der SPD auf Drucksache 13/67 nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent- die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. wurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte, die stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent- Plätze wieder einzunehmen. Das Ergebnis der Ab- wurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen von stimmung wird Ihnen später bekanntgegeben. *) Wir CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen von SPD, setzen die Beratungen fo rt und brauchen dafür ein BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS abgelehnt wor- bißchen Ruhe. den. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent- schließungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksa- Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Rechts- che 13/1413. Wer stimmt für diesen Entschließungs- ausschusses zu dem Antrag der Gruppe der PDS zur antrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Ent- Verlängerung der erweiterten Kündigungsschutzre- schließungsantrag ist bei Enthaltung der Fraktion gelungen in Ostdeutschland auf Drucksache 13/1396. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit den Stimmen von Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der PDS auf CDU/CSU, F.D.P. und SPD abgelehnt worden. Drucksache 13/582 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltun- Wir kommen zur Abstimmung über den Entwurf gen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen eines Mietenüberleitungsgesetzes der Fraktion von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der SPD ge- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/549. gen die Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Der Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und und der PDS angenommen worden. Städtebau empfiehlt auf Drucksache 13/1386 Nr. 2, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15a auf: Ich lasse über den Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/549 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent- desregierung eingebrachten Entwurfs eines wurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer Zweiten Gesetzes zur Änderung des Futter- stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung mittelgesetzes der Gruppe der PDS ist dieser Gesetzentwurf in zwei- - Drucksache 13/671 - ter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und F.D.P. und bei Zustimmung der GRÜNEN abge- (Erste Beratung 27. Sitzung) lehnt worden. Damit entfällt nach unserer Geschäfts- Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- ordnung die weitere Beratung. schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Aus- Forsten (10. Ausschuß) schusses für Raumordnung, Bauwesen und Städte- - Drucksache 13/1351 - bau zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Berichterstattung: *) Seite 2968 D Abgeordneter Dr. Gerald Thalheim 2964 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kom- Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf: men damit gleich zur Abstimmung. Ich bitte diejeni- gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung Ergänzungswahl von Mitgliedern des Gre- zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer miums gemäß § 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Be- stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei einigen Ent- schränkung des Brief-, Post- und Fernmelde- haltungen aus der Gruppe der PDS ist der Gesetzent- geheimnisses (Gesetz zu Artikel 10 Grundge- wurf damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der setz) Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD, - Drucksache 13/1403 - BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und einigen Stimmen der PDS angenommen worden. Dazu liegt auf Drucksache 13/1403 ein gemeinsa- mer Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU, Wir kommen zur SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN vor. Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? - Gegen- dritten Beratung probe! - Enthaltungen? - Der Wahlvorschlag ist bei und Schlußabstimmung. Die Fraktionen der CDU/ 1 Enthaltung mit den Stimmen des ganzen Hauses CSU und F.D.P. verlangen namentliche Abstimmung. angenommen worden. Ich eröffne die Abstimmung. Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf: Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht Ergänzungswahl von Mitgliedern des Gre- der Fall. miums gemäß § 41 Abs. 5 des Außenwirt- schaftsgesetzes zur Kontrolle der Beschrän- Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schrift- kung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheim- führer, mit der Auszahlung zu beginnen. Das Ergeb- nisses nis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgege- ben. *) - Drucksache 13/1404 - Wir setzen die Beratungen fo rt. Dazu liegt auf Drucksache 13/1404 ein gemeinsa- mer Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN vor. Ich rufe die Zusatzpunkte 2a und 2 b auf: Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? - Gegen- probe! - Enthaltungen? - Der Wahlvorschlag ist bei a) Ergänzungswahl von Mitgliedern des Wahl- Enthaltung der Gruppe der PDS ansonsten mit den prüfungsausschusses gemäß § 3 Abs. 2 des Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden. Wahlprüfungsgesetzes Wahlvorschlag der Fraktionen BÜNDNIS 90/ Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf: DIE GRÜNEN und F.D.P. Wahl des Leiters der deutschen Delegation in - Drucksache 13/1392 - der Nordatlantischen Versammlung und als ordentliches Mitglied im Ständigen Ausschuß b) Nachwahl eines beratenden Mitglieds des der Nordatlantischen Versammlung Wahlprüfungsausschusses gemäß § 3 Abs. 2 des Wahlprüfungsausschusses - Drucksachen 13/1387, 13/1388 - Wahlvorschlag der Gruppe der PDS Die Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. schlagen auf Drucksache 13/1387 den Abgeordneten Klaus - Drucksache 13/1393 - Francke (Hamburg) vor. Die Fraktion der SPD hat auf Drucksache 13/1388 die Abgeordnete B rigitte Dazu liegt auf Drucksache 13/1392 ein gemeinsa- Schulte (Hameln) vorgeschlagen. mer Wahlvorschlag der Fraktionen des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. vor. Wer stimmt Interfraktionell ist vereinbart, die Wahl mit Stimm- für den Wahlvorschlag? - Gegenprobe! - Enthaltun- karte und Wahlausweis durchzuführen. - Dagegen gen? - Der Wahlvorschlag ist bei einigen Enthaltun- erhebt sich kein Widerspruch. Dann können wir so gen aus der Gruppe der PDS sonst mit den Stimmen verfahren. des ganzen Hauses angenommen worden. Ich gebe einige Hinweise zum Wahlverfahren. - Wir kommen zur Nachwahl eines beratenden Mit- Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Wahlverfahren glieds des Wahlprüfungsausschusses. ist nicht eröffnet. Sie dürfen nicht wählen. (Unruhe) (Heiterkeit und Zurufe) - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein bißchen mehr - Es hat sich geklärt. Die U rne war noch zu. Ruhe bitte! - Die Gruppe der PDS schlägt auf Druck- Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD haben sache 13/1393 die Abgeordnete Andrea Lederer vor. Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung ange- Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? - Gegen- kündigt. probe! - Enthaltungen? - Der Wahlvorschlag ist an- genommen. Das Wort zur Abgabe einer Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung hat der Kollege Joachim Hör- *) Seite 2971 B ster. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 2965

Joachim Hörster (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Es gibt keinen Anlaß, hier einen Personalwechsel Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben vorzunehmen. heute einen Vorgang im Plenum des Bundestags, der singulärer Natur ist. Zum erstenmal, seit es die Nord- Ich habe Verständnis dafür, daß es manchmal ge- atlantische Versammlung gibt, müssen wir in diesem rade in den großen Fraktionen knirscht, wenn die Er- Hohen Hause darüber abstimmen, wer Leiter der wartungen an Posi tionen höher sind als das Poten tial deutschen Delegation werden soll. Das ist darin be- der zur Verfügung stehenden Posi tionen. Aber so- gründet, daß die traditionelle Übung, die bisher in wohl die anderen Mitglieder der Koalitionsfraktionen diesem Hohen Hause unangefochten durchgehalten als auch ich haben immer die Meinung vertreten, worden ist, wonach die stärkste Fraktion dieses Hau- daß gute Übungen des Parlaments nicht zur Disposi- ses den Leiter der deutschen Delega tion in der Nord- tion gestellt werden sollten, weil es solche internen atlantischen Versammlung stellt, von den Sozialde- Probleme geben kann. Deswegen bitte ich, bei den mokraten in Frage gestellt wird. Ich weiß, daß es dort guten Übungen zu verbleiben. interne Personalprobleme gibt. Ich bedanke mich. (Zustimmung bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Lachen und Widerspruch bei der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) SPD) Ich bedauere dies sehr, denn die bisherige Übung Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ebenso erhält war die, daß sowohl der Leiter der deutschen Delega- jetzt der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, tion als auch der Vertreter im Ständigen Ausschuß je- der Kollege Dr. Peter Struck, nach § 31 der Ge- weils von der stärksten Fraktion gestellt wurden und schäftsordnung das Wort zu seinem persönlichen Ab- die Vertreter entsprechend anders organisiert waren. stimmungsverhalten. (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Sehr vernünftige Regelung!) Dr. Peter Struck (SPD): Frau Präsidentin! Meine Bei dieser Feststellung - da mögen Sie den Kopf sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege schütteln, soviel Sie wollen - beziehe ich mich auf Hörster hat, der guten Tradi tion folgend, in fünf Mi- eine Vorlage der Bundestagsverwaltung, die aus- nuten wieder so viel Unsinn geredet, drücklich zur Vorbereitung und zur Lösung dieses Problemfalls erstellt worden ist. Darin steht das. (Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich finde es nicht gut, daß solche langen Übungen,- die ihren guten Grund haben, nun in Frage gestellt wie das kaum denkbar ist. werden. Ich halte es im übrigen für ganz besonders mißlich, daß die Sozialdemokraten erst die Mitglie- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) der der Koalitionsfraktionen in Anspruch genommen haben, um im November des vergangenen Jahres Zunächst einmal, Herr Kollege Hörster: Wenn Sie den Kollegen zum Präsidenten der hier behaupten, die CDU-Mitglieder der Nordatlanti- Nordatlantischen Versammlung zu wählen, schen Versammlung hätten Herrn Voigt mit zum Prä- sidenten gewählt, dann will ich Sie nur diskret dar- (Zuruf von der SPD: Das war eine gute Ent auf hinweisen, daß die CDU-Mitglieder der Nordat- scheidung!) lantischen Versammlung an dieser Veranstaltung um sich dann anschließend, wenn es um die Rege- überhaupt nicht teilgenommen haben, weil sie näm- lung der eigenen Fragen geht, von den guten Übun- lich hier in Bonn waren. gen zu distanzieren. (Lachen bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wenn Sie so mit der Wahrheit umgehen - Sie brau- Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Her- chen nicht den Kopf zu schütteln -, dann stehen Sie ren, bitte ich darum, dem Vorschlag der Koalitions- in guter Kontinuität der Regierungspolitik. fraktionen zuzustimmen und zu wäh- len, insonderheit auch deswegen, weil der Kollege (Beifall bei der SPD) Francke in den vergangenen Wahlperioden unbe- stritten - seit er die Funktion des Leiters der deut- Das zweite: Sie haben sich auf ein - wie Sie gesagt schen Delegation wahrnimmt - die Interessen der haben - Gutachten der Bundestagsverwaltung beru- deutschen Delegation und des Bundestages, aber fen. Wenn man sich das genau ansieht - das habe ich auch der sechs Vertreter des Bundesrates gewahrt, getan -, dann stellt man fest: Dieses Gutachten ist niemand seine Amtsführung beanstandet hat kein Gutachten, sondern die Zementierung eines al- ten Verwaltungsgrundsatzes: Das haben wir schon (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ immer so gemacht; das machen wir weiter so. - Das DIE GRÜNEN]: Worte sind genug gewech ist für mich nicht überzeugend; für Sie, Herr Hörster, selt!) vielleicht, für die Regierungspolitik vielleicht auch. und er bislang von allen als sachverständig, integrie- Der Deutsche Bundestag sollte bitte zur Kenntnis rend und als ordentlicher Delega tionsleiter bezeich- net worden ist. nehmen, daß unsere Delega tion in der Nordatlanti- schen Versammlung aus Bundestag und Bundesrat (Beifall bei der CDU/CSU) besteht. Sie können hier mit Ihrer Mehrheit beschlie- 2966 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 Dr. Peter Struck ßen, was Sie wollen. Ich prophezeie Ihnen: Der Bun- Ich eröffne die Wahl. - desrat als Verfassungsorgan wird nicht ohne weiteres Haben alle Mitglieder des Hauses, auch die hinnehmen, welche Personalentscheidungen Sie hier Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre Stimmkar- mit Mehrheit durchsetzen. Warten wir einmal ab! ten abgegeben? - Das ist offenbar der Fa ll. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich schließe die Wahl und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Wir haben mit der Kollegin Brigitte Schulte eine Wahl wird später bekanntgegeben.*) hervorragende Verteidigungspolitikerin vorgeschla- gen, die die Interessen der Bundesrepublik Deutsch- Wir setzen die Beratungen fort, allerdings erst, land in der Nordatlantischen Versammlung als Leite- wenn ein wenig Platz in den Gängen entstanden ist rin unserer Delegation und als Mitglied im Ständigen und die Kollegen wieder sitzen. Ausschuß bestens vertreten kann. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a bis d und (Beifall bei der SPD) Zusatzpunkt 6 auf: Sie wird dann übrigens, meine Damen und Herren 14. Überweisungen im vereinfachten Verfahren von den Koalitionsfraktionen, die Mehrheitsmeinung der Gruppe in der Nordatlantischen Versammlung a) Erste Beratung des von der Bundesregierung vertreten. Denn die Mehrheit - das müssen Sie zur eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll Nr. 11 vom 11. Mai 1994 zur Kenntnis nehmen - haben Sie da schon lange nicht mehr, dankenswerterweise. Denn das Ergebnis der Konvention zum Schutze der Menschenrechte Wahl zum Bundestag hat es ermöglicht, daß Sie nicht und Grundfreiheiten einmal in der Delega tion des Bundestages eine - Drucksache 13/858 — Mehrheit haben. In der Delega tion des Bundesrates Überweisungsvorschlag: haben wir erfreulicherweise eine große Mehrheit. Rechtsausschuß (federführend) Das heißt, der Herr Francke wird sich, wenn er hier Auswärtiger Ausschuß gewählt werden sollte, noch sehr wundern, welche Erste Beratung des von der Bundesregierung Meinung er als Vertreter der Bundesrepublik b) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu Deutschland zu vertreten hat. dem Übereinkommen vom 6. November 1992 Ich prophezeie Ihnen - es tut mir leid um den Kol- über den Beitritt der Griechischen Republik legen Francke, aber so ist das leider in der Politik -: zu dem Schengener Übereinkommen vom Sie werden zwar hier als Leiter der deutschen- Dele- 19. Juni 1990 (Gesetz zum Beitritt der Griechi- gation gewählt, aber ich glaube nicht, daß Sie es schen Republik zum Schengener Überein- auch wirklich werden. kommen) Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. - Drucksache- 13/1269 Überweisungsvorschlag: (Beifall bei der SPD - Zuruf von der CDU/ Innenausschuß (federführend) CSU: Sehr schäbig!) Auswärtiger Ausschuß Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich gebe einige c) Beratung des Antrags des Bundesministeriums Hinweise zum Wahlverfahren. der Finanzen Die Stimmkarten für die Wahl haben Sie erhalten. Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundes- Sollten Sie noch keine haben, besteht jetzt noch die haushaltsordnung zur Veräußerung bundes- Möglichkeit, diese bei den Plenarsekretären zu be- eigener Grundstücke in Wiesbaden, ehemali- kommen. Außerdem benötigen Sie Ihren Wahlaus- ges Camp Lindsey weis, den Sie, soweit noch nicht geschehen, Ihrem - Drucksache 13/1293 - Schließfach entnehmen. Überweisungsvorschlag: Die Wahl findet offen statt. Sie können die Stimm- Haushaltsausschuß karte also an Ihrem Platz ankreuzen. Auf der Stimm- d) Beratung des Antrags der Abgeordneten karte dürfen Sie höchstens einen Namen ankreuzen. Dr. Günther Maleuda, Eva-Maria Bulling Ungültig sind Stimmkarten, die mehr als eine An- Schröter, Dr. , Dr. Gregor Gysi und kreuzung, andere Namen oder Zusätze enthalten. - der Gruppe der PDS Das ist alles schon mal vorgekommen. - Wer sich der Stimme enthalten will, macht bitte keine Eintragung. Regelung der Altkredite der LPG-Rechts- nachfolger Ich bitte Sie, bevor Sie die Stimmkarte in eine der Wahlurnen werfen, den Schriftführerinnen und - Drucksache 13/1330 - Schriftführern an der Wahlurne Ihren Wahlausweis Überweisungsvorschlag: zu übergeben. Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (fe- derführend) Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schrift- Rechtsausschuß führer, wieder die vorgesehenen Plätze einzuneh- Finanzausschuß men. - Haben alle Schriftführer ihre Plätze einge- nommen? - Das ist offenbar der Fall. *) Seite 2985 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 2967

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Weitere Überweisungen im vereinfachten Berichterstattung: Verfahren (Ergänzung zu TOP 14) Abgeordneter Erste Beratung des von der Bundesregierung e) Beratung der Beschlußempfehlung und des eingebrachten Entwurfs eines Siebzehnten Berichts des Haushaltsausschusses (8. Aus- Gesetzes zur Änderung des Bundesausbil- schuß) zu dem Antrag des Bundesministeri- dungsförderungsgesetzes (17. BAföGÄndG) ums der Finanzen - Drucksache 13/1395 - Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundes- Überweisungsvorschlag: haushaltsordnung in die Veräußerung der Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technolo ehemaligen US-Wohnsiedlung Centerville gie und Technikfolgenabschätzung (federführend) Nord in Augsburg Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend - Drucksachen 13/780, 13/1245 - Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Berichterstattung: Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach- Abgeordnete ten Verfahren ohne Debatte. Susanne Jaffke Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen Oswald Metzger an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse Jürgen Koppelin zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - f) Beratung der Beschlußempfehlung des Petiti- Dann sind die Überweisungen so beschlossen. onsausschusses (2. Ausschuß) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15b bis 15g so- Sammelübersicht 31 zu Petitionen wie Zusatzpunkt 7 auf: - Drucksache 13/1325 - 15. Abschließende Beratungen ohne Aussprache g) Beratung der Beschlußempfehlung des Petiti- b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat onsausschusses (2. Ausschuß) eingebrachten Entwurfs eines Zweiunddrei- ßigsten Gesetzes zur Änderung des Lasten- Sammelübersicht 33 zu Petitionen ausgleichsgesetzes (32. ÄndG LAG) - Drucksache 13/1327 - - Drucksache 13/188 - - ZP 7 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus- (Erste Beratung 24. Sitzung) sprache (Ergänzung zu TOP 15) Beschlußempfehlung und Bericht des Innen- - Zweite Beratung und Schlußabstimmung ausschusses (4. Ausschuß) des von der Bundesregierung eingebrach- tes Entwurfs eines Gesetzes zu dem - Drucksache 13/1364 - Ab- kommen vom 25. März 1981 zwischen der Berichterstattung: Bundesrepublik Deutschland und dem Kö- Abgeordnete Hartmut Koschyk nigreich Marokko über Kindergeld Siegfried Vergin Rezzo Schlauch - Drucksache 13/665 - Dr. Burkhard Hirsch (Erste Beratung 24. Sitzung) c) Beratung der Beschlußempfehlung und des - Zweite Beratung und Schlußabstimmung Berichts des Haushaltsausschusses (8. Aus- des von der Bundesregierung eingebrach- schuß) zu dem Antrag des Präsidenten des ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- Bundesrechnungshofes kommen vom 20. September 1991 zwi- Rechnung des Bundesrechnungshofes für das schen der Bundesrepublik Deutschland Haushaltsjahr 1993 und der Tunesischen Republik über Kin- dergeld - Einzelplan 20 - § 101 BHO - Drucksache 13/664 - - Drucksachen 12/7383, 13/725, Nr. 79, 13/1244 - (Erste Beratung 24. Sitzung) Berichterstattung: a) Beschlußempfehlung und Bericht des Abgeordnete Rudolf Purps Ausschusses für Arbeit und Sozialord- Wilfried Seibel nung (11. Ausschuß) Oswald Metzger Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) - Drucksache 13/1320 - d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichterstattung: Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuß) Abgeordneter Hans Büttner (Ingolstadt) zu den dem Deutschen Bundestag zugeleite- b) Berichte des Haushaltsausschusses ten Streitsachen vor dem Bundesverfassungs- (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Ge- gericht 2 BvE 1/95 und 2 BvE 2/95 schäftsordnung - Drucksache 13/1305 - - Drucksachen 13/1398, 13/1399 - 2968 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Berichterstattung: schlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Abgeordnete Dr. Konstanze Wegner - Bei Enthaltung der Gruppe der PDS ist die Be- Hans-Joachim Fuchtel schlußempfehlung mit den Stimmen des ganzen Antje Hermenau Hauses angenommen worden. Tagesordnungspunkte 15f und 15g: Beschlußemp- Peter Jacoby fehlungen des Petitionsausschusses auf den Druck- Karl Diller sachen 13/1325 und 13/1327. Es handelt sich dabei Kristin Heyne um die Sammelübersichten 31 und 33. Wer stimmt Es handelt sich um die Beschlußfassung zu Vorla- für diese Beschlußempfehlungen? - Gegenprobe! - gen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlungen sind bei Enthaltung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Tagesordnungspunkt 15b: Wir kommen zur Ab- PDS mit den Stimmen des ganzen Hauses angenom- stimmung über den vom Bundesrat eingebrachten men worden. Entwurf zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes Wir kommen zu Zusatzpunkt 7, und zwar zunächst auf Drucksache 13/188. zur Abstimmung über den von der Bundesregierung Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/ eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Abkommen 1364 den Gesetzentwurf unverände rt anzunehmen. mit dem Königreich Marokko über Kindergeld, Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim- Drucksache 13/665. Der Ausschuß für Arbeit und So- men wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt da- zialordnung empfiehlt auf Drucksache 13/1320, den gegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist da- Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte mit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/ diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol- CSU, F.D.P. und SPD bei Enthaltung der PDS len, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Ent- und Nichtstimmen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE haltungen? - Der Gesetzentwurf ist bei Enthaltung GRÜNEN angenommen. von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe der PDS mit den Stimmen des ganzen Hauses angenom- Wir kommen zur men worden. dritten Beratung Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Abkommen mit der Tunesischen Republik über dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- Kindergeld, Drucksache 13/664. Der Ausschuß für ben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache Enthaltung der Gruppe der PDS ist der Gesetzent- 13/1320, den Gesetzentwurf unverände rt anzuneh- wurf mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu- SPD angenommen. stimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dage- gen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist bei Tagesordnungspunkt 15 c: Beschlußempfehlung Enthaltung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Präsi- PDS mit den Stimmen des ganzen Hauses angenom- denten des Bundesrechnungshofes „Rechnung des men worden. Bundesrechnungshofes für das Haushaltsjahr 1993", Drucksachen 12/7383 und 13/1244. Wer stimmt für Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 4 a zurück: diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthal- Ich gebe das von den Schriftführern und Schriftfüh- tungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stim- rerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen men von CDU/CSU, F.D.P. und SPD bei Enthaltung Schlußabstimmung über die Gesetzentwürfe der der PDS angenommen worden. Bundesregierung und der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zum Mietenüberleitungsgesetz bekannt. Tagesordnungspunkt 15 d: Beschlußempfehlung Es handelt sich um die Drucksachen 13/783, 13/1041, des Rechtsausschusses zu Streitsachen vor dem Bun- 13/1187 und 13/1386 Nr. 1. Abgegebene Stimmen: desverfassungsgericht, Drucksache 13/1305. Es han- 640. Mit Ja haben gestimmt: 563. Mit Nein haben ge- delt sich um ein Organstreitverfahren zur Rechtmä- stimmt: 72. Enthaltungen: 5. ßigkeit der Überprüfung von Mitgliedern des Deut- schen Bundestages auf Tätigkeit oder politische Ver- Endgültiges Ergebnis Jürgen Augustinowitz antwortung für das Ministe rium für Staatssicherheit/ Amt für nationale Sicherheit der ehemaligen Deut- Abgegebene Stimmen: 640; Heinz-Günter Bargfrede schen Demokratischen Republik. Der Ausschuß emp- davon: fiehlt, Stellungnahmen abzugeben und Prozeßvertre- ja: 563 Dr. ter zu bestellen. Wer stimmt für diese Beschlußemp- nein: 72 Brigitte Baumeister fehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Be- enthalten: 5 schlußempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/ Dr. Sabine Bergmann-Pohl CSU, SPD und F.D.P. gegen die Stimmen der PDS an- Hans-Dirk Bierling Ja Dr. Joseph- genommen worden. Tagesordnungspunkt 15 e: Beschlußempfehlung CDU/CSU Dr. des Haushaltsausschusses zur Veräußerung einer Dr. Norbert Blüm bundeseigenen Liegenschaft in Augsburg, Drucksa- Friedrich Bohl chen 13/780 und 13/1245. Wer stimmt für diese Be- Dr. Maria Böhmer Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 2969

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Jochen Borchert Dr. Dionys Jobst Frederick Schulze Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Dr.-Ing. Rainer Jork Norbert Otto (Erfurt) Diethard Schütze (Berlin) Michael Jung (Limburg) Dr. Gerhard Päselt Clemens Schwalbe Dr. Wolfgang Bötsch Dr. Peter Paziorek Wilhelm-Josef Sebastian Klaus Brähmig Dr. Egon Jüttner Hans-Wilhelm Pesch Rudolf Braun (Auerbach) Dr. Harald Kahl Ulrich Petzold Wilfried Seibel Bartholomäus Kalb Heinz-Georg Seiffert Steffen Kampeter Angelika Pfeiffer Rudolf Seiters Dr.-Ing. Dietmar Kansy Dr. Gero Pfennig Klaus Bühler (Bruchsal) Irmgard Karwatzki Dr. Friedbert Pflüger Bernd Siebert Jürgen Sikora (Emstek) Peter Keller Dr. Winfried Pinger Peter H. Carstensen Bärbel Sothmann (Nordstrand) Dr. Bernd Klaußner Dr. Hermann Pohler Margarete Späte Hans Klein (München) Ruprecht Polenz Carl-Dieter Spranger Hubert Deittert Ulrich Klinkert Marlies Pretzlaff Wolfgang Steiger Hans-Ulrich Köhler Dr. Albert Probst Albert Deß (Hainspitz) Dr. Bernd Protzner Dr. Wolfgang Freiherr Manfred Kolbe von Stetten Norbert Königshofen Hans Raidel Dr. Werner Dörflinger Eva-Maria Kors Dr. Andreas Storm Hansjürgen Doss Hartmut Koschyk Rolf Rau Max Straubinger Dr. Manfred Koslowski Helmut Rauber Michael Stübgen Ma ria Eichhorn Thomas Kossendey Peter Harald Rauen Egon Susset Rudolf Kraus Otto Regenspurger Dr. Rita Süssmuth Wolfgang Krause (Dessau) Christa Reichard (Dresden) Michael Teiser Heinz Dieter Eßmann Andreas Krautscheid Klaus Dieter Reichardt Dr. Susanne Tiemann Horst Eylmann Arnulf Kriedner (Mannheim) Di. Klaus Töpfer Heinz-Jürgen Kronberg Dr. Bertold Reinartz Gottfried Tröger Use Falk Dr.-Ing. Paul Krüger Erika Reinhardt Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Dr. Reiner Krziskewitz Hans-Peter Repnik Dr. Hermann Kues Roland Richter Wolfgang Vogt (Düren) Werner Kuhn Roland Richwien Dr. Horst Waffenschmidt Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Karl A. Lamers Dr. Norbert Rieder Dr. Theodor Waigel Klaus Francke (Hamburg) (Heidelberg) Dr. (München) Alois Graf von Waldburg-Zeil Klaus Riegert Dr. Jürgen Warnke Dr. Gerhard Friedrich Dr. Norbert Lammert Dr. Kersten Wetzel Erich G. Fritz Hannelore Rönsch Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Hans-Joachim Fuchtel Herbert Lattmann (Wiesbaden) Michaela Geiger Dr. Paul Laufs Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Bernd Wilz Karl-Josef Laumann Dr. Klaus Rose Willy Wimmer (Neuss) Dr. Heiner Geißler Werner Lensing Kurt J. Rossmanith Adolf Roth (Gießen) Simon Wittmann (Tännes- Wilma Glücklich Peter Letzgus Norbert Röttgen berg) Dr. Reinhard Göhner Editha Limbach Dr. Christian Ruck Dagmar Wöhrl Peter Götz Walter Link (Diepholz) Volker Rühe Michael Wonneberger Dr. Wolfgang Götzer Eduard Lintner Dr. Jürgen Rüttgers Elke Wülfing Joachim Gres Dr. Manfred Lischewski Roland Sauer (Stuttgart) Peter Kurt Würzbach Kurt-Dieter Grill Wolfgang Lohmann Ortrun Schätzle Hermann Gröhe (Lüdenscheid) Dr. Wolfgang Schäuble Wolfgang Zeitlmann Claus-Peter Grotz Julius Louven Hartmut Schauerte Benno Zierer Sigrun Löwisch Heinz Schemken Wolfgang Zöller Horst Günther (Duisburg) Karl-Heinz Scherhag Carl-Detlev Freiherr Dr. Michael Luther Gerhard Scheu von Hammerstein Erich Maaß (Wilhelmshaven) Norbert Schindler SPD Dr. Dietrich Mahlo Dietmar Schlee (Großhennersdorf) Erwin Marschewski Ulrich Schmalz Günter Marten Rainer Haungs Dr. Martin Mayer Christian Schmidt (Fürth) Robert Antretter Otto Hauser (Esslingen) (Siegertsbrunn) Dr.-Ing. Joachim Schmidt Hermann Bachmaier Hansgeorg Hauser Wolfgang Meckelburg (Halsbrücke) (Rednitzhembach) Rudolf Meinl Andreas Schmidt (Mülheim) Klaus-Jürgen Hedrich Dr. Hans-Otto Schmiedeberg Manfred Heise Dr. Angela Merkel Hans Peter Schmitz Ingrid Becker-Inglau Dr. Renate Hellwig (Baesweiler) Wolfgang Behrendt Ernst Hinsken Rudolf Meyer (Winsen) Michael von Schmude Hans-Werner Bertl Birgit Schnieber-Jastram Friedhelm Julius Beucher Josef Hollerith Meinolf Michels Dr. Dr. Karl-Heinrich Hornhues Dr. Gerd Müller Dr. Lilo Blunck Siegfried Hornung Elmar Müller (Kirchheim) Reinhard Freiherr Dr. Ulrich Böhme (Unna) Joachim Hörster Engelbert Nelle von Schorlemer Arne Börnsen (Ritterhude) Hubert Hüppe (Bremen) Dr. Erika Schuchardt Anni Brandt-Elsweier Peter Jacoby Johannes Nitsch Tilo Braune Susanne Jaffke Dr. Dr. Eberhard Brecht Georg Janovsky Dr. Rolf Olderog (Schwäbisch Gmünd) Helmut Jawurek Friedhelm Ost Gerhard Schulz (Leipzig) Ursula Burchardt 2970 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Hans Martin Bury Dr. Emil Schnell Günther Bredehorn Hans Büttner (Ingolstadt) Fritz Rudolf Körper Walter Schöler Jörg van Essen Marion Caspers-Merk Nicolette Kressl Gisela Frick Wolf-Michael Catenhusen Volker Kröning Gisela Schröter Paul K. Friedhoff Peter Conradi Thomas Krüger Dr. Mathias Schubert Horst Friedrich Dr. Herta Däubler-Gmelin Horst Kubatschka Richard Schuhmann Christel Deichmann Eckart Kuhlwein (Delitzsch) Hans-Dietrich Genscher Karl Diller Konrad Kunick Brigitte Schulte (Hameln) Dr. Dr. Marliese Dobberthien Christine Kurzhals Reinhard Schultz Joachim Günther (Plauen) Peter Dreßen Dr. Uwe Küster (Everswinkel) Dr. Rudolf Dreßler Werner Labsch Volkmar Schultz (Köln) Dr. Brigitte Lange Ilse Schumann Ulrich Heinrich Ludwig Eich Detlev von Larcher Dr. R. Werner Schuster Walter Hirche Peter Enders Waltraud Lehn Dietmar Schütz (Oldenburg) Dr. Burkhard Hirsch Gernot Erler Robert Leidinger Dr. Angelica Schwall-Düren Birgit Homburger Petra Ernstberger Klaus Lennartz Ernst Schwanhold Dr. Annette Faße Dr. Elke Leonhard Ulrich Irmer Elke Ferner Klaus Lohmann (Witten) Bodo Seidenthal Dr. Lothar Fischer (Homburg) Christa Lörcher Lisa Seuster Detlef Kleinert (Hannover) Erika Lotz Horst Sielaff Roland Kohn Iris Follak Dieter Maaß (Herne) Erika Simm Dr. Heinrich L. Kolb Norbert Formanski Ulrike Mascher Johannes Singer Jürgen Koppelin Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Anke Fuchs (Köln) Ingrid Matthäus-Maier Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Dr. Katrin Fuchs (Verl) Heide Mattischeck Wieland Sorge Heinz Lanfermann Dr. Dietrich Sperling Arne Fuhrmann Sabine Leutheusser Jörg-Otto Spiller Monika Ganseforth Ulrike Mehl Schnarrenberger Antje-Marie Steen Norbert Gansel Herbert Meißner Uwe Lühr Konrad Gilges Angelika Mertens Jürgen W. Möllemann Iris Gleicke Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Dr. Peter Struck Günther Friedrich Nolting Günter Gloser Ursula Mogg Joachim Tappe Dr. Rainer Ortleb Dr. Siegmar Mosdorf Jörg Tauss Lisa Peters Günter Graf (Friesoythe) Michael Müller (Düsseldorf) Dr. Bodo Teichmann Dr. Ginter Rexrodt Angelika Graf (Rosenheim) Jutta Müller (Völklingen) Margitta Terborg Dr. Klaus Röhl Dieter Grasedieck Christian Müller (Zittau) Jella Teuchner Cornelia Schmalz-Jacobsen Achim Großmann Kurt Neumann (Berlin)- Dr. Gerald Thalheim Karl-Hermann Haack Volker Neumann (Bramsche) Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Extertal) Gerhard Neumann (Gotha) Dietmar Thieser Dr. Hans-Joachim Hacker Dr. Edith Niehuis Franz Thönnes Carl-Ludwig Thiele Klaus Hagemann Dr. Rolf Niese Uta Titze-Stecher Dr. Dieter Thomae Manfred Hampel Doris Odendahl Adelheid Tröscher Jürgen Türk Christel Hanewinckel Günter Oesinghaus Hans-Eberhard Urbaniak Dr. Wolfgang Weng Alfred Hartenbach Leyla Onur Siegfried Vergin (Gerlingen) Klaus Hasenfratz Manfred Opel Ginter Verheugen Dr. Ingomar Hauchler Adolf Ostertag (Pforzheim) Dieter Heistermann Kurt Palis Karsten D. Voigt (Frankfurt) Nein Reinhold Hemker Dr. Willfried Penner Josef Vosen Rolf Hempelmann Dr. Martin Pfaff Hans Georg Wagner Dr. Barbara Hendricks Georg Pfannenstein Hans Wallow SPD Monika Heubaum Dr. Eckhart Pick Dr. Konstanze Wegner Uwe Hiksch Joachim Poß Wolfgang Weiermann Albrecht Papenroth Reinhold Hiller (Lübeck) Karin Rehbock-Zureich Reinhard Weis (Stendal) Stephan Hilsberg Margot von Renesse Matthias Weisheit Gerd Höfer Renate Rennebach Gunter Weißgerber BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jelena Hoffmann (Chemnitz) Otto Reschke (Wiesloch) Frank Hofmann (Volkach) Bernd Reuter Jochen Welt Gila Altmann (Aurich) Ingrid Holzhüter Dr. Edelbert Richter Hildegard Wester Elisabeth Altmann Erwin Horn Günter Rixe Lydia Westrich (Pommelsbrunn) Eike Maria Anna Hovermann Reinhold Robbe Inge Wettig-Danielmeier (Köln) Lothar Ibrügger Gerhard Rübenkönig Dr. Norbert Wieczorek Angelika Beer Wolfgang ilte Dr. Hansjörg Schäfer Helmut Wieczorek (Duisburg) Barbara Imhof Gudrun Schaich-Walch Heidemarie Wieczorek-Zeul Annelie Buntenbach Brunhilde Irber Dieter Schanz Berthold Wittich Amke Dietert-Scheuer Gabriele Iwersen Verena Wohlleben Franziska Eichstädt-Bohlig Renate Jäger Bernd Scheelen Hanna Wolf (München) Dr. Uschi Eid Jann-Peter Janssen Dr. Heide Wright Andrea Fischer (Berlin) Ilse Janz Horst Schild Joseph Fischer (Frankfurt) Dr. Uwe Jens Otto Schily Dr. Christoph Zöpel Rita Grießhaber Volker Jung (Düsseldorf) Dieter Schloten Peter Zumkley Gerald Häfner Sabine Kaspereit Ginter Schluckebier Antje Hermenau Susanne Kastner Horst Schmidbauer F.D.P. Kristin Heyne Hans-Peter Kemper (Nürnberg) Ulrike Höfken-Deipenbrock Marianne Klappert (Meschede) Ina Albowitz Dr. Manuel Kiper Siegrun Klemmer Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Dr. Monika Knoche Hans-Ulrich Klose Regina Schmidt-Zadel Hildebrecht Braun Dr. Angelika Köster-Loßack Dr. Hans-Hinrich Knaape Heinz Schmitt (Berg) (Augsburg) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode -38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 2971

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Dr. Wolfgang Dehnel Hans Klein (München) Kerstin Müller (Köln) Dr. Gregor Gysi Hubert Deittert Ulrich Klinkert Dr. Uwe-Jens Heuer Gertrud Dempwolf Hans-Ulrich Köhler Christa Nickels Albert Deß (Hainspitz) Cem Özdemir Dr. Barbara Höll Renate Diemers Manfred Kolbe Gerd Poppe Ulla Jelpke Wilhelm Dietzel Norbert Königshofen Simone Probst Gerhard Jüttemann Werner Dörflinger Eva-Maria Kors Dr. Jürgen Rochlitz Dr. Heidi Knake-Werner Hansjürgen Doss Hartmut Koschyk Halo Saibold Rolf Köhne Dr. Alfred Dregger Manfred Koslowski Christine Scheel Rolf Kutzmutz Maria Eichhorn Thomas Kossendey Irmingard Schewe-Gerigk Andrea Lederer Wolfgang Engelmann Rudolf Kraus Rezzo Schlauch Dr. Christa Luft Rainer Eppelmann Wolfgang Krause (Dessau) Albert Schmidt (Hitzhofen) Heidemarie Lüth Heinz Dieter Eßmann Andreas Krautscheid Wolfgang Schmitt (Langen- Dr. Günther Maleuda Horst Eylmann Arnulf Kriedner feld) Manfred Müller (Berlin) Anke Eymer Heinz-Jürgen Kronberg Ursula Schönberger Rosel Neuhauser Dr.-Ing. Paul Krüger Waltraud Schoppe Dr. Uwe-Jens Rössel Dr. Kurt Faltlhauser Reiner Krziskewitz (Berlin) Christina Schenk Jochen Feilcke Dr. Hermann Kues Rainder Steenblock Klaus-Jürgen Warnick Ulf Fink Werner Kuhn Marina Steindor Dirk Fischer (Hamburg) Karl Lamers Christian Sterzing Klaus Francke (Hamburg) Dr. Karl A. Lamers Manfred Such Herbert Frankenhauser (Heidelberg) Dr. Antje Vollmer Enthalten Dr. Gerhard Friedrich Dr. Norbert Lammert Helmut Wilhelm (Amberg) Erich G. Fritz Helmut Lamp Margareta Wolf (Frankfurt) Hans-Joachim Fuchtel Herbert Lattmann SPD Michaela Geiger Dr. Paul Laufs Norbert Geis Karl-Josef Laumann PDS Dr. Dr. Heiner Geißler Werner Lensing Siegfried Scheffler Michael Glos Christian Lenzer Wolfgang Bierstedt Wolfgang Spanier Wilma Glücklich Peter Letzgus Petra Blass Dr. Reinhard Göhner Editha Limbach Maritta Böttcher Peter Götz Walter Link (Diepholz) Eva Bulling-Schröter F.D.P. Dr. Wolfgang Götzer Eduard Lintner Heinrich Graf von Einsiedel Joachim Gres Dr. Manfred Lischewski Dr. Ludwig Elm Helmut Schafer (Mainz) Kurt-Dieter Gri ll Wolfgang Lohmann Dr. Dagmar Enkelmann Dr. Hermann Gröhe (Lüdenscheid) Claus-Peter Grotz Julius Louven Manfred Grund Sigrun Löwisch Der Gesetzentwurf ist damit angenommen. Horst Günther (Duisburg) Heinrich Lummer Carl-Detlev Freiherr Dr. Michael Luther Wir kommen nun noch einmal zum Tagesord- von Hammerstein Erich Maaß (Wilhelmshaven) nungspunkt 15a zurück: Ich gebe das von den Gottfried Haschke Dr. Dietrich Mahlo Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Er- (Großhennersdorf) Erwin Marschewski gebnis der namentlichen Schlußabstimmung über Gerda Hasselfeldt Günter Marten den Entwurf der Bundesregierung zur Änderung des Rainer Haungs Dr. Martin Mayer Otto Hauser (Esslingen) (Siegertsbrunn) Futtermittelgesetzes bekannt, Drucksachen 13/671 Hansgeorg Hauser Wolfgang Meckelburg und 13/1351. Abgegebene Stimmen: 645. Mit Ja ha- (Rednitzhembach) Rudolf Meinl ben 336 gestimmt, mit Nein haben 294 gestimmt, Klaus-Jürgen Hedrich Dr. Michael Meister Enthaltungen 15. Manfred Heise Dr. Angela Merkel Dr. Renate Hellwig Friedrich Merz Ernst Hinsken Rudolf Meyer (Winsen) Endgültiges Ergebnis Meinrad Belle Peter Hintze Hans Michelbach Dr. Sabine Bergmann-Pohl Josef Hollerith Meinolf Michels Abgegebene Stimmen: 641; Hans-Dirk Bierling Dr. Karl-Heinz Hornhues Dr. Gerd Müller davon: Dr. Joseph-Theodor Blank Siegfried Hornung Elmar Müller (Kirchheim) ja: 332 Renate Blank Joachim Hörster Engelbert Nelle Dr. Heribert Blens Bernd Neumann (Bremen) nein: 294 Hubert Hüppe Peter Bleser Peter Jacoby Johannes Nitsch enthalten: 15 Dr. Norbe rt Blüm Susanne Jaffke Claudia Nolte Friedrich Bohl Georg Janovsky Dr. Rolf Olderog Dr. Maria Böhmer Helmut Jawurek Friedhelm Ost Ja Jochen Borchert Dr. Dionys Jobst Eduard Oswald Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Dr.-Ing. Rainer Jork Norbert Otto (Erfurt) Wolfgang Bosbach Michael Jung (Limburg) Dr. Gerhard Päselt CDU/CSU Dr. Wolfgang Bötsch Ulrich Junghanns Dr. Peter Paziorek Klaus Brähmig Dr. Egon Jüttner Hans-Wilhelm Pesch Ulrich Adam Rudolf Braun (Auerbach) Dr. Harald Kahl Ulrich Petzold Peter Altmaier Paul Breuer Bartholomäus Kalb Anton Pfeifer Anneliese Augustin Monika Brudlewsky Steffen Kampeter Angelika Pfeiffer Jürgen Augustinowitz Georg Brunnhuber Dr.-Ing. Dietmar Kansy Dr. Gero Pfennig Dietrich Austermann Klaus Bühler (Bruchsal) Irmgard Karwatzki Dr. Friedbert Pflüger Heinz-Günter Bargfrede Dankward Buwitt Volker Kauder Beatrix Philipp Franz Peter Basten Manfred Carstens (Emstek) Peter Keller Dr. Winfried Pinger Dr. Wolf Bauer Peter H. Carstensen Eckart von Klaeden Ronald Pofalla Brigitte Baumeister (Nordstrand) Dr. Bernd Klaußner Dr. Hermann Pohler 2972 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Ruprecht Polenz Carl-Dieter Spranger Dr. Rainer Ortleb Norbert Gansel Marlies Pretzlaff Wolfgang Steiger Lisa Peters Konrad Gilges Dr. Albert Probst Erika Steinbach Dr. Günter Rexrodt Iris Gleicke Dr. Bernd Protzner Dr. Wolfgang Freiherr Dr. Klaus Röhl Günter Gloser Thomas Rachel von Stetten Helmut Schäfer (Mainz) Dr. Peter Glotz Hans Raidel Dr. Gerhard Stoltenberg Cornelia Schmalz-Jacobsen Günter Graf (Friesoythe) Dr. Peter Ramsauer Andreas Storm Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Angelika Graf (Rosenheim) Rolf Rau Max Straubinger Dr. Irmgard Schwaetzer Dieter Grasedieck Helmut Rauber Michael Stübgen Dr. Hermann Otto Sohns Achim Großmann Peter Harald Rauen Egon Susset Dr. Max Stadler Hans-Joachim Hacker Otto Regenspurger Dr. Rita Süssmuth Carl-Ludwig Thiele Klaus Hagemann Christa Reichard (Dresden) Michael Teiser Dr. Dieter Thomae Manfred Hampel Klaus Dieter Reichardt Dr. Susanne Tiemann Jürgen Türk Christel Hanewinckel (Mannheim) Dr. Klaus Töpfer Dr. Wolfgang Weng Alfred Hartenbach Dr. Bertold Reinartz Gottfried Tröger (Gerlingen) Klaus Hasenfratz Erika Reinhardt Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Dr. Ingomar Hauchler Hans-Peter Repnik Gunnar Uldall Dieter Heistermann Roland Richter Wolfgang Vogt (Düren) PDS Reinhold Hemker Roland Richwien Dr. Horst Waffenschmidt Rolf Hempelmann Dr. Norbert Rieder Dr. Theodor Waigel Maritta Böttcher Dr. Barbara Hendricks Dr. Erich Riedl (München) Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Gregor Gysi Monika Heubaum Klaus Riegert Dr. Jürgen Warnke Dr. Barbara Höll Uwe Hiksch Dr. Heinz Riesenhuber Kersten Wetzel Reinhold Hiller (Lübeck) Hannelore Rönsch Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Stephan Hilsberg (Wiesbaden) Gert Willner Nein Gerd Höfer Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Bernd Wilz Jelena Hoffmann (Chemnitz) Dr. Klaus Rose Willy Wimmer (Neuss) Frank Hofmann (Volkach) Kurt J. Rossmanith Matthias Wissmann SPD Ingrid Holzhüter Adolf Roth (Gießen) Simon Georg Wittmann Erwin Horn Norbert Röttgen (Tännesberg) Brigitte Adler Eike Maria Anna Hovermann Dr. Christian Ruck Dagmar Wöhrl Gerd Andres Lothar Ibrügger Volker Rühe Michael Wonneberger Robert Antretter Wolfgang Ilte Dr. Jürgen Rüttgers Elke Wülfing Hermann Bachmaier Barbara Imhof Roland Sauer (Stuttgart) Peter Kurt Würzbach Ernst Bahr Brunhilde Irber Ortrun Schätzle Cornelia Yzer Doris Barnett Gabriele Iwersen Dr. Wolfgang Schäuble Wolfgang Zeitlmann- Klaus Barthel Renate Jäger Hartmut Schauerte Benno Zierer Ingrid Becker-Inglau Jann-Peter Janssen Heinz Schemken Wolfgang Zöller Wolfgang Behrendt Ilse Janz Karl-Heinz Scherhag Hans-Werner Bertl Dr. Uwe Jens Gerhard Scheu Friedhelm Julius Beucher Volker Jung (Düsseldorf) Norbert Schindler F.D.P. Rudolf Bindig Sabine Kaspereit Dietmar Schlee Lilo Blunck Susanne Kastner Ulrich Schmalz Ina Albowitz Dr. Ulrich Böhme (Unna) Hans-Peter Kemper Bernd Schmidbauer Dr. Gisela Babel Arne Börnsen (Ritterhude) Marianne Klappert Christian Schmidt (Fürth) Hildebrecht Braun Anni Brandt-Elsweier Siegrun Klemmer Dr.-Ing. Joachim Schmidt (Augsburg) Tilo Braune Hans-Ulrich Klose (Halsbrücke) Günther Bredehorn Dr. Eberhard Brecht Dr. Hans-Hinrich Knaape Andreas Schmidt (Mülheim) Jörg van Essen Edelgard Bulmahn Walter Kolbow Hans-Otto Schmiedeberg Gisela Frick Ursula Burchardt Fritz Rudolf Körper Hans Peter Schmitz Paul K. Friedhoff Hans Martin Bury Nicolette Kressl (Baesweiler) Horst Friedrich Hans Büttner (Ingolstadt) Volker Kröning Michael von Schmude Rainer Funke Marion Caspers-Merk Thomas Krüger Birgit Schnieber-Jastram Hans-Dietrich Genscher Wolf-Michael Catenhusen Horst Kubatschka Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Wolfgang Gerhardt Peter Conradi Eckart Kuhlwein Dr. Rupert Scholz Joachim Günther (Plauen) Dr. Herta Däubler-Gmelin Konrad Kunick Reinhard Freiherr Dr. Karlheinz Guttmacher Christel Deichmann Christine Kurzhals von Schorlemer Dr. Helmut Haussmann Karl Diller Dr. Uwe Küster Dr. Erika Schuchardt Ulrich Heinrich Dr. Marliese Dobberthien Werner Labsch Wolfgang Schulhoff Walter Hirche Peter Dreßen Brigitte Lange Dr. Dieter Schulte Dr. Burkhard Hirsch Rudolf Dreßler Detlev von Larcher (Schwäbisch Gmünd) Birgit Homburger Freimut Duve Waltraud Lehn Gerhard Schulz (Leipzig) Dr. Werner Hoyer Ludwig Eich Robert Leidinger Frederick Schulze Ulrich Irmer Peter Enders Klaus Lennartz Diethard Schütze (Berlin) Dr. Klaus Kinkel Gernot Erler Dr. Elke Leonhard Clemens Schwalbe Detlef Kleinert (Hannover) Petra Ernstberger Klaus Lohmann (Witten) Wilhelm-Josef Sebastian Roland Kohn Annette Faße Christa Lörcher Horst Seehofer Dr. Heinrich L. Kolb Elke Ferner Erika Lotz Wilfried Seibel Jürgen Koppelin Lothar Fischer (Homburg) Dr. Christine Lucyga Heinz-Georg Seiffert Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Gabriele Fograscher Dieter Maaß (Herne) Rudolf Seiters Dr. Otto Graf Lambsdorff Iris Follak Ulrike Mascher Johannes Selle Heinz Lanfermann Norbert Formanski Christoph Matschie Bernd Siebert Sabine Leutheusser Dagmar Freitag Ingrid Matthäus-Maier Jürgen Sikora Schnarrenberger Anke Fuchs (Köln) Heide Mattischeck Johannes Singhammer Uwe Lühr Katrin Fuchs (Verl) Markus Meckel Bärbel Sothmann Jürgen W. Möllemann Arne Fuhrmann Ulrike Mehl Margarete Späte Günther Friedrich Nolting Monika Ganseforth Herbert Meißner Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 2973

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Angelika Mertens Dr. Dietrich Sperling Simone Probst Stefan Heym Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Jörg-Otto Spiller Dr. Jürgen Rochlitz Ulla Jelpke Ursula Mogg Antje-Marie Steen Halo Saibold Dr. Christa Luft Siegmar Mosdorf Ludwig Stiegler Christine Scheel Manfred Müller (Berlin) Michael Müller (Düsseldorf) Dr. Peter Struck Irmingard Schewe-Gerigk Gerhard Zwerenz Jutta Müller (Völklingen) Joachim Tappe Rezzo Schlauch Christian Müller (Zittau) Jörg Tauss Albert Schmidt (Hitzhofen) Kurt Neumann (Berlin) Dr. Bodo Teichmann Wolfgang Schmitt Enthalten Volker Neumann (Bramsche) Margitta Terborg (Langenfeld) Gerhard Neumann (Gotha) Jella Teuchner Ursula Schönberger Dr. Edith Niehuis Dr. Gerald Thalheim Waltraud Schoppe PDS Dr. Rolf Niese Wolfgang Thierse Werner Schulz (Berlin) Doris Odendahl Dietmar Thieser Rainder Steenblock Wolfgang Bierstedt Günter Oesinghaus Franz Thönnes Marina Steindor Eva Bulling-Schröter Leyla Onur Uta Titze-Stecher Christian Sterzing Dr. Ludwig Elm Manfred Opel Adelheid Tröscher Manfred Such Dr. Uwe-Jens Heuer Adolf Ostertag Hans-Eberhard Urbaniak Dr. Antje Vollmer Gerhard Jüttemann Kurt Palis Siegfried Vergin Helmut Wilhelm (Amberg) Dr. Heidi Knake-Werner Albrecht Papenroth Günter Verheugen Margareta Wolf (Frankfurt) Rolf Köhne Dr. Willfried Penner Ute Vogt (Pforzheim) Rolf Kutzmutz Dr. Martin Pfaff Karsten D. Voigt (Frankfurt) Andrea Lederer Georg Pfannenstein Josef Vosen PDS Heidemarie Lüth Dr. Eckhart Pick Hans Georg Wagner Dr. Günther Maleuda Joachim Poß Hans Wallow Petra Bläss Rosel Neuhäuser Karin Rehbock-Zureich Dr. Konstanze Wegner Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Uwe-Jens Rössel Margot von Renesse Wolfgang Weiermann Dr. Dagmar Enkelmann Christina Schenk Renate Rennebach Reinhard Weis (Stendal) Dr. Ruth Fuchs Klaus-Jürgen Warnick Otto Reschke Matthias Weisheit Bernd Reuter Gunter Weißgerber Dr. Edelbert Richter Gert Weisskirchen (Wiesloch) Der Gesetzentwurf ist ebenfalls angenommen. Günter Rixe Jochen Welt Reinhold Robbe Hildegard Wester Das Stimmergebnis zur Wahl des Leiters der deut- Gerhard Rübenkönig Lydia Westrich schen Delegation in der Nordatlantischen Versamm- Dr. Hansjörg Schäfer Inge Wettig-Danielmeier lung liegt noch nicht vor. Gudrun Schaich-Walch Dr. Norbert Wieczorek Dieter Schanz Helmut Wieczorek (Duisburg) Ich schlage vor, daß wir jetzt mit der Fragestunde Rudolf Scharping Heidemarie Wieczorek-Zeul beginnen und das Ergebnis der Wahl erst nach der Bernd Scheelen Berthold Wittich Dr. Hermann Scheer Verena Wohlleben Fragestunde bekanntgeben. Sind Sie damit einver- Siegfried Scheffler Hanna Wolf (München) standen? - Das ist der Fall. Horst Schild Heide Wright Otto Schily Uta Zapf Dieter Schloten Dr. Christoph Zöpel Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Günter Schluckebier Peter Zumkley Horst Schmidbauer Fragestunde (Nürnberg) Dagmar Schmidt (Meschede) BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN - Drucksache 13/1347 - Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Regina Schmidt-Zadel Gila Altmann (Aurich) Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bun- Heinz Schmitt (Berg) Elisabeth Altmann deskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Zur Be- Dr. Emil Schnell (Pommelsbrunn) antwortung ist Herr Bundesminister Bohl erschienen. Walter Schöler Volker Beck (Köln) Ottmar Schreiner Angelika Beer Vielen Dank. Gisela Schröter Matthias Berninger Dr. Mathias Schubert Annelle Buntenbach Ich rufe die Frage 35 des Abgeordneten Norbe rt Schuhmann Richard Amke Dietert-Scheuer Gansel auf: (Delitzsch) Franziska Eichstädt-Bohlig Brigitte Schulte (Hameln) Dr. Uschi Eid Wann ist der Chef des Bundeskanzleramtes, Bundesminister Reinhard Schultz Andrea Fischer (Berlin) Friedrich Bohl, davon informiert worden, daß das bayerische Landeskriminalamt mit Amtshilfe des Bundesnachrichtendien- (Everswinkel) Joseph Fischer (Frankfurt) stes mit einer internationalen Tätergruppe Scheinverhandlun- Volkmar Schultz (Köln) Rita Grießhaber gen über den Kauf von mehreren Kilo Plutonium aus Rußland Ilse Schumann Gerald Häfner führte, und warum hat er, nachdem der Bundeskanzler am Dr. R. Werner Schuster Antje Hermenau 19. Juli 1994 wegen des Fundes von 6 g Plutonium einen persön- Dietmar Schütz (Oldenburg) Kristin Heyne lichen Brief an den russischen Präsidenten geschrieben hatte, Dr. Angelica Schwall-Düren Ulrike Höfken nicht für eine ergänzende Information der russischen Seite und Ernst Schwanhold Michaele Hustedt ihre Kooperation bei der Verhinderung des Plutoniumtranspor- Rolf Schwanitz Dr. Manuel Kiper tes nach Deutschland Sorge ge tragen? Bodo Seidenthal Monika Knoche Lisa Seuster Dr. Angelika Köster-Loßack Bitte, Herr Bundesminister. Horst Sielaff Steffi Lemke Erika Simm Vera Lengsfeld Johannes Singer Kerstin Müller (Köln) Friedrich Bohl, Bundesminister für besondere Auf- Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Winfried Nachtwei gaben: Frau Präsidentin, ich würde gerne sowohl zu Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Christa Nickels Wieland Sorge Cem Özdemir dieser Frage als auch zu den beiden noch folgenden Wolfgang Spanier Gerd Poppe Fragen eine Bemerkung voranschicken. 2974 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 Bundesminister Friedrich Bohl Der Deutsche Bundestag hat am 11. Mai 1995 die Umstände des Plutoniumschmuggels in München Einsetzung eines Untersuchungsausschusses be- bin ich erst am Wochenende des 12. auf den schlossen, der sich entsprechend dem vom Plenum 13. August 1994 im Lichte der im Bundeskanzleramt beschlossenen Untersuchungsauftrag umfassend mit vorhandenen Informationen unterrichtet worden. allen Fragen befassen wird, die im Zusammenhang mit dem illegalen Nuklearhandel und der Sicherstel- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz- lung von Plutonium auf dem Münchener Flughafen frage des Kollegen Gansel, bitte. am 10. August 1994 zu behandeln sind.

Die von den Abgeordneten Gansel und Neumann Norbert Gansel (SPD): Frau Präsidentin, auch ich gestellten Fragen sind Gegenstand des parlamentari- möchte meiner Frage eine Erklärung vorausschik- schen Untersuchungsauftrages. Die Bundesregie- ken, damit im Parlament Waffengleichheit zwischen rung hat bereits jetzt in den zuständigen Gremien Regierung und Abgeordneten herrscht. des Bundestages und auch einzelnen Abgeordneten mehr als 100 Einzelfragen zu den Themen des Unter- Ich bin der Meinung, daß die Bundesregierung die suchungsausschusses beantwortet. einfache Frage danach, ob der Chef des Bundes- kanzleramtes davon informiert war, daß eine Woche Nach Auffassung der Bundesregierung liegt es im nachdem der Bundeskanzler wegen 6 g Plutoniums, Interesse einer erfolgreichen Arbeit des Ausschusses, das in einer Garage in Deutschland gefunden wurde, die im Untersuchungsauftrag aufgeworfenen Frage- einen persönlichen Brief an den russischen Präsiden- stellungen im größeren Zusammenhang mit dem ten geschrieben hatte, unter Beteiligung des BND, speziell dafür eingesetzten Ausschuß eingehend und der einen Dolmetscher zur Amtshilfe zur Verfügung sorgfältig zu erörtern. Sie sieht es im Hinblick auf die stellte, in München über den Ankauf von 4 bis 11 kg Arbeit des Untersuchungsausschusses nicht als hilf- aus Moskau verhandelt wurde, knapp und präzise reich an, aus dem Zusammenhang des Untersu- ohne diesen Vorspruch hätte beantworten können. chungsauftrages herausgelöste Einzelfragen auch weiterhin im Plenum zu beantworten. Die Bundesre- Was diesen Vorspruch des Ministers betrifft, so gierung wird deshalb den Ältestenrat des Deutschen weise ich darauf hin: Allein die Einsetzung eines Un- Bundestages - in diesen Minuten tritt er zusammen - tersuchungsausschusses, in dem die Regierungs- mit diesen Fragen befassen und um entsprechende mehrheit durch ihre Vertagungs- und Beweisanträge Beratungen bitten. verhindert, daß konkrete Fragen, die die Außenpoli- tik der Bundesrepublik aktuell belasten, geklärt wer- Bei Ihrer Auffassung sieht sich die Bundesregie- den können, kann doch nicht dazu führen, daß das rung im Einklang mit einer Entscheidung des Verfas- Parlament aus aktuellen politischen Debatten ausge- sungsgerichtshofes des Landes Nordrhein-Westfalen schaltet wird. Deshalb lege ich Wert darauf, daß wir vom 4. Oktober 1993, der entschieden hat, daß die Abgeordnete nach Verfassung und Geschäftsord- Landesregierung Abgeordnete bei thematischer nung von unserem Recht Gebrauch machen können, Übereinstimmung ihrer Anfrage mit dem Untersu- die Bundesregierung jederzeit zu jedem Sachverhalt chungsauftrag eines unmittelbar bevorstehenden im Plenum zu befragen. Hier geht es um ein verfas- parlamentarischen Untersuchungsverfahrens unter sungsmäßiges Recht der Abgeordneten, das nicht Umständen auf die dort stattfindenden Aufklärungs- mit einer Regierungsmehrheit in einen Untersu- maßnahmen verweisen darf. Das Gericht hat seine chungsausschuß beiseitegeschoben werden kann. Entscheidung u. a. damit begründet, daß es im Inter- Dies vorangestellt, stelle ich meine erste Zusatz- esse der Sache liegen kann, eine Mehrzahl zusam- frage: Trifft es zu, daß der Chef des Bundeskanzler- mengehörender oder aus einem größeren Zusam- amtes, Sie, Herr Minister Bohl, der Sie informiert wa- menhang gelöste Einzelfragen im Zusammenhang zu ren, daß der Bundeskanzler wegen 6 g Plutoniums beantworten, weil auf diese Weise den Fragestellern einen persönlichen B rief an den russischen Präsiden- eher eine vollständige, die jewei lige Problematik er- ten geschrieben hatte mit der Bitte und der dringen- schöpfende Aufklärung zuteil werde. Der geeignete den Aufforderung, bei der Bekämpfung des illegalen Ort dafür sei das vom Parlament beschlossene Unter- Nuklearhandels zusammenzuarbeiten, nicht infor- suchungsverfahren. miert war und nichts unternommen hat, um den An- Die Bundesregierung wird ihre Informationspflich- kauf von bis zu 4 kg oder gar 11 kg Plutonium und ten gegenüber dem vom Deutschen Bundestag ein- den Transport von Moskau nach Deutschland mit gesetzten Untersuchungsausschuß voll erfüllen und Hilfe russischer Behörden zu unterbinden? Ja oder die von ihm zu leistende Arbeit nach besten Kräften nein? unterstützen. Dies wird nur durch erheblichen zeitin- tensiven, administrativen Aufwand möglich sein, der Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Bitte, Herr Mini- ohne zusätzliches Personal zu leisten ist. Auch dies ster. bitte ich im Hinblick auf künftige Fragen zu berück- sichtigen. Friedrich Bohl, Bundesminister für besondere Auf- Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Frage gaben: Herr Abgeordneter Gansel, die verfassungs- des Abgeordneten Gansel wie folgt: Über den illega- rechtlichen Obliegenheiten der Bundesregierung in len Nuklearhandel und die sich daraus ergebenden diesem Zusammenhang sind in der Tat vor dem Hin- Gefahren bin ich mehrfach in allgemeiner Weise un- tergrund des Urteils zu klären, das ich vorhin zitiert terrichtet worden. Über die Vorgänge und näheren habe. Darüber wird der Deutsche Bundestag bera- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 2975

Bundesminister Friedrich Bohl ten, und die Bundesregierung wird ihre Auffassung Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz- dazu mit einbringen. frage des Kollegen Neumann, bitte. Herr Kollege Gansel, ich habe nicht gesagt - leider ist es bei Ihnen häufiger so, daß Sie Aussagen nur se- Volker Neumann (Bramsche) (SPD): Herr Bundes- lektiv wahrnehmen -, daß die Bundesregierung Fra- minister, können Sie nach Ihrem heutigen Kenntnis- gen nicht beantwortet. Ich habe vielmehr genau be- stand bestätigen, was wir in der „Süddeutschen Zei- schrieben und die Conditiones dargelegt, die - von tung" vom heutigen Tage gelesen haben, dem Urteil des nordrhein-westfälischen Verfassungs- der Bundeskanzler sei über die Tatsache, daß sich gerichtshofes ausgehend - hier relev ant sein könn- etwas anbahne, informiert worden. Kohl wolle ten. Auch Sie werden doch der Auffassung sein, daß bei solchen Dingen keine Detailangaben über sich die Bundesregierung an Recht und Gesetz hal- Gewichte oder den exakten Zeitplan, sondern le- ten soll. Nicht mehr und nicht weniger habe ich ge- diglich die Tatsachen hören. sagt. Im übrigen erlaube ich mir den Hinweis, daß ich Friedrich Bohl, Bundesminister für besondere Auf- Ihre Frage, die Sie hier gestellt haben, konkret be- gaben: Herr Abgeordneter, diesen Artikel kann ich antwortet habe. Ich möchte Ihnen die Antwort gerne Ihnen nicht bestätigen. Im Gegenteil, ich kann ihn noch einmal in Erinnerung rufen. Ihre Frage habe dementieren, so wie ich das heute schon in meiner ich, unabhängig von dem Vorspann, der auf Grund Eigenschaft als Chef des Kanzleramtes in einer offi- der Sach- und Rechtslage, so glaube ich, geboten ziellen Mitteilung der Bundesregierung getan habe. war, wie folgt beantwortet: Über den illegalen Nuklearhandel und die sich Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz- daraus ergebenden Gefahren bin ich mehrfach in all- frage des Kollegen Beucher, bitte. gemeiner Weise unterrichtet worden. Über die Vor- gänge und näheren Umstände des Plutonium- Friedhelm Julius Beucher (SPD): Herr Kollege schmuggels in München bin ich erst am Wochen- Bohl, haben Sie von der Übergabe und dem Schein- ende des 12. auf den 13. August 1994 im Lichte der geschäft in München vor dem 10. August erfahren, ja im Bundeskanzleramt vorhandenen Informationen oder nein? unterrichtet worden. (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Können Sie nicht Ich kann Ihnen nur die Wahrheit sagen. -Ich kann zuhören, oder was?) Ihnen nicht das sagen, was Sie gerne hören möchten, sondern erfülle meine Pflicht zur Berichterstattung Friedrich Bohl, Bundesminister für besondere Auf- vor diesem Hohen Hause. gaben: Ich habe die Frage doch schon zweimal be- antwortet. Ich wiederhole sie gerne noch einmal: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine zweite Zu- Über die Vorgänge und näheren Umstände des Plu- satzfrage des Kollegen Gansel, bitte. toniumschmuggels in München bin ich erst am Wo- chenende des 12. auf den 13. August 1994 im Lichte der im Bundeskanzleramt vorhandenen Informatio- Norbert Gansel (SPD): Ich frage konkret und zuge- nen unterrichtet worden. spitzt: Ist Ihre Antwort so zu verstehen, daß Sie vor dem Wochenende am 12., 13. August keinerlei Infor- Aber ich bin gerne bereit, diese Frage auch noch mation darüber erhalten haben, daß - nach dem Zu- ein viertes Mal gleichlautend zu beantworten. fallsfund von 6 g Plutonium in Tengen und dem per- (Heiterkeit des Abg. Ulrich Heinrich sönlichen Brief des Bundeskanzlers an den russi- [F.D.P.]) schen Präsidenten - in München inzwischen über den Ankauf einer sehr viel größeren Menge Plutoni- ums verhandelt wurde, ausreichend, um eine Atom- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz- bombe zu produzieren? frage, bitte.

