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Mithilfe des Schweizer Vereins Thannaka Eine Zahnklinik konnte eine Schule in Myanmar eine Zahnklinik einrichten. Nun profitiert jedes für 7500 Kinder Kind gratis von Behandlung und Nachsorge, von einer Unterweisung in Mundhygiene, in Myanmar und jedes besitzt eine eigene Zahnbürste.

Text: Andrea Renggli, SDJ-Redaktorin; Fotos: zvg

Für viele Kinder in Myanmar ist es nor­ amtlichen Helfer fiel die schlechte Zahn­ den Spenden aus der Schweiz konnte die mal, Zahnschmerzen zu haben. Ein gros­ gesundheit der Kinder auf. Er erzählte der PDO-Schule nicht einmal ein Jahr später ser Teil der Menschen hat keine Mittel für Dentalhygienikerin Aygol Vermot Babaki in einem Nebengebäude eine Zahnklinik eine Behandlung beim Zahnarzt. Wenn und ihrem Mann Steeve Vermot aus Esta­ einrichten. Aygol Vermot Babaki erzählt: die Schmerzen unerträglich werden, las­ vayer-le-Lac von seiner Beobachtung. «Wir haben die Zahnklinik im Lauf der sen sie sich die Zähne ziehen – in einem Den beiden war bald klar, dass sie eben­ Jahre nach und nach eingerichtet. Zurzeit Hinterzimmer auf dem Markt. Um diesem falls als Freiwillige nach Mandalay reisen haben wir drei Behandlungsstühle, die Missstand etwas entgegenzusetzen, bietet würden. nötige Ausrüstung für die Zahnpflege, ein der Schweizer Verein Thannaka armen Bei diesem ersten Aufenthalt in Myan- Sterilisationsgerät, einen Raum zum Kindern und Erwachsenen eine kosten­ mar untersuchte Aygol Vermot Babaki Röntgen sowie Stauraummöbel usw.» lose zahnärztliche Behandlung. die Zähne von 500 Kindern. Das alarmie­ Freiwillige, die regelmässig für den Verein rende Resultat: Über 80 Prozent der Kin­ Thannaka aus der Schweiz nach Myanmar Alarmierende Zustände der litten unter schweren zahnmedizini­ fliegen, kaufen das fehlende Material sel­ Die Geschichte beginnt im Jahr 2007. Ein schen Problemen. Diese wirken sich auf ber oder lassen es vor Ort reparieren. «So Schweizer leistete Freiwilligenarbeit an die allgemeine Gesundheit aus sowie auf können wir die Ausgaben besser überbli­ der buddhistischen Klosterschule Phaung das soziale Leben und damit auf die Zu­ cken.» Daw Oo (PDO) in Mandalay, wo rund kunftsaussichten der Kinder. Drei einheimische Zahnärzte behandeln 7500 Kinder unterrichtet werden. Sie zwei Mal wöchentlich zu einem symboli­ sind Waisen oder stammen aus benach­ Eine Zahnklinik an der Schule schen Lohn die Kinder sowie ihre Ange­ teiligten Familien, die sich die öffentliche Das Ehepaar reiste zurück in die Schweiz hörigen und arme Menschen aus der Schule nicht leisten können. Dem ehren­ und gründete den Verein Thannaka. Dank ­Umgebung. Praktikanten des Mandalay

Dank der Hilfe des Schweizer Vereins Thannaka profitiert jedes Kind an der PDO-Schule in Myanmar gratis von einer zahnmedizinischen Behandlung.

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Myanmar

Das südostasiatische Land Myanmar – auf Deutsch auch Birma genannt – hat 52 Millionen Einwohner, fast 90 Prozent davon sind Buddhisten. Myanmar stand seit 1962 unter einer Militärherrschaft, bis diese 2011 einen zivilen Präsidenten als Staatsoberhaupt einsetzte. Vor der Diktatur war das Land wirtschaftlich er- folgreich, heute gehört es zu den ärme­ ren auf der Welt. Seit der Öffnung ent- wickelte sich der Tourismus zu ­einem wichtigen Wirtschaftszweig.