Erika Simm (SPD): Herr Minister, können Sie mir Friedrich Bohl, Bundesminister für besondere Auf- Ihre Antwort dahin gehend präzisieren, ob bei Ihren gaben: Ich muß gestehen, daß mir der neuere Sinn Ihrer Frage auf Grund der vielen Relativsätze und Informationen, daß da etwas am Laufen ist, der Ort München genannt worden ist? Einfügungen nicht hinreichend klar ist. Insofern ver- weise ich auf meine Antwort: Über den illegalen Nu- klearhandel und die sich daraus ergebenden Gefah- Friedrich Bohl, Bundesminister für besondere Auf- ren bin ich mehrfach in allgemeiner Weise unterrich- gaben: Nein, das kann ich Ihnen nicht bestätigen. tet worden. Über die Vorgänge und näheren Um- stände des Plutoniumschmuggels in München bin Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz- ich erst am Wochenende des 12. auf den 13. August frage des Kollegen Such. 1994 im Lichte der im Bundeskanzleramt vorhande- nen Informationen unterrichtet worden. Manfred Such (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr (Norbert Gansel [SPD]: Wir haben verstan Minister, sind Sie der Auffassung, daß die Dienste, den!) die mit diesem Sachverhalt beschäftigt waren, richtig 2976 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 Manfred Such gehandelt haben, Sie oder den Bundeskanzler nicht Friedrich Bohl, Bundesminister für besondere Auf- rechtzeitig zu informieren, wenn sie Hinweise hat- gaben: Ich glaube, daß die Frage für sich spricht. ten, daß bis zu 11 kg vagabundierendes Plutonium in der Bundesrepublik oder in den Nachbarstaaten der Die Bundesregierung geht davon aus, daß die zu- Bundesrepublik vorhanden waren? ständigen Staatsanwaltschaften in Deutschland im- mer all das, was öffentlich bekannt wird, daraufhin überprüfen, ob es zur Einleitung eines Ermittlungs- Friedrich Bohl, Bundesminister für besondere Auf- verfahrens Anlaß gibt. Insofern ist es nicht Aufgabe gaben: Herr Kollege Such, die Informationspflicht der Bundesregierung, der zuständigen Staatsanwalt- gegenüber dem Bundeskanzler ist jederzeit erfüllt schaft ergänzende Hinweise zu geben. Das wird die worden. zuständige Staatsanwaltschaft in eigener Verantwor- tung tun müssen. Zu dem was Sie in bezug auf den anderen Teil- aspekt Ihrer Frage unterstellen, kann ich nur sagen: Ich habe nicht die Absicht, im Rahmen der Frage- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz- stunde politische Bewertungen vorzunehmen. Wir frage des Kollegen Brecht. haben einen Untersuchungsausschuß. Der Untersu- chungsausschuß mag mit seiner Arbeit beginnen und einen Bericht vorlegen. Dann werden wir sicher- Dr. Eberhard Brecht (SPD): Herr Staatsminister, ich lich über den Bericht, so wie ich Sie von früheren Ak- möchte Sie nach Ihrer etwas blumigen Aussage, die tivitäten her gut kenne, in diesem Hause streiten. Die Sie uns mehrfach vorgelesen haben, noch einmal be- deutsche Öffentlichkeit mag sich dann ein Urteil bil- fragen. Sie unterschieden zwischen der mehrfachen den. allgemeinen Informa tion vor dem Wochenende 12./ 13. und den näheren Informationen. Können Sie Ich glaube nicht, daß es förderlich und dienlich ist, denn diesen Unterschied ein wenig qualifizieren? vor der Aufnahme der Arbeit des Untersuchungsaus- schusses diese einseitigen Urteile vorzunehmen, wie Friedrich Bohl, Bundesminister für besondere Auf- Sie es ja auch getan haben, indem Sie die Sitzung gaben: Da wir beide, glaube ich, der deutschen Spra- der Parlamentarischen Kontrollkommission verlassen che mächtig sind und sie unsere Muttersprache ist, haben, vor die Presse gegangen sind und Erklärun- erlaube ich mir, meine Antwort doch noch einmal gen abgegeben haben, bevor Sie überhaupt den Be- vorzulesen, richt der Bundesregierung zur Kenntnis genommen haben. Vor diesem Hintergrund habe ich überhaupt- (Lachen bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ Zweifel, ob Erklärungen und Darlegungen der Bun- DIE GRÜNEN) desregierung Sie in Ihrem vorgefaßten Urteil grund- sätzlich erschüttern können. die Ihnen ohne Zweifel diese Differenzierung gestat- tet: Über den i llegalen - -

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz- (Horst Kubatschka [SPD]: Er kriegt den gro frage des Kollegen Marschewski. ßen Verschleierungsorden!) (Abg. Manfred Such [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer weiteren Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich meine ei- Zusatzfrage) gentlich, daß ein fünfmal vorgelesener Satz nicht noch einmal vorgelesen gehört, da wir doch alle hö- Wer selbst keine Frage gestellt hat, darf leider nur ren können. eine Zusatzfrage stellen. (Zuruf von der CDU/CSU: Aber sie fragen immer danach!) Erwin Marschewski (CDU/CSU): Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. Ich werde auch nur eine Frage stel- len. Friedrich Bohl, Bundesminister für besondere Auf- gaben: Frau Präsidentin, ich habe das Wort. Es ist selbstverständlich, daß eine Präsidentin im Stuhl Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Nein, das war nicht kritisiert wird, an den anderen Kollegen gerichtet. (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Auch nicht von der Regierung!) Erwin Marschewski (CDU/CSU): Ist Ihnen be- kannt, Herr Minister, daß der Bericht der „Süddeut- aber ich möchte eigentlich doch die Antwort geben, schen Zeitung" von heute Zitate aus dem Protokoll die ich nach bestem Wissen und Gewissen im Auf- der Sitzung der PKK enthält, und ist es richtig, daß, trag der Bundesregierung abgeben müßte. wenn dies der Fall ist, der § 353b des Strafgesetzbu- ches durch die Kollegen verletzt worden ist, die dies Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Dann erteile ich dann gesagt haben müssen? Wäre es dann richtig, Ihnen dazu das Wort. daß die Staatsanwaltschaft von sich aus ein Ermitt- lungsverfahren einleitet? Friedrich Bohl, Bundesminister für besondere Auf- (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Das ist ja uner gaben: Wenn Sie nicht möchten, daß ich antworte, hört!) Frau Präsidentin, werde ich gerne darauf verzichten. Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 2977

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich erteile Ihnen merkung auch auf die Fragen meines Kollegen und gerne das Wort. auf meine Fragen bezogen haben. Dieser Untersuchungsausschuß hat nach meiner Friedrich Bohl, Bundesminister für besondere Auf- Kenntnis mit der Verfahrensmehrheit verhindert, daß gaben: Danke, Frau Präsidentin. eine Vernehmung der unmittelbar be troffenen Mit- Meine Antwort lautet: Über den i llegalen Nuklear- glieder der Bundesregierung zeitnah erfolgen kann, handel und die sich daraus ergebenden Gefahren und mit der Verfahrensmehrheit beschlossen, zu- bin ich mehrfach in allgemeiner Weise unterrichtet nächst andere Dinge, die zwar auch, aber nicht so worden. Über die Vorgänge und näheren Umstände vordergründig von Interesse sind, abzuhandeln, und des Plutoniumschmuggels in München bin ich erst - damit der Regierung Gelegenheit gegeben, sich auf also nicht vorher, sondern erst - am Wochenende des die weiteren Untersuchungen des Untersuchungs- 12. auf den 13. August 1994 im Lichte der im Bundes- ausschusses in der ihr angemessenen Weise vorzube- kanzleramt vorhandenen Informationen unterrichtet reiten. Aus diesem Grunde möchte ich als Abgeord- worden. neter mein Recht in der Fragestunde wahrnehmen und die Fragen stellen, die notwendig sind, und zwar (Horst Kubatschka [SPD]: Jetzt kann er es so lange, bis der Untersuchungsausschuß in der Lage bald auswendig!) ist, die Fragen an Sie zu stellen. (Beifall des Abg. Norbe rt Gansel [SPD]) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz- frage, bitte. Meine Zusatzfrage lautet: Ist an „Robe rto", den V- Mann des Bundeskriminalamtes, direkt oder indirekt Honorar über den BND gezahlt worden? Annette Faße (SPD): In der Hoffnung, daß ich Sie jetzt zu einer anderen Antwort bewege: Herr Mini- ster, haben Sie vor dem 10. August Informationen Friedrich Bohl, Bundesminister für besondere Auf- darüber gehabt, daß in Deutschland weitere Ver- gaben: Herr Abgeordneter, zu Ihrer Vorbemerkung handlungen geführt werden, um den Plutoniumhan- darf ich darauf hinweisen, daß ich Ihnen geantwortet del zu forcieren? habe, daß ich vor dem Wochenende des 12. auf den 13. August keine Kenntnis gehabt habe. Ich weiß nicht, warum Sie nicht bereit sind, eine klare Ant- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Bundesmi- nister, bitte. wort auch zur Kenntnis zu nehmen. Wenn diese Min- destvoraussetzung nicht gegeben ist, dann weiß ich auch gar nicht, was Fragen und Antworten in der Friedrich Bohl, Bundesminister für besondere Auf- Fragestunde wert sind. gaben: Ich glaube, aus meiner Antwort wird eindeu- tig klar, daß das nicht der Fall ist. Ich darf noch einmal auf die Erklärung der Bundes- regierung, die ich heute abgegeben habe, verweisen, (Zuruf von der SPD: Das ist im dunkeln!) daß der Bericht in der „Süddeutschen Zeitung" un- zutreffend ist. Sie müßten so etwas doch zumindest Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Weitere Zusatz- zur Kenntnis nehmen. Es macht aus meiner Sicht der fragen zu Frage 35 liegen nicht vor. Dinge wenig Sinn, solche klaren Aussagen in der Öf- fentlichkeit einfach zu bestreiten. Wir werden aber Ich rufe Frage 36 des Abgeordneten Volker Neu- sicherlich auch als Regierung Gelegenheit nehmen, mann (Bramsche) auf: diesen Sachverhalt in den nächsten Tagen deutlicher Welche Kontakte hatte der BND zu dem V-Mann des BKA na- zu machen und den in der Medienlandschaft bisher mens „Roberto" vor und nach dem 9. Juni 1994, dem Tag, an erweckten Eindruck zu korrigieren. dem im Madrider Hotel ,,Novotel" der Plutoniumschmuggel nach Deutschland verabredet worden ist? Was Ihre Frage angeht, bitte ich Sie wirklich um Bitte, Herr Bundesminister. Verständnis. Es war in diesem Hohen Hause immer so - das- muß auch bei dieser Frage so bleiben -, daß wir über Personen, die nachrichtendienstlich tätig Friedrich Bohl, Bundesminister für besondere Auf- sind, und Umstände, die damit zusammenhängen, gaben: Ich erlaube mir, noch einmal auf den Vor- nicht im Plenum des Bundestages Auskunft geben, spann zu verweisen, der auch meiner Antwort auf sondern in der Parlamentarischen Kontrollkommis- die Frage des Kollegen Gansel voranging. sion und in diesem Falle natürlich vor dem Untersu- Ich ergänze jetzt: Über Kontakte des BND zu Per- chungsausschuß, der über die Frage der Geheimhal- sonen, die für ihn nachrichtendienstlich tätig sind, tung und des Schutzes berechtigter Interessen Drit- gibt die Bundesregierung grundsätzlich keine öffent- ter in eigener Verantwortung zu entscheiden haben liche Auskunft. Sie wird aber diese Frage, Herr Kol- wird. lege Neumann, die bereits in der Parlamentarischen Kontrollkommission in ähnlicher Weise gestellt und Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine weitere Zu- beantwortet wurde, vor dem Untersuchungsaus- satzfrage, bitte, Herr Neumann. schuß erschöpfend beantworten. Volker Neumann (Bramsche) (SPD): Herr Bohl, ich Volker Neumann (Bramsche) (SPD): Auch ich er- hätte diese Frage in Kenntnis der Haltung der Bun- laube mir eine Vorbemerkung, weil Sie Ihre Vorbe- desregierung und jeder Bundesregierung zum 2978 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 Volker Neumann (Bramsche) Thema BND auch nicht gestellt, wenn nicht die Bun- bekommen, daß zur gleichen Zeit, in der wir hier Fra- desregierung ihrerseits erklärt hätte, daß sie offen gen zu diesem Sachverhalt behandeln, die vorhin an- und öffentlich in diesem speziellen Fall die Hinter- gesprochene Grundsatzfrage im Ältestenrat themati- gründe aufklären wolle. Ich bitte daher um Verständ- siert worden ist, insbesondere die Vorbemerkung, nis für die Frage, die ich wiederhole und die Sie glei- die Herr Minister Bohl gemacht hat. Der Ältestenrat chermaßen beantworten können: Sind direkt oder in- hat beschlossen, da im Augenblick in der Sache kein direkt Zahlungen des BND an ,,Roberto" gegangen? Einvernehmen herzustellen war, diese Frage an den 1. Ausschuß, an den Geschäftsordnungsausschuß, zu überweisen. Friedrich Bohl, Bundesminister für besondere Auf- gaben: Herr Kollege, diese Frage werde ich nicht vor (Zuruf von der SPD: Sehr weise!) dem Deutschen Bundestag in der Öffentlichkeit be- antworten. Die Bundesregierung wird sie vor dem Das heißt, die Frage, ob zur gleichen Zeit, in der Untersuchungsausschuß gerne beantworten. ein Untersuchungsausschuß läuft, zum Untersu- chungsgegenstand dieses Ausschusses im Bundes- tag Fragen gestellt werden können, ist damit für uns Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz- jetzt offen. Damit haben Sie sich, Herr Minister, die- frage des Kollegen Gansel. ser offenen Frage entsprechend korrekt verhalten; auch die Kollegen, die gefragt haben, haben sich die- Norbert Gansel (SPD): Herr Minister Bohl, wenn es ser Offenheit entsprechend korrekt verhalten. Es so war, warum erklären Sie dann nicht einfach vor wird also erst noch entschieden werden, ob das so dem Bundestag: Ich habe nichts von dem gewußt, geht oder nicht. was sich in München über den Ankauf von 4 kg Plu- Ich habe jetzt noch eine Zusatzfrage, die ich im tonium vollzog, obwohl ich das hätte wissen müssen, Lichte dieser Situa tion zulasse. Es steht Ihnen dann um dem Bundeskanzler zu sagen, er müsse nach frei, Herr Minister, im Rahmen dieser offenen Frage dem Brief vom 19. Juli sofort dem russischen Präsi- zu antworten. denten schreiben und ihn um Mithilfe bei der Ver- hinderung des Plutoniumtransports bitten? Warum Bitte. sagen Sie das nicht einfach und geben zu, daß es eine schlimme Panne war, wenn es denn so war? Annette Faße (SPD): Herr Minister, haben Sie im Zuge der Erkenntnisse über den 11. und 12. August Friedrich Bohl, Bundesminister für besondere Auf- auch Kenntnis darüber erhalten, welche Personen zu gaben: Herr Kollege Gansel, Ihre Frage macht ja welchem Zeitpunkt in dieses Thema involvie rt gewe- deutlich, daß Ihnen nicht an meiner Antwort, die lau- sen sind? Ich frage dabei nicht nach Namen, sondern tet, daß ich es nicht gewußt habe, gelegen ist, son- möchte nur wissen, ob Sie damals Kenntnis erhalten dern daß es Ihnen um ein politisches Werturteil geht, haben, welche Personen in welchem Bereich betrof- das ich Ihnen nicht nehmen kann und, wie ich Sie fen sind. aus früheren Untersuchungsausschüssen kenne, auch nicht nehmen werde. Dennoch ist das, was Sie Friedrich Bohl, Bundesminister für besondere Auf- sagen, nicht die Wahrheit, sondern das, was ich sage. gaben: Frau Kollegin, deshalb habe ich die Ergän- Deshalb sehe ich auch der öffentlichen Auseinander- zung vorgenommen, indem ich gesagt habe: im setzung über diesen Sachverhalt mit großer Gelas- Lichte der Erkenntnisse des Kanzleramtes. Das Bun- senheit und Ruhe entgegen. deskanzleramt war nicht die ermittelnde Behörde. Der gesamte Vorgang oblag der zuständigen Polizei- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz- behörde in München. Ich habe nur das erfahren, was frage des Kollegen Such. zu jenem Zeitpunkt auch das Bundeskanzleramt wußte. Der Umfang der Kenntnis des Bundeskanzler- amtes am 12. und 13. August ist in Akten festgehal- Manfred Such (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr ten. Darüber geben wir vor dem Untersuchungsaus- Minister Bohl, nachdem Sie die Fragen hier so beant- schuß gerne Auskunft. wortet haben, wie wir es vernehmen konnten, und sich dabei insbesondere in Verdächtigungen und persönlichen Schuldzuweisungen ergingen, was Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich rufe Frage 37 meine Person angeht, habe ich an Sie die Frage: Sind des Kollegen Volker Neumann (Bramsche) auf: Sie der Auffassung, daß eine weitere Befragung der Wen hat Staatsminister Bernd Schmidbauer in seinem Inter- Bundesregierung in dieser Sache zwecklos ist? view vom 24. Juli 1994 im Süddeutschen Rundfunk auf die Frage nach weiteren Spuren im Plutoniumschmuggel gemeint, als er (Heiterkeit bei der SPD) darauf hinwies, daß nicht nur Russen oder Bürger der ehemali- gen Sowjetunion beteiligt sind, sondern auch andere Nationali- täten bis hin zu Deutschen? Friedrich Bohl, Bundesminister für besondere Auf- gaben: Ich habe nicht die Absicht, Ihre persönliche Friedrich Bohl, Bundesminister für besondere Auf- Meinungsbildung zu beeinflussen. Ich überlasse das gaben: Herr Kollege Neum ann, wiederum mit dem ganz Ihrer Person. Vorspann gebe ich Ihnen zur Antwort: Die Aussage von Staatsminister Schmidbauer in seinem Interview Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Liebe Kollegin- mit dem Süddeutschen Rundfunk zu weiteren Spu- nen und Kollegen, ich habe soeben die Informa tion ren bezog sich auf das in Baden-Württemberg an- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 2979

Bundesminister Friedrich Bohl hängige Verfahren zum Fall Tengen. Die Parlamenta- wann eine solche Frage im Juli 1994 an die Bundes- rische Kontrollkommission wurde als das dafür zu- regierung gestellt worden ist? ständige Gremium des Deutschen Bundestages über die dazu aus dem nachrichtendienstlichen Bereich vorliegenden Erkenntnisse unterrichtet. Friedrich Bohl, Bundesminister für besondere Auf- gaben: Ich bitte Sie um Nachsicht. Eine solche Frage Im übrigen gilt auch für den Tengener Plutonium insinuiert ja, daß es eine solche Anfrage oder Mittei- fall, daß die Bundesregierung dem Untersuchungs- lung überhaupt gegeben hat. Nach meiner Kenntnis, ausschuß dazu umfassend Auskunft erteilen wird. wenn ich mich richtig erinnere, ist dieses Thema in der PKK schon behandelt worden. Ich sage noch ein- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz- mal: Im Untersuchungsausschuß können wir dazu frage des Kollegen Neumann, bitte. gerne Stellung nehmen.

Volker Neumann (Bramsche) (SPD): Natürlich wäre Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz- es einfacher gewesen, wenn Herr Schmidbauer - da frage des Kollegen Gansel. ich nach seiner Meinung gefragt habe - selbst geant- wortet hätte. Ich nehme aber natürlich zur Kenntnis, daß Sie, Herr Bohl, für ihn sprechen. Norbert Gansel (SPD): Herr Bohl, können Sie aus- schließen, daß Staatsminister Schmidbauer oder eine Ich habe eine Zusatzfrage, die Sie hoffentlich be- andere Person im Bundeskanzleramt nicht davon in- antworten können. Was hat Herr Schmidbauer zum formiert war, daß wenige Tage nach dem B rief des Anlaß genommen zu sagen, Deutschland biete sich Bundeskanzlers an den russischen Präsidenten oder als gute Drehscheibe an? An diesem Tag konnte er möglicherweise sogar zeitgleich der Bundesnach- von dem Plutoniumschmuggel doch noch gar nichts richtendienst einen Dolmetscher in Amtshilfe für die wissen. Scheinverhandlungen in München zum Ankauf von 4 bis 11 kg Plutonium zur Verfügung stellte? Friedrich Bohl, Bundesminister für besondere Auf- gaben: Herr Kollege Neumann, Sie wissen doch wie Wenn Sie das ausschließen können: Wie beurteilen ich, daß die Frage des illegalen Nuklearhandels in Sie dann die erheblichen Informationsdefizite, die es der deutschen Öffentlichkeit mehrfach thematisiert im Bundeskanzleramt in einer Angelegenheit gege- wurde. ben hat, die von großer außen- und sicherheitspoliti- - scher Bedeutung für die Bundesrepublik ist? (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Dreihun dertmal!) Friedrich Bohl, Bundesminister für besondere Auf- Im „Spiegel" vom 18. Juli 1994 heißt es: „Fund 13 - gaben: Herr Kollege Gansel, diese Fragen sind - Alarmstufe rot". Im „Expreß" vom 18. Oktober 1992 wenn ich richtig informiert bin, auch in Ihrer Anwe- hat der Kollege Penner, den wir alle wegen seiner senheit - in der PKK schon mehrfach erörtert worden. Sachkenntnis in Fragen der inneren Sicherheit sehr schätzen, nach dem Motto „Atomschmuggel - Kohl (Norbert Gansel [SPD]: Das steht unter Ge muß handeln" auf die besondere Thematik und Bri- heimhaltung! Da können Sie nicht spekulie sanz hingewiesen. Daß Herr Kollege Schmidbauer ren, und ich tue es auch nicht! Halten Sie die Sache vor diesem Hintergrund und vor dem Hin- sich damit zurück!) tergrund des Tengener Falls thematisiert hat, scheint mir naheliegend und auch richtig zu sein. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Liebe Kollegen, ich bitte Sie, nach Möglichkeit nur eine Frage zu stel- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz- len und nicht eine Debatte zu entfalten. frage des Kollegen Neumann. (Norbert Gansel [SPD]: Ich wollte den Mini Volker Neumann (Bramsche) (SPD): Ist an die Bun- ster nur von einer Straftat zurückhalten!) desregierung vom BND eine Frage gestellt worden, wieviel Geld der Bundesregierung Hinweise auf Nu- Friedrich Bohl, Bundesminister für besondere Auf- klearschmuggel wert sind? gaben: Sie brauchen mich nicht zu belehren, Herr Kollege Gansel. Ich kenne Recht und Gesetz, und ge- Friedrich Bohl, Bundesminister für besondere Auf- rade weil ich sie kenne, antworte ich so, wie ich ant- gaben: Herr Kollege Neumann, auch in diesem worte. Die Schlußfolgerung, die Sie in Ihren Zusatz- Punkt bitte ich Sie um Verständnis, daß ich solche fragen ziehen, zeigt mir, daß Sie die gleiche Achtung Fragen nicht in der Öffentlichkeit beantworten von Recht und Gesetz manchmal vermissen lassen. möchte. Wir werden vor dem Untersuchungsausschuß diese Fragen umfassend erörtern und unsere Kennt- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz- nisse darlegen. Es wird Ihnen nicht gelingen, Herr frage, bitte, Herr Neumann. Kollege Gansel, in dieser Sache dem Bundeskanzler- amt, dem Bundeskanzler und dem Chef des Bundes- Volker Neumann (Bramsche) (SPD): Darf ich dann kanzleramtes etwas in die Schuhe zu schieben, was auch annehmen, daß Sie nicht beantworten wollen, es objektiv nicht gegeben hat. 2980 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Bundesminister Friedrich Bohl Das Bundeskanzleramt, der Chef des Bundeskanz- Bitte, Herr Staatsminister. leramtes und der Bundeskanzler haben sich in dieser Sache absolut korrekt verhalten. Selbst wenn Sie den Staatsminister im Auswärtigen Untersuchungsausschuß zwei Jahre lang am Leben Helmut Schäfer, Amt: Das Auswärtige Amt hat keine Kenntnis über halten wollen, wird es Ihnen nicht gelingen, auch nur Bau eines mit Hilfe der Firma Lufthansa/Tarom- ein Fünkchen oder eine Spur von Verdacht auf die den Services konzipierten Abschiebegefängnis- handelnden Personen im Kanzleramt zu lenken. Airport ses auf dem Bukarester Flughafen.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz- Abgesehen vom Bau einer Wartungshalle für frage des Kollegen Marschewski. Flugzeuge wurde von dem genannten Unternehmen LuTaS in letzter Zeit auf dem Bukarester Flughafen (Norbert Gansel [SPD]: Ich habe eine Frage kein Gebäude errichtet. Auch bei Lufthansa Köln an die Präsidentin! - Gegenruf des Abg. Ul und bei der genannten Firma Lufthansa/Tarom-Air- rich Heinrich [F.D.P.]: Was ist denn das für port Services war über ein solches Projekt nichts be- eine Auslegung der Geschäftsordnung!) kannt. Folglich konnte auch nichts über irgendeine - Ich bin nicht Gegenstand der Fragestunde. Jetzt Förderung seitens Deutschlands in Erfahrung ge- behandeln wir erst die aufgerufene Frage. bracht werden.

Erwin Marschewski (CDU/CSU): Herr Bundesmini- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Zusatzfrage des ster, können Sie mir sagen, wieviel Proliferationsver- Abgeordneten Such, bitte. dachtsfälle es z. B. im Jahre 1994 in Deutschland ge- geben hat? Ist in all diesen vielen Fä llen das Bundes- (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr kanzleramt vor einem polizeilichen Zugriff - jedwe- Manfred Such Staatsminister, in wie vielen Fällen und aus welchen der Polizei in Deutschland - über Einzelheiten stets Gründen sind nach Kenntnis der Bundesregierung informiert worden? Menschen, die von Deutschland nach Rumänien zu- (Manfred Such [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ rückgeschoben wurden, in dem Gefängnis auf dem NEN]: Sie müssen jetzt erst die Vorbemer Bukarester Flughafen inhaftiert worden? kung vorlesen!) Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen Friedrich Bohl, Bundesminister für besondere- Auf- Amt: Herr Kollege, ich habe Ihnen gerade gesagt, gaben: Herr Kollege Such, ich brauche dazu keine daß über den Bau eines Gefängnisses, nach dem Sie Vorbemerkung, sondern es ist hier die Frage nach hier gefragt haben, der Bundesregierung nichts be- den allgemeinen Gefahren des Nuklearhandels ge- kannt ist. Insofern kann ich Ihnen auch nicht die stellt worden und nicht eine Frage, die sich speziell Frage beantworten, die Sie jetzt anhängen und die auf den Plutoniumschmuggel in München bezogen eigentlich bestenfalls die Innenbehörden betreffen hat. könnte, nämlich ob in ein solches Gefängnis Ab- schiebehäftlinge aufgenommen worden sind. Ich Was die Fragen des illegalen Nuklearhandels an- geht, kann ich Ihnen aus dem Handgelenk nicht be- bitte also, hier den Zusammenhang zu wahren. antworten, wie viele Fälle lin Jahre 1994 relevant wa- Es ist uns allerdings heute eine Mitteilung aus Bu- ren. Nach meiner Erinnerung ist für die letzten drei karest bekanntgeworden, daß die rumänische Seite bis vier Jahre eine Größenordnung von 200 bis angeblich den Bau eines Gebäudes mit Abschiebe- 300 Fällen zu nennen. Das bedeutet, daß in der Tat zellen im Flughafenbereich plane. Aber Einzelheiten die Information nicht in jedem Fall bis ins Bundes- über diesen Pl an, vor allem über eine angebliche kanzleramt gedrungen ist. deutsche Beteiligung an der Finanzierung, sind uns nicht bekannt. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es gibt keine weiteren Zusatzfragen zu diesem Punkt. Ich bedanke Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Keine weiteren mich bei Ihnen, Herr Bundesminister Bohl. Zusatzfragen. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärti- Dann rufe ich die Frage 40 des Abgeordneten Such gen Amtes. Zur Beantwortung ist Herr Staatsminister auf: Schäfer erschienen. Inwieweit treffen Pressemitteilungen zu (Frankfu rter Rund- Es ist um schriftliche Beantwortung der Frage 38 schau vom 28. April 1995, indonesische Tageszeitung MERDE der Abgeordneten Elke Leonhard gebeten worden. KA vom 29. April 1995), wonach drei indonesische Polizisten - Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. zunächst vergeblich - ein Einreisevisum nach Deutschland be- antragt haben sollen, um hier Plakate, Flugblätter und Fotos be- Wir kommen damit zur Frage 39 des Abgeordneten züglich der Proteste gegen den Suharto-Besuch sicherzustellen, Manfred Such: sodann mit vorgeschützten anderen Einreisegründen nochmals gescheitert seien und wonach die deutsche Botschaft in Jakarta Haben die Bundesregierung oder - nach ihrer Kenntnis - ein- anschließend Koordinierungsgespräche mit der indonesischen zelne Bundesländer den Bau eines mit Hilfe der Firma „Luft- Seite aufgenommen haben soll, um eine Einreise doch noch zu hansa/Tarom-Airport Services" (LuTaS) konzipierten Abschie- ermöglichen, und welche Erkenntnisse hat die Bundesregie- begefängnisses auf dem Bukarester Flughafen Otopeni (Frank- rung, ob indonesische Polizisten oder Geheimdienstmitarbeiter furter Rundschau vom 5. Mai 1995) in irgendeiner Weise geför- inzwischen doch zu Ermittlungszwecken nach Deutschland ein- dert bzw. fördern lassen, und falls ja, wodurch genau? gereist sind? Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 2981

Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen Manfred Such (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Amt: Herr Kollege, es ist zutreffend, daß die Sichtver- Staatsminister, ich frage Sie in diesem Zusammen- merksanträge von drei indonesischen Polizeibeam- hang: Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit zwi- ten, die mit Ermittlungen zu den Demonstrationen schen deutschen und indonesischen Sicherheitsbe- am Rande des Suharto-Besuchs in Deutschland be- hörden, also der Polizei und den Geheimdiensten, auftragt waren, abgelehnt worden sind. Es ist dem vor und nach dem Suharto-Besuch im einzelnen? Auswärtigen Amt nicht bekannt, ob sie Beweismittel wie z. B. Plakate im Zusammenhang mit den Demon- strationen am Rande des Besuches des indonesi- Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen schen Staatspräsidenten in Deutschland sicherstellen Amt: Herr Kollege, jetzt berühren Sie wirklich - Frau sollten. Präsidentin, ich muß darauf hinweisen - Bereiche, die mit dem Auswärtigen Amt nichts mehr zu tun ha- Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Be- ben. Fragen bezüglich der Zusammenarbeit von Ge- antwortung Ihrer Frage in der vorletzten Frage- heimdiensten gehören, wie Sie aus den vorherigen stunde am 11. Mai: Das Ersuchen der indonesischen Fragen ja erkennen konnten, nicht unbedingt zum Polizei auf Überlassung von Beweismitteln wurde ab- Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Dazu ge- gelehnt. Die deutsche Botschaft in Jakarta hat auch hört ebenfalls nicht irgendeine Zusammenarbeit zwi- keinerlei Gespräche mit dem Ziel aufgenommen, den schen der Polizei hier und der Polizei dort bei Staats- abgelehnten Sichtvermerksbewerbern dennoch eine besuchen. Das ist nicht unsere Aufgabe. Einreise zu ermöglichen. Es ist der Bundesregierung nicht bekannt, ob indonesische Polizeibeamte oder Ich wäre also dankbar, wenn Sie die Frage an die Angehörige des indonesischen Sicherheitsdienstes entsprechenden Ressorts richten. inzwischen doch zu Ermittlungszwecken nach Deutschland eingereist sind. Es wurden jedenfalls keine Sichtvermerke für diesen Zweck ausgestellt. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Wir kommen jetzt zur Frage 41 des Abgeordneten Dr. Eberhard Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Zusatzfrage des Brecht: Kollegen Such. Welche freiwilligen Beitrage hat die Bundesregierung zur Un- terstützung des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehema- Manfred Such (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): lige Jugoslawien bzw. des Internationalen Kriegsverbrechertri- Selbst angesichts der Tatsache, daß Sie, Herr Staats- bunals für Ruanda bisher gezahlt, und welche Beiträge wurden minister, das alles verneinen, möchte ich die Frage von den EU-Partnern im Vergleich dazu entrichtet? stellen: Sieht die Bundesregierung insbesondere nach diesen Vorkommnissen noch irgendeine Grund- lage dafür, das seit Anfang der 80er Jahre be- Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen stehende Abkommen mit der indonesischen Natio- Amt: Herr Kollege Brecht, Deutschland beteiligt sich nalpolizei über Ausbildungs- und Ausstattungshilfe 1995 als drittgrößter Beitragszahler der Vereinten fortzuführen, oder teilt die Bundesregierung meine Nationen mit 8,94 % an der Finanzierung des Inter- Auffassung, daß es mit den hierfür bislang aufge- nationalen Strafgerichtshofes für das ehemalige Ju- wendeten rund 2,5 Millionen DM sein Bewenden ha- goslawien und des Internationalen Kriegsverbre- ben sollte und daß das Abkommen storniert werden chertribunals für Ruanda. Die Bundesregierung hat sollte? bisher keine freiwilligen Zahlungen geleistet, da sich Deutschland bereits in dem genannten Umfang an der Sicherstellung der Finanzierung beider Institutio- Staatsminister im Auswärtigen Helmut Schäfer, nen beteiligt. Der Bundeshaushalt sieht keine Titel Amt: Herr Kollege, ich glaube nicht, daß m an aus der für freiwillige Leistungen an beide Gerichtshöfe vor. Tatsache, daß wir auf ausdrückliche Weisung des Die Bundesregierung prüft derzeit, ob den Vereinten Auswärtigen Amtes in unserer Botschaft in Jakarta Nationen die Übernahme der Kosten für die Entsen- die Erteilung von Visa für drei indonesische Polizei- dung eines deutschen Experten zum Internationalen beamte abgelehnt haben, Schlüsse ziehen kann, daß Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien aus wir in Zukunft die Zusammenarbeit mit Indonesien dem Einzelplan 05 angeboten werden kann. völlig einstellen werden. Ich kann Ihnen aus meiner Erfahrung nur sagen, daß wir ganz generell bei einer Nach derzeitigem Kenntnisstand wurden von den solchen Zusammenarbeit mit vielen Staaten der Welt EU-Partnern bis zum 14. Februar 1995 folgende frei- eigentlich um eine Schulung solcher Personen in willige Beiträge zur Finanzierung dieses Gerichtsho- Richtung hin auf ein demokratisches Verständnis fes geleistet: Irland: 21 768 US-Dollar, Italien: und auf ein unseren Rechtsnormen entsprechendes 1 898 049 US-Dollar, Spanien: 13 725 US-Dollar. Zu- Verhalten bemüht sind und sie deswegen mit der Zu- sätzlich haben folgende EU-Partner die kostenlose stimmung des Auswärtigen Ausschusses durchge- Entsendung von Personal angeboten: Dänemark, führt haben. Wenn wir der Auffassung sind, es lohne Großbritannien, Schweden und die Niederlande. Zur sich nicht mehr, wird eine entsprechende Entschei- Finanzierung des Internationalen Kriegsverbrecher- dung auch mit Ihren Stimmen im Ausschuß zu treffen tribunals für Ruanda ist der Bundesregierung nach sein. derzeitigem Kenntnisstand lediglich bekannt, daß die Niederlande, die ja Sitzland dieses Gerichtshofes Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Zusatzfrage? - sind, angeboten haben, einen Be trag in Höhe von Bitte. 1 Million US-Dollar zur Verfügung zu stellen. 2982 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ihre erste Zu- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz- satzfrage, bitte. frage des Abgeordneten Graf von Waldburg-Zeil.

Dr. Eberhard Brecht (SPD): Frau Präsidentin, ge- Alois Graf von Waldburg-Zeil (CDU/CSU): Herr statten Sie mir, eine Entschuldigung voranzustellen: Staatsminister, da wir drittgrößter Beitragszahler Ich habe vorhin Herrn Bundesminister Bohl mit sind: Wird die Bundesregierung ihr Interesse daran Staatsminister betitelt. Ich möchte das hiermit zu- zeigen, daß bei Kriegsverbrecherprozessen etwa in rücknehmen. Sie hatten vorhin bei Ihren Antworten bezug auf Ruanda alle auf beiden Seiten begange- einen so staatstragenden Eindruck gemacht, daß ich nen Kriegsverbrechen in Betracht gezogen werden? zu diesem Fauxpas bewogen wurde. Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen Ich möchte Herrn Staatsminister Schäfer jetzt fra- Amt: Herr Kollege, nicht nur für Ruanda sind wir die- gen: Glauben Sie, daß Deutschland bei seinen frei- ser Auffassung, sondern das gilt auch für die Kriegs- willigen Leistungen abzüglich der Aufwendungen, verbrecherverhandlungen be treffend das ehemalige die wir für Peace-keeping bereitstellen, einen guten Jugoslawien, wo die Verbrechen bekanntlich nicht Platz einnimmt und ob es unter diesem Gesichts- ausschließlich von einer Seite begangen worden punkt nicht angezeigt wäre, sich an der freiwilligen sind. Finanzierung für den Strafgerichtshof für Jugosla- wien zu beteiligen? Wir wissen auch, daß die zuständigen Richter da- bei sind, auch die andere Seite zu sichten und dafür zu sorgen, daß, wenn denn solche Verbrechen vorla- Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen gen, die entsprechenden Personen auch vor Gericht Amt: Wir sind natürlich mit sehr hohen Summen gestellt werden können. durch unsere Beitragszahlungen an die Vereinten Nationen beteiligt, die sich zum Teil erheblich von den Summen unterscheiden, die die genannten an- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Zu dieser Frage deren Staaten zahlen. Daß beim Finanzminister eine liegen keine weiteren Zusatzfragen vor. gewisse Zurückhaltung hinsichtlich zusätzlicher frei- Die Frage 42 des Abgeordneten Norbert Gansel williger Leistungen angesichts der derzeitigen Haus- verfällt nach der Geschäftsordnung, da er nicht an- haltslage erkennbar ist, dafür muß man, glaube ich, wesend ist. Verständnis haben. Aber es ist so, daß die Umlegung des gesamten Finanzierungsbedarfes dieses Interna- Wir kommen zur Frage 43 des Abgeordneten tionalen Strafgerichtshofes, den wir wollten, erst er- Catenhusen: folgen kann, wenn sich die UN-Generalversamm- Trifft es zu, daß die deutsche Delegation bei den Verhandlun- lung auf einen anzuwendenden Finanzierungs- gen zur Verlängerung des Atomwaffensperrvertrages sich ge- schlüssel geeinigt hat. Im Rahmen dieser Debatte gen eine Initiative von elf Nicht-Atomwaffenstaaten ausgespro- wird - das ist Ihnen bekannt - im Juni bei der Sit- chen hat, die zum Ziel hatte, daß weltweit keine neuen For- schungsreaktoren errichtet werden, die mit hochangereicher- zung des 5. Ausschusses in New York zu entscheiden tem Uran betrieben werden? sein. Wir werden natürlich entsprechend den Be- schlüssen der Vereinten Nationen unser Verhalten zu überprüfen haben, Herr Kollege Brecht. Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Frau Präsidentin, ich habe die Bitte, die Fragen 43 und 44 gemeinsam beantworten zu dürfen. Sie er- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Sie haben noch gänzen sich. eine zweite Zusatzfrage, bitte. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich rufe dann Dr. Eberhard Brecht (SPD): Herr Staatsminister, ich noch die Frage 44 des Abgeordneten Catenhusen möchte auf Ihre erste Antwort zurückkommen. Darf auf: ich dieser Antwort entnehmen, daß das Auswärtige Welchen Zweck verfolgte die Inte rvention der Bundesregie- Amt bereit wäre, einen Experten kostenlos zu ent- rung gegen diese Initiative, und wie läßt sie sich mit den Grund- senden? Ich hatte demgegenüber den Eindruck, daß sätzen und Zielen der deutschen Außenpolitik im Hinblick auf die Nichtverbreitung von Kernwaffen und waffenfähigem Mate- das BMJ diese Kosten bisher auf die Länder abschie- rial vereinbaren? ben wollte. Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Die zu Beginn der NVV-Konferenz in New Amt: Ich muß jetzt insofern passen, als ich nicht sa- York von einigen Ländern vorgeschlagene Formulie- gen kann, ob es unterschiedliche Auffassungen des rung für ein Schlußdokument, neue zivile Reaktoren Auswärtigen Amts und des Justizministeriums in der mit hochangereichertem Uran nicht mehr zu bauen, Frage der Finanzierung gibt. Ich kann Ihnen nur sa- hätte ein weit über frühere Empfehlungen hinausge- gen, daß die Bundesregierung zur Zeit prüft - dabei hendes Verbot für einen ganzen Forschungsbereich werden wahrscheinlich diese beiden Möglichkeiten und damit wahrscheinlich sogar einen Verstoß gegen betrachtet -, inwieweit ein Expe rte entsandt werden Art. IV des Nichtverbreitungsvertrags, in dem es um kann. Ich hoffe, wir kommen mit oder ohne Länder die Förderung der f riedlichen Nutzung der Kernener- hier zu einer vernünftigen und einvernehmlichen Re- gie geht, bedeutet. Sie wurde einvernehmlich ent- gelung. sprechend unseren Anregungen geändert. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 2983

Staatsminister Helmut Schäfer Die jetzt mit Zustimmung aller 175 Teilneh- organisierte Widerstand gegen den Vorschlag der elf merstaaten der NVV-Konferenz gefundene Formulie- Mitgliedstaaten dieser Konferenz zwar sehr aktiv von rung entspricht weitgehend früher ge troffenen inter- Deutschland ausging, daß sich aber Länder wie die nationalen Absprachen. Sie bestätigt indirekt erneut, Vereinigten Staaten gegenüber solchen Verschärfun- daß gegenüber den wissenschaftlichen Aktivitäten in gen der Nichtverbreitungspolitik aufgeschlossen ge- Deutschland keine Bedenken aus der Sicht des zeigt haben? Nichtverbreitungsvertrags bestehen. Im übrigen bleibt die Bundesregierung ihrer bishe- Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen rigen Politik verpflichtet, die Anwendung von hoch- Amt: Herr Kollege, ich glaube, wir müssen bei die- angereichertem Uran in Forschungsreaktoren so weit sem Vertrag, der inzwischen auch dank unserer Ver- einzuschränken, wie das unter wissenschaftlichen, handlungsführung einvernehmlich über die Bühne forschungspolitischen und wirtschaftlichen Aspekten gegangen ist - auch zur Freude des Deutschen Bun- sinnvoll ist. Nichts anderes ist in New York bekräftigt destages -, von den Fakten und dem vereinbarten worden. Text ausgehen. Daß der Text aus unterschiedlichen Ansätzen - wie immer bei solchen Konferenzen - der Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz- verschiedenen Staaten zustande kam, ist richtig. frage, bitte. Aber ich meine, man muß davon ausgehen, daß sich schließlich alle Staaten über den von mir gerade zi- tierten Text geeinigt haben. Wolf-Michael Catenhusen (SPD): Herr Staatsmini- ster, vertritt die Bundesregierung demnach auch die Auffassung, daß Neutronenforschung grundsätzlich Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz- ohne den Einsatz von mit hochangereichertem Uran frage des Abgeordneten Kubatschka. betriebenen Forschungsreaktoren unmöglich ist, und wie können Sie diese Auffassung mit der Tatsache vereinbaren, daß - anders als in Deutschland - welt- Horst Kubatschka (SPD): Herr Staatsminister, Sie weit nicht an den Bau und Bet rieb neuer, mit hochan- haben gesagt, daß die Fachleute aus der Wissen- gereichertem Uran betriebener Forschungsreaktoren schaft, die den fachlichen Hintergrund beleuchten gedacht wird? können, nicht in die Verhandlungen einbezogen wa- ren. Heißt das, daß Sie nicht geprüft haben, ob nicht ein anderer Vertragstext über den Einsatz von nied- Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen- rigangereichertem Uran oder anderen Neutronen- Amt: Herr Kollege Catenhusen, wir bewegen uns quellen zu formulieren war? jetzt wieder an der sehr schmalen Grenze zwischen dem, was das Auswärtige Amt bei der Nichtverbrei- tungsvertragskonferenz in New York für die Bundes- Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen regierung juristisch zu vertreten hatte, und Fragen, Amt: Herr Kollege, ich glaube, Sie haben mich falsch die sich auf die Notwendigkeit, bei Forschungen im wiedergegeben. Ich hatte nicht gesagt, daß die Ex- nuklearen Bereich auch hochangereichertes Uran zu perten vorher nicht befragt worden sind, sondern daß verwenden, beziehen. die Bundesregierung ihren Standpunkt in New York eingebracht hat. Es geht hier eigentlich um Fragen, die von Fach- leuten aus dem Wissenschaftsministerium zu beant- Selbstverständlich entsteht eine solche Auffassung worten wären. Ich kann Ihnen nur sagen: Das, was nach der entsprechenden Abstimmung mit den in wir in New York verabschiedet haben - der Text liegt Fragen kommenden Ressorts, mit den zuständigen vor -, bezieht sich auf die Möglichkeit von Staaten, Fachleuten. Im Rahmen dieser Übereinstimmung ist die Verwendung von hochangereichertem Uran bei das Verfahren unserer Verhandlungsführung durch solchen Reaktoren zu vermeiden oder so zu minimie- das Auswärtige Amt zu verstehen. ren, wie dies unter wissenschaftlichen, forschungs- politischen und ökonomischen Aspekten - ich über- (Abg. Horst Kubatschka [SPD] meldet sich setze aus dem Englischen, ich bitte um Entschuldi- zu einer weiteren Zusatzfrage) gung - sinnvoll ist. Das heißt, der Text macht sehr deutlich: Wenn die Verwendung in der Forschung Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege notwendig ist, dann muß sie so minimiert sein, daß Kubatschka, Sie haben nur eine Nachfrage. sie ausschließlich für Forschungszwecke erfolgen kann. (Horst Kubatschka [SPD]: Das waren zwei Fragen, und somit habe ich zwei Möglich Ich glaube, wenn 175 Staaten dieser Auffassung keiten!) sind, dann sollten wir nicht nachträglich versuchen, das ändern zu wollen. - Okay.

Eine Zusatz- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Horst Kubatschka (SPD): Herr Staatsminister, nach frage des Abgeordneten Catenhusen. dem Atomwaffensperrvertrag soll hochangereicher- tes Uran in zivilen Reaktoren vermieden oder einge- Wolf-Michael Catenhusen (SPD): Können Sie, Herr schränkt werden. Muß Deutschland als Hochtechno- Staatsminister, Pressemeldungen bestätigen, daß der logieland bei dieser Entwicklung nicht vorangehen? 2984 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Damit kommen Amt: Herr Kollege, ob Deutschland das tun muß oder wir jetzt zur Frage 45: nicht, ist für einen außenpolitischen Experten schwer Trifft es zu, daß das Auswärtige Amt 1988 in einem Schreiben zu entscheiden. Ich bin nun einmal kein Expe rte für an das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reak- nukleare Forschung und überlasse die Beurteilung torsicherheit und das Bundesministerium für Forschung und gerne anderen Kollegen, die wissenschaftlich gebil- Technologie betreffend den geplanten Forschungsreaktor Mün- chen II u. a. ausgeführt hat: „Nach Ansicht des Auswärtigen deter sind. Amtes gefährdet die Einrichtung einer neuen Forschungsanlage mit hochangereichertem Uran diese bisherige inte rnationale Zu- Aber ich glaube, Frau Präsidentin, es gab hier inso- sammenarbeit, entzieht ihr die Glaubwürdigkeit (...). Die Bun- fern ein Mißverständnis, als Herr Kubatschka meinte, desregierung würde sich also in dieser nichtverbreitungspoli- ich hätte seine Fragen schon beantwortet. Ich wollte tisch empfindlichen Frage mit früheren Erklärungen in Wider- ihm eigentlich seine Fragen noch beantworten. spruch setzen und erheblichen innen- und außenpolitischen Druck erwarten müssen, wenn sie den Plänen der TU München zustimme."? Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Ku- batschka, vielleicht zur Klärung: Ich habe Ihnen als Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen Zusatzfrager zur Frage von Herrn Catenhusen das Amt: Hier darf ich, Frau Präsidentin, mit Ihrer Zu- Wort erteilt. Dann hätten Sie nur eine Zusatzfrage ge- stimmung und der des Kollegen Kubatschka die Be- habt. Sie haben das so verstanden, als sei Ihre Frage antwortung der Fragen 45 und 46 kombinieren. schon beantwortet, was aber noch nicht der Fall war. (Staatsminister Helmut Schäfer: So habe Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Nur damit das auch ich das gesehen, genau!) klar ist: Dann hätten Sie, Herr Kubatschka, bis zu vier Zusatzfragen und die anderen Kollegen bis zu Jetzt müssen wir aus dieser Verwirrung insofern zwei Zusatzfragen zu den beiden Fragen. herauskommen, als ich zunächst den Kollegen Erler frage, ob er eine Zusatzfrage zur Frage von Herrn Darm rufe ich auch die Frage 46 auf: Catenhusen hat. Hat die Bundesregierung seit 1988 neue Erkenntnisse gewon- nen, die die damalige Einschätzung heute als unzu treffend er- (Gernot Erler [SPD]: Ja!) scheinen lassen? - Dann, Herr Kubatschka, bitte ich Sie, sich noch ei- Bitte. nen Moment zu setzen. Wir kommen noch zur Beant- wortung Ihrer Fragen. Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen Jetzt zunächst einmal die Zusatzfrage des Kollegen Amt: Herr Kollege, die verschiedenen Aspekte im Erler, bitte. Zusammenhang mit Planung und Bau des For- schungsreaktors München II sind seit mehreren Jah- ren zwischen den Bundesressorts erörtert worden. Gernot Erler (SPD): Herr Staatsminister, wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, daß sich die Bundesre- Dabei hat das Auswärtige Amt auch auf die Empfeh- publik Deutschland diplomatisch und im internatio- lungen der - ich darf jetzt dieses wissenschaftliche nalen Geschäft durch das Festhalten an dem mit Kauderwelsch hier fortsetzen - Interna tional Nuclear HEU betriebenen Forschungsreaktor FRM II isoliert, Fuel Cycle Evaluation -, abgekürzt: INFCE-Konfe- oder können Sie dem Hohen Haus mitteilen, welche renz, die Ende der 70er Jahre stattfand, hingewiesen anderen Länder derzeit ebenfalls pl anen, einen sol- - außer uns versteht das, glaube ich, niemand hier; chen mit HEU betriebenen Forschungsreaktor neu deshalb sage ich es bewußt einmal in Englisch -, zu bauen? nach denen die Verwendung von hochangereicher- tem Uran in zivilen Forschungsreaktoren künftig so weit eingeschränkt werden sollte, wie dies wissen- Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen schaftlich, technologisch und wirtschaft lich sinnvoll Amt: Herr Kollege, es gibt Staaten, die diese For- sei. schungsreaktoren schon früher gebaut haben und uns insofern bei dieser Forschung voraus sind. Wenn Im weiteren Verlauf des Abstimmungsprozesses in- wir hier mithalten wollen, sei es uns gestattet, das zu nerhalb der Bundesregierung hat sich die einheitli- verlangen, was sich andere längst schon erlaubt ha- che Meinung gebildet, daß der Bau des angesproche- ben. nen Forschungsreaktors II in München nicht gegen diese internationalen Empfehlungen verstößt. Ich kann Ihnen im Augenblick nicht sagen, welche anderen Staaten so etwas planen. Ich kann aber ver- Im übrigen darf ich auch auf frühere Anfragen und suchen, das herauszufinden, und darf Ihnen die Ant- die Antworten der Bundesregierung darauf - z. B. die wort zu einem späteren Zeitpunkt zuleiten. Es sind Kleine Anfrage der SPD auf Drucksache 12/2984, die auch forschungspolitische Fragen, die hier gestellt Kleine Anfrage vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf werden. Ich habe mich auf die NVV-Konferenz in Drucksache 13/932 und anderes mehr - verweisen. New York bezogen. Von daher ist zu dieser Frage seitens der Bundesre- Ich darf Ihnen aber sagen: Der Text, den die gierung wiederholt und umfassend geantwortet wor- 175 Staaten am Schluß beschlossen haben, ist einver- den. nehmlich angenomen und enthält die Möglichkeit ei- ner Nutzung. Insofern sehe ich keine Gefahr, daß Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Zusatzfrage, sich Deutschland irgendwie isoliert haben könnte. bitte. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 2985

Horst Kubatschka (SPD): Herr Staatsminister, für Bemühungen, bei diesem Vertrag, was den erwähn- mich ist das nicht klar. Wieso kam es im Außenmi- ten Forschungsreaktor angeht, eine Haltung einzu- nisterium zu einer völlig neuen Beurteilung in dieser nehmen, die interna tional akzeptiert wird, und das entscheidenden internationalen Frage? wurde erreicht.

Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen Horst Kubatschka (SPD): Herr Staatsminister, be- Amt: Ich habe Ihnen gerade gesagt, daß das Auswär- steht aber nicht die Gefahr, daß sich andere Länder - tige Amt im Verlauf der Vorbereitung auf diese Kon- wie z. B. Iran, Irak und Nordkorea - auf das deutsche ferenz und im Verlauf früherer internationaler Ab- Beispiel berufen und das gleiche für sich forde rn und stimmungen gemeinsam mit anderen Resso rts der auch durchführen werden? Bundesregierung zu dieser Meinung gekommen ist. Ich kann Ihnen jetzt im einzelnen nicht beantworten, aus welchen Gründen innerhalb dieser Beratungen Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen dieses oder jenes Argument an Bedeutung gewon- Amt: Herr Kollege, auch diese Länder müssen sich nen hat. Ich selber habe an den Beratungen nicht an die Bestimmungen des NV-Vertrags halten, wenn teilgenommen. sie ihm denn beigetreten sind. Sie wissen, daß Nord- korea dem Kreis der Vertragsstaaten nicht mehr an- gehören will, daß aber die Bemühungen der Staaten- Horst Kubatschka (SPD): Zu welchem Zeitpunkt gemeinschaft dahin gehen, zu verhindern, daß sol- kam es zu dieser Meinungsäußerung? Hat das etwas che Entwicklungen in den genannten Staaten eintre- mit dem Forschungsreaktor München II zu tun? ten. Ich darf auch darauf hinweisen, daß die Entwick- Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen lung bei uns auf Grund unserer Verfassung, der Amt: Ja, natürlich. Ich habe schon einmal gesagt: Der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie, die hier Abstimmungsprozeß hinsichtlich der Haltung der herrschen, sicher eine andere ist als in solchen Staa- Bundesregierung und in bezug auf den besagten ten und wir gemeinsam mit allen anderen Staaten Vertrag stand natürlich auch in einem Zusammen- der Welt darauf zu achten haben, daß solche Ent- hang mit der Frage, ob dieser geplante Forschungs- wicklungen, wie Sie sie andeuten, nicht auf Grund reaktor möglicherweise gegen internationale Emp- eines deutschen Beispiels eintreten. fehlungen verstoße. Die Bundesregierung kam zu der Meinung: nein. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Wir sind leider Sie hat dann in New York Entsprechendes empfoh- am Schluß der ausgemachten Redezeit, so daß einzig len. Das ist in New York angenommen worden, so die Fragen 47 und 48 des Abgeordneten Erler schrift- daß auch die internationale Staatengemeinschaft lich beantwortet werden müssen, was mir leid tut. ganz offensichtlich keine Einwände gegen diesen Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Forschungsreaktor erhebt. Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister. Wir sind am Es darf - ich darf auf die Formulierung zurückkom- Schluß der Fragestunde. men, die ich schon mehrfach zitiert habe - bei sol- chen Forschungsreaktoren aber keine Übermenge Wir kommen zum Zusatzpunkt 5 zurück. Ich gebe von HEU - nach Möglichkeit gar kein HEU - auftre- das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der ten; wenn überhaupt, dann eine - wie es hier im Eng- Wahl des Leiters der deutschen Delega tion in der lischen heißt - minimierte, sehr geringe Menge. Das Nordatlantischen Versammlung und des ordentli- beinhaltet die einvernehmlich beschlossene Formu- chen Mitglieds im Ständigen Ausschuß der Nordat- lierung der Nichtverbreitungskonferenz. lantischen Versammlung - Drucksache 13/1387 und 13/1388 - bekannt:

Horst Kubatschka (SPD): Herr Staatsminister, be- Protokoll über die Wahl des Leiters der deutschen steht nicht die Gefahr, daß der Sinn des Nichtverbrei- Delegation in der Nordatlantischen Versammlung tungsvertrags durch diese Klausel unterlaufen wird? und des ordentlichen Mitglieds im Ständigen Aus- schuß der Nordatlantischen Versammlung. Abgege- bene Stimmen: 642. Gültige Stimmen: 638. Es entfie- Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen len auf den Abgeordneten Klaus Francke (Hamburg) Amt: Herr Kollege, ich gehe davon aus, daß wir, die 320 Stimmen, auf die Abgeordnete Brigitte Schulte wir uns allen denkbaren Kontrollen unterziehen, ei- (Hameln) 309 Stimmen. Enthaltungen: 9, ungültige nen solchen Vertrag nicht unterlaufen wollen, daß Stimmen: 4. *) wir aber als ein technisch hochentwickelter Staat auch weiterhin an Forschungen mit Nukleartechno- Der Abgeordnete Klaus Francke (Hamburg) ist da- logie beteiligt werden müssen, die ja keineswegs in mit zum Leiter der deutschen Delega tion in der Nord- irgendeinem Zusammenhang mit der kriegerischen atlantischen Versammlung und zum ordentlichen Nutzung stehen. Es geht vielmehr um die zivile Nut- Mitglied im Ständigen Ausschuß der Nordatlanti- zung. schen Versammlung gewählt. Herzlichen Glück- wunsch zur Wahl! Hier kann unser Land, glaube ich, nicht hinter an- deren zurückstehen. Es war der Hintergrund unserer *) Liste der Teilnehmer an der Wahl Anlage 2 2986 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Ich rufe den Zusatzpunkt 9 auf: als müßten Sie Frau Merkel durch den Antrag, den Sie jetzt stellen, erst dazu bringen zu kommen. Aktuelle Stunde (Rolf Köhne [PDS]: Das ist offensichtlich so! auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE - Eckart Kuhlwein [SPD]: Ist sie gestern mit GRÜNEN der Sommersmogverordnung gescheitert oder nicht? - Joseph Fischer [Frankfu rt] Krebsrisiko durch bodennahes Ozon [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der will doch (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ nur Zeit schinden! Lassen Sie ihn doch!) DIE GRÜNEN]: Frau Präsidentin!) - Frau Kollegin Merkel ist in ihrem Ministe rium und - Wenn etwas ist, Herr Fischer, dann melden Sie es selbstverständlich in der Lage, jederzeit zu kommen. bitte dem Präsidium. (Zuruf von der SPD: Aber sie ist nicht da! - Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Zu welchem (Abg. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜND Thema denn sonst, wenn nicht zu diesem!) NIS 90/DIE GRÜNEN] begibt sich zum Prä sidium) Deshalb wird Frau Kollegin Merkel in diesen Sekun- den, während ich spreche, bereits durch den Parla- - Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beantragt mentarischen Staatssekretär bzw. durch den zustän- die Herbeirufung der Bundesumweltministerin zu digen Beamten, den Parlamentsreferenten, über die- diesem Punkt. sen Wunsch informiert. Frau Kollegin Merkel wird in (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE wenigen Minuten - solange die Autofahrt vom Mini- GRÜNEN und der PDS) sterium zum Bundestag dauert - hier anwesend sein. Darüber muß abgestimmt werden. Ich möchte dies deshalb und auch in dieser Aus- führlichkeit dem Hohen Hause hier mitteilen, damit (Bundesminister Friedrich Bohl meldet sich dem Eindruck entgegengewirkt werden kann, als zu Wort - Eckart Kuhlwein [SPD]: Jetzt will bedürfte es eines Antrags der GRÜNEN, Frau Kolle- Herr Bohl filibustern! - Joseph Fischer gin Merkel hierher zu holen. [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Zuruf von der SPD: Genauso ist es!) In der Abstimmung gibt es keine Rede! Die Ministerin hat hier zu sein! Ich habe- es Die Bundesregierung hat gar keine Probleme. euch gesagt!) Ich versichere Ihnen noch einmal, daß wir - wahr- Der Staatssekretär ist da. Das gebe ich hiermit be- scheinlich ist sie schon im Auto - kannt. Trotzdem ist der Antrag berechtigt, so daß darüber abzustimmen ist. (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN) Zuerst gebe ich Herr Bundesminister Bohl das Wort zu einer Erklärung. in wenigen Minuten Frau Kollegin Merkel hier wer- den begrüßen können. Deshalb sehen wir dem wei- (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: teren - - Zeit schinden!) (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ist sie schon auf der Reuterbrücke?) Bundesminister für besondere Auf- Friedrich Bohl, - Bitte? gaben: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Da- men und Herren! Die Bundesregierung ist zu diesem (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ist sie schon Tagesordnungspunkt durch den Bundesminister Kol- auf der Reuterbrücke?) legen Rüttgers, durch mich - Was sagten Sie? (Eckart Kuhlwein [SPD]: Das ist aber nicht so doll!) (Heiterkeit) und darüber hinaus durch den Parlamentarischen Deshalb sehen wir den weiteren Beratungen des Staatssekretär Neumann, den Parlamentarischen Deutschen Bundestages zu diesem Punkt, den Herr Staatssekretär Kraus und den Parlamentarischen Kollege Fischer offensichtlich beantragt hat, mit gro- Staatssekretär Klinkert vertreten. ßer Gelassenheit entgegen. Es war bisher in diesem Hohen Hause eigentlich Für die Alarmierungen, die Sie per Telefon vorneh- immer üblich, daß man es mitteilt, wenn die Präsenz men, um die Mehrheit zu besorgen, besteht gar kein eines Ministers oder einer Ministerin gewünscht Anlaß, weil Frau Kollegin Merkel kommen wird. Des- wird. Es ist ganz selbstverständlich, daß wir, wenn halb grüße ich sie herzlich. die Opposition den Wunsch äußert, daß bestimmte Vielen Dank. Minister bei einer Debatte anwesend sind, dem Rechnung getragen haben. Deshalb finde ich es ein wenig merkwürdig, daß Sie uns das nicht gesagt ha- Vizepräsidentin Frau Dr. Antje Vollmer: Hält ange- ben, sondern jetzt den Eindruck erwecken wollen, sichts der Erklärung der Bundesregierung die Frak- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 2987

Bundesminister Friedrich Bohl tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den Antrag auf Ab- seit mehr als fünf Jahren, indem Sie sich vor einer stimmung aufrecht? Ozonverordnung drücken.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, DIE GRÜNEN]: Ja!) bei der SPD und der PDS)

- Das ist der Fall. Dann stimmen wir über die Herbei- Von Jahr zu Jahr sind die Ozonwerte dramatisch rufung der Ministerin zu diesem Tagesordnungs- gestiegen und haben sich in den letzten zehn Jahren punkt ab. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? sogar verdoppelt. Wir alle wissen seit langem, daß - Enthaltungen? - das Ozon nicht nur für tränende Augen und Kreis- laufbeschwerden verantwortlich ist. Seit letzter Wo- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ich denke, che ist es amtlich, daß Ozon Krebs erzeugt. Gefähr- die ist im Auto! - Ecka rt Kuhlwein [SPD]: det sind besonders die Menschen, die draußen arbei- Die wollen ihre Ministerin nicht mehr se ten müssen. hen! - Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sollten unterbre Wie lange will die Bundesregierung noch die Au- chen, bis sie da ist!) gen vor den Fakten verschließen? Müssen erst Gas- Wir unterbrechen die Sitzung, bis, wie angekündigt, masken vor dem Plenarsaal verteilt werden, bevor Ministerin Merkel hier ist. hier etwas geschieht? (Unterbrechung von 15.08 bis 15.17 Uhr) Was ist in diesem Land eigentlich wichtiger, Auto- fahren oder Atmen? Die Minister Wissmann und Rex- (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch) rodt haben sich für das Fahren entschieden; Sie, Frau Merkel, haben sich als zuständig für das Atmen er- klärt. Sie haben schon richtig erkannt, daß mit kurz- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Verehrte Kolle- fristigen Maßnahmen und halbherzigen Tempolimits ginnen und Kollegen! Wir können die Sitzung fort- das Ozon nicht in den Griff zu bekommen ist. Aber setzen. an die Konsequenzen wollen auch Sie nicht heran; Wir setzen die schon aufgerufene Aktuelle Stunde Sie verschweigen sie verschämt. fort. Ich begrüße die Ministerin und gebe der Abge- Darum noch einmal: Um die Vorläufersubstanzen, ordneten Gila Altmann das Wort. - die für das Ozon verantwortlich sind, nachhaltig zu senken, brauchen wir langfristige Maßnahmen. Des- Gila Altmann (Aurich) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- halb fordern wir schon seit Jahren ein bundesweites NEN): Herr Präsident! Damen und Herren! Wir ha- ganzjähriges Tempolimit, autofreie Sonntage, den ben gerade von Herrn Bohl ein rheto risches Beispiel Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs und für die neue Langsamkeit dieser Regierung bekom- den Vorrang der Schiene vor dem Straßenbau. men. Darüber hinaus müssen die Grenzwerte für die zu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, lässige Ozonbelastung drastisch gesenkt und dem bei der SPD und der PDS) unbestrittenen Gesundheitsrisiko angepaßt werden, d. h. Arbeitsverbot bzw. Recht auf Arbeitsniederle- Auch Frau Merkel brauchte etwas länger. Trotzdem gung bei überschrittenen MAK-Werten. Sie können freuen wir uns, daß sie hier ist. Frau Merkel, ich for- sich ja einmal überlegen, ob es wirtschaftlich ist, die dere Sie auf, daß Sie hier reden und es nicht nur den Leute zur Arbeit fahren zu lassen und sie dann nicht Herren überlassen. arbeiten zu lassen. Wenn man schon über Wirtschaft- lichkeit redet, muß man auch dafür sorgen, daß die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Leute arbeiten können. Das heißt: Runter mit den bei der SPD und der PDS) Ozonkonzentrationen! Ansonsten müssen Sie sich den Vorwurf gefallen las- sen, daß Sie als Umweltlöwin gestartet und als Tiger (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, im Tank der Autolobby gelandet sind. bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS) Das heißt: Bei 180 Mikrogramm muß Schluß sein mit dem Straßenverkehr. Die Notwendigkeit von Fahr- Wir möchten von Ihnen heute wissen, was Sie zu verboten als einzig sinnvolle Maßnahme beim Som- tun gedenken und wann Sie es zu tun gedenken. Ihr mersmog hat sich sogar schon bis in die CSU herum- Referentenentwurf mit dem Grenzwert von gesprochen. 300 Mikrogramm und umfassenden Ausnahmerege- lungen war schon schlapp genug. Dennoch schafften Es ist natürlich klar, daß die notwendige Mobilität es die Herren Wissmann und Rexroth, gestern in ei- gesichert werden muß. Dafür braucht man Pläne, ner konzertierten Aktion noch eines draufzusetzen und die müssen in den jeweiligen Bundesländern er- und Sie zu zwingen, vom Leerlauf in den Rückwärts- stellt werden. Für alle anderen Katastrophenfälle exi- gang zu schalten. Begründung: Man müsse noch stieren diese Pläne doch auch. Ihr angeblicher Dis- prüfen und wolle schließlich keinen Pfusch bauen. kussions- und Klärungsbedarf ist nichts anderes als Ich sage Ihnen: Diesen Pfusch ertragen wir bereits das Verschleppen dringender Entscheidungen, eine 2988 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Gila Altmann (Aurich) grobe Fahrlässigkeit gegenüber dem Anspruch der neue Abgasvorschriften und z. B. die Verordnung zur Bevölkerung auf körperliche Unversehrtheit. Vermeidung von Verdunstungsverlusten beim Betan- ken. All dies sollten Sie in Ihrer Berichterstattung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einmal anerkennen. Das sind Leistungen dieser Bun- sowie des Abg. Eckart Kuhlwein [SPD]) desregierung. Es darf doch wohl nicht wahr sein, daß sich die (Beifall bei der CDU/CSU) Herren Wissmann und Rexrodt weiterhin die Ozon- bälle zuschieben, während die Zuschauer mit Tränen Eine zweite Bemerkung: Es gilt natürlich, die be- in den Augen dieses Trauerspiel ertragen müssen. stehenden Regelungen fortzuentwickeln. Das ist völ- lig unbestritten. Aber dann müssen wir auch den (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ihre Rede Mut haben, die vorliegenden Ergebnisse der Groß- ist ein Trauerspiel!) versuche sorgfältig auszuwerten. Ich frage Sie, Frau Merkel: Wie hoch ist eigentlich (Rolf Köhne [PDS]: Die haben doch gar Ihr Grenzwert für Fouls durch sogenannte Partei- nicht den Mut! - Zuruf der Abg. Ma rion freunde? Der Umwelt- und Gesundheitsschutz ran- Caspers-Merk [SPD]) giert zur Zeit ganz unten in der politischen Bundes- liga - nur mit dem einzigen Unterschied zum Fuß- Wir werfen Ihnen vor: Das tun Sie nicht. Sie we rten ball, daß er nicht absteigen kann. Deshalb ist es diese Ergebnisse nicht sorgfältig aus, meine Damen höchste Zeit, Trainer und Mannschaft dieser bewe- und Herren. Wer wie die Opposition in den letzten gungsunfähigen Truppe endlich auszuwechseln. Tagen nur nach dem Motto verfährt „Niemand außer uns hat recht", „Was scheren uns die Ergebnisse die- Danke. ser Großversuche?",

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das ist doch bei der SPD und der PDS) Ihre Position! - Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das sagen Sie doch immer! - Rolf Köhne [PDS]: So handeln Sie doch!) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Peter Paziorek. der wird die Ozonbelastung nicht senken können. Deshalb die dritte Bemerkung: Es ist völlig unbe- stritten, daß erhöhte Ozonwerte zu gesundheitlichen (CDU/CSU): Herr Präsident!- Dr. Peter Paziorek Beeinträchtigungen führen. Meine Damen und Herren! Es ist aus meiner Sicht ein äußerst schlechter Stil, daß zunächst seitens der (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Fraktion der GRÜNEN eine Aktuelle Stunde zu Fra- DIE GRÜNEN]: Aha!) gen der Arbeitsplatzsicherheit beantragt worden ist, während dann aus taktischen Gründen kurzfristig Deshalb gilt es, die Vorläufersubstanzen - das sind der Schwerpunkt auf gesundheitspolitische und um- die Stickoxide und die flüchtigen Kohlenwasser- weltpolitische Fragen gelegt wird, und zwar nur, um stoffe - wirksam, dauerhaft zu senken. die Ministerin herzuzitieren. So sollten wir nicht mit- einander umgehen. (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wann?) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Die Versuche haben ergeben, daß kleinflächige Lachen bei der SPD) Fahrverbote für bestimmte Fahrzeuge keine ausrei- Wenn Sie eine umweltpolitische Diskussion haben chende Reduzierung erbracht haben wollen, können Sie sie haben. Deshalb vier Bemer- (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ kungen: NEN) (Zurufe der Abg. Dr. Cornelie Sonntag-Wol - ich weiß, das gefällt Ihnen nicht; aber das sind die gast [SPD] und Dr. Jürgen Rochlitz [BÜND Ergebnisse der Versuche -, daß Tempolimits hinsicht- NIS 90/DIE GRÜNEN]) lich der Reduzierung fast völlig wirkungslos geblie- Erstens. Es muß mit aller Entschiedenheit Ihren ben sind völlig falschen Behauptungen entgegengetreten (Beifall der Abg. Birgit Homburger [F.D.P.]) werden, daß diese Bundesregierung in den letzten Jahren nichts zur Bekämpfung der Ozonkonzentra- und daß Schadstoffe in diesem Bereich aus ganz Eu- tion unternommen hat. ropa kommen können; denn diese Schadstoffe kön- nen bei ganz bestimmten Witterungsverhältnissen (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Entfernungen von 500 km an einem Tag bewäl tigen. DIE GRÜNEN]: Was denn?) (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ Ich erinnere nur an die Einführung des Kat bei Neu- DIE GRÜNEN]: Das glauben ja nicht einmal fahrzeugen, Ihre Kollegen da drüben!) (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Also, das Ergebnis ist: Wir benötigen großflächige DIE GRÜNEN: Ach!) Fahrverbote für Fahrzeuge ohne Kat oder mit unge- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 2989

Dr. Peter Paziorek regeltem Katalysator, am besten noch mit einer Vor- Vielen Dank, meine Damen und Herren. warnzeit von drei Tagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Richtig!) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort hat Wenn die Wetterprognosen immer stimmen würden, die Abgeordnete Frau Dr. Marliese Dobberthien. dann könnten wir das sicher machen. Ich weiß nicht, wie Sie das Kriterium der Vorwarnzeit sachlich be- Dr. Marliese Dobberthien (SPD): Herr Präsident! wältigen wollen. Deshalb ist es auch notwendig, die Meine Damen und Herren! Ich finde es schon skan- emissionsbezogene Kfz-Steuer einzuführen. dalös, daß es die Ministerin nach ihrer gestrigen Nie- derlage für nicht nötig befindet, von sich aus in die- Aber der Unterschied zwischen Ihnen und uns be- sem Parlament zu erscheinen. steht darin, daß wir umweltorientierte, technologi- sche und rechtliche Verbesserungen wollen, nicht (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ aber einen ideologischen Kampf gegen das Auto füh- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten ren, so wie Sie das betreiben, meine Damen und Her- der PDS) ren. Offenkundig - nach dem, was wir gehört haben - ist (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sie in Bonn. Zu meiner letzten, der vierten Bemerkung: Die (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie ist ja Bundesregierung wird - das können Sie als Faktum schon da! Andern Sie erst einmal Ihre mitnehmen - Ende Mai/Anfang Juni einen Gesetz- Rede!) entwurf zu dieser Frage vorlegen. In ihm müssen drei Gesichtspunkte berücksichtigt werden: ein Schwel- Aber das ernsthafte Problem der Umwelt- und Ge- lenwert für die Auslösung der Fahrverbote, sundheitsschädigung durch Ozon ist es ihr nicht we rt gewesen, hier ins Parlament zu kommen, ohne her- (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ beigerufen zu werden. DIE GRÜNEN]: Welcher Schwellenwert?) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Kriterien für die Größe der Gebiete und die A rt der DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Maßnahmen. PDS) Von Ihnen habe ich, mit Ausnahme der Forderung Ich habe auch den Eindruck, nicht die Angst vor der nach knallharten Tempolimits und Fahrverboten, Opposition, sondern die Angst vor den eigenen Leu- nichts im Detail gehört, ten hat sie gehindert, hierher zu kommen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Rolf Kähne DIE GRÜNEN]: Aber sicher!) [PDS]) wie diese noch offenen rechtlichen Fragen einer Sie haben hier ja sogar gegen ihr Erscheinen ge- Ozonverordnung tatsächlich beantwortet werden stimmt. können. Ich sage Ihnen eines: Sie haben gar kein In- teresse daran, daß diese Fragen wirk lich sorgfältig Ich finde es auch skandalös, daß die beiden Beton- im Detail geprüft werden. Denn Sie wollen ja, daß minister, nämlich Herr Wissmann und Herr Rexrodt, nachher, bei der Umsetzung, Vollzugsdefizite auf tau- die die zaghafte Regelung verhindert haben, hier chen, damit Sie sagen können: Hier hat die Bundes- nicht erscheinen. regierung nur einen Schnellschuß losgelassen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der und der F.D.P. - Joseph Fischer [Frankfu rt] PDS) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einen Schnellschuß nach fünf Jahren?) Das ist eine Mißachtung dieses Parlaments. (Beifall bei der SPD) Das, meine Damen und Herren, wollen wir nicht. Meine Damen und Herren, Emissionen wie Ich halte Ihre Position für in höchstem Maße unver- FCKWs und Halone zerstören zunehmend die schüt- antwortlich und bin der Ansicht: Wir müssen die Be- zende Ozonschicht der Stratosphäre; dagegen nimmt völkerung darüber informieren, daß diese Punkte in die Ozonkonzentration in Bodennähe bedrohliche der Tat noch geklärt werden müssen. Wir werden Ausmaße an. Erkrankungen der Atemwege, Rei- dies tun. Mein Vorschlag zielt daher darauf, auf ei- zungen der Augenschleimhäute, Zunahme von asth- nen Schnellschuß, der diese wich tigen Probleme matischen Beschwerden sind keine Seltenheit mehr nicht löst, zu verzichten. Denn damit wird keine Re- an heißen Sommertagen. Spitzenwerte bis 400 Mi- duzierung der Vorläufersubstanzen erreichbar sein. krogramm Ozon werden gemessen. Ich bin mir sicher, daß die Bundesregierung bis An- fang Juni einen entsprechenden Gesetzentwurf vor- Auch unsere Umwelt leidet seit Jahren: Waldster- legen wird, der in der Sache einen sinnvollen Schritt ben, eingeschränktes Pflanzenwachstum, Ernteein- nach vorne bringt. bußen und die Zerstörung des Phytoplankton. 2990 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 Dr. Marliese Dobberthien Bereits Ende der 60er Jahre gab es Anzeichen, daß beklagt öffentlich die Handlungsschwäche der Re- Ozon Krebs fördert, und bereits 1979 hat die WHO gierung. diesen Verdacht in ihren Bericht aufgenommen. Der (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Bericht empfahl, die krebsverdächtige Wirkung von DIE GRÜNEN]: Wo er recht hat, hat er Ozon weiter zu erforschen. Jahre später hat sich die- recht!) ser Verdacht erhärtet: Ozon ist krebserregend. Dies hat auch die DFG in ihrer jüngsten Stellungnahme - Wie wahr! Recht hat er. Wo er recht hat, hat er erkannt. recht. Und was tut die Umweltministerin angesichts die- (Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ ser alarmierenden Befunde? Wir alle haben heute ein DIE GRÜNEN) peinliches Schauspiel erlebt. Die Bundesregierung konnte sich ja noch nicht ein- (Beifall bei der SPD, beim BÜNDNIS 90/DIE mal für die Beschränkung des Betriebs von Benzinra- GRÜNEN und bei der PDS) senmähern durchsetzen. So wartet die Bevölkerung weiter vergeblich auf einen Maßnahmenkatalog. Bis vor wenigen Tagen schwieg sie. Dann war der Aber was bekommt sie? - Kleinliche Streitereien und Presse zu entnehmen, sie nehme die Befunde „ernst" die üblichen Politfloskeln. Dieser aber, Frau Merkel, und wolle „prüfen lassen", ob das Sommersmogreiz- sind wir alle überdrüssig. gas Ozon tatsächlich Krebs auslösen könnte. Das ist (Zustimmung bei der SPD) zum jetzigen Zeitpunkt doch wohl die falscheste Fra- gestellung. Es gibt Entscheidungssituationen, liebe Frau Mer- kel. Da ist nicht die Größe des Schrittes, sondern die (Zuruf von der SPD: Sehr wahr!) Erkennbarkeit der Richtung entscheidend. Beides Wir müssen nicht mehr prüfen, ob Ozon tatsächlich vermissen wir bei Ihnen schmerzlich. krebserregend ist, sondern ab welchen Konzentrati- Ich wünsche mir die gleiche Hartleibigkeit für eine onswerten gesundheitliche Gefährdungen auftreten Sommersmogverordnung wie bei der Durchsetzung und welche wirksamen Schutzmaßnahmen ergriffen der unsinnigen Castor-Transporte. werden müssen. (Beifall bei der SPD, beim BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der SPD) GRÜNEN und bei der PDS) Von den vollmundigen Ankündigungen gestern im Vorschläge zur Ozonreduzierung liegen seit Jah- Kabinett, Maßnahmen zur Bekämpfung des boden- ren vor, bessere und schlechtere, längerfristige und nahen Ozons zu beschließen, ist nichts übrig geblie- kurzfristige, globale Maßnahmen zum Klimaschutz ben. Es bestehe „weiterer Klärungsbedarf", ließ die gehören dazu, genauso wie Tempolimit und Fahrver- Umweltministerin lapidar verbreiten und sagte ihre bot bei Sommersmog. Es darf doch nicht sein, daß Pressekonferenz ab. erst ein wissenschaftlich nachgewiesener Ozon- krebskranker gestorben sein muß, bevor gehandelt (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ wird! Langsamer fahren und schneller entscheiden DIE GRÜNEN]: Aha!) lautet das Gebot der Stunde. Frau Merkel hat sich damit erneut gegen die Wirt- (Beifall bei der SPD, beim BÜNDNIS 90/DIE schaftslobby nicht durchsetzen können. GRÜNEN und bei der PDS) (Zuruf von der F.D.P.: Leider!) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin, Wieder einmal hat die F.D.P. quergeschossen. Herrn trotzdem müssen Sie zum Schluß kommen. Rexrodt ist die grenzenlose Beweglichkeit des Wirt- schaftsverkehrs offensichtlich wichtiger als unser al- Dr. Marliese Dobberthien (SPD): Ich komme zum ler Gesundheit. Ende. (Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ Liebe Frau Merkel, stehen Sie zu einer Politik der DIE GRÜNEN) Vernunft und gegen kurzfristigen Wirtschaftslobbyis- mus! Geld kann man nicht atmen. Unserer Unterstüt- Und der Verkehrsminister huldigt noch immer dem zung sind Sie sicher bei jeder vernünftigen Maß- antiquierten Grundsatz „Freie Fahrt für freie Bür- nahme. ger". - Aber ohne uns! (Beifall bei der SPD, beim BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ GRÜNEN und bei der PDS) DIE GRÜNEN) Elf sozialdemokratisch regierte Bundesländer ver- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort hat suchen verzweifelt, zum Schutz gefährdeter Men- der Abgeordnete Rolf Köhne. schen notfalls im Alleingang eigene Wege zur Min- derung des Ozons zu finden. Inzwischen freundeten Rolf Kähne (PDS): Herr Präsident! Liebe Kollegin- sich sogar Bayerns Umweltminister Goppel, Rhein- nen und Kollegen! Letzte Woche spielte die neue Er- land-Pfalz' CDU-Vorsitzender Gerster mit Fahrver- kenntnis, daß Ozon als Krebs mitverursachender boten an, und auch Niedersachsens CDU-Chef Wulff Stoff einzuordnen ist, in der Debatte noch keine Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 2991