Dental College arbeiten unter der Aufsicht ihrer Ausbilder oder lokaler Zahnärzte. Zahnärzte und Dentalhygieniker aus der Schweiz reisen jedes Jahr nach Myanmar, um viele Kinder der Schule zu behandeln. Dabei teilen sie ihre Erfahrung mit den lokalen Zahnärzten und unterrichten die Zahnweh zu haben. Wenn sie Schmerzen ligen verbessern. Ausserdem möchten Klassen in Mundhygiene. Das grösste haben, lassen sie sich in der Klinik be­ wir eine Schule für Zahnprophylaxe zahnmedizinische Problem sei die man­ handeln.» gründen, um Fachpersonal in diesem gelnde Mundhygiene, welche Zahn­ Aygol Vermot Babaki und ihr Mann ha­ ­Bereich auszubilden. Diese Profis önnk ­ fleischprobleme und Karies verursache, ben bereits neue Ziele im Visier: «Wir ten dann subgingivalen Zahnstein ent­ so Aygol Vermot Babaki. wollen uns natürlich weiterhin um die fernen und Kariesprävention in Dörfern, Kinder der PDO-Schule kümmern, den Spitälern, Schulen oder Waisenhäusern Jedes Kind hat eine Zahnbürste Betrieb der Zahnklinik aufrechterhalten unterrichten.» Der Erfolg des Vereins Thannaka kann und die Zusammenarbeit zwischen den sich sehen lassen. Aygol Vermot Babaki lokalen Zahnärzten und unseren Freiwil­ www.thannaka.ch erreichte mit diesem Projekt den zweiten Rang des Social Responsibility Award 2014, der von der International Federa­ tion of Dental Hygienists & Global Dental Birmanisches Make-up Child Fund vergeben wird. Sie erzählt: «Jedes Kind an der Schule hat heute eine Thannaka ist eine gelblich-weisse Paste aus fein geriebener Baumrinde und Wasser. Zahnbürste – auf unserer ersten Reise war In Myanmar streichen sich vor allem Kinder und Frauen Thannaka ins Gesicht, manch- dies nicht der Fall. Auch die Hygienever­ mal auch auf die Arme. Das natürliche Kosmetikmittel soll die Haut jugendlich wirken hältnisse sind sichtbar besser. Die Kinder lassen, vor der Sonnenstrahlung schützen, Akne bekämpfen und kühlen. wissen jetzt, dass es nicht normal ist,

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Rauchen schadet Mund und Zähnen. Mit Risikofaktor dem Rauchstopptag und Rauchstoppwett- bewerb ergänzt das Nationale Rauchstopp-­ ­Rauchen Programm optimal die Tabakentwöhnung ­ausschalten in der zahnmedizinischen Praxis. Text: Nicolas Broccard und Silvia Büchler, Nationales Rauchstopp-­ Programm; Foto: Fotolia

Dieses Jahr findet am Welttag ohne Tabak Für beide Events stehen Anmeldekarten sowie Englisch, Albanisch, Serbisch/ vom 31. Mai erstmals der Rauchstopptag und Plakate in den Sprachen Deutsch, Kroatisch/Bosnisch und Türkisch zur statt. Am Tag darauf startet der bekannte Französisch, Italienisch, Rätoromanisch Verfügung. Sie können kostenlos bestellt Rauchstoppwettbewerb. Diese Events sind eine gute Gelegenheit, das Thema Rauchstopp in der zahnmedizinischen Praxis anzusprechen und über den Zu­ sammenhang zwischen Rauchen und Paro­dontitis, Veränderungen der Mund­ schleimhaut und gestörter Wundheilung im Mund zu informieren.

Rauchstopptag Raucherinnen und Raucher können ver­ suchen, einen Tag ohne Zigaretten aus­ zukommen. Unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die sich auf www. rauchstopp.ch einschreiben, werden 100 Gutscheine von je 25 Franken verlost.

Rauchstoppwettbewerb Mitmachen können alle Raucherinnen und Raucher, die vom 1. bis 30. Juni 2016 eine Rauchpause einschalten. Wer die Rauchpause schafft, nimmt an der Ver­ losung von 100 Preisen teil (Bargeld im Wert von 20 mal 500 Franken und 80 mal 50 Franken). Die Anmeldung erfolgt auf www.rauchstopp.ch oder per Anmelde­ karte. Dieses Jahr findet am Welttag ohne Tabak vom 31. Mai erstmals der Rauchstopptag statt.