Rolf Köhne Rolle. Lediglich die Kollegin Gila Altmann hat diesen sollte auf 70 Mikrogramm pro Kubikmeter festgesetzt Fakt erwähnt. Die allgemeine Verbreitung dieser Er- werden. Bei Überschreitung sollte nach einer Stunde kenntnis über die Medien erfolgte erst am Samstag. körperliche Arbeit unterbleiben. Der Lohn muß na- Aber der Regierung mußte dieser Fakt zu diesem türlich weitergezahlt werden. Dafür ist ein Solidar- Zeitpunkt klar sein, und sie hat ihn verschwiegen. fonds zu schaffen. Offensichtlich wollte die Regierung kein allzu Darüber hinaus gibt es erheblichen langfristigen schlechtes Licht auf ihre Umweltpolitik fallen lassen. Handlungsbedarf. Da der motorisierte Individualver- Statt dessen mußten wir uns hier teilweise groteske kehr eine der Hauptursachen ist, sind dringend Maß- und absurde Argumente gegen die diversen kon- nahmen erforderlich, die diese Ursache verringern. struktiven Vorschläge der Opposition anhören. Da reichen Tempolimits und Smogverordnung bei (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das hast du weitem nicht aus. Der beste Verkehr ist der, der gar dir doch vorher schon aufgeschrieben!) nicht erst entsteht. Wir brauchen eine Verkehrspoli- tik, die Mobilität auf neue Weise herstellt, die sich Die Regierung ist aber bis zum heutigen Tage un- nicht zwanghaft am motorisierten Individualverkehr fähig, einen eigenen konstruktiven Vorschlag einzu- orientiert. Ich stimme dem „Kölner Stadt-Anzeiger" bringen. Die Regierung ist aber nicht grundlos unfä- zu, der schrieb: hig. Obwohl die Problematik bekannt ist und z. B. vom Umweltbundesamt notwendige Maßnahmen Auch wenn die Erkenntnis noch schwerfällt, die wie Tempolimits und Fahrverbote benannt werden, automobile Gesellschaft bremst sich aus. passiert nichts. Denn Kohl, Rexrodt und Wissmann, Wir brauchen Änderungen aber auch in der Wirt- die Lobby der Automobilkonzerne, wollen keine um- schaftspolitik. Wir müssen Arbeit, Wohnen und Frei- weltverträglichen Lösungen. Von dieser Seite kom- zeit wieder näher zusammenbringen. Wir müssen men immer nur Lösungsvorschläge, die den Profitin- Wirtschaftskreisläufe stärker regionalisieren. Die ost- denen noch möglichst teressen nicht wehtun und an friesischen Krabben müssen wieder in Ostfriesland viel verdient werden kann. Statt Maßnahmen zur gepult werden und nicht erst nach einem Umweg Ozonbekämpfung gibt es ein Förderprogramm für von 1 000 km die Verbraucherinnen und Verbraucher schadstoffarme Autos. Das sichert steigende Ver- erreichen. Dazu brauchen wir nicht nur Preise, die kaufszahlen, aber auch einen steigenden Verkehr die ökologische Wahrheit sprechen, sondern auch und führt damit in der Gesamtsumme wieder zu ei- wirtschaftliche Strukturen, die sich statt am Profit am ner steigenden Schadstoffbelastung. Gemeinwohl orientieren. Gestern hat sich im übrigen wieder bestätigt:- Die Offensichtlich ist allerdings, daß wir, bevor wir Ankündigungen der Umweltministerin bleiben An- diese Probleme lösen können, noch ein Entsorgungs- kündigungen. Statt dessen sperren sich Rexrodt und problem haben: Diese nicht nur umweltpolitisch un- Wissmann gegen Tempolimits und wollen bei Fahr- fähige Regierung muß auf den Müllhaufen der Ge- verboten weitreichende Ausnahmeregelungen für schichte! den Wirtschafts- und Urlaubsverkehr und die Berufs- pendler. Die Ausnahme wird praktisch zur Regel. (Beifall bei der PDS und beim BÜNDNIS 90/ Das ist nicht mehr kontrollierbar und damit auch völ- DIE GRÜNEN - Zurufe von der CDU/CSU: lig wirkungslos. Das einzige, was dann bleibt, ist ein Das ausgerechnet von denen! Der schämt „Fahrverbot" für benzingetriebene Rasenmäher. Das sich ja überhaupt nicht!) ist doch ein Witz! (Birgit Homburger [F.D.P.]: Sie müssen jetzt Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort hat lachen, weil keiner gelacht hat!) Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Erkenntnis, (Zurufe von der CDU/CSU: Sehr gut! Ich daß Ozon als Krebs mitverursachender Stoff einzu- hätte ihm einen besseren Vorredner ge ordnen ist, ist eine neue Qualität. Zwischen einer wünscht!) Schädigung von Lunge und Schleimhäuten und Krebs, zwischen Krankheit und tödlicher Krankheit Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister für Bildung, gibt es einen gewaltigen qualitativen Unterschied. Wissenschaft, Forschung und Technologie: Herr Prä- Ich sehe für dieses Haus deshalb einen qualitativ sident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Frau Kolle- neuen Handlungsbedarf. Zum einen gibt es Hand- gin Altmann hat für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE lungsbedarf, um kurzfristig und unverzüglich Gefah- GRÜNEN diese Aktuelle Stunde eröffnet und gesagt, ren bei zu hoher Ozonkonzentration abzuwenden. die Alternative sei Atmen oder Autofahren. Dazu liegt Ihnen unser Antrag seit letzter Woche vor. (Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublicher (Birgit Homburger [F.D.P.]: Sehr frühzeitig!) Blödsinn!) Eine weitere Maßnahme ist ein allgemeines Tem- Wahrscheinlich werden wir am Ende dieser Aktuel- polimit, wie es auch in anderen Ländern gilt. Dies len Stunde erleben können, daß z. B. der Fraktions- wäre auch wegen des verringerten Energiever- führer vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Hohe brauchs und verminderter Unfallgefahr sinnvoll. Haus verläßt und sich in eine Limousine der Fahrbe- reitschaft hineinsetzt, um zum nächsten Termin zu ei- Drittens sind Schutzvorschriften für im Freien ar- len. beitende Menschen wie Bauarbeiter, Gärtner und Waldarbeiter zu erlassen. Der MAK-Wert für Ozon (Zustimmung bei der CDU/CSU) 2992 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers Ich hoffe sehr, daß er in der Zwischenzeit aufhört zu Wenn wir nun aus der Wissenschaft das Warnsi- atmen, wenn das die Alternative ist. gnal erhalten, daß Ozon das Krebsrisiko erhöhen könnte, dann sollten wir unsere Debatte nicht auf (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Tempolimits und Fahrverbote verengen, sondern wir müssen uns überlegen, was das für die Politik und Meine Damen und Herren, diese Aktuelle Stunde ihre Prioritäten insgesamt bedeutet. Für mich heißt hat als Titel „Krebsrisiko durch bodennahes Ozon". das: Sommersmog und Tage mit hoher Ozonkonzen- Das ist ein ernsthaftes Thema, und die Menschen tration sind schlimm; aber die eigentliche Gefahr lau- draußen im Lande haben es auch verdient, daß sich ert im langsamen, aber stetigen Ansteigen der durch- der Deutsche Bundestag damit ernsthaft auseinan- schnittlichen Ozonwerte. Die Konsequenz müßte dersetzt. Dies war leider nicht bei allen Beiträgen der sein, daß wir eine umfassende Gegenstrategie ent- Fall. wickeln, anstatt hektisch an Einzelergebnissen her- umzukurieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Was ist also der Sachverhalt? Wir wissen, daß bei (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Tierversuchen mit Ozon, die in den Vereinigten Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Staaten durchgeführt wurden, Fälle von Krebs auf- NEN) traten. Wir wissen auch, daß diese Krebsfälle vor al- lem dann auftraten, wenn die Tiere über lange Zeit Meine Damen und Herren, gerade die neuen Ge- sehr hohen Ozonkonzentrationen ausgesetzt waren. sichtspunkte sollten unsere Aufmerksamkeit auf Wissenschaftler der Deutschen Forschungsgemein- langfristige Gegenstrategien lenken. Ich weiß nicht, schaft haben nun auf Grund dieser Versuchsergeb- warum Sie diesem Gedanken nicht folgen wollen. nisse das Gas Ozon als „begründet krebsverdächtig" Wir haben hier schon mehrere Debatten darüber ge- eingestuft. führt, die die Stichworte „vernetztes Denken" und „ganzheitliches Denken" zum Mittelpunkt hatten. Meine Damen und Herren, ich habe keinerlei Wenn dies nicht nur hier am Rednerpult gesagt ist, Zweifel an der fachlichen Kompetenz unserer Wis- dann kann es nicht richtig sein, bei solchen Einzelfra- senschaftler. Ich weiß, daß die amerikanischen Ver- gen eine hektische Debatte vom Zaun zu brechen. suche von den deutschen Experten mit größter Sorg- falt geprüft wurden. Daran gibt es nichts herumzu- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - deuteln. Das Warnsignal aus der Forschung sagt uns, Widerspruch bei der SPD und dem BÜND daß wir dieses Problem mehr als ernst nehmen- müs- NIS 90/DIE GRÜNEN) sen. Durch den Krebsverdacht - ich sage dies ganz Wir wissen auch, wie Ozon entsteht. Verantwort- deutlich - erhält die Ozonproblematik größeres Ge- lich sind in erster Linie Autoabgase und industrielle wicht. Aber gerade deshalb und weil die Menschen Schadstoffe. Sie enthalten die Ausgangssubstanzen, davon betroffen sind, muß man bei solchen ernsten die dann mit Luftsauerstoff reagieren und Ozon bil- Fragestellungen mit Umsicht und Bedacht vorgehen. den. Wir wissen auch, daß bei starkem Sonnenschein Dazu gehört zum einen - vielleicht gelingt das noch -, und schwachem Luftaustausch die hohen Spitzen- daß diese Debatte ein Stück zur Aufklärung der werte entstehen, die uns heute Sorge bereiten und Menschen beiträgt. Dazu gehört zum anderen, daß der Grund dafür sind, daß wir heute darüber disku- wir unsere Bemühungen um mehr Wissen über die tieren, mit welchen Mitteln wir richtig reagieren. verschiedenen Zusammenhänge in diesem Bereich verstärken. Deshalb unterstützt mein Ministe rium Weniger bekannt ist, daß es nicht nur auffällige Forschungsarbeiten zu Fragen der bodennahen Spitzenwerte gibt. Vielmehr verfügen wir über Lang- Ozonbelastung mit rund 12 Millionen DM pro Jahr. zeituntersuchungen, die ergeben haben, daß die Jah- resmittelwerte des bodennahen Ozons heute in allen Meine Damen und Herren, die Bundesregierung Teilen der nördlichen Halbkugel mindestens doppelt macht es sich mit ihren Antworten nicht leicht. Sie so hoch liegen wie vor 100 Jahren. Allein über die wird aber in Kürze - dies ist eben vom Kollegen Pa- Jahre 1967 bis 1983 betrug der Zuwachs des Ozons ziorek gesagt worden - Vorstellungen für in allen Höhen der erdnahen Troposphäre über Maßnah- men zum Schutz der Menschen vor Ozon vorlegen. Deutschland etwa 50 %. Die Mittelwerte liegen in Ich sehe diese Lösung nicht primär bei Auflagen und den Regionen Deutschlands gegenwärtig zwischen Verboten. Auch hier gilt: Aussteigen ist keine Zu- 25 und 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. kunftsoption. An Arbeitsplätzen darf ein Kubikmeter Luft bis- lang 200 Mikrogramm Ozon enthalten. Sie wissen, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge daß man diesen Wert „Maximale Arbeitsplatzkon- ordneten der F.D.P.) zentration" oder kurz MAK-Wert nennt. Man setzt diesen Wert so - das ist auch richtig -, daß für Be- Wer versucht, eine mobile Gesellschaft zu beruhigen, schäftigte kein Gesundheitsschaden zu befürchten eine Industriegesellschaft stillzulegen, der wird vor ist, auch wenn sie Jahr für Jahr an jedem Arbeitstag allen Dingen Ungleichgewicht und Ungleichheit von morgens bis abends dieser Konzentration ausge- schaffen. setzt sind. Hier geht es also um einen Wert für ar- beitstäglichen und lebenslangen Ozonkontakt. (Zustimmung bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 2993 Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers Was wir brauchen, sind neue Lösungen beim pro nicht nur Erkenntnisse hat, sondern auf diese Er- duktionsintegrierten Umweltschutz. Wir brauchen kenntnisse auch Taten folgen läßt. intelligente Verkehrsleitsysteme. Wir brauchen Navi- gationssysteme. Wir brauchen das schadstoffarme (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Auto. Wir müssen mehr Alternativen im öffentlichen und bei der SPD sowie bei Abgeordneten Personennahverkehr schaffen. der PDS) (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wir brau Ich möchte in gewisser Weise ein versöhnliches chen eine andere Regierung!) Wort sagen. Eines kann man der Bundesregierung nicht vorwerfen: Mangel an Kontinuität. Den Vor- Wir müssen Verkehr von der Straße auf die Schiene wurf mangelnder Kontinuität kann man dieser Bun- verlagern. Vor allen Dingen muß das Brett bei man- desregierung und speziell der Umweltministerin tat- chen Leuten vom Kopf weg, die, wenn man über eine sächlich nicht machen. Sachfrage spricht, nur rufen, irgend etwas müsse bei der Regierung passieren. Ihr Vorgänger, Frau Kollegin, war ja Spitze im An- kündigen, internationale Spitze. Bei der Durchset- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge zung von Umwelt- und Gesundheitsschutzmaßnah- ordneten der F.D.P.) men allerdings mußte er wiederholt feststellen, daß Meine Damen und Herren, Sie tun mir fürchterlich er in diesem Bundeskabinett bestenfalls das fünfte leid. Wenn Ihr Blickwinkel sich schon so verengt hat, Rad am Wagen war. Dieser Tradi tion, werte Frau Kol- dann sind Sie kein ernsthafter Partner mehr in sol- legin, sind auch Sie bisher treu geblieben. chen Diskussionen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - und bei der SPD sowie bei Abgeordneten Zuruf von der CDU/CSU: Sie haben über der PDS) haupt keinen Winkel mehr!) Ich will das begründen. Auf der Umweltminister- Wir brauchen nicht nur das oft geforderte Gleich- konferenz Ende letzten Jahres in Chemnitz sah sich gewicht zwischen Ökologie und Ökonomie, sondern die Bundesumweltministerin mit einer Forderung - dies ist mir sehr wichtig - wir brauchen auch - dies von 16 Bundesländern - das kommt relativ selten ist eine große neue Herausforderung für unsere Indu- vor - konfrontiert. striegesellschaft - einen Einklang von Ökologie- und Mobilität. Wir sollten aufhören, in Gegensätzen zu (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ denken, etwa im Gegensatz: hier Mensch - da Um- DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!) welt. Statt dessen sollten wir Verständnis dafür ent- wickeln, daß es eine zwar kompliziert verwobene, Alle 16 Bundesländer haben Ende 1994 gefordert: aber eine in sich zusammenhängende Lebenswelt Wir brauchen eine bundesweite Rechtsgrundlage, gibt, die nur mit vernetzten Antworten einen Schritt um bei Sommersmoglagen länderübergreifend groß- weiterkommt. räumige und effiziente Maßnahmen im Bereich des Straßenverkehrs treffen zu können. Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Diese Einigkeit aller 16 Bundesländer hat offenkun- dig dazu geführt, daß Frau Kollegin Merkel nicht iso- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile als liert bleiben wollte. Sie hat sich angeschlossen und Mitglied des Bundesrates der hessischen Staatsmini- dem entsprechenden Antrag zugestimmt. sterin für Umwelt, Energie, Jugend, Familie und Ge- sundheit, Frau Iris Blaul, das Wort. Aber wer nun glaubte, diesen Worten würden Ta- ten folgen, sah sich wiederum enttäuscht. Der Bun- desratsbeschluß auf Initia ti Staatsministerin Iris Blaul (Hessen): Herr Präsi- ve von Hessen und Nord- rhein-Westfalen, der eine Ergänzung des Bundes-Im- dent! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Der missionsschutzgesetzes zur Schaffung einer Rechts- Sprecher der Bundesregierung, der Forschungsmini- grundlage für Fahrverbote vorsieht, fand nicht die ster, hat uns eben eine Kaskade von Wünschen vor- Zustimmung der Bundesregierung. getragen. Ich kann mich diesen Wünschen selbstver- ständlich zum großen Teil anschließen. Die Bundesregierung hat die Initiative zwar be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN grüßt, sie aber gleichzei tig abgelehnt und angekün- sowie bei Abgeordneten der SPD) digt, daß in Kürze eine eigene Gesetzesvorlage komme. In Kürze - es war damals der 15. März. Ich Aber diesen Worten müssen Taten folgen. Bei keiner weiß nicht, wie kurz die Kürze in Bonn ist. Jedenfalls einzigen der Forderungen, die hier aufgestellt wor- haben wir bis heute keinen einzigen Eckpunkt, den sind, gab es neue Erkenntnisse. Das waren Er- keine einzige Maßnahme, die in diesem Jahr - das kenntnisse, die uns seit fünf Jahren und länger be- war die Forderung der Bundesländer 1995 - bundes- kannt sind. weit zum Tragen kommen könnte.

Was wir brauchen - das möchte ich noch anschlie- (Eckart Kuhlwein [SPD]: So lange dauern ßen -, ist offenkundig eine Bundesregierung, die Schnellschüsse hier in Bonn!) 2994 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Staatsministerin Iris Blaul (Hessen) Auf der Umweltministerkonferenz in Dessau in der - Ja, ich wußte schon, woher der Ruf kommt: Tempo- vorigen Woche war Frau Merkel nicht einmal in der limits? Um Gottes willen! Wir brauchen Tempolimits Lage, einen einzigen Eckpunkt zu nennen; sie hat und gleichermaßen Fahrverbote, spätestens bei aber gleichwohl wieder angekündigt, demnächst, in 240 Mikrogramm. Kürze, komme die Bundesregierung zu Potte und werde eine Regelung vorlegen können. (Birgit Homburger [F.D.P.]: Wie sind Sie denn hergekommen?) Gestern kam nun das endgültige Armutszeugnis. Die gestrige Pressekonferenz, in der sie nunmehr Ich weiß, in Ihren Reihen rollen sich bei einigen die endlich die Vorstellungen über die Bekämpfung des Fußnägel auf, wenn sie das Wo rt „Tempolimit" hö- Sommersmogs darlegen wollte, wurde abgesagt, weil ren. Das ist aber eine ideologische Frage bei Ihnen; die Bundesregierung offenkundig - wie ich den Wor- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ten des Forschungsministers entnehme - jetzt bereit und bei der SPD sowie bei Abgeordneten ist, zu denken anzufangen. Mehr ist aber noch nicht der PDS) passiert. Meine Damen und Herren, es geht eben nicht um das hat nichts mit wissenschaftlichen Erkenntnissen blinden Aktionismus. Es geht auch nicht um irgend- zu tun. Sie sagen: Tempolimits bringen nichts. Wir welche ideologischen Grabenkämpfe, wie hier ge- haben in Hessen den Gegenbeweis angetreten. Je- der Mensch weiß doch inzwischen, daß der Schad- sagt wurde. Es geht um die Gesundheit unserer Be- stoffausstoß bei geringeren Geschwindigkeiten zu- völkerung. rückgeht. Die Auswertung der hessischen Maßnah- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN men des letzten Jahres hat ergeben, daß die Tempoli- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten mits sehr nachweisbar den Ausstoß der Vorläufer- der PDS) substanzen reduzieren. Es geht um Atemwegsreizungen, um Augenrei- (Birgit Homburger [F.D.P.]: Die Vorläufer zungen, um die erschwerte Atmung, um Kopf- substanzen, aber nicht das Ozon!) schmerzen, um Gesundheitsbeeinträchtigungen durch bodennahes Ozon. Diese Beschwerden quälen - Die Vorläufersubstanzen werden reduziert. Ich viele Bürgerinnen und Bürger zunehmend, jeden empfehle Ihnen die Lektüre der Gutachten, die Hes- Sommer mit immer höherer Intensität. sen hat anfertigen lassen, damit Sie sich sachkundig machen können. Haben Sie sich eigentlich einmal vor Augen- ge- führt, was das für die kleinen Kinder heißt, die dieser (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gefahr und dieser Belastung in besonderer Weise und bei der SPD) ausgesetzt sind? Gerade kleine Kinder, die, bezogen auf ihre Körpergröße, mehr atmen als Erwachsene, Meine Damen und Herren, ist es denn bei einer sind besonders gefährdet. Bei kleinen Kindern ist das solchen Lage von der Sache her begründet, die not- Immunabwehrsystem noch nicht voll ausgebildet. wendigen und wichtigen Fahrverbote für Dreck- Dadurch haben unsere Kinder bei Belastungssitua- schleudern zu erlassen und gleichzeitig die anderen tionen in besonders hohem Maße an Infektionen zu Autos, in denen mit Bleifuß gefahren werden kann, leiden. auf den Autobahnen zu belassen? Das können Sie doch niemandem vermitteln. Tempolimits und Fahr- Sie wissen, daß inzwischen schon ein Drittel der verbote sind die Instrumente, die uns jetzt unmittel- Kinder allergisch ist. Viele Kleinkinder haben auf bar zur Verfügung stehen, um kurzfristige Maßnah- Grund ihrer gereizten Atemwege permanent Infek- men auch schon im Sommer 1995 realisieren zu kön- tionen. Das ist es, was Sie vertreten, wenn Sie nicht nen. Darauf kommt es an. auch kurzfristige Maßnahmen ergreifen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS) Ich komme zum Schluß. Angesichts des Trauer- spiels in Bonn werden wohl die elf Bundesländer, die Aber nicht nur diese Gesundheitserkenntnisse sind sich letzte Woche in Dessau zusammengetan haben, erschreckend. Die Experten der Deutschen For- ihren eigenen Länderweg gehen müssen. Aber Sie, schungsgemeinschaft haben festgestellt, daß Ozon Frau Merkel, und die Vertreter der anderen Bundes- als begründet krebsverdächtig eingestuft werden länder werden der Bevölkerung eines zu erklären ha- muß. Vor diesem Hintergrund des Krebsverdachtes ben: warum Sie weiterhin den Menschen die Bela- ist es mir absolut unverständlich, warum die Bundes- stung durch hohe Konzentrationen von Ozon zumu- regierung weiterhin dabei ist zu prüfen und zu re- ten, warum Sie der Bevölkerung das Reizgas Ozon den, aber nicht bereit ist, zu handeln. zumuten, das unter Krebsverdacht steht. Dazu müs- Es muß doch schon im Vorfeld der Belastungsspit- sen Sie sich gegenüber der Bevölkerung äußern, wie zen eingegriffen werden, d. h. spätestens bei Kon- Ihre Wertung ist. Denn elf Bundesländer - es können zentrationen von 180 Mikrogramm sind Tempolimits offenkundig noch mehr werden - wollen einen ein- angesagt. heitlichen Weg gehen, und es wäre nachgerade ab- surd, wenn die Bundesregierung weiterhin im Prin- (Zuruf von der CDU/CSU: Die nützen doch zip ihren Alleingang beim Ozon weiterverfolgen nichts!) würde. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 2995 Staatsministerin Iris Blaul (Hessen) Frau Merkel, ich habe eine neue Kunde aus dem Die Reduktion der Ozonbelastung in Hessen auf- Bundesland Hessen, aus einer zwar nicht so bedeu- grund der Minderung der Emissionen der Vorläu- tenden Fraktion bei uns, die aber hier in Bonn noch fersubstanzen durch das Tempolimit bewegte bedeutend ist. Ich zitiere aus einer Erklärung von sich innerhalb des Unsicherheitsbereiches des heute: Bundeswirtschaftsminister Rexrodt und sein angewendeten statistischen Verfahrens und lag CDU-Amtskollege im Verkehrsministerium wären mithin im Bereich 0 bis minus 10 Prozent. gut beraten, wenn sie die Bedenkenträger aus ihren Fachabteilungen etwas zügelten und mehr die politi- Die Quellen der Vorläuferverbindungen des sche Gesamtverantwortung bei diesem Problem in Ozons sind Stickstoffverbindungen und Kohlenwas- den Vordergrund stellten. serstoffe. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sehr gut!) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, darf ich Sie für einen Augenblick unterbrechen? - Schöne Grüße von der F.D.P. aus Hessen. Herr Kollege Schlauch, wenn Sie dem Redner zuhö- ren wollen, sollten Sie ihm das Gesicht zuwenden. Ich danke Ihnen. (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN NEN]: Entschuldigung!) und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS) Herr Kollege, Sie können fortfahren.

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort hat Hans-Otto Schmiedeberg (CDU/CSU): Sie teilen der Abgeordnete Hans-Otto Schmiedeberg. sich wie folgt auf: An der Erzeugung der Stickstoff- verbindungen ist der Verkehr mit 40 %, sind die Hans-Otto Schmiedeberg (CDU/CSU): Herr Präsi- Kraftwerke mit 22 % und sind andere Benutzer fossi- dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In ler Brennstoffe mit 17 % beteiligt. An der Erzeugung der Pressemitteilung der Deutschen Forschungsge- von organischen Verbindungen sind der Verkehr mit meinschaft vom 16. Mai 1995 wird das Reizgas Ozon 34 %, die industrielle Lösemittelverwendung mit neu eingestuft. Durch die demnächst erscheinende 16 % und die nichtindustrielle Lösemittelverwen- MAK-Werte-Liste wird durch die Senatskommission dung mit 12 % beteiligt. der DFG das Ozon in die Kategorie III b eingestuft.- Das Wissen um diese Quellen ermöglicht es, die Das heißt, Ozon ist begründet krebsverdächtig. Die Emissionen der Vorläufersubstanzen durch ord- bisherigen Werte von 200 Mikrogramm bezogen sich nungsrechtliche Maßnahmen dauerhaft zu senken. lediglich auf die schleimhautreizende Wirkung des Ozons. Es wird noch einmal ausdrücklich darauf hin- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr rich gewiesen, daß Presseberichte, nach denen schon tig!) eine Konzentration von 100 Mikrogramm je Kubik- meter als krebserzeugend angesehen werden muß, Die wichtigsten bereits veranlaßten Maßnahmen unzutreffend sind. sind im Verkehrsbereich eine Reduzierung der Ab- gaswerte durch Einführung des Katalysators, scharfe Die Neueinstufung beruht auf Langzeitstudien an Abgasgrenzwerte auch für Dieselmotoren sowie eine Ratten und Mäusen, die in den USA durchgeführt Einführung der Abgassonderuntersuchung sowohl wurden. Es ergaben sich Hinweise auf eine krebser- für Katalysator- als auch für Dieselfahrzeuge, im An- zeugende Wirkung in der Lunge der Tiere bei 1 000 lagenbereich die Großfeuerungsanlagenverordnung bis 2 000 Mikrogramm Ozon je Kubikmeter Atemluft. und die Verordnung zur Durchführung des Bundes Untersuchungen an Säugetierzellen zeigten jedoch Immissionsschutzgesetzes. generell eine genotoxische Wirkung von Ozon. Aus diesen Studien wird der Verdacht abgeleitet, daß Zusammenfassend kann gesagt werden, daß das Ozon krebserzeugend wirken könnte. vorgesehene Gesetz über großräumige Fahrbe- schränkungen für hochemittierende Fahrzeuge nur Untersuchungen über die Fähigkeit des Menschen auf Akutmaßnahmen mit beschränkter Anwen- zur Anpassung an erhöhte Ozonkonzentrationen dungsmöglichkeit reagieren kann und somit keine sprechen dafür, daß der Mensch über Schutzmecha- wirkungsvolle Luftreinhaltepolitik ist. Dies können nismen gegen Ozon verfügt, und deshalb ist es not- nur rechtsverbindliche Grenzwerte sein, die langfri- wendig, einen neuen Grenzwert zu ermitteln. stig wirksame Maßnahmen zur Senkung der Vorläu- feremissionen bewirken. Gleichzeitig muß das Pro- Das Ozon wirkt als typisches Reizgas. blem international im europäischen Rahmen gelöst Grundsätzlich ist zwischen der Entstehung von werden, da der grenzüberschreitende Transport von Ozon im Zusammenhang mit Arbeitsprozessen und Vorläuferemissionen selbst umfassende und kost- erhöhter Ozonkonzentration in der Außenluft, dem spielige nationale Bemühungen zunichte machen sogenannten Sommersmog, zu unterscheiden. Die würde. Hoffnung, dieses alljährlich im Sommer auftretende (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Problem mit einem Tempolimit lösen zu können, ist jedoch durch die Auswertung des hessischen Ozon- versuchs von 1994 zunichte gemacht worden. Der Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das Bericht kommt zu dem Ergebnis - ich zitiere -: Wort dem Abgeordneten Konrad Kunick. 2996 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Konrad Kunick (SPD): Herr Präsident! Meine sehr werden kann oder keine Zukunft hat, zu glauben, verehrten Damen und Herren! Es gibt zwei Möglich- daß man nicht zwischen Eisenbahn und Lkw drin- keiten, mit einem solchen Problem umzugehen. Eine gend umlenken muß - vor allem, wenn man bedenkt, haben wir gerade gehört: Man erklärt das Ganze daß der Verkehr im nächsten Jahrzehnt um die zum supranationalen Problem; damit erklärt man Hälfte wächst - und umlenken kann, und zwar so, sich für zu klein, um die Dinge überhaupt angehen daß es auch wirkt, bedeutet doch, daß unsere Gesell- zu können. Oder man stellt fest: „Das Problem ist schaft, der erzählt wird, daß die Ozonauswirkungen kleinflächig nicht lösbar" und traut sich wegen der auf die Ratten nicht so schlimm und auf Menschen großen Fläche der Bundesrepublik nicht an eine Lö- ohnedies anders sind, zunächst nach dem Motto sung. Auch das hat sich bereits in der Debatte vom „Weiter so!" weitermachen kann. 11. Mai ergeben. Es lohnt sich im übrigen, diese De- batte vom 11. Mai nachzulesen. Wiederholungen Einige Reden werden gehalten, m an wolle eine Re- sind höchstens für die Öffentlichkeit nützlich. Dort ist form. Aber getan wird nichts von dieser Tu-Nix-Re- vieles gesagt, was hier nicht unbedingt wiedergege- gierung. Derweil wächst die Gefahr so an, daß ein ben werden muß. Umsteuern am Ende nicht mehr möglich ist. Was aber ist neu? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Erstens. Es ist nach dem 11. Mai öffentlich gewor- den, daß Ozon krebserregend sein kann. Warum gibt es keinen tatsächlichen Wandel in der Verkehrspolitik? Warum wird das Flugbenzin immer (Zuruf von der CDU/CSU: Könnte!) noch in gewaltigen Mengen unversteuert in die Ge- gend gepustet? - Es gibt sogar Kollegen im Hause, die dringend daran interessiert sind, das in den Bereich der Ab- (Ingrid Matthäus-Meier [SPD]: Genau!) straktion so weit weg zu reden, daß man beim alten bleiben kann, nämlich beim Nichtstun. - Erstens Warum werden in der Praxis mehr Mittel in die Inve- also: Ozon ist krebserregend. stitionen für Straßen als in die Bahn gesteckt, obwohl man genau weiß, daß der Bundesverkehrswegeplan (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne in der Unfinanzierbarkeit endet? ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Ulrike Mehl [SPD]: Jawohl!) Zweitens. Im Konrad-Adenauer-Haus ist man an- gesichts jüngster Wahlen zu einer richtigen -Erkennt- Warum besteht denn der prinzipielle Streit über den nis gelangt. Öffentlich wurde nämlich bekannt, daß Sommersmog, als ob es schädlich sei, den Verkehr man dort angemahnt hat, die CDU/CSU - in diesem bei einer geringeren Gefahrenstufe zu verlangsa- Fall mehr die CDU - müsse ihr Umweltprofil schar- men? Verlangsamter Verkehr ist auf jeden Fall für fen. die Mobilität weniger schädlich, als wenn gar kein Verkehr mehr stattfinden kann. Drittens fand gestern eine Kabinettssitzung statt. Dort ist die Schärfung des Umweltprofils gründlich (Beifall bei der SPD) mißlungen. Warum überlegt man denn nicht, wie man den (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Übergang zum ÖPNV so verbessern kann, daß den ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Menschen ein Ersatzverkehr angeboten wird? Wenn Es könnte nun einer Opposi tion gut gefallen, daß der Herr Wirtschaftsminister der Auffassung ist - da- das so ist, ginge es nicht um gewichtige Zukunftsfra- mit hat er gestern abgeblockt -, daß ganze Regionen gen. Herr Kollege Rüttgers, was Ihre Analyse angeht, in ihrer Produktion dadurch bedroht seien, daß der können wir ihr weitestgehend zustimmen. Wo ist Lkw-Verkehr bei einer bestimmten Ozonlage nicht aber das Fortschreiten einer integ rierten, modernen, mehr fließen könne, wo ist denn dann die entschie- auf Mobilität zielenden Politik, die gleichzeitig die dene Unterstützung dieses Bundeswirtschaftsmi- Umweltgefahren überwindet und unsere Gesell- nisters für ein entschiedenes Umsteuern vom Lkw schaft ins 21. Jahrhundert so voranführt, daß sie so auf die Eisenbahn - Produktion muß natürlich lau- mobil bleiben kann, wie eine Industriegesellschaft fen -? mobil sein muß, und gleichzeitig nicht allmählich im (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Ozon untergeht? ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ihre Redezeit Man kann doch im Gegenteil feststellen: Die Ge- ist abgelaufen, Sie müssen zum Schluß kommen. fahr wächst weitaus schneller, als der Wandel des Denkens fortschreitet. Damit ist das, was sich gegen- (SPD): Ich komme zum Schluß. - wärtig vollzieht, der Weg der Saurier, die in die Kata- Konrad Kunick Herr Kollege Rüttgers, der Ansatz für eine intelli- strophe tappen. gente Politik, den Sie vorgetragen haben, ist rich- Sehen wir uns an, wie mit der Zukunft des Auto- tig. Nur haben wir die allerstärksten Zweifel, daß mobils umgegangen wird: Zu glauben, daß das Auto sie mit Ihrer Regierung in die Tat umgesetzt wer- entweder nur völlig frei und unbegrenzt gefahren den kann. Was erforderlich ist, ist ein neues Re- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 2997 Konrad Kunick formbündnis in Deutschland, das solches Denken in genau dieses kleinräumige, ballungsartige, gebiets- die Tat umsetzt. artige Untersuchen zum Inhalt hatte, wirkungslos war und daß die Sache anders angegangen werden (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne mußte. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge DIE GRÜNEN]: Eine ganz tolle Rede!) ordneten der F.D.P.) Daraufhin haben wir uns selbstverständlich auch Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Senator über die neuesten Ergebnisse von Prognos-Untersu- Kunick, es war die erste Rede, die Sie in diesem Haus chungen, die vom Bund initiiert und unter Mitarbeit gehalten haben. Ich möchte Ihnen nach der Tradition der Länder durchgeführt werden, informiert und sind im Namen des Hauses gratulieren. zu dem Ergebnis gekommen, daß allenfalls großräu- mige Fahrverbote für schadstoffhaltige Autos eine (Beifall) vernünftige Reduktion von Spitzenwerten - ich be- tone: Spitzenwerte! - von Ozonbelastungen bringen Ich erteile nun das Wo rt der Ministerin für Umwelt, und daß Tempolimits in einer Größenordnung von 3 Naturschutz und Reaktorsicherheit, Frau Dr. Angela bis 5 % ebenfalls einen Beitrag leisten, allerdings Merkel. längst nicht in dem Maße, wie das hier diskutiert wird.

Dr. Angela Merkel, Bundesministerin für Umwelt, (Zustimmung von der CDU/CSU) Naturschutz und Reaktorsicherheit (von der CDU/ CSU sowie von Angeordneten der F.D.P. mit Beifall Liebe Frau Blaul, Sie haben in der letzten Woche, begrüßt): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! angeführt von der sachsen-anhaltinischen Kollegin, Eigentlich sollte sich diese Aktuelle Stunde mit den Frau Heidecke, schon vor der Umweltministerkonfe- Maximalen Arbeitsplatzkonzentrationen befassen. renz eine Pressekonferenz gegeben, in der Sie ver- Sie haben das Thema nun wahrscheinlich geändert, kündet haben, ich hätte einen Gesetzentwurf mit ei- weil Sie sich nicht vorher schon ge traut haben, eine ner Höchstkonzentration von 300 Mikrogramm pro Neuauflage der Aktuellen Stunde der vorigen Woche Kubikmeter vorgelegt. zu fordern; denn die Diskussion unterscheidet sich in Sie mußten natürlich im internen Kamingespräch nichts. - eingestehen, daß ein solcher Entwurf überhaupt noch nicht vorgelegt war. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.) (Zuruf von der CDU/CSU: Aha!) Ich kann Ihnen hier mitteilen - das habe ich auch Trotzdem informieren Sie unter Ignorierung dieses gestern in der Regierungsbefragung gesagt, wo ich Wissens die deutsche Öffentlichkeit Schlichtweg direkt nach der Kabinettssitzung sehr wohl zur Ver- falsch. fügung stand -: Die Bundesregierung wird bis Ende Mai einen Gesetzentwurf vorlegen - ich sage hier: (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - die Bundesregierung; dies ist ein Gemeinschaftswerk Zuruf von der CDU/CSU: So wird Stim aller beteiligten Ressorts. Und so wird es sein. mung gemacht!)

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Nachdem Sie sich aber die Entwurfspapiere, die Diskussionspapiere besorgt haben, erklären Sie nun Aber ich sage auch: Wir werden dies mit Umsicht heute erneut, Frau Blaul - wieder unter völliger und Bedacht machen, und wir werden die Verhält- Leugnung all dessen, was Ihnen bekannt ist -, daß nismäßigkeit und die Richtigkeit der Maßnahmen ich in der letzten Woche beim Kamingespräch nicht prüfen. einmal Eckpunkte und Vorstellungen hätte äußern können. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU) Liebe Frau Blaul, an dieser Stelle muß ich einmal Ich erinnere Sie daran - ich sage dies auch in be- auf unsere Diskussionen Bezug nehmen. Meine erste zug auf die Meßwerte, und ich sage dies auch in be- Veranstaltung als Umweltministerin auf der UMK in Chemnitz war tatsächlich die Diskussion über Ozon. zug auf die Schwellenwerte -, daß wir lange und aus- führlich darüber diskutiert haben, welches Damals waren sich die Landesumweltminister wei- Meßver- fahren die Bundesregierung zu nehmen beabsichtigt testgehend einig, daß Fahrverbote in Ballungsräu- und welche Vor- und Nachteile dies hat, weil jeder men genau das Instrument sind, um an anderen Stel- len die Ozonbildung zu verhindern. Schwellenwert in bezug auf die Zahl der Meßpunkte, die Dauer der Beobachtung und die angenommene Mit diesem Auftrag bin ich von Chemnitz - aller- Prognose gesehen werden muß. dings nicht mit ausdrücklicher Zustimmung, sondern Warum tun Sie dies und sagen hier, es gebe nicht mit der Maßgabe, daß ich die Dinge ernsthaft betrei- eine einzige Vorstellung, wo wir doch diese A rt von ben werde - nach Hause gefahren. Wenige Wochen Gesprächen hatten? später stellte der Umweltminister Schäfer aus Baden Württemberg fest, daß sein Heilbronner Versuch, der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) 2998 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Bundesministerin Dr. Angela Merkel Ich sage einfach: Das ist unredlich; so geht man nicht - Was wir haben, habe ich Ihnen soeben erst gesagt, miteinander um. Die vermeintliche Gemeinsamkeit Herr Fischer. Da haben Sie wie immer nicht zuge- der Umweltminister zeigt sich hier als eine komplett hört. hohle Krücke. Es nützen hier alle Treueschwüre nichts, wenn bewußte Falschinformationen betrieben (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ werden. DIE GRÜNEN]: Das sind Ankündigungen von Ihnen!) (Beifall bei der CDU/CSU - Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: - Herr Fischer, ich habe in einem ersten Schritt ge- Was ist denn aus Ihrer Initiative geworden?) sagt, was wir haben; aber wie immer haben Sie da nicht zugehört, sondern geschrieen. - Ich habe schon gesagt, wir werden bis Ende Mai etwas vorlegen. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Natürlich!) DIE GRÜNEN]: Ja, ja!) Jetzt sage ich, was wir brauchen. Die Bundesregierung hat in den letzten Jahren et- was getan - ich muß Ihnen diese Maßnahmen ein- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) fach noch einmal in Erinnerung rufen, damit nicht ein völlig falscher Eindruck entsteht -: Reduzierung Es wäre doch schlimm, wenn ich angesichts der Lage der Abgaswerte durch die Einführung des Katalysa- nicht sagen würde, daß weiterer Handlungsbedarf tors sowie scharfe Abgasgrenzwerte auch für Diesel- besteht. motoren. (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Wo ständen wir eigentlich heute, wenn wir den Ka- DIE GRÜNEN]: Jammervoll, was Sie hier talysator nicht hätten? Der ist von dieser Bundesre- abliefern!) gierung eingeführt worden, Er besteht vor allem darin, die Grundbelastung an (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ozon, wie es mein Kollege Rüttgers dargestellt hat, und zwar - falls Sie sich noch erinnern - gegen den zu begrenzen. erbitterten Widerstand der Gewerkschaften. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum (Dr. Renate Hellwig [CDU/CSU]: 13 -Jahre Schluß noch eines sagen: Sie führen diese Diskussion SPD-Regierung und kein Katalysator!) einerseits - und da führen wir sie mit Ihnen - aus der berechtigten Sorge um die Auswirkungen von Ozon Weiter: Einführung einer Abgassonderuntersu- auf die Bevölkerung, insbesondere auf die, die für chung für Katalysator- und Dieselfahrzeuge, die Bronchitis und Atemerkrankungen anfällig sind, vor Großfeuerungsanlagenverordnung, die TA Luft, die allem Kinder und ältere Menschen. Aber einen ande- zweite Bundes-Immissionsschutzverordnung mit ren Teil der Diskussion - der Eindruck verstärkt sich Grenzwerten für Chemischreinigungen. bei mir von Tag zu Tag - führen Sie aus rein ideologi- (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ schen Gründen, um gegen das Auto und gegen be- NEN) stimmte Prinzipien mobilzumachen. - Wissen Sie, Sie wollen es einfach nicht zur Kenntnis (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nehmen. Das ist die Art der Diskussion, die wir hier miteinander führen. Kein Wort über Farben, kein Wo rt über Lacke, kein Wort über all die Ursachen von flüchtigen organi- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - schen Substanzen. Ulrike Mehl [SPD]: Wie lange regieren Sie denn schon? Erst seit gestern?) (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Doch! Doch! - Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜND Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen auch: NIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Merkel, wir Wir brauchen weitere Maßnahmen; selbstverständ- betreiben das Geschäft doch nicht erst seit lich. Wochen!) (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Richtig! Selbstverständlich! Genau!) 50 % kommen nicht vom Auto. Wir brauchen eine Verschärfung der Abgasvorschrif- Deshalb sage ich: Sie versuchen, auch ein Ge- ten, die dritte Abgasstufe und den Grenzwert 2 000 schäft mit der Angst der Bevölkerung zu machen. in der Europäischen Union. Wir brauchen europä- ische Abgasgrenzwerte für Motorräder und Mopeds. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir brauchen die emissionsbezogene Kfz-Steuer. Wir brauchen weitere Dinge. Wir haben jetzt die Auto- Sie müssen bei all dem, was Sie tun und was auch ich bahngebühr für Lkws eingeführt. unterstützen werde, bitte immer überlegen, daß bei unseren Debatten zu Hause Menschen zuhören, die (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ nicht genau einschätzen können, was jetzt passiert. DIE GRÜNEN]: Brauchen tun wir viel! Der Jammer ist, was wir haben!) (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 2999

Bundesministerin Dr. Angela Merkel Es gibt Mütter mit Meinen Kindern, die sich bei Ist das die Verhältnismäßigkeit, von der Sie gespro- 180 Mikrogramm pro Kubikmeter Ozon nicht mehr chen haben, Frau Merkel? - Nein, meine Herren und aus dem Haus trauen, weil sie Angst um ihre Kinder Damen, ein Resignieren gegenüber einer Umweltpo- haben, obwohl die maximale Arbeitsplatzkonzentra- litik, die dem Gott Verkehr Menschenopfer bringt, tion heute noch bei 200 Mikrogramm pro Kubikmeter können und wollen wir nicht zulassen. für acht Stunden liegt. (Widerspruch bei der CDU/CSU und der (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: F.D.P.) Für Erwachsene!) Schon seit geraumer Zeit liegen Untersuchungen Diese Mütter werden durch die Art Ihrer Debatte ein- vor, die unausgesetzt bestätigen, daß hohe boden- fach irregeführt. nahe Ozonkonzentrationen in den Sommermonaten (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - gefährlich für die menschliche Gesundheit sind. Widerspruch bei der SPD) Ich brauche nicht zu wiederholen, was Sie selbst Deshalb muß ich Ihnen sagen: Wir werden die not- hier schon mehrfach angeführt haben. Wir wissen, wendigen Maßnahmen ergreifen. Wir werden han- daß Ozon als ein aggressives Reizgas auch in gerin- deln. gen Konzentrationen als Zellgift wirkt, was es ge- fährlich macht. Niemand mehr bestreitet das. Späte- (Zuruf von der SPD: Das glaubt Ihnen ja stens seit dem Umweltgutachten 1994 des Rates von keiner mehr!) Sachverständigen für Umweltfragen wissen wir, daß Wir werden vor allem langfristig wirkend handeln. Ozon neben akuten Wirkungen auch Langzeitschä- Aber eine bestimmte Verengung der Diskussion auf den in tieferen Lungenabschnitten verursacht und ideologische Prinzipien werden wir nicht mitmachen. durch vermehrte Einlagerung von Bindegewebe zu Lungenstarre führen kann. Herzlichen Dank. Wir sind auch soweit, daß wir befürchten müssen, (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und daß Ozon Chromosomenveränderungen und eine der F.D.P. - Joseph Fischer [Frankfurt] Schwächung des Immunsystems insgesamt hervorru- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lange wer fen kann - ein Beitrag zu einer Entwicklung, die in- den Sie nicht handeln!) zwischen nicht ohne Grund als ,, chemical Aids" be- zeichnet wird. - Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Meine Kolle- Alles dies wissen wir nicht erst seit heute. Schon gen, ich möchte Sie zur Geschäftslage nur auf folgen- im Jahre 1987 hat die Weltgesundheitsorganisation des aufmerksam machen: Wenn das Maß der Zwi- erstmals wirkungsbezogene Grenzwerte für Ozon schenrufe einen bestimmten Grad überschreitet, erarbeitet. kann man den Redner nur noch schwer verstehen. Wenn aber das Mitteilungsbedürfnis so groß ist, wie Vor diesem Hintergrund ist es schlimm, wenn die man hier allmählich merken muß, dann brauchen die vorgelegten Entwürfe zur Bekämpfung umweit- und Mitglieder der Bundesregierung ihre Redemöglich- gesundheitsgefährdender Konzentrationen bodenna keiten nur weiter auszunutzen. Dann treten wir in hen Ozons als sinnloser Aktionismus" abqualifiziert eine normale Debatte ein, werden, wie es der CDU-Kollege Dr. Norbe rt Rieder in der Sitzung in der vergangenen Woche getan hat. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das ist gut!) Mit Ihrer Erlaubnis darf ich zitieren: in der Sie Zwischenfragen stellen und für die wir eine beliebige Länge vereinbaren können. Ich sage Bewahren Sie uns vor sinnlosem Aktionismus; Ihnen das nur, damit Sie wissen, wie sich das nach denn der wird uns die notwendige Zeit, die wir der Geschäftsordnung entwickeln könnte. brauchen, um echte Maßnahmen zu ergreifen, nehmen. Mit dieser Maßgabe erteile ich der Abgeordneten Dr. Angelica Schwall-Düren das Wort. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist heute noch richtig!)

Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD): Herr Präsident! Das, was wir heute schon über Ozon wissen, reicht Meine Herren! Meine Damen! Die Menschen müs- anscheinend immer noch nicht aus und war für diese sen sich ja erst daran gewöhnen, nämlich an die Regierung nicht dringend genug, um echte Maßnah- Fahrverbote. So sollen Sie sich, Frau Ministerin Mer- men zu ergreifen. kel, kürzlich geäußert haben, als Sie die Einführung von Fahrverboten bei einem Ozongrenzwert unter- (Dr. Renate Hellwig [CDU/CSU]: Was sind halb von 300 Mikrogramm ablehnten. denn „echte"?) Welch ein Zynismus! Denn, so füge ich hinzu - ich - Das haben Sie gesagt. hoffe, Sie verstehen meine bittere Ironie -, an die Be- lastung und Beeinträchtigung ihrer Gesundheit Die Nachricht, daß begründete Annahmen be- durch schädliche Umwelteinflüsse sind die Men- stehen, daß Ozon krebserregend ist, hätte eigentlich schen schon gewöhnt. der letzte Anstoß für Sie, Frau Merkel, sein müssen, Ihre Kabinettskollegen Herrn Wissmann und Herrn (Beifall bei der SPD) Rexrodt davon zu überzeugen, daß großflächige - 3000 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Dr. Angelica Schwall-Düren das ist die Forderung der SPD -, tiefgreifende und Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau früh einsetzende Maßnahmen notwendig sind, um Dr. Schwall-Düren, das war Ihre erste Rede hier. der Sommer für Sommer drohenden Gefahr entge- Herzlichen Glückwunsch im Namen des Hauses! genzuwirken. (Beifall) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Aber fünf Minuten sind fünf Minuten. Die Krebsverdächtigkeit sollte auch Sie, liebe Kolle- Ich erteile das Wo rt der Abgeordneten Birgit Hom- ginnen und Kollegen von der CDU/CSU und der burger. F.D.P., überzeugen, daß es höchste Zeit ist, mit Ent- schiedenheit gegen den Ausstoß der Ozonvorläufer- Birgit Homburger (F.D.P.): Herr Präsident! Liebe substanzen vorzugehen. Kolleginnen und Kollegen! Die aktuelle Diskussion Mit den Fortschritten, die im Arbeitsschutz in den beruht auf einer Neueinschätzung von Ozon durch vergangenen Jahren erzielt worden sind, darf nicht die Senatskommission der Deutschen Forschungsge- am Werkstor oder an der Bürotüre haltgemacht wer- meinschaft. Auf der Grundlage der Ergebnisse von den. Langzeitstudien an Mäusen und Ratten aus den USA wurde der bisherige MAK-Wert von 200 Mikro (Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr wahr!) gramm pro Kubikmeter Atemluft außer Kraft gesetzt Dabei, liebe Kolleginnen und Kollegen, will ich Ihren und Ozon als „begründet krebsverdächtig" einge- Blick insbesondere auf die Kinder lenken. Es ist für stuft. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, gegen mich eine Frage der Kultur, wie wir mit unseren Kin Ozon wirksam vorzugehen. dern umgehen und welche Chancen wir ihrer Zu- Da die MAK-Konzentration festlegt, welche Bela- kunft geben. Es darf nicht wahr sein, daß Kinder, die stungen mit einem Stoff auf Dauer ohne schädliche ihrem Bewegungsdrang nachgehen, schlechter ge- Auswirkungen auf den Arbeitnehmer am Arbeits- schützt sind als erwachsene Arbeitnehmer. platz zulässig sind, ist die bloße Wiederauflage der (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Diskussion der letzten Woche unangemessener GRÜNEN und der PDS) Populismus. Die Grenzwerte für Schadstoffbelastungen in Luft, (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Boden und Wasser, die derzeit gelten, orientieren sich am gesunden 30jährigen 70-Kilo-Mann. Auch Obwohl Sie das wissen, meine Damen und Herren, daß es hier um Dauerbelastungen geht, vermitteln die derzeitige Praxis der Probenahme berücksichtigt- die besondere Situa tion der Kinder nicht. Die Ent- Sie öffentlich den Eindruck, als bestünde für die ge- nahmehöhe von 1,50 Meter wird der kind lichen Si- samte Bevölkerung eine akute erhöhte Krebsgefahr. tuation nicht gerecht. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Frau Blaul, Herr Kunick und gerade auch Frau Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin, Schwall-Düren schüren Angst und Hyste rie. Ihre Redezeit ist zu Ende. (Rolf Köhne [PDS]: Sie wiegeln ab!) Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD): Ich komme zum Ich will Ihnen eines sagen: Sie tragen auch eine Ver- Schluß. - Dabei darf die Ozonproblematik nicht iso- antwortung dafür, wie Sie mit Informationen umge- liert gesehen werden. hen, daß Sie nicht unnö tig Angst in der Bevölkerung Zusammen mit anderen Schadstoffbelastungen er- verbreiten. geben sich bedenkliche synergistische und akkumu- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) lierende Wirkungen. Wir wissen: Kinder haben in den ersten Jahren ein schwächer ausgebildetes Im- Die eigentliche Problematik dieser neuen Erkennt- munsystem als Erwachsene. Jetzt, da wir befürchten nisse liegt bei den Auswirkungen auf Arbeitnehmer. müssen, daß Ozon krebserregend sein kann, muß die Deshalb ist es jetzt wichtig, so schnell wie möglich Regierung Flagge zeigen. Glaubhafte Politik ist nicht Sicherheit für die Arbeitnehmer zu schaffen. Es muß eine solche - geklärt werden, ob ein Grenzwert festgelegt werden kann und, wenn ja, wie hoch er sein muß. Die F.D.P. fordert, daß so schnell wie möglich geklärt wird, an Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin, welchen Arbeitsplätzen Schutzmaßnahmen ergriffen wenn ich sage, daß Sie zum Schluß kommen müssen, werden müssen, um die Gefährdung von Arbeitneh- müssen Sie auch zum Schluß kommen. mern auszuschließen. Des weiteren ist es wich tig, Maßnahmen zur wirk- Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD): - das ist der letzte Satz -, die ständig den Schutz des geborenen samen Absenkung der bodennahen Ozonkonzentra- und ungeborenen Lebens beschwört, sondern eine tion zu ergreifen. Das haben wir schon mehrfach dis- solche, die unseren Kindern den gesunden Lebens- kutiert. raum erhält und Maßnahmen ergreift. Wirksam ist die dauerhafte Reduzierung der Vor- Herzlichen Dank. läufersubstanzen: Stickoxide und flüchtige organi- sche Verbindungen; denn sie beschleunigen die Bil- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE dung hoher Ozonkonzentrationen bei Schönwetterla- GRÜNEN und der PDS) gen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 3001

Birgit Homburger Die Opposition diskutiert Maßnahmen erst, wenn vier Tagen emittiert worden. Allerdings könnte ein am Ende die hohen Ozonwerte festgestellt werden. wirksamer indirekter Effekt von Fahrverboten für Wir wollen vorne ansetzen und hohe Ozonwerte Fahrzeuge ohne Kat der schnellere Umstieg auf möglichst gar nicht erst entstehen lassen. schadstoffarme Fahrzeuge sein. Das wäre ein Beitrag für eine dauerhafte Senkung der Ozonbelastung. (Rolf Köhne [PDS]: Sie haben nicht zuge hört!) Deshalb ist die F.D.P. bereit, Verkehrsbeschrän- kungen durch eine Ozonverordnung mitzutragen. Die Bundesregierung ist mit ihrem Maßnahmenpa- Die Regelung muß aber praktikabel und auch über ket zur wirksamen Reduzierung der Ozonbelastung wachbar sein. auf dem richtigen Weg. Dazu gehören z. B. der Drei- Stufen-Plan der EG zur Verschärfung der Abgas- Ich füge hinzu: Wir alle sind bereit, dies mitzutra- grenzwerte für PKW, LKW und Motorräder, die Gas- gen, auch Herr Dr. Rexrodt. Es ist nicht richtig, daß pendelung an den Tankstellen und die Rauchgasent- Herr Dr. Rexrodt derjenige war, der gestern im Kabi- stickung bei den Kraftwerken. nett eine Beschlußfassung verhindert hat. Das stimmt überhaupt nicht. Frau Blaul, Sie haben hier gesagt, man möchte Ta- ten sehen. Ich kann Ihnen nur sagen: Das, was ich (Zustimmung bei der F.D.P.) jetzt genannt habe, sind Taten. Das ist etwas ganz anderes als das, was Sie in Hessen machen; das ist Frau Kollegin Dobberthien, Sie haben hier von ei- nämlich Aktionismus. nem „Betonminister" gesprochen. Ich kann Ihnen nur sagen: Sie haben so viele Betonköpfe in Ihrer (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - Fraktion, daß ich an Ihrer Stelle mit solchen Beg riffen Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ etwas vorsichtiger wäre. DIE GRÜNEN]: Das sagt die F.D.P.!) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - Das Umweltbundesamt hat errechnet, daß die er- Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ griffenen Maßnahmen die Vorläufersubstanzen bis DIE GRÜNEN]: Besser Betonköpfe als kopf zum Jahre 2005 um 50 % oder mehr reduzieren wer- los! - Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE den. GRÜNEN und der SPD)

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Die F.D.P. - Herr Präsident, ich komme zum Ende; DIE GRÜNEN]: Was sagen Sie denn- zur nur noch ein Satz - forde rt die Bundesregierung auf, F.D.P.-Erklärung in Hessen?) jetzt endlich zur Geschlossenheit zurückzukehren und, wie vorgesehen, den Entwurf zur Anhörung so- Darüber hinaus fordert die F.D.P. ein Innova tions- fort zu versenden. programm im Verkehrsbereich und bei Indust rie und Vielen Dank. Gewerbe. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - Frau Kollegin Dobberthien, Sie haben vorhin geäu- Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ßert, Sie glaubten, daß die Ministerin nicht aus Angst DIE GRÜNEN) vor der Opposition zu Beginn der Debatte nicht da war. Ich könnte das, wenn es so wäre, voll nachvoll- ziehen, weil ich hier feststelle, daß Sie unseren Vor- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort hat schlägen nichts entgegenzusetzen haben außer: der Abgeordnete Max Straubinger. Tempolimit, Tempolimit, Tempolimit!

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Max Straubinger (CDU/CSU): Herr Präsident! Widerspruch bei der SPD) Meine Damen und Herren! Ozon ist bedingt krebs- verdächtig - diese oder ähnliche Überschriften in Das ist offensichtlich Ihre Generalantwort auf alles. gestrigen und heutigen Meldungen sowie die heuti- Natürlich müssen Maßnahmen vorrangig beim gen Horrorszenarien der Opposi tion beunruhigen die Straßenverkehr ergriffen werden; denn do rt werden Menschen in unserem Land. Liest man die Berichte etwa zwei Drittel der Vorläufersubstanzen ausgesto- aber genauer, so kann man feststellen, daß Wissen- schaftler hinsichtlich der ßen. Vor allem alte „Stinker", also Fahrzeuge ohne Auswirkungen des Reizga- Kat, müssen aus dem Verkehr; denn sie blasen neun- ses Ozon auf den menschlichen Organismus unter- mal mehr ozonrelevante Stoffe in die Luft als Autos schiedliche Bewertungen vornehmen. mit geregeltem Kat. Alle Aussagen über die Auswirkungen auf den Or- ganismus beruhen auf Verdachtsmomenten; Be- Fahrverbote bei hohen Ozonkonzentrationen für weise fehlen. Es gibt anerkannte Untersuchungen, Fahrzeuge ohne Kat können allerdings nur bei lang- die dem Menschen die Fähigkeit zur Anpassung an anhaltenden Schönwetterperioden die Konzentra- erhöhte Ozonkonzentrationen zuschreiben, tionsspitzen und deren Dauer begrenzen. Diese Wet- terlagen gibt es bei uns höchstens zwei- bis dreimal (Zuruf von der SPD: Welche?) im Jahr. Bei kurzfristigen Ozonspitzen kommen die Verkehrsbeschränkungen zu spät; denn die Vorläu- weil der Mensch offensichtlich über natürliche fersubstanzen sind dann jeweils schon vor drei bis Schutzmechanismen verfügt. 3002 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Max Straubinger Verehrte Damen und Herren, ich möchte die mög- nen Pkw angewiesen ist, bei einem Fahrverbot die liche Gefährdung durch Ozon nicht herunterspielen Arbeitsstelle zu erreichen? oder sogar verneinen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - (Zuruf von der SPD: Das haben Sie gerade Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl, das sind getan!) Fragen!) Trotzdem frage ich mich, warum sich so viele Men- Und, verehrte Damen und Herren, wie machen wir schen Jahr für Jahr gegen gutes Geld in südlichen es den ca. 1,2 Millionen Fahrzeughaltern der Marken Gefilden freiwillig möglichen Ozonbelastungen aus- Trabant und Wartburg in den neuen Bundesländern setzen. begreiflich, daß sie plötzlich bei Sonnenschein ihr (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auto nicht mehr benutzen dürfen, um vielleicht ir- gendwo einer Annehmlichkeit nachgehen zu kön- Vor diesem Hintergrund und nach dem Sachstand nen? der Diskussion ist es richtig, hier vernünftig, sachlich, ohne Hysterie und ohne künstliche Aufregung Sach- Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es gilt viel- entscheidungen herbeizuführen. Dabei sollen uns mehr, hier verantwortungsbewußt Regelungen zu vor allem die wissenschaftlichen Untersuchungen zu entwerfen, so wie es unsere Bundesumweltministerin richtigen Schlüssen veranlassen. Hier ist kein um- schon vorgeschlagen hat. Schnellschüsse dienen weltpolitischer Aktionismus, wie er in SPD-geführten nicht der Sache. Die CSU-Landesgruppe forde rt auf Ländern betrieben wird, angesagt. diesem Hintergrund vor allen Dingen die Einführung einer emissionsbezogenen Kfz-Steuer, um in einem (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge verträglichen Zeitraum die stark emit tierenden Fahr- ordneten der F.D.P.) zeuge, die dem heutigen Stand der Technik nicht So erachten Wissenschaftler des Forschungszen- mehr entsprechen und hauptsächlich die Ozon-Pro- trums Karlsruhe Verkehrsbeschränkungen als wenig bleme verursachen, aus dem Straßenverkehr zu be- hilfreich, das Ozonproblem zu entschärfen. Es liegen seitigen. Untersuchungen vor - das wurde heute schon ge- Ich bedanke mich. sagt -, daß Geschwindigkeitsbeschränkungen nur eine Ozon-Minderung von 4 % zustande bringen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wenn dies die einzige Lösung von SPD und GRÜ- NEN zu diesem Problem ist, dann haben sie nicht die - richtigen Instrumente. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, auch Sie haben heute hier Ihre erste Rede gehalten. (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig! Genau!) Unseren herzlichen Glückwunsch! Wichtig ist, daß wir die Vorläufersubstanzen, die Stickoxide und die Kohlenwasserstoffe, deutlich re- (Beifall) duzieren. Hier hat die Bundesregierung mit der Ein- Damit erteile ich das Wo rt dem Abgeordneten führung des Katalysators unter dem Minister F ritz Dr. Martin Pfaff. Zimmermann und der verschärften Fortschreibung der TA Luft umweltpolitisch Meilensteine gesetzt und dadurch erreicht, daß Schadstoffbelastungen der Dr. Martin Pfaff (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolle- Luft und damit auch mögliche Ozonbelastungen ginnen und Kollegen! Ein bekannter und durchaus nicht eintreten. seriöser Mediziner eröffnet einen Aufsatz zum (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Thema „Ökologie - Gesundheit - Medizin" mit den folgenden, zugegebenerweise plastischen Worten - Verehrte Damen und Herren, vielfach werden ich zitiere -: auch Fahrverbote für die Fahrzeuge ohne Katalysa- tor diskutiert, die bei bestimmten Grenzwerten aus- In Smognächten stapeln sich in den Krematorien gesprochen werden sollen. Diese einschneidenden die Särge. Die Bioakkumulation in Nahrungsmit- Maßnahmen werfen aber für mich auch bestimmte teln vollzieht sich unsichtbar. Das Trinkwasser ist Fragen auf, vor allen Dingen Fragen, die derzeit mit Fremdstoffen belastet. Die Luft ist dick. Bei noch nicht beantwortet sind. Wie verfahren wir mit dem, was wir der Natur angetan haben, können Berufspendlern, wenn - ich komme aus dem Ost- wir keine Gnade erwarten. bayerischen und habe Nachbarn, die aus dem be- nachbarten Ausland zu uns pendeln - bei uns ein Ist dies nun, so frage ich, eine düstere Vision über die Fahrverbot besteht? Wird das Fahrverbot nur für Zukunft, oder kommt dies einer Beschreibung der deutsche Verkehrsteilnehmer gelten, oder sind damit Gegenwart nahe? auch ausländische Transitreisende be troffen? (Birgit Homburger [F.D.P.]: Geschmacklos (Zuruf von der CDU/CSU: Das sind Fragen! war das!) Genau!) Wenn ich die neuesten Meldungen über das Krebs- Werden von dem Fahrverbot auch die Gütertrans- risiko des bodennahen Ozons höre und wenn ich vor porte, insbesondere aus dem Ausland, erfaßt? Wie ist allem die Qualität der Diskussion, die bisher von in ländlichen Gebieten ohne ausreichenden öffentli- Koalitionsseite stattgefunden hat, Revue passieren chen Nahverkehr, wo der einzelne tagtäglich auf sei lasse, dann meine ich, daß dies heute durchaus Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 3003

Dr. Martin Pfaff die Realität ist und daß es nicht ausreicht, diese weg Was zweitens die Frage des Verkehrs angeht, gilt zureden, schönzureden und Forderungen nach dasselbe: Wir brauchen eine ökologische Revolution Handlungen in den Raum zu stellen, ohne daß man im Verkehr, die Verkehr vermeidet und den nötigen sie in die Praxis umsetzen wi ll. Verkehr auf das ökologisch Sinnvolle reduziert. Auch hier ist Handeln angesagt. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten der PDS) Das sage ich den beiden Vorrednern bzw. Vorredne- rinnen von der F.D.P. und vor allem auch von der Ich komme zur dritten These: Daß unser Gesund- CSU, denn selbst Minister Goppel hat mittlerweile heitswesen, unser Medizinbetrieb die gesundheitli- ein Fahrverbot gefordert. chen Schäden des Wi rtschaftens, der Umweltbela- stung, auch der Ozonbelastung beheben soll, sehen (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist doch wir alle mehr oder weniger als selbstverständlich an. hier überhaupt nicht streitig!) Was aber nicht oder nicht genügend gefragt wird, ist: Ich zitiere noch einmal Herrn Günter Hielscher von Was müssen und können wir tun, um diese Schäden der F.D.P., der folgendes forde rt: Bundeswirtschafts- gar nicht auftreten zu lassen? Wir brauchen auch minister Rexrodt und auch sein CDU-Amtskollege im eine Ökologisierung der Gesundheitspolitik. Wir Verkehrsministerium wären in der Tat gut beraten, brauchen eine ökologische Gesundheitsstrategie, die wenn sie ihre Bedenkenträger aus den Fachabteilun- die Gesundheitsförderung an die erste Stelle setzt gen - und ich füge hinzu: aus ihrer eigenen Partei im und die eben nicht nur 2 bis 4 % der Mittel des ge- Deutschen Bundestag - etwas zügeln würden. samten Gesundheitswesens für Prävention und För- derung ausgibt und den Rest für den Reparaturbe- (Birgit Homburger [F.D.P.]: Sie haben über trieb. haupt nicht zugehört!) Dabei ist es eigentlich denkbar einfach, wenn wir Meine Ausführungen möchte ich aber weniger auf nur einige Prinzipien berücksichtigen würden: Er- die kurzfristigen Aspekte konzentrieren, auch wenn stens. Wir dürfen nur solche Mate rialien verwenden, die wichtig sind, sondern ich möchte eigentlich das die wir recyclen können oder die in der Natur abge- tun, was Herr Dr. Rüttgers gefordert hat. Die Lang- baut werden. friststrategie ersetzt aber nicht Sofortmaßnahmen; denn was noch nicht gesagt wurde, was die gesund- Zweitens. Wir sollten uns als Teil eines zweigleisi- heitlichen Gefährdungen angeht, ist schlicht -und ein- gen Stromes verstehen - nicht nur von der Produk- fach die Tatsache, daß jede Erhöhung der Ozonkon- tion zum Konsum, sondern auch in der anderen Rich- zentration um 10 % für den Menschen eine Steige- tung, was die Abfälle und all das angeht. rung der Wahrscheinlichkeit, in seinen Aktivitäten Drittens. Wir dürfen nur solche Energien verwen- eingeschränkt zu sein, um 13 % bedeutet und daß je- den, die wir auch entsorgen können. der Sprung um 10 % die Dauer dieser Belastung zu- sätzlich um ein Drittel verlängert. Das heißt, wir ha- Viertens. Ich nenne es das „Badewannen-Prinzip"; ben hier Schwellenwerte, die es nicht zu überschrei- es ist sehr schwierig, aber dennoch als Langfristziel ten gilt. Handeln ist angesagt - nicht in der fernen anzusehen: Wir dürfen nur so viel Energie verbrau- Zukunft, sondern jetzt. chen, wie wir längerfristig in der Region generieren können. Die Wahrscheinlichkeit, daß bodennahe Ozonbela- stungen zu Krebs führen können, ist hinlänglich be- Fünftens. Wir müssen nach dem Verursacherprin- legt. Da muß man wirklich kein Mathema tiker oder zip die vollen Kosten der Produktion in Rechnung gar Statistiker sein, um zu sagen: Auch eine Meine stellen und auch entsprechend steuern. Wahrscheinlichkeit eines unendlichen Verlustes ist nicht zu akzeptieren. Hier ist zu handeln. Die schlichte Botschaft sollte eigentlich lauten: Es gibt nicht nur eine kurzfristige S trategie zur Bekämp- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne fung des bodennahen Ozons - hier dürfen wir nicht ten der PDS) weiter schlafen, hier müssen wir handeln -, es muß auch eine langfristige Strategie geben, denn nur Deshalb meine ich, Herr Dr. Rüttgers, daß eine dann haben wir die Grundlagen für ein vernünftiges Langzeitstrategie in der Tat gefordert ist. Nur reicht Überleben auf unserem Raumschiff Erde gelegt. es dazu nicht aus, sozusagen inte rne Opposition zu pflegen, zu kritisieren und das zu fordern, was ei- Ich danke Ihnen. gentlich notwendig wäre, sozusagen so zu tun, als ob man gar keine Opposition bräuchte, sondern sie sel- (Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei ber machte. Es wäre weit überzeugender, wenn auch Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE konkrete Handlungen folgen würden. GRÜNEN) Deshalb fordere ich erstens eine konzertierte Ak- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile dem tion, damit die ökologischen Grundlagen der Indu- Abgeordneten Werner Kuhn das Wort. strieproduktion und der Siedlungsstrategie hinter- fragt werden. Kein geringerer als E rich Fromm hat mit der provozierenden Frage die Konsequenzen auf- Werner Kuhn (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine gezeigt: „Müssen wir kranke Menschen herstellen, sehr verehrten Damen und Herren! Die Wohlstands- um eine gesunde Wirtschaft zu haben?" gesellschaft in Deutschland und Europa stößt immer 3004 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Werner Kuhn öfter an ihre Grenzen. Das haben wir heute gemerkt. Deutschland, der überdurchschnittliches Weltniveau Ich glaube, Sie hier im Saal sind da einer Meinung. hat. Aber, meine Damen und Herren von der rotgrünen Seite, was Sie in der jüngsten Zeit an Horrormeldun- (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS gen über die Medien gebracht haben, geht im wahr- 90/DIE GRÜNEN) sten Sinne des Wortes nicht mehr auf eine Kuhhaut: - Ja sicher, das wissen Sie doch genauso wie ich. Wer (Beifall bei der CDU/CSU) verzichtet denn schon auf die zweite Urlaubsreise? Von der ersten redet doch schon kein Mensch mehr. Ozonalarm, Smogalarm, Tempolimit, absolutes Fahr- (Rolf Köhne [PDS]: Haben Sie schon einmal verbot. Es fehlen nur noch Gasmasken - Frau Alt- etwas von Sozialhilfeempfängern und Ob mann, Sie haben es vorhin gesagt -, und dann rein in dachlosen gehört? Sie sind doch völlig ne die Schutzräume. Es ist unverantwort lich, wie hier ben der Realität! - Weitere Zurufe von der mit unseren Bürgern umgegangen wird. SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge - Gegenrufe von der CDU/CSU) ordneten der F.D.P. - Zuruf der Abg. Dr. - Ich bitte, doch etwas mehr an Disziplin zu denken. Dagmar Enkelmann [PDS]) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich Die Spitze bei diesem Szenario lautet: Krebs - das, kann Herrn Minister Rüttgers nur unterstützen. Er was uns laufend verfolgt -, das Krebsrisiko durch hat von Strategien gesprochen, wie wir dieses Pro- bodennahes Ozon. blem europaweit bekämpfen können, etwa dadurch, (Zuruf von der F.D.P.: ,,Bild"-Niveau!) daß wir uns verkehrstechnischer Systeme wie z. B. der Telematik bedienen. Meine Damen und Herren, ich meine, wir sollten hier (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nicht wie die Blinden von der Farbe reden und im Nebel herumstochern, sondern Expertisen von Medi- Wir brauchen Verkehrsleitsysteme, die natürlich eu- zinern und Wissenschaftlern anfordern. Dann kön- ropaweit kompatibel sein müssen. In Deutschland nen wir darüber reden. gibt es bisher auf 800 km computergesteuerte Ver- kehrsleitsysteme. Das sage ich hier als Vertreter des (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Verkehrsausschusses. Wir werden 1997 - unser Ver- Gila Altmann [Aurich] [BÜNDNIS 90/DIE kehrsminister hat dies angekündigt - 3 000 km kom- GRÜNEN]: Machen wir doch!) - plett ausgerüstet haben. Die Ozonvorläufersubstanz NO2 ist - das ist völlig (Zuruf von der PDS: Ja, und? Was haben klar, das wissen wir - in Auspuffgasen stark konzen- wir davon? Nichts!) triert. Genauso problematisch als Vorläufersubstanz sind die leicht flüchtigen Lösungsmittel. Wir haben Dann haben wir das Tempolimit, das wir brauchen: hier in der Debatte schon verschiedene technische Es muß gesteuert sein und darf nicht mit der Rasen- Maßnahmen gehört, mit denen wir der Lage Herr mähermethode über ganz Deutschland verhängt werden können. Ich will das jetzt nicht wiederholen. werden. Das bringt überhaupt nichts. Aber die Industrialisierung, unser Lebensstandard, der Wohlstand haben natürlich in erster Linie etwas (Beifall bei der CDU/CSU) mit Technik zu tun. Es nützt auch nichts, wenn ich mit 130 oder (Gila Altmann [Aurich] [BÜNDNIS 90/DIE 150 km/h in einen Stau rase und mir vorher keiner GRÜNEN]: Nee! - Rolf Köhne [PDS]: Das ist gesagt hat, daß ich durchgekommen wäre, wenn ich ein Irrtum!) vorher 80 km/h gefahren wäre. Dann habe ich oben- drauf noch eine Stunde Stop-and-go, ich habe zu- Die negativen Erscheinungen, die die Technik mit- sätzlich Sprit verbraucht, habe Abgase in höchsten bringt, haben wir jetzt zu bekämpfen. Das führt - das Konzentrationen produziert. muß man einfach sehen - zu einem gegenläufigen (Rolf Köhne [PDS]: Fahren Sie doch mit der Lebensstandard. Wer gibt denn von Ihnen hier, ver- Bahn! Dann passiert Ihnen das nicht!) ehrte Damen und Herren, sein liebstes Kind, das Auto, auf? Wir haben es doch vorhin gehört: Weg ist Es ist nachweislich, daß wir jährlich Treibstoffkosten er, der liebe Herr Fischer - Kämpfer für Umwelt und in Höhe von 100 Milliarden DM einsparen könnten, Natur -, mit dem Auto zum nächsten Termin. wenn wir mit der Telematik europaweit kompatibel umgehen könnten. Das muß unser Ziel sein. Dement- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sprechend könnten wir die Vorläufersubstanzen der Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Ozonbildung, die Stickoxide, enorm eliminieren. technisch verursachten Beeinträchtigungen von Leib (Marion Caspers-Merk [SPD]: Wir fahren und Leben der Menschen in der Bundesrepublik mit der Telematik!) Deutschland müssen in allererster Linie auch mit technischen Maßnahmen bekämpft werden. Wir Zusammen mit dem Zeitverlust, der noch auf die müssen uns nur daran erinnern: 50 % des in Deutsch- Leute, die auf Geschäftsreise oder privat unterwegs land abgewickelten Straßenverkehrs entstehen im sind, zukommt, haben wir heute einen volkswirt- Freizeitbereich - ein Lebensstandard im Freizeitpark schaftlichen Verlust von fast 150 Milliarden DM. Da Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 3005 Werner Kuhn müssen wir ansetzen. Wir müssen sehen, daß wir die Werner Kuhn (CDU/CSU): Jawohl, Herr Präsident. notwendigen Mittel zur Verfügung bekommen, um gegen die drohenden Umweltkatastrophen zu kämp- (Dr. Peter Struck [SPD]: Ja, jetzt ist Schluß! fen. Sie müssen sich schon an die Regeln hal ten!) Verkehrsmessung und Telematik müssen auch den Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe Ziel- und Quellverkehr feststellen können - das ist etliche wichtige Punkte genannt, technisch und auch sehr, sehr wichtig - und Schnittstellen zu anderen administrativ, wie wir die Umwelt verbessern und Verkehrsträgern, ÖPNV, Park-and-ride-Verkehr, be- schützen können, um diese drängenden Probleme zu achten. Aber es darf nicht wie bei der niedersächsi- lösen. Wir brauchen sie nur anzupacken, gemeinsam schen Umweltministerin, Frau Griefahn, enden, die mit Ihnen. Ich lade Sie dazu ein. erst mit dem Zug in Richtung Baye rn fährt und dann ihren Dienstwagen hinterherkommen läßt, der sie (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - dann wieder abholt. Das hat sie falsch verstanden. Lachen bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU - Zuruf von der SPD: Da können wir auch CDU-Beispiele Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das war in die- nennen! So ist es ja nicht! Da wäre ich vor ser Debatte die letzte Erstrede. Dazu möchte ich Ih- sichtig!) nen im Namen des Hauses herzlich gratulieren. (Beifall) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Steffen Sie müssen zum Abschluß kommen. Kampeter.