Breites Bildungsangebot

Sowohl für in Ausbildung stehende wie für ausgebildete Fachpersonen bietet das Projekt «Rauchen – Intervention in der zahnmedi­ zinischen Praxis» verschiedene Bildungsmöglichkeiten an. Für Informationen wenden Sie sich unter [email protected] an Silvia Büchler, Projektleiterin. –– Für Berufsfachschulen, Study-Clubs und Fortbildungskurse vermittelt das Projekt qualifizierte Referentinnen und Referenten. –– Für das ganze Team organisiert das Projekt nach Absprache kostenlose Fortbildungen in der eigenen Praxis. Im Kurs werden die theoretischen und praktischen Grundlagen des Gesprächs mit rauchenden Personen gelehrt und die praktische Umsetzung bespro- chen. –– Für interessierte Einzelpersonen veranstaltet das Projekt Fortbildungen. Am 12. Mai findet von 14 bis 17 Uhr ein Kurs in Sarnen und am 18. Mai von 18.30 bis 21 Uhr ein Kurs in Frauenfeld statt. Informationen und Anmeldung unter www.dent.at-schweiz.ch. –– Im Tessin werden in Zusammenarbeit mit der Lungenliga ebenfalls Kurse angeboten. –– Testen Sie Ihr Wissen zu Rauchen und Mundgesundheit unter www.dent.at-schweiz.ch. Wenn Sie sieben der zehn Fragen richtig beantworten, erhalten Sie ein Zertifikat.

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Umfassende Informationen

Auf der Website www.dent.at-schweiz.ch sind Informationen über Rauchen und Mundgesundheit abrufbar. Auch stehen mehrere Downloads zur Verfügung: –– für die Praxis: Anamneseblatt Tabakkonsum für die Patientendokumentation, Nikotinabhängigkeitstest (Fagerströmtest), Selbst- kontrollblatt zur Vorbereitung auf den Rauchstopp –– für Fachpersonen: Artikelserie zu Tabakkonsum und Zahnmedizin, erschienen in der Schweizer Monatsschrift für Zahnmedizin

Weiter können folgende Unterlagen kostenlos bestellt werden: –– Manual für zahnmedizinische Fachpersonen: Tabakassoziierte Erkrankungen der Mundhöhle und Raucherberatung (Deutsch) –– Lehrmittel für die Schulzahnpflege in der Oberstufe: Rauchen und Mundgesundheit (Deutsch und Französisch) –– Flyer für Patientinnen und Patienten: Rauchen und Mundgesundheit (Deutsch, Französisch, Italienisch und Englisch) –– Broschüre für Patientinnen und Patienten: Ein gesunder Mund – ein Leben lang (Deutsch, Französisch und Italienisch).

werden auf www.rauchstopp.ch unter Rauchen – Intervention in der zahnmedi­ Korrespondenzadresse Shop oder per Telefonanruf auf Nummer zinischen Praxis Nationales Rauchstopp­Programm 031 599 10 20. Das Projekt «Rauchen – Intervention in Projekt «Rauchen – Intervention in Partnerorganisationen von Rauchstopp­ der zahnmedizinischen Praxis» hat zum der zahnmedizinischen Praxis» tag und Rauchstoppwettbewerb sind die Ziel, die Fachpersonen der Zahnmedizin Silvia Büchler, Projektleiterin Schweizerische Zahnärzte-Gesellschaft für ihre Rolle bei der Aufklärung über die Haslerstrasse 30, 3008 Bern SSO, Swiss Dental Hygienists, FMH (Ver­ Tabakentwöhnung zu sensibilisieren und Telefon +41 31 599 10 20 bindung der Schweizer Ärztinnen und für die Beratung von Raucherinnen und E­Mail: info@at­schweiz.ch Ärzte), Pharmasuisse – Schweizerischer Rauchern auszubilden. Zudem unter­ Apothekerverband und der Schweizer stützt das Projekt wissenschaftliche Un­ www.dent.at-schweiz.ch Berufsverband der Pflegefachfrauen und tersuchungen. Es ist Teil des Nationalen Pflegefachmänner SBK-ASI. Beide Events Rauchstopp-Programms, welches durch werden durch den Tabakpräventions­ den Tabakpräventionsfonds finanziert fonds finanziert. wird.

Ihr Ansprechpartner für alle Hygienefragen: • Kurse • Kontrollen • Audits • Beratungen ABA AG • Beratungen Hauptstrasse 76 • Revalidierungen Hauptstrasse 76 • Revalidierungen 3285 Galmiz Tel. 026 672 90 70 [email protected]

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MEDIZIN

Viele Forscher in der Medizin kämpfen lange Verkannt und Zeit gegen Widerstand ihrer Kollegen. Das ausgelacht SDJ berichtet von neun solchen Fällen.