Werner Kuhn (CDU/CSU): Meine sehr verehrten Steffen Kampeter (CDU/CSU): Herr Präsident! Damen und Herren, das Gaspendelverfahren ist eine Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese De- ganz wichtige Methode, mit der wir tatsächlich batte hat klar und deutlich gezeigt: Wir lassen uns in leichtflüchtige Kohlenwasserstoffe der Atmosphäre der Sorge um die Gesundheit der Menschen in die- fernhalten können; das ist schon erwähnt worden. sem Land und bei den Maßnahmen zum Schutz vor Die Automobilindustrie ist gefragt. Der Katalysator, übermäßiger Ozonbelastung von keinem überbieten. den wir einbauen, ist noch nicht optimal. (Beifall bei der CDU/CSU - Zuruf von der - (Dr. Peter Struck [SPD]: Ihre Redezeit ist zu SPD: Der macht Witze!) Ende! Sie haben fünf Minuten! Das ist eine Wie schwach die Opposition ihr politisches Konzept Aktuelle Stunde! Da können Sie nicht in dieser Frage offensichtlich ausgestaltet hat, zeigen dauernd reden! Sie müssen end lich aufhö die doch menschlich wohl wirklich unter die Gürtel- ren zu reden!) linie greifenden rheto rischen Assoziationen, die hier Auf den ersten drei Kilometern zieht auch Ihr Wagen, in dieser Debatte vorgetragen werden. Herr Struck, riesige Abgaswolken hinter sich her, (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) weil der Kat noch gar nicht richtig funktioniert; er muß vorgeheizt werden. Angefangen hat Frau Altmann, die behauptet hat, man könne entweder nur atmen oder Auto fahren. Jürgen Rüttgers hat das Passende dazu gesagt. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, Sie müssen zum Abschluß kommen! Dann habe ich hier von Herrn Pfaff gehört, wie er unsere Politik gedanklich-rhetorisch in die Nähe von Krematorien zu assoziieren versuchte. Werner Kuhn (CDU/CSU): Ja, ich komme auch so- fort zum Abschluß. (Zuruf von der CDU/CSU: Pfui!) Und die Frau Schwall-Düren war sich nicht zu Es hat sich eindeutig gezeigt, daß das Tempolimit schade, die Sorge um die Kinder in diesem Lande, eine Luftnummer war. die wir alle teilen, mit einer Agita tion gegen die Poli- Das Fahrverbot für Kfz ohne Kat im Umkreis von tik dieser Koalition zu verbinden. 1 000 Kilometern in Deutschland könnte ich da nur - Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist wenn tatsächlich Ozonalarm ausgelöst ist - für alle schäbig, das ist mieser parlamentarischer Stil. verhängen. Wir müssen sehen, auch die 12 000 000 Fahrzeuge einzubeziehen, die tatsächlich überhaupt (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge noch keinen Kat haben. Wir brauchen abgasbe- ordneten der F.D.P. - Widerspruch bei der dingte - - SPD) (Dr. Peter Struck [SPD]: Ja, das geht doch Unsere Politik in der Vergangenheit war gut und nicht!) richtig. Wer, wenn nicht diese Koalition, hat denn eine auf dauerhafte Reduktion der Vorläufersub- stanzen des bodennahen Ozons ausgerichtete Politik Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, gemacht? Wir haben Erfolge aufzuweisen, beispiels- Sie können noch einen Satz reden, es geht wirklich weise bei den VOCs. Die sind in den letzten Jahren nicht mehr. Bitte verstehen Sie das. halbiert worden! 3006 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 Steffen Kampeter Ich frage mich: Warum ignoriert diese Opposition Erde gibt, das bodennahe Ozon sei. Wir vernachlässi- eigentlich die Anstrengungen der Indust rie und der gen diese Gefahren weiß Gott nicht. Aber wir ma- Politik, die zu einer erheblichen Verringerung des chen doch die Menschen in diesem Land hyste risch, Lösungsmitteleinsatzes in Deutschland geführt ha- wenn wir Woche für Woche in einer Aktuellen ben? Und warum wird nicht endlich einmal in diesem Stunde diskutieren, so daß man den Eindruck ge- Haus von der Opposition zur Kenntnis genommen, winnt, das sei das Giftigste, was es in Deutschland welche enormen Investitionen zur Schließung der gibt. Betankungskette gemacht worden sind? A ll dies sind dauerhaft wirkende, langfristig angelegte Maßnah- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - men, die erfolgreich sind. Widerspruch bei der SPD - Ing rid Mat thäus-Maier [SPD]: Wer ist denn hier hyste (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) isch?) Und, meine sehr verehrten Damen und Herren, Dabei geht es nicht um Zahlenspiele: 300, 270, 240, wer denn außer dieser Koalition hat die Bahnreform es geht auch nicht um Tempolimit, sondern es geht entschieden vorangetrieben? darum, langfristig und dauerhaft wirkende Maßnah- (Zuruf von der SPD: Das ist ja wohl ein men zur Verringerung der Vorläufersubstanzen um- Treppenwitz der Geschichte!) zusetzen. Diese Bahnreform ist die einzig richtige Vorausset- Jürgen Rüttgers hat für seinen Bereich Stellung ge- zung zur tatsächlichen Umsteuerung und Umlen- nommen. Die Bundesministerin Merkel arbeitet an kung von Personen- und Güterverkehr auf die diesem Thema in den nächsten Wochen weiterhin Schiene, diesen umweltfreundlichen Verkehrsträger. sehr, sehr intensiv. Die hohe politische Bedeutung kann man daraus ersehen, daß diesem Thema auch (Beifall bei der CDU/CSU) im Bundeskanzleramt höchste Priorität, Chefsachen Und wenn ich mir darüber hinaus überlege, wel- priorität beigemessen wird. Wir handeln, und wir las- che Möglichkeiten wir in der Binnenschiffahrt ha- sen uns von Ihnen nicht übertreffen. Wir verängsti- ben, dann frage ich mich, warum jede Ausbaumaß- gen die Bevölkerung auch nicht. nahme für die Binnenschiffahrt, die auch zu einer Verlagerung von Verkehr führt, von den Grünen und Herzlichen Dank. den Roten in der Art und Weise bekämpft wird, wie (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - wir es Woche für Woche bei jeder Ausbaumaßnahme Zuruf von der SPD: Selbsthypnose!) erleben. --r

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Ich erteile am Widerspruch bei der SPD) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ende der Aktuellen Stunde dem Abgeordneten Gün- Zur Kollegin Griefahn ist ja schon einiges gesagt ter Rexrodt das Wort zu einer persönlichen Erklärung worden. Aber es ist ja nicht nur so, daß sie sich publi- zur Aussprache. kumswirksam mit dem Zug nach Süden hat fahren lassen, nein, sie ist ja dann auch mit dem Dienstwa- (Zuruf von der SPD: Was, geht das?) gen nach Berchtesgaden gefahren worden, um dort - Ja, das geht. Herrn Scharping zu treffen. Sie hat dann mit ihm ein Tempolimit vereinbart, das der Herr Schröder zwei Tage später einkassiert hat. Das ist eben das Handeln Dr. Günter Rexrodt (F.D.P.): Herr Präsident! Meine der Opposition, meine sehr verehrten Damen und Damen und Herren! Angesichts einiger Debattenbei- Herren. träge, meine angebliche Haltung zu einem bundes- treffend, lege ich gesteigerten (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - weiten Ozongesetz be Widerspruch bei der SPD) Wert auf die Feststellung: Es hat nie und nirgendwo eine öffentliche oder nichtöffentliche Äußerung von Wir hingegen werden weiter handeln. Wir haben mir gegeben, die darauf gerichtet war, die baldmög- hier und heute schon einiges zur emissionsbezoge- Verabschiedunglichstezu eines Ozongesetzes ver- nen Kfz-Steuer gesagt. Das ist ein marktwirtschaftli- hindern. Ich bin vielmehr in ressortinternen und frak- ches Instrument, das zum Umsteuern, zu umwelt- tionsinternen Besprechungen entschieden dafür ein- freundlicheren Pkws führen wird. Wir werden bei getreten, daß es mit der Verabschiedung dieses Ge- den Maßnahmen zur Verringerung des Kraftstoff- setzes eben nicht nur kosmetische Maßnahmen gibt, verbrauches voranschreiten. Und, meine sehr ver- sondern daß es großräumige Verkehrsstillegungen ehrten Damen und Herren, es kann gar kein Zweifel geben muß. Ich habe mich hinsichtlich der dafür er- daran bestehen, daß in wenigen Wochen bundesein- forderlichen Grenzwerte für solche ausgesprochen, heitliche Regelungen gegen hohe Ozonkonzentra- die darauf hinauslaufen, daß wir nicht ein nur theore- tionen, Regelungen, die verhältnismäßig und um- tisch gültiges Gesetz verabschieden. sichtig ausgestaltet werden, hier in der politischen Öffentlichkeit diskutiert werden. Ich füge ausdrücklich hinzu, daß auch die gestrige angebliche Verzögerung des Gesetzes nicht darauf Was macht die Opposi tion in dieser Situa tion? An- zurückzuführen ist, daß ich in irgendeiner Weise in- statt diese langfristig und dauerhaft wirkenden Er- terveniert hätte. folge zu honorieren, verängstigt sie die Bevölkerung. Sie tut so, als ob der giftigste Stoff, den es auf dieser (Zuruf von der SPD: Aha!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 3007

Dr. Günter Rexrodt Wenn ich aus meiner Ressortverantwortung dafür kann Schmerzen hervorrufen; das weiß jeder von eintrete, daß dieses Gesetz ein praktikables Gesetz uns. ist und daß in dieses Gesetz Kriterien eingeführt wer- den, die es nicht nur praktikabel machen, sondern (Zuruf von der SPD: Das haben wir gerade auch die Verhältnismäßigkeit der Mittel wahren, gemerkt!) dann ist das meine ureigenste Pflicht. Der Mensch erträgt, ohne gesundheitlich Schaden zu Ich sage Ihnen mit aller Entschiedenheit, meine nehmen, eine andauernde Beschallung nicht. Der Antrag der SPD hat das Ziel, die Belastung der vielen Damen und Herren: Das, was Sie - deshalb gebe ich troffenen Menschen zu ver- diese persönliche Erklärung ab - zu erzeugen versu- durch Verkehrslärm be chen, läuft - es ist wiederholt gesagt worden, und es mindern. ist richtig - auf eines hinaus: Sie schüren Angst, Sie Eine im Juni 1994 herausgegebene Studie des schüren Hysterie bei den Menschen, Sie erlassen in Bundesgesundheitsamtes stellt fest, daß Lärm, der den Ländern, in denen Sie die Möglichkeit haben, z. B. während konzentrierter Arbeit oder auch wäh- Gesetze, Verordnungen und Maßnahmen, die auf rend des Schlafes einwirkt, zu Streßreaktionen wie Aktionismus hinauslaufen, aber nichts bringen, erhöhtem Adrenalinausstoß und Erhöhung der Herz- frequenz führt. (Zuruf von der SPD: Ist doch albern!) Der Straßenlärm spielt hierbei u. a. wegen der und Sie sorgen hier dafür, daß ein Eindruck erweckt Häufigkeit der Geräusche eine herausragende Rolle: wird, der dem diametral entgegensteht, was diese So wurde bei Anwohnern von Haupt- und Schnell- Bundesregierung und diese Koalition wollen. straßen, die Tag und Nacht durch Lärm belästigt (Zustimmung bei der F.D.P. und der CDU/ wurden, ein signifikant erhöhtes Risiko für Bluthoch- CSU) druck sowie für Magen- und Darmgeschwüre festge stellt. In einer Studie über die Folgen der Lärmbela- Kollegin Merkel, Kollege Wissmann und ich und die stung durch Transitverkehr in Österreich weisen die gesamte Koalition wollen schnell - die gestrige Ver- Verfasser bereits ab einem Schallpegel von 60 De- zögerung führt zu nicht einem Tag Verzögerung bei zibel u. a. auf eine überdurchschnittliche Häufigkeit der Verabschiedung des Gesetzes - ein Gesetz ver- von Angina pectoris hin. abschieden, ein Gesetz, das umweltwirksam und ak- zeptabel ist. Das Bundesgesundheitsamt stellte am 21. Juni 1994 wörtlich fest - ich zitiere mit Genehmigung des (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU- - Herrn Präsidenten -: Dr. Peter Struck [SPD]: Das war aber ein bißchen sehr fragwürdig, was Sie hier ver Der Lärm als Gesundheitsrisiko wird offenbar un- anstaltet haben, Herr Rexrodt! - Gegenrufe terschätzt ... Ein Risikovergleich zwischen lärm- von der CDU/CSU: Das war richtig!) bedingtem Herzinfarkt und asbestbedingtem Lungenkrebs in der Gesamtbevölkerung zeigt ein erheblich höheres Risiko von Straßenver- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Wir sind damit kehrslärm. am Ende der Aktuellen Stunde. Ich füge hinzu: Auch die Lärmbelastung durch den Schienenverkehr, dessen Wege ja zum Teil direkt Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf: durch unsere Städte und Dörfer gehen, wird immer Beratung des Antrags der Abgeordneten Elke unterschätzt und stellt für die Anwohner dieselbe Be- Ferner, Michael Müller (Düsseldorf), Gerd An- lastung dar. dres, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Wir stellen aber fest, daß von Regierungsseite der SPD deutlich mit zweierlei Maß gemessen wird: Minderung des Verkehrslärms an Straßen (Elke Ferner [SPD]: Sehr wahr!) und Schienen (Vorsitz: Vizepräsident Hans Klein) - Drucksache 13/1042 - Überweisungsvorschlag: Anlieger an neuen Fernstraßen und Schienenwegen Ausschuß für Verkehr (federführend) werden eindeutig bevorzugt. Wir haben Sie, meine Ausschuß für Gesundheit Damen und Herren von der Regierungskoalition, Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit deshalb immer wieder aufgefordert, auch die Bewoh- Haushaltsausschuß ner an bestehenden Bundesverkehrswegen nicht im Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Stich zu lassen. Die Lärmsanierung an bestehenden Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe und Fernstraßen und Eisenbahnlinien ist nämlich zum höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos- Teil unzureichend und zum Teil überhaupt nicht ge- sen. regelt. Ich erteile der Abgeordneten Angelika Graf das (Elke Ferner [SPD]: Leider wahr!) Wort. Zwar sind im Fernstraßenetat Mittel für die Lärmsa- nierung an bestehenden Autobahnen und Bundes- Angelika Graf (Rosenheim) (SPD): Herr Präsident! straßen enthalten. Doch nicht jeder kommt in den Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lärm Genuß dieser Segnungen. So kommt es zu der para- 3008 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 Angelika Graf (Rosenheim) doxen Situation, daß Gemeinden einer aus ihrer Es gibt keine Millionen DM, es gibt auch keine Mil- Sicht unnötigen, ja schädlichen Autobahnverbreite- lionen Pfennige, es gibt keinen einzigen Pfennig in rung zustimmen müssen, nur um auf dem Weg über einem solchen Haushaltstitel. Es gibt diesen Haus- eine neue Fahrspur auch eine Lärmschutzwand zu haltstitel nicht. bekommen, (Beifall bei Abgeordneten der SPD - (Elke Ferner [SPD): Unglaublich!) Dr. Uwe Küster [SPD]: Leider!) damit sie ihre Bürger vor dem tagaus, tagein dröh- Sie, Herr Carstens, haben im Ap ril 1995 eine mit- nenden Lärm schützen können. telfristige haushaltsrechtliche Regelung dieser Sache angekündigt. Das ist doch Drückebergerei. Wenn Die fehlenden politischen Vorgaben für den Lärm- man von der Regierungsseite her gewollt hätte, hätte schutz an bestehenden Schienenwegen sind ein man das alles längst tun können. Doch nichts ist ge- ganz besonders trauriges Kapitel der Verkehrspolitik schehen. des vergangenen Jahrzehnts. Ich möchte hier noch einen anderen Punkt aus die- (Beifall bei der SPD und der PDS sowie der ser leidigen Lärmschutzverordnung anführen: Ich Abg. Gila Altmann [Aurich] [BÜNDNIS 90/ meine, daß die angewandten Sanierungsimmissions- DIE GRÜNEN]) grenzwerte, die errechnet werden und durchschnitt- Seit 1985 fordert die SPD eine gesetzliche Regelung lich 10 Dezibel über den Lärmgrenzwerten entlang des Lärmschutzes an bestehenden Schienenwegen. neuen bzw. ausgebauten Verkehrswegen liegen, viel Im Januar 1990 hat der Bundestag den Verkehrsmi- zu hoch sind. 60 Dezibel beträgt der Immissions- nister - damals hieß er Zimmermann - aufgefordert, grenzwert, der in der Wohnbebauung entlang einer den Einstieg in die Lärmsanierung an Schienenwe- bestehenden Fernstraße nachts erreicht werden muß, gen zu beginnen. um in den Genuß von Lärmschutzfenstern zu kom- men. Viele Privatleute und Gemeinden sehen in einer Petition den letzten möglichen Weg, auf die Lärmbe- Diese Dezibelzahl entspricht laut einer Broschüre lästigung an der sozusagen seit grauer Vorzeit be- des Bundesinnenministeriums - ich denke mir das stehenden Eisenbahntrasse hinzuweisen. Haben Sie nicht alles aus - aus dem Jahre 1982 mit dem Titel: die alle vergessen? Ist es nicht entwürdigend, wenn „Was Sie schon immer über Lärmschutz wissen woll- Bürgermeister für die Gesundheit ihrer Bürger den ten" - der Lautstärke von 250 Pkws stündlich, die in einem Abstand von 25 Metern vorbeifahren. Können Petitionsweg beschreiten müssen? Ich nenne- als ein Beispiel aus meinem eigenen Wahlkreis die Ge- Sie sich vorstellen, daneben gut zu schlafen? - Ich meinde Kiefersfelden im bayerischen Inntal. nicht. Gute Nacht! Oder können sich diejenigen von Ihnen, die l anger (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne als ich in diesem Parlament sind, vielleicht noch an ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - die Bürgerinitiativen aus dem Raum Hannover erin- Zuruf von der SPD: Die schlafen überall!) nern, die auf einer Informationsveranstaltung im Es gibt zweifellos viele Möglichkeiten, uns vor Ver- Jahre 1992 im Bundesministerium für Verkehr ihre kehrslärm zu schützen. Die Reduzierung der Ge- Nöte vorgetragen haben? schwindigkeit auf unseren Straßen ist eine davon. (Zuruf von der CDU/CSU: Da regieren doch Sie kostet im Gegensatz zu den teuren Wänden und die Sozis!) Wällen nichts. In Fakten: Eine Verdoppelung der Ge- schwindigkeit z. B. von 50 Stundenkilometer auf - Sie waren hier im Verkehrsministerium, Herr Kol- 100 Stundenkilometer erhöht die Geräuschemission lege. jeweils um 4 Dezibel. Das heißt im Klartext: Ein Pkw, An dieser Veranstaltung hat u. a. der damalige der 100 Stundenkilometer fährt, ist genauso laut wie Staatssekretär im Verkehrsministerium, Herr Gröbl, drei Pkws, die 50 Stundenkilometer fahren. teilgenommen. Im Protokoll dieser Veranstaltung Die Vermeidung von Verkehr ist eine andere Mög- steht - ich zitiere -: lichkeit. Sie würde auch unsere abgasgeschädigte Es besteht Einigkeit, daß der Einstieg in die Lärm- Umwelt wirksam entlasten. sanierung an bestehenden Schienenwegen für (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne das Jahr 1994 erreicht werden muß. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Jährlich 100 Millionen DM, in den Folgejahren an- und der PDS) steigend auf 400 Millionen DM, wollte der Herr Die Lärmsanierung an bestehenden Fernstraßen Staatssekretär damals zu diesem Zweck im Haushalt wird beim Straßenbau mitgeführt, ohne daß ein spe- des Verkehrsministeriums einstellen. Laut Protokoll zieller Haushaltsposten eingesetzt ist. Sie erfolgt so- wollten sich alle beteiligten Abgeordneten fraktions- zusagen auf freiwilliger Basis. Lärmsanierung an be- übergreifend für diesen Titel im Haushalt 1994 ver- stehenden Schienenwegen gibt es überhaupt nicht, wenden. auch wenn der Zug akustisch mitten durchs Wohn- Wir schreiben das Jahr 1995. Ich frage Sie a lle: Was zimmer fährt und die Zahl der Züge auf manchen hat sich diesbezüglich bewegt? Strecken in den letzten Jahren deutlich zugenom- men hat. Es fehlt die gesetzliche Grundlage. Diese (Zurufe von der SPD: Nichts!) Grundlage mahnen wir heute ein weiteres Mal an. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 3009

Angelika Graf (Rosenheim) Wir wollen mit unserem Antrag aber auch deutlich nen Verkehrsträgern dieselbe Belastung auf Sie ein- machen, daß der Lärm, der die Menschen krank wirken würde. Sie könnten sich nicht darüber be- macht, oft nicht nur von einem Verkehrsträger schweren, denn die Lärmschutzverordnung hält das kommt. Oft macht die Summe auch dann eine uner- für zumutbar. trägliche Belastung aus, wenn die Einzelbelastungen durch die verschiedenen Emittenten unterhalb der Herzlichen Dank. Grenzwerte liegen. Das ist ein Fall, der in der heute (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE gültigen Verordnung schon vom System her keinerlei GRÜNEN und der PDS) Berücksichtigung findet. Auch die Reflexion des Schalls - z. B. an Bergen - Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kol- vervielfacht im ungünstigsten Fall den Lärm. lege Heinz-Günter Bargfrede. Das Problem der Lärmbelastung kann nicht durch (Zurufe von der SPD: Das war die erste eine zweifelhafte Berechnungsgrundlage vermieden Rede, Herr Präsident!) werden. Nur den Lärm, dessen Ursachen man wirk- Einen Moment bitte, Herr Kollege, ich muß erst et- lich kennt, kann man bekämpfen. Unser Antrag ent- was beantworten. Ich habe vorhin - man sagt ja nicht hält deshalb die Forderung nach Lärmkarten als Vor- einfach: Das war die erste Rede! - bei einem Kolle- bedingung für Maßnahmen zur Lärmminderung und gen die Gelegenheit benutzt, dies in einen Ratschlag Lärmsanierung. einzubauen. Der betreffende Kollege kam anschlie- Wir fordern einen Anspruch der Bürger auf Schutz ßend zu mir und hat sich die Belehrung verbeten. vor Verkehrslärm. Jährlich steigt die Zahl der Kraft- (Zuruf von der SPD: Der war von einer an fahrzeuge ungebremst an. Für das neue Jahrtausend deren Fraktion!) wird eine Verdoppelung des Güterverkehrs verspro- chen. Er wird unsere Straßen und Schienen belasten. Sie weisen mich darauf hin, daß die Kollegin so- eben ihre erste Rede gehalten hat. Ich empfehle Ih- Wer wie Sie, meine Damen und Herren von der Re- nen das Beispiel der F.D.P. Sie pflegt ihren Erstred- gierung, nicht bereit ist, Maßnahmen zur Verkehrs- nern einen Blumenstrauß zu überreichen. verminderung zu ergreifen, sollte wenigstens an die Menschen denken, die an den lärmenden Folgen Ih- (Zuruf von der SPD: Die haben so wenige res Handelns leiden. Erstredner! - Weitere Zurufe von der SPD) - Herr Kollege Bargfrede, Sie haben das Wo rt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Heinz-Günter Bargfrede (CDU/CSU): Herr Präsi- Haushaltsmittel für Lärmsanierung dürften durch dent! Meine Damen und Herren! Wir sind uns darin Einsparungen im Straßenbau leicht zu finden sein. einig, daß eine entscheidende Verminderung und Über 600 Millionen DM hat schließlich die Regie- Vermeidung von Lärm nur durch ein ganzes Bündel rungskoalition heuer vom Schienenbau zum Straßen- von Maßnahmen erfolgen kann. Dabei geht es nicht bau geschaufelt. Und die 2 Milliarden DM, die letztes nur um die Straße, sondern auch um Flugzeuge und Jahr beim Schienenetat übriggeblieben sind, hätte um den Schienenverkehr. A lle Beteiligten müssen ih- man verdammt gut in Lärmschutzmaßnahmen anle- ren Beitrag leisten: die Hersteller von Verkehrsmit- gen können. teln, die Benutzer von Verkehrsmitteln durch ein ent- sprechendes Verhalten, aber natürlich auch die öf- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne fentliche Hand insgesamt, Gemeinden, Länder und ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) auch der Bund. Meine Damen und Herren der Regierungsparteien, Im Gegensatz zu meiner Vorrednerin meine ich, leider - oder Gott sei Dank - ist es in diesem Hause daß die Bundesregierung eine Vorreiterrolle in For- nicht möglich, Ihnen die Konsequenzen Ihrer bisheri- schung und Wissenschaft, beim Erlaß von Verord- gen Politik und der geltenden Lärmschutzverord- nungen und Gesetzen, aber auch bei der Durchfüh- nung drastisch vor Ohren zu führen. rung von ganz praktischen Verkehrsmaßnahmen an Schienen und Straßen gespielt hat. (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Sie sind schon ganz schön laut!) Das wäre ein positives Beispiel für SPD-regierte Länder und Gemeinden; denn Ihre Aussagen, die - Das macht nichts. Aussagen der SPD-Fraktion, leisten keinen konkre- Sicher würden Sie sich beschweren, wenn hier in ten Beitrag zur Beantwortung der Frage, wie die 25 Metern Abstand zu Ihnen tausend Pkws stündlich Lärmverminderung praktisch erfolgen soll. vorbeiführen. Wahrscheinlich hätte Ihr Protest Erfolg, (Zuruf von der SPD: Sie haben doch in jeder während ein durch adäquaten Lärm von 66 Dezibel Haushaltsberatung gesagt: Im nächsten belästigter Bürger laut Lärmschutzverordnung zum Jahr kommt was!) Ertragen desselben Krachs verdammt ist. Auch der Bundesrat ist hier gefordert, meine Da- Das Paradoxe an dieser Situa tion aber ist, daß Sie men und Herren. Wenn Sie jetzt ein Gesetz fordern, sich noch viel mehr beschweren würden, wenn das die Lärmschutzverordnung ergänzt und Lärm- gleichzeitig vorn, seitlich und hinten von verschiede- schutzsanierungen an Schienen und Straßen ver- 3010 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 Heinz-Günter Bargfrede bindlich vorschreibt, muß ich darauf hinweisen, daß Es ist sehr viel besser, Lärm von vornherein zu ver- dies bisher mehrfach am Bundesrat gescheitert ist. meiden; dann braucht man ihn hinterher nicht zu be- Der Bundesrat hat klar gesagt: Diese Kostenbela- kämpfen. Deshalb begrüßen wir ausdrücklich das stung können wir den Bundesländern und den Ge- Ziel der Bundesregierung, den Lärm möglichst gar meinden nicht zumuten. nicht erst entstehen zu lassen, sondern sofort zu be- kämpfen. Bevor Sie einen solchen Antrag stellen und gegen- über der Bundesregierung eine solche Forderung er- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU heben, schaffen Sie bitte zunächst einmal Klarheit im und der F.D.P.) Bundesrat! Noch etwas zu den Kosten: Neben dem Bund, der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) die Sanierung haushaltsgesetzlich vorsieht, haben Meine Damen und Herren, Bundesregierung und die Länder und Gemeinden bereits heute die Mög- Koalitionsfraktionen haben im Bundesverkehrswege- lichkeit, Lärmsanierung an der Straße in ihrem Zu- plan 1992 der Schiene eindeutig Vorrang vor der ständigkeitsbereich durchzuführen. Jedoch machen Straße eingeräumt. davon nur wenige Gemeinden und wenige Länder, auch SPD-regierte Länder, Gebrauch. Es liegt auf der (Zuruf von der SPD: Auf dem Papier!) Hand, daß, wenn wir jetzt eine verbindliche gesetzli- che Regelung vorschreiben würden, Länder und Ge- Das bedeutet, daß jetzt eine Vielzahl von Schienen- meinden die erheblichen finanziellen Lasten gar wegen neu gebaut oder ausgebaut wird. Überall dort nicht tragen könnten. In diesem Zusammenhang er- kommt es zu ganz entscheidenden und spürbaren innere ich gern an ein Wo rt des niedersächsischen Lärmsanierungen für die Bürger. Es ist sehr viel Ministerpräsidenten, der kürzlich an die Adresse der wichtiger, beim Neubau Vorsorgemaßnahmen zu SPD-Bundestagsfraktion in aller Deutlichkeit gesagt treffen; dann braucht man später gar nicht mehr zu hat: Hört endlich auf, in Bonn kostenträchtige Ge- sanieren. Ich finde das eine gute Sache. setze und Maßnahmen zu fordern, die wir in den Der Bund hat bisher auch erhebliche Leistungen Ländern überhaupt nicht bezahlen können. für Lärmschutzmaßnahmen an Bundesfernstraßen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU erbracht und wird diese Maßnahmen in den näch- und der F.D.P.) sten Jahren fortsetzen. Für eine Lärmsanierung an bestehenden Schienenwegen des Bundes - das ist - Herr Schröder ist zwar der letzte, der in Sachen jetzt der Punkt - wurden bei einer Pegeldifferenz von Haushaltssanierung anderen einen Ratschlag geben 10 Dezibel zwischen Vorsorge und Sanierung - wenn könnte - dazu ist sein Haushalt zu schlecht -, aber wir jetzt etwas machen würden - Kosten von insge- hier hat er recht. samt 4,2 Milliarden DM errechnet, und zwar auf der Kostenbasis von 1991. Die SPD fordert die Einführung eines Tempolimits. Dazu kann ich nur sagen: Das ist nun schon seit Jah- (Monika Ganseforth [SPD]: Deswegen f an ren so; es ist im Grunde genommen heute völlig gen Sie gar nicht erst an!) überholt. Wir leimen die Einführung eines allgemei- Wenn wir hier wirklich einsteigen wollen, müssen nen starren Tempolimits ab. Wir wollen statt dessen wir mit Versprechungen sehr vorsichtig sein. Wenn wir Versprechungen machen, wecken wir Erwartun- (Elke Ferner [SPD]: Jetzt kommt „Telema gen bei den Bürgern, die wir in den nächsten Jahren tik"!) zu erfüllen überhaupt nicht in der Lage sind, und Telematik, ganz genau. zwar einfach von der Kostenseite her. (Monika Ganseforth [SPD]: Deswegen fan (Lachen bei Abgeordneten der SPD) gen Sie gar nicht erst an! Das ist Ihre Lo Ich finde es phantastisch, daß Sie, Frau Ferner, das gik!) Wort „Telematik" inzwischen aussprechen können. - Wenn wir irgendwo mit Maßnahmen von 15 oder 50 Millionen DM anfangen würden, würden wir bei (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der den anderen Bürgern, die ebenfalls an solchen Strek- F.D.P.) ken leben, Erwartungen wecken, und sie würden fra- Ich vermisse ganz entscheidend, daß das Wort „Te- gen: Warum nicht wir? Wieso die? Da sollte man lie- lematik" in diesem Antrag der SPD vorkommt. Mit ber ein wenig abwarten und klotzen statt kleckern. keinem Wort wird auf den Begriff, das Problem und Es liegt auf der Hand, daß es neben dem Lärm- auf die Lösungsmöglichkeiten durch Telematik hin- schutz direkt an der Straße und direkt an der Schiene gewiesen. Das ist eine schlimme Sache. Sie haben vor allen Dingen darauf ankommt, den Lärm an der nichts Neues auf den Tisch gebracht. Die Telematik Quelle zu bekämpfen, d. h. bei den entsprechenden ist die Lösungsvoraussetzung. Fahrzeugen, den Lastwagen, den Güterwagen und auch bei den entsprechenden Schienenwegen und Es geht um die flexible Handhabung von Ge- Straßen. schwindigkeitsbegrenzungen. Es gibt inzwischen Er- fahrungen auf verschiedenen Gebieten bei uns, die (Zuruf von der SPD: Das eine schließt das gezeigt haben, daß flexible Geschwindigkeitsbe- andere nicht aus!) grenzungen über Telematik vom Autofahrer dreimal Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 3011 Heinz-Günter Bargfrede so stark angenommen werden wie das starre Tempo- kehrslärm anbrüllen, so viele Beschwerden hat er zu limit. bearbeiten. Wobei „bearbeiten" in diesen Fällen „ablehnen" heißt; denn dem Ausschuß und den Be- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ troffenen sind so lange die Hände gebunden, wie die DIE GRÜNEN]: Der Stein des Weisen! Das entsprechende Rechtsgrundlage fehlt. Hier sieht es Lebenselixier! Das ewige Leben!) finster aus. Der Beitrag der CDU hat nicht gerade Die Erfahrungen zeigen, daß durch diese verstärkte Mut gemacht. Annahme die Unfallhäufigkeit um 25 bis 30 % gesun- ken ist. Insofern ist Telematik auch ein wirksamer Das Zynische ist, daß Lärmschutzmaßnahmen nur Beitrag zur Vermeidung und Verminderung von beim Bau neuer Schienenwege vorgesehen sind Lärm. Nehmen Sie das endlich zur Kenntnis! bzw. dann, wenn vorhandene Schienenwege wesent- lich geändert werden. Sanierungs- und Schutzmaß- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU nahmen an vorhandenen Schienenstrecken sind und der F.D.P.) überhaupt nicht vorgesehen. Das haben Sie ja so Wir müssen Telematik so bald wie möglich in schön ausgeführt. Ich frage mich nur: Was haben Sie hier vor? Wollen Sie die Leute, die Deutschland auf breiter Ebene ausbauen, auch im an vorhandenen Sinne von Lärmverminderung. Schienenstrecken wohnen, einfach ihrem Schicksal überlassen? (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Kennen Sie den Orgonka (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sten, werter Kollege?) Das kann es doch wohl wirklich nicht sein. Denn - Meine sehr geehrten Damen und Herren, die wei- das muß man sich auch einmal vor Augen führen und tere Vermeidung und Verminderung von Lärm im auf der Zunge zergehen lassen - auch bei Strecken- Verkehrsbereich, Herr Fischer, ist des Schweißes der abschnitten, die mehr als 80 Jahre stillgelegt waren Edlen wert. und plötzlich wieder revitalisiert werden, spricht die Deutsche Bahn AG von einer nicht wesentlichen Än- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ derung. DIE GRÜNEN]: Das ist wahr! Sie sollten aber nicht zuviel schwitzen!) Der Grund ist wieder einmal ein finanzieller; das haben Sie ja auch angeführt. Wie gesagt, 4,2 Mil- Der Antrag der SPD enthält dazu leider nichts Neues liarden DM sind vom BMV veranschlagt worden. und keinen konkreten Beitrag. Auch wir sind noch - Aber das ist Ihrer Auffassung nach zuviel Geld, und nicht am Ende der Strecke. Aber ich meine, wir be- wir dürfen keine Erwartungen wecken. finden uns auf einem guten Weg. Danke schön. Deshalb schieben die Deutsche Bahn AG und das Bundesverkehrsministerium das Problem wie eine (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) heiße Kartoffel im Mund hin und her. Das Bundesmi- nisterium ergeht sich in Ankündigungen und weist Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat die Kolle- in allen Stellungnahmen zu Pe titionen darauf hin, gin Gila Altmann. wie wichtig der Lärmschutz an der Schiene eigent- lich sei und daß man sich um entsprechende Mittel bemühen wolle. Die Bemühungen dauern an. Gila Altmann (Aurich) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Meine Damen und Herren! Herr Präsident! Ich muß sagen, Ihre Argumentation, das Ganze Meinem Vorredner muß ich wirklich einmal sagen: jetzt auf den Bundesrat zu schieben, finde ich doch Sie wohnen doch bestimmt nicht an solch einer reichlich schlapp; denn alle Anträge der SPD und der Schienenstrecke oder solch einer Straße. Es gibt ei- GRÜNEN sind im Verkehrsausschuß abgelehnt wor- gentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder Sie woh- den. Also: Erst einmal hier anfangen und dann nen ruhig, oder aber Sie sind schon so abgestumpft schauen, was der Bundesrat macht! Das ist ein Trau- und gehörlos geworden, daß Sie den Lärm nicht erspiel, und für die Be troffenen ist die Situa tion zum mehr merken. Heulen. Wieder sind neue Autobahnkilometer wich- tiger als körperliche Unversehrtheit und Gesundheit (Beifall bei der SPD und der PDS) der Bevölkerung; denn Lärm ist nicht nur laut, stö- Es gab bei uns einmal den Spruch der Starfighter rend und unangenehm, sondern macht krank und ist Piloten: Jetnoise is the sound of freedom. Diesen mittelbar und unmittelbar ursächlich für viele Krank- Spruch fand ich sehr zynisch, weil die Leute auf der heiten. Ich finde es schlimm genug, daß Kinder, die Erde eher in Angst und Schrecken versetzt wurden. an Lärmstrecken wohnen, Schlafmittel und Psycho- Sieht man sich nun einmal die Entwicklung des pharmaka einnehmen müssen, um nachts wenig- Lärms am Boden an, würde das nach dieser Logik be- stens ein paar Stunden schlafen zu können. deuten, daß die Leute immer freier werden. Aber auch hier taucht wieder das Phänomen auf, daß die Aber die mangelnde Bereitschaft zu einer Ver- Bevölkerung sich eher in ihrer Ruhe und Lebensqua- kehrswende, die nicht nur zu leiseren, sondern auch lität eingeengt fühlt. zu gesünderen Verhältnissen führt, haben wir eben in der Ozondebatte bereits ausgiebig genießen dür- Der Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages fen. Der Verkehr muß brummen, möglichst billig und kann nicht nur ein Liedchen davon trällern, sondern leider nach dem Motto: Koste es, was es wolle. In die- müßte eigentlich ununterbroche n . gegen den Ver- sem Fall ist es die Gesundheit der Anwohner. 3012 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 Gila Altmann (Aurich) Der Petitionsausschuß hat in seiner Stellungnahme Lärm bei der Bevölkerung in den letzten Jahren ste- zu einer der letzten Pe titionen Unverständnis dar- tig zugenommen hat, ist auch nicht neu. über geäußert, daß - ich zitiere - ,,140 Milliarden DM für den Ausbau eines Hochgeschwindigkeitsnetzes (Zuruf der Abg. Elke Ferner [SPD]) bereitgestellt werden können, es jedoch an finanziel- Dabei ist es letztlich auch für die Be troffenen uner- len Mitteln für dringend notwendige Lärmschutz- heblich, ob die zunehmende Sensibilisierung ge- maßnahmen an vorhandenen Schienenwegen fehlt". genüber Lärm tatsächlich auf nachweisbaren Fakto- Diesem Zitat ist nichts hinzuzufügen. ren beruht oder, liebe Frau Ferner, auf subjektive Um nicht mißverstanden zu werden: Wir reden hier Empfindungen zurückzuführen ist, weil wir alle nur von Reparatur, von Linderung eines Mißstandes. wissen, daß der Mensch in Deutschland immer dop- Der wirksamste Lärmschutz ist die Vorbeugung pelt betroffen ist: Zum einen wohnt er an einer Ver- durch Verkehrsvermeidung und -verlangsamung; kehrsinfrastruktur, und zum anderen möchte er sie denn die Lärmbelastung steigt überproportional zur nutzen. Geschwindigkeit. Je nachdem, aus welcher Sicht er argumentiert, An dieser Stelle möchte ich etwas zum SPD-Antrag kommt das Gegenteilige dabei heraus. Das ist nun sagen: Dieser Aspekt kommt uns etwas zu kurz. einmal so. In diesem Fall kann ich auf Tucholsky zu- Aber dafür haben wir unerwarteten Zuspruch von rückgreifen. Die Wohnlage, wo sich das beides nicht der CDU erfahren. miteinander verknüpft, gibt es leider nicht. Deswe- gen muß man darauf Rücksicht nehmen. Ich möchte fragen: Warum soll, wie es die SPD in ihrem Antrag schreibt, die Einführung eines allge- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) meinen Tempolimits auf Bundesautobahnen lediglich im Rahmen einer europäischen Harmonisierung er- Am intensivsten - und das ist auch nicht neu - wird folgen? Warum halten Sie so an der Scharpingschen der Verkehrslärm wahrgenommen, was nicht ver- Weichspülformel fest? Sie stammt aus dem letzten wundert. Allerdings will ich hier auf den Zielkonflikt Bundestagswahlkampf. - das habe ich schon gesagt - zwischen einer an- spruchsvollen Nachfragestruktur und einem wach- (Elke Ferner [SPD]: Das sind Parteitagsbe senden Bedürfnis nach Mobilität auf der einen Seite schlüsse!) und einer sinkenden Akzeptanz der nega tiven Be- gleiterscheinungen nicht weiter eingehen. - Ja, das ist das Problem. Ich denke jedoch, hier ist etwas mehr Selbstbewußtsein angesagt. - In Hamburg hat man durch eine Untersuchung Warum setzen wir uns nicht gemeinsam an die festgestellt, daß der Straßenverkehrslärm am stärk- Spitze der Bewegung gegen Lärm, Abgase, Ozon, sten empfunden wird. Deshalb hat die Straße zu Tote und Verletzte; denn nur noch in Deutschland Recht die höchste Sanierungspriorität. Die Lärm- darf nach Lust und Laune gerast werden, und zwar quelle Schiene folgt nach dem Industrie- und dem auf Kosten der Bevölkerung. Baulärm erst an vierter Stelle. Deshalb unterstützen wir den Antrag der SPD, Bezeichnenderweise wird von den Befragten der kündigen aber Verbesserungen in Richtung Ver- Lärm durch Sportveranstaltungen noch vor der Belä- kehrsvermeidung und Verkehrswende an und erwar- stigung durch Fluglärm genannt. Das ist zumindest ten auf Grund Ihrer Außerungen eine breite Zustim- eine Aufmerksamkeit wert. mung im Verkehrsausschuß. (Elke Ferner [SPD]: Wir haben mehr Spo rt Danke schön. stätten als Flughäfen!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Angesichts eines ständig wachsenden Verkehrs- sowie bei Abgeordneten der SPD und der aufkommens kommt daher der Lärmminderung beim PDS) Straßenverkehr eine besondere Bedeutung zu. Des- wegen haben wir dort Prioritäten gesetzt. Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Horst Daß sich die Opposition nun dieses Themas an Friedrich, Sie haben das Wort. -nimmt, ehrt sie. Der Antrag der SPD enthält durch- aus Ansätze, die zu diskutieren sind. Allerdings wird Horst Friedrich (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Da- immer wieder der Eindruck erweckt, als würde sich men und Herren! Der Lärm, liebe Kollegen, ist die nur die Opposition um den Lärm kümmern, als wäre impertinenteste Unterbrechung, da er sogar unsere die Bundesregierung bisher untätig gewesen und eigenen Gedanken unterbricht, ja sogar zerbricht. hätte die Bevölkerung mutwillig im Krach alleinge- Wo jedoch nichts zu unterbrechen ist, da wird er frei- lassen. lich nicht sonderlich empfunden werden. A llen un- Meine Damen und Herren, das genaue Gegenteil qualifizierten Zwischenrufern möchte ich erwidern: ist der Fall. Es existieren auf nationaler und europä- Das stammt von Schopenhauer aus dem Jahre 1788, ischer Ebene zahlreiche Bestimmungen und Grenz- als er sich über das Peitschenknallen aufregte. werte zum Lärmschutz, Rahmenbedingungen für die Sie haben vielleicht verstanden, daß Lärm kein Kfz-Hersteller, die die Emission direkt beim Lärmer- neues Problem und schon gar kein neues Umwelt- zeuger begrenzen, Grenzwerte in jeder Hinsicht und problem ist. Daß das Gefühl der Belästigung durch konkrete Bestimmungen, die für den Fall Sanktionen Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 3013 Horst Friedrich vorsehen, daß Grenzwerte überschritten werden. Das wie ein Lkw mit dem Stand der Technik Anfang der muß man einfach einmal zur Kenntnis nehmen. Es ist 80er Jahre. nicht so, als hätten wir über viele Jahre hinweg nichts getan. Dies verdeutlicht aus meiner Sicht die Fortschritte, die machbar sind. Gleichzeitig ist das aber der Hin- In Deutschland stehen das Bundes-Immissions- weis, mit Anreizen, auch steuertechnischen Anreizen schutzgesetz und die daraus abgeleitete 16. Durch- - ich verweise hierfür auf die Steuerreduzierung bei führungsverordnung, die BImSchV, im Mittelpunkt. Lkws mit 40 t zulässigem Gesamtgewicht und Euro- Diese ist im Juni 1990 - übrigens mit der Zustim- zwei-Motoren -, für Lärmreduzierungen an der mung des Bundesrates - in Kraft ge treten und hat die Quelle, nämlich am Motor, einzutreten. Absenkung der bis dahin bestehenden Grenzwerte um 3 db(A) festgelegt. Sie ist die Grundlage für Maß- Die Bahn hat mit einem neuen, sensationellen Ver- nahmen zur Lärmvorsorge, also - das ist schon zitiert such bewiesen, daß Lärmschutz auch mit weniger worden - beim Bau neuer Straßen und neuer Ver- Aufwand zu betreiben ist: Als Beispiel mag eine kehrswege oder bei wesentlichen Änderungen Schallschutzwand von 74 cm Höhe an einer Strecke daran. Sie ist allerdings keine verbindliche Vorgabe zwischen Augsburg und München dienen, wo durch für die Lärmsanierung. Dennoch hat sie sich bisher eine Dämmung direkt am Gleis der gleiche oder so- bewährt, denn bis 1994 haben wir immerhin gar ein besserer Schallschutzeffekt erreicht worden 4,3 Milliarden DM in die Sanierung bestehender Ver- ist, als wenn gigantische Erdbewegungen vorgenom- kehrswege gesteckt. men und Erdwälle mit zusätzlichen Mauern errichtet worden wären. Gleichzeitig haben wir dabei dann (Elke Ferner [SPD]: Die Hälfte wurde in den auch den Zielkonflikt zwischen entsprechend gerin- Straßenbau gesteckt!) gem Landschaftsverbrauch und Schutz der Bevölke- rung vor Lärm aus umweltpolitischer Sicht. Das Ammenmärchen, wir würden in diesem Bereich nichts tun, stimmt schlicht und ergreifend nicht. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - Elke Ferner [SPD]: Dann ist das ja gar nicht (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) so teuer, wie Sie gesagt haben!) Wenn die SPD in ihrem Antrag zum jetzigen Zeit- Selbstverständlich findet man im SPD-Antrag jede punkt ein Verkehrslärmschutzgesetz, das Lärmsanie- Menge bekannte Beispiele, wie man Lärmreduzie- rung auch an bestehenden Straßen- und Schienen- rung macht. Ob sie nun greifen oder nicht, sie müs- wegen vorschreibt, und gleichzei tig für 1995 und sen immer wieder für alles mögliche herhalten; das 1996 Mittel für ein Lärmsanierungsprogramm for- Tempolimit ist schon genannt worden. Dazu will ich dert und die Finanzierung durch Umschichtung von mich nicht weiter auslassen. Sicherlich sollte man in Mitteln aus dem Straßenbauhaushalt verlangt, dann einer Diskussion über einige Punkte nachdenken. muß sie auch berücksichtigen, wie die Titel im Haus- halt sind. Die Umschichtung geht nicht einfach so. Die Forderung nach Minimierung des durch Rei- fen hervorgerufenen Fahrbahngeräusches ist be- (Elke Ferner [SPD]: Natürlich geht das!) rechtigt. Nach Aussage des Bundesministeriums für Verkehr ist dazu bereits eine EU-Richtlinie in Vor- Wenn man dann auf die Schienenhaushaltstitel zu- bereitung. Der Einsatz lärmmindernder Straßenbe- rückgreift, so muß ich sagen: Dann haben wir die läge kann - Einsatzreife und Wirtschaft lichkeit Wahl zwischen Pest und Cholera. Dann haben wir vorausgesetzt - selbstverständlich ein zusätzliches nämlich zu entscheiden, ob wir Sanierung bestehen- Instrument zur Lärmminderung sein. Auch dazu der Strecken oder Neubau von Schienenstrecken werden bereits entsprechende Prüfungen und Tests vornehmen. Es kann doch nicht allen Ernstes Ihr Ziel durchgeführt. sein, diesen Konflikt hervorrufen zu wollen. Auch bei der TA Lärm haben wir nach dem Motto (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- von „Hase und Igel" - ,,Ick bün all hier!" - die Novel- ten der CDU/CSU - Elke Ferner [SPD]: Sie lierung bereits in Vorbereitung. wollen weder das eine noch das andere! Deswegen haben Sie die Mittel gekürzt!) (Elke Ferner [SPD]: Noch eine Ankündi -gu ng!) Aus unserer Sicht ist es vielversprechender - zu- mal das ohne haushaltspolitische Zwänge durchzu- Ob die von Ihnen verlangten Lärmkarten aller- setzen ist - und von der Effizienz her mindestens ge- dings ernsthaft dazu beitragen, den Lärm zu min- nausogut, die Forderung der Lärmminderung an dern, ist zumindest in Frage zu stellen. Eines ist si- den Geräuschquellen selber zu betreiben. Auf die- cher: Sie verursachen jede Menge Aufwand. Sie ko- sem Feld ist in den vergangenen Jahren schon jede sten jede Menge Geld. Die Frage ist, was dann dar- Menge erreicht worden. aus wird. Lassen Sie mich einmal verdeutlichen, was passiert Ich sage es zum Abschluß noch einmal: Der Antrag und was erreicht worden ist: Ein ICE der modernsten der SPD ist in weiten Punkten diskussionsfähig. Generation, der 250 km/h schnell fährt, verursacht (Elke Ferner [SPD]: Dann wollen wir einmal weniger Lärm als die bekannten lokbespannten In- sehen, wie Sie abstimmen!) tercity-Züge der 80er Jahre mit klotzgebremsten Rei- sezugwagen bei Tempo 90. Zehn Lkw mit dem Stand Unabhängig davon waren die Bundesregierung und der Technik des Jahres 1994 sind zusammen so laut die sie tragende Koalition in allen Bereichen wieder 3014 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Horst Friedrich einmal mindestens einen halben Schritt schneller als ,,Milliönchen" für Lärmsanierungsmaßnahmen auf- die Opposition. bringen, die so dringend notwendig sind und von den Bürgerinnen und Bürgern so dringend gefordert (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) werden. Nach Überweisung des Antrags - für die wir sind - (Beifall bei der PDS und dem BÜNDNIS 90/ werden wir im Verkehrsausschuß mit Sicherheit eine DIE GRÜNEN) intensive Debatte über die Konsequenz der Umset- zung - auch in bezug auf die überwiegend SPD-do- Die Forderung der SPD nach einem Verkehrslärm- minierten Länder; das ist ja schon besprochen wor- schutzgesetz ist zu unterstützen. Bisher ist Lärmsa- den - führen. Wenn wir ans Eingemachte gehen und nierung über eine haushaltsrechtliche Regelung nur uns über die Finanzierung unterhalten, dann werden für die Straße vorgesehen. Die Schiene muß endlich wir sehen, wie ernsthaft bestimmte Anträge tatsäch- auch in diesem Bereich gleichberechtigt behandelt lich gemeint sind. werden. Allerdings - darüber sind wir uns sicher ei- Herzlichen Dank. nig -: Das Haushaltsrecht allein wird hier nicht grei- fen. Erforderlich ist eine verbindliche Vorschrift für (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Lärmsanierung an bestehenden Straßen und Schie- nen. Zu unterstützen ist die Forderung nach einem Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin schnellstmöglich durchzusetzenden Lärmsanierungs- Dr. Dagmar Enkelmann, Sie haben das Wo rt. programm für bestehende Schienenwege. Die Ant- wort der Bundesregierung auf eine Anfrage des Kol- legen Detlev von Larcher von der SPD, wie eine Dr. Dagmar Enkelmann (PDS): Herr Präsident! haushaltsrechtliche Regelung für die Finanzierung Meine Damen und Herren! Manchmal ist man ver- von Lärmsanierungsmaßnahmen an Eisenbahnstrek- sucht, Lärmschutz im Bundestag zu fordern. ken mittelfristig zu erreichen sei, zeigt allerdings, (Beifall bei der PDS) daß die Lösung des Problems offenkundig auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden soll. Das trifft zwar nicht auf diese Debatte zu, aber in der vorhergehenden Debatte hatten wir solche Mo- Wichtig ist - auch hier greift der SPD-Antrag, mente. Doch darum geht es hier heute nicht. denke ich, wesentlich weiter -, die Lärmproblematik eben nicht nur auf technische Maßnahmen zu redu- Auto und Motorrad sind die einzigen Gegen- zieren. Ein Lärmschutzfenster, mit dem innerhalb ei- stände, mit denen jedermann jederzeit fast -jeden be- nes Hauses ein bestimmter Schallpegel erreicht wer- liebigen Lärm verursachen darf. Dabei fühlen sich den kann, befreit die Be troffenen noch lange nicht mehr als zwei Drittel der Bürgerinnen und Bürger al- von den schädlichen Lärmemissionen im Garten oder lein durch den Straßenverkehr stark belästigt. In den nachts bei geöffnetem Fenster. neuen Bundesländern sind es sogar über 80 %. - Die brauchen offenkundig noch Zeit zur Gewöhnung. - (Elke Ferner [SPD]: Gelüftet muß auch wer Schließt man in die Be trachtung auch noch die durch den!) Schienen- und Flugverkehr Belästigten ein, so scheint die Chance, heute einen nicht durch Lärm Lärmschutzwände - auch das ist inzwischen be- geplagten Wohnstandort zu finden, immer geringer kannt - sind in ihrer Wirkung ebenfalls begrenzt. In zu werden; die Kolleginnen und Kollegen der Koali- einer Entfernung von mehr als 400 Metern ist die tion scheinen da etwas privilegiert zu sein. Wirkung einer Lärmschutzwand so gut wie nu ll. Dabei ist erwiesen, daß Lärm krankmacht. Er ver- Nachhaltiger und effektiver sind da wohl nur Maß- ursacht Bluthochdruckerkrankungen und Herz- nahmen, die dort ansetzen, wo Lärm entsteht, näm- Kreislauf-Störungen. Darüber hinaus bewirkt er auch lich beim Verkehr, die dort ansetzen, wo Verkehr ver- volkswirtschaftliche Schäden. Das Institut für Ver- mieden werden kann - also Lärmvermeidung durch kehrswirtschaft an der Uni Köln kommt zu dem Er- Verkehrsvermeidung, durch Verlagerung von Ver- gebnis, daß jährlich allein durch den Straßenverkehr kehr -, die dort ansetzen, wo es um Regulierungen Gesundheitsschäden im Umfang von etwa 0,9 bis wie Tempolimit oder Fahrbeschränkungen für lärm- 3,6 Milliarden DM infolge lärmbedingter Herz-Kreis- intensive Lkw geht. lauf-Erkrankungen entstehen. Bezieht man die ande- ren Verkehrsträger ein, liegt der Schaden weit über Lieber Horst F riedrich, du hast vorhin gesagt, die 4 Milliarden DM pro Jahr. Koalition ist schon einen halben Schritt schneller. Im Vergleich dazu: Die Bahn AG gibt an, daß eine (Horst Friedrich [F.D.P.]: Mindestens!) Lärmsanierung an den bestehenden Schienenwegen des Bundes etwa 4 Milliarden DM - also genau den Einen halben Schritt: ja, aber einen halben Schritt zu- erwähnten Betrag - kosten würde. Nun fragen Sie rück. immer, woher das Geld kommen soll. Sie haben ge- (Horst Friedrich [F.D.P.]: Das habe ich nicht stern im Verkehrsausschuß einen Vorschlag der PDS gesagt!) abgelehnt, mit dem wir Ihnen großzügigerweise 400 Millionen DM sozusagen geben wollten, indem Ich danke für die Aufmerksamkeit. wir die Steuerminderung für überzählige Lkw-An- hänger beseitigen. Da haben Sie großzügig verzich- (Beifall bei der PDS, der SPD und dem tet. Deshalb sollten Sie jetzt vielleicht doch ein paar BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 3015

Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile der Kollegin preiswert Eigentum erwerben und sich hinterher Renate Blank das Wort. über den Lärm beschweren und gerichtlich dagegen vorgehen. Für diesen Personenkreis habe ich aller- dings wenig Verständnis. Renate Blank (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dem Antrag der SPD vermisse (Siegfried Scheffler [SPD]: Oder gegen ich den Hinweis auf den Flugzeuglärm, da doch be- bayerische Biergärten!) kannt ist, daß neben dem Straßenverkehrslärm der Fluglärm viele Bürger belästigt. Haben Sie, meine - Das kommt jetzt: Richter können z. B. Biergarten Damen und Herren von der Opposition, das bewußt lärm als störend empfinden, wie jüngst in Baye rn ge- ausgeklammert, weil Sie gern mit dem Flugzeug in schehen. Urlaub fliegen oder nach Bonn reisen? (Zustimmung der Abg. Renate Rennebach Ebenso vermisse ich den Hinweis auf die umwelt- [SPD]) freundlichsten Verkehrswege, nämlich die Wasser- Der jetzt über die Öffnungszeiten positiv und partei- straßen. Leider wird im SPD-Antrag die leise Binnen- übergreifend beigelegte S treit wegen der angebli- schiffahrt überhaupt nicht erwähnt. Kein Wort von ei- chen Lärmbelästigung durch Biergärten läßt mich ner verstärkten Verkehrsverlagerung auf das Wasser! hoffen, daß sich die Toleranzgrenze bei einigen Men- (Elke Ferner [SPD]: Frau Blank, es ist unter schen vielleicht etwas erhöht hat. Ein Landtagsabge- Ihrem Niveau, was Sie da reden!) ordneter der GRÜNEN hat sich massiv für den Frei- zeitlärm ausgesprochen. Sie müßten eigentlich wissen, daß der Lärm bei der Schiffahrt keine Rolle spielt. Wenn Sie mir hier zu- Vielleicht ermuntert Sie diese Haltung, meine Da- stimmen, dann frage ich mich, warum Sie so massiv men und Herren von den GRÜNEN, sich auch ge- gegen den Ausbau des Main-Donau-Kanals waren genüber einem Verkehr, der für Wirtschaftswachs und jetzt massiv gegen den Donau-Ausbau mobili- tum und Mobilität in Deutschland sorgt, positiv zu sieren. verhalten. Denn Wirtschaftswachstum und Ver- kehrsleistungen bedingen einander und sichern den (Beifall bei der CDU/CSU - Widerspruch Wohlstand für unsere Bürgerinnen und Bürger. Sonst bei der SPD - Albert Schmidt [Hitzhofen] könnte sich auch ein Grüner keinen Biergartenbe- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir verla such mehr leisten. gern die ICE-Trasse auf die Donau!)- (Lachen bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ Massive Lärmbelästigungen durch den Verkehr DIE GRÜNEN und der PDS) sind zum Teil auch dadurch bedingt, daß Engpässe den Verkehrsfluß dauernd oder zeitweise behindern Meine Damen und Herren von der Opposi tion, oder abstoppen. Beispiele wie enge Ortsdurchfahr- man muß den Auswirkungen des Lärms auf die Ge- ten, Ampeln mit festen, verkehrsunabhängigen Um- sundheit und dem möglichen Zusammenhang mit laufzeiten, Reduzierung von Fahrspuren oder einspu- Bluthochdruckerkrankungen und Herz-Kreislauf- rige Baustellendurchfahrten sind hinreichend be- Störungen sicher große Aufmerksamkeit widmen. kannt. Leider wird die Beseitigung solcher Engpässe Aber man sollte sich davor hüten, in Hyste rie zu ver- durch Einspruch der gleichen Gruppen behindert, fallen oder Angst zu schüren. die ansonsten massiv für den Lärmschutz eintreten. (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das haben wir heute schon DIE GRÜNEN]: Mehr Straßen wegen Lärm einmal gehört: beim Ozon!) schutz - oder wie?) Rauchen, Alkohol oder Streß und Arger z. B. über die - Auch Straßenausbau und -neubau sowie der Bau verkehrsverhindernde Politik von SPD und GRÜNEN von Ortsumgehungen sind für mich aktiver Lärm- in vielen Ländern und Kommunen können ebenfalls schutz. zu den von Ihnen genannten Beeinträchtigungen führen. Man kann Krankheiten, vor allen Dingen (Beifall bei der CDU/CSU - Albe rt Schmidt psychischer Art, auch durch das Schüren von Angst [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: befördern. Telematik nicht vergessen!) Mit Ihren Anträgen tun Sie gerade so, als ob im Be- - Das kommt schon noch. reich der Reduzierung des Lärms in den letzten Jah- ren überhaupt nichts geschehen wäre. Der Bund hat Lärm wird sicher sehr subjektiv wahrgenommen. erhebliche Leistungen für Lärmschutzmaßnahmen Das ist bekannt. Viele Bürger stört bereits Kinder- lärm. Ich allerdings finde Kinderlärm erfrischend und (Elke Ferner [SPD]: Gekürzt!) gut. an Bundesfernstraßen - Vorsorge und Sanierung - er- (Elke Ferner [SPD]: Dann müssen Sie etwas bracht. Für Lärmschutzmaßnahmen an Bundesfern- gegen das Ozon tun, damit die Kinder drau straßen hat der Bund bis Ende 1994 rund 4,3 Mil- ßen lärmen können!) liarden DM aufgewendet; jährlich sind es rund 400 Millionen DM. Es gibt auch Leute, die an eine Bahnlinie, Straße oder Einflugschneise eines Flughafens ziehen, dort (Elke Ferner [SPD]: Immer weniger!) 3016 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 Renate Blank Es wurden bisher rund 720 Kilometer Lärmschutz- Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Blank, der wälle und rund 1 200 Kilometer Lärmschutzwände Kollege Schmidt möchte gern eine Zwischenfrage errichtet. Zusätzlich wurden Lärmschutzfenster in- stellen. stalliert. (Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ Renate Blank (CDU/CSU): Herr Präsident, ich CSU - Renate Rennebach [SPD]: Das reicht möchte dem Kollegen Schmidt, der mir absolut nichts nicht!) Neues sagt - er braucht ein bißchen Nachhilfeunter- richt beim Thema Verkehr, aber den erteile ich Ihnen Der Schienenverkehrslärm unterscheidet sich vor zu anderer Zeit -, keine Frage beantworten. Oder allem in der Zeitstruktur sehr stark vom Straßenver- wollen Sie meine Redezeit verlängern? kehrslärm. Während in stark belasteten Gebieten der (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ Straßenverkehrslärm ein nahezu gleichbleibendes DIE GRÜNEN]: Ja, gern! - Weitere Zurufe Dauergeräusch bildet, treten Schienenverkehrsge- vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) räusche als kurzfristige, in der Lärmspitze aber er- heblich lautere Geräusche auf. Trotzdem wird der Herr Kollege Schmidt, ich würde Ihnen ganz gern Schienenverkehrslärm als weniger lästig empfunden. ein bißchen zu dem Thema Mobilität sagen, z. B., Gleichwohl trägt er aber erheblich zur Lärmbelästi- daß Mobilität auch ein Grundbedürfnis ist. gung bei. Rollgeräusche sind die größte Geräusch- (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ quelle der Schienenfahrzeuge. Die Magnetschwebe- DIE GRÜNEN]: Geistige Mobilität!) bahn Transrapid wäre hinsichtlich der Lärmemission zukunftsweisend. Meine Damen und Herren von der - Die erwarte ich allerdings von Ihnen, und Ihre gei- Opposition, Sie sollten sich der neuen Technik nicht stige Mobilität vermisse ich ständig. Wo bleibt denn verweigern! die? (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben Ihnen seit Beginn dieser Legislaturpe riode Auch wir würden gern sofort eine Lärmsanierung im Bundestag und im Verkehrsausschuß einige an bestehenden Schienenwegen vornehmen. Die Ko- grundsätzliche und elementare Dinge zu erklären stenschätzungen liegen jedoch im Bereich von 5 bis versucht. Aber leider verstehen Sie die nie. Vielleicht 20 Milliarden DM. Die Opposition tut sich hier sehr kommt irgend einmal die Zeit, daß Sie es verstehen leicht, etwas zu fordern und Begehrlichkeiten zu werden. wecken; sie muß ja nicht für geordnete Staatsfinan- zen sorgen. (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wenn Sie es noch einmal (Elke Ferner [SPD]: Das können Sie schon erklären würden?!) gar nicht mehr!) - Das machen wir dann zur richtigen Zeit. Die An- Meine Damen und Herren, zum Thema Tempoli- träge werden ja in die Ausschüsse überwiesen, und mit haben wir heute schon einiges ausgeführt. Wirk- dann unterhalten wir uns noch einmal. samer als ein starres Tempolimit sind situationsange- Meine Damen und Herren, die heutigen und künf- paßte und flexible Verkehrsregelungen. Das Interes- tigen technischen Potentiale werden sicherlich nicht sante ist immer, daß die SPD und die GRÜNEN Tem- alle Geräuschprobleme lösen, aber Verkehrsleitsy- polimit als absolutes Kredo verkünden. Mit Selbstdis- steme, die Beseitigung von Engstellen im Straßen- ziplin und Beschränkung ist es aber nicht soweit her, netz, ein benutzerfreundlicher Übergang vom Indivi- weshalb ein leibhaftiger SPD-Landesumweltminister dual- zum öffentlichen Verkehr werden ihren Beitrag bei seiner selbst veranlaßten Ozon-Tempobeschrän- dazu leisten, die Gesamtlärmbelastung weiter zu kung in einer Verkehrskontrolle mit einer weit über- senken. höhten Geschwindigkeit erwischt wurde. Wo bleibt denn da die Glaubwürdigkeit der SPD und ihre Vor- Ich bedanke mich für die - etwas gestörte - Auf- bildfunktion? merksamkeit von Ihrer Seite. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Im übrigen ist die Anordnung von Geschwindigkeits- Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat jetzt die begrenzungen aus Gründen des Lärmschutzes Ange- Kollegin Jutta Müller. legenheit der Bundesländer. Sie können Ihre Bun- desländer hier ja animieren! Jutta Müller (Völklingen) (SPD): Herr Präsident! Zu „Tempo 30" in den Städten: Vielleicht ist es ei- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Frau nigen Damen und Herren der Opposition nicht mehr Kollegin Blank, wir hatten am vergangenen Freitag sehr geläufig, daß es ein CSU-Verkehrsminister war, eine muntere Debatte zum Jahressteuergesetz 1996. der die Voraussetzung für die Einführung von Wenn Sie wirklich allen Ernstes dieses Chaos, das Tempo-30-Regelungen ermöglicht hat. Sie haben Herr Waigel anrichtet, als geordnete Staatsfinanzen 13 Jahre geschlafen und nichts auf diesem Feld ge- bezeichnen, halte ich das wirk lich für ein starkes tan. Sie haben immer nur geredet und nicht gehan- Stück. delt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der CDU/CSU) DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 3017 Jutta Müller (Völklingen) Herr Kollege Friedrich, daß Sie wahrscheinlich Es reicht schließlich nicht aus, daß wir ständig for- nicht so viel Probleme mit Lärm haben, ist mir auch dern, die Güter von der Straße auf die Schiene zu klar. Um Ihre Partei ist es ja schon ein bißchen ruhig verlagern, was sicherlich vernünftig ist, dann aber geworden. hoffen, daß die Anwohner der Schienenstränge da- von nichts merken. Sie merken es! (Heiterkeit und Zustimmung bei der SPD - Horst Friedrich [F.D.P.]: Das Gegenteil ist Wir hatten in der letzten Legislaturpe riode Tau- der Fall!) sende von Unterschriften im Rahmen von Massenpe- titionen, in denen sich Menschen über den unerträg- - Ja, ich kann mir das gut vorstellen. Das geht dann lichen Lärm beschwerten. Inzwischen haben sich bei der F.D.P. so nach dem Motto: Wenn wir schon Bürgerinitiativen zusammengeschlossen, um mit keinen Applaus mehr hören, freuen wir uns auf je- vereinter Kraft gegen den Lärmterror vorzugehen. den Güterzug, der vorbeifährt, damit es wenigstens ein bißchen munterer wird. Frau Blank meint in diesem Zusammenhang, man müsse etwas mehr Toleranz üben. Auf manchen (Heiterkeit bei der SPD - Zuruf des Abg. Strecken fahren pro Nacht 80 Güterzüge mit respek- Horst Friedrich [F.D.P.]) tabler Geschwindigkeit durch Wohngebiet. Man kann sagen, daß ein schnell fahrender Güterzug in - Wunderbar, dazu beglückwünsche ich Sie. Das ist 50 Metern Entfernung so viel Lärm macht, als wenn das Pfeifen der F.D.P. im Walde. ein Lkw quer durchs Schlafzimmer fährt. Ich kann nicht akzeptieren, daß man hier mehr Toleranz for- Kolleginnen und Kollegen, die Umweltgeißel dert. Nummer eins in Deutschland ist unsichtbar, sie stinkt (Horst Friedrich [F.D.P.]: Könnte es vielleicht nicht, sie hinterläßt keine giftigen Rückstände: Es ist sein, daß die Umweltfreundlichkeit der der alltägliche Lärm. 54 % unserer Mitbürgerinnen Schiene nicht ganz so ist, wie Sie immer und Mitbürger empfinden dies als die größte Um- darstellen?) weltbelastung. - Doch. Man kann sie aber umweltfreundlicher ma- Dieses, wie schon gesagt, subjektive Empfinden chen, indem man entsprechenden Lärmschutz vor- kann durch die Krankenstatistik belegt werden: Die sieht. Herr Friedrich, das ist ganz einfach. Das eine durch Lärm verursachte Schwerhörigkeit beispiels- schließt das andere nicht aus. weise ist eine der meistverbreiteten Berufskrankhei-- ten. Das Bundesgesundheitsamt hat ermittelt, daß Punkt 3: Bei eng beieinanderliegenden Verkehrs- das Herzinfarktrisiko von Menschen, die in lärmge- wegen - da sind die Regelungen des jetzigen Geset- plagten Gebieten wohnen, um 10% höher ist als in zes ganz verrückt -, z. B. Schiene und Straße neben- ruhigen Gegenden. einander, ist sicherzustellen, daß die Summe des Lärms die vorgeschriebenen Immissionsgrenzwerte Kein Zweifel, daß bei der Bekämpfung des Lärms nicht übersteigt. schon viel geschehen ist. Doch trotz aller Bemühun- gen ist es in Deutschland immer lauter geworden. Es gibt ein Beispiel ganz in unserer Nähe: Parallel Das unaufhaltsam steigende Verkehrsaufkommen zu einer Autobahn wird dort eine Schnellverbindung sorgt dafür, daß der „Lärm" die Krankenhäuser füllt der Bahn gebaut, was zu begrüßen ist. Der Lärm- und jedes Jahr volkswirtschaftliche Kosten in Höhe schutz aber wird auf Grund der - man kann fast sa- von ca. 25 Milliarden DM entstehen, wie der Deut- gen: „idiotischen" - Gesetzeslage nur auf die Schie- sche Arbeitsring für Lärmbekämpfung errechnete. nenstrecke ausgelegt. Der Autobahnlärm wird über- haupt nicht beachtet. Das heißt: Wir müssen im Ge- Die SPD-Fraktion unterstreicht in ihrem Antrag setz zu einer Koppelung von neuem Lärmschutz und „Minderung des Verkehrslärms an Straßen und Lärmsanierungsmaßnahmen kommen. Kein Mensch Schienen", worauf es ankommt. versteht mehr, wie wir planen und bauen.

Punkt 1: Wir brauchen ein Verkehrslärmschutz (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albe rt Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE Gesetz, damit die - mit Rechtsanspruch ausgestatte- GRÜNEN]) ten - anliegenden Bürgerinnen und Bürger die Trä- ger von bestehenden Straßen und Schienen zur Es gibt ein weiteres Beispiel in Berlin: Do rt hat Lärmsanierung verpflichten können, wenn der Lärm man an einer S-Bahn-Strecke auf der einen Seite den Immissionsgrenzwert der 16. BImSchV um 5 dB eine Schallschutzwand gebaut, auf der anderen Seite übersteigt. nicht, da die Bahn der Meinung war, daß dort der Ge- räuschpegel etwas geringer sei. Das UBA hat mir ver- Punkt 2: Damit der Lärmterror an den Schienenwe- sichert, daß der Geräuschpegel nicht meßbar gerin- gen eingedämmt wird, sind im Haushalt Mittel für ger ist. Trotzdem hat man sich geweigert, die zweite die Lärmsanierung an Schienenwegen bereitzustel- Lärmschutzwand zu errichten. len, so wie es das schon für Bundesstraßen gibt. Da der Lärmschutz an den Schienenwegen bislang radi- Sicherlich kosten Lärmschutzmaßnahmen, z. B. der kal vernachlässigt wurde, sind die Mittel aus dem Bau von Schallschutzwänden, Geld. Es wäre sicher- Straßenbauhaushalt umzuschichten. lich nicht möglich, alle notwendigen Maßnahmen gleichzeitig zu ergreifen. Ich denke aber, daß wir un- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) bedingt einen Einstieg finden müssen. 3018 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 Jutta Müller (Völklingen) Wenn es um den Einstieg geht, komme ich auf den schem Gleitschutz bei Reisezugwagen. Nicht nur, Kollegen Bargfrede zu sprechen, der uns vorhin er- daß diese neuartigen Bremsen beim Bremsvorgang mahnt hat, wir sollten den Menschen keine Hoffnun- weniger Geräusche entwickeln, auch das Rollge- gen machen, die wir dann doch nicht erfüllen könn- räusch wird um bis zu 9 Dezibel geringer. Um die ten. Ich mache Sie einmal auf folgendes aufmerksam: Größenordnung zu verdeutlichen: Eine Reduzierung Es ist albern, wenn die Petitionen vom Petitionsaus- des Lärmpegels um 10 Dezibel wird vom menschli- schuß - Frau Altmann, es ist nicht so, wie Sie gesagt chen Ohr als Halbierung der Lautheit empfunden. haben, daß wir diese ablehnen; wir haben sehr viel Der größte Teil der Güterwagen fährt aber z. B. noch Verständnis für die Menschen und ihre Pe titionen - mit alten Klotzbremsen. Das kann man nachts hören, an die Bundesregierung überwiesen werden - im wenn sie vorbeifahren. übrigen hat Ihre ganze Truppe dabei immer munter Gelegentlich - da muß man genau aufpassen - mitgestimmt - werfen neue Techniken und Verfahren aber auch (Monika Ganseforth [SPD]: Einstimmig!) Probleme auf. Jüngstes Beispiel ist der Bau von fe- sten Fahrbahnen. Die Alterna tive zum klassischen mit der Aufforderung, end lich tätig zu werden, das Oberbau mit Schotterbett hat unter Lärmschutz- ganze Zeug dann aber im Verkehrsministerium weg- aspekten einen Nachteil, denn während der Schot- geschmissen wird. Die Bürger bekommen vom Petiti- terbau einen Teil des Rollgeräusches quasi ver- onsausschuß einen B rief: Jawohl, wir verstehen Ihr schluckt, strahlen die festen Fahrbahnen zunächst Anliegen. Wir haben die Regierung aufgefordert, tä- über 5 Dezibel mehr ab. Ich weiß, daß hier Untersu- tig zu werden. - Do rt aber werden die Pe titionen nur chungen laufen und daß man versucht, dies wieder weggeworfen. Das, Herr Bargfrede, heißt, den Men- auszugleichen. Es wird sicherlich Möglichkeiten zur schen Hoffnungen zu machen, die man nicht erfüllen Problemlösung geben. kann. Das ist kein seriöses Verfahren. Es macht also durchaus Sinn, Lärm an der Quelle (Beifall bei der SPD) zu bekämpfen. Der Bund kann sich bei dieser Be- kämpfung nicht aus der Verantwortung stehlen, Sie lehnen seit Jahren unsere Anträge, Mittel für den Lärmschutz an bestehenden Schienenwegen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ einzustellen, ab. Am 14. Januar 1991 kündigte Herr DIE GRÜNEN) Dirk Fischer an, mit dem Haushalt 1993 ein Lärmsa- zumal bereits im Jahr 1993 ein beachtenswertes Ur- nierungsprogramm für Schienenwege zu beginnen. teil ergangen ist. Der Bundesgerichtshof hat in einem Aber damit ist er bei seinem Minister wohl auf taube Urteil vom 25. März 1993 geschrieben, daß Verkehrs- Ohren gestoßen, denn es ist immer noch nichts- pas- lärmemissionen, die bestimmte Grenzwerte über- siert. Ich denke, daß man ein solches Vorgehen nicht schreiten, nach Art. 14 GG als enteignungsgleiche gerade als vertrauensbildende Maßnahme für die Po- Eingriffe gewertet werden, die sofort zu entschädi- litik bezeichnen kann. gen sind. Das Bundesverkehrsministerium hat dieses Es ist auch nicht richtig, was Frau Blank gesagt Urteil bisher nicht zugunsten der Anlieger an be- hat, nämlich daß der Bund hier wahnsinnig viel ge- stehenden Schienenwegen angewandt. tan habe. Es ist überhaupt nichts passiert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Gotteslästerer wurden im alten Rom mit dem Tode durch Lärm be- Aber es sind - da hat Herr F riedrich schon recht - straft. Krach galt als die schlimmste Marter und die nicht immer nur kostenintensive bauliche Maßnah- schlimmste Tortur. Und zu Beginn dieses Jahrhun- men notwendig. Auch mit administrativen Maßnah- derts schrieb Robert Koch, eines Tages würden die wie beispielsweise Lkw-Umleitungen und Ge- men Menschen den Lärm ebenso bekämpfen müssen wie schwindigkeitsabsenkungen können Lärmminderun- die Cholera. gen erzielt werden, denn zwischen Geschwindigkeit und Lärm besteht ein direkter Zusammenhang. Ich fordere Sie auf: Unterstützen Sie in den weite- ren Beratungen unseren Antrag, damit wir wenig- edrich [F.D.P.]) (Zuruf des Abg. Horst Fri stens beginnen können, die „Cholera" Lärm zu be- - Ich gehe davon aus, Herr F riedrich, daß Sie sich im- kämpfen. mer daran halten. So wie Sie aussehen, ja. Danke. (Horst Friedrich [F.D.P.]: Vielen Dank für (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne das Kompliment!) ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Wir müssen aber auch mehr Augenmerk auf den Be- und der PDS) reich des technischen Lärmschutzes legen. Gezielte Forschung und Entwicklung zur Reduzierung von Vizepräsident Hans Klein: Wenn es dem amtieren- Schallemissionen an Fahrzeug und Fahrweg können den Präsidenten mitgeteilt wird, kann man z. B. eine den Investitionsaufwand mindern helfen. Ein Lärm- Formel wie diese verwenden: Das Wort hat zum er- ingenieur der Deutschen Bahn AG sagte vor kurzem stenmal in diesem Hohen Hause der Kollege Norbert in einer Presseveröffentlichung, daß noch erhebli- Königshofen. ches Lärmminderungspotential gegeben ist. Die Maßnahmen gehen vom Schleifen der Riffeln an den (Beifall) Schienen, die bewirken, daß Züge in den innerstädti- schen Kurven zu quietschen anfangen, über das Aus- Norbert Königshofen (CDU/CSU): Herr Präsident, füllen der Schotterbetten mit schallschluckendem ich bedanke mich ganz herzlich für diese freundliche Material bis hin zur Scheibenbremse mit elektroni Einführung. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 3019

Norbert Königshofen Ich habe Ihren Antrag, meine Damen und Herren noch von einer Unterdeckung des Bundesverkehrs- von der SPD, mit Interesse und Neugier gelesen und wegeplans gesprochen hat. war, um es offen zu sagen, hinterher sehr enttäuscht. Ich hatte gehofft, etwas Neues zu erfahren. Aber was (Zurufe von der SPD) Sie hier vorlegen und vortragen, ist bekannt und in Sie müssen sich schon entscheiden: Entweder haben den wesentlichen Punkten bereits diskutiert worden, wir eine Unterdeckung, oder wir haben zuviel. Wenn auch das, was Frau Müller gerade im einzelnen hier wir zuviel haben, können Sie natürlich etwas heraus- dargelegt hat. Was Sie vorgelegt haben, nennen wir nehmen. im Ruhrgebiet ganz einfach einen Schauantrag. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - (Beifall bei der CDU/CSU) Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir haben eine falsche Ver- Durch dauernde Wiederholungen werden Ihre Argu- kehrspolitik! - Weitere Zurufe von der SPD) mente auch nicht besser und überzeugender. - Über weniger Straßen haben wir auch diskutiert. (Dr. Uwe Küster [SPD]: Bringen Sie mit Ih Wir haben Ihnen vorgehalten, daß Sie vor Ort dau- rer Schau jetzt den Lärm weg?) ernd Mittel anfordern. Dazu hat Frau Mattischeck tion, das zu tun. - Wenn Sie etwas zu sagen haben, dann melden Sie gesagt, es sei das Recht der Opposi Sie müssen sich schon entscheiden, was Sie machen sich. Schreien Sie nicht dazwischen! Der Präsident wollen. nimmt Sie gerne dran. (Elke Ferner [SPD]: Sie reden völlig an den (Beifall bei der CDU/CSU - Dr. Uwe Küster Tatsachen vorbei!) [SPD]: Zwischenrufe sind erlaubt in diesem Hause! Es kann ja sein, daß sie Ihnen nicht passen!) Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Königsho- fen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wohlgemerkt: Es geht hier nicht um die Diagnose Schmidt? - die kann man schon im Fünften Immissionsschutz- bericht der Bundesregierung nachlesen -, nein, es geht um Ihre Therapievorschläge, die nicht überzeu- Norbert Königshofen (CDU/CSU): Gerne. gen. Denn sie sind entweder nicht finanzierbar oder nicht sinnvoll oder einfach von der Entwicklung- Bitte, Herr Kollege überholt. Ich will dies an ein paar Punkten Ihres An- Vizepräsident Hans Klein: Schmidt. trages verdeutlichen. So fordern Sie von der SPD Mittel für ein Lärmsa- Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE nierungsprogramm auch an der Schiene. Jeder, der GRÜNEN): Verehrter Herr Kollege Königshofen, Sie das hört - Sie sprechen ja für die Öffentlichkeit -, haben mit Recht darauf hingewiesen, daß Lärm- wird spontan sagen: Jawohl, das ist es. schutz Geld kostet. Sie haben von einem Be trag von (Elke Ferner [SPD]: Die Qualität ist Ihnen 5 Milliarden DM gesprochen und gleichzei tig den verlorengegangen!) Bundesverkehrswegeplan angesprochen. Jetzt kommt die Frage: Finden Sie es nicht merkwürdig, Natürlich wäre es wünschenswert, wenn wir die Bür- daß Sie in einem Atemzug die Finanzierung von ger auch bei alten und neuen Schienenstrecken mit Lärmschutz als nicht finanzierbar bezeichnen, es Lärmschutzwänden vor Lärmbelästigungen schützen aber im selben Satz offensichtlich für möglich halten könnten. Aber wir haben bereits bei der Haushalts- - es ist ja Ihr Haushaltsbeschluß -, den Bundesver- beratung im Verkehrsausschuß am 25. Januar darauf kehrswegeplan mit 11 700 km neuen Bundesfernstra- hingewiesen, daß wir in den nächsten zehn Jahren ßen zu finanzieren? mindestens 5 Milliarden DM aufbringen müßten, wenn wir etwas Ordentliches zustande bringen wol- Norbert Königshofen (CDU/CSU): Nein. Ich finde len. allenfalls Ihre Frage merkwürdig; (Beifall des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] (Beifall bei der CDU/CSU) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Elke Ferner [SPD]: Deshalb machen Sie lieber gar denn angesichts der Tatsache, daß sich der Verkehr nichts!) bis zum Jahr 2010 verdoppelt, können wir als CDU nicht wie Sie den Kopf in den Sand stecken und auf Das sind aber Finanzmittel, die wir zur Zeit im Haus- das Eintreten des Chaos warten. halt nicht bereitstellen können. (Beifall bei der CDU/CSU) (Elke Ferner [SPD]: Wollen!) Ich will an dieser Stelle einmal sagen, was mich Sie schlagen vor, Mittel aus dem Straßenbaupro- grundsätzlich an Ihnen stört. gramm zu nehmen, obwohl Ihre Frau Mattischeck bei der Haushaltsberatung im Verkehrsausschuß (Lachen bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Dr. Uwe Küster [SPD]: Zur (Zuruf von der CDU/CSU: Wo ist sie?) Sache!) 3020 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Norbert Königshofen - Doch, das muß ich nach einem halben Jahr im Bun- 27. April 1994 -: „Ein allgemeines Tempolimit ist pri- destag loswerden. - Einerseits schimpfen Sie ständig mitiv." über zu hohe Belastungen der Bürger. Sie wollen den Solidaritätszuschlag abschaffen, Sie geißeln die (Zurufe von der CDU/CSU: Ah! - Elke Fer Staatsverschuldung, aber in jeder Sitzung stellen Sie ner [SPD]: Sie müssen einmal unser Regie wieder kostenträchtige Anträge. rungsprogramm lesen!) Wo der Mann recht hat, hat er recht. Das ist zwar (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nicht häufig der Fall, aber da hat er recht. Das paßt nicht zusammen, und das ist keine verant- (Heiterkeit bei der CDU/CSU) wortungsvolle Politik. Auch wenn man sich darüber im klaren ist, noch 20 Jahre in der Opposi tion zu Mir ist das natürlich klar: Aus Angst vor den GRÜ- sein, kann man so keine Politik machen, NEN wollen Sie, meine Damen und Herren von der SPD, das allgemeine Limit auf Bundesautobahnen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) einführen. Nur, als Begründung muß jetzt nicht die Ozonkonzentration, sondern die Lärmbelästigung es sei denn, man lebt in glücklichen Gebieten wie herhalten. Frau Altmann. In Ostfriesland scheinen Dukatenesel auf der Weide zu grasen. Dann hat man genügend Ich stelle für die CDU/CSU-Fraktion klipp und klar Geld. Hier ist das nicht der Fall. fest: Wir wollen diese Rasenmähermethode nicht. Wir setzen auf intelligente Lösungen. Ein zweites Beispiel, meine Damen und Herren, ist die Forderung nach der allgemeinen Einführung von (Lachen bei der SPD - Albert Schmidt Tempo 30 in den Wohngebieten der Städte. Auch [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: hier scheinen Sie wieder den Stein der Weisen gefun- Auf Telematik!) den zu haben. Aber mit der Aufstellung von Tempo- Ich will auf das verweisen, was Herr Bargfrede ge- 30-Schildern ist es bekanntlich nicht getan. Um eine sagt hat: Wir wollen situationsangepaßte und flexible wirkliche Verringerung des Tempos zu erreichen, Lösungen, z. B. durch den Einsatz rechnergestützter brauchen wir entsprechende straßenbauliche Gestal- Verkehrsbeeinflussungsanlagen. tungen wie Einbauten, Schwellen, Inseln. (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] Siehste, Telematik!) DIE GRÜNEN]: Kann man alles machen!) - - Ich tue Ihnen ja schon den Gefallen. Ich habe mich Nur dann kann ich dem Autofahrer die Notwendig- extra auf deutsch ausgedrückt, damit Sie das verste- keit einer Geschwindigkeitsbegrenzung richtig vor hen. Ich weiß ja: Mit „Telematik" haben Sie Ihre Augen führen und einsichtig machen. Schwierigkeiten. Aber diese Einbauten kosten Geld. Die Gemein- (Beifall bei der CDU/CSU) den - das wissen Sie - stöhnen doch über ihre Fi- Damit kann man Verkehrsdichte, Verkehrszusam- nanzprobleme. Gerade die SPD-geführten Städte la- mensetzung, Witterungsbedingungen, Infrastruktur sten der Bundesregierung doch immer wieder an, und Topographie angemessen berücksichtigen. daß in Bonn Gesetze gemacht würden, die bei den Gemeinden zu Kosten führten. Wenn Sie also jetzt (Elke Ferner [SPD]: A lles mit der Telematik, hier Anträge stellen, die die Gemeinden belasten ist ja toll!) werden, weil sie dann diese Einbauten finanzieren Aber Sie wollen ja mit Methoden von gestern - mit müssen, dann sagen Sie doch bitte auch, woher das Verboten - die Probleme von heute und morgen lö- Geld kommen soll. sen. Wir wollen die Errungenschaft der Technik nut- (Zustimmung bei der CDU/CSU) zen, um den Verkehr fließend zu halten. Sie wollen - das ist ja der Hintergrund - alles durch den Staat re- Ich finde das besonders interessant, weil Sie noch geln. Wir setzen auf Verständnis, Einsicht und Ak- in der letzten Woche verhindert haben, daß den Ge- zeptanz der Bürger. Die Verkehrsteilnehmer - das meinden durch eine Grundgesetzänderung eine zeigen alle Untersuchungen - werden nur dann Be- neue Finanzierungsquelle durch die Beteiligung der schränkungen akzeptieren, wenn sie die Notwendig- Gemeinden an der Umsatzsteuer eröffnet wird. keit der Maßnahmen einsehen, nicht aber, wenn sie sich schikaniert fühlen. (Beifall bei der CDU/CSU - Elke Ferner [SPD]: Das war ein Schauantrag, Herr Kol Meine Damen und Herren, wir werden Ihren An- lege!) trag in den Ausschüssen weiterberaten. Ich habe al- lerdings den Eindruck, daß Sie bei der Formulierung Ein drittes Beispiel: Sie fordern die Einführung ei- dieses Antrages keine glückliche Hand gehabt ha- nes allgemeinen Tempolimits auf Bundesautobah- ben. nen im Rahmen einer europäischen Harmonisierung. Mit diesem Teil Ihres Antrags, meine Damen und (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Herren von der SPD, lassen Sie endlich die Katze aus Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]) dem Sack. Vor der Bundestagswahl hat Ihr Vormann, Herr Scharping, noch abgewiegelt und festgestellt - Vizepräsident Hans Klein: Ich schließe die Aus- ich zitiere jetzt aus der „Berliner Morgenpost" vom sprache. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 3021 Vizepräsident Hans Klein Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlage Ich habe bedauert, daß sich dadurch die Beratung auf Drucksache 13/1042 an die in der Tagesordnung einer dringlichen Gesetzesvorlage verzögert hat. aufgeführten Ausschüsse vor. Ist das Haus damit ein- Aber das war ja wohl auch beabsichtigt und der ei- verstanden? - Dies ist offensichtlich der Fall. Darm ist gentliche Grund: nämlich eine nicht genehme Vor- die Überweisung so beschlossen. lage des Bundesrates zu diskreditieren; (Heinz Lanfermann [F.D.P.]: Wir sind hier im Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf: Bundestag!)

Erste Beratung des vom Bundesrat einge- übrigens eine Gesetzesvorlage, die dem Bundestag brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- bereits in der vergangenen Legislaturpe riode vorge- rung des Betäubungsmittelgesetzes legen hat und die lediglich deshalb erneut einge- bracht werden mußte, - Drucksache 13/205 - (Heinz Lanfermann [F.D.P.]: Da hätten Sie Überweisungsvorschlag: erst recht dasein müssen!) Ausschuß für Gesundheit (federführend) Innenausschuß weil Sie die Beratungen nicht rechtzeitig abschließen Rechtsausschuß konnten oder wollten. (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD - Heinz Lanfermann DIE GRÜNEN]: Ist Herr Kleine rt schon da? [F.D.P.]: Unglaublich!) - Gegenruf des Abg. Heinz Lanfermann Völlig unhaltbar sind die Rückschlüsse, die einige [F.D.P.]: Flegel! Grüner Flegel!) Mitglieder der Koalitionsfraktionen aus der Abwe- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind senheit von Bundesratsmitgliedern meinten ziehen für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. zu müssen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ das so beschlossen. CSU]: Hängen Sie sich mal nicht so hoch auf!) Ich eröffne die Aussprache und erteile der Senato- rin für Arbeit, Gesundheit und Soziales der Freien Dies gilt insbesondere für den Bundesminister See- und Hansestadt Hamburg, Frau Helgrit Fischer-Men- hofer und die von ihm geäußerte Vermutung, die zel, das Wort. Länder nehmen ihren Gesetzentwurf zur Erprobung der ärztlichen Verschreibung harter Drogen nicht mehr ernst. Fehlenden E rnst könnte man eher der Senatorin Helgrit Fischer-Menzel (Hamburg): Herr Mehrheit des Bundestages im Hinblick auf das bishe- Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie rige Verfahren vorwerfen. mich, bevor ich zum Inhalt des Gesetzentwurfs zur Ich kann Ihnen jedenfalls versichern: Hamburg Änderung des Betäubungsmittelgesetzes komme, und dem Bundesrat ist es nach wie vor sehr ernst mit eine Vorbemerkung machen. dem Antrag zur Erprobung der ärztlichen Verschrei- (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ bung harter Drogen. Mit jedem Tag, an dem ein jun- CSU]: Sagen Sie einmal, warum Sie vorige ger Mensch infolge seiner Drogensucht in unserem Woche nicht da waren!) Land zu Tode kommt, an dem sich ein Mensch im Zu- sammenhang mit seiner Sucht mit dem HIV-Virus in- Der Bundestag hat die erste Lesung am 26. April fiziert, an dem sich junge Frauen wegen ihrer Dro- mit den Stimmen der Regierungskoalition von der gensucht prostituieren, an dem jemand über seine Tagesordnung abgesetzt und diese Entscheidung da- Sucht kriminell wird, an dem viele Eltern darüber mit begründet, verzweifelt sind, daß ihre Kinder in das Drogenmilieu abrutschen und daß weder Staat noch Gesellschaft (Heinz Lanfermann [F.D.P.]: Daß Sie nicht ihnen wirksam helfen können, wächst das Interesse da waren!) der Länder an der Verabschiedung des Ihnen heute vorliegenden Gesetzentwurfs. daß der Bundesrat nicht vertreten gewesen sei. Ich bin mir bewußt, daß Sie so wie seinerzeit der (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ Bundesrat eine außerordentlich schwierige Entschei- CSU]: Genauso war es! Wir saßen hier dung zu treffen haben, eine Entscheidung, von der rum!) ich glaube, daß sie sich eigentlich nicht für parteipo- litisches Gezänk eignet und zu der - wie bundesweit Dieses unangemessene und bisher wohl auch einma- auch zu beobachten ist - gerade auch von CDU-Poli- lige Verfahren ist für Hamburg und den Bundesrat tikerinnen neue Töne zu hören sind. insgesamt nicht akzeptabel Die Länder haben lange überlegt, ob nicht ein wis- (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ senschaftlicher Versuch, wie wir ihn jetzt mit unse- CSU]: Das wird ja immer schöner!) rem Gesetzentwurf ermöglichen wollen, auch ohne eine in ihrer Symbolik ja nicht zu unterschätzende und wird, wie ich gehört habe, auch Anlaß zu Ge- Rechtsänderung möglich sein könnte. Leider ist dies sprächen zwischen den beiden Gesetzesorganen nicht der Fall. Wir brauchen für unser zunächst ein- sein. mal sehr bescheidenes Vorhaben eine Gesetzesände- 3022 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Senatorin Helgrit Fischer-Menzel (Hamburg) rung, weil das geltende Betäubungsmittelrecht in Denn eines haben wir in den letzten Jahren ge- § 13 unmißverständlich sagt, Drogen der Anlage I - lernt: Einen Königsweg in der Drogenhilfe gibt es und hierzu gehört Heroin - dürfen von einem Arzt nicht. nicht verschrieben und verabreicht werden. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ (Anneliese Augustin [CDU/CSU]: Ja, CSU]: Das stimmt!) warum wohl?) Süchtige benötigen in ihrer jeweiligen individuellen Leider ändert daran auch die Wissenschaftsklausel in Situation auch individuelle Hilfe: § 3 des Betäubungsmittelgesetzes nichts. Insofern (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ sollte niemand die Öffentlichkeit über diesen Sach- CSU]: Therapieplätze brauchen die!) verhalt in die Irre führen und etwa falsche Hoffnun- gen erwecken. ambulant oder stationär, Clean-Therapie oder Subs ti tion, niedrigschwelliger oder hochschwelliger Ent--tu Sehr geehrte Damen und Herren, die Länder und zug, Ersatzdroge oder Heroinvergabe. Die Vorstel- auch viele Kommunen, und zwar die SPD-regierten lung, Drogensüchtigen dürfe man Hilfe erst dann zu- wie auch viele CDU-regierten, haben in den vergan- teil werden lassen, wenn sie fast am Ende ihrer leid- genen Jahren ihre Anstrengungen zur Bekämpfung vollen, elendigen Karriere angekommen und irrever- der Drogensucht massiv gesteigert. Wir haben zahl- sibel geschädigt sind, lose neue Beratungsstellen, Krisenzentren, Entzugs- kliniken, Therapieeinrichtungen, Notschlafstellen (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ und vieles mehr aufgebaut. Ja, man kann sagen, wir CSU]: Kein Mensch sagt so etwas!) haben heute überall ein nahezu flächendeckendes hat sich ebenso wie die Idee vom Königsweg als Angebot an Drogenhilfen. falsch erwiesen. In Hamburg z. B. erreichen wir heute gut 70 % aller (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Drogenabhängigen mit unserem Hilfeangebot. Zu- GRÜNEN und der PDS) gleich haben wir die Vorbeugung, die Suchtpräven- tion, erheblich verbessert und ausgebaut, und auch Wir müssen jegliche erdenkliche Hilfe anbieten, so die polizeiliche Verfolgung der Drogenkriminalität früh wie möglich und so offensiv wie möglich. wurde in den letzten Jahren weiter deutlich verbes- Gerade unsere Hamburger Erfahrungen bei der sert. Methadon-Behandlung zeigen, daß bundesweit noch - viel zu sehr einer alten Philosophie gefolgt wird und (Wolfgang Lohmann [CDU/CSU] [Lüden enorme Hürden beim Zugang zu Ersatzdrogenpro- scheid]: Und wie ist es mit Therapieplät grammen für die Abhängigen aufrechterhalten wer- zen?) den. Man kann jedoch bei dieser Behandlungsform, Und dennoch. Das Drogenelend in unseren Städ- von der inzwischen bundesweit, wenn auch mit deut- ten nimmt weiter zu. Die Kriminalitätsbelastung lich regionalen Unterschieden, rund 15 % der Süchti- nimmt zu. Krankheiten wie Hepa titis, Tuberkulose, gen profitieren, sehr gut beobachten, daß bei vielen Aids usw. nehmen unter den Junkies zu. Gleichzeitig Abhängigen die soziale Integra tion und persönliche wachsen die Milliardengewinne der verbrecheri- Stabilisierung um so eher gelingen, je frühzeitiger sie schen Drogenhändler weiter an. Sie sind es, die sich in diese Behandlungsform aufgenommen werden. ins Fäustchen lachen, daß Staat und Gesellschaft Darum geht es auch bei unserem Modellvorhaben: dem Drogenproblem so hilflos gegenüberstehen. persönliche Stabilisierung und ein Stück Hoffnung und Zukunft für den Süchtigen und sein Umfeld, (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Ende der Verelendung, der Kriminalisierung und Er- GRÜNEN und der PDS) niedrigung.

Wir möchten deshalb durch unseren Gesetzent- (Beifall der Abg. Ulla Jelpke [PDS]) wurf erreichen, daß zunächst im Rahmen eines Er- Eines jedoch ist ganz unbestritten: Niemand wi ll probungsversuches und, wenn dies erfolgreich ver- durch das Angebot ärztlicher Behandlung der Süch- läuft, später regelhaft möglichst viele Abhängige aus tigen mit harten Drogen wie Heroin das Drogenange- dem Teufelskreis von Sucht und Kriminalität heraus- bot in unserer Gesellschaft erhöhen, gar einen zu- gezogen werden, daß sie sich mit ihrer Suchtkrank- sätzlichen - wie Sie es häufig nennen - legalen heit nicht mehr an die kriminellen Dealer, sondern an Markt schaffen. Deshalb sieht unser Gesetzentwurf kompetente Ärzte wenden, die ihnen die erforderli- eine strenge staatliche Kontrolle vor, und deshalb sol- chen Drogen so lange verschreiben, len nur langjährig Abhängige nach gründlicher Ein- zelfallprüfung in die Behandlung aufgenommen (Anneliese Augustin [CDU/CSU]: Bis sie sterben!) werden. Konkret gesagt: Nur diejenigen Abhängi- gen sollen in die Drogenbehandlung aufgenommen bis sie schließlich für eine Methadon-Therapie oder werden, denen mit anderen Behandlungsformen, die eine Abstinenzbehandlung gewonnen werden kön- weniger einschneidend sind, nicht geholfen werden nen. kann. Bei jedem von ihnen soll der Versuch unter- nommen werden, ihn alsbald in eine andere Behand- (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ lung, in die Methadon-Behandlung oder besser noch CSU]: Ein Witz, so etwas!) in die Abstinenztherapie, zu überführen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 3023

Senatorin Helgrit Fischer-Menzel (Hamburg) Auf der anderen Seite wollen wir keinem Drogen- hier irgendwelche Standpunkte nur zu verfestigen. abhängigen mehr sagen müssen: Geh doch zum Es geht vielmehr um Schicksale von Menschen und Dealer! Ich glaube, dies sind wir den Drogenkran- manchmal auch um Leben oder Tod. ken, ihren verzweifelten Eltern und auch der Allge- meinheit schuldig. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und der PDS) Ich möchte Ihnen einfach nahebringen, daß auch ich zu denen gehöre, die über Legalisierung oder Deshalb bitte ich Sie namens des Bundesrates, die kontrollierte Abgabe von Drogen nachgedacht ha- Beratung in den Ausschüssen nunmehr zügig vorzu- ben. Aber - das sage ich jetzt als verantwortlicher Po- nehmen und den Gesetzentwurf möglichst bald zu litiker - ich darf eben nicht nur an die Drogenabhän- verabschieden. Wenn es hilft, komme ich jederzeit gigen denken, sondern ich muß auch denjenigen ge- hier nach Bonn und setze mich auf die Bundesrats- genüber Verantwortung übernehmen, die noch nicht bank. in den Teufelskreis der Drogenabhängigkeit geraten sind. Gerade weil ich sehr lange überlegt habe, wel- Danke. che Folgen Ihr Antrag in der Praxis für noch nicht (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Abhängige oder auch für Drogenkranke hätte, die GRÜNEN und der PDS) die Chance hätten, ihre Abhängigkeit wieder in den Griff zu bekommen, muß ich den Antrag des Bundes- rates ablehnen. Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Hube rt rt. Hüppe, Sie haben das Wo (Johannes Singer [SPD]: Den Antrag haben Sie nicht gelesen!) Hubert Hüppe (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Worum geht es nun in diesem Antrag? Ich erkläre Damen und Herren! Frau Fischer-Menzel, es zeugt es Ihnen einmal. Der Gesetzentwurf sieht eine Ände- schon von einem seltsamen Verständnis des Verhält- rung des Betäubungsmittelgesetzes vor, wonach das nisses von Bundesrat und Bundestag, wenn Sie es Bundesgesundheitsamt bzw. die Bundesopiumstelle noch nicht einmal für nötig halten, Ihren Antrag vor - das haben Sie zu ändern versäumt - künftig eine dem Deutschen Bundestag, in dem viele neue Kolle- Ausnahmegenehmigung für Forschungsvorhaben gen sind, zu begründen. Sie hätten auf Ihren Kolle- mit nicht verkehrsfähigen oder nicht verschreibungs- gen Schmidt hören sollen, der als SPD-Kollege Ihr fähigen Betäubungsmitteln, insbesondere Heroin, Verhalten in diesem Haus damals mißbilligt hat. - nicht mehr auf Grund eigenen fachlichen, wissen- Wenn Sie etwas von uns wollen - das gilt natürlich schaftlichen Ermessens erteilen kann, sondern eine auch andersherum -, wenn der Bundesrat etwas von Genehmigung erteilen muß, wenn ein Land das Vor- uns will, dann sollte er zumindest seinen Antrag be- liegen bestimmter Voraussetzungen geltend macht. gründen. Mit dieser Änderung soll nach Ihrer Ansicht be- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - zweckt werden, daß z. B. Heroin künftig unter staat- Johannes Singer [SPD]: Haben Sie nicht zu licher Aufsicht und Kontrolle durch Ärzte an Drogen- gehört?) abhängige oder im Rahmen einer Schmerztherapie verabreicht werden kann. - Ich habe genau zugehört. Ich war nämlich auch an dem Abend anwesend, als wir alle hier waren. Da Dies, meine Damen und Herren - das darf ich für war es Ihr Kollege Schmidt, der genau dieses Verhal- meine Fraktion sagen -, widersp richt ganz und gar ten mißbilligt hat. Dann haben wohl auch wir das unserem obersten Ziel, für ein Leben ohne Drogen Recht, dieses Verhalten zu mißbilligen. Aber wir wol- einzutreten. Wir bleiben bei der Auffassung, daß len darüber nicht länger reden; dafür ist das Thema man Sucht nicht mit Drogen, sondern nur mit geeig- zu wichtig. neten therapeutischen Maßnahmen bekämpfen kann. Ich möchte Ihnen, Frau Fischer-Menzel, sagen - zumindest gilt das für mich persönlich -, daß es mir Die von SPD-geführten Ländern geforderte kon- schon wichtig ist, zu überdenken, welche Auswir- trollierte Abgabe von Heroin stellt aus meiner Sicht kungen ein solcher Antrag für die Menschen hat. Ich ein Experiment dar, das nichts anderes als ein medi- habe immer noch ein Gespräch vor Augen, das ich zinischer Versuch am Menschen ist, der im schlimm- mit einer Frau führte, deren Tochter drogenabhängig sten Fall sogar tödlich enden kann. war. Plötzlich brach sie während des Gespräches in (Widerspruch bei der SPD und beim BÜND Tränen aus und sagte, sie wisse nicht, ob ihre Tochter NIS 90/DIE GRÜNEN) zur Zeit nicht auf dem Drogenstrich das Geld für den nächsten Schuß verdiene. Ich gebe zu, auch ich habe - Ich verstehe jetzt Ihren Widerspruch nicht. Ich war im ersten Moment gedacht gestern den ganzen Tag über in der Anhörung über die Bioethik-Konvention. Dort haben Sie sich als (Zurufe von der SPD) GRÜNE - ich übrigens auch, auch die SPD - gegen - lassen Sie mich doch einmal ausreden! -: Wäre es alle Versuche am Menschen gewehrt. Aber wenn Sie nicht das beste, wenn diese junge Frau den Stoff vom da so konsequent sind - ich bin da auch konsequent -, Staat oder von sonst jemandem bekäme? dann erwarte ich, daß Sie in diesem Punkt genauso konsequent sind. Warum sage ich das am Anfang? Weil es heute eben nicht um Parolen und auch nicht darum geht, (Beifall bei der CDU/CSU) 3024 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Vizepräsident Hans Klein: Gestatten Sie eine Zwi- ben sie z. B. die landesweite Umsetzung des Modell- schenfrage, Herr Kollege? projektes „Therapie sofort" gefordert, das leider nur in zwei Städten Nordrhein-Westfalens, nämlich in Hubert Hüppe (CDU/CSU): Bitte, Herr Kollege. Dortmund und in Köln, läuft. Dieses Projekt, das für die Abhängigen die Mög- Johannes Singer (SPD): Herr Hüppe, würden Sie lichkeit bietet, ohne viel Bürokratie schnelle Hilfe zu den seit Ende 1993 in der Schweiz laufenden ent- erhalten, hat bewiesen, daß es viel mehr Abhängige sprechenden Versuch in sechs Großstädten als Ver- gibt, die von der Droge wegkommen wollen, als bis- such am Menschen bezeichnen und damit der kon- her allgemein angenommen wurde. Dies beweist servativ regierten Schweiz Menschenversuche vor- u. a. auch die Tatsache, daß in Dortmund nach eini- werfen? gen Wochen Hunderte von Therapieplätzen fehlten - eben weil der Zulauf so groß war. (Manfred Müller [Berlin] [PDS]: Sehr gute Frage!) Wenn es wirklich stimmt - was die meisten Fach- leute sagen -, daß von den Drogentoten, die jedes Hubert Hüppe (CDU/CSU): Ich glaube, es ist am Jahr zu beklagen sind, 5 bis 10 % bereits auf einer Verhalten der Schweiz deutlich geworden, daß sie Warteliste für einen Therapieplatz standen, dann selbst eingesehen hat, daß ihre Drogenpolitik teil- wünschte ich mir, daß die Länder, die die kontrol- weise verfehlt ist. Wenn Sie die Anhörung verfolgt lierte Freigabe von Drogen derzeit so vehement for- haben - dern, genausoviel Einsatz für mehr Therapieplätze, Nachsorgeeinrichtungen und differenzierte drogen- (Otto Schily [SPD]: Das beantwortet doch freie Angebote zeigten. die Frage nicht!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) - darf ich einmal antworten? -, werden Sie einräu- men müssen, daß der Schweizer Vertreter, der im Allerdings muß ich zugeben: Dieser Weg ist nicht so übrigen von Ihnen benannt wurde, sehr wohl gesagt einfach, dafür aber teurer und längst nicht so me- hat, daß das Programm, das in der Schweiz durchge- dienwirksam. führt werde, überhaupt nicht auf das übertragbar sei, was Hamburg fordere. Das ist nun einmal so gesagt Mein Wunsch ist es - ich würde mich freuen, wenn worden. Daran kann ich nichts ändern. wir da zusammenkämen -, das Ziel zu erreichen, daß jeder Drogenkranke - er ist ja krank - wie jeder an (Otto Schily [SPD]: Die Frage ist noch- im -dere Kranke auch sofort Zugang zu allen heilenden, mer nicht beantwortet!) d. h. aber auch auf Drogenfreiheit gerichteten Maß- - Warum soll ich etwas, was nicht vergleichbar ist, an nahmen erhält. dieser Stelle begründen und sagen, daß das ein Men- schenversuch ist? Ich meine, das muß ich mir selber Meine Damen und Herren, interessant ist es - um angucken. Ich denke nicht über Sachen nach, die ich die Motive der Antragsteller zu ergründen -, auch in nicht genauestens kenne. Wenn aber der Vertreter die Begründung des Gesetzentwurfes zu sehen. Do rt aus der Schweiz sagt, daß es aus seiner Sicht nicht können Sie an erster Stelle lesen, daß ein Motiv der mit dem vergleichbar ist, was wir hier fordern - das Änderung des Betäubungsmittelgesetzes die hohe hat er in der Anhörung nun einmal gesagt -, dann Begleitkriminalität und die damit verbundene Stö- können Sie von mir nicht erwarten, daß ich so etwas rung der öffentlichen Sicherheit sind. Man glaubt, als Menschenversuch darstelle. daß mit der kontrollierten Abgabe die Kriminalität in den Großstädten abnimmt. (Otto Schily [SPD]: Würden Sie das, was in der Schweiz praktiziert wird, akzeptieren?) (Johannes Singer [SPD]: Hat sie ja auch!) - Ich habe gesagt, das würde ich mir erst einmal an- Diese These erscheint jedoch mehr als fraglich. Denn schauen. wie soll ein Heroinabhängiger seinen Lebensunter- halt erlangen, wenn er alle paar Stunden - dies ist (Otto Schily [SPD]: Haben Sie es sich ange einer der großen Unterschiede zu Methadon - erneut schaut? Das sollten Sie einmal machen!) seine Dosis benötigt? - Herr Schily, das würde ich gern tun, und das werde ich auch tun. Herr Schily, lassen Sie mich jetzt weiter- Hinzu kommt das Problem der Folgekriminalität. reden. Ich nenne nur den Bereich Straßenverkehr. Was wer- den Sie eigentlich einem Unfallopfer erzählen, das Natürlich denkt auch die CDU/CSU über neue auf Grund eines drogenabhängigen Verkehrsteilneh- Wege nach. Aber wir fragen uns selbstverständlich: mers, der kurz zuvor von einem Arzt seinen Stoff inji- Warum geht man nicht erst einmal die Wege, die ziert bekam, schwer verletzt wurde? Da bin ich sehr wirklich Erfolg versprechen oder bei denen zumin- gespannt. dest die Aussicht besteht, daß ansatzweise ein Erfolg möglich ist? (Otto Schily [SPD]: Dann dürfen Sie auch keinen Alkohol mehr verabreichen!) Ich habe mich z. B. darüber gefreut, daß die CDU in Nordrhein-Westfalen - das ist mein Landesver- - Das ist übrigens der große Unterschied: daß wir ei- band - ein Programm aufgestellt und gesagt hat: Wir nem Alkoholabhängigen keinen Alkohol verabrei- wollen die Hilfen in den Vordergrund stellen. So ha- chen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 3025

Hubert Hüppe Ich will auch gar nicht ausschließen, meine Damen einen Drogenkranken auf eine richtige Dosis einstel- und Herren von der Opposi tion, daß am Anfang ei- len, ohne dessen Leben zu gefährden? nes solchen Versuches die Beschaffungskriminalität kurzfristig zurückgeht. Aber ich glaube, daß dieser Wenn also eine Abgabe von Heroin trotz längerem Erfolg bald durch Folgekriminalität und die dann ins- Beigebrauch nach Ihrem Vorschlag genehmigt wer- gesamt steigende Zahl von Abhängigen zunichte ge- den müßte, werden wir uns - das sage ich für alle macht wird und der Schaden mittelfristig insgesamt meine Kolleginnen und Kollegen - mit allen Kräften noch größer wird, als er schon jetzt ist. dagegen wehren. Sagen Sie bitte nicht, die Ärzte könnten dies alle Sie werden darüber hinaus feststellen, daß die selbst einschätzen. Ich habe vor kurzem einen Fa ll Großstädte noch mehr zum Anziehungspunkt von erlebt, wo eine Ärztin, die selbst Substitutionsbe- Abhängigen werden, da nach dem vorliegenden Ent- handlung mit Methadon vornimmt, einem Metha- wurf die Abgabe nur in Städten mit mehr als einer donpatienten Rohypnol verschrieben hat und der Pa- halben Million Einwohner erfolgen darf. Das ist eine tient an Herz-Kreislauf-Versagen starb. Einschränkung - wenn ich Ihrem Gedankengang folge -, die ich überhaupt nicht verstehen kann, weil Meine Damen und Herren, als das Land Hamburg die Kontrolle von Suchtkranken und ihre Einführung den vorliegenden Entwurf 1993 in den Bundesrat in das Umfeld in einer Großstadt wesentlich schwe- einbrachte, wurde u. a. damit argumentiert, daß mit rer ist als auf dem Lande, wo der Kontakt der Men- der Heroinabgabe den organisierten Drogenhänd- schen zueinander noch viel enger ist. lern der Nachfragemarkt genommen werden würde. Dies kann nur dann effektiv geschehen, wenn tat- Meine Damen und Herren, in der weiteren Be- sächlich sehr viele Drogenkranke in so einen Ver- gründung des Antrags wird erklärt, daß nur solche such kämen. Abhängige in das Programm aufgenommen werden sollen, die für andere Behandlungsformen - also Ab- Das aber würde bedeuten, daß wiederum der ein- stinenz oder Substitution - nicht in Betracht kämen. zelne Arzt über sehr viele Patienten verfügen müßte Ich frage mich, welcher Arzt dies ernsthaft richtig be- und sich kaum Zeit nehmen könnte, die Dosierung urteilen kann. immer auf dem aktuellen Stand zu halten bzw. den Beikonsum anderer Mittel zu überprüfen. Es käme Jeder Abhängige, dessen Lebensinhalt - das wis- zur Massenabfertigung, und für eine ernsthafte wis- sen Sie doch genauso gut wie ich - auf nichts ande- senschaftliche Untersuchung bliebe überhaupt keine res ausgerichtet ist, als irgendwie an den nächsten Zeit. Schuß zu kommen, wird doch versuchen, in ein sol- ches Programm zu gelangen. Wenn man dies weiß, Aber nehmen wir einmal an, selbst dieses Problem wirkt die in dem vorgelegten Entwurf genannte Vor- könnte man lösen. Wie wären die tatsächlichen Aus- aussetzung, daß die an dem Versuch teilnehmenden wirkungen auf den Drogenmarkt? Die Antwort ist Personen „auf der Grundlage einer Aufklärung über klar: Der Preis für Heroin auf dem Schwarzmarkt die gesundheitlichen Risiken der Behandlung" ihr würde weiter sinken, die Verfügbarkeit von Heroin Einverständnis erklären müssen, schon fast zynisch. würde steigen. Die Drogenhändler würden sich be- Als wenn nicht jeder Abhängige wissen würde, wel- mühen, ihre Kundschaft zu erweitern, und andere ches Risiko Heroin darstellt! Jeder akut Heroinab- Drogen, die zum Teil noch gefährlicher sind, würden hängige wird Ihnen sofort alles unterschreiben. Im auf den Markt geworfen werden. übrigen wird alsbald jeder oder jede Abhängige dem Ich nenne als Stichwort nur Crack, das ja in Europa entsprechenden Arzt erklären, daß gerade er bzw. sie und auch in Deutschland zunehmend Bedeutung er- nicht in der Lage sei, eine andere Behandlungsform langt. Daß dies nicht nur eine düstere Theo rie ist, in Anspruch zu nehmen. Mit anderen Worten, es müßten die Hamburger eigentlich am besten wissen, werden sich auch Abhängige um diese Drogen be- denn 1985/86 gab es allein in Hamburg einen drasti- mühen, die möglicherweise unter anderen Umstän- schen Preisverfall bei Heroin von über 50 %. den zu einer drogenfreien Therapie oder zumindest zu einer Substitution bereit wären. Die Folge war, daß sich die Zahl der Drogentoten in den Jahren 1986 bis 1988 fast vervierfachte. Der Eine weitere Voraussetzung für die kontrollierte Prozentsatz der festgestellten Erstkonsumenten er- Abgabe ist nach Auffassung der Länder, den Beikon- höhte sich bei den jungen Menschen unter 25 Jahren sum anderer Drogen und Substanzen festzustellen von 40 % auf 54 %, obwohl in allen anderen Bundes- und bei der Behandlung zu berücksichtigen. Aller- ländern das Einstiegsalter stieg. Die Erstkonsumen- dings heißt dies nicht - diese Voraussetzung haben tenzahl stieg von 208 im Jahre 1986 auf über 800 im Sie nicht genannt -, daß deswegen auch bei länge- Jahr 1988. rem Beikonsum der Versuch abgebrochen werden soll. Das, meine Damen und Herren, ist geradezu Meine Damen und Herren, es gibt einen weiteren fahrlässig. Punkt, der mich an dieser Vorlage besonders stört, nämlich daß an keiner Stelle soziale Begleitmaßnah- Denn alle Erfahrungen zeigen, daß die wenigsten men gefordert werden. Dies bedeutet doch, daß die Rauschgifttoten reine Herointote sind. So zeigt eine Abhängigen mit ihrer Droge von Ihnen allein gelas- wissenschaftliche Untersuchung in der Stadt Do rt sen werden sollen, ohne soziale Be treuung, ohne rt bei über zwei Dritteln der Herointo--mund, daß do Job, möglicherweise ohne Wohnung und mit hohen ten das Medikament Rohypnol festgestellt wurde. Schulden. Wenn es Ihnen wirklich bei Ihrem Entwurf Wie will denn ein Arzt unter solchen Verhältnissen um die Schwerstabhängigen und ihr Schicksal gehen 3026 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Hubert Hüppe würde, hätten Sie doch diesen Punkt an die erste chen ist nicht nur sehr gewagt; ich halte das für ei- Stelle der Voraussetzungen stellen müssen. nen Mißbrauch in Wort und Sinn.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie bei Abgeordneten der Zusammenfassend möchte ich, weil die Zeit leider PDS) etwas knapp geworden ist, die Hauptargumente, warum wir den vorliegenden Gesetzentwurf ableh- Menschenversuche hat es im deutschen Faschismus nen, nennen. Der Entwurf ist meiner Meinung nach gegeben, und er hatte rassische Gründe. Ich hoffe, ein Zeichen von Hilflosigkeit und Aktionismus und daß Sie nicht gemeint haben, den Begriff „Men- hat überhaupt keine erkennbaren Erfolgsaussichten. schenversuche" in der Medizin in diesem Zusam- Eine Risikoabschätzung erfolgt an keiner Stelle. Das menhang zu verwenden; denn wir reden hier über Ergebnis wäre: mehr Verfügbarkeit von Drogen, medizinische Fragen. mehr Drogeneinsteiger, und der Erfolg von Präven- tionsmaßnahmen würde weiter in Frage gestellt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schließlich würde - ich habe es genug erläutert - die und der SPD sowie bei Abgeordneten der Motivation zum Ausstieg weiter sinken. Deswegen PDS - Zurufe von der CDU/CSU: Nun kom ist der Weg, den Sie einschlagen, ein Irrweg, den zu- men Sie! - Hören Sie doch auf! - Ist doch mindest wir nicht mitgehen können. albern!)

Herzlichen Dank. Was wir in Deutschland in der Drogenpolitik brau- chen, sind nicht fundamentalistische Bekenntnisse, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nicht Fehlinformationen über Heroin, falsche Zuord- nung von Ursache und Wirkung, ist nicht ein Gegen- Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Monika überstellen oder Gegeneinanderstellen von Sucht Knoche, Sie haben das Wo rt. und Sinn und richtigem Leben. Was wir brauchen, ist ein Perspektivwechsel. Er setzt Glaubwürdigkeit, Genauigkeit und Gerechtigkeit voraus. Suchtfragen Monika Knoche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): müssen endlich herausgezogen werden aus den al- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Herren und Da- ten Trampelpfaden der Innen- und Rechtspolitik. men! Ich hätte gern „Guten Abend, Herr Seehofer" gesagt, aber ich nehme an, als Reflex auf das Fehlen (Beifall bei Abgeordneten der PDS) von Bundesratsmitgliedern beim letztenmal- ist er heute nicht gekommen. Daß als Drogenbeauftragter ein Ju rist an Innenmi- nister Kanthers Seite sitzt, das ist doch an sich schon (Zurufe von der CDU/CSU: Die Bundesre eine präventionspolitische Pleite. gierung ist vertreten! - Frau Staatssekretä rin ist da!) Bei aller Restriktion, die wir kennen: Es wird wei- ter gespritzt, im Knast, auf der Straße und im Salon. - Ich habe gesagt: Ich hätte gern „Guten Abend, Mit Polizeimaßnahmen läßt sich nun einmal keine Herr Seehofer" gesagt. bestimmte Lebensführung erzwingen.

(Zuruf von der F.D.P.: Wo ist denn eigentlich (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS der Herr Fischer?) SES 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte für mich nicht in Anspruch nehmen, vollständig über sämtliche Fragen dieses Problem- Mehr noch: Manche kommen, weil Hasch nach wie kreises Bescheid zu wissen, aber Ihnen, Herr Kollege vor überdramatisiert und kriminalisiert wird, als Kif- er wieder Hüppe, möchte ich doch folgendes entgegnen: Noch fer ins Gefängnis und gehen als kranke F ix niemand ist durch Substitution gestorben; sehr viele heraus. Auch das ist eine bundesdeutsche Realität, sterben, weil sie keine bekommen. die von Ihnen immer wieder ausgeblendet wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ und der SPD sowie bei Abgeordneten der CSU]: Gesetze abschaffen!) PDS) Gerade deswegen glaubt Ihnen auch kein aufge- Bei keiner anderen Drogenabhängigkeit gibt es klärter Bürger und keine aufgeklärte Bürgerin ihre bei der Substitution z. B. durch Methadon eine so Helferprosa mehr, in die Sie Ihre Intoleranz kleiden. hohe Reintegrationschance, wie sie bei Heroinab- hängigen gegeben ist. Keine andere Therapie bei Al- Wenn Politik glaubwürdig sein will, dann muß das koholerkrankten oder Pharmaabhängigen kann für auf dem Fundament eines kulturvollen Umgangs mit sich eine solche Erfolgsquote beanspruchen wie die allen Süchten und einer menschlich akzeptierenden bereits jetzt existenten Methadon-Programme. Diese Haltung gegenüber Süchtigen geschehen. Ihre vor- Menschen sind in der Regel arbeitsfähig und inte- getragene Fürsorge, Herr Hüppe, will Süchtige von griert, wohingegen es bei anderen Suchtkranken einem längst nicht mehr kulturfremden Suchtstoff keine solchen Erfolge der Therapie gibt. befreien und kennt höchstens noch Therapie statt Strafe. Was bleibt, ist der Zwang zur Heroinabsti- Noch etwas anderes vorab: Im Zusammenhang mit nenz. Etwa 150 000 Menschen werden so in Deutsch- Heroinvergabe von „Menschenversuchen" zu spre- land in ein deklassiertes Leben getrieben. Mehr als Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 3027 Monika Knoche 1 500 von ihnen gehen jedes Jahr aus dem Leben, mildtätige Prinzip „Therapie statt Strafe", wenn an weil sie den Stoff nicht lassen können. -deren Süchtigen Verständnis entgegengebracht wird und ihnen kein Gefängnis droht? Diese Diskriminie- (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist wieder rung kann nur demo tivierend wirken. die Gesellschaft schuld!) Das ist die Bilanz Ihres seit 20 Jahren gescheiterten Erfahrungsgemäß können nicht einmal 10 % all de- Heroindogmas. Sie folgen der Devise: Strafe und rer, die eine Langzeittherapie gemacht haben, ohne Verbot, Liebe bei Verzicht. Unser Bemühen ist auf je- Heroin auskommen. Trotz aller guten Vorsätze: Die den einzelnen Heroinkonsumenten und jede ein- Spirale zieht sie weiter nach unten. zelne Heroinkonsumentin gerichtet. Deshalb hier Laut Aussage des BKA werden statistisch von eine grundsätzliche Klarstellung: Heroin ruiniert 100 Heroinabhängigen 172 000 Eigentumsdelikte im manche gerade deshalb, weil ein mafiaorganisierter Jahr auf Grund des Beschaffungsdrucks begangen. Schwarzmarkt das Verkaufsmonopol hält. Es ist nicht Eine Kriminalitätsrate entsteht, die das Bild über die die Droge an sich. Mit Heroin, reinem guten Heroin, Gewaltbereitschaft unserer Bevölkerung völlig ver- kann man relativ gesund alt werden. zerrt. (Anneliese Augustin [CDU/CSU]: Nein! Das Um was geht es? Ist es wirklich das Suchtmittel, ist ja der Gipfel!) das es zu bekämpfen gilt? Oder ist es nicht doch die - Sie sollten die Pharmakologen und Pharmakologin- Sucht und damit letztlich der oder die Süchtige? nen einmal zu Rate ziehen, um zu hören, was Heroin Wenn also das Suchtmittel die Gefahr ist, warum eigentlich für ein Stoff ist. gibt es dann nicht einmal Ansätze für ein Werbever- Es ist, um es klar zu sagen, die Illegalität des Be- bot für die gesundheitsgefährdendsten aller Drogen: schaffungskreislaufes, der denen, die nicht über die Alkohol, Nikotin und Schmerzmittel? besten Quellen verfügen können, Verunreinigungen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Begleitinfektionen, Hepatitis und Aids bringt. Es ist sowie bei Abgeordneten der SPD und der der Verfall der sozialen und beruflichen Bezüge PDS) durch die Kriminalisierung, die das öffentliche Bild der Heroinabhängigen und der Heroingefahren Wenn vernünftige Argumente und Nachvollziehbar- zeichnet. keit der Rechtslogik Ausgangspunkt politischer Ent- scheidungen sind, ist zu fragen: Wo ist in der Drogen- 80 % aller Kokainabhängigen und 50 % aller Hero- frage die Konsequenz? inkonsumenten und -konsumentinnen leben völlig integriert, unauffällig und zum Teil beruflich sehr er- Damit kein Mißverständnis aufkommt: Es ist nicht folgreich. Daß dieser Aspekt von Ihnen nicht ge- meine Sache, legale harte gegen illegale Drogen auf- nannt wird, gehört zu dem Gerüst aus Ideologie und zurechnen Tabu, das Sie in die Suchtpolitik eingezogen haben, (Zuruf von der CDU/CSU: Das tun Sie aber ohne das aber Ihre ganze Logik zusammenbricht. schon die ganze Zeit!) Es ist doch erstaunlich, daß bei drei Millionen Al- oder die Krankheitsleiden, die psychischen und so- koholabhängigen und bei 1,5 Millionen Medika- zialen Probleme von Süchtigen und ihnen Naheste- mentenabhängigen kein gesundheitspolitischer Not- henden zu verharmlosen oder zu verschweigen. Daß stand benannt wird, keine Verbotsdebatte über diese viele Heroinabhängige ein tiefes Wissen über Suchtstoffe geführt wird - wofür ich übrigens gar schwere seelische Erkrankungen haben und Heroin nichts übrig habe -, sondern daß auf die kleinste Dro- als Selbstmedikation anwenden, ist ein zu respektie- gengemeinde, die 150 000 Heroinabhängigen, fokus- render Grund für Sucht. siert wird. Es wird mit denen politisch operiert, die am Ende sind. Aber nicht alle Süchtigen sind seelisch krank. Nicht alle Kranken sind therapiebedürftig. Das muß Es gibt etwa 25 000 HIV-infizierte Heroinabhän- man auseinanderhalten. Es geht darum festzustellen, gige, und nur der kleinste Teil von ihnen ist über- was Gesundheitspolitik für die Antidiskriminierung haupt in ärztlicher Behandlung. Darin liegt eine ekla- und Gesundheit von Süchtigen tun muß. Die Ge- tante Unterversorgung. Die mancherorts durchge- sundheitspolitik hat nicht das Recht, aus ideologi- führte Methadon-Substitution hat so harte NUB- scher oder moralischer Überzeugung heraus eine be- Richtlinien, daß sie von vielen Heroinabhängigen als stimmte Lebensführung zur Voraussetzung für die ,,Sargdeckelindikationen" bezeichnet werden. Hilfe zu machen. Was sollen Heroinabhängige mit der Abstinenzmo- Es geht darum anzuerkennen: Die suchtfreie Ge- ral anfangen? Warum unterliegen gerade sie dem sellschaft ist eine Fiktion. Drogenpolitik braucht eine größten gesellschaftlichen Druck, gesund und clean andere Diktion. Ich zitiere: werden zu müssen, in einer Gesellschaft, die zwar die beste Gesundheitsversorgung haben soll, aber Es ist die Frage, ob man nicht durch gezielte He- dennoch Europameister im Trinken ist, wo roinvergabe jenen helfen kann, die nicht heraus- 1,7 Milliarden DM im Jahr allein durch Selbstmedi- kommen. Wie gefährlich ist Heroin? Kann ein kation in die Ladenkassen der Apotheken fließen Morphinist sein Leben relativ geregelt leben? und es legal Pharmaabhängige auf Krankenschein Wenn er kann, dann sollten wir alle Glaubens- gibt? Das kann nur als Doppelmoral wahrgenommen kriege beenden, auch wenn aus der Bundesregie- werden. Warum gilt für Süchtige illegaler Drogen das rung Ablehnung kommt. 3028 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 Monika Knoche Gesagt hat das der künftige Präsident des Deutschen sen Sie auch ganz genau. Ich finde es infam, mir so Städtetages, Professor Dr. Gerhard Seiler (CDU), etwas zu unterstellen. Oberbürgermeister meiner Heimatstadt Karlsruhe, einer normalen Stadt mit 30 Herointoten im Jahr. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.) Es sind die Kommunalpolitiker und -politikerin- nen, die aus diesem von Ihnen beschworenen Dro- Sie haben mich gestern erlebt und wissen genau, daß genkonsens ausbrechen und ihre Parteibücher ver- ich zu denen gehöre, die mit der Bioethikkonvention, gessen, weil sie die menschlichen Tragödien und die- über die wir gestern diskutiert haben, das Leben viel- leicht mehr schützen wollen als manche anderen. ses unnötige Leid nicht mehr mit ansehen und vor al- lem nicht mehr rechtfertigen können. (Zurufe von der SPD) Ob Frau Roth von der CDU in Frankfu rt, ob im Fe- - Lassen Sie mich auch einmal ausreden. - Wenn Sie bruar 1995 der baden-württembergische Städtetag, mir so etwas unterstellen, ist das nicht in Ordnung. ob Gesundheitsminister und -ministerinnen der Län- der, - Wenn Sie hinterher gleichzeitig sagen: Helferprosa im Mantel der Intoleranz, dann finde ich das genauso unverschämt. Ich habe wirklich mit vielen Abhängi- Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin, bitte. gen gesprochen. Ich versuche, von einer Einrichtung zur anderen zu gehen. Ich versuche auch, etwas zu Monika Knoche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): - verändern. Ich habe heute versucht, herüberzubrin- ich bin sofort fertig - ob Kirchen, ob Krankenkassen gen, daß ich auch über neue Wege nachdenke. und kassenärztliche Vereinigungen: von der Nullto- Wenn Sie dann mir und überhaupt der CDU Intole- leranz spricht eigentlich nur noch die CDU/CSU. ranz vorwerfen, dann nehmen Sie doch einmal wahr, Auch das Lebensstilargument zieht nicht; Süch- daß wir z. B. bei Methadon erstmalig 1,5 Millionen tige, Fixer und Fixerinnen, gibt es in allen Schichten, DM zur wissenschaftlichen Begleitung eingesetzt ha- es sind nicht immer nur die anderen. Wenn es also ben. Es ist doch nicht so, daß wir keine neuen Wege kein gesundheitspolitisches Argument gibt und es gehen. Ärzte und Ärztinnen selbst sind, die Heroin verlan- Ich sage jetzt noch einmal ganz deutlich: Wenn wir gen, um Schmerztherapien durchführen zu können, gemeinsam den Leuten wirklich helfen wollen, dann weil sie verpflichtet sind, - müssen wir - verdammt noch mal! - auch die Einrich- - tungen dafür schaffen und dürfen hier nicht nur sa- Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin, bitte. gen: Wir geben den Leuten das Zeug, und was dann passiert, ist uns egal. Monika Knoche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): - (Beifall bei der CDU/CSU - Zuruf von der ich bin sofort fertig - denen Überlebenshilfe zu ge- SPD: Das tun wir doch gar nicht!) ben, die keine Heilung bekommen können, dann ist die Bundesratsinitiative der Anfang eines richtigen Sie wissen ganz genau, daß es auch außerhalb der Weges in eine neue Suchtpolitik, damit die Unterver- NUB-Richtlinien möglich ist, Methadon zu verschrei- sorgung endlich ein Ende hat. ben. Nur wird das nicht über die Krankenkassen fi- nanziert, weil sie sagen: Diese Finanzierung dient Danke. nicht der Heilung, sondern erhält die Drogenabhän- gigkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS) Sie selber sollten einmal den Bericht der SPD-Lan- desregierung von Nordrhein-Westfalen durchlesen, in dem steht, daß von den 247 Abhängigen, die in Vizepräsident Hans Klein: Ich muß dazu leider wie- der einmal etwas sagen. Auf der einen Seite gerät diesem Programm waren, ganze sechs am Ende der man als Präsident in die Gefahr, zu schulmeistern fünf Jahre drogenfrei waren, aber vier andere den und zu streng zu sein, auf der anderen Seite fordern Drogentod gestorben sind und vier weitere an ande- die anderen Fraktionen natürlich, daß alle Fraktio- ren Dingen gestorben sind. Das ist für mich genauso nen möglichst gleich behandelt werden. wenig Hilfe wie das, was Sie eben genannt haben. Wenn der Präsident mahnt, daß die Redezeit abge- Vielen Dank. laufen ist, tut er es nicht sofort, sondern erst nach ei- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ner ganzen Weile. Dann sollte wirklich auch nur noch ein Satz und nicht mehr anderthalb Minuten gesprochen werden. Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin, Sie kön- nen noch replizieren. Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Hüppe das Wort. Monika Knoche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Auch ich habe jetzt natürlich das Bedürfnis, kurz zu Hubert Hüppe (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine erwidern. Ich lege großen Wert auf die Feststellung, Damen und Herren! Ich will einmal in aller Deutlich- Herr Hüppe, daß ich Sie darauf aufmerksam ge- keit sagen, daß ich hier nicht einen Vergleich mit macht habe, mit dem Begriff „Menschenversuch" Versuchen im Dritten Reich anstellen will. Das wis- sorgfältig umzugehen, und insbesondere im Zusam- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 3029 Monika Knoche menhang mit der Heroinvergabe nicht von Men- Das heißt, wir müssen das Wichtigste zuerst tun: schenversuchen zu sprechen. Das ist, wenn ich mir die Situation der jetzt Drogen- abhängigen ansehe, die Schaffung von Therapie- Die Intention der Menschenversuche ist in der Me- plätzen. dizin historisch belegt. Darauf aufmerksam zu ma- chen war mir besonders wich tig. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Ich glaube, Sie können nicht unterstellen, daß die Da gibt es in manchen Ländern noch manches zu Städte und Gemeinden, die Modellprojekte durch- tun. Ich denke, wenn man das getan hat, dann führen wollen, die psychosoziale Begleitung nicht könnte man vielleicht mit einer etwas größeren Be- gleichermaßen mit bedenken und nicht in den Pro- rechtigung weitere Vorschläge unterbreiten. Bei et- jekten dabeihaben wollen. was mehr Aufgeschlossenheit könnte dann auch ei- nige Skepsis beseitigt werden. Die derzeitigen Vor- (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Das steht aber schläge haben, wie ich noch ausführen werde, ihre nicht drin!) Tücken. Mir geht es heute darum, daß ein deutliches Signal Meine Damen und Herren, natürlich muß in die- kommt, daß auch Sie sich mit dieser neuen Therapie- sem Zusammenhang erörtert werden - ich bitte, ge- form beschäftigen, daß wir beraten können. Ein Aus- nau auf den Wortlaut zu achten -, ob in dem einen bau und weitere Ergänzungen dieses Programms oder anderen geeigneten Fall Drogen - z. B. auch und Ihre Unterstützung wären wunderbar. Heroin - ärztlich indiziert, dosiert und kontrolliert so- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wie bei sozialer Begleitung verabreicht werden kön- sowie bei Abgeordneten der SPD) nen. Dies muß immer mit dem Ziel verbunden sein, eine Therapiefähigkeit, die es bei manchen Fällen in der Tat nicht sofort gibt, herzustellen, so daß an- Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile dem Kollegen schließend wirklich eine Therapie durchgeführt wer- Heinz Lanfermann das Wo rt. den kann. In solchen Fällen könnte eine Droge oder eine Ersatzdroge auf bestimmte Zeit verabreicht wer- den. Wer allerdings glaubt, das Ziel durch eine gene- Heinz Lanfermann (F.D.P.): Herr Präsident! Meine relle Abgabe von Heroin in Modellversuchen errei- Damen und Herren! Niemand kann bezweifeln, daß chen zu können, der hat die gesamte Dimension des - nicht nur in Deutschland, sondern eigentlich in der Problems nicht begriffen. ganzen Welt - der Erfolg der bisherigen Drogenpoli- tik so groß nicht ist. Niemand kann sich in Ruhe zu- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) rücklehnen und Vorschläge, die neue Wege suchen, voreilig ablehnen. Es gibt in der Drogenpolitik - so sagt man - im Grunde genommen vier Säulen: Daß man, um den Menschen zu helfen, mit uns im Es gibt als erste Säule das weite Feld der einzelnen über vieles reden kann, vor a llem, wenn Präven- tion und der man daraus nicht gleich wieder eine Prinzipienfrage Aufklärung. Dort ist zwar vieles verbes- sert worden, aber do rt macht und einiges an Ideologie anbietet, wird jedem kann auch noch vieles getan werden. deutlich, der ein Blick in das Programm der F.D.P. wirft. Es gibt die zweite Säule der Therapie, wo sich ins- besondere diejenigen, die uns hier neue Vorschläge Daß die Prävention durch gezielten Ausbau von Suchtberatungsstellen, durch die Arbeit anderer Be- machen, zum Teil schwerste Versäumnisse vorwerfen lassen müssen. ratungsstellen sowie ein frühes Ansetzen im Kindes- alter verbessert werden muß, ist dort ebenso nachzu- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) lesen wie die Notwendigkeit eines ganzheitlichen Ansatzes mit differenzierten und auf die unterschied- Es gibt als dritte Säule die Repression, die in man- lichen Problemlagen bei Abhängigen möglichst kon- chen Reden gar nicht vorkommt. kret eingehenden Angeboten. (Zuruf von der SPD: Was?) (Beifall bei der F.D.P.) - Die Frage, was das denn sei, kommt richtigerweise Denn den berühmten Königsweg gibt es in der von Ihnen an dieser Stelle als Zwischenruf. Die Dro- Drogenpolitik nicht. Entgegen einer Bemerkung, die gen und der Drogenmarkt müssen auch mit polizeili- vorhin hier gemacht worden ist, kenne ich auch nie- chen Mitteln bekämpft werden. Wenn Sie das ernst- manden, der behauptet hat, ihn gefunden zu haben. haft bestreiten wollen, dann treten Sie bitte an das Also sollte man das auch dem politischen Kontrahen- Pult, und erzählen Sie das bitte der staunenden Öf- ten nicht unterstellen. fentlichkeit. (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: So ist es!) Es gibt eine vierte Säule - die ich durchaus akzep- tiere; das habe ich vorhin schon einmal ange rissen -, Auch die Wahrheit hat niemand allein für sich ge- die man als Überlebenshilfe für die entsprechenden pachtet. Fälle beschreiben könnte. Es geht darum, kranken Menschen zu helfen; das (Beifall bei der F.D.P. sowie des Abg. müssen wir uns immer wieder vor Augen halten. Eduard Lintner [CDU/CSU]) 3030 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Heinz Lanfermann Aber, meine Damen und Herren, bei allem, was Sie Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Lanfer- unter Berücksichtigung dieser vier Säulen tun, gibt mann, die Kollegin Knoche würde gerne eine Zwi- es immer Rückwirkungen, Interdependenzen inner- schenfrage stellen. halb dieser vier Säulen. Das muß man prüfen. Man muß bei einer ganzheitlichen Drogenpolitik auch Heinz Lanfermann (F.D.P.): Ja, gerne. vortragen, welche Wirkungen man glaubt, jeweils er- zielen zu können. Vizepräsident Hans Klein: Bitte, Frau Kollegin. Die Hoffnung, den illegalen Drogenmarkt aus- trocknen zu können, geht logischerweise vollkom- Monika Knoche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): men ins Leere, wenn man die begrenzte Zahl derjeni- Sehr geehrter Herr Kollege, ich darf meine Verwun- gen zugrunde legt, die für ein Modellvorhaben, wie derung darüber zum Ausdruck bringen, daß z. B. der es Hamburg vorsieht, oder auch für etwas weiterge- Drogenbeauftragte des Bundes bei unserer Anhö- hende Versuche in Frage kämen. Wir haben letztes rung auch nicht in der Lage war, eine korrekte sach- Jahr im Gesundheitsausschuß sehr ausführlich über liche Aussage zu machen. den Hamburger Vorschlag einer staatlichen Abgabe von Heroin an Schwerstabhängige diskutiert. Ich (Vorsitz : Vizepräsidentin Dr. Antje Voll glaube kaum, daß man den Sachverständigen Partei- mer) lichkeit vorwerfen kann. Sie haben darauf hingewie- Ich frage Sie: Ist es Ihnen möglich, in Ihre Ausfüh- sen, daß es für das Suchtpotential erst einmal gleich- rungen einzubinden, daß es Ärzte und Ärztinnen so- gültig ist, von wem der Abhängige sein Heroin er- wie Schmerztherapeuten und Schmerztherapeutin- hält. nen sind, die die Freigabe von Heroin über das BtMG verlangen, um Schmerzkranke und schwer Le- (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ benserkrankte in den letzten Phasen begleiten zu CSU]: Das kann man wohl sagen!) können? Im übrigen ist oft schon die Sprache - „Heroin- substitution" - entlarvend. Wo bitte liegt da eine Heinz Lanfermann (F.D.P.): Wenn Sie die Antwort Substitution vor - außer der des Verkäufers durch noch hören wollen, Frau Kollegin, dann wi ll ich sie eine offizielle Abgabestelle? Ihnen gerne geben. Das gibt mir Gelegenheit, darauf hinzuweisen, daß wir es nicht nur manchmal mit (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) sprachlicher Verwirrung zu tun haben, sondern auch - mit Schein- und Verwirrungsargumenten. Sie haben Daß Sprache verräterisch ist, habe ich auch von Frau nämlich vorhin in Ihrer Rede genau das getan, was Fischer-Menzel gehört, die bei ihrem Versuch das jetzt Ihrer Frage zugrunde lag: Sie haben sie auf ein Wort „zunächst" gebraucht hat. Ich bitte, das im Pro- völlig anderes Thema abgestellt, und zwar auf die tokoll nachzulesen. Was heißt denn hier „zunächst"? Versorgung von Schwerstkranken, sei es mit Heroin, Dann legen Sie doch sofort einen Entwurf vor, der Morphium oder was weiß ich für Mitteln, und gesagt, weitergeht. daß jemand wünsche, daß es da Änderungen gebe.