Text: Felicitas Witte, Ärztin und Journalistin Grafiken: Emanuele Fucecchi

Jeder Forscher wünscht sich, dass seine re werden nicht durch Stress, scharfes Entdeckung sofort von Kollegen und oder zu viel Magensäure verur­ Öffent­lichkeit begeistert angenommen sacht, sondern durch Bakterien.» wird. Doch die Realität sieht oft anders In jeder zweiten Probe von Geschwüren aus. Sei es aus Neid, beschränkter Vor­ in Magen oder Zwölffingerdarm fand stellungskraft oder Angst vor Neuem: In Marshalls Kollege am Royal-Perth-Kran­ der Medizingeschichte gibt es viele Bei­ kenhaus in Australien damals kleine, ge­ spiele dafür, dass Mediziner jahrelang bogene Bakterien, später Helicobacter Ablehnung und scharfe Kritik einstecken pylori genannt. Die Magenschleimhaut mussten, bis ihre Forschung anerkannt war dort entzündet, wo die meisten Kei­ wurde. Das SDJ berichtet von neun sol­ me zu sehen waren. Barry Marshall war chen Fällen. sich sicher: Durch die Keime wurden die Menschen krank. Doch viele Kollegen Barry Marshall (geboren 1951): glaubten ihm nicht. «Kaum jemand heroischer Selbstversuch konnte sich damals vorstellen, dass Bak­ Der junge Arzt Barry Marshall war frus­ terien für Magengeschwüre verantwort­ triert, weil ihm bei seiner Forschung lich sein könnten», erzählt Fried. «Aus ­Steine in den Weg gelegt wurden. So damaliger Sicht war das nachvollziehbar, schluckte er 1984 in einem heroischen denn der Mechanismus war unbekannt. Andreas Grüntzig Selbstversuch eine Ladung Bakterien. Und es gab noch keine Studien, die zeig­ «Marshall hat damit eine grossartige Ent­ ten, dass die Entfernung von Helicobacter deckung gemacht», sagt Michael Fried, das Magengeschwür heilt.» Marshall er den Kardiologen Eberhard Zeitler ein­ Gastroenterologe am Unispital Zürich. ­beschloss, sein eigenes Versuchskanin­ laden und ihm bei der ersten Dilatation in «Er bewies: Die meisten Magengeschwü­ chen zu sein, schluckte Helicobacter und Zürich assistieren. Leider löste sich ein ­bekam prompt eine schwere Magen-­ Plaque und verstopfte die Arteria popli­ Schleimhautentzündung. «Ich hätte das tea. Kollegen im Publikum freuten sich nicht gemacht», sagt Fried, «denn Mar­ über das Missgeschick und waren noch shall konnte die Gefahren seines Selbst­ ablehnender als vorher. Mit der Unter­ versuches nicht absehen, und ausserdem stützung von Walter Siegenthaler, dem ist ein einziger Teilnehmer einer Studie Chef der Inneren Medizin, und dem Chef sowieso nicht aussagekräftig.» Heute be­ der Herzchirurgie Åke Senning durfte handeln Ärzte die Infektion mit Antibio­ Grüntzig weitermachen. Senning sagte: tika und einem Medikament, das die Säu­ «Machen Sies, falls etwas passiert, ope­ reproduktion im Magen hemmt. riere ich!» 1977 dehnte Grüntzig zum ers­ ten Mal bei einem Patienten ein verengtes Andreas Grüntzig (1939–1985): Herzkranzgefäss mit einem Ballonkathe­ Erfolg durch Unterstützung von den Chefs ter auf. «Die Idee mit dem Ballon war ge­ 1969 hörte ein junger Arzt auf einer Kon­ nial, weil der sich auf eine gewünschte ferenz von einer Methode, die der ame­ Grösse aufdehnen liess, aber nicht über­ rikanische Radiologe Charles Dotter er­ dehnte», sagt Franz Eberli, Chefkardiolo­ funden hatte: Mit einem Katheter arterio­ ge am Triemli-Spital in Zürich. «Aus­ser­ sklerotisch verschlossene Blutgefässe dem hat Grüntzig gewagt, die für die pe­ aufbohren. Andreas Grüntzig war begeis­ ripheren Arterien entwickelte Methode tert. Nach einigen Diskussionen mit den am Herz auszuprobieren.» Grüntzig habe Barry Marshall Kollegen am Kantonsspital Zürich durfte Medizingeschichte geschrieben, sagt