Wie verräterisch Sprache sein kann, haben wir vor- Über die Frage von Schmerztherapie insbesondere hin auch bei der Kollegin Knoche gehört, die ausge- bei Schwerstkranken, wo in der Vergangenheit mei- rechnet mit den Worten „damit die Unterversorgung ner Ansicht nach viele Fehler gemacht worden sind, endlich ein Ende hat" ihre überlange Rede beendete. können wir uns gerne unterhalten. Nur, daß Sie über- haupt das Thema hier angeschnitten haben, ist doch (Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P. und verwunderlich. Der Hamburger Gesetzentwurf han- der CDU/CSU) delt doch nicht von der Vergabe von Schmerzmitteln an Schwerstkranke, sondern er handelt davon, daß Meine Damen und Herren, wenn man auf Umwegen es einen Modellversuch für die Heroinabgabe an hier ein politisches Ziel erreichen wi ll, was man sich Abhängige geben soll. Deswegen können Sie doch aber nicht ganz offen zu sagen traut, weil man in der nicht alles in einen Topf werfen, um damit über die Öffentlichkeit natürlich lieber einen liebenswerten wahren Absichten hinwegzutäuschen. Eindruck macht, wie das insbesondere bei den GRÜ- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) NEN der Fall ist, und weil man auch ein bißchen dar- auf vertraut, daß der politische Erfolg vor allem da- durch begründet wird, daß die meisten Bürger gar Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege nicht wissen, was in den Programmen steht, Lanfermann, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin Knoche? (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Heinz Lanfermann (F.D.P.): Nein, ich glaube, das dann sollte man vorsichtig sein. Ich denke, dann darf hat gereicht. Danke schön. man im letzten Satz nicht sagen, daß die Unterversor- gung endlich beseitigt werden sollte. Meine Damen und Herren, ich gebe zu, daß der Süchtige nicht mehr gezwungen ist, sich das Geld für Wir reden hier doch nicht über Brotzuteilungen in den Stoff zu beschaffen. Aber - ich komme auf mein Armenvierteln, meine Damen und Herren. Das ist Beispiel mit den vier Säulen zurück - ist es uns das doch wirklich eine Perfidie. wirklich wert, daß die Gefahr, die von harten Drogen Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 3031 Heinz Lanfermann ausgeht, gerade von jungen Menschen möglicher- zeigen, daß man mit wesentlich mehr Methadon das weise nicht mehr klar gesehen wird, weil natürlich - erreichen kann, was Sie angeblich mit Ihrem Modell- das ist doch das Problem, das bisher von denen, die vorhaben versuchen. Ich denke, man sollte immer, für dieses Projekt sprechen, nicht angeschnitten wor- auch wenn man in einer schwierigen Lage ist und es den ist - jede Abgabe von harten Drogen durch eine schwierig ist, Entscheidungen zu treffen, zunächst öffentliche Stelle einen Verharmlosungseffekt mit einmal den Weg des geringeren Risikos gehen, wenn sich bringt? man damit den gleichen Erfolg z. B. hin zu einer The- rapiefähigkeit erzielen kann. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: So ist es!) Meine Damen und Herren, unser liberales Ziel ist es, allen Bürgern freie und eigenständige Entschei- Zumindest gilt das doch dann, wenn von denjenigen, dungen so gut und so oft wie möglich zu ermögli- die solche Versuche fordern, nicht gleichzei tig und chen. Das geht jedoch nur, wenn wir realis tisch sind, mit gleicher Intensität die Gefährlichkeit von Drogen ohne Abhängigkeit und Sucht oder mit möglichst deutlich herausgestellt wird. Das geschieht manch- wenig Abhängigkeit und Sucht. mal, aber es geschieht nicht immer. Auch darauf wi ll ich hinweisen. Deshalb haben für mich neben der Prävention The- rapieangebote die absolute Priorität. Ich darf daran Deswegen sind auch die Vergleiche mit Alkohol erinnern, ja sogar ermahnen, daß man zunächst bitte einerseits richtig. Natürlich müssen wir von Sucht- die Hausaufgaben auf diesem Gebiet macht, bevor politik und nicht von Drogenpolitik sprechen. Das ist wir über andere Dinge sprechen. mir klar. Im übrigen gibt es keine staatlichen Aus- schankstellen für Alkohol; aber es wird tole riert, daß Es werden immer wieder Beispiele genannt. Da über eine jahrtausendealte Kultur Alkohol genossen kommen die Stichworte Liverpool, Niederlande oder wird. Das ist wie bei allen Mitteln; das ist auch bei Schweiz. Ich habe z. B. in der Schweiz eines gelernt: Nahrungsmitteln so. Das betrifft übrigens - es gab Es ist einfacher, eine Drogenpolitik aus einem Guß vorhin einen etwas ärgerlichen Zwischenruf von grü- zu machen - egal, ob sie einem gefällt oder nicht -, ner Seite, den ich wiederum mit einem Zwischenruf wenn man in einem überschaubaren Lebenskreis, kommentiert habe, den der Präsident Gott sei Dank z. B. in der Stadt Basel, die Menschen vor sich hat, nicht gehört hat - alle Menschen, gleich, welchem alle kennt und wo dann Drogenberater, Jugendhilfe, Beruf sie nachgehen. Staatsanwaltschaft, Gericht, Polizei und alle Parteien im Stadtrat dasselbe wollen. Es ist nämlich über- Aber es nützt doch nichts, auf die Gefährlichkeit haupt das Geheimnis, daß sie dann, wenn sie einig von anderen Suchtmitteln hinzuweisen und damit im sind, viel mehr erreichen. Endeffekt zu verharmlosen, was ein bestimmtes Suchtmittel angeht. Ich kann doch nicht deswegen, (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) weil auf einigen Gebieten etwas falsch läuft, propa- gieren, daß das auch auf einem weiteren, noch ge- Wenn aber Glaubenskriege geführt werden, bei de- fährlicherem Gebiet falsch laufen soll. nen man nachher nicht mehr weiß, warum noch dis- kutiert wird, ist das eine andere Frage; und das ist im (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) übrigen auch mein Appell. Man muß doch versuchen, sozusagen an allen Fron- Ich glaube, daß die Therapieangebote die ersten ten das Richtige zu tun. Aktivitäten sein müßten. Wenn ein Süchtiger mona- telang warten muß, ehe er behandelt werden kann, Im übrigen: Modellversuche sind gut und schön; führt das im besten Fall zu einer Manifestierung der aber sie sind noch besser und auch sinnvoller, wenn Sucht - mit all den Nebeneffekten wie die Beschaf- man die logisch vorrangigen, weil weniger risikorei- fungskriminalität, die Sie beklagen, und im schlimm- chen und deswegen auch zuerst durchgeführten Mo- sten Fall sind sie auch tödlich. dellversuche abwartet, d. h. hier die Versuche mit der Abgabe von Methadon. Der Großversuch in Seit vielen Jahren besteht in unserer Diskussion Nordrhein-Westfalen, den ich aus meiner Tätigkeit über eine vernünftige Drogenpolitik leider die Crux, im dortigen Landtag sehr wohl mitverfolgen konnte, daß immer gleich grundsätzliche Weichenstellungen hatte z. B. den kleinen Schönheitsfehler, daß man die versucht werden. Wer Modellvorhaben vorschlägt - ausgeschiedenen Kandidaten teilweise durch neue und heute hat es die Sprache wieder verraten - hat ersetzt hat. Das können Sie in der entsprechenden im Hinterkopf oft schon den Einstieg in eine andere Untersuchung nachlesen; das habe ich jetzt nicht er- Drogenpolitik, funden. Das heißt, man hat gesehen, daß es zwar (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) gute Erfolge gibt, daneben aber auch sehr viel Kriti- sches zu sagen gibt. Deswegen bin ich zwar nicht ge- ohne es aber immer klar auszudrücken. Deswegen gen Methadon-Versuche, aber ich bin dagegen, daß sagen wir Liberalen ja dazu, nach Wegen zu suchen, gesagt wird, das sei a lles heile Welt. Hier gibt es ge- Süchtige und ihre Angehörigen nicht allein zu las- nauso schlechte wie manchmal gute Ergebnisse. sen. Wir wissen auch - ich wiederhole es -, daß man dazu manchmal doch unkonventionelle Wege gehen Das heißt, prüfen wir in Ruhe, ob nicht auch muß. Schwerstkranken im Sinne von Schwerstabhängigen durch Methadon in ausreichendem Maße geholfen Wir sagen aber nein zu einer Modellversuch" ge- werden kann. Sie wissen, es gibt sehr wohl - ich nannten Freigabe von Heroin und anderen Drogen spreche nur New York als Beispiel an - Versuche, die des Betäubungsmittelgesetzes, weil damit offensicht- 3032 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Heinz Lanfermann lich eher die Probleme der handelnden Behörden als zeß; das konnten wir heute wieder hören. Man muß die Probleme der Süchtigen gelöst werden sollen. sich nämlich von allzu einfachen, populistischen Deswegen interessanterweise auch die Beschrän- Glaubenssätzen verabschieden. Keiner kann dies kung auf eine Großstadt, in der ich in der Tat im besser beurteilen als beispielsweise die Polizistinnen Durchschnitt weniger Kontakt zu den Leuten habe und Polizisten der Rauschgiftdezernate, die auf als in einer Kleinstadt! Nach dem Sinn Ihres Versu- Grund der dep rimierenden Erfahrungen in ihrer be- ches müßten Sie eigentlich in Kleinstädten anfangen. ruflichen Praxis immer lauter nach einer Entkrimina- Die haben aber keine Landesregierung; das ist viel- lisierung rufen. Nicht nur vom ehemaligen Bonner leicht der Unterschied. Polizeipräsidenten, auch in leitenden Abteilungen der Hamburger Polizei wird festgestellt, daß der poli- Meine Damen und Herren, der Einstieg in eine zeiliche Alltag zu 65 % mit Vorgängen überfrachtet Drogenpolitik, die je nach Standpunkt - manchmal ist, die unmittelbar oder mittelbar mit der Kriminali- schon resignativ oder manchmal noch erwartungsvoll sierung von Drogenkonsumenten zusammenhängen. optimistisch - nur die traurige Realität nachvollzieht, darf nicht sein. Sie hilft nicht wirk lich dem Süchtigen Erst mit der Kriminalisierung wird ja der wirt- und dient nicht wirklich dem obersten Ziel von Dro- schaftliche Anreiz geschaffen, dem illegalisierten genpolitik, nämlich zu weniger Sucht in der Gesell- Drogenmarkt gigantische Extraprofite zuzuschieben. schaft. Ärztlich verabreichte Drogen würden nämlich nur 1 % des heutigen Straßenverkaufspreises kosten, Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für wäre der Drogenkonsum entkriminalisiert. Heute Ihre Aufmerksamkeit. müssen Junkies für ihren Drogenkonsum 5 000 bis (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) 8 000 DM im Monat aufbringen. Erst die Illegalisie- rung der benötigten Drogen treibt diese Leute in die Beschaffungskriminalität. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Der Kollege Haack wollte eine Zwischenfrage stellen, aber Sie Anstatt der Forderung aus der polizeilichen Praxis waren entfleucht. nach Entkriminalisierung zu folgen, exportiert die Jetzt rufe ich die Kollegin Ulla Jelpke auf. Bundesregierung nicht nur die Sucht, sondern auch noch ihren aufgeblähten Fahndungsapparat. Die Millionen, die für eine zu verstärkende Sozialarbeit Ulla Jelpke (PDS): Frau Präsidentin! Meine Damen und für die Prävention fehlen, werden bei der euro- und Herren! Es ist bereits gesagt worden, daß wir vor päischen Drogenbekämpfungsbehörde und der Poli- gut einem Jahr in der letzten Legislaturpe riode die zei hierzulande in einer sowohl gesellschaftlich wie Debatte um genau diesen Antrag aus dem Bundesrat auch kriminalpolitisch unsinnigen Auseinanderset- leider nicht zu Ende geführt haben. zung verpulvert. Damals wie heute empfindet die Bundesregierung Den Initiatoren im Bundesrat möchte ich folgendes die Zulassung wissenschaftlicher Untersuchungen sagen: Ihr Antrag ist besser als gar nichts - wir wer- über die ärztlich kontrollierte Abgabe sogenannter den ihn unterstützen -, aber er geht nicht weit ge- harter Drogen entweder als Sündenfall vor dem nug. Es wird nämlich so getan, als gäbe es die Unter- Glauben an eine repressive Drogenpolitik oder als suchungen, die Sie verlangen, überhaupt nicht. Das schlichtweg überflüssig, wie wir heute wieder hören stimmt meines Erachtens nicht. konnten. Länder und vor allen Dingen praktische Beispiele Die Bundesregierung muß end lich zur Kenntnis sind hier heute schon genannt worden. Beispiels- nehmen, daß ihre auf Kriminalisierung setzende Dro- weise in Liverpool gibt es ein Programm, im Rahmen genpolitik restlos gescheitert ist. Das, was uns vor dessen Menschen, die abhängig sind, Heroin, Ko- kurzem der Drogenbeauftragte Eduard Lintner in sei- kain, Morphium, Amphetamine und Methadon auf nem Jahresbericht präsentiert hat, ist mehr als jäm- ein ärztliches Rezept hin bekommen können. Auch merlich. Trotz repressiver Drogenpolitik können wir finden dort begleitende therapeutische Maßnahmen erkennen, daß sich die Zahl der Erstkonsumentinnen statt. In dieser Stadt ist es gelungen, den Straßenhan- und -konsumenten um 91 % erhöht hat. Ebenso un- del erheblich zu verringern und Kriminalitätsraten zu gebrochen sind die Steigerungen des Angebots von senken. illegalen Drogen. Als Erfolg der Drogenpolitik will uns der Bundes- Im übrigen kann man lediglich sagen, was hier im- beauftragte für die Drogenpolitik verkaufen, daß es mer wieder betont wird: Nur sauberer Stoff kann den weniger Drogentote gibt. Dabei ist es ein offenes Ge- Junkies wirklich helfen, zu überleben. Ich denke, die heimnis, daß sich die Bundesregierung das von ihr Tatsache, daß der Stoff hier i llegal gehandelt wird verursachte Drogenelend dadurch vom Hals schafft, und natürlich von den Händlern mit allen möglichen daß sie die Folgen ihrer Drogenpolitik exportiert, und Zusätzen gepanscht wird, ist in der Regel der Grund zwar in Länder, die eine liberalere Drogenpolitik dafür, daß es zur Überdosis bzw. zum Drogentod praktizieren. Dort, z. B. in den Niederlanden und der kommt. Schweiz, muß man sich heute um deutsche Junkies Alles spricht für die sofortige Entkriminalisierung. kümmern. Aus diesem Grund haben wir in der vergangenen Die Abkehr von einer auf Kriminalisierung setzen- Woche einen Antrag in den Bundestag eingebracht. den Drogenpolitik ist für viele ein schmerzlicher Pro- Es reicht meines Erachtens nicht, Substitutionspro- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 3033 Ulla Jelpke gramme einzuführen, dann aber den Kreis der Teil- Autounfall verursacht und dieser Autounfall einen nahmeberechtigten auf Schwerstabhängige oder tödlichen Ausgang nimmt? Meine Damen und Her- aidsinfizierte Drogenkonsumentinnen und -konsu- ren, in diesen Fällen mit einem tödlichen Ereignis menten zu begrenzen. liegt die Kausalität und auch ein Stück der Verant- wortung für ein solches tödliches Ereignis beim Staat Darüber hinaus müssen ausreichende sozialthera- und letztlich auch beim Gesetzgeber. Wir sind der peutische Begleitprogramme eingeführt werden. Auffassung: Dies kann nicht verantwortet werden. Sonst bleiben beispielsweise viele Methadonabhän- gige ohne eine Perspektive sozialer oder beruflicher (Beifall bei der CDU/CSU) Art. Sie werden zwar in die Programme aufgenom- men, jedoch wird ihnen anderweitig kaum geholfen. Wir sind der Auffassung, daß der Staat diese Ver- antwortung nicht übernehmen kann. Er würde sich Die drogenpolitischen Kreuzritter der Bundesregie- in unlösbare Widersprüche zu seinem Auftrag, Leben rung scheren auch wissenschaftliche Untersuchun- und Gesundheit zu schützen, verstricken. Wir sind gen einen feuchten Kehricht. Sie führen einen ideo- der Auffassung, er würde auch die Grundlagen legi- logischen Kampf, der blind für die Probleme des Dro- timen staatlichen Handelns verlassen, indem er Ge- genalltages ist. fährdungen menschlichen Lebens in Kauf nimmt, In der Bundesrepublik starben im vergangenen ohne hierzu unausweichlich und notwendig gezwun- Jahr 1 624 Personen an illegalisierten Drogen - eine gen zu sein. Darum halten wir diesen Weg für falsch. erschreckende Zahl. Aber wie sieht die Reaktion darauf aus, daß hierzu- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege lande jährlich 40 000 Menschen allein an der Droge Röttgen, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kolle- Alkohol sterben und sich die volkswirtschaftlichen gin Buntenbach? Folgekosten der Alkoholsucht auf 50 Milliarden DM pro Jahr belaufen? Der ideologisch bornierten Dro- Norbert Röttgen (CDU/CSU): Ja. genpolitik der Bundesregierung sind die Maßstäbe abhanden gekommen. Würden sie dem Gleichheits- gebot des Grundgesetzes folgen, dann würden nicht Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Bitte. irgendwelche Kifferfeten oder Fixerräume aufwen- dig kriminalisiert werden, vielmehr müßte dann, um das Beispiel des Lübecker Richters Neskovic zu zitie- Annelie Buntenbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ren, das Münchener Oktoberfest als eine kriminelle NEN): Herr Kollege, meine Frage ist, ob Sie diese Großveranstaltung angesehen werden. von Ihnen so zitierte Verantwortung des Staates nicht auch da sehen, wo die Kriminalisierung des Staates Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. dazu führt, daß Leute durch verunreinigten Stoff, der in mafiösen Zusammenhängen gehandelt wird, zu (Beifall bei der PDS) Tode kommen.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Norbe rt Röttgen. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Der grundsätzliche Unterschied liegt doch darin, daß in dem Gesetzent- wurf, den Sie vorschlagen, der Staat selber aktiv han- Norbert Röttgen (CDU/CSU): Frau Präsidentin! delt, indem er die möglicherweise tödliche Droge Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, verabreicht. Das ist ein grundsätzlicher Unterschied das Kernproblem des Gesetzentwurfs des Bundesra- dazu, ob Sie sagen, der Staat müßte mehr dazu tun, tes besteht darin, daß er die Drogenpolitik in ein Di- daß diese anderen Drogen auf i llegale Weise nicht lemma führt; denn wenn der Staat die Erlaubnis gibt, eingenommen werden. Darum sehe ich in der Tat ei- Drogen legal zu verabreichen, dann tut der Staat ex- nen grundsätzlichen Unterschied, ob der Staat selber akt das, was zu verhindern doch gerade das Ziel der Drogen verabreicht und damit zu solchen Konse- Drogenpolitik sein muß und ist. Der Staat soll nach quenzen die Grundlage schafft oder ob der Staat ein- diesem Gesetzentwurf die rechtliche Voraussetzung greift, um den Drogenkonsum zu verhindern. Das ist dafür schaffen, daß Drogen legal eingenommen wer- ein grundsätzlicher Unterschied, auf den ich hinwei- den können, Drogen, die die Persönlichkeit, die Ge- sen möchte. sundheit und das Leben zerstören können, und er kann dabei natürlich nicht ausschließen, daß es in- (Beifall bei der CDU/CSU) folge dieses legalisierten Drogenkonsums zu Gefähr- dungen dritter Personen kommt. Aber ich will Ihnen auch gar nicht unterstellen, daß Sie diese Problematik nicht sehen. Das wäre si- Meine Damen und Herren, ich glaube, wir müssen cherlich eine falsche Unterstellung. Es werden in uns die entscheidende Frage stellen, ob der Staat dem Gesetzesentwurf aus den beiden Bereichen, die dies verantworten kann. Wir können uns nur einige die Drogenproblematik ausmachen, Rechtfertigungs- Fallbeispiele überlegen. Man könnte mehrere hinzu- gründe dargestellt, die das Ganze rechtfertigen sol- fügen. Was ist, wenn ein Drogenabhängiger, der vom len. Es sind die beiden Bereiche der individuellen Staat mit Drogen versorgt wird, auch durch weitere Verelendung und der schädlichen sozialen Folgen Verhaltensweisen zu Tode kommt? Was ist, wenn in- des Drogenkonsums, insbesondere der Begleitkrimi- folge des Drogenkonsums ein solcher Drogenabhän- nalität. Hier erwarten Sie sich erhebliche Verbesse- giger, der, wie gesagt, vom Staat versorgt wird, einen rungen. 3034 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Norbert Röttgen Der Vorschlag nimmt in Anspruch, daß die Begleit- dung des Gesetzentwurfs. Wir halten dies für inhu- kriminalität zurückgeht, wenn Drogen staatlicher- man, und dabei bleiben wir. seits legal abgegeben werden können. Herr Kollege (Beifall bei der CDU/CSU) Hüppe hat ausgeführt, daß diese Erwartung viel- leicht keine realis tische ist. Ich möchte das dahinge- Der zweite Anspruch, den das Gesetz hat, ist, die stellt sein lassen, meine Damen und Herren, weil wir Drogenabhängigen ihrem Milieu zu entreißen. Was es ablehnen - ich möchte das mit Nachdruck feststel- diesen Anspruch anbelangt, leidet der Gesetzent- len -, die Abgabe von Drogen als Mittel der Krimi- wurf unter einem eklatanten Mangel - es ist bereits nalitätsbekämpfung einzusetzen. Sie nehmen die in der Debatte darauf hingewiesen worden -, denn Drogenabgabe als Mittel der Kriminalitätsbekämp- der Gesetzentwurf knüpft die legale Abgabe von fung für sich in Anspruch und versuchen damit, die- Drogen gerade nicht an eine gleichzei tig stattfin- sen Vorschlag populär zu machen. dende psychosoziale Betreuung und Begleitung. Darauf verzichtet er. Wir halten es für eine zutiefst inhumane und auch rechtsstaatswidrige Art und Weise, Kriminalität zu (Zuruf von der SPD: Steht doch drin! - Ge verfolgen, indem wir die potentiellen Täter versu- genruf des Abg. Hubert Hüppe [CDU/ chen durch Drogenabgabe ruhigzustellen. Das ist mit CSU]: Das steht eben nicht drin!) unserer Verfassung, das ist mit rechtsstaatlichen und auch mit humanen Grundsätzen nicht vereinbar. - Sie können ruhig mit dem Kopf schütteln. Dadurch Drogenabgabe ist kein Mittel der Kriminalitätsbe- wird der Gesetzentwurf auch nicht anders. Er ver- euung kämpfung. zichtet gerade darauf, die psychosoziale Be tr als Kondition der Abgabe von Drogen sicherzustel- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) len. Lesen Sie ès noch einmal nach. Es steht nicht drin. Sie verzichten darauf. Sie wollen außerdem durch die Drogenabgabe die Drogenabhängigen dem Milieu entreißen. Sie wollen Wir kommen damit zur Wirk lichkeit der Drogen- die soziale Integration dadurch gewährleisten. Kol- problematik, meine Damen und Herren. Sie besteht lege Hüppe hat schon darauf hingewiesen, daß be- nicht darin - darauf ist schon hingewiesen worden -, rechtigte Zweifel bestehen, ob Sie das mit Ihrem Vor- daß es zuwenig Gesetze gibt, sondern darin, daß es schlag erreichen können. Ich will auch das dahinge- bereits heute zahlreiche Drogenabhängige gibt, die stellt sein lassen. bereit sind und die Kraft haben, der Droge zu entsa- gen und an Entgiftungsprogrammen und Therapie- - programmen teilzunehmen. Aber es fehlt an Plätzen, Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege es fehlt an Entgiftungsprojekten, es fehlt an Thera- Röttgen, es besteht noch ein Wunsch nach einer Zwi- pieplätzen. Hier liegt die entscheidende politische schenfrage von der Kollegin Köster-Loßack. Verantwortung, übrigens bei den Ländern, die hier in unerträglicher Weise ihrer Verantwortung nicht Norbert Röttgen (CDU/CSU): Bitte. gerecht werden. (Beifall des Abg. Wolfgang Lohmann [Lü Dr. Angelika Köster-Loßack (BÜNDNIS 90/DIE denscheid] [CDU/CSU]) GRÜNEN): Sie haben gesagt, daß die potentiellen Kriminellen durch Drogenabgabe ruhiggestellt wer- Sie sollten den Drogenabhängigen Hilfe zukommen den sollen. Können Sie mir zustimmen, daß es in dem lassen, statt lauter Gesetzentwürfe zu machen. Das Gesetzesvorschlag und bei den Schlußfolgerungen würde den Drogenabhängigen mehr helfen. Es ist dazu um die organisierte Kriminalität geht und der der eigentliche Skandal in der Drogenpolitik, daß Zusammenhang ein ganz anderer ist? Wenn Sie sich den Drogenabhängigen die wirkliche Hilfe und The- mit dem historischen Wachsen der organisierten Kri- rapie verweigert wird, meine Damen und Herren. minalität in den Vereinigten Staaten beschäftigen Dies muß abgestellt werden. würden, wüßten Sie, daß diese Strukturen erst mit (Beifall bei der CDU/CSU) dem Prohibitionsgesetz der 20er Jahre entstanden sind. Nur um diesen Zusammenhang geht es, also Wir sehen also, daß die Ziele, die der Gesetzent- darum, die organisierte Kriminalität auszuhebeln wurf für sich in Anspruch nimmt, mit untauglichen und dieser den Boden zu entziehen. und zum Teil mit illegitimen Mitteln verfolgt werden. Deshalb kommen wir auch zu dem Ergebnis, daß wir das, was hier in einen wissenschaftlichen Versuch Norbert Röttgen (CDU/CSU): Wenn das Ihre Mei- gekleidet wird, enttarnen müssen. Meine Damen nung ist, ist es in Ordnung. Es ist aber nicht die Be- und Herren, es geht Ihnen nicht - das ist legitim - um gründung des Gesetzentwurfs. Hier geht es aus- einen wissenschaftlichen Versuch. Es geht Ihnen um drücklich - es ist auch von mehreren Rednern heute eine grundsätzlich andere Drogenpolitik, eine Dro- wieder bestätigt worden - um folgendes: Wenn sich genpolitik, die darauf abzielt - Frau Knoche hat es ein Drogenabhängiger auf legale Weise Drogen be- eben relativ ausdrücklich gesagt -, Drogen gesell- schaffen kann, ist er nicht mehr darauf angewiesen, schaftlich zu integrieren, zu enttabuisieren und zu le- sich durch Beschaffungskriminalität die finanziellen galisieren. Mittel zu besorgen, um seine Drogenabhängigkeit zu befriedigen. Es geht darum, die Beschaffungskrimi- Das, was ich an dieser Argumentation - Frau nalität auf diese Weise einzudämmen. Das habe ich Jelpke hat sie eben wieder aufgegriffen - nun wirk- eben aufgegriffen. Das ist expliziter Teil der Begrün- lich nicht verstehe, ist folgendes: Sie sagen, wir ha- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 3035

Norbert Röttgen ben doch schon bestimmte Drogen, die eingenom- weitung von Drogen noch abzubauen, indem Sie der men werden. Alkohol ist genannt worden. Wenn es Gesellschaft die kulturelle Abwehrfähigkeit nehmen. bereits Drogen gibt, gegen die wir, weil sie legal sind, keine kulturelle Abwehrfähigkeit mehr haben, Sie beschreiten einen Weg, an dessen Ende - diese was macht es dann für einen Sinn, noch für weitere Befürchtung muß man haben, Kollege Gilges - eben Drogen die Legalität einzuführen und über das Vehi- mehr Drogenkonsum steht. Darum ist es ein Irrweg, kel der Legalisierung auch die soziale und kulturelle den wir nicht mitgehen werden. Abwehrfähigkeit zu verlieren? Das macht doch über- Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. haupt keinen Sinn. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Gestatten Sie jetzt die Kollegin Angelika Mertens. eine Zwischenfrage des Kollegen Gilges?

Angelika Mertens (SPD): Frau Präsidentin! Meine Norbert Röttgen (CDU/CSU): Bitte sehr. Damen und Herren! Es ist in den meisten Fällen nicht unklug, das, was erfahrene Kolleginnen und Kollegen über das Klima von Drogendebatten zu be- Konrad Gilges (SPD): Herr Kollege, die Drogenpo- litik in der Bundesrepublik ist, wie die Daten und richten haben, auch zu glauben. Ich habe mir des- Fakten zeigen, offensichtlich generell gescheitert. halb zur Vorbereitung meiner Rede einmal ange- Die Anzahl der Drogentoten steigt; allein in einer guckt, was in den vorangegangenen Debatten zum Großstadt wie Köln gab es im letzten Jahr 98 Dro- Thema kontrollierte Heroinverabreichung mit wel- gentote. Sind Sie nicht der Meinung, daß es lohnens- chen Argumenten gesagt wurde. Vom Klima her wa- wert ist, darüber nachzudenken, ob man diese Poli- ren diese Debatten - das kann jeder nachlesen - eine tik, die man, bezogen auf dieses Problem, in den letz- Katastrophe, also sozusagen eine Klimakatastrophe. ten 20, 30 Jahren betrieben hat, nicht einmal grund- Daran hat sich eigentlich auch heute nichts geändert. legend auf den Prüfstand stellen sollte? Sollte man Grundsätzlich ideologische Bedenken bei der nicht einmal darüber nachdenken, ob nicht alterna- CDU/CSU machen eine Diskussion, eine wirkliche tive Modelle notwendig geworden sind? Denn eine Auseinandersetzung mit Ihnen so schwer. Die F.D.P., gescheiterte Politik wird doch nicht dadurch- besser, die mittlerweile auf das reale Maß geschrumpft ist, daß man sie immer weiter fortsetzt. Sie kann doch tut so, als wäre sie ein bißchen offener, aber will nur dann besser werden, wenn man sie korrigiert wahrscheinlich keinen Koalitionskrach. Wie span- und ändert. nend! (Beifall bei der SPD) Wir könnten diese Debatte jetzt hier eigentlich ab- brechen Norbert Röttgen (CDU/CSU): Die Situation der (Zuruf von der CDU/CSU) Drogenabhängigen - ich glaube übrigens, daß das in der modernen Gesellschaft so sein wird - kann nicht - das habe ich erwartet -, weil wir auf dieser Basis befriedigen. Daß wir eine befriedigende Situation ha- auf ewig aneinander vorbeireden werden. Wir tun ben, hat hier keiner für sich in Anspruch genommen. das als hoffentlich gute Abgeordnete natürlich nicht, Ihre Schlußfolgerung, daß die Drogenpolitik geschei- auch wenn es noch so schwerfällt, hier zu sitzen und tert ist, ist falsch. Das schlechteste Zeugnis muß man zuzuhören. Wenn es nämlich ein Problem gibt, das der Therapiepolitik der Länder ausstellen, nicht nicht auf der Ebene von Ideologie und der bloßen aber der Drogenpolitik auf Bundesebene. Theorie gelöst werden kann, dann ist es das Problem der Sucht. Herr Kollege Gilges, Sie haben gesagt, es gebe hier möglicherweise noch etwas zu verbessern. Das (Beifall bei Abgeordneten der SPD) haben alle hier zum Ausdruck gebracht: Wir müssen an einer anderen und besseren Drogenpolitik weiter- Ich möchte Sie deshalb einladen, sich jetzt mit mir arbeiten. Das will überhaupt keiner in Abrede stel- auf eine kleine Reise zu begeben, und zwar dahin, len. Nachdenken lohnt sich übrigens immer. Aber wo all das passiert, worüber wir heute reden, nämlich daraus folgt noch lange nicht, daß Ihr Vorschlag eine zur Endstation nach ganz unten. Dabei schauen wir bessere Politik darstellt. Ihr Vorschlag hat eine Ver- mal, ob es genügend Haltestellen gibt, bevor die Tü- schlechterung der Situation zur Folge, weil er - das ren gänzlich zugehen. ist der entscheidende Gesichtspunkt, den ich anfüh- Zum besseren Verständnis und zur besseren Orien- ren möchte - dazu führt, daß unsere kulturelle und tierung machen wir aber jetzt erst mal einen kleinen soziale Abwehrfähigkeit gegenüber Drogen verlo- Umweg. Sie werden es schon wissen, es kommt jetzt rengeht. Diese Fähigkeit ist viel wichtiger als die ge- nämlich der Vergleich. Das haben Sie wahrscheinlich setzliche Abwehr von Drogen. erwartet, und dieser Vergleich ist ja auch an anderer (Beifall bei der CDU/CSU) Stelle von Vorrednerinnen und Vorrednern schon ge- zogen worden, Dieser Vergleich wird sicherlich Wi- Die kulturelle Abwehr ist das Entscheidende. Sie derspruch hervorrufen. Trotzdem kann er eine Ab- sind dabei, auch diese letzte Bastion gegen die Aus kürzung zur Lösung unseres Debattenproblems sein. 3036 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Angelika Mertens Dieser kleine Umweg führt uns nämlich dahin, wo von Drogenabhängigen auch solche Bemerkungen wir alle völlig legal und gesellschaftlich sanktionie rt, beitragen könnten wie die, daß man mit Heroin sehr manchmal trotzdem verschämt, oft aber auch mit gro- wohl sehr alt werden könnte, wie das eben der Fall ßem Genuß unser eigenes bürgerliches Fixerbesteck war, oder wenn man die Drogen weiter verharmlost zur Hand nehmen und damit die eine oder andere oder ständig erzählt, Cannabis habe genauso viel Flasche aufmachen. - Ich hatte eigentlich erwartet, oder noch weniger Ungefährlichkeit wie Alkohol? daß Sie sich jetzt aufregen.

(Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Ein Fehler der Angelika Mertens (SPD): Ich denke, man kann me- Regie!) dizinische Ergebnisse, die es gegeben hat, nicht des- Ich habe damit gezeigt, daß diese Diskussionen von halb unterdrücken, weil sie in der Öffentlichkeit sein einer fast unerträglichen Doppelmoral begleitet wer- können oder in der Öffentlichkeit verbreitet werden den. können. Ich denke, ich habe Ihre Frage damit beant- wortet. Sie können nicht sortieren. In einem demo- (Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ kratischen Lande kann es niemals eine Freiheit von DIE GRÜNEN) Sucht geben, und ich denke, das müssen Sie akzep- tieren. Ich halte diesen Vergleich mit dem Alkohol für legi- tim. Ich halte ihn auch deshalb für legitim, weil über- Schauen wir uns doch einmal einige Fakten an. aus gesellschaftsfähige Menschen sich jeden Tag mit Fakt ist zum Beispiel, daß es in einer Großstadt wie dem Mittel therapieren, von dem sie abhängig sind, Hamburg etwa 9 000 bis 10 000 Konsumenten harter und kein Mensch nimmt Anstoß daran, solange sie Drogen, also Kokain- und Heroinabhängige gibt, funktionieren. übrigens auch 50 000 bis 60 000 Alkoholkranke und (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Sonst heißt es etwa 420 000 Nikotinsüchtige sowie auch 8 000 bis nämlich Alkoholmißbrauch!) 16 000 Medikamentenabhängige. Fakt ist, daß do rt jährlich 3 Millionen Spritzen getauscht werden. Das Das, so denke ich, ist die Wahrheit. sind etwa 8000 Spritzen am Tag. Und Fakt ist, daß die meisten Konsumenten harter Drogen, nämlich 70 Das Thema Sucht bietet sich geradezu an, nicht ge- bis 80 % - das hat Frau Senatorin Fischer-Menzel nügend zwischen Glauben und Wissen zu unter- auch gesagt -, mit den Beratungs- und Hilfsangebo- scheiden. Deshalb sollten wir gemeinsam den Ver- ten erreicht werden können. In den letzten Jahren such machen, noch einmal zu sortieren, uns die fol- wurde ein sehr differenzie rtes Instrumentarium ge- genden Daten und Fakten ansehen und die Instru- - schaffen, das zukünftig sicherlich noch ausgebaut mente der Drogenpolitik auf ihre Wirksamkeit hin wird. überprüfen. Es ist ja nicht zu leugnen, daß trotz eines enormen Die überwiegende Zahl dieser Konsumenten - jetzt Ausbaus der Drogenhilfe und der Rauschgiftfahn- hören Sie am besten einmal sehr gut zu! - wird nicht dung in den letzten Jahren, trotz aufwendiger und Zielgruppe einer kontrollierten Heroinverabreichung kostspieliger Aufklärungskampagnen die Zahl der sein, auch wenn Sie dies wider besseres Wissen im- Drogenabhängigen nicht etwa abgenommen, son- mer wieder behaupten. Zielgruppe sind auch nicht dern zugenommen hat. die Ausstiegswilligen und Ausstiegsentschlossenen. Erste Zielgruppe dieser Initiative sind die, die bis zur Daraus kann man jetzt zwei Schlüsse ziehen: Endstation durchfahren. Das sind die, die stark ver- Wenn es nichts nützt, ist es überflüssig, oder: Wenn elendet sind. Das sind die, die sich mit Beschaffungs- es nicht ausreichend greift, müssen neue Ansätze er- delikten und Dealerei das notwendige Geld besor- probt werden. gen. Das sind Menschen, die sich ihr Wasser aus dem Klo oder aus der Pfütze ziehen, um ihren Stoff aufzu- Wir sind uns wohl einig, vielleicht auch mit unter- lösen. Das sind die, die in den Hütten der Bauspiel- schiedlichen Gewichtungen in den einzelnen Frak- plätze übernachten, und die Junkies, die an den tionen, daß Alternative 1 zwar formal logisch ist und Bahnhöfen stehen und nach „'ner Mark" oder „'nem wahrscheinlich auch alle Finanzminister erfreuen Fuffi" betteln. Wer mit der U-Bahn fährt, der weiß, es würde, ansonsten aber eine absolute Bankrotterklä- sind die, die selbst in der Rushhour einen U-Bahn rung wäre. Bleibt uns also das Erproben neuer An- Wagen für sich alleine haben, weil ihr Körper mit Ab- sätze. Jeder jetzt schon praktizierte Ansatz stellt szessen und Krätze übersät ist. Das sind die, die sich gleichzeitig auch eine Haltestelle auf dem Weg nach in aller Öffentlichkeit einen Schuß setzen. Das sind unten dar. Trotzdem gibt es eine Reihe von Men- die HIV-Positiven und die, die ihren Körper für einen schen, die hier nicht aussteigen können, die weiter- Schuß verkaufen müssen. Das sind schließlich die fahren. Menschen, die plötzlich mit einer unheimlichen Ag- gressivität auf andere losgehen, weil es in ihrem Kopf Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Gestatten Sie keine Kontrolle mehr gibt. All diese Menschen sind eine Zwischenfrage? kein Fall für den Knast, sondern sie sind ein Fall für eine auf sie abgestimmte Hilfe. Angelika Mertens (SPD): Ja. Hier stellt sich die Frage: Wie kann ihnen ange- messen geholfen werden? Gibt es für sie überhaupt Hubert Hüppe (CDU/CSU): Frau Kollegin, würden ein Angebot? Sie werden mir jetzt wahrscheinlich Sie die Meinung teilen, daß zum Anstieg der Zahl vorwerfen, ich würde ein Horrorszenario entwerfen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 3037 Angelika Mertens Ich kann Ihnen versichern, alles, was ich aufgezählt das Leben erhalten wird. Wenn Sie sagen, die Verab- habe, erlebe ich auch da, wo ich wohne, nämlich mit- reichung von Heroin sei mit der Menschenwürde ten in einer Großstadt. Ich bin Ihnen gegenüber nicht vereinbar, dann nehme ich Sie gerne mit, die wahrscheinlich ein bißchen im Vorteil, weil mein Menschenwürde der Junkies an Ort und Stelle mit Wissen nicht aus der Zeitung und auch nicht aus ei- mir zusammen zu überprüfen. nem Wahlkampfbesuch in der Drogenberatungs- stelle stammt. Jede Beratung, jede Therapie kann erfolgreich sein oder mißlingen. Es gibt dafür keine Garan tie, Ich kann jeden Bürgermeister und übrigens auch wie es übrigens auch keine Garan tie dafür gibt, ein jede Bürgermeisterkandidatin verstehen, der oder guter Mathematikschüler zu werden. Viele brauchen die endlich ein Instrument in der Hand haben wi ll, mehrere Anläufe, ihren Konsum in den Griff zu be- mit dem wirksam ein Zusammenleben mit den kommen, die Subs titution ohne Beikonsum durchzu- Schwerstabhängigen gestaltet werden kann. Was halten oder sogar clean zu werden. Wenn wir uns glauben Sie, wie schnell sich ein Stadtteil verändern darüber verständigen, daß es manchmal einen drit- kann, wieviel Angst auf beiden Seiten das Zusam- ten und vierten oder manchmal auch einen fünften menleben vergiftet, wenn Süchtige ihr Leben nicht und sechsten Anlauf geben kann, dann ist es unlo- mehr organisieren können, ohne sich selbst und viel- gisch, einen Bereich herauszunehmen. leicht auch andere zu gefährden, und wenn jeden Morgen im Park, dem vielleicht einzigen Stück Grün Wer vor der Endstation nicht aussteigen kann, dem zwischen den Häusern, die Spritzen eingesammelt sollte eine Bedarfshaltestelle geschaffen werden; werden müssen, damit sich die Kinder aus dem Kin- denn er ist beim Arzt noch allemal besser als beim dertagesheim nicht verletzen? Dealer aufgehoben.

Weil dies alles nicht zum Alltag werden darf, soll- (Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ ten wir zur zweiten Zielgruppe dieses Projektes die DIE GRÜNEN) zählen, die zwar hochgradig abhängig, aber noch nicht völlig desintegriert sind. Damit könnte bei ih- nen auch der Prozeß einer Verelendung, einer psy- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herzlichen chischen, somatischen und sozialen Verelendung, Dank. - Das Wort hat jetzt die Staatssekretärin Frau vermieden werden. Bergmann-Pohl. Für beide Gruppen, diejenigen, die schon massivst verelendet sind, und diejenigen, die sich- schnur- Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin stracks auf dem Weg dahin befinden, geht die Forde- beim Bundesminister für Gesundheit: Frau Präsiden- rung nach mehr Therapieplätzen ins Leere. Viele ha- tin! Meine Damen und Herren! Ehe ich zum Antrag ben bereits mehrere erfolglose Therapieversuche des Bundesrates Stellung nehme, möchte ich hier hinter sich. Deshalb müssen realis tische, erreichbare zwei Richtigstellungen vornehmen. Ziele formuliert werden. Es müssen Zwischenschritte gemacht werden. Wenn im schönsten Falle am Ende Herr Kollege Gilges, die Zahl der Drogentoten hat die Abstinenz steht, dann steht am Anfang die ge- bundesweit nicht zugenommen, sondern sie ist in sundheitliche und psychische Stabilisierung. den letzten beiden Jahren Gott sei Dank zurückge- gangen. Ich kann Ihnen die Zahlen gerne zur Verfü- Die Berichte aus Großbritannien über das Widnes gung stellen. Wir beklagen jeden Drogentoten, und Projekt lassen den Schluß zu, daß do rt sehr erfolg- wir müssen gemeinsam darüber nachdenken, wie reich gearbeitet wurde und hoffentlich auch in Zu- wir den Tod eines jeden Drogenabhängigen vermei- kunft gearbeitet wird. Auch der ,Zwischenbericht des den können. Aber ich glaube, der Antrag des Bun- Schweizer Bundesamtes für Gesundheitswesen zum desrates ist der falsche Weg. Projekt „Ärztliche Verschreibung von Betäubungs- mitteln in der Schweiz „ ist sehr ermutigend. Würden Frau Mertens, wenn Sie sagen, daß die Zahl der wir alle zusammen den richtigen Weg kennen, wür- Drogenabhängigen zugenommen habe, dann will den wir heute natürlich nicht miteinander diskutie- ich Ihnen erwidern, daß es Untersuchungen gibt, die ren. eindeutig belegen, daß die Bereitschaft bei Jugendli- chen, Drogen zu nehmen, bis 1992 kontinuierlich ab- Ich hoffe aber sehr, man kann Menschen, die, aus genommen hatte. Leider hat sie 1993 wieder zuge- was für Gründen auch immer, schwer heroinabhän- nommen, genau zu dem Zeitpunkt, zu dem in der Öf- gig geworden sind und auf andere Behandlungen fentlichkeit über die Legalisierung von Drogen dis- nicht ansprechen, mit genau dieser Droge wieder ein kutiert wurde. menschenwürdiges Leben ermöglichen. Keiner von uns weiß, ob es der richtige Weg ist, wie keiner von (Beifall bei der CDU/CSU - Lebhafter Wi uns weiß, daß er es nicht ist. Überprüfen können wir derspruch bei der SPD) aber nur das, was wir dann auch zum Überprüfen ha- ben. Ich glaube, daß das die Hemmschwelle bei den Ju- gendlichen senkt. Wir wissen, daß alle Aufklärung, alle polizeilichen Maßnahmen, alle Strafen nicht dazu geführt haben, Meine Damen und Herren, lassen Sie mich bitte zu den Drogenkonsum einzuschränken. Ich behaupte, dem Antrag des Bundesrates Stellung nehmen. Wir daß eine zusätzliche, eine kontrollierte Haltestelle, lehnen diesen Antrag ab, und dafür gibt es sehr gute nämlich die Heroinbehandlung, vielen Abhängigen Gründe. 3038 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 Parl. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Po hl Erstens ist zu befürchten, daß die staatliche Ver- gabe des Arztes, von harten Drogen abhängige und gabe harter Drogen - auch in einem Modellversuch - damit kranke Menschen davon zu überzeugen, daß insgesamt zu einem weiteren Anstieg der Zahl der ein Entzug der richtige Schritt aus der Abhängigkeit Süchtigen führen wird. Zweitens werden Modellver- ist? suche u. a. mit Heroin für viele Abhängige den An- (Widerspruch bei der SPD) reiz schaffen, die Zugangsvoraussetzungen zu erfül- len. Drittens sind Modellversuche mit Heroin für Meine Damen und Herren, ich glaube, das wäre zahllose Drogengefährdete zugleich das Signal, daß die Bankrotterklärung in der Drogenpolitik. Diese harte Drogen nicht mehr geächtet, sondern im Ex- Menschen brauchen wirklich Hilfen. tremfall sogar vom Staat zur Verfügung gestellt wer- den. Damit würde die Prävention von Drogenmiß- (Zuruf von der SPD: Ja, bitte!) brauch insgesamt fragwürdig. Um die Hilfsmöglichkeiten für schwer erreich- bare Drogenabhängige zu verbessern, sind die Bun- Nun wird ja von Befürwortern einer Heroinvergabe desländer nach Beratungen im Nationalen Drogenrat immer wieder behauptet, daß damit sogenannte um Mitwirkung an einer Bestandsaufnahme und der besser erreicht werden könnten. Schwerstabhängige Entwicklung besserer Hilfen gebeten worden. Das haben wir heute auch hier wieder gehört. Meine Damen und Herren, die Realitäten sehen aber anders Nun will ich Ihnen erzählen, wie die Bundesländer aus. auf unsere Bitte reagie rt haben. Es wäre eigentlich zu erwarten gewesen, daß sich dabei gerade die Bun- Eine im Herbst 1992 durchgeführte Befragung von desländer besonders engagieren, die mit recht weit- Abhängigen ergab, daß 75 % von ihnen bereits Kon- gehenden Vorstellungen zur Hilfe für sogenannte takt mit Drogenhilfeprogrammen hatten, um Maß- Schwerstabhängige an die Öffentlichkeit ge treten nahmen gegen ihre Abhängigkeit zu ergreifen. 30 % sind. Diese Länder müßten uns eigentlich am ehe- warteten auf einen Therapieplatz, ebenso viele auf sten sagen können, wo es Defizite gibt, wer zu der einen Platz zur Entgiftung. Nur 10 % hatten eine ab- Gruppe der sogenannten Schwerstabhängigen zählt lehnende Einstellung zur Abstinenz. Über 50 % der und wie in Zukunft bessere Hilfsangebote aussehen Abhängigen hatten einen oder mehrere Selbstent- sollen. - Weit gefehlt! Bis auf zwei Länder haben die züge unternommen, um sich aus der Abhängigkeit Bundesländer diesen Fragebogen nicht ausgefüllt. zu befreien. Diese Menschen haben den Wunsch, be- sonders bei der Suche nach Arbeitsplätzen und Woh- Ich will hier gar nicht über die Gründe spekulie- nungen, nicht aber noch weiterhin mit Rauschgift,- ren. staatlich sanktioniert, unterstützt zu werden. (Lachen bei Abgeordneten der SPD) Eine Gesetzesinitiative, die den schwerkranken Was zählt, ist das Ergebnis, das so aussieht: Die Län- Abhängigen, die vom Heroin allein nicht mehr weg- der, die einen neuen Kurs in der Drogenpolitik ein- kommen, weiterhin Heroin anbieten wi ll, ist keine schlagen wollen, entziehen sich der Aufgabe, klipp Hilfe, sondern, meine Damen und Herren, ein Irr- und klar zu sagen, wie Hilfen für sogenannte weg. Oder soll Ihr Modellversuch - Frau Knoche hat Schwerstabhängige besser gestaltet werden sollen. das ja deutlich gemacht - der Beginn einer Legalisie- Man überläßt es anderen, sich darüber Gedanken zu rungsspirale sein? machen. Dabei haben 1990 alle Länder gemeinsam beschlossen, sich für eine Differenzierung und Aus- Es ist auch deshalb ein Irrweg, weil die Befürwor- weitung der Hilfsangebote einzusetzen. ter einer kontrollierten Abgabe von Heroin auf ent- scheidende Fragen keine vernünftigen Antworten Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang auch geben können oder wollen. Diese Fragen liegen auf noch eine Anmerkung zu der Haushaltssperre für der Hand. den Landeshaushalt 1995 in Hessen. Stellen Sie sich bitte einmal vor, was geschehen wäre, wenn die Bun- (Konrad Gilges [SPD]: Sie sagen die ganze desregierung Maßnahmen beschlossen hätte, die das Zeit, was Sie nicht wollen! Sagen Sie ein genaue Gegenteil von dem erreichen, was wir ei- mal, was Sie für richtig halten, Frau Kolle gentlich wollen: nämlich die Hilfsangebote für die gin!) Betroffenen zu verbessern. Diesen Weg geht man jetzt aber in Hessen; denn von der zwanzigprozenti- - Haben Sie eigentlich schon den nationalen Rausch gen Haushaltssperre in Hessen ist auch der Drogen- giftbekämpfungsplan gelesen? - Offensichtlich nicht. bereich betroffen. Meine Damen und Herren, es klingt schon fast wie Darf sich ein Arzt tatsächlich damit begnügen, den Hohn, wenn das Hessische Ministe rium für Umwelt, Krankheitszustand eines Abhängigen lediglich zu Energie, Jugend, Familie und Gesundheit in einem kontrollieren, Abszesse, Hepa titis und HIV-Infektio- Brief an die Träger der Drogenhilfe vom 28. März nen möglichst zu verhindern, ihn im übrigen aber 1995 Auswirkungen auf den Drogenbereich ankün- weiterhin mit Heroin behandeln? Was geschieht digt und gleichzeitig die Absicht mitteilt, denn, wenn der so „Behandelte" den Arzt eine Zeit- lang oder endgültig nicht mehr aufsucht und sein aus der Not eine Tugend zu machen und mit Hilfe Heroin lieber wieder auf der Straße holt oder wenn er veränderter Strukturen ein Höchstmaß an Hilfs- andere Drogen haben will wie z. B. Kokain, Amphe- angeboten für Suchtkranke und Drogenabhängi- tamin und Tranquilizer? Ist es nicht gerade die Auf- ge zu sichern. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 3039

Parl. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl In demselben Brief heißt es dann pikanterweise um die Substitution durch Methadon geführt wurde, weiter: immer noch nicht beendet werden kann. Die Herausforderung, vor der wir stehen, erfor- Ich habe gedacht, wir hätten nun wirk lich geklärt, dert eine gute, zielgerichtete Zusammenarbeit. daß z. B. Methadon eine vernünftige Substitution sei. Der gute Wille aller Beteiligten kann dabei als Aber die Argumente, die damals gegen Methadon Ausgangslage vorausgesetzt werden. vorgebracht worden sind, höre ich heute alle wieder. Pikant ist das deshalb, weil in demselben Land, in Auch damals ist Ihr Drogenexperte Sauer mit dem dem jetzt anscheinend bei Hilfen zum Ausstieg aus Argument angetreten, die Länder, in denen Metha- der Sucht gespart werden soll, gleichzei tig Projekte don verabreicht würde, wollten sich aus finanziellen ins Leben gerufen werden, die dieses Ziel ganz si- Gründen davor drücken, Therapieplätze in ausrei- cher nicht erreichen. Ich meine die Fixerstuben. chendem Maß zur Verfügung zu stellen. Heißt also Ihr Höchstmaß an Hilfsangeboten: Legali- (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Das stimmt ja sierung weicher Drogen und staatliche Abgabe von auch zum Teil noch!) Heroin? Als Ärztin sage ich Ihnen: Drogenabhängig- keit ist eine Krankheit. Krankheiten heilt man mit Das haben Sie behauptet. Therapien. Dann hat dankenswerterweise Frau Staatssekretä- (ManfredÜ Such [BÜNDNIS 90/DIE GR rin Bergmann-Pohl in ihrer Antwort auf unsere Große NEN]: Aber nicht im Gefängnis!) Anfrage zur Umsetzung des Nationalen Rauschgift bekämpfungsplanes Ihre Argumente eindrucksvoll Die Einrichtung von Fixerstuben ist reiner Aktionis- widerlegt. Es war nämlich ablesbar, daß Nordrhein- mus. Sie ist eine Flucht aus der Verantwortung. Für Westfalen proportional zu seiner Bevölkerung mehr diese Flucht muß die Theorie herhalten, daß soge- Therapieplätze bereitstellt als Baden-Württemberg. nannten Schwerstabhängigen nur auf diesem Weg Das können Sie in der Antwort der Bundesregierung geholfen werden kann. selbst nachlesen. Meine Damen und Herren, wir sind jederzeit gern (Zuruf von der SPD: Hört! Hört!) bereit, gemeinsam mit den Ländern und den Lei- stungsträgern neue Formen der Betreuung und Hilfe Dieses Argument kann also nicht zutreffen. zu diskutieren und solche Wege gegebenenfalls Nun muß ich allerdings einräumen - aber Sie auch -, durch Modellprojekte zu fördern. Wir sind aber nicht - daß es überhaupt keine Rolle spielt, wie ein Bundes- bereit, einen Weg zu akzeptieren, der für die Betrof- land regiert ist. Therapieplätze fehlen überall. Der fenen und für die Allgemeinheit fatale Folgen haben Bedarf wird bei weitem nicht gedeckt. So zu tun, als wird. könne man mit einer Abstinenztherapie allein die Deshalb appelliere ich heute noch einmal an Sie: Probleme lösen, ist bei 150 000 bis 200 000 von har- Tragen Sie dazu bei, daß einer der wich tigsten Pfeiler ten Drogen Abhängigen, bei etwa 6 000 Therapie- einer effektiven Drogenpolitik vor weiterer Erosion plätzen in der Bundesrepublik und bei Kosten von bewahrt wird, 150 000 DM pro Therapieplatz unehrlich. (Manfred Such [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Natürlich muß die Zahl der Therapieplätze erhöht NEN]: Sie haben doch gar keine Drogenpo werden. Aber nehmen Sie doch bitte einmal zur litik!) Kenntnis, was auch die Schweizer zur Begründung ihres Pilotversuchs anführen: Es gibt einen beträcht- nämlich der Konsens über die wesentlichen Ziele der lichen Teil von schwer Suchtkranken, von Schwerab- Drogenpolitik. Diese Ziele lauteten: Ächtung illega- hängigen, die man weder mit einer Abstinenzthera- ler Drogen, Verstärkung der Aufklärung und Bera- pie noch mit einer substitutionsgestützten Rehabilita- tung über die schädlichen Folgen des Drogenkon- tionsmaßnahme erreichen kann. sums, bedarfsgerechter Ausbau drogenfreier Thera- pieangebote und niedrigschwelliger Hilfen, Metha- Diesen Drogenabhängigen müssen Sie doch ir- donsubstitution in ärztlich begründeten Einzelfällen. gend etwas an Hilfe bieten. Mit Ihrer gegenwärtigen Politik lassen Sie diese Menschen im sozialen Elend. Meine Damen und Herren von der Opposi tion, Sie Sie setzen sie der Gefahr des frühen Drogentodes aus sind auf dem besten Weg, sich von diesen Zielen zu und zwingen sie in Beschaffungskriminalität und verabschieden. Prostitution. (Beifall bei der CDU/CSU - Zuruf von der Wenn das nicht menschenverachtend und inhu- SPD: Sie hatten doch noch nie Ziele!) man ist, weiß ich nicht, wo sonst man solche Begriffe verwenden sollte. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE jetzt der Abgeordnete Johannes Singer. GRÜNEN und der PDS) Deswegen hat mich auch der Begriff „Menschen- Johannes Singer (SPD): Frau Präsidentin! Meine versuche" bei Ihnen, Herr Hüppe, geärgert. Es war Damen und Herren! Wenn ich mir die Beiträge der ein böser Ausdruck. Nach Ihrer Theo rie wäre jede Vorredner durch den Kopf gehen lasse, habe ich das klinische Erprobung eines Medikaments ein Men- Gefühl, daß der Glaubenskrieg, der vor vielen Jahren schenversuch und müßte so behandelt werden. 3040 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Johannes Singer Wissen Sie, ich habe nichts gegen religiöse Über- die Debatte! Dann setzen wir uns mit denen ausein- zeugungen. Aber religiöse Überzeugungen dürfen ander und kommen ein paar Schritte weiter. kritisches Denken nicht ersetzen. Unterstellen Sie uns hier nicht, wir würden nicht genau überlegen, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne was wir mit den Schwerstabhängigen tun, die von ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN dem Gesetzesantrag des Landes Hamburg erfaßt und der PDS) werden sollen! Wir haben sehr viele Defizite in der Drogenpolitik An dieser Stelle möchte ich sowohl auf Herrn Rött- zu beklagen, auch bei der Umsetzung des nationalen gen wie auch auf Herrn Hüppe antworten. Durch Drogenbekämpfungsplans, auch wenn in den letzten diesen Gesetzesantrag bzw. Modellversuch wird zwei Jahren die Zahl der Drogentoten gesunken ist. doch kein einziger zusätzlicher Konsument oder von Erstens hat das ziemlich viel mit den Methadon-Pro- harten Drogen Abhängiger geschaffen. Der Versuch grammen zu tun. Zweitens wird Ihnen jeder Polizei- wendet sich ausschließlich an solche, die bereits experte sagen: Der Tod eines Drogenabhängigen hat schwerstabhängig sind. Es muß ärztlich überprüft in der Regel einen Vorlauf einer siebenjährigen Dro- und kontrolliert werden, ob das der Fall ist. Die Zahl genkarriere. Die Ursachen für die Drogentoten von der Suchtabhängigen kann also durch diesen Ver- heute sind vor sieben Jahren geschaffen worden. Sie such überhaupt nicht steigen. können nicht die Drogenpolitik der letzten drei Jahre als Erfolg und Begründung für die zurückgehende (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Das habe ich Zahl der letzten zwei Jahre feiern. Das ist falsch. auch nicht gesagt!) Feststellen kann ich aber - das ist unwiderspro- Es handelt sich um einen Personenkreis, der mit chen; darin wird mir auch Herr Lintner gleich nicht anderen Hilfsangeboten nicht erreicht wird, dem Sie widersprechen können -, daß die Zahl der Erstkon- nur noch sagen können: Für dich bleibt die Gosse, sumenten nach wie vor ansteigt, und zwar drama- das Elend und der frühe Drogentod. Wir meinen, daß tisch. Das heißt, bei den wesentlichen harten Drogen es noch etwas anderes geben muß. Ich sehe als The- steigt die Zahl der Erstkonsumenten an. Deswegen rapie an, was mit dieser Erprobung beabsichtigt ist. halte ich es für unverantwortlich, wenn man sich zu- rücklehnt und sagt: Die bisherige überwiegend re- Ich sage es Ihnen noch einmal: Wenn ein konserva- pressive Art der Drogenpolitik war richtig; sie wird tiv regiertes Land wie die Schweiz hingeht und seit fortgesetzt. Etwas Neues lassen wir uns nicht einfal- über einem Jahr in sechs Großstädten einen- solchen len. - Denn in Sachen Prävention ist etwas Geschei- Versuch durchführt, können Sie doch hier nicht be- tes bisher nicht auf dem Markt, außer dieser alber- haupten, diese Sache sei des Teufels und werfe alle nen Kampagne „Keine Macht den Drogen". Ich bin Grundsätze der Vernunft und der Humanität über immer versucht zu sagen: Keine Macht den Doofen. Bord. Tatsache bleibt einfach, daß es sich um einen Aber diese Entscheidung können wir ja vielleicht ir- Modellversuch handelt. Jedem Versuch wohnt natür- gendwann durch die Wähler herbeiführen lassen. lich auch das Risiko des Scheiterns inne. Wenn m an einmal ab und zu ein paar neue Wege geht, nachdem (Beifall bei Abgeordneten der SPD) man erfahren hat, daß viele bisher ausprobierte Wege, gerade die reine oder überwiegende Repressi- Die Kampagne „Keine Macht den Drogen" hat über- onspolitik der Union, versagt haben, dann können wiegend bei den jugendlichen Adressaten den Ein- Sie uns Erprobungen neuer Modelle nicht einfach druck hervorgerufen, das sind Sportler, die nehmen verweigern. Dann müssen Sie den Weg mit uns ge- sowieso Dopingmittel, sie sind überhaupt nicht hen. Er wird übrigens vom Landesverband der F.D.P. glaubwürdig, im übrigen machen sie es für Kohle. in Schleswig-Holstein unterstützt. Ich bedaure sehr, daß Herr Lanfermann sich davongemacht hat - er (Birgit Homburger [F.D.P.]: Das ist ja wohl hieße besser Laufermann als Lanfermann -, so daß er eine Frechheit, was Sie hier machen!) nicht dazu Stellung nehmen kann, warum der Lan- desverband Schleswig-Holstein der F.D.P. diese Ge- Ich zitiere hier aus einem Gutachten, das das Insti- setzesinitiative aus Hamburg begrüßt hat. tut für Therapieforschung in München im Auftrag der Bundesregierung, die auch von Ihnen, Frau Sie haben sich natürlich ebenfalls darum gedrückt, Homburger, getragen wird, verfaßt hat. Diese Äuße- uns folgendes zu erklären - meine Kollegin Mertens rungen sind gar nicht meine eigene Erfindung; das hat es nur angedeutet; ich sage Ihnen jetzt den Na- waren Zitate aus diesem Gutachten. Darin hat man men -: Auch die Kandidatin der CDU für das Amt sich genauso über die Kampagne geäußert. Die Ju- des Oberbürgermeisters in Frankfu rt, Frau Petra gendlichen machen sich über diese Kampagne in Roth, hat unseren Gesetzesantrag begrüßt. noch viel gröberen Worten lächerlich, als ich das eben getan habe. (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!) Ich habe zwar noch zwei Minuten Redezeit, aber ich meine, ich hätte das Wesentliche zu diesen Punk- Der Justizminister des Landes Baden-Württemberg, ten gesagt. Schließlich bin ich dagegen, daß m an Herr Thomas Schäuble, hat gestern in Fr ankfurt un- seine Redezeit bis zum letzten Komma ausschöpft. seren Antrag ebenfalls begrüßt. Es gibt doch ver- Wenn wir uns bei den weiteren Beratungen des Ge- nünftige Leute in der CDU. Schicken Sie die doch in setzentwurfs wirklich auf das konzentrieren, was im Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 3041 Johannes Singer Antrag steht, und nicht Popanze aufbauen, wie Sie, die Kampagne „Keine Macht den Drogen" kostenlos Herr Röttgen und Herr Hüppe, zur Verfügung stellen. (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Das ist doch (Beifall bei der CDU/CSU) gar nicht wahr!) Ich wehre mich dagegen, daß sie hier in einer läppi- die Dinge behaupten, die im Antrag überhaupt nicht schen, lässigen Art und Weise von Ihnen desavouiert stehen, um dann darauf einzuschlagen, dann kämen werden. Das muß ich Ihnen einmal sagen; denn es ist wir einen Schritt weiter, und könnten wir vielleicht in nicht selbstverständlich, daß diese Leute bereit sind, diesem Bereich etwas Vernünftiges auf den Weg sich mit einem solchen Ziel zu identifizieren. bringen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Danke. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Staatsse- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE kretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abge- GRÜNEN und der PDS) ordneten Schily?

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Vielen Dank für Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- die vorbildliche Kürze. Das Wort hat jetzt der Staats- minister des Innern: Nein, jetzt nicht, Herr Schily, sekretär Lintner. gleich. Ich will jetzt auf eine Tatsache hinweisen, die Sie Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- hier auch unterschlagen haben, nämlich daß sich minister des Innern: Sehr geehrte Frau Präsidentin! eine andere Präventionskampagne der Bundesregie- Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich fünf An- rung schon an die Kinder im Vorschulalter richtet. merkungen zu den Argumenten machen, die insbe- Diese Präventionskampagne läuft völlig unabhängig sondere von der Opposition gegen unsere Drogen- von der Art des Suchtstoffes. „Kinder stark machen" politik vorgetragen worden sind. nennen wir sie. Hier wird der geistige Ansatz unserer Präventionsbemühungen besser deutlich als durch Zunächst einmal die Bemerkung, Herr Kollege Sin- die Verzeichnung, die Sie hier vorgenommen haben. ger - ich stelle das immer wieder fest -: Sie stellen eine Reihe von falschen Behauptungen auf und be- Bitte. gründen dann damit Ihre Kritik und Ihre Vorschläge- als Alternative zur Drogenpolitik der Regierung. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Schily. Die erste falsche Behauptung ist die - in Anfüh- rungszeichen - Feststellung, daß die deutsche Dro- Otto Schily (SPD): Herr Kollege Lintner, weil Sie genpolitik gescheitert sei. Wenn wir uns mit ähnli- auf die Prävention so großen Wert legen: Halten Sie chen Gesellschaften, beispielsweise der Schweiz es für eine gelungene Präventionsmaßnahme, wenn oder den Niederlanden, jedenfalls westlichen Indu- die CSU in Wahlkämpfen Plakate kleben läßt: Rot + strieländern, vergleichen, dann stellen wir fest, daß Grün = Heroin? wir bei allen wichtigen Kriterien im unteren Bereich der Vergleichsskala liegen. Das heißt, die Lage in Parl. Staatssekretär beim Bundes- der Bundesrepublik ist, was beispielsweise die Dro- Eduard Lintner, minister des Innern: Herr Kollege Schily, damit woll- genbelastung der Jugendlichen und der Bevölke- ten wir darauf hinweisen, daß beispielsweise die Ab- rung angeht, wesentlich günstiger als in diesen Län- gabe von Heroin an Süchtige - darüber reden wir ja dern. heute - von Rot und Grün vertreten wird. Ich gebe Wenn es überhaupt einen Maßstab auf diesem zu, diese Botschaft war drastisch. Aber sie war in ih- Feld gibt, meine Damen und Herren, dann liegt er rem Kern zutreffend. doch wohl nicht in der Behauptung, daß wir nicht (Johannes Singer [SPD]: Nein!) wüßten, daß eine suchtfreie offene Gesellschaft nie zu erreichen sei. Er liegt vielmehr im Vergleich mit Meine Damen und Herren, lassen Sie mich eine den Ergebnissen anderer Drogenpolitiken. In die- weitere Bemerkung machen. Auch die ständige Be- sem Punkt kann sich die deutsche Drogenpolitik alle- hauptung von einer Kriminalisierung junger Leute mal gut sehen lassen. hält einer Prüfung nicht stand. Tatsache ist doch, daß insbesondere der jugendliche Erstkonsument oder Zweitens. Auch die Behauptung, daß die Drogen- gelegentliche Konsument bei geringen Mengen nie politik der Bundesregierung allein, vor allem, aus- ins Gefängnis geschickt wird. Im Gegenteil: Die El- schließlich oder was auch immer auf Repression tern sind uns im Grunde genommen dankbar, wenn setze, hält einer Überprüfung an Hand der Wirklich- wir dabei bleiben, daß die staatlichen Sicherheits- keit nicht stand. Sie wissen sehr genau, daß wir sehr kräfte die Möglichkeit haben, ihnen überhaupt zu sa- viel Wert darauf legen, die präventiven Anstrengun- gen, welchen Umgang ihr Kind pflegt und wo viel- gen zu unterstützen und auszubauen. leicht pädagogische Hilfe notwendigerweise anset- zen müßte. Im übrigen muß ich Ihnen sagen: Ich bin einem Lo- thar Matthäus, einer Steffi Graf und einem Karl Das richtet sich doch nicht gegen die Beteiligten, Heinz Rummenigge höchst dankbar, daß sie sich für gegen die Jugendlichen, sondern im Gegenteil. Ich 3042 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Parl. Staatssekretär Eduard Lintner glaube, das ist in ihrem wohlverstandenen Inter- gen, daß immer auf die Nachteile der Substitution esse. hingewiesen worden ist. Damals haben Sie Metha- don mit wärmsten Worten empfohlen und die Heroin- Eine weitere Bemerkung. Sie beklagen hier, daß abgabe noch vehement abgelehnt. wir uns mit denselben Argumenten wieder zusam- mengefunden haben wie seinerzeit bei der Metha- Heute empfehlen Sie uns als nächsten Schritt - ich don-Debatte. Herr Singer, die Tatsache, daß wir hier wiederhole mich - die Heroinabgabe. Was ist das über dasselbe Thema mit ähnlichen Argumenten nächste, etwa die Ausdehnung Ihres Antrages auf sprechen, hängt doch damit zusammen, daß Sie sei- die gesamte Palette der harten Drogen? Der Antrag nerzeit Methadon als den Superweg, als den Ausweg Hamburgs - das ist in der Debatte zu kurz gekom- aus der Drogenmisere gepriesen haben. Heute stel- men - und des Bundesrates zielt auf die Verabrei- len Sie fest, daß Ihre Erwartungen nicht erfüllt wur- chung harter Drogen generell, z. B. Heroin. den. Jetzt gehen Sie den nächsten fatalen Schritt und empfehlen uns die Abgabe von Heroin an Schwerst- Hier wird eine Szenerie der Perspektivlosigkeit abhängige. Sie haben doch hier die Wiederholung deutlich, die es denkbar macht, daß Sie demnächst der Argumente verursacht und nicht wir. mit einer weiteren Änderung kommen und sagen: Wir sind leider gezwungen, auch Crack und Kokain In diesem Zusammenhang darf ich Ihnen auch sa- zu verabreichen. Denn das sind die anderen harten gen: Ich war sehr bemüht, einmal von Fachleuten zu Drogen, die dabei in Rede stehen. hören, ob dieser ominöse Schwerstabhängige über- haupt definiert werden kann. Ich höre immer: Ja, wer Leider ist meine Redezeit abgelaufen, aber wir fünfmal vergeblich versucht hat, von seiner Sucht werden noch öfter Gelegenheit haben, uns über das loszukommen, der sei ein Schwerstabhängiger. Wer Thema Drogenpolitik zu unterhalten. Meine Damen einmal Raucher war, wie ich beispielsweise, weiß, und Herren, das, was Sie vorschlagen, ist nicht ver wie oft man vergeblich versucht, mit dem Rauchen antwortbar. Der so oft zitierte Alkohol mit seinen Fol- aufzuhören, es aber schließlich schaffen kann. Ge- gen müßte Ihnen Warnung genug sein, denselben nau diese Problematik ist auch bei anderen Süchten Fehler nicht zu wiederholen. vorhanden. Fünf vergebliche Versuche sind über- haupt kein Hinweis darauf, daß es beim sechsten Herr Neskovic, der das Recht auf Rausch propa- giert, stammt aus Ihren Reihen und hat im Grunde Mal nicht funktioniert. genommen nicht die richtige Lehre aus den Erfah- So sind die Wissenschaftler und Fachleute bis rungen gezogen, sondern will auf Grund seines ideo- heute nicht in der Lage, uns den Begriff der logisierten Gesellschaftsbildes - die Ideologie liegt - Schwerstabhängigen zu definieren. Das heißt, der, bei Ihnen - uns empfehlen, - den Sie so behandeln wollen, wie Sie es hier vorge- tragen haben, unterliegt einer völlig willkürlichen Feststellung. Sie bedienen sich dabei - so sind un- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Staatsse- sere Erfahrungen - nicht der seriösen Medizin, die kretär! solche Gedankengänge ohnehin ablehnt, sondern anderer Ratgeber. Das Produkt der Hamburger Dro- Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- genpolitik ist doch an der Zahl der Süchtigen, mit de- minister des Innern: - die Fehler, die wir an anderer nen sie es heute zu tun haben, abzulesen. Deshalb Stelle leider registrieren müssen, nun auch bei har- wehre ich mich dagegen, daß Sie hier in der Attitüde ten und weichen Drogen zu wiederholen. des erfolgreichen Drogenpolitikers auftreten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Die ausge- machte Redezeit ist bereits überzogen. Es besteht je- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Damit schließe doch der Wunsch des Kollegen Singer nach einer ich die Aussprache. Zwischenfrage. Wenn Sie die Frage zulassen, gebe Interfraktionell wird die Überweisung des Geset- ich Ihnen noch etwas Zeit. zentwurfes auf Drucksache 13/205 an die in der Ta- gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- gen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen minister des Innern: Ja, bitte. Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlos- sen. Johannes Singer (SPD): Herr Staatssekretär, kön- nen Sie mir einen Nachweis dafür geben, wo irgend Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: jemand aus der SPD die Substitutionsbehandlung durch Methadon als Allheilmittel oder Superweg be- Erste Beratung des vom Bundesrat einge- zeichnet und nicht darauf hingewiesen hat, daß das brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergän- immer nur die zweit-, dritt- oder viertschlechteste zung der Unfallversicherung für Kinder in Möglichkeit ist, die aber letzten Endes besser ist, als Horten und Krippen und den übrigen Tages- die Schwerstabhängigen ihrem Schicksal zu überlas- einrichtungen für Kinder (Kita-UVErgG) sen? - Drucksache 13/373 - Überweisungsvorschlag: Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) minister des Innern: Ich kann Ihnen gerne bestäti- Ausschuß für Fami lie, Senioren, Frauen und Jugend Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 3043 Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Besten Dank, Frau Präsidentin. Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist das so beschlossen. (Beifall bei der CDU/CSU und der PDS) Ich eröffne die Aussprache. Für den Bundesrat hat der Staatssekretär Ermisch das Wort. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Konrad Gilges. Staatssekretär Dr. Günter Ermisch (Sachsen): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf Ih- Konrad Gilges (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr nen den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines verehrten Damen und Herren! Wir unterstützten die Gesetzes zur Ergänzung der Unfallversicherung für Initiative des Landes Sachsen. Ich habe dem inhalt- Kinder in Horten und Krippen und den übrigen Ta- lich nichts hinzuzufügen. Ich hoffe genauso wie Sie, geseinrichtungen für Kinder vorstellen. Es handelt daß wir dieses Gesetz zügig verabschieden werden, sich um eine Initiative des Freistaats Sachsen. damit die Lücke geschlossen werden kann. Ich darf die Einführung in drei Punkte gliedern. Danke Erstens. Mit dem Gesetz über die Unfallversiche- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, beim rung für Schüler, Studenten sowie Kinder in Kinder- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS - gärten aus dem Jahre 1971 sind seinerzeit für den Zurufe von der CDU/CSU: Der Beifall hat Geltungsbereich in den alten Bundesländern Kinder länger gedauert als die Rede! - Soviel Bei wegen des Besuches von Kindergärten und Schulen fall hat er noch nie bekommen! - Eine ver in die Unfallversicherung aufgenommen worden. nünftige Rede!) Demgegenüber ist - zweitens - im Geltungsbe- reich der ehemaligen DDR im Vergleich zur vorge- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat nannten Westregelung - wenn ich das einmal so sa- jetzt der Abgeordnete Rudolf Meyer. gen darf - ein umfassenderer Unfallversicherungs- schutz gewährt worden. Hiernach waren auch Schü- ler bei der Teilnahme an der Tagesbetreuung und Er- Rudolf Meyer (Winsen) (CDU/CSU): Frau Präsiden- ziehung, wie es so schön im Gesetzestext hieß, und tin! Meine Damen und Herren! Ich könnte das jetzt bei außerschulischen Veranstaltungen gesetzlich sehr ähnlich machen und mich genauso kurz fassen, unfallversichert. Auf gut deutsch heißt das,- mithin denn inhaltlich sind wir wirklich nicht weit auseinan- standen in der ehemaligen DDR auch Kinder in Hor- der. ten und Krippen unter Unfallversicherungsschutz. (Beifall des Abg. Dr. Willibald Jacob [PDS] - Diese Regelung galt nach dem Einigungsvertrag Zuruf von der SPD: Dann machen Sie das nur noch bis zum 31. Dezember 1991. So ist festzu- doch!) stellen, daß es seit dem 1. Januar 1992 keinen ent- Ich möchte aber - wenn ich schon einmal an dieser sprechenden gesetzlichen Unfallversicherungsschutz Stelle stehe - die Gelegenheit nutzen, die Position, für Kinder in Horten und Kinderkrippen mehr gibt. die ich mir dazu erarbeitet habe, darzulegen. Das Das Anliegen dieses Gesetzesentwurfs ist es, nun- geht auch in ungefähr fünf Minuten. mehr diese Lücke zu schließen, und zwar durch die Initiative des Freistaates Sachsen. Ein entsprechen- Meine Damen und Herren, nach dem geltenden der Antrag ist bereits im Bundesrat verabschiedet Recht der gesetzlichen Unfallversicherung, das ja noch in der worden. Dieser ist dem Bundestag zugeleitet wor- Reichsversicherungsordnung geregelt ist, besteht unter anderem Versicherungsschutz nur den; er ist der Diskontinuität anheimgefallen, so daß er nunmehr erneut eingebracht wird. für Schüler während des Besuchs der Schule und für Kinder in Kindergärten. Kinder in sonstigen Kinder- Jetzt gibt es diesbezüglich - drittens - eine geset- tagesstätten, wie Kinderhorten, Kinderspielkreisen zestechnische Besonderheit: Dieses Phänomen, näm- und Kinderkrippen, haben keinen gesetzlichen Un- lich die Einbeziehung der Kinder in den Tagesstätten fallversicherungsschutz. und Krippen, ist auch in dem umfassenden Gesetzes- entwurf der Bundesregierung für das Sozialgesetz- Der Gesetzgeber ging im Jahr 1971 bei der Einfüh- buch VII enthalten, der in Art. 1, § 128, diese Lücke rung der Unfallversicherung für Schüler und Kinder ebenfalls schließen will. in Kindergärten davon aus, daß bei den anderen Kin- dertagesstätten der Gesichtspunkt der Betreuung im Wir bitten aber, die Initiative des Freistaates Sach- Vordergrund stehe und daß es sich im Gegensatz zu sen separat zu behandeln und zügig zu verabschie- den Schulen und Kindergärten nicht um Erziehungs- den, da mit einer schnellen Verabschiedung des Ge- oder Bildungseinrichtungen handele. Dies entsprach setzentwurfs der Bundesregierung für ein Sozialge- auch der damals herrschenden allgemeinen Auffas- setzbuch VII nicht zu rechnen ist. sung. Ich meine, wir könnten es uns nicht leisten, eine Die Gesetzesinitiative des Bundesrates schlägt nun Lücke zu Lasten der wirklich Schwachen zu lassen. vor, den Unfallversicherungsschutz auf alle Kinderta- Deshalb bitte ich Sie, verehrte Damen und Herren gesstätten im Sinne des § 22 SGB VIII auszuweiten. des Deutschen Bundestages, diesen Gesetzentwurf Diese Initiative ist aus folgenden Gründen zu begrü- zügig zu behandeln und zu verabschieden. ßen: 3044 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Rudolf Meyer (Winsen) Die Ausgestaltung der Kindertageseinrichtungen, cherungsordnung zu beschließen. Das Bundeskabi- ihre Zielsetzungen sowie ihre gesellschaftliche und nett hat dem Bundesrat einen Gesetzentwurf zur Ein- politische Bewertung haben sich in den vergangenen ordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversiche- Jahren erheblich geändert. Das SGB VIII und die im rung in das SGB VII zugeleitet. Mit diesem Gesetz Zusammenhang damit erlassenen Ländervorschrif- wird der letzte Sozialversicherungszweig aus der ten haben einen neuen gesetzlichen Rahmen ge- Reichsversicherungsordnung herausgenommen. Die- schaffen. Im übrigen muß auch die bis zur Vereini- ser Entwurf enthält auch eine Regelung über die Er- gung der beiden Teile Deutschlands in den neuen weiterung des Unfallversicherungsschutzes auf alle Bundesländern geltende Regelung berücksichtigt Tageseinrichtungen für Kinder. Die Regelung ist werden. identisch mit der, die der Bundesrat vorgeschlagen hat. Das heißt im einzelnen, daß nicht nur die Kinder- gärten, sondern auch die entsprechenden Angebote Nachdem nunmehr das Inkrafttreten des SGB VII für Kinder unter drei Jahren und für Kinder im Schul- absehbar ist, ist es aus unserer Sicht sinnvoller, die alter - also etwa die Horte - in ihrer bildungs- und beschriebene Regelung für Kindertagesstätten im sozialpolitischen Bedeutung zunehmen. Zusammenhang mit der Neuregelung des gesamten Unfallversicherungsrechts zu beschließen und nicht, Die Aufgabe aller Tageseinrichtungen umfaßt nach wie vom Bundesrat vorgeschlagen, noch als eine Än- dem SGB VIII nicht nur die Betreuung, sondern ins- derung der alten Reichsversicherungsordnung. Aber besondere auch die Bildung und Erziehung des Kin- in diesem Punkt sollten wir schon in der Lage sein, des. Die Hortkonzeption war bisher stark von der uns einig zu werden. Schularbeitshilfe und von der Beaufsichtigung ge- prägt. Heute hat der Hort einen eigenständigen Er- Vielen Dank. ziehungs- und Bildungsauftrag; er soll mit der Schule (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge eng zusammenarbeiten. ordneten der SPD) Die landesrechtlichen Regelungen zum SGB VIII sehen die Möglichkeit der Zusammenfassung von Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Damit haben Kindern unterschiedlicher Altersgruppen ausdrück- wir die Gelegenheit, dem Kollegen Rudolf Meyer zu lich vor, was eine eindeutige Abgrenzung der Ein- seiner ersten Rede zu gratulieren. richtungen nach dem Alter der betreuten Kinder praktisch gar nicht mehr zuläßt. Zum Teil werden die (Beifall im ganzen Hause) Krippen zugunsten der altersgemischten -Gruppen Außerdem halten sich alle Redner vorbildlich in der ganz aufgegeben. Für alle Tageseinrichtungen gibt Zeit. es einen Erlaubnisvorbehalt bzw. eine Aufsicht. In al- len Tageseinrichtungen stellen Erzieherinnen mit Ich rufe jetzt die Kollegin Rita Grießhaber auf. Fachschulausbildung den Hauptteil der do rt tätigen Personen. Rita Grießhaber (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Auch die besondere Bedeutung, die die Kinderta- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach- geseinrichtungen in den neuen Bundesländern dem ich nun gehört habe, daß das die erste Rede des schon länger hatten, beeinflußte seit der Einheit Kollegen Meyer war, verstehe ich, warum wir über- Deutschlands die sozialpolitische Bewe rtung dieser haupt diese Debatte hier führen. Mir war nämlich Einrichtungen. Unfälle von Schülern bei der Teil- vollkommen unklar, wieso wir dieses versicherungs- nahme an der Tageserziehung wurden aus der So- technische Problem überhaupt mit einer Aussprache zialversicherung der ehemaligen DDR entschädigt. im Plenum behandeln. Aber wenn man Gelegenheit Für Unfälle in anderen Kindertagesstätten gab es ei- für Reden braucht, dann kommt natürlich auch so et- nen vergleichbaren Haftpflichtschutz. Unbefriedi- was auf die Tagesordnung. Ich habe inzwischen Ver- gende Ergebnisse hinsichtlich des Versicherungs- ständnis dafür. schutzes auf dem Heimweg von der Schule ergeben Ich mache es wie der Herr Kollege Gilges. Ich be- sich jetzt z. B. auch dann, wenn der Zusammenhang grüße die Initiative aus Sachsen und habe den Aus- mit dem Schulbesuch durch einen dazwischen lie- führungen nichts mehr hinzuzufügen. Ich denke, wir genden und dann unversicherten Hortbesuch nicht sollten es so schnell wie möglich machen, und die mehr gegeben ist. Bundesratsinitiative ist nun einmal die, die die Nase vorne hat. Also machen wir es so. - Das war es. Diese angeführten Gesichtspunkte, insbesondere aber die vergleichbare pädagogische Zielsetzung Vielen Dank. und die allgemeine Einbindung aller Tagesstätten in die Komponenten Betreuung, Bildung und Erzie- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, hung durch das SGB VIII, sprechen gegen eine Be- der CDU/CSU und der PDS) grenzung des Unfallversicherungsschutzes auf Kin- dergärten. Insofern gibt es also auch hier die volle Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich erteile das Zustimmung unserer Fraktion zu dem Anliegen, das Wort dem Abgeordneten Uwe Lühr. in dieser Initiative zum Ausdruck kommt. Was aber nun die Verwirklichung dieses Anliegens Uwe Lühr (F.D.P.): Frau Präsidentin! Sehr geehrte angeht, müssen wir uns die Frage stellen, ob es sinn- Kolleginnen und Kollegen! Auch ich könnte es ganz, voll ist, jetzt noch eine Änderung der Reichsversi- ganz kurz machen, weil dem nichts hinzuzufügen ist. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 3045 Uwe Lühr Trotzdem möchte ich in einem sehr kurzen Redebei- Ich bedanke mich. trag - das verspreche ich Ihnen - unsere Position dar- stellen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Dem Inhalt des Gesetzentwurfs des Bundesrates Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat kann man natürlich nur zustimmen. Wer wollte wi- jetzt die Abgeordnete Rosel Neuhäuser. dersprechen, daß es sinnvoll und zweckmäßig ist, die Besuche von Kinderkrippen und Kinderhorten ebenso unter den Schutz der gesetzlichen Unfallver- Rosel Neuhäuser (PDS): Frau Präsidentin! Meine sicherung zu stellen wie auch die der Kindergä rten? Damen und Herren! Auch ich möchte es ganz kurz machen. Es ist eigentlich nur konsequent, daß die Wenn davon ausgegangen wird, daß der prozen- Bundesratsinitiative jetzt vorliegt, eine einheitliche tuale Anteil von Hortbesuchern in den alten Bundes- Regelung für die Unfallversicherung der Kinder zu ländern gemessen an der Gesamtbevölkerung gerin- treffen und damit auch die Funktionsfähigkeit und ger ist als in den neuen Bundesländern, in denen die die Handlungsspielräume der entsprechenden Ein- Ganztagsbetreuung von der Krippe über den Hort richtungen zu verbessern. Deshalb unterstützen wir und die Schule selbstverständlich war, dann, glaube diese Initiative und werden an diesem Gesetzentwurf ich allerdings, ist diese Prognose falsch. tatkräftig mitarbeiten. In den alten Bundesländern wächst eine Genera- Danke. tion in Kindergärten heran, die im Gegensatz zu frü- her häufiger in Ganztagseinrichtungen unterge- (Beifall bei der PDS) bracht ist. Das sind Kinder von Eltern, die oft beide berufstätig sind, es sein wollen oder es auch sein Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Damit sind wir müssen. Während weiterführende Schulen in vielen beim letzten Redner in der Debatte. Das ist der Parla- Städten und Gemeinden Ganztagseinrichtungen mentarische Staatssekretär Rudolf Kraus. sind, gilt das für die Grundschulen nicht. Für die den Kindergärten jetzt entwachsenen Kinder im Grund- Rudolf Kraus, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- schulalter besteht zukünftig eine Betreuungslücke, nister für Arbeit und Sozialordnung: Frau Präsiden- die in vielen Kommunen dazu führen wird, daß Hort- tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch plätze geschaffen und in der Zeit bis dahin die Kin- ich werde die Debatte nicht verlängern. In der Sache der in altersgemischten Gruppen im Kinderga rten sind wir uns alle einig. Ich bitte wie meine Vorredner betreut werden müssen. Die Zahlen werden eher ebenfalls darum, diesen Komplex anläßlich der Ver- noch steigen, wenn die Garantie auf einen Kinder- abschiedung unseres Sozialgesetzbuches VII mit ver- gartenplatz in allen Bundesländern entsprechend arbeiten zu können. den Beschlüssen umgesetzt wird. Ich bedanke mich. 26 DM pro Kind soll der Versicherungsschutz ko- sten, so eine überschlägige Berechnung. Das läuft zu (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ganz ansehnlichen Beträgen auf. Davon sollen laut Gesetzentwurf 5 % vom Land und 95 % von den Ge- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Damit schließe meinden getragen werden. ich die Aussprache. Für den Bund entstehen keine nennenswerten Der Ältestenrat schlägt Überweisung des Gesetz- Belastungen, da er nur in Einzelfällen als Träger entwurfs auf Drucksache 13/373 an die in der Tages- für die von der Neuregelung erfaßten Tagesein- ordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu richtungen auftritt. anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. So wird in der Vorlage ausgeführt. Das ist richtig so, Dann ist die Überweisung so beschlossen. aber wir sind wieder dabei, ein Gesetz zu Lasten Dritter zu formulieren, ohne daß der Bund die Finan- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf: zierung sichert. Dies ist zwar keiner der Fälle, in de- Beratung des Antrags des Abgeordneten Man- nen wir den Kommunen neue Aufgaben zuweisen, fred Such und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE ohne die notwendigen Finanzmittel zur Verfügung GRÜNEN zu stellen - es handelt sich vielmehr um die eindeu- tige Zuständigkeit der Gemeinden, diese Kinder ge- Transparenz über Reisen des Bundestages ge- nauso unter Versicherungsschutz zu nehmen wie die genüber den Steuerzahlerinnen und Steuer- Kindergarten- oder Schulkinder bisher auch -, den- zahlern (II.) noch sprechen wir über künftige zusätzliche finan- - Drucksache 13/1014 - zielle Belastungen der Gemeinden. Überweisungsvorschlag: Anfang Mai hat das Bundeskabinett den Entwurf Ältestenrat (federführend) des Sozialgesetzbuches SGB VII beschlossen, der in- Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord- haltsgleiche Regelungen enthält. Der Gesetzentwurf nung ist dem Bundesrat am 12. Mai dieses Jahres zugelei- Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die tet worden. Wir halten es deshalb für sachdienlich, Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei den vorliegenden Gesetzentwurf nicht parallel zum die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fünf Minu- SGB VII zu beraten, sondern die Entwürfe im Aus- ten erhalten soll. - Ich sehe keinen Widerspruch. schuß unverzüglich zusammenzuführen. Dann ist das so beschlossen. 3046 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Ich eröffne die Aussprache. Das Wo rt hat der Ab- Erstens. Wenn ich sage, wir können die Erforder- geordnete Manfred Such. lichkeit von Reisen begründen, hakt dies derzeit lei- der daran, daß auch uns Abgeordneten die dafür not- wendigen Informationen nicht erteilt werden. Ich Manfred Such (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich zitiere: kann also heute in meinem Wahlkreis leider nicht er- „Müssen Abgeordnete wirklich soviel reisen?" läutern, daß die Delegation eines Ausschusses aus ei- nem bestimmten Anlaß mit soundso vielen Teilneh- „Mongolei, Moskau, Tokio, China und Indonesien" - „fast 600 Parlamentarier-Reisen in zwei Jahren", mern und den und den Kosten in einem bestimmten „rund um den Globus". „Abgeordnete im Reisefie- Zeitraum in ein Land gereist ist, um dort ein deut- ber" ... „besuchte Bruder in Afrika" - „der Steuer- sches Problem darzustellen oder zugleich Informatio- zahler blecht". „Dabeisein ist alles." „Abgeordnete nen zur Beratung einer bestimmten Vorlage oder ei- reisen gern, das lassen sie sich auch nicht vermiesen. " nes Problems einzuholen. Solche Zusammenhänge, auf Grund derer sich jeder eine fundie rte Meinung (Konrad Gilges [SPD]: Aber Reisen bildet über Sinn oder Unsinn der betreffenden Reise bilden doch! Oder wollen Sie nicht gebildet sein?) könnte, vermag ich leider nicht herzustellen, weil derartige Bezüge in den zweijährlichen Berichten - Natürlich. der Präsidentin nicht mitgeteilt werden. So und ähnlich lauten wiederkehrend die Schlag- zeilen, wenn Medien über Dienstreisen von Politi- Bisher wurden in dem Bericht lediglich Reisean- kern berichten. Da ist von ,,Polit-Tourismus" und zahl, Gesamtkosten und Zielländer aufgeführt. Unse- „Lustreisen" die Rede, sogar von Alkoholexzessen rem Antrag zufolge sollen die Angaben über An- und Sexorgien, lässe, Zwecke, Ziele, Dauer, Teilnehmer, Kosten und politische Umsetzung von Reisen einzelnen Vorha- (Lachen bei der CDU/CSU) ben zugeordnet werden. Nur dann wird meiner und immer wieder wird die um Reisen gemachte Ge- Überzeugung nach eine fundie rte Beurteilung mög- heimniskrämerei angeprangert. Die damit gemeinte lich. Zögerlichkeit des Bundestages, offen über Reisetä- tigkeit zu informieren, hat meines Erachtens direkt Zweitens. Wenn auch die Reisetätigkeit grundsätz- diese drastische A rt der öffentlichen Berichterstat- lich begründbar ist, so sehe ich doch gewisse Aus- tung zur negativen Folge. nahmen beim Zustandekommen oder bei der Durch- führung einzelner Projekte. Der Antrag meiner Fraktion zielt nun darauf ab, diesen bedauerlichen Zusammenhang aufzulösen. Ich frage mich, ob sich der Bundestag auch in sei- Die Reisetätigkeit soll denjenigen transparent ge- nem öffentlichen Ansehen einen Gefallen tat, als macht werden, die die Kosten hierfür aufzubringen etwa zu Ende der letzten Wahlperiode vielfach Kolle- haben. Und das sind die Steuerzahlerinnen und ginnen und Kollegen, deren Ausscheiden aus dem Steuerzahler. Hohen Hause damals schon feststand, Delegationen Ich frage Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen: Was zu Recherchen ins Ausland anführten, so daß das von der „Abschiedsreise" aufkam. hindert uns daran, mit diesem Thema offener umzu- böse Wort gehen? Haben wir bei unseren Dienstreisen etwas zu Auch wenn auf solchen Reisen gerade zu touri- verbergen? Bedarf etwas der Geheimhaltung? stisch interessanten Zielen wiederkehrend Ehegatten Es muß doch eine selbstverständliche Sache sein, mitgenommen oder aber Verwandte im Zielland be- den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern und unse- sucht werden, kann dies verständliche Irritationen ren Wählerinnen und Wählern zu ermöglichen, sich verursachen. selbst eine Meinung über die Tätigkeit der Volksver- treter einschließlich Kosten und Nutzen zu bilden, Wir sollten uns also ehrlich und kritisch prüfen, in- und zwar auf Grund offengelegter Fakten statt nur wieweit ein touristisches Begleitprogramm auf sol- an Hand drastischer Schlagzeilen, wie ich sie eben chen Reisen erforderlich ist. zitierte. Ich würde mich freuen, wenn wir uns im Verlaufe Ich meine, wir haben nichts zu verbergen und kön- der weiteren Beratungen derlei Ungereimtheiten of- nen grundsätzlich die Notwendigkeit von Auslands- fen eingestehen könnten und daraus künftig eine dienstreisen plausibel begründen. In einer weltwei- noch größere Sensibilität für unseren tatsächlichen ten Informationsgesellschaft voller komplizierter in- Reisebedarf entwickeln würden. Dann hätte der An- ternationaler Bezüge und Abhängigkeiten sind Er- trag meiner Fraktion bereits ein wichtiges Ziel er- fahrungen und persönliche Kontakte auch jenseits reicht. nationaler Grenzen unerläßlich, um einerseits unsere Aufgaben hierzulande zu erfüllen und um anderer- Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren. seits deutsche Gegebenheiten do rt erklären und er- läutern zu können. Das sage ich hier in aller Deut- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lichkeit, um Mißverständnissen entgegenzutreten, und bei der PDS) die Bündnisgrünen wollten keine Auslandsdienstrei- sen mehr. Es sind jedoch folgende Einschränkungen zu ma- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat chen. jetzt Kollegin Baumeister. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 3047

Brigitte Baumeister (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Brigitte Baumeister (CDU/CSU): Bitte. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute über einen Antrag der GRÜNEN, der in ähnlicher Form schon einmal vorlag. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Bitte, Herr Such. Herr Kollege Such, Sie fragen: Müssen Dienstrei- (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau sen für Abgeordnete sein? Ich möchte Ihnen darauf Manfred Such Kollegin, ist Ihnen aufgefallen, daß Sie meinen Aus- uneingeschränkt antworten: Ja. Sie müssen sein, führungen bisher in keiner Weise widersprochen ha- weil Abgeordnete des Deutschen Bundestages viel- ben, sondern daß Sie lediglich bestätigt haben, was fältige Aufgaben zu erledigen haben. Sie müssen da- ich gesagt habe? Ich würde mich freuen, wenn Sie für sorgen, daß eine sachgerechte Gesetzgebung er- jetzt einmal darauf eingingen, wie man diese Reise- folgt, und haben auch die Aufgabe, eine effektive tätigkeit der Bevölkerung transparenter machen Kontrolle der Regierung vorzunehmen. Wenn in die- kann. sem Hohen Hause demnächst eine Debatte über La- teinamerika abgehalten wird, ist es, so denke ich, (Birgit Homburger [F.D.P.]: Frage!) wichtig, seine Erfahrungen und Kenntnisse mit ein- bringen zu können. - Ich möchte konkret die Frage stellen: Sind Sie be- reit, das in Ihren weiteren Ausführungen zu tun? (Manfred Such [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Nichts anderes habe ich gesagt, Frau (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Kollegin!) Viele Fragen politischer, ökologischer und ökono- Brigitte Baumeister (CDU/CSU): Herr Kollege mischer Art sind heute international bedingt bzw. be- Such, ich glaube nicht, daß Sie mir als Mitglied des dingen internationales Handeln. Deshalb müssen un- Deutschen Bundestages Vorhaltungen zu machen sere Erfahrungen einfließen. haben, wie ich meine Rede aufbaue. Vielen Herausforderungen sind unsere einzelstaat- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so lichen Regelungen überhaupt nicht mehr gewach- wie des Abg. Wolf-Michael Catenhusen sen. Es bedarf eines internationalen Zusammenwir- [SPD]) kens: bilateraler Art, im Verbund der Europäischen Im übrigen darf ich darauf hinweisen, daß meine Union, oder gar globaler Art, um hier zu guten Er- Redezeit noch längst nicht abgelaufen ist und ich Ih- gebnissen zu gelangen. - nen noch einiges zu berichten habe. Insofern lasse Herr Such, ich möchte auf ein Beispiel zurückkom- ich mir hier von Ihnen keine Vorhaltungen machen. men, das Ihnen ganz besonders am Herzen liegt: Ich (Julius Louven [CDU/CSU]: Eine Arroganz möchte auf die Überprüfung der Einhaltung der ist das, die hier an den Tag gelegt wird! - Menschenrechte verweisen. Gerade hier bietet es Gegenruf des Abg. Manfred Such [BÜND sich doch an, vor Ort Erkenntnisse zu sammeln und NIS 90/DIE GRÜNEN]: Von wem denn?) zu überprüfen, wie die Situation tatsächlich aussieht. Am 6. November 1992 wurde eine Beschlußemp- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge fehlung des Ältestenrates im Deutschen Bundestag ordneten der SPD) angenommen, nach der, wie Sie schon berichtet ha- ben, die wesentlichen Daten von Auslandsdienstrei- Reisen für Abgeordnete implizieren im übrigen im- sen zweimal pro Wahlperiode zu veröffentlichen mer einen ungeschönten Einblick in die Wirklichkeit. sind. Das Verfahren funktioniert; es ist eine praktika- In einem Gegensatz dazu stehen die Reisen der Re- ble Regelung. Schon heute gilt, daß Ausschußreisen, gierungsmitglieder, die ganz anderen protokollari- Delegations- oder Einzelreisen, von Abgeordneten, schen Bindungen und Verpflichtungen unterworfen die über die Präsidentin beantragt werden, geprüft sind. werden. Ein wichtiger Grundsatz ist, daß eine Reise Mit der politischen Einheit Deutschlands einherge- stets in sachlichem Zusammenhang mit der Thema- hend, können wir heute beobachten, daß wir deut- tik eines Ausschusses des Deutschen Bundestages lich mehr ausländische Besucher in Bonn haben und stehen muß. Wenn Sie im Auge haben, daß darüber daß damit ein verstärkter internationaler Dialog ver- interfraktionell entschieden wird, können Sie, so bunden ist, der wiederum bedingt, daß Gegenbesu- glaube ich, mitnichten sagen, daß dies nicht sachge- che stattfinden. recht vorgenommen wird. Manche Kontakte im Ausland bedürfen einer sehr In dieses Entscheidungsverfahren - das ist mir sensiblen Behandlung, Herr Such, um überhaupt ei- wichtig - sind die Ausschußvorsitzenden und die Ob- nen Erfolg zu ermöglichen. Deshalb denke ich, daß leute der jeweiligen Fraktionen einbezogen. Diese eine Einzelveröffentlichung hier wenig dienlich, viel- Beteiligung am Antragsverfahren stellt sicher, daß leicht sogar kontraproduktiv wäre. Es ist wichtig, so die Entscheidung auf eine breite Basis gestellt und viel Transparenz wie möglich, aber auch so viel Dis- ausschließlich nach den Grundsätzen sachlicher und kretion wie nötig zu schaffen. fachlicher Notwendigkeit getroffen wird. Nach Ab- schluß einer Reise - auch das mag Ihnen bislang viel- leicht entgangen sein - muß in jedem Fall ein Bericht Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Frau Kollegin, vorgelegt werden. Es besteht eine sogenannte Be- gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Such? richtspflicht. 3048 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Brigitte Baumeister Außerdem gibt es noch die sogenannten Fraktions- wirtschaftlich boomenden Staat in Ostasien wert? Sie reisen. Für die CDU/CSU-Fraktion kann ich sagen, können meist erst nach Jahren die Erfolge messen daß es für uns ein sehr, sehr strenges Antrags- und und dann mit Sicherheit nicht in Geld. Es ist naiv von Genehmigungsverfahren gibt. Jeder Abgeordnete, Ihnen, zu glauben, es gäbe eine äquivalente Wertbe- der im Auftrag der Fraktion eine Dienstreise plant, messung in D-Mark. Durch eine Auflistung der Ein- muß vorher einen Antrag mit einer stichhaltigen Be- zelkosten von Reisen wird - das will ich Ihnen ganz gründung stellen, einen Reiseplan hinzufügen und deutlich sagen - keine einzige Dienstreise sinnvoller diese der Geschäftsführung vorlegen. Die Prüfung gestaltet und kein einziger Reisezweck besser er- des Antrages erfolgt unter Einbeziehung der Ge- reicht. schäftsführung und der zuständigen Arbeitsgruppen. Jedesmal muß das Kriterium erfüllt sein: Die Reise (Birgit Homburger (F.D.P.): Aber der Ver muß im Interesse der Fraktion erfolgen. waltungsaufwand erhöht!) Bei unserer Fraktion landen alle Reiseanträge auf - Der Verwaltungsaufwand wird erhöht. meinem Schreibtisch. Ich zeichne verantwortlich da- für, und ich glaube, daß es auch richtig ist, wenn Die Pflicht zur Veröffentlichung der Kosten und hierfür jemand Verantwortung tragen und letztend- Angaben, wie es die GRÜNEN fordern, ist meiner lich sicherstellen muß, daß eine Reise diesen stren- und unserer Meinung nach auch nicht geeignet, dem gen Kriterien genügt. Mißbrauch vorzubeugen. Ich glaube, daß es überall Mißbrauch gibt. Aber wir, die CDU/CSU-Fraktion, Dienstreisen werden in der CDU/CSU-Fraktion sind aufgeschlossen für jeden vernünftigen Vor- möglichst kostensparend geplant und durchgeführt, schlag, der für die Genehmigung der Reisen dienlich so daß wir den Reiseetat meiner Fraktion in den letz- sein kann. Ich glaube vielmehr, daß eine konse- ten Jahren ganz beträchtlich absenken konnten. quente Anwendung der Vorschriften der Genehmi- Herr Kollege Such, wie sollte die Öffentlichkeit et- gungsverfahren, wie wir sie haben, wichtig ist. was dazu beitragen? Offensichtlich war es für Sie für die von der Präsi- wiederum sehr verlockend, die Stimmung erneut Die Entwicklung der Kosten aufzunehmen und anzuheizen, wenn es um Reisean- dentin genehmigten Dienstreisen in den vergange- gelegenheiten des Deutschen Bundestages geht. nen Jahren ist schon vom Umfang her überhaupt Derartige Schlagzeilen, wie Sie sie vorhin gebracht nicht spektakulär. Nimmt man die Gesamtkosten in haben, entsprechen mitnichten der Wahrheit. An ei- Beziehung zur Zahl der Abgeordneten, so sind im ner solchen Reise habe ich noch nie teilgenommen. Schnitt der vergangenen Jahre etwa 5 000 DM pro Diese Behauptungen dienen nur der Stimmungsma-- Abgeordneten jährlich ausgegeben worden. che draußen und haben eine ganz fürchterliche Ne- Zusammenfassend möchte ich feststellen: Das der- benwirkung. Sie handeln hier wider besseres Wis- zeitige Verfahren der Antragstellung, der Genehmi- sen. Sie bestärken Vorurteile, die draußen vorgenom- gung und der Berichtspflicht ist nach unserer Auffas- men werden, und Sie untergraben letztendlich die sung zur Sicherstellung ordnungsgemäßer Mittelver- Seriosität der Mitglieder unseres Parlamentes und wendung völlig ausreichend. Ich betone an dieser stellen diese in Frage. Stelle noch einmal: Sollten von Ihnen vernünftige (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Vorschläge kommen, so sind auch wir bereit, darüber zu diskutieren, wenn sie zur Verbesserung der Ver- Was wollen die GRÜNEN eigentlich? Zitat des Kol- fahren beitragen. legen Such von den GRÜNEN in der Presse: Wir sollten das Thema insgesamt wieder sachli- Man muß nur die Kosten und Nutzen abwägen cher, vorurteilsfreier und ohne Mißtrauen angehen. und zunächst alle anderen Informationsquellen Wir sollten hier nicht der Versuchung unterliegen, am Ort ausschöpfen. dem sonst so geliebten Thema Datenschutz entge- Das klingt gut, aber ich darf Ihnen sagen: Das ist Un- genzuwirken, sondern versuchen, die Öffentlichkeit sinn. Selbstverständlich werden von jedem Abgeord- zu gewinnen, indem wir mehr sachliche Informatio- neten und jeder Abgeordneten alle möglichen Infor- nen nach außen tragen. mationsquellen in Anspruch genommen. Aber in Wirklichkeit geht es bei Reisen doch um etwas ganz Wir lehnen aus diesem Grunde den Antrag der anderes, um viel mehr: um Informationsbeschaffung, GRÜNEN ab; denn ich meine, daß er nur auf eines um Meinungsfindung vor Ort, um Kontaktaufbau zielt, nämlich auf Effekthascherei. und Gesprächsaustausch. Dies kann meiner Mei- nung nach nur ein persönliches Zusammentreffen Die letzte Konsequenz des Antrages der GRÜNEN liefern. könnte auch nach einem Zitat von Eugen Roth inter- pretiert werden: „Die besten Reisen - das steht fest - Auch die Forderung von Herrn Such nach einer sind die oft, die man unterläßt." Das, meine Damen Kosten-Nutzen-Gegenüberstellung geht in die fal- und Herren, kann aber für uns Abgeordnete sicher- sche Richtung. Nutzeffekte von Delegationsreisen lich nicht der richtige Weg sein. Wir brauchen Abge- lassen sich nicht in Geldbeträgen ausdrücken. Was ordnete, die Probleme und Fragen nicht im Glashaus ist z. B. der Einsatz für freiheitliche Demokratie wert? diskutieren. Wir brauchen Abgeordnete, die sich in- Was will man, was soll man für umweltpolitische In- formieren. Aber wir brauchen auch Abgeordnete, die formation vor Ort ausgeben? Wieviel ist der Betrag sich ihrer Verantwortung bewußt sind und dement- zum Aufbau einer Handelsverbindung mit einem sprechend die Reisen unternehmen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 3049 Brigitte Baumeister Vielen Dank. gen sollen. Da kann ich Ihnen sagen: Das ist doch et- was verwegen und realitätsfremd. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so wie der Abg. Katrin Fuchs [Verl] [SPD]) (Katrin Fuchs [Verl] [SPD]: Er hat eben keine Ahnung!) Ich habe mich seit 1984 in den USA über die Regu- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat lierung der Gentechnik informiert. Ich war 1989/90 in jetzt der Abgeordnete Catenhusen. diesem Hause Berichterstatter für das Gentechnikge- setz. Man muß auch in Hintergrundwissen investie- ren, das man bei wichtigen politischen Fragen in die- Wolf - Michael Catenhusen (SPD): Frau Präsidentin! sem Lande nutzen kann, und man sollte nicht erst Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir haben dann reisen, wenn wir unmittelbar vor Entscheidun- keine Schwierigkeit, die Notwendigkeit von Reisen gen stehen. für Abgeordnete sinnvoll zu begründen. Wir leben in einer immer stärker vernetzten und zusammenwach- (Beifall bei der SPD, der F.D.P. sowie bei senden Welt, und wir wissen, daß internationales, Abgeordneten der CDU/CSU) auch globales Handeln immer wichtiger ist, wenn wir Der Perfektionismus in Ihrem Antrag, Herr Such, unsere Probleme hier vor Ort erfolgreich angehen ist meiner Ansicht nach etwas politikfremd. Ich können wollen. Das gilt für die Bekämpfung der Ar- glaube, auch viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen in beitslosigkeit ebenso wie für unsere Klimaprobleme. der eigenen Fraktion können an solchen Punkten Das gilt für die Frage technologischer Wettbewerbs- nur den Kopf schütteln. fähigkeit ebenso wie für die Bekämpfung von Krimi- nalität. Ich denke, die Entscheidungsträger unseres Es ist für mich mittlerweile ungemein hilfreich, ei- Landes wissen dies genau. nen Anruf bei einem amerikanischen Kongreßkolle- gen zu tätigen, wenn es etwa um Fragen der Nicht- Denn Reisen sind unverzichtbar für die Spitzenver- verbreitungspolitik und der Rolle der Bundesregie- treter der Wirtschaft, für die Wissenschaftler, für Ge- rung dabei geht. Es ist doch auch klar, daß sich aus werkschafter, für viele, die in den Umweltverbänden solchen Reisen und Kontakten Einladungen erge- arbeiten, und ebenso für die Politiker und Politikerin- ben. Warum bin ich wohl vor dem französischen Se- nen, für Regierungen ebenso wie für uns Abgeord- nat als Sachverständiger zu Fragen der Biotechnik nete. aufgetreten und zu internationalen Kongressen ein- - geladen worden? Weil die Begegnungen vorher statt- Ich arbeite seit 14 Jahren in diesem Haus auf dem gefunden haben, Herr Such. Gebiet der Technologiepolitik und bin an öffentli- chen Debatten und politischen Entscheidungen die- (Manfred Such [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ ses Hauses auf diesem Gebiet, etwa im Bereich der NEN]: Wer spricht sich denn dagegen aus?) Gentechnik, seit über zehn Jahren aktiv beteiligt. - Auf Ihre Rolle komme ich schon gleich, keine Seit 1983 habe ich jedes Jahr für mindestens eine Sorge. Woche die Vereinigten Staaten besucht, und das aus guten Gründen, denke ich. Denn auf dem Gebiet der Ich denke, daß diese Reisen vom Bundestag zu Technikentwicklung, der Innovation sind nun mal Recht finanziert worden sind. Gerade im vereinten die USA weltweit Schrittmacher, nicht nur im Bereich Deutschland müssen wir als Parlamentarier, Herr der Genforschung. Wenn wir uns über Trends der Such, weiter unsere Weltoffenheit zeigen, auch technologischen Entwicklung, über Probleme unse- durch Begegnungen. rer Innovationsfähigkeit Klarheit verschaffen wollen, (Jörg van Essen [F.D.P.]: Sehr richtig!) ist der Vergleich mit den wichtigsten Konkurrenten und Partnern, USA und Japan, für unsere eigene Ar- Daß die deutschen Parlamentarier etwa auf der letz- beit unverzichtbar. ten weltweiten Konferenz der Interparlamentari- schen Union in Barcelona, auf Verlangen der Koaliti- Natürlich habe ich mich in Washington nicht nur onsfraktionen, gefehlt haben, hat bei vielen ausländi- mit Experten der Ministerien oder mit Parlamentskol- schen Kolleginnen und Kollegen zu Unverständnis legen getroffen. Natürlich bin ich auch in die Labors, geführt - in die Unternehmen gegangen und habe dabei ver- sucht, ein Stück der gesellschaftlichen Wirklichkeit (Katrin Fuchs [Verl] [SPD]: Ja!) dieses so wichtigen Landes kennenzulernen. Am Unverständnis darüber, daß das größer gewordene Samstag und Sonntag habe ich nicht von morgens Deutschland anfängt, sich bei internationalen Treffen bis abends nach Gesprächspartnern gesucht; denn von Parlamentariern zurückzuziehen. auch Amerikaner und Amerikanerinnen haben ein Wochenende. Es ist vertretbar, wenn wir uns an die- Daß Sie, Herr Such, und Ihre Fraktion in Wahrheit sen Tagen erholen. Aber das muß nicht am Montag ja auch aufgeschlossen sind, zeigt sich z. B. daran, und Dienstag sein. daß ein Mitglied Ihrer Fraktion auf Grund der Vertei- lung der Sitze im Normalfall pro Periode dreimal so Ich denke, daß diese Investitionen notwendig wa- häufig reist wie ein sozialdemokratisches Mitglied ei- ren. Herr Such, Ihr Antrag sieht vor, daß wir zwei nes Ausschusses. Wenn Sie alle zwei Ausschußmit- Monate nach einer Reise in einem Rechenschaftsbe- gliedschaften haben - das ist bei uns so gut wie nie richt die Umsetzung von Reiseerkenntnissen offenle- der Fall -, dann beträgt die Quote 1 : 5 bis 1 : 6. Es ist 3050 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Wolf-Michael Catenhusen sehr selten, daß Ausschußmitglieder der GRÜNEN Sie, auch im Interesse Ihrer eigenen Kolleginnen und dieser umfassenden Bürde der Ausschußreisen ins Kollegen, einmal überprüfen, ob nicht auch Sie un- Ausland aus Zeitgründen, weil sie Wahlkreisver- gerechtfertigte Anwürfe, die erhoben werden, zu- pflichtungen haben, nicht nachkommen. Ich begrüße rückweisen sollten. es auch außerordentlich, Herr Such, daß Sie in der Wir sollten diese Frage weiter unten aufhängen Obleutebesprechung im Innenausschuß sehr dafür und auf der praktischen Ebene vorankommen. Ich geworben haben, daß der Innenausschuß eine bin als Parlamentarischer Geschäftsführer meiner Dienstreise nach Australien unternimmt. Fraktion, der SPD, für die Reisen meiner Fraktions- (Beifall der Abg. Birgit Homburger [F.D.P.] - mitglieder zuständig. Bei uns wird die fachliche Not- Jörg van Essen [F.D.P.]: Ja, ganz erstaun wendigkeit einer Dienstreise durch den Sprecher/die lich!) Sprecherin geprüft. Es muß ein Reiseplan vorgelegt werden. Eine Rechenschaftslegung durch Berichte Das finde ich völlig in Ordnung. ist in unserer Fraktion seit vielen Jahren selbstver- Eines muß uns allerdings klar sein: Wir unterneh- ständlich. men diese Reise auf Kosten der Steuerzahlerinnen Ich bitte, Sie selbst einmal zu überprüfen, ob der und Steuerzahler. Wir sind bereit, über Transparenz, wichtigste reformerische Fortschritt, den Sie dem Kontrolle und Rechenschaftslegung auf diesem Ge- Parlament durch Ihren Antrag beibringen wollen, der biet im Ältestenrat zu reden und unsere bisherige ist, daß die Übernachtungskosten und die Kosten für Praxis zu überprüfen. Nur, eine umfassende Reform Mahlzeiten getrennt aufgeführt werden. des Reiserechts, wie Sie das angekündigt haben, kann ich in diesem Antrag nicht sehen. Wir sollten Kolleginnen und Kollegen, ich denke, wir Abge- praktisch überprüfen, ob die Prinzipien, die wir ha- ordneten sollten in dieser Diskussion der Versuchung ben - wir stellen nämlich Anforderungen an Transpa- widerstehen, uns in der Öffentlichkeit zu Kronzeu- renz, an Kontrolle und Rechenschaftslegung -, in der gen pauschaler Abgeordnetenschelte machen zu las- Praxis eingehalten werden. Ich sage auch hier: Diese sen. Anforderungen sollten für jeden Ausschuß dieses Auslandsreisen können wir nun einmal nur in den Hauses in gleicher Weise gelten. Mancher weiß, wo- sitzungsfreien Wochen unternehmen. Oder verlan- von ich rede. gen Sie etwa, Herr Such, diese Reisen in den Sit- Wir sind also bereit, im Ältestenrat über die prakti- zungswochen zu unternehmen? Dazu hätte ich von sche Umsetzung unserer Anforderungen zu beraten Ihnen in den Medien gern auch etwas gehört. und die bisherige Praxis zu überprüfen. Aber- eine umfassende Reform ist nicht notwendig. Ich füge Also, Kolleginnen und Kollegen, ich denke, wir ha- ben in den Grundsätzen vernünftige Regelungen be- hinzu: Eine einzige schwer oder nicht zu rechtferti- schlossen. Wir sollten allerdings auch die Bundes- gende Reise eines Ausschusses oder eines Kollegen kann geeignet sein, all den Kolleginnen und Kolle- tagsverwaltung, etwa auch die Ausschüsse, ermun- Me- gen zu schaden, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben tern, bei diesem Thema unbefangener mit den umzugehen. Wir haben dort nichts zu verber- dringend auf internationale Kontakte angewiesen dien gen. Manchmal ist auch die falsche Zurückhaltung sind. erst der Grund dafür, daß Medien anfangen zu boh- (Beifall des Abg. Johannes Singer [SPD]) ren. Dann kommen Dinge zutage, die meiner Ansicht nach nichts Sensationelles haben. Es wäre schön gewesen, wenn wir in dem bekannten Artikel in der „Bild am Sonntag" auch von Ihnen, Wir können die Diskussion im Ältestenrat fortset- Herr Such, die Aussage gelesen hätten: Jawohl, es ist zen. Herr Such, vielleicht hat ja Ihr Antrag mit der vernünftig, wenn diejenigen, die Menschenrechts- heutigen Debatte schon seinen Sinn erfüllt, weil es politik machen, in den Osterferien nach Haiti fahren, Ihnen möglicherweise nur darum ging, Erwartungen weil sie zu keiner anderen Zeit zwischen Frühjahr an das Thema zu wecken. Aber in der Praxis kom- und Sommer dorthin kommen können. men wir, glaube ich, durch gemeinsame praktische Diskussionen weiter als über Ihren Antrag. Ich habe auf dem Tisch den Antrag eines Kollegen des Innenausschusses für eine Dienstreise zur Dro- Danke schön. genpolitik und der organisierten Kriminalität nach Hongkong. Ich werde diese Reise genehmigen. Sie (Beifall bei der SPD sowie bei der CDU/ ist sinnvoll und unverzichtbar, weil Hongkong eine CSU und der F.D.P.) der Zentralen des internationalen Drogenhandels ist. Es spricht jetzt Herr Such, ich werde aus Ihrer Rolle in dieser Dis- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: der Kollege van Essen. kussion nicht schlau. Ich finde, Sie haben hier eine in vielen Punkten akzeptable Rede gehalten. Aber es ist für mich etwas schwer nachzuvollziehen, daß Sie Jörg van Essen (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine sich im Vorfeld zum Stichwortgeber von pauschalen Damen und Herren! Ich habe meine vorbereitete Anwürfen und pauschaler Kritik an Abgeordneten- Rede zwar hier ans Pult mitgebracht, ich brauche al- reisen haben machen lassen. Herr Such, daß man in lerdings viele der Dinge, die ich mir vorgenommen wichtigen Medien zitiert wird, wenn dieses Thema hatte, gar nicht mehr zu sagen; denn die Kollegin Bau- auf die Tagesordnung kommt, ist natürlich der Preis meister und der Kollege Catenhusen haben die Dinge für die hervorgehobene Position. Vielleicht sollten so dargestellt, wie das auch von mir geteilt wird. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 3051

Jörg van Essen Ich habe in diesem Jahr bisher eine Auslandsreise Reise in einer Pressekonferenz ganz selbstverständ- gemacht, und zwar zusammen mit dem Vorsitzenden lich ist; denn wer etwas macht, was er begründen meiner Fraktion in die USA. Als jemand, der regel- kann, was er nachvollziehbar darlegen kann, der mäßig auch amerikanische Presse liest, muß ich sa- braucht den Kontakt mit der Presse nicht zu scheuen. gen: Für mich war es erstaunlich, wie tiefgreifend der Ich finde, es ist eine ganz vorzügliche Regelung, daß Wandel im amerikanischen Senat war. Das habe ich vorher die Reise vorgestellt wird. eben nicht durch die Beobachtung der Presse, son- (Beifall des Abg. Manfred Such [BÜND dern ausschließlich durch persönliche Kontakte in NIS 90/DIE GRÜNEN]) den Vereinigten. Staaten festgestellt. Das befindet sich jetzt in der Erprobungsphase, und Ein zweiter Punkt war für mich außerordentlich in- ich denke, daß das eine der positiven Änderungen teressant, daß nämlich unsere amerikanischen Kolle- ist. gen praktisch nicht reisen. Das hängt u. a. damit zu- sammen, daß sie ja sehr kurze Wahlperioden haben, Im übrigen, wer eine Reise getan hat, sollte tat- Wahlperioden von zwei Jahren, nach denen sie sich sächlich einen Bericht abgeben, so wie wir es ja be- zur Wiederwahl stellen müssen, so daß sie eigentlich schlossen haben. Das dient auch dem nachträglichen permanent im Wahlkampf sind. Das hat z. B. zur Kon- Nachlesen. Mir ist das z. B. so gegangen: Ich habe im sequenz, daß die meisten von ihnen Europa nach letzten Jahr eine Reise nach Mosambik gemacht. Ich dem Wegfall des Eisernen Vorhanges nie gesehen habe die Notizen über unsere Gespräche, die wir ge- haben und sich deshalb überhaupt keinen eigenen führt haben, noch einmal sorgfältig nachgelesen, als Eindruck von dem gravierenden Wandel machen der Friedensprozeß entgegen meiner Erwartung Gott konnten, der insbesondere in den neuen Demokra- sei Dank erfolgreich gewesen ist. Es war sehr interes- tien im Osten eingetreten ist. Das hat ganz erheblich sant, das an Hand der tatsächlichen Entwicklung zu falschen Beurteilungen geführt, wie man bei die- nachzuverfolgen. Auch diese Neuregelung kann si- sen persönlichen Gesprächen bemerken konnte. cherlich nur begrüßt werden. Das macht für mich mehr als deutlich, wie wichtig All das sind Dinge, die gerade erst umgesetzt wor- solche Reisen von Parlamentariern sind. Auf den den sind. Ich meine, wir sind sehr gut beraten, wenn Wert von persönlichen Kontakten ist von meiner Vor- wir erst einmal eine gewisse Zeit abwarten, ob es rednerin und von meinem Vorredner schon zu Recht sich bewährt hat. Der Vorschlag, den Kollege Caten- hingewiesen worden. Dieser persönliche Kontakt husen gemacht hat, sich etwa zur Mitte dieser Legis- schafft Vertrauen. Insbesondere dann, wenn die Be- laturperiode einmal anzuschauen, was sich bewährt ziehungen zwischen Ländern an Belastungspunkten- hat und was sich nicht bewährt hat, und festzustel- angekommen sind, sind es gerade diese persönlichen len, was man gegebenenfalls ergänzen kann, wird Beziehungen zwischen Abgeordneten, die dazu bei- von mir nachhaltig unterstützt. Ich glaube, das ist der tragen - etwa fußend auf Begegnungen in der Inter- Weg der Vernunft. Genau das, nämlich Vernunft, parlamentarischen Union, in der Nordatlantischen und nicht Populismus, ist hier gefragt. Versammlung und vielen anderen internationalen Gremien -, daß man mit dem anderen Kontakt auf- Vielen Dank. nimmt, daß Dinge ausgebügelt werden können. Al- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so les das macht deutlich, daß wir uns mit unseren Rei- wie bei Abgeordneten der SPD und des sen verdammt nicht zu verstecken haben. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat Kollege Manfred Müller. Die Bürger haben natürlich zu Recht Anspruch auf Transparenz in diesem Bereich. Aber ich meine, auch da ist nicht Effekthascherei, ist nicht populäres Manfred Müller (Berlin) (PDS): Frau Präsidentin! Nachschwätzen von Vorstellungen, die bestimmte Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir Medien haben, angesagt, sondern Ehrlichkeit. Es ist haben die Meinungsbildung in unserer Gruppe auf wirklich Ehrlichkeit angesagt. Dazu gehört z. B., daß Grund des Wortlautes des Antrages am Dienstag die- wir im letzten Jahr weniger gereist sind als im Jahr ser Woche vorgenommen. Ich habe an keiner Stelle zuvor. Das heißt, daß offensichtlich die verschiede- den Hinweis gefunden, daß etwa das sinnvolle Rei- nen Maßnahmen, zu einer Begrenzung der Reisen zu sen, der Meinungsaustausch, der Informationsaus- kommen, durchaus gegriffen haben. Wir sind nicht tausch in Frage gestellt werden. Was verlangt wird, Reiseweltmeister. ist Transparenz. Ich habe bei allen Reden gehört, daß diese Notwendigkeit erkannt wird. Ich verstehe (Zuruf von der SPD: Das war wegen des überhaupt nicht, warum sich die übrigen drei Frak- Wahlkampfes, daß nicht so viel gefahren tionen diesem Antrag nicht anschließen können. Wir wurde!) werden darüber ausführlich im Ältestenrat diskutie- - Ich denke, auch wenn man das hochrechnet, brau- ren. Dabei wird sicher etwas herauskommen, was chen wir uns nicht zu verstecken. auch berücksichtigt, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß wir uns ein großes Vorhaben vorgenommen ha- Transparenz kann der Steuerzahler natürlich zu ben, nämlich die sogenannte Parlamentsreform. Zur Recht von uns verlangen. Deshalb hat es ja auch An- Parlamentsreform gehört auch die erneute Diskus- strengungen dazu gegeben. Sie sind vorgetragen sion über unsere Bezüge, über unsere Altersversor- worden. Ich denke, daß z. B. die Ankündigung einer gung. 3052 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Manfred Müller (Berlin) Wenn wir es nicht schaffen, in der Öffentlichkeit Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Verständnis für unsere Belange auch in diesen Fra- Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei gen zu erzielen, indem wir offenlegen, was wir die Gruppe der PDS fünf Minuten erhalten soll. - Ich warum in welchem Umfang tun und mit welchem Ko- sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. stenaufwand wir Reisen ins Ausland unternehmen, dann wären all die Vorbehalte, von denen gespro- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Ab- chen worden ist und die vor zwei Wochen so übel, geordnete Dr. Winfried Wolf. kann ich sagen, im „Stern" in der Fotoserie darge- (Vorsitz: Vizepräsident Hans Klein) stellt wurden, die von hervorragender Stelle mit ei- nem Teleobjektiv aufgenommen worden ist, ausge- räumt. Wenn wir aus dieser Diskussion heraus wol- Dr. Winfried Wolf (PDS): Herr Präsident! Werte Kol- len, dann müssen wir selber Transparenz, d. h. Öf- leginnen und Kollegen! Vier Jahrzehnte lang wurde fentlichkeit, anbieten. uns erklärt, daß hohe Rüstungsausgaben und explo- dierende Rüstungsexporte Ergebnis der Blockkon- Es soll hier nicht der falsche Eindruck entstehen, frontation seien. Lassen wir die Versprechen, die daß ich mich etwa gegen Reisen ausspreche. Ich nach der Implosion der UdSSR gegeben wurden, und halte Reisen und Meinungsaustausch mit uns besu- die Realitäten, mit denen wir seither konfrontiert chenden Auslandsdelegationen für sinnvoll, ja not- sind, Revue passieren. wendig. Deshalb informiere ich heute auch die Öf- fentlichkeit, d. h. alle Interessierten in dieser Öffent- Stichwort Friedensdividende: Tatsächlich wurden lichkeit, daß ich in der kommenden Woche mit dem die Rüstungsetats der NATO-Staaten nur in beschei- 1. Ausschuß einer Einladung nach Rom folgen denem Maße reduziert. Die Jahre 1994 und 1995 sind werde, um mich in Rom über den dortigen Parla- die Jahre mit den ersten neuen Steigerungen dieser mentsbetrieb und die Rechtsstellung unserer italieni- Rüstungsexporte und der Rüstungsetats - so in den schen Kolleginnen und Kollegen zu informieren. USA und in der Bundesrepublik Deutschland. Vielleicht habe ich dann auch die Möglichkeit, auf Nach dem Ende des Kalten Krieges wurden die die besonderen Schwierigkeiten, die wir, die Gruppe weltweiten Rüstungsexporte knapp halbiert, vor al- der PDS, in diesem Deutschen Bundestag mit der lem weil die russischen zusammenbrachen. Doch das Mehrheit in diesem Haus hinsichtlich der Anerken- Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI stellte nung unseres Fraktionsstatus haben, hinzuweisen jüngst fest - ich zitiere -: „Ab 1994 geht es auch hier und mich darüber auszutauschen. Ich werde das, erstmals seit 1987 wieder bergauf." was ich darüber höre, in eine der nächsten -Debatten möglicherweise einbringen. Nach dem Golf-Krieg versprach der damalige US- Präsident George Bush eine massive „konventionelle Deshalb unterstützen wir den Antrag des BÜND- Abrüstung im Nahen und im Mittleren Osten". Das NISSES 90/DIE GRÜNEN. Gegenteil findet statt. Allein die USA haben seither in diesem Raum Waffen für mehr als 60 Milliarden Schönen Dank. DM verkauft. Frankreich lieferte nach Abu Dhabi für (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne 6,5 Milliarden DM 436 Leclerc-Panzer. Das war auch ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ein deutsches Geschäft: Die Antriebe stammen von MTU in Friedrichshafen.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich schließe da- „Nach Rüstung kommt Krieg" - besieht man sich mit die Aussprache. die SIPRI-Statistiken, dann sieht man, daß kaum je eine Losung so treffsicher war wie diese der Frie- Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vor- densbewegung. lage auf Drucksache 13/1014 zur federführenden Be- ratung an den Ältestenrat und zur Mitberatung an Anfang der 80er Jahre führten Iran und Irak die den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Ge- Liste der Waffenimporteure der Dritten Welt an. Da- schäftsordnung vor. Sind Sie damit einverstanden? - nach führten die beiden Länder sechs Jahre lang Dann ist die Überweisung so beschlossen. Krieg gegeneinander. Die Bundesrepublik Deutsch- land war insofern neutral, als sie beide Seiten glei- chermaßen auf- und nachrüstete. Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf: Ende der 80er Jahre lagen die Waffenimporte des Beratung des Antrags der Abgeordneten Iraks an der Spitze der Rüstungseinfuhren der Drit- Heinrich Graf von Einsiedel, Dr. Willibald ten Welt. Alle großen Rüstungsexporteure - US-ame- Jacob, Andrea Lederer und der weiteren Ab- rikanische, sowjetische, britische und deutsche - pro- geordneten der PDS fitierten, und einige profitierten ein zweites Mal im Verbot der Rüstungsexporte und Konversion Golf-Krieg II. der Rüstungsindustrie Ein Blick in die Statistiken könnte uns auch zei- - Drucksache 13/584 - gen, wo „nach Rüstung" die nächsten Kriege produ- ziert werden. In der Dritten Welt könnte dies ein Überweisungsvorschlag: Krieg sein, in dessen Zentrum der Iran steht. Laut SI Ausschuß für Wirtschaft (federführend) PRI gehört dieses Land heute zu den größten Rü- Auswärtiger Ausschuß Rechtsausschuß stungsimporteuren der Dritten Welt. Nach Ansicht Verteidigungsausschuß von Regierungskreisen in Washington und Tel Aviv Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 3053

Dr. Winfried Wolf hilft Bonn dem Iran auf dem Weg zur Atombombe. Danke schön. Ein Krieg gegen den Iran würde - noch mehr als der vorausgegangene gegen den Irak - auch den Cha- (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne rakter eines neuen Stellvertreterkrieges haben. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Auch der nächste Krieg in der europäischen Re- Vizepräsident Hans Klein: Kollege Erich Fritz, Sie gion zeichnet sich ab. Seit mehreren Jahren sind haben das Wort. Griechenland und die Türkei die führenden Impor- teure von Großwaffen. Zu ihrer Herkunft notiert der neueste SIPRI-Report: Erich G. Fritz (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der PDS „Verbot der Neben der Türkei zählt auch Griechenland zu Rüstungsexporte und Konversion der Rüstungsindu- den wichtigsten Abnehmern konventioneller strie" stellt ganz offensichtlich ohne genaue Kenntnis Großwaffensysteme deutscher Herkunft. der Materie populistische Forderungen zusammen und schielt auf die Zustimmung von Gruppierungen, Die Bilanz: Deutsche Waffenexporteure schießen die sich allerdings - das gebe ich gern zu -, ernsthaft wieder weit vorn in der führenden Truppe der Händ- mit diesen Fragen auseinandersetzen, im Unter- ler des Todes mit, und das muß noch schlimmer wer- schied zur PDS. den: Kurz nach der Bundestagswahl hat die Koalition die Liste der Länder, in welche der Expo rt von Gü- Dieses hier vorgelegte Konglomerat ist überhaupt tern verboten ist, die genehmigungspflichtig sind nicht geeignet, auch nur eine der anstehenden Fra- und die auch militärisch eingesetzt werden können, gen im Zusammenhang mit Rüstungsexporten und von 32 auf neun reduziert. der Rüstungsexportkontrollpolitik zu beantworten. Es läßt vor allem erkennen, daß es bei der PDS kei- Werte Kolleginnen und Kollegen, ähnlich wie frü- nerlei außen- und sicherheitspolitisches Konzept here Anträge vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und gibt. von der SPD und zusammen mit Pax Ch risti, mit dem Kommunikationszentrum Idstein, mit der Abrü- (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: stungskampagne des Bundeskongresses entwick- Aber bei Ihnen!) lungspolitischer Aktionsgruppen und mit dem Rü- - Richtig. stungs-Informationsbüro Baden-Württemberg for- dern wir ein Verbot von Rüstungsexporten und die Hier werden einmal mehr Ausstieg, Alleingang Konversion der Rüstungsindustrie. Wir plädieren- für und Planwirtschaft als Allheilmittel gesehen. Wir von ein sofortiges Verbot von Rüstungsexporten in die der CDU/CSU gehen einen anderen, einen verant- Dritte Welt und in die Bürgerkriegsregion Türkei wortlichen Weg, der Probleme im Zusammenhang bzw. in die Vorkriegsregion Türkei/Griechenland. mit Rüstung und Rüstungsexport nicht verkennt, aber darauf gerichtet ist, sie in Zusammenarbeit mit In spätestens fünf Jahren - so unser Antrag - soll unseren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft jede Rüstungsproduktion eingestellt und die Rü- und im Bündnis zu lösen. stungsindustrie auf friedliche Produkte, insbeson- dere im Energiebereich, konvertiert sein. Ich zitiere: Wir haben aus unseren Erfahrungen die Konse- quenzen gezogen und ein kochentwickeltes Kontroll- Kein Wirtschaftsbereich läßt sich ... einfacher system für jede Art von Rüstungsexport entwickelt. auf andere Produktionen politisch umsteuern als Dieses System ist während der letzten Jahre ständig der der Rüstungsindustrie - durch die Ersetzung verbessert und verfeinert worden. Es ist dadurch von militärischen mit zivilen Staatsaufträgen, in- ganz offensichtlich auch wirkungsvoller geworden. dem die Priorität von der äußeren Sicherheit zur Umweltsicherheit wechselt. Wir haben klare Regelungen für Kriegswaffenex- porte. Das Kriegswaffenkontrollgesetz und die So der werte Kollege von der SPD, Hermann Scheer, Grundsätze der Bundesregierung von 1982, die sich der die Konversion der Rüstungsindustrie fordert, um als eine tragfähige und transparente Methode erwie- damit eine Energiewende mit Sonnentechnologie zu sen haben. Diese Instrumente machen es jederzeit erreichen. möglich, auf politische Veränderungen zu reagieren. In der Debatte über Landminen in der letzten Wo- Die Bundesrepublik Deutschland hat die schärf- che führte der Kollege Pflüger sinngemäß aus: Wer sten Regelungen im Außenwirtschaftsgesetz und in alle Minenexporte verbieten wolle, müsse alle Waf- der Außenwirtschaftsverordnung und kann damit die fenexporte verbieten. Der Mann hat recht. Einer muß Exportkontrolle im Dual-use-Bereich restriktiv damit wohl anfangen. Daher plädieren wir vor dem durchführen; sie tut dies auch. Die Anstrengungen Hintergrund der NS-Geschichte, vor dem Hinter- zum Ausbau des Bundesausfuhramtes und des Zoll- grund der gefährlichen Hochrüstung in der Bundes- kriminalinstituts zeigen den Willen der Bundesregie- republik Deutschland und in der DDR bis zum Jahre rung sowie der sie tragenden Koalition, Vorgänge 1989 und vor dem Hintergrund der kriminellen Ver- wie Rabta in Zukunft unmöglich zu machen. Oben- wicklung Deutschlands auch in die Aufrüstung ara- drein haben die Strafverschärfung sowie die neue bischer Staaten dafür, daß die Bundesrepublik Kontrollpraxis dazu beigetragen, daß die Unterneh- Deutschland der erste Kriegsdienstverweigerer sein men lieber einen Antrag zuviel stellen, als sich dem soll. Das heißt, wir müssen mit dem Stopp von Rü- Verdacht auszusetzen, nicht exportfähige Güter aus- stungsexporten anfangen. zuführen. 3054 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Erich G. Fritz Daß dadurch illegale Aktivitäten nicht für immer kooperationsfähig bleiben. Wir wollen, daß wir ge- und ewig ausgeschlossen sind, ist uns allen klar. An- rade über eine Zusammenarbeit auch in diesem Be- erkannt werden muß aber, daß alles denkbar Mögli- reich in Europa zusammenrücken und eine gemein- che getan wird, kriminelle Tätigkeit frühzeitig aufzu- same Außen- und Sicherheitspolitik betreiben. Wer spüren und wirkungsvoll zu unterbinden. sich aus diesem Bereich völlig verabschieden würde, würde auch den Einfluß auf eine solche Politikgestal- Es war schließlich die Initiative der Bundesrepu- tung verlieren. blik Deutschland, im Bereich des Exports von dop- pelt verwendbaren Gütern eine europäische Harmo- Daß die PDS in ihrem Antrag den Begriff der euro- nisierung zu erreichen. Das Ergebnis ist, daß am päischen Rüstungsagentur diskriminierend benutzt, 1. Juli dieses Jahres die EU-Verordnung in Kraft tre- war zu erwarten. Eine solche Agentur würde aber die ten wird. Sie befriedigt sicher nicht alle Wünsche, die Chance einer neuen Form der Zusammenarbeit im wir gehabt haben. Aber sie ist ein Fortschritt; denn Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik eröffnen die Vergemeinschaftung dieser Politik wird dazu bei- und könnte Kontrollmechanismen enthalten, die ver- tragen, daß solche Exporte nach einheitlichen Rege- trauensbildenden Charakter in diesem Bereich hät- lungen behandelt werden. Das ist ein wirklicher Bei- ten. trag zur Verbesserung. So wie die Europäische Gemeinschaft für Kohle Das ist allemal wirkungsvoller, als Formulierungen und Stahl an einer gewissen Stelle der Geschichte wie in dem Antrag der PDS zu finden, die letztlich zu sensibel gemacht und Verständnis für eine gemein- einer Verlagerung solcher Geschäfte und auch dazu same Politik auf schwierigen Feldern bewirkt hat, führten, daß sich Exporteure dem System, das wir könnte eine europäische Rüstungsagentur nationale jetzt gemeinsam aufgebaut haben, entzögen. Sonderwege verhindern und zu einer wünschens- werten Integration führen. Erst dann hätte Deutsch- Daß es dabei zum erstenmal eine Auffangnorm auf land auch die Möglichkeit, auf das Exportverhalten europäischer Ebene gibt - wenn auch zunächst nur der Mitgliedstaaten der Europäischen Union Einfluß im Bereich der atomaren, biologischen und chemi- zu nehmen. Dieser Weg ist vielversprechender, als schen Waffen -, schätzt wohl niemand in diesem sich auszuklinken. Haus gering ein. Wir hätten eine solche Norm gern auch für andere Bereiche gehabt; das war im ersten Dabei ist eine irgendwie geartete Angst vor einer Schritt aber nicht zu erreichen. Ausweitung deutscher Rüstungsproduktion schlicht weg unsinnig, denn die Entwicklung verläuft umge- Die Bundesregierung hat - auch das ist ein richti- kehrt. Noch nie zuvor ist in Europa soviel abgerüstet - ger Schritt auf dem Weg zu effektiver Rüstungskon- worden wie in den letzten fünf Jahren. trolle - das Waffenregister der Vereinten Nationen initiiert und erreicht. Transparenz ist ein wichtiger Das hat in unserem Land u. a. dazu geführt, daß Pfeiler einer weltweit wirksamen Rüstungsexport- 50 % der Arbeitsplätze in der deutschen wehrtechni- kontrollpolitik. Dieses Instrument ist in den nächsten schen Industrie schlichtweg verschwunden sind. Jahren ausbaufähig. Daß es dabei eine Grenze gibt, die dazu führt, daß Kooperationen nicht mehr möglich sind, daß sinn- Im Bereich der konventionellen Rüstung hat sich volle Gemeinschaftsprojekte mit NATO-Partnern nach dem Ende des Ost-West-Konflikts eine völlig nicht mehr unter deutscher Beteiligung stattfinden, neue Situation ergeben: Der Truppenreduzierung ist bekannt. Deshalb ist unsere Anstrengung auf die und Abrüstung in nie gekanntem Umfang folgte ein Herstellung der Kooperationsfähigkeit mit anderen Abbau in der wehrtechnischen Indust rie. In den NATO-Partnerstaaten gerichtet. planwirtschaftlich geführten Ländern dauert dieser Prozeß wesentlich länger. Daß die PDS in die Mottenkiste ihrer Wirtschafts- politik greift und eine Verstaatlichung der Rüstungs- (Zuruf der Abg. Angelika Beer [BÜNDNIS 90/ industrie fordert, kann eigentlich nur als ein Beitrag DIE GRÜNEN]) zur Bundestagssatire interpretiert werden. Wir brau- - Wissen Sie, selbst Ihre Kollegen, die von dem chen nicht Planwirtschaft, sondern Anpassungsfähig- Thema etwas verstehen, differenzieren bei der Beur- keit in einer Zeit der massiven Umstrukturierung. Zu teilung der vorhergehenden SIPRI-Liste ganz deut- solchen Veränderungen sind Privatunternehmen lich und sagen, daß diese Zahlen auf Grund der Be- sehr wohl in der Lage, nicht aber staatliche Kon- wertung des Exports der ehemaligen NVA-Güter na- zerne. türlich verfälscht sind. Das sollten Sie wenigstens da- Besonders unangebracht finde ich in dem PDS-An- zusagen, damit wir auf einer ehrlichen Grundlage trag die Passage, die der Bundesregierung unter- diskutieren. stellt, sie wolle die restriktive Exportkontrollpolitik Mit dem Zusammenbruch des Kommunismus hat im Bereich von Gütern und Technologien lockern, sich die Notwendigkeit zur Landesverteidigung und die für die Herstellung von atomaren, biologischen zur Zusammenarbeit in der NATO nicht erledigt. Die und chemischen Waffen geeignet sein könnten. Anforderungen der Zukunft werden andere sein. Auf Dabei gibt es gerade über diesen Bereich bei uns jeden Fall ist aber eine wehrtechnische Industrie in überhaupt nichts zu diskutieren. Wir halten an der der Bundesrepublik auch weiter erforderlich. restriktiven Politik fest. Die Haltung der Bundesre- Dabei müßte jedem einleuchten, daß dies in einem gierung und der Koalitionsfraktionen - ich glaube, vereinten Europa keine nationale Angelegenheit überwiegend auch die Haltung der Opposition - in mehr sein kann. Wir wollen bündnisfähig sein und dieser Frage ist eindeutig. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 3055

Erich G. Fritz Darüber hinaus haben wir gerade mit der EU-Ver- Form von Streitkräften mehr haben wollen - das ist ordnung einen weiteren Schritt gemacht, der das nämlich die Konsequenz, wenn man jegliche Rü- auch absichert; denn wir haben jetzt die entspre- stungsproduktion einstellt; das hätten Sie in den An- chenden europaweiten Regelungen. trag hineinschreiben sollen -, oder Sie wollen ernst- haft ein System einführen, bei dem wir alle Waffen Die Durchsetzung der Kontrollpraxis in diesem für die Streitkräfte, die wir weiterhin unterhalten, Bereich ist allerdings, wie man vielen Informationen kaufen. Das dürfte nicht zu finanzieren sein. des Wirtschaftsministeriums entnehmen kann, schwieriger geworden, weil sich die Nachfragelän- Es findet sich ein eigenartiger Widerspruch in Ih- der auch der verschärften Kontrollpraxis anpassen. rem Antrag, der ihn unterhalb Ihrer Möglichkeiten Deshalb muß man Wert darauf legen, daß die Instru- läßt, wenn Sie die öffentliche Kontrolle über und das mente zeitgemäß bleiben und daß mit Hilfe der Dien- öffentliche Eigentum an der Rüstungsindustrie for- ste und des Zollkriminalinstituts frühzeitig Aufklä- dern und wenige Zeilen später auf solche Ereignisse rung betrieben wird, um solche Expo rte zu verhin- wie die Involvierung des Staatskonzerns Salzgitter in dern. den Rabta-Vorgang oder die Involvierung der Preus- sag bei der irakischen Aufrüstung hinweisen. Ich Rüstungsexport, meine Damen und Herren, hat po- frage: Was versprechen Sie sich dann also von der litische, wirtschaftliche, aber auch ethische Aspekte. staatlichen Kontrolle, wenn das das Agieren von Die Politik der Union und der Koalition ist so gestal- staatskontrollierten Unternehmen ist? tet, daß sich die drei Aspekte verantwortlich mitein- ander vereinen. (Zuruf von der F.D.P.: Eine sehr berechtigte Frage!) Daß die PDS Bedarf hat, die ethischen Defizite der SED-Vergangenheit aufzuarbeiten, die von der Auf- - Das glaube ich auch, daß das eine berechtigte rüstung der Dritten Welt bis zur Unterstützung des Frage ist. Terrorismus reichten, ist einzusehen. Mit solchen An- trägen wird ihr das aber nicht gelingen. Die Einsicht Deswegen nehme ich Ihren Antrag eher zum An- in die Zusammenhänge ist bei den Bürgern viel grö- laß, um noch einmal einige grundlegende Ausfüh- ßer, als es die PDS vermuten kann. Das hat sich übri- rungen zu diesem Bereich zu machen. Ich muß aller- gens auch bei den Landtagswahlen am Sonntag in dings sagen, Kollege Fritz: Ich komme zu nicht ganz Bremen gezeigt. so harmonischen Darstellungen wie Sie. Herzlichen Dank. Die Sozialdemokraten verfolgen, wie es auch in dem Antrag des Wiesbadener Parteitags vom No- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) vember 1993 niedergelegt ist, folgende Grundkon- zeption: Wir wollen auf Rüstungsexporte in Staaten Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kol- außerhalb der NATO verzichten und verlangen lege Gernot Erler. ebenfalls einen Endverbleib von gelieferten Waffen im NATO-Gebiet. Wir wissen, daß man mit höheren Strafen bei Verstößen gegen die Exportregelungen Gernot Erler (SPD): Herr Präsident! Meine Damen vorgehen muß, wenn man Erfolg haben will. Wir ha- und Herren! Der hier zur Debatte stehende PDS-An- ben in der Tat wesentlich konkretere Vorschläge zur trag will in der Tat die grundsätzliche Beendigung Konversion vorgelegt, als das in diesem Antrag der von Kriegswaffenexport, und zwar sofort für alle Län- Fall ist. Wir haben ebenfalls das Ziel, eine wirkungs- der außerhalb der NATO und der Europäischen volle Kontrolle innerhalb des gewachsenen europä- Union sowie für Griechenland und die Türkei und für ischen Binnenmarktes auch für Dual-use-Güter zu alle NATO-Länder in einer A rt Stufenplan innerhalb erreichen. von fünf Jahren. Er wi ll eine restriktivere Handha- bung der Kontrolle von Dual-use-Gütern. Er wi ll eine Diese Ziele haben wir durch zahlreiche Initiativen, Ausweitung des UN-Waffenregisters, und er möchte Anträge und Anfragen im Deutschen Bundestag ver- als ein Mittel der Kontrolle eine Form des öffentli- folgt; liebenswürdigerweise haben Sie einige davon chen Eigentums in der Rüstungsindustrie einführen. sogar in Ihrem Antrag zitiert. Es finden sich auch einige Sätze über eine Gemein- schaftsinitiative „Konversion". Unsere besonderen Sorgen gelten im Augenblick folgenden Punkten: Ein Punkt ist der sich verstär- Insgesamt verbinden sich in diesem Antrag viele kende Waffenexport in Entwicklungsländer. Es ist wenig homogene Vorschläge, teilweise nachvollzieh- eigentlich sehr traurig, daß vor wenigen Tagen eine bare, aber auch teilweise nicht nachvollziehbare. Ich SPD-Initiative im Ausschuß für wirtschaftliche Zu- enthalte mich hier ausdrücklich jeder Polemik gegen sammenarbeit, die auf eine überparteiliche Maß- Ihre Gruppe. Wenn man den Satz in der Begründung nahme abzielte, gescheitert ist. Es ist zwar Tatsache - liest, daß es Ihnen eigentlich um einen historischen übrigens anders, als Sie, Herr Dr. Wolf, es hier ge- Schritt geht - ich zitiere -, um die Beendigung jegli- schildert haben -, daß sich international die Ausga- chen Rüstungsexports als Vorbedingung für die Ein- ben für Rüstung verringert haben, nämlich z. B. 1993 stellung jeglicher Rüstungsproduktion, dann stelle auf 868 Milliarden Dollar - das ist immer noch eine ich fest: Was Sie eigentlich anstreben, sagen Sie of- unvorstellbare Summe; aber diese bleibt um 30 % un- fenbar nicht. Das ist meines Erachtens für ein parla- ter der des Rekordjahres 1987 -, allerdings findet mentarisches Verfahren nicht angemessen. Entweder eine Verschiebung der Rüstungsmärkte statt. Wäh- Sie sagen gleich, daß Sie überhaupt keine Bundes- rend z. B. der Rüstungsexport aus den Ländern Ost- wehr, kein westliches Bündnis, überhaupt keine europas, aus den Ländern der GUS zusammengebro- 3056 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Gernot Erler chen ist - man kann es beinahe so formulieren - und tische Entwicklung in einigen dieser Regionen ist, in den letzten Jahren um 70 % zurückgegangen ist, muß man sagen: Hier ist ohne Not eine Barriere nied- hat er sich in Regionen wie Südasien, Ostasien, riger gesetzt worden, als wir uns das gewünscht hät- Ozeanien und auch dem südlichen Afrika verstärkt. ten. Diese neue Qualität gibt Anlaß zu der Forderung, daß die Bundesregierung viel härter in der Verhinde- Es gibt noch andere Dinge, die uns Sorgen ma- rung von Waffenexporten in Regionen sein müßte, in chen, z. B. daß der Transfer sensitiven Wissens, tech- denen Konflikte herrschen, in Länder, in denen Men- nische Dienstleistungen und alle Transithandelsge- schenrechtsverletzungen geschehen, insbesondere schäfte von der Harmonisierung ausgenommen wur- in arme Länder, die immer noch für teures Geld Rü- den. Hier werden sicher noch weitere Anstrengun- stung kaufen. Es ist schon bedrückend, wenn man gen im Rahmen der Europäischen Union notwendig weiß, daß die sechs Länder, die aus dem Bundes- sein. Wir werden diese Entwicklung sorgfältig zu be- haushalt die meisten Mittel für ihre Entwicklung be- obachten haben. kommen, auch die führenden Waffenimporteure in Abschließend möchte ich noch auf einen Punkt der Dritten Welt sind. hinweisen, nämlich darauf, daß sich neben dem Re- gelwerk die Probleme immer mehr in Richtung der Es ist bedauerlich, daß diese Initiative keinen Er- Exekutive verschieben werden. Es gibt jede Menge folg hatte. Unsere Forderung nach Einstellung des Umgehungsmöglichkeiten oder auch solche Tatbe- Exports von Rüstungsgütern in Entwicklungsländer, stände, wie sie uns in einem Artikel des „Guardian" in Militärdiktaturen und in Krisengebiete bleibt aktu- vom 16. März 1995 vor Augen geführt wurden, wo ell und bleibt berechtigt. wir zur Kenntnis nehmen mußten, daß iranische Waf- fenhändler einen kleinen Flughafen in Schleswig Wir hatten hier vor kurzem eine interessante und Holstein, in Hasenmoor, gekauft haben und ihre Ge- ebenfalls bedrückende Debatte um einen Einzelfall, schäfte jetzt von do rt aus abwickeln. Das sind Dinge, nämlich Indonesien. Wir werden nicht aufhören mit die zeigen, wie weit wir von einem vernünftigen exe- unserer Kritik an den Waffenlieferungen in das kutiven Kontrollsystem entfernt sind und welche NATO-Land Türkei, weil wir die Situation dort ken- Dinge noch auf uns zukommen. nen, weil wir erkennen, daß keine Glaubwürdigkeit gegeben ist, wenn man immer wieder politische Lö- Wir werden unsere Bemühungen in der Richtung, sungen der Probleme innerhalb dieses Landes for- die ich geschildert habe, fortsetzen müssen und mit dert und gleichzeitig in so enormem Ausmaß Waffen Sicherheit weitere Initiativen in diesem Bereich ent- wickeln. dorthin liefert, ganz abgesehen von den innenpoliti-- schen Folgen, die das hat. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Am aktuellsten ist sicherlich der Bereich der EU- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Verordnung zur Harmonisierung von Exportkontroll- ten der PDS) vorschriften im Bereich der Dual-use-Güter. Herr Kollege Fritz, wir erkennen sehr wohl, daß es sinn- Vizepräsident Hans Klein: Kollege , voll und notwendig ist, eine Harmonisierung im euro- Sie haben das Wort. päischen Maßstab herbeizuführen. Wegen der Be- dingungen des Binnenmarktes geht es nicht anders. Paul K. Friedhoff (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Wir haben beobachtet und zur Kenntnis genom- Damen und Herren! „Schwerter zu Pflugscharen" men, in welcher Weise die Bundesregierung versucht war eine der Losungen, die die Opposition in der hat, ihr Exportkontrollregime möglichst für ganz Eu- ehemaligen DDR auf ihre Fahnen geschrieben hatte, ropa einzuführen. Das verstellt uns aber nicht den eine der Losungen, der die Menschen folgten und Blick dafür, daß in einem Punkt ohne Not eine Sen- die schließlich die SED-Diktatur in der DDR zum Ein- kung der Hürde stattgefunden hat. Ich spreche von sturz brachten. Da könnte man schon auf den Gedan- der berühmten Aufhebung der Länderlisten E, H ken kommen, die PDS als SED-Nachfolgeorganisa- und I und der Neuschaffung der Länderliste K, die tion wollte sich mit diesem Antrag noch nachträglich die Kontrolle von nicht gelisteten Dual-use-Gütern in die Reihe der friedlichen Revolutionäre stellen. für konventionelle Waffensysteme regelt. Dieser Be- Uns liegt der Antrag der PDS vor, der in 20 Punkten reich umfaßte früher in der Tat 32 Länder. Jetzt sind die Forderung erhebt, die Rüstungsexporte schritt- es, Herr Dr. Wolf, nicht neun, sondern 13 Länder. weise einzustellen und die Unternehmen, die Rü- stungsgüter produzieren, zu verstaatlichen. Darüber Wenn man sich die Liste aber ansieht, kommt man hinaus formuliert der Antrag Vorschläge zu einer re- zu dem Ergebnis, daß hier offensichtlich Zugeständ- striktiven Kontrolle der Ausfuhr von Dual-use-Gü- nisse an - so möchte ich sagen - Wirtschaftsinteres- tern und enthält die Forderung nach einem sozialver- sen gemacht worden sind, die es natürlich nicht nur träglichen Umbau der Rüstungsindustrie. in Deutschland, sondern auch in Europa gibt. Man hat also vermutet, daß sich hier ein Ungleichgewicht Meine Damen und Herren, in Debatten um Rü- ergibt. Wenn man aber sieht, daß unter den stungsfragen sind die Rollen von Gut und Böse 19 Ländern, die aus der alten Länderliste H gestri- schnell verteilt; die Emotionen gehen hoch, ohne daß chen worden sind, solche sind wie Algerien, die eine nüchterne Analyse vor dem Hintergrund einer Volksrepublik China, der Jemen, Kambodscha, In- Welt, in der Kriege keineswegs abgeschafft sind, er- dien und Pakistan, und wenn man weiß, wie die poli- folgen würde. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 3057

Paul K. Friedhoff Ich denke, wir tun gut daran, den Propaganda- wir alle große Hoffnungen gehegt, vor allem die knüppel im Sack zu lassen und uns statt dessen den Hoffnung auf eine friedliche Welt und auf eine um- Fakten zuzuwenden. Ein totales Exportverbot für fassende Abrüstung. Mit den neuen globalen Per- Waffen, wie von der PDS gefordert, also auch keine spektiven verbanden viele Menschen natürlich auch Ausfuhr in NATO-Staaten und EU-Mitgliedsländer die Hoffnung auf einen Abbau des Militärs, die Hoff- nach Ablauf von fünf Jahren, hätte schwerwiegende nung auf ein Ende des Waffenhandels und auf eine Folgen. entschlossene Konversionspolitik. Das Wo rt von der Friedensdividende machte damals die Runde. Aber Bei der Produktion von Rüstungsgütern bestehen die Welt ist nicht friedlicher geworden. Unzählige re- in Europa intensive und weitreichende Beziehungen gionale und ethnische Kriege sind ausgebrochen. zwischen den Unternehmen aus allen Ländern der Mit Waffenhandel wird weiterhin in dieser Welt Geld NATO-Partner. Angesichts hoher Kosten und knap- verdient. per Kassen macht das Prinzip der Arbeitsteilung auch vor dem Rüstungssektor nicht halt: Rüstungs- In Deutschland wird der Traum von der Großmacht material wird grenzüberschreitend entwickelt und geträumt. Der Bundeswehr wurde als weltweiter Kri- hergestellt und bildet insofern auch einen Beitrag zu seninterventionsmacht ein neuer Sinngehalt einge- einem Sicherheitsverbund. haucht. Statt Zeugen einer Abrüstung sind wir Zeu- gen einer Umrüstung geworden. Wenn wir schon alle Ein Exportverbot, wie es der PDS vorschwebt, Feinde verloren haben - so mag man denken -, dann würde die Zusammenarbeit der Unternehmen fak- wollen wir nicht auch noch die Gewinne aus der Rü- tisch unterbinden und die Ausstattung der Bundes- stungsindustrie verlieren. wehr mit dem notwendigen Wehrmaterial gefährden. Eine einseitige, absprachewidrige Lieferungsverwei- Deutsche Rüstungsexporte haben in den vergan- gerung der deutschen Seite würde auch auf den Sek- genen Jahren zugenommen; auch dies müssen wir tor ziviler Kooperationen abstrahlen und do rt zu Ge- festhalten. Deutschland hat sich einen Spitzenplatz genmaßnahmen führen, die für unsere Exportindu- in der Gruppe der Waffenexporteure gesichert. - strie sehr schädlich wären. Man mag da streiten, ob das der zweite oder der dritte Platz ist. - Statt einer restriktiven deutschen Bereits diese beiden Punkte erwecken bei mir den Rüstungsexportpolitik mußten wir in den letzten Jah- Eindruck, daß der Antrag wohl weniger inhaltlich be- ren gerade im Bereich der Dual-use-Güter beobach- gründet ist, als vielmehr auf die Abschaffung der ten, daß eine Aufweichung der Exportkontrollrege- Bundeswehr und die Auflösung der NATO zielt. Ich lungen auf dem Wege einer sogenannten Harmoni- bin aber sicher, die Bundeswehr und die NATO- ha- sierung auf europäischer Ebene vorgenommen wor- ben Kriege verhindert und nicht gefördert. den ist. Statt aus den im Golfkrieg und in der Türkei (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne gemachten Erfahrungen zu lernen, werden Waffen ten der CDU/CSU) weiterhin in Spannungs- und Krisengebiete expor- tiert. Das Beispiel von der reduzierten H-Liste wurde Noch ein Wort zur Konversion selbst: Wie für alle hier gerade schon erwähnt. Unternehmen in einer Marktwirtschaft gilt auch für die Unternehmen im Rüstungssektor, daß der Struk- In Sachen Konversion läßt die Bundesregierung turwandel infolge der Veränderungen auf den Märk- die Betroffenen im Regen stehen und konzentriert all ten im Unternehmenssektor selbst bewältigt werden ihre Aktivitäten offensichtlich auf das Problem „Wie muß. schiebe ich den Bundesländern den Schwarzen Peter zu?", Die Einrichtung eines speziellen Strukturfonds für (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: die Konversion wäre ein weiterer massiver Staatsein- Der Euro-Jäger ist zu teuer!) griff, der im übrigen völlig überflüssig ist, da im Rah- men des bestehenden strukturpolitischen Instrumen- anstatt sich um neue Konzepte in diesem Bereich zu tariums die Möglichkeit besteht, Mittel auf beson- bemühen. ders betroffene Gebiete zu konzentrieren. Auch die Argumente sind die alten geblieben; sie Insgesamt bleibt festzustellen, daß der Antrag so- wurden hier heute erwähnt und wiederholt. Es wird wohl im Hinblick auf die bündnispolitischen wie auf das notwendige Mindestmaß an rüstungstechno- auch im Hinblick auf die wi rtschaftspolitischen Not- logischen Fähigkeiten auf nationaler Ebene verwie- wendigkeiten den Erfordernissen des Strukturwan- sen. Es wird der Umstand beklagt, daß die Rüstung dels im Rüstungssektor nicht gerecht wird. nun mal so teuer geworden sei, daß sie national prak- tisch nicht mehr zu bezahlen sei, daß man insoweit Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. zu Rüstungskooperation und Rüstungsexporten ge- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne zwungen sei. ten der CDU/CSU) Das Arbeitsplatzargument wird natürlich bemüht, und auch der Wirtschaftsstandort Deutschland wird Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kol- ins Feld geführt. Die Außenpolitiker reden in diesem lege Christian Sterzing. Zusammenhang dann natürlich von Stabilitätstrans- fer und Wahrung nationaler Interessen durch Waf- fenexporte. Christian Sterzing (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Der einzig neue Aspekt von wachsender Bedeu- Kollegen! Nach dem Umbruch in Osteuropa haben tung in diesem Zusammenhang ist die „Europäisie- 3058 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Christian Sterzing rung der Argumente". Europäische Rüstungskoope- NEN in diese Debatte eingeführt hat, daß die Inten- ration - wer kann eigentlich etwas dagegen haben? tion dieses Antrags grundsätzlich unterstützt werde, Europäische Harmonisierung der Exportkontrollen - ebenso bemerkenswert wie bedauerlich. was soll man auch dagegen haben? Aber verschwie- gen wird, daß dies mit einer Aufweichung von Ex- Die Annahme und Umsetzung dieses Antrags portkontrollregelungen verbunden war und daß hätte weitreichende Folgen. Darauf ist in dieser De- diese Regelungen zum Teil dazu dienen, deutsche batte von verschiedenen Kollegen hingewiesen wor- Exportbeschränkungen und -kontrollen auszuhebeln den. Die Stellung der Bundesrepublik Deutschland und zu umgehen. Wir wollen keine Waffenhändler, im Bündnis würde durch eine solche Veränderung auch wenn sie noch so kooperativ sind. Wir wollen der Lage natürlich erheblich beeinträchtigt. Die Si- keinen Waffenhandel, auch wenn er sich noch so cherheit der Bundesrepublik würde insgesamt ge- harmonisch gibt. fährdet. Es würde natürlich - dies ist ganz offenkun- dig ja auch Zweck dieses Antrags - nicht gewährlei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, stet sein, daß die Bundeswehr in den kommenden bei der SPD und der PDS) Jahren jederzeit über eine technologisch mode rne, der jeweiligen Bedrohungslage angepaßte Bewaff- Weil sich so wenig geändert hat, ist der Antrag der nung zeitgerecht verfügen kann. PDS im Grundsatz zu begrüßen, und er ist leider auch aktuell. Wir unterstützen deshalb grundsätzlich Diese Folgen sind der PDS vermutlich durchaus die Intention, die hinter diesem Antrag steckt, ge- bewußt. Sie kann das aus ihrer Position ja auch mit rade auch weil er auf viele ungelöste Konversions- Aussicht auf Folgenlosigkeit hier vortragen, aber probleme hinweist. keine im Amt befindlliche Regierung kann ein sol- ches Risiko auf sich nehmen. Sie könnte dies insbe- Dennoch können wir einigen Punkten nicht zu- sondere gegenüber unseren Soldaten nicht verant- stimmen; denn der Antrag erscheint uns teilweise wi- worten. Es versteht sich insofern fast von selber, daß dersprüchlich. Er geht im Hinblick auf die derzeitige die Bundesregierung diesen Antrag ablehnt. Sie wird Kontrollpolitik nicht weit genug. dies in den kommenden Ausschußberatungen ver- deutlichen, falls es einer Erläuterung überhaupt be- Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege, die Rede- darf. zeit ist abgelaufen. Ich will nur ganz wenige Punkte herausgreifen: Natürlich ist das geforderte totale Exportverbot für Christian Sterzing (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lieferungen von Rüstungsgütern in Drittländer - - Ich komme zum Ende. - Natürlich erscheint uns die mit zeitlicher Verzögerung auch für NATO-Partner- Verstaatlichung der Rüstungsindustrie wirklich un- länder - nicht annehmbar. Daß es nicht realistisch ist, geeignet, die Probleme in den Griff zu kriegen. bedarf keiner umfänglichen Erläuterung. Es hätte Aber wir können eine rüstungspolitische Zwi- nicht nur gravierende Auswirkungen für die deut- schenbilanz ziehen, und die ist traurig. Sie ist traurig, schen Unternehmen - übrigens weit über den Rü- weil sie zeigt, welche historischen Chancen verpaßt stungsbereich hinaus; absehbar auch für zivile Ko- worden sind, - operationen -, sondern es hätte natürlich auch gra- vierende Folgen für die Bundeswehr. Die sind hier dargestellt worden. Ich muß das nicht wiederholen. Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege, Ihre Rede- zeit ist zu Ende! Ich will im übrigen aber doch auch darauf auf- merksam machen, daß man schon ein Mindestmaß an Konsistenz in der politischen Argumentation er- Christian Sterzing (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): - warten können muß. Wir können nicht in der einen und weil sie wenig Hoffnung auf ein Umdenken bei Debatte die Unverzichtbarkeit des Ziels einer Euro- der Bundesregierung gibt. päischen Union auch mit dem Ziel einer Politischen Vielen Dank. Union, also einer handlungsfähigen politischen Ge- meinschaft, beschwören und in der nächsten Debatte (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, den gleichen Zusammenhang mehr oder weniger be- bei der SPD und der PDS) liebig zur Disposition stellen. Zwischen dem einen und dem anderen Ziel bestehen eben nicht auflös- Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile das Wo rt dem bare Zusammenhänge, die man mit einem gewissen Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesmini- Maß an Vernunft und Verantwortlichkeit zur Kennt- ster für Wirtschaft, Dr. Norbe rt Lammert. nis nehmen muß. Ich habe für viele der kritischen Einwände, die der Dr. Norbert Lammert, Parl. Staatssekretär beim Kollege Erler zum gegenwärtigen Zustand von Rü- Bundesminister für Wirtschaft: Herr Präsident! Meine stungsexportkontrollen und -verfahren vorgetragen Damen und Herren! Der Antrag der PDS, mit dem hat, viel Verständnis. Wir müssen uns selbstverständ- wir uns heute abend beschäftigen, ist zwar umfang- lich wechselseitig immer wieder mit dieser notwendi- reich, aber nicht sehr überzeugend. Er zielt weit über gen, kritischen Bestandsaufnahme des Status quo das Verbot von Rüstungsexporten hinaus, letztlich gerade wegen unvermeidlicher Internationalisierung auf die Abschaffung der deutschen Rüstungsgüterin- solcher Vereinbarungen auseinandersetzen, aber wir dustrie. Vor diesem Hintergrund finde ich die Bemer- müssen es auf der Basis einer prinzipiellen Bereit- kung, die der Redner für das BÜNDNIS 90/DIE GRÜ schaft zum Umgang mit Realitäten tun, zu denen so- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 3059

Parl. Staatssekretär Dr. Norbert Lammert wohl die unangenehmen Realitäten des Lebens ge- Der Kollege Staatsminister Helmut Schäfer, die hören, die hier in diesem Zusammenhang beschrie- Kollegin Brigitte Schulte, die Kollegin Angelika Beer, ben worden sind, als auch die von uns gewünschten der Kollege Professor Dr. Rainer Ortleb und die Kolle- politischen Realitäten, die im Bereich der Europäi- gin Andrea Lederer möchten ihre Debattenbeiträge schen Union entweder bereits bestehen oder aus- zu Protokoll geben.*) Besteht damit Einverständnis drücklich von uns gemeinsam angestrebt werden. des Hauses? - Dies ist der Fall. (Beifall des Abg. Erich G. Fritz [CDU/CSU]) Die einzige Wortmeldung erfolgte vom Kollegen Ruprecht Polenz. Sie haben das Wo rt . Daß die PDS die Überführung der Rüstungsindu- strie in öffentliches Eigentum fordert, muß vor dem Ruprecht Polenz (CDU/CSU): Herr Präsident! Hintergrund der einschlägigen historischen Erfah- Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine rung erstaunen. Nach den besonderen Erfahrungen Vorbemerkung: Als ich als Berichterstatter gefragt der DDR mit Verstaatlichung und Staatswirtschaft worden bin, ob ich damit einverstanden sei, daß die lohnt das kaum eine ernsthafte Debatte. Ähnliches Beschlußfassung über dieses Gesetz ohne Ausspra- gilt im übrigen für die Forderung, daß die Anzeige che erfolgt, habe ich dem zugestimmt. In den letzten illegaler Rüstungsexporte keine Nachteile für Arbeit- beiden Tagen kam die Meldung, daß die GRÜNEN nehmer bewirken dürfe. Dies ist nun allerdings für aber auf einer Debatte bestünden. Dann wurde ich einen Rechtsstaat selbstverständlich, und diese For- gefragt, ob ich auch bereit sei, meine Rede zu Proto- derung erklärt sich nur durch den Reflex auf eine of- koll zu geben. Da ich aber nicht gewöhnt bin, meine fenkundig noch immer nicht bewältigte Erinnerung Redebeiträge sozusagen auf Punkt und Komma aus- an ein Regime, in dem dies nicht selbstverständlich zuformulieren, damit ich sie dann zu Protokoll geben war. kann, sondern meine Rede nach Stichworten halte, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) werde ich sie jetzt halten. Ich bitte um Verständnis und um Nachsicht, wenn Sie sich jetzt noch ein we- Meine Damen und Herren, alles in allem: Der An- nig mit der Thematik beschäftigen müssen. trag der PDS löst nicht nur keine der unbest ritten vorhandenen Fragen und keines der Probleme im Worum geht es beim Streitkräfteaufenthaltsgesetz? Bereich von Abrüstung, Rüstungskooperation und Nur wenn dieses Gesetz verabschiedet wird, können Rüstungsexport, er schafft vielmehr viele neue Pro- Streitkräfte aus Polen, aus Tschechien, aus der bleme, an deren Lösung die PDS vermutlich nicht Ukraine, aus dem Baltikum oder aus anderen Nicht NATO-Staaten der OSZE im Rahmen von Übungen einmal interessiert ist. - für Partnerschaft für den Frieden bei uns in Deutsch- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) land an Übungen teilnehmen. Solche Übungen ha- ben auch schon in Polen, in den Niederlanden oder in Tschechien stattgefunden, und Soldaten der Bun- Vizepräsident Hans Klein: Ich schließe die Aus- deswehr haben daran teilgenommen. Nun können sprache wir nicht sagen: „PfP-Übungen ja, aber nicht bei Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlage uns", ohne unglaubwürdig zu werden. Auch aus die- auf Drucksache 13/584 an die in der Tagesordnung sem Grunde stimmt die CDU/CSU-Fraktion dem aufgeführten Ausschüsse vor. Besteht damit Einver- Streitkräfteaufenthaltsgesetz zu. ständnis? - Dies ist offensichtlich der Fall. Dann ist Wenn BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS bei ih- die Überweisung so beschlossen. rer ablehnenden Haltung bleiben, dann sollten sie ehrlicherweise auch deutlich sagen, daß sie das Ich rufe den Zusatzpunkt 8 auf: ganze Konzept von PfP ablehnen. Zweite und dritte Beratung des von der Bun- (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ desregierung eingebrachten Entwurfs eines NEN]: Das haben wir zu Protokoll gegeben! Gesetzes über die Rechtsstellung ausländi- Das steht dann morgen im Protokoll!) scher Streitkräfte bei vorübergehenden Auf- Sie haben, Frau Kollegin, im Auswärtigen Ausschuß enthalten in der Bundesrepublik Deutschland nicht gegen einzelne Punkte dieses Gesetzes Beden- ken erhoben, sondern das Gesetz insgesamt mit dem (Streitkräfteaufenthaltsgesetz - SkAufG) Hinweis darauf abgelehnt, man solle erst einmal - Drucksache 13/730 - über die NATO-Osterweiterung sprechen; dann könne man sich über diese Fragen unterhalten. (Erste Beratung 27. Sitzung) (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Beschlußempfehlung und Bericht des Auswär- NEN]: Sie nehmen mir meine Rede ab!) tigen Ausschusses (3. Ausschuß) Damit, Frau Beer, stehen die GRÜNEN und die PDS - Drucksache 13/1358 - im Gegensatz zu allen NATO-Partnern, im Gegen- satz zu Polen, zu Tschechien, zu Ungarn, zu den bal- Berichterstattung: tischen Staaten, zur Ukraine und vielen anderen Abgeordnete Ruprecht Polenz Staaten in Mittel- und Osteuropa, die das Angebot Karsten D. Voigt (Frankfurt) zur Partnerschaft für den Frieden inzwischen ange- Angelika Beer Dr. *) Anlage 3 3060 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Ruprecht Polenz nommen haben. Sie konnten gestern noch die Äuße- Um was es dabei geht, machen Presseberichte rung des tschechischen Verteidigungsministers Vi deutlich, die über die vergangenen Übungen veröf- lem Holan lesen, der das Konzept Pa rtnerschaft für fentlicht worden sind. Ich darf einmal eine Meldung den Frieden ausdrücklich als sinnvoll anerkennt. vom November 1994 zitieren: Es hat sich also als richtig erwiesen, daß sich die Ehemalige Gegner ziehen ins Manöver - Tsche- Bundesregierung für dieses Konzept Pa rtnerschaft chen und Deutsche proben bei erster gemeinsa- für den Frieden eingesetzt hat und damit das Ziel mer Übung den UN-Einsatz ... Ihr Auftrag: Sie verfolgt, internationale Zusammenarbeit zu stärken sollen zwischen zwei verfeindeten Staaten eine und dadurch Frieden und Stabilität zu fördern. Auch Pufferzone errichten ... die Zusammenarbeit von Streitkräften leistet hierzu Und dann die Bewe rtung: einen Beitrag. Im PfP-Beschluß vom NATO-Gipfel in Brüssel vom Januar 1994 heißt es: ... zwischenmenschlich stimmt es bei den Solda- ten beider Nationen. Nichts erinnert mehr an alte Diese Partnerschaft wird als Ausdruck gemeinsa- Feindbilder. Die Soldaten kommen glänzend mit- mer Überzeugung begründet, daß Stabilität und einander aus, wie sie immer wieder betonen. Sicherheit im euroatlantischen Gebiet nur durch Zusammenarbeit und gemeinsames Handeln er- Und über die Übung im niederländischen Heide- reicht werden können. Der Schutz und die Förde- gebiet Veluwe nahe Arnheim schreibt die „Aachener rung der Grundfreiheiten und Menschenrechte Volkszeitung" die Überschrift: „Wie aus Feinden und die Sicherung von Freiheit, Gerechtigkeit gute Partner werden" . Ein niederländischer Teilneh- und Frieden durch Demokratie sind gemeinsame mer der Übung wird mit dem Satz zitiert: Werte, die der Partnerschaft zugrunde liegen. Sie müssen verstehen, Die NATO-Staaten und die anderen Unterzeich- - sagt er - nerstaaten haben sich verpflichtet, u. a. auf folgende Ziele hinzuwirken. So heißt es in Ziffer 3 c der Rah- man hat von diesen Leuten immer nur als unse- menvereinbarung zu PfP - ich zitiere -: rem großen Feind gesprochen, und jetzt arbeiten wir plötzlich mit ihnen zusammen. Das braucht ... die Aufrechterhaltung der Fähigkeit und Be- seine Zeit. reitschaft zu Einsätzen unter der Autorität der Vereinten Nationen und/oder Verantwortung der Und die „Neue Osnabrücker Zeitung" schreibt: KSZE beizutragen. „Militärübung in Polen ohne alte Feindbilder". - 900 Soldaten aus 13 Ländern haben do rt geübt. Es Als weiteres Ziel wird unter 3 d genannt: heißt in dem Bericht weiter: ... die Entwicklung kooperativer militärischer Bulgaren und Italiener kommen sich näher, ein Beziehungen zur NATO mit dem Ziel gemeinsa- US-Soldat erklärt einigen jungen litauischen Sol- mer Planung, Ausbildung und Übungen, um ihre daten geduldig, wie ein amerikanisches Gewehr Fähigkeit zu stärken bei Friedenssicherung, funktioniert, rumänische Soldaten treffen erst- Such- und Rettungsdienst und humanitären Ope- mals ihre niederländischen Kollegen, und Deut- rationen sche lernen von einem polnischen Offizier, wie man als künftiger Blauhelmsoldat Autos an Kon- Es geht also beim Streitkräfteaufenthaltsgesetz, trollpunkten nach Bomben absucht. „Meine Sol- meine Damen und Herren, auch um militärische Zu- daten lernen jetzt, daß die Deutschen, die Ameri- sammenarbeit zur Vorbereitung auf multilaterales kaner und die Briten ganz prima Kerle sind ", er- Krisenmanagement wie etwa Friedenssicherung un- läutert der tschechische Berufsoffizier Jaroslaw ter UN-Mandat. Eine Voraussetzung dafür, daß sich Marsalek. auch die Bundeswehr daran beteiligen kann, sind gemeinsame Übungen. Wenn Sie sich, meine Damen Meine Damen und Herren, das Streitkräfteaufent- und Herren von den GRÜNEN und von der PDS, da- haltsgesetz ist die Rechtsgrundlage dafür, daß solche gegen aussprechen Übungen auch in Deutschland stattfinden können. Es ermächtigt die Bundesregierung, mit ausländi- (Zuruf von der CDU/CSU: Die PDS ist gar schen Regierungen Vereinbarungen dieser Art zu nicht mehr da!) schließen. Der Rahmen dafür ist sehr detailliert be- - bleiben wir einmal bei den GRÜNEN -, dann muß stimmt: vom Grenzübertritt und von der Einreise ich fragen, wie das mit den Positionen zu vereinba- über die Frage, inwieweit die Führerscheine gelten, ren ist, die Sie zu der Frage der UN-Einsätze immer bis zu Haftungsfragen und dem Disziplinarrecht. vertreten. Denn ohne gemeinsame Übungen lassen Der Bundesrat hat im Gesetzgebungsverfahren sich multilaterale UN-Einsätze unter Beteiligung der den Standpunkt vertreten, daß Vereinbarungen über Bundeswehr nun wirklich nicht verantwortungsbe- diese Übungen nur im Einvernehmen mit dem be- wußt organisieren. troffenen Bundesland möglich sein sollen. Demge- (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ genüber möchten wir daran festhalten, daß eine Be- NEN]: Wir wollen die auch gar nicht!) teiligung ausreichend und sachgerecht ist. Die au- ßen- und verteidigungspolitische Kompetenz des - Da hören wir aber von einigen von Ihnen anderes. - Bundes würde sonst ausgehöhlt und seine Hand- Inzwischen haben zwölf Übungen im Geist von PfP lungsfähigkeit beeinträchtigt; denn wir können uns stattgefunden. Für 1995 sind 14 weitere geplant. schlicht keinen langen internen Streit darüber lei- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 3061

Ruprecht Polenz sten, in welchem Bundesland - und wo genau - die Die CDU/CSU-Fraktion stimmt diesem Gesetz zu. Übung stattfinden soll. Das Streitkräfteaufenthalts- (Zuruf des Abg. Winfried Nachtwei gesetz ist also eine sachgerechte Regelung. Es ist für [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Übungen im Rahmen der Partnerschaft für den Frie- den notwendig. - Ja, Herr Nachtwei, der „Spiegel" ist von Montag. Das Zitat von Frau Sager ist aber nach wie vor Wenn die GRÜNEN ihre Ablehnung damit begrün- aktuell. den, daß eine Entscheidung darüber erst im Zusam- menhang mit der NATO-Erweiterung möglich sei, Vielen Dank. sind das aus meiner Ansicht blanke Ausflüchte. Sie (Beifall bei der CDU/CSU) sollen die Öffentlichkeit darüber hinwegtäuschen, daß die GRÜNEN kein schlüssiges außen- und si- cherheitspolitisches Konzept haben. Vizepräsident Hans Klein: Ich schließe die Aus- sprache. Ich darf, weil Sie mir das so vielleicht nicht abneh- men, deshalb Ihre Sprecherin Krista Sager zitieren, Wir kommen zur Abstimmung über den von der die sich dazu in dieser Woche im „Spiegel" geäußert Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines hat. Ich zitiere: Streitkräfteaufenthaltsgesetzes, Drucksachen 13/730 und 13/1358. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz- Man muß keine besonders kritische Beobachterin entwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, sein, um festzustellen, daß die Grünen in dieser um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer gegenwärtigen Debatte über eine gemeinsame enthält sich der Stimme? - Der Gesetzentwurf ist da- europäische Friedensordnung kaum eine Rolle mit in zweiter Beratung angenommen. spielen. Wir kommen zur Heute geben Sie ja auch Ihre Rede zu Protokoll. dritten Beratung (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist und Schlußabstimmung. Ich bitte alle Kolleginnen eine unsinnige Verknüpfung!) und Kollegen, die dem Gesetzentwurf zuzustimmen Minderheit und Mehrheit blockieren sich im Mo- beabsichtigen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Ent- ment gegenseitig, und niemand wi ll sich eine blu- haltungen? - Der Gesetzentwurf ist angenommen. tige Nase holen. Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tages- - Die „blutige Nase" - das sei meine Abschlußbemer- ordnung. kung - Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- destages auf morgen, Freitag, 19. Mai 1995, 9.00 Uhr (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ist ge nauso überflüssig wie die gesamte Rede!) ein. Die Sitzung ist geschlossen. ist ein interessanter Hinweis auf die innerparteiliche Streitkultur der GRÜNEN. (Schluß der Sitzung: 21.53 Uhr)

Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 3063*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 Rudolf Braun (Auerbach) Michael Jung (Limburg) Paul Breuer Ulrich Junghanns Monika Brudlewsky Dr. Egon Jüttner Liste der entschuldigten Abgeordneten Georg Brunnhuber Dr. Harald Kahl Klaus Bühler (Bruchsal) Bartholomäus Kalb entschuldigt bis Dankward Buwitt Steffen Kampeter Abgeordnete(r) einschließlich Manfred Carstens (Emstek) Dr.-Ing. Dietmar Kansy Peter H. Carstensen (Nord Irmgard Karwatzki Dr. Babel, Gisela F.D.P. 18. 05. 95 strand) Volker Kauder Wolfgang Dehnel Peter Keller Beck (Bremen), BÜNDNIS 18. 05.95 Hubert Deittert Eckart von Klaeden Marieluise 90/DM Gertrud Dempwolf Dr. Bernd Klaußner GRÜNEN Albert Deß Hans Klein (München) Berger, Hans SPD 18. 05. 95 Renate Diemers Ulrich Klinkert Wilhelm Dietzel Hans-Ulrich Köhler (Hain Büttner (Schönebeck), CDU/CSU 18. 05.95 Werner Dörflinger spitz) Hartmut Hansjürgen Doss Manfred Kolbe Dr. Fell, Karl H. CDU/CSU 18. 05. 95 Dr. Alfred Dregger Norbert Königshofen Maria Eichhorn Eva-Maria Kors Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 18. 05. 95 Wolfgang Engelmann Hartmut Koschyk Gröbl, Wolfgang CDU/CSU 18. 05. 95 Rainer Eppelmann Manfred Koslowski Heinz Dieter Eßmann Thomas Kossendey Dr. Hartenstein, Liesel SPD 18. 05.95 Horst Eylmann Rudolf Kraus Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 18. 05. 95 Anke Eymer Wolfgang Krause (Dessau) Ilse Falk Andreas Krautscheid Kanther, Manfred CDU/CSU 18. 05. 95 Dr. Kurt Faltlhauser Arnulf Kriedner Kastning, Ernst SPD 18. 05. 95 Jochen Feilcke Heinz-Jürgen Kronberg Ulf Fink Dr.-Ing. Paul Krüger Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 18. 05.95 Dirk Fischer (Hamburg) Reiner Krziskewitz Mante, Winfried SPD 18. 05. 95 Klaus Francke (Hamburg) Dr. Hermann Kues Marten, Günter CDU/CSU 18. 05. 95* Herbert Frankenhauser Werner Kuhn Dr. Gerhard Friedrich Dr. Karl A. Lamers (Heidel- Marx, Dorle SPD 18. 05. 95 Erich G. Fritz berg) Volmer, Ludger BÜNDNIS 18. 05.- 95 Hans-Joachim Fuchtel Karl Lamers 90/DIE Michaela Geiger Dr. Norbert Lammert Norbert Geis Helmut Lamp GRÜNEN Dr. Heiner Geißler Herbert Lattmann Dr. Wodarg, Wolfgang SPD 18. 05. 95 Michael Glos Dr. Paul Laufs Wilma Glücklich Karl-Josef Laumann * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Dr. Reinhard Göhner Werner Lensing Peter Götz Christian Lenzer Dr. Wolfgang Götzer Peter Letzgus Joachim Gres Editha Limbach Kurt-Dieter Grill Walter Link (Diepholz) Hermann Gröhe Eduard Lintner Anlage 2 Claus-Peter Grotz Dr. Manfred Lischewski Manfred Grund Wolfgang Lohmann Namensverzeichnis Horst Günther (Duisburg) (Lüdenscheid) der Mitglieder des Deutschen Bundestages, Carl-Detlev Freiherr von Julius Louven die an der Wahl des Leiters Hammerstein Sigrun Löwisch der deutschen Delegation Gottfried Haschke (Großhen Heinrich Lummer in der Nordatlantischen Versammlung nersdorf) Dr. Michael Luther Gerda Hasselfeldt Erich Maaß (Wilhelmshaven) und des ordentlichen Mitglieds Rainer Haungs Dr. Dietrich Mahlo im Ständigen Ausschuß Otto Hauser (Esslingen) Erwin Marschewski der Nordatlantischen Versammlung Hansgeorg Hauser (Rednitz Günter Marten teilgenommen haben hembach) Dr. Martin Mayer Klaus-Jürgen Hedrich (Siegertsbrunn) Manfred Heise Wolfgang Meckelburg Dr. Renate Hellwig Rudolf Meinl CDU/CSU Hans-Dirk Bierling Ernst Hinsken Dr. Michael Meister Dr. Joseph-Theodor Blank Peter Hintze Dr. Angela Merkel Ulrich Adam Renate Blank Josef Holle rith Friedrich Merz Peter Altmaier Dr. Heribert Blens Dr. Karl-Heinz Hornhues Rudolf Meyer (Winsen) Anneliese Augustin Peter Bleser Siegfried Hornung Hans Michelbach Jürgen Augustinowitz Dr. Norbert Blüm Joachim Hörster Meinolf Michels Dietrich Austermann Friedrich Bohl Hubert Hüppe Dr. Gerd Müller Heinz-Günter Bargfrede Dr. Maria Böhmer Peter Jacoby Elmar Müller (Kirchheim) Franz Peter Basten Jochen Borchert Susanne Jaffke Engelbert Nelle Dr. Wolf Bauer Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Georg Janovsky Bernd Neumann (Bremen) Brigitte Baumeister Wolfgang Bosbach Helmut Jawurek Johannes Nitsch Meinrad Belle Dr. Wolfgang Bötsch Dr. Dionys Jobst Claudia Nolte Dr. Sabine Bergmann-Pohl Klaus Brähmig Dr.-Ing. Rainer Jork Dr. Rolf Olderog 3064* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Friedhelm Ost Gerhard Schulz (Leipzig) Ursula Burchardt Hans-Ulrich Klose Eduard Oswald Frederick Schulze Hans Martin Bury Dr. Hans-Hinrich Knaape Norbert Otto (Erfurt) Diethard Schütze (Berlin) Hans Büttner (Ingolstadt) Walter Kolbow Dr. Gerhard Päselt Clemens Schwalbe Marion Caspers-Merk Fritz Rudolf Körper Dr. Peter Paziorek Wilhelm-Josef Sebastian Wolf-Michael Catenhusen Nicolette Kressl Hans-Wilhelm Pesch Horst Seehofer Peter Conradi Volker Kröning Ulrich Petzold Wilfried Seibel Dr. Herta Däubler-Gmelin Thomas Krüger Anton Pfeifer Heinz-Georg Seiffert Christel Deichmann Horst Kubatschka Angelika Pfeiffer Rudolf Seiters Karl Diller Eckart Kuhlwein Dr. Gero Pfennig Johannes Selle Dr. Marliese Dobberthien Konrad Kunick Dr. Friedbert Pflüger Bernd Siebert Peter Dreßen Christine Kurzhals Beatrix Philipp Jürgen Sikora Rudolf Dreßler Dr. Uwe Küster Dr. Winfried Pinger Johannes Singhammer Freimut Duve Werner Labsch Ronald Pofalla Bärbel Sothmann Ludwig Eich Brigitte Lange Dr. Hermann Pohler Margarete Späte Peter Enders Detlev von Larcher Ruprecht Polenz Carl-Dieter Spranger Gernot Erler Waltraud Leim Marlies Pretzlaff Wolfgang Steiger Petra Ernstberger Robert Leidinger Dr. Albert Probst Erika Steinbach Annette Faße Klaus Lennartz Dr. Bernd Protzner Dr. Wolfgang Freiherr von Elke Ferner Dr. Elke Leonhard Thomas Rachel Stetten Lothar Fischer (Homburg) Klaus Lohmann (Witten) Hans Raidel Dr. Gerhard Stoltenberg Gabriele Fograscher Christa Lörcher Dr. Peter Ramsauer Andreas Storm Iris Follak Erika Lotz Rolf Rau Max Straubinger Norbert Formanski Dr. Christine Lucyga Helmut Rauber Michael Stübgen Dagmar Freitag Dieter Maaß (Herne) Peter Harald Rauen Egon Susset Anke Fuchs (Köln) Ulrike Mascher Otto Regenspurger Dr. Rita Süssmuth Katrin Fuchs (Verl) Christoph Matschie Christa Reichard (Dresden) Michael Teiser Arne Fuhrmann Ingrid Matthäus-Maier Klaus Dieter Reichardt Dr. Susanne Tiemann Monika Ganseforth Heide Mattischeck (Mannheim) Dr. Klaus Töpfer Norbert Gansel Markus Meckel Dr. Bertold Reinartz Gottfried Tröger Konrad Gilges Ulrike Mehl Erika Reinhardt Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Iris Gleicke Herbert Meißner Hans-Peter Repnik Gunnar Uldall Günter Gloser Angelika Mertens Roland Richter Wolfgang Vogt (Düren) Dr. Peter Glotz Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Roland Richwien Dr. Horst Waffenschmidt Günter Graf (Friesoythe) Ursula Mogg Dr. Norbert Rieder Dr. Theodor Waigel Angelika Graf (Rosenheim) Siegmar Mosdorf Dr. Erich Riedl (München) Alois Graf von Waldburg-Zeil Dieter Grasedieck Michael Müller (Düsseldorf) Klaus Riegert Dr. Jürgen Warnke- Achim Großmann Jutta Müller (Völklingen) Dr. Heinz Riesenhuber Kersten Wetzel Karl-Hermann Haack Christian Müller (Zittau) Hannelore Rönsch (Wies Hans-Otto Wilhelm (Mainz) (Extertal) Kurt Neumann (Berlin) baden) Gert Willner Hans-Joachim Hacker Volker Neumann (Bramsche) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Bernd Wilz Klaus Hagemann Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Klaus Rose Willy Wimmer (Neuss) Manfred Hampel Kurt J. Rossmanith Matthias Wissmann Christel Hanewinckel Dr. Edith Niehuis Adolf Roth (Gießen) Simon Georg Wittmann Alfred Hartenbach Dr. Rolf Niese Norbert Röttgen (Tännesberg) Klaus Hasenfratz Doris Odendahl Dr. Christian Ruck Dagmar Wöhrl Dr. Ingomar Hauchler Günter Oesinghaus Volker Rühe Michael Wonneberger Dieter Heistermann Leyla Onur Dr. Jürgen Rüttgers Elke Wülfing Reinhold Hemker Manfred Opel Roland Sauer (Stuttgart) Peter Kurt Würzbach Rolf Hempelmann Adolf Ostertag Ortrun Schätzle Cornelia Yzer Dr. Barbara Hendricks Kurt Palis Dr. Wolfgang Schäuble Wolfgang Zeitlmann Monika Heubaum Albrecht Papenroth Hartmut Schauerte Benno Zierer Uwe Hiksch Dr. Willfried Penner Heinz Schemken Wolfgang Zöller Reinhold Hiller (Lübeck) Dr. Martin Pfaff Karl-Heinz Scherhag Stephan Hilsberg Georg Pfannenstein Gerhard Scheu Gerd Höfer Dr. Eckhart Pick Norbert Schindler SPD Jelena Hoffmann (Chemnitz) Joachim Poß Dietmar Schlee Frank Hofmann (Volkach) Karin Rehbock-Zureich Ulrich Schmalz Brigitte Adler Ingrid Holzhüter Margot von Renesse Bernd Schmidbauer Gerd Andres Erwin Horn Renate Rennebach Christian Schmidt (Fürth) Robert Antretter Eike Maria Anna Hovermann Otto Reschke Dr.-Ing. Joachim Schmidt Hermann Bachmaier Lothar Ibrügger Bernd Reuter (Halsbrücke) Ernst Bahr Wolfgang Ilte Dr. Edelbert Richter Andreas Schmidt (Mülheim) Doris Barnett Barbara Imhof Günter Rixe Hans-Otto Schmiedeberg Klaus Barthel Brunhilde Irber Reinhold Robbe Hans Peter Schmitz (Baes Ingrid Becker-Inglau Gabriele Iwersen Gerhard Rübenkönig weiler) Wolfgang Behrendt Renate Jäger Dr. Hansjörg Schäfer Michael von Schmude Hans-Werner Bertl Jann-Peter J anssen Gudrun Schaich-Walch Birgit Schnieber-Jastram Friedhelm Julius Beucher Ilse Janz Dieter Schanz Dr. Andreas Schockenhoff Rudolf Bindig Dr. Uwe Jens Rudolf Scharping Dr. Rupert Scholz Lilo Blunck Volker Jung (Düsseldorf) Bernd Scheelen Reinhard Freiherr von Dr. Ulrich Böhme (Unna) Sabine Kaspereit Dr. Hermann Scheer Schorlemer Arne Börnsen (Ritterhude) Susanne Kastner Siegfried Scheffler Dr. Erika Schuchardt Anni Brandt-Elsweier Hans-Peter Kemper Horst Schild Wolfgang Schulhoff Tilo Braune Klaus Kirschner Otto Schily Dr. Dieter Schulte Dr. Eberhard Brecht Marianne Klappert Dieter Schloten (Schwäbisch Gmünd) Edelgard Bulmahn Siegrun Klemmer Günter Schluckebier Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 3065*

Horst Schmidbauer (Nürn- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Roland Kohn PDS berg) Dr. Heinrich L. Kolb Dagmar Schmidt (Meschede) Elisabeth Altmann Jürgen Koppelin Wolfgang Bierstedt Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (Pommelsbrunn) Dr.-Ing. Karl-Hans Petra Bläss Regina Schmidt-Zadel Gila Altmann (Aurich) Laermann Maritta Böttcher Heinz Schmitt (Berg) Volker Beck (Köln) Dr. Otto Graf Lambsdorff Eva Bulling-Schröter Dr. Emil Schnell Angelika Beer Heinz Lanfermann Heinrich Graf Walter Schöler Matthias Berninger von Einsiedel Sabine Leutheusser Ottmar Schreiner Annelie Buntenbach Dr. Ludwig Elm Schnarrenberger Gisela Schröter Amke Dietert-Scheuer Dr. Dagmar Enkelmann Dr. Mathias Schubert Franziska Eichstädt-Bohlig Uwe Lühr Dr. Ruth Fuchs Richard Schuhmann Dr. Uschi Eid Jürgen W. Möllemann Dr. Uwe-Jens Heuer (Delitzsch) Andrea Fischer (Berlin) Günther Friedrich Nolting Stefan Heym Brigitte Schulte (Hameln) Joseph Fischer (Frankfurt) Dr. Rainer Ortleb Dr. Barbara Höll Reinhard Schultz Rita Grießhaber Lisa Peters Ulla Jelpke (Everswinkel) Gerald Häfner Dr. Günter Rexrodt Gerhard Jüttemann Volkmar Schultz (Köln) Antje Hermenau Dr. Klaus Röhl Dr. Heidi Knake-Werner Ilse Schumann Kristin Heyne Helmut Schäfer (Mainz) Rolf Köhne Dr. R. Werner Schuster Ulrike Höfken-Deipenbrock Rolf Kutzmutz Dietmar Schütz (Oldenburg) Michaele Hustedt Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Andrea Lederer Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Manuel Kiper Dr. Christa Luft Dr. Irmgard Schwaetzer Ernst Schwanhold Monika Knoche Heidemarie Lüth Rolf Schwanitz Dr. Hermann Otto Sohns Dr. Angelika Köster-Loßack Dr. Günther Maleuda Bodo Seidenthal Steffi Lemke Dr. Max Stadler Manfred Müller (Berlin) Lisa Seuster Vera Lengsfeld Carl-Ludwig Thiele Rosel Neuhäuser Horst Sielaff Kerstin Müller (Köln) Dr. Dieter Thomae Dr. Uwe-Jens Rössel Erika Simm Winfried Nachtwei Jürgen Türk Christina Schenk Johannes Singer Christa Nickels Dr. Wolfgang Weng Klaus-Jürgen Warnick Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Cem Özdemir (Gerlingen) Gerhard Zwerenz Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Gerd Poppe Wieland Sorge Simone Probst Wolfgang Spanier Dr. Jürgen Rochlitz Dr. Dietrich Sperling Halo Saibold Jörg-Otto Spiller Christine Scheel Antje-Marie Steen Irmingard Schewe-Gerigk Ludwig Stiegler Rezzo Schlauch - Anlage 3 Dr. Peter Struck Albert Schmidt (Hitzhofen) Joachim Tappe Wolfgang Schmitt Zu Protokoll gegebene Reden Jörg Tauss (Langenfeld) Dr. Bodo Teichmann Ursula Schönberger zu Zusatztagesordnungspunkt 8 Margitta Terborg Waltraud Schoppe (Gesetzentwurf fiber die Rechtsstellung Jella Teuchner Werner Schulz (Berlin) ausländischer Streitkräfte bei vorübergehenden Dr. Gerald Thalheim Rainder Steenblock Aufenthalten in der Bundesrepublik Deutschland) Wolfgang Thierse Marina Steindor Dietmar Thieser Christian Sterzing Brigitte Schulte (Hameln) (SPD): Das Streitkräfte- Franz Thönnes Manfred Such aufenthaltsgesetz soll die erforderlichen gesetzlichen Uta Titze-Stecher Dr. Antje Vollmer Grundlagen für den vorübergehenden Aufenthalt Adelheid Tröscher Helmut Wilhelm (Amberg) Hans-Eberhard Urbaniak Margareta Wolf ausländischer Streitkräfte in Deutschland bieten, mit Siegfried Vergin denen noch keine Vereinbarungen diesbezüglich ab- Günter Verheugen geschlossen worden sind. Ute Vogt (Pforzheim) F.D.P. Karsten D. Voigt (Frankfurt) Das Gesetz umfaßt damit nicht nur die Möglich- Josef Vosen Ina Albowitz keit, am NATO-Programm „Partnerschaft für den Hans Georg Wagner Dr. Gisela Babel Frieden" uneingeschränkt teilzunehmen, sondern Hans Wallow Hildebrecht Braun schafft auch die Voraussetzungen dafür, daß S treit- Dr. Konstanze Wegner (Augsburg) Wolfgang Weiermann Günther Bredehorn kräfte von NATO-Staaten wie z. B. Spanien oder Ita- Reinhard Weis (Stendal) Jörg van Essen lien auf deutschem Territorium zusammen mit Solda- Matthias Weisheit Gisela Frick ten der Bundeswehr und mit alliierten Streitkräften Gunter Weißgerber Paul K. Friedhoff üben können. Gert Weisskirchen (Wiesloch) Horst Friedrich Jochen Welt Rainer Funke Insofern ist die Verabschiedung dieses Gesetzes Hildegard Wester Hans-Dietrich Genscher schon längst überfällig. Bereits im letzten Jahr haben Lydia Westrich Dr. Wolfgang Gerhardt spanische Soldaten im Rahmen einer Übung des Eu- Inge Wettig-Danielmeier Joachim Günther (Plauen) Helmut Wieczorek (Duisburg) Dr. Karlheinz Guttmacher ropäischen Korps als Beobachter teilgenommen. Dr. Norbert Wieczorek Dr. Helmut Haussmann Ebenfalls im letzten Jahr sind die ersten Übungen im Heidemarie Wieczorek-Zeul Ulrich Heinrich Rahmen des Programms „Partnerschaft für den Frie- Berthold Wittich Walter Hirche den" in den Niederlanden oder zum Beispiel in Polen Verena Wohlleben Dr. Burkhard Hirsch durchgeführt worden. Die Bundesregierung hat es Hanna Wolf Birgit Homburger demnach nicht gerade eilig gehabt, ihrem Bekennt- Heide Wright Dr. Werner Hoyer nis zur Wichtigkeit der Zusammenarbeit der S treit- Uta Zapf Ulrich Inner Dr. Christoph Zöpel Dr. Klaus Kinkel kräfte in Europa auch die notwendigen gesetzlichen Peter Zumkley Detlef Kleinert (Hannover) Schritte folgen zu lassen. 3066* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Ich hoffe, daß dieses Gesetz nun möglichst bald in schlichtweg darum, daß die ehemaligen Besatzungs- Kraft tritt. Zugleich erwarte ich, daß die derzeitige truppen des Zweiten Weltkrieges 50 Jahre nach der Gesetzeslage strikt vom Bundesminister der Verteidi- Niederwerfung des nationalsozialistischen Deutsch- gung beachtet wird. Es wäre nämlich ein Verstoß ge- lands im nunmehr souveränen Deutschland als gen Recht und Gesetz, aber auch gegen die Fürsor- gleichberechtigte Partner und in kleinerer Anzahl gepflicht, wenn schon heute oder vor Inkrafttreten stationiert bleiben oder als neue Freunde zu Manö- des Gesetzes Übungen mit ausländischen Streitkräf- vern mit friedlicher Zielsetzung eingeladen werden ten auf deutschem Boden stattfinden würden, für die können. mit diesem Gesetz erst die rechtlichen Grundlagen Das Gesetz ist dringlich, da unsere NATO-Partner geschaffen werden. und wir schon im Januar 1994 die „Partnerschaft für Wenn die Bundesregierung in ihrer Begründung den Frieden" beschlossen haben, mit deren Hilfe die des Gesetzes nur auf die legisla tive Umsetzung des sicherheitspolitische Zusammenarbeit aller Staaten Programms „Partnerschaft für den Frieden" abhebt, der „Organisa tion für Sicherheit und Zusammenar- zeigt sie deutlich auf, daß sie dem vorübergehenden beit in Europa (OSZE)" nachhaltig gestützt wird. Frü- Aufenthalt ausländischer Streitkräfte von denjenigen her wurden die Staaten Europas unter den Symbolen NATO-Staaten, mit denen bisher keine Vereinbarun- NATO, Warschauer Pakt und neutrale Staaten Euro- gen abgeschlossen worden sind, auf deutschem Ho- pas wiedergegeben. Der sicherheitspolitische Zuge- heitsgebiet keine Bedeutung beimißt oder das Parla- winn durch die „Partnerschaft für den Frieden" und ment von bestimmten Übungstätigkeiten nicht in den davor eingeführten NATO-Kooperationsrat kann Kenntnis gesetzt hat. Ich wäre dem Bundesminister für die Sicherheit unseres Kontinents gar nicht hoch der Verteidigung sehr dankbar, wenn er sich zu die- genug eingeschätzt werden. Die F.D.P.-Bundestags- ser Frage detailliert äußern würde. fraktion stimmt mit der Bundesregierung in diesem Punkt völlig überein: Deutschl and kann die euro- Ich begrüße und 'unterstütze die Zielsetzung und päische Bündnis- und Friedenspolitik nur dann posi- den Inhalt des Programms „Partnerschaft für den tiv beeinflussen, wenn es sich glaubwürdig und ver- Frieden" . Es bietet den neuen Partnern der NATO antwortungsbewußt verhält. Dies heißt auch, daß die die Möglichkeit, praktische militärische Arbeitsbe- deutsche Bundeswehr gesetzlich in die Lage zu ver- ziehungen zur NATO aufzubauen und zu entwik- setzen ist, alliierte und neue befreundete Streitkräfte keln. Damit kann militärische Kooperation in Europa zur Ausbildung und Übung auf deutsches Territo- zu Transparenz, Vertrauensbildung führen und die rium einladen zu können. Streitkräfte befähigen, gemeinsam bei friedenswah- renden Einsätzen und Einsätzen im Such- und Ret- Als Abgeordneter aus den neuen Ländern kenne tungsdienst zu operieren. Es trägt damit schon heute ich Manöversituationen, wie sie zu Zeiten der sowje- zu Stabilität und Sicherheit in Europa bei. tischen „Freunde" gang und gäbe waren, zur Ge- nüge; viele hier im Westen haben auch bestimmte Die SPD stimmt grundsätzlich dem Streitkräfte- Manöversituationen in den Schwerpunktgebieten aufenthaltsgesetz zu. Es bietet auch den betroffenen Niedersachsens, Bayerns, Rheinland-Pfalz und Hes- Bundesländern die Möglichkeit, ihre Interessen ein- sens vor Augen, in denen die NATO-Streitkräfte ihre zubringen. Ich bin für die Zusicherung des Bundes- Großübungen abhielten. Es ist nur zu begrüßen, daß ministeriums der Verteidigung dankbar, daß die Bun- durch das Streitkräfteaufenthaltsgesetz endgültig die desländer in die Übungsplanung frühzeitig einbezo- Praxis dieser Großübungen beendet wird, daß die da- gen werden sollen. mals eingeschränkte Souveränität der ehemaligen DDR und der alten Bundesrepublik aufgehoben wer- Ich hoffe, wir sind uns einig, daß auf Grund der ge- den konnte. Im Rahmen dieser positiven Neuent- änderten sicherheitspolitischen Rahmenbedingun- wicklung und auch durch das Streitkräfteaufent- gen Großübungen mit voller Truppenbeteiligung im haltsgesetz hat sich zugleich der Belastungsfaktor für freien Gelände der Vergangenheit angehören. Übun- die deutsche Bevölkerung weiter verringert. Anders gen sollen weitgehend auf den dafür vorgesehenen als durch die Großübungen, wie sie NATO und War- Truppenübungsplätzen stattfinden. Die Übungsakti- schauer Pakt früher durchführten, werden die ge- vitäten müssen natürlich ausgewogen auf die einzel- meinsamen Vorhaben der „Partnerschaft für den nen Bundesländer aufgeteilt werden. Darüber hinaus Frieden" auf Grund ihrer Zweckbestimmung, die sollte das Bundesministerium der Verteidigung auch „Peace-keeping" heißt, einen erheblich geringeren darauf achten, daß das Übungsgeschehen auf deut- Umfang haben. Darüber hinaus werden alle Übun- schem Hoheitsgebiet im Vergleich zu anderen euro- gen in das laufende NATO-Übungsprogramm bzw. päischen Staaten ebenfalls gleichmäßig verteilt wird. in das nationale Übungsprogramm eingebaut.

Dr. Rainer Ortleb (F.D.P.): Viele reden über Frei- Deutschlands Außen- und Sicherheitspolitik wurde heit, Partnerschaft und interna tionale Zusammenar- und wird unter der Verantwortung lieberaler Expo- beit, aber nicht jeder vollzieht mit diesen so ange- nenten wie Genscher und Kinkel stets durch eine nehm abstrakten Begriffen auch die damit verbunde- „Kultur der Mäßigung und der außenpolitischen nen unausweichlichen Verpflichtungen. Das S treit- Bescheidenheit" gekennzeichnet. Das Streitkräfte- kräfteaufenthaltsgesetz ist, wenn man dies so formu- aufenthaltsgesetz verkörpert in vollem Umfang die lieren mag, ein politisches Dokument der Zeitge- von der Koalition gemeinsam ge tragene Außen- und schichte, mit dem u. a. reale Abrüstungsmaßnahmen Sicherheitspolitik. Wer dieses Gesetz ablehnt, stört und die Vereinigung der beiden deutschen Staaten die sich langsam entwickelnde f riedliche Pflanze im Zentrum Europas bewäl tigt werden. Es geht europäische Sicherheitspartnerschaft; er behindert Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 3067* auch die nicht immer problemlosen ersten Schritte Bundesverteidigungsminister Rühe hat mehrfach des neuen souveränen Deutschlands. Wer dieses Ge- für sich in Anspruch genommen, sich vom „alten setz ablehnt, ignoriert bewußt die neue sicherheits- Denken" zu verabschieden. Wenn ich mir aber an- politische Situa tion in Europa, die durch ihre enge höre, wie er von Rußland spricht, dann kommen Verflechtung und ständig zunehmende Kooperation mir Zweifel. „Rußland bleibt europäische und asia- die Sicherheit unserer Bürger erheblich erhöht hat. tische Großmacht ... es wird die erste Militär- Die F.D.P.-Bundestagsfraktion sieht in diesem Gesetz macht auf dem europäischen Kontinent bleiben, einen weiteren Schritt der Vernunft, einen weiteren konventionell und nuklear. Die künftige Sicher- Fortschritt in der Überwindung des Grabens, wie er heitsordnung in Europa muß sich daher auf ein Po- zwischen zwei ehemals antagonistisch gegenüber- tential abstützen, das die strategische Balance stehenden Staaten und ihrer Systeme bestanden hat. wahrt." Es wundert mich nicht, daß als Reaktion Aus all diesen genannten Gründen stimmt die Frak- auf solches Verhalten in Rußland Bedrohungsäng- tion der F.D.P. dem Gesetz zu. ste anwachsen bzw. jene Kräfte in Rußland unter- stützt werden, die den Reformprozeß in Rußland zurückdrehen wollen. Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Eu- ropa befindet sich heute in einer Umbruchphase. Das Das Verhalten von Herrn Rühe ist entgegen sei- neue „Haus Europa" ist von einem gesamteuropäi- nen Worten nicht kooperativ und mißt mit doppelter schen Sicherheitskonzept noch weit entfernt. Der Moral. Zum einen verzichtet er auf die Forderung Streit innerhalb der NATO, wie weit und in welchem nach „zivilisiertem Verhalten" wenn der NATO- Zeitraum sie das ehemalige Militärbündnis West gen Partner Türkei eine NATO-Grenze militärisch ver- Osten ausdehnen will, hat zu Konflikten im transat- letzt. Vor allem aber betreibt er die Osterweiterung lantischen Verhältnis geführt. Und in dieser politisch der NATO unter Ausgrenzung Rußlands. Die Bun- unklaren Situa tion will die Bundesregierung jetzt desregierung hat kein gesamteuropäisches Sicher- Fakten schaffen. heitskonzept. Ihre Politik hat die Tendenz, ihre Kon- frontationspolitik gegenüber Rußland weiterzube- Mit dem Streitkräfteaufenthaltgesetz wird die treiben und dadurch die Stabilität Europas in Frage rechtliche Grundlage für militärische Übungen im zu stellen. Rahmen der „Partnerschaft für den Frieden" gebil- det. Zunächst klingt das ja ganz gut. Wer von uns hat Europa braucht ein gesamteuropäisches Sicher- schon was gegen Frieden oder Partnerschaft? heitssystem, das nach innen stabilisiert und nicht ge- - gen andere gerichtet ist. Wer wie die Bundesregie- In der Umsetzung aber bedeutet das: Mit der rung die militärische Ausdehnung be treibt, schwächt „Partnerschaft für den Frieden" bieten die NATO damit gleichzeitig nichtmilitärische Strukturen wie und die westeuropäischen Staaten den Ländern Ost- die der OSZE. Es gibt keinen Prozeß der Gleich- europas unter Ausschluß Rußlands ein militärisches zeitigkeit für NATO und OSZE, sondern in diesem Kooperationsabkommen als Vorstufe der NATO-Mit- Fall heißt die politische Entscheidung „Entweder gliedschaft an. Oder". Die NATO als militärisches Bündnis hat die KSZE/ Wir werden gegen das Gesetz stimmen, weil auf OSZE nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes an seiner Grundlage zukünftig auch gemeinsame Übun- den Rand gedrängt und nötigt Europa eine einsei- gen für Einsätze der Krisenreaktionskräfte durchge- tige, militärisch orientierte Entwicklung auf. Die führt werden und weil durch die „Partnerschaft für Bundesregierung hat diese Entwicklung mitzuver- den Frieden" die Homogenisierung der osteuropäi- antworten. Die EU ihrerseits war und ist zu zöger- schen Rüstung nach NATO-Standards und damit die lich, die osteuropäischen Staaten aufzunehmen und Schaffung eines gesamteuropäischen und transatlan- die Transformationsprozesse wirtschaft lich abzustüt- tischen Rüstungsmarktes erfolgt. zen. Der Wunsch der osteuropäischen Staaten, den Anschluß an die Europäische Union zu erlangen, ist Die NATO-Osterweiterung wird mit dem Argu- verständlich und zu begrüßen. Die „Partnerschaft ment der Sicherheitsbedürfnisse der osteuropäischen für den Frieden" ist für sie die Eintrittskarte in die Staaten begründet. Gleichzeitig schließt man das An- Europäische Union über die NATO. Sie verbinden gebot der NATO-Mitgliedschaft für Rußland aus. Das damit die Hoffnung, so die EU-Aufnahme zu errei- aber bedeutet in der Konsequenz, die NATO nach chen, damit sie die Transforma tion wirtschaftlich ab- Osten unter Ausschluß Rußlands auszuweiten. stützen können. Die NATO selbst, seit Auflösung des Militärischen Gegenstücks, der WVO, in der Wir halten dem entgegen: Wenn NATO und EU Sinn- und Legitimationskrise, baut sich darüber eine das sicherheitspolitische Bedürfnis der osteuropäi- neue Legitimationsbasis aus. Fast scheint es, als ob schen Staaten einerseits und die Konflikte in der ehe- das Feindbild „Die Russen kommen" wiederbelebt maligen Sowjetunion andererseits wirklich ernst näh- werden soll, um die NATO-Expansion zu rechtferti- men, müßte zunächst die Frage beantwortet werden, gen. ob und wofür das zukünftige Europa einen Militär- pakt, der auf der Nuklearstrategie aus der Zeit des Die Sorgen der osteuropäischen Staaten ernstneh- Kalten Krieges beharrt, benötigt oder ob es nicht men heißt aber gerade nicht, jedem Wunsch nach mi- endlich an der Zeit wäre, auf der Grundlage der litärischer Zusammenarbeit zuzustimmen, sondern OSZE eine gesamteuropäische Sicherheitsstruktur eine substantielle Lösung der wirtschaftlichen Pro- aufzubauen. bleme und der Transformation in Osteuropa zu unter- 3068* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

stützen. Die jetzige Unberechenbarkeit der politi- sogenannte friedensschaffende Missionen nicht von- schen Entwicklung Rußlands und der Krieg in einander trennen ließen. Es ist also pa rtout nicht Tschetschenien sowie sich heute bereits weiter an- auszuschließen, daß für gemeinsame Kriege in der kündigende Konflikte in den ehemaligen Sowjetre- Dritten Welt geübt werden soll. Wahrscheinlicher ist, gionen dürfen nicht mit Ausgrenzung und Wieder- daß es genau darum geht. Und für diese gefährli- aufleben der Abschreckungsideologie beantwortet chen Kriegsspiele sind wir nun mal nicht zu begei- werden. Zuviel Zeit haben die westlichen Staaten stern. schon verstreichen lassen und damit auch Lösungen erschwert. Notwendig sind jetzt die eindeutige Ab- Zweitens. Im Rahmendokument der „Partnerschaft sage an militärische Konzeptionen und die Entwick- für den Frieden" wird auch das Ziel der „Interope- lung von gesamteuropäischen Alternativen und rabilität" der Streitkräfte genannt. Das gemeinsame praktische Schritte zur längst überfälligen Stärkung und möglichst reibungslose Funktionieren der Streit- von gesamteuropäischen zivilen Strukturen wie der kräfte ist für uns kein verfolgenswertes Ziel. Denn es OSZE. stellt sich sofort die Frage: Wofür sollen die Armeen in Ost und West ihr Zusammenwirken perfektionie- Durch Betonung der sicherheitspolitischen Ebene ren? Für Kriege an der europäischen Periphe rie? Für lassen sich nicht die ökonomischen, sozialen und po- Kriege in den Ländern des Südens? litischen Probleme in Osteuropa lösen. Es darf keine neue Teilung Europas entstehen, egal ob an der Drittens. Wir müssen auch noch einen Schritt wei- Grenze zur GUS oder zu Rußland. ter denken: Interoperabilität der Streitkräfte wird bei den Militärs als eine Voraussetzung für die Erweite- rung der NATO nach Osten verstanden. Aufnahme in die NATO erst, wenn diese Bedingung gegeben Solange es noch Streit- Andrea Lederer (PDS): ist. Wir sind dagegen, daß sich die NATO bis an den kräfte gibt, mögen der Austausch, die Konsultation Bug ausdehnt. Wir sind dagegen, daß sich das ohne- und die Kooperation zwischen den Militärs eine hin stärkste Militärbündnis der Welt weiter stärkt - sinnvolle Sache sein. Herstellung von mehr Trans- und mit der Rüstungspolitik nahezu ungebrochen parenz in einem Bereich, der durch st rikte Ge- weitermachen will wie bisher. heimhaltung schon bedrohlich wirken will, kann einiges zur Vertrauensbildung beitragen. Dies gilt Viertens. Die West-Ost-Kooperation muß in der Tat für wechselseitige Besuchsprogramme in den Ka- erheblich intensiviert werden. Dafür sind wir. Aber sernen, in den Ausbildungszentren ebenso wie für es verheißt nichts Gutes, wenn bei dieser Zusammen- wechselseitige Manöverbeobachtung. Es kann arbeit ausgerechnet die Militärs eine Vorreiterrolle auch eine sinnvolle Sache sein, daß sich die Mili- übernehmen sollen. Wir erleben Ähnliches ja schon tärs vormalig verfeindeter Armeen besser kennen- bei der Fortführung der Integration in der Europä- und verstehen lernen. Ein solcher Austausch, wie ischen Gemeinschaft. Geht es nach der Bundesregie- er im Nordatlantischen Kooperationsrat und im rung, so gilt es vor allem bei der Herstellung einer NATO-Programm „Pa rtnerschaft für den Frieden" Europäischen Verteidigungsunion aufs Gaspedal zu verabredet ist, ist daher nicht zu kritisieren. Dies treten. Bei der Umwelt- und Sozialunion steht die Re- gilt noch viel weniger für die wechselseitigen In- gierung auf der Bremse. Die Probleme der Massenar- spektionen im Rahmen von Rüstungskontroll- und beitslosigkeit und der ökologischen Zerstörung wer- Abrüstungsabkommen also vor allem KSE-Vertrag, den nicht bewältigt. Aber das Eurokorps steht. Das- open-skies etc. Diese Maßnahmen befürworten wir. selbe passiert jetzt Richtung Osten. Die Zusammen- arbeit der Militärapparate soll vorangetrieben wer- Aber dafür braucht man kein Streitkräfteaufent- den; wenn es aber um große Hilfsprogramme zur Be- haltsgesetz. Dafür reichen die bestehenden gesetzli- wältigung der gewaltigen Wirtschaftsprobleme in chen Bestimmungen aus. Bei dem vorliegenden Ge- den mittel- und osteuropäischen Staaten oder in Ruß- setzentwurf geht es darum, ausländischen Streitkräf- land geht, dann klemmt es an allen Ecken und En- ten den vorübergehenden Aufenthalt in der Bundes- den. republik Deutschland zu ermöglichen. Es geht vor al- lem um die rechtliche Sicherstellung gemeinsamer Wir wollen, daß die Kooperation an den eigentli- Manöver, also um die Regelung der Einfuhr von chen Problemen der Menschen ansetzt, daß sich Kriegswaffen (§ 4), um die Regelung des Einsatzes Austauschprogramme auf die Lösung der wirt- von Telekommunikationsmitteln bei militärischen schaftlichen, sozialen und ökologischen Fragen be- Übungen (§ 10) und dergleichen mehr. ziehen. Gemeinsame West-Ost-Kriegsübungen da- Wir sind aus einer Reihe von Gründen gegen das gegen sind überflüssig. Mehr noch: Sie tragen dazu bei, die Rüstungslasten in Ost und West Gesetz: hochzuhalten. Aber was wir brauchen, sind drasti- Erstens. Es ist nach Lage der Dinge nicht davon sche Einschnitte bei der Rüstung. Auch die neuen auszugehen, daß die gemeinsamen Übungen auf Demokratien in Osteuropa haben jeden Zloty, jede sog. humanitäre bzw. Peace-keeping-Einsätze be- Krone bitter nötig für den Wirtschaftsaufbau. Statt grenzt sind. Dann könnte man zumindest darüber dessen will unser militärisch-industrieller Komplex sprechen. Das Einladungsdokument der „Pa rtner- ihnen neues, schönes Kriegsgerät aufschwätzen — schaft für den Frieden" spricht zwar von Einsätzen damit die Streitkräfte besser untereinander funktio- zur Friedenswahrung. Doch wir wissen, daß die nieren können. Zu diesem Unfug sagen wir Nein. USA und die Bundesrepublik innerhalb der NATO Deshalb lehnen wir auch das vorliegende Streitkräf- davon ausgehen, daß sich friedensbewahrende und teaufenthaltsgesetz ab. Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995 3069*

Helmut Schäfer (Mainz) Staatsminister im Auswärti- Kommunen, die von den militärischen Vorhaben be- gen Amt: Europa wächst sicherheitspolitisch immer troffen sein werden, muß ebenso Rechnung getragen stärker zusammen. Deutschland trägt dazu engagiert werden wie Umweltschutzbelangen. Der Gesetzent- bei; denn das Zusammenwachsen dient seiner Si- wurf wurde so recht komplex. Er bietet aber den Vor- cherheit und der des ganzen ungeteilten Europa. teil, daß er für alle einzelnen militärischen Vorhaben exakt die Konditionen beschreibt und damit den Die Zusammenarbeit — auch unter Streitkräften - Standard setzt, nach dem die Bundesregierung mit geht aber schon lange weit über das Atlantische den Partnerstaaten die Bedingungen des Streitkräf- Bündnis hinaus. Wir brauchen das Gesetz, damit wir teaufenthaltes vereinbart. in Zukunft auch als Gastgeber gleichberechtigt an dieser Zusammenarbeit mitwirken können. Ich glaube, daß der Entwurf einem vernünftigen Anliegen Rechnung trägt und die Belange der unter- Der Ihnen vorliegende Entwurf eines Streitkräf- schiedlichen Beteiligten sinnvoll abgewogen hat. Ich teaufenthaltsgesetzes soll es der Bundesregierung in glaube auch, daß die gefundene Lösung unter Ihnen Zukunft ermöglichen, ausländische Streitkräfte zu allen, über die gewohnten Grenzen hinweg, breite vorübergehenden Aufenthalten nach Deutschland Unterstützung hat. Darauf hat der Verlauf der Aus- einzuladen. Bisher ist dies aus rechtlichen Gründen schußberatungen schließen lassen. nur bei Streitkräften aus NATO-Staaten zulässig. Ich bitte um Ihre Zustimmung zu dem Entwurf. Das Gesetz ist für unsere Mitarbeit bei der NATO- Initiative „Partnerschaft für den Frieden" unerläß- lich. Der Gipfel der Staat s- und Regierungschefs der NATO hat zu dieser Zusammenarbeit im Januar 1994 eingeladen; wir haben uns wesentlich um das Zu- standekommen dieser Initiative bemüht. Eingeladen Anlage 4 zu dieser Zusammenarbeit wurden unsere östlichen Nachbarn, die Staaten der früheren Sowjetunion und Antwort die anderen OSZE-Mitgliedstaaten. Inzwischen ist des Staatsministers Helmut Schäfer (Mainz) auf die das Programm erfolgreich angelaufen, 26 Staaten ha- Frage der Abgeordneten Dr. Elke Leonhard (SPD) ben die Einladung angenommen, und es haben zahl- (Drucksache 13/1347 Frage 38): reiche gemeinsame Übungen bereits stattgefunden. Gemeinsame Übungen, das bedeutet Begegnung Welche Schritte plant die Bundesregierung angesichts von und Zusammenarbeit unter Streitkräften, die früher Menschenrechtsverletzungen in Indonesien, konkret im Falle - des indonesischen Parlamentariers S ri Bintang Pamungkas, der Gegner hätten werden können. Wir begrüßen den nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen wegen vor- Erfolg dieses Programms. geblicher Beteiligung an Demonstrationen gegen den indonesi- schen Staatspräsidenten Suharto anläßlich Suhartos Besuches in Nur: Einheiten der Bundeswehr können beispiels- Deutschland (1. bis 6. April 1995) in seinem Heimatland erhebli- weise an Übungen friedenswahrender Truppen in chen Repressionen ausgesetzt ist, und bezüglich der indonesi- Polen oder Ungarn teilnehmen. Möchten die Pa schen Bürgerrechtler Goenawan Mohammad und Yenni Rosa rtner Damayanti, denen ebenfalls eine Teilnahme an „diffamierenden aber hierher kommen, müssen wir absagen: Wir dür- Demonstrationen" gegen Suha rto in der Bundesrepublik fen Übungen oder andere Aktivitäten von Nicht Deutschland vorgeworfen wird, obwohl sich beide Personen NATO-Streitkräften bei uns nicht durchführen. Diese während der Zeit des Besuchs des indonesischen Präsidenten nicht in der Bundesrepublik Deutschland aufhielten, und wel- Schräglage soll durch das Gesetz behoben werden. che Kenntnis besitzt die Bundesregierung über das Schicksal Es ist außerdem vorgekommen, daß die Streitkräfte von Mohammad und Damayanti? eines Nicht-NATO-Staates, die sich zur Beteiligung an Einsätzen der Vereinten Nationen bereit erklärt Die Bundesregierung hat bei jeder sich bietenden hatten, eine Einweisung in die Handhabung be- Gelegenheit Fragen der Einhaltung menschenrecht- stimmten militärischen Gerätes benötigten, das sie in licher Grundsätze angesprochen, als Teil eines konti- ihrem Einsatzgebiet zu bedienen hatten. Da die Bun- nuierlichen politischen Dialogs, der auch schwierige deswehr über Gerät dieser A rt verfügt, bat man uns Fragen nicht ausklammert. Die Bundesregierung um diese Einweisung, damit die Einheit anschlie- führt den Dialog aus Anlaß der Begegnung von füh- ßend ihren Auftrag erfüllen konnte. Das ganze hätte renden Vertretern beider Staaten (wie z. B. beim nur ein oder zwei Wochen Aufenthalt bei uns erfor- kürzlichen Besuch von Präsident Suha rto) wie auch dert. Sie müssen sich vorstellen, daß wir auch in die- über unsere Botschaft in Jaka rta. Sie stimmt ihre Vor- sen Fällen aus rechtlichen Gründen gehindert sind, gehensweise eng mit ihren Partnern in der Europä- hier zu helfen. Es liegt auf der Hand, daß dies uns bei ischen Union ab. Die Bundesregierung hat den Ein- der Verfolgung einer glaubwürdigen Außenpolitik in druck, daß die indonesische Regierung an der Fo rt Schwierigkeiten bringt. rt ist, und daß dieser-setzung dieses Dialogs interessie Dialog auch der Behandlung von konkreten Einzel- Um Einladungen zu solchen Vorhaben in Deutsch- fällen zugute kommt. Zu den von Ihnen genannten land möglich zu machen, muß einerseits die Bundes- Fällen ist der Bundesregierung bekannt, daß indone- regierung flexibel sein und auch kurzfristig reagie- sische Stellen im Anschluß an den Besuch des indo- ren können. Andererseits müssen die Bedingungen, nesischen Präsidenten Suha rto im April 1995 in Beschränkungen und Grenzen für die ausländischen Deutschland Ermittlungen darüber angestellt haben, Streitkräfte, die bei uns vorübergehend zu Gast sein ob indonesische Staatsangehörige im Zusammen- werden, in dem Gesetz im vorhinein beschrieben hang mit einer Teilnahme an Veranstaltungen in sein. Den berechtigten Anliegen der Länder und Deutschland im Umfeld des Besuchs von Präsident 3070* Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. Mai 1995

Suharto gegen indonesisches Recht verstoßen haben. der Entschädigungsberechtigten die Entschädigungssummen für die einzelnen ehemaligen KZ-Opfer sich nicht drastisch ver- Die in der Frage genannten Personen befinden sich ringern und dadurch das Ansehen der ganzen Fonds-Entschädi- unter den Beschuldigten, gegen die ermittelt wurde. gung in Frage gestellt wird? Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse dar- über vor, daß eine der in der Frage genannten Perso- nen verhaftet wäre. Der bisherige Abgeordnete Sri Zu Frage 47: Bintang Pamungkas - sein Mandat wurde ihm auf Die Mittel der Stiftung „Verständigung und Aus- Betreiben seiner eigenen Partei aberkannt - unter- söhnung" sind bestimmt für „ehemals sowjetische liegt einer Ausreisesperre. Gegen ihn wird Pressebe- Bürger, die durch das nationalsozialistische Regime richten zufolge weiter ermittelt, derzeit nicht wegen verfolgt worden sind". In den Verhandlungen zur der Teilnahme an Demonstrationen, sondern wegen Einrichtung der Stiftung bestand Einvernehmen, daß des Verdachts der Beleidigung des Präsidenten. Der ehemalige Kriegsgefangene nicht zum Kreis der An- zunächst Mitbeschuldigte Mohammad Goenawan, spruchsberechtigten gehören sollten. Herausgeber der Zeitschrift „Tempo", der die im Sommer 1994 entzogene Lizenz vor wenigen Tagen Die Botschaft Moskau hat unsere Haltung gegen- per Gerichtsbeschluß wieder erteilt worden ist, über der Stiftung und dem russischen Außenministe- konnte darlegen, daß er in der fraglichen Zeit gar rium wiederholt dargelegt und auf den Text des No- nicht in Deutschland war. Zum Stand des Verfahrens tenwechsels über die Einrichtung der Stiftung ver- gegen die Studentenaktivistin Yenni Rosa Damayanti wiesen. liegen keine Informationen vor. Sie hält sich nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit nicht in Indo- nesien auf. Zu Frage 48: Zusammenfassend kann ich Ihnen versichern, daß Die Regierung der ehemaligen Sowjetunion hatte die Bundesregierung auch in Zukunft auf allen Ebe- bei den Verhandlungen über Gründung und Dotie- nen mit der indonesischen Regierung Kontakt halten rung der Stiftung die Entsendung eines deutschen wird, um auf die Respektierung der Menschenrechte Vertreters in den Aufsichtsrat st rikt abgelehnt. Die einwirken zu können. Bundesregierung hat auf die Mittelvergabe der Stif- tungen in den jeweiligen Einzelfällen keinen Einfluß. Die Stiftungen legen die notwendigen Leistungsvor- aussetzungen eigenständig fest. Die Bundesregie- rung beobachtet aber aufmerksam die Tätigkeit der Anlage 5 drei Stiftungen, in deren Aufsichtsräten auch Reprä- sentanten von NS-Verfolgten-Verbänden aufgenom- Antwort men wurden, um auf eine möglichst sachgerechte und rasche Verwendung der Stiftungsgelder hinzu- des Staatsministers Helmut Schäfer (Mainz) auf die wirken. Fragen des Abgeordneten Gernot Erler (SPD) (Drucksache 13/1347 Fragen 47 und 48): Nach Kenntnis der Bundesregierung werden ehe- malige sowjetische Kriegsgefangene von den Stiftun- Wie hat die Bundesregierung reagie rt auf den Erlaß des russi- gen bisher nicht entschädigt. Die Bundesregierung schen Präsidenten Bo ris Jelzin vom 16. Dezember 1994 unter dem Titel „Wiederherstellung der legitimen Rechte der russi- hat deshalb sowjetischen Kriegsgefangenenorgani- schen Burger, der ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen sationen, die um Vermittlung der Auszahlung von und Zivilpersonen, die im Großen Vaterländischen Krieg repatri- Stiftungsmitteln an ehemalige Kriegsgefangene ge- iert wurden", der vorsieht, daß künftig auch russische Kriegsge- beten hatten, den in meiner vorherigen Antwort dar- fangene aus dem für die Entschädigung ehemaliger russischer KZ-Häftlinge von der Bundesrepublik Deutschland gebildeten gestellten Standpunkt erläutert. Damit soll sicherge- „Fonds für Einverständnis und Aussöhnung" entschädigt wer- stellt werden, daß die den Stiftungen zur Verfügung den sollen? gestellten Mittel in vollem Umfang für die Entschädi- Welche Möglichkeiten hat die Bundesregierung, um sicherzu- gung ehemaliger sowjetischer NS-Verfolgter ver- stellen, daß durch diese einseitig vorgenommene Erweiterung wendet werden.