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Signal auf einer T-Zelle ausschalten?» Spieler fand er ähnliche Veränderungen ­Genau das glaubte Allison und blieb hart­ wie bei Webster. «Wir gehen heute davon näckig. Endlich fand er eine Firma, die ihn aus, dass durch das Trauma eine bioche­ bei seinen Studien unterstützte. Er testete mische Kaskade ausgelöst wird», erklärt den Antikörper zunächst beim metasta­ Tronnier. «Dabei werden das Tau- und sierten Melanom, und irgendwann merk­ andere Proteine freigesetzt und im Hirn ten es seine Kollegen: Auch bei Patienten abgelagert – ähnlich wie bei Alzheimer. ging der Krebs dramatisch zurück. «Na­ Das verursacht Gemütsveränderungen, türlich haben viele Forscher Allisons Er­ Aggressivität, soziale Isolation und ir­ gebnisse zunächst kritisch diskutiert und gendwann eine Demenz.» Es kann aber hinterfragt», sagt Greinix. «Letztendlich auch zu Gleichgewichtsstörungen, chro­ zählen aber die Fakten, und die sind be­ nischen Kopfschmerzen und Verwirrt­ eindruckend.» Inzwischen sind mehrere heitszuständen kommen. «Auffällig oft Medikamente dieser Art zugelassen. haben die Spieler Selbstmordgedanken, und überdurchschnittlich viele bringen Bennet Omalu (geboren 1968): sich um», sagt Tronnier. Erst sieben Jahre Widerstand von der mächtigen Football-­ nach Omalus Entdeckung räumte ein Lobby NFL-Sprecher ein, dass Hirnerschütte­ James Allison Der Neuropathologe Bennet Omalu fand rungen zu Langzeitproblemen führen im Hirn des ehemaligen Spielers der Na­ können. tional Football League (NFL) Mike Webster Thomas Lüscher, Direktor der Kardiologie zugrunde gegangene Nerven im Hirn, die Stanley Prusiner (geboren 1942): am Unispital Zürich. «Dank Grüntzig er sonst bei dementen Boxern oder bei ein gängiges Dogma widerlegt werden heute drei- bis viermal mehr Pa­ Alzheimer-Patienten sah. Omalu vermu­ Er beharrte auf seiner Idee, obwohl Kolle­ tienten mit Angina pectoris mit einem tete, Webster habe eine chronische, trau­ gen sie für absurd hielten. Anfang der Katheter behandelt und brauchen keinen matische Enzephalopathie wegen der 1970er-Jahre war der Neurologe Stanley Bypass.» Eberli findet noch etwas beein­ wiederholten Hirnerschütterungen beim Prusiner überzeugt: Rinderwahn und die druckend: «Er war einer der ersten, der Football, und schrieb darüber in einer Creutzfeldt-Jakob-Krankheit werden eine rigorose Qualitätskontrolle für seine Fachzeitschrift. «Als ich das las, war ich nicht durch Viren, Bakterien oder Pilze Methode eingeführt hat.» überrascht, denn offenbar bietet der Foot­ verursacht, sondern durch infektiöse ball-Helm keinen wirklichen Schutz», Proteine. «Er stellte das gängige Dogma James Allison (geboren 1948): erzählt Volker Tronnier, Chefneurochirurg infrage», sagt Andrew Chan, Leitender hartnäckig, obwohl viele zweifelten am Uniklinikum Schleswig-Holstein. Neurologe am Inselspital in Bern. «Das Als James Allison 1978 seine Karriere im Nach Omalus Veröffentlichung stellten hat offenbar einigen Kollegen nicht gefal­ Krebszentrum an der Universität Texas ­jedoch viele Kollegen seine Ergebnisse len.» Man wusste, dass diese Krankhei­ begann, dachte er: Gegen Krebszellen ­infrage. «Man wollte ihm nicht glauben, ten durch Extrakte der Gehirne von kran­ könnten doch körpereigene T-Immunzel­ da Football in den USA ein Volkssport ist ken Menschen oder Rindern übertragen len kämpfen. Doch viele Kollegen meinten und in der NFL natürlich eine riesige werden können. Manche Forscher ver­ damals, das Immunsystem spiele keine­ Geldmenge umgesetzt wird.» muteten, dass das Agens weder DNA Rolle bei Krebs. Bei einer Immun­ant­wort Doch Omalu liess sich davon nicht beein­ noch RNA enthielt – eine gewagte Hypo­ im Körper werden T-Zellen aktiviert, um drucken. In den Hirnen anderer NFL-­ these, denn alle bekannten Erreger hat­ beispielsweise Krankheitserreger zu be­ kämpfen. Doch irgendwann aktiviert der Körper eine Bremse, damit das Immun­ system nicht überschiessend reagiert. «Allison hat erkannt, dass das einer der Gründe sein könnte, warum es so schwie­ rig war, das Immunsystem gegen Krebs­ zellen zu mobilisieren», erzählt Hildegard Greinix, Leitende Hämatologin am Uni­ spital in Graz. Würde man die Bremse ­lösen, so überlegte Allison, könnten die T-Zellen Krebszellen attackieren. So fand er das Protein CTLA-4 auf der Oberfläche von T-Zellen, das als Bremse fungiert. In Versuchen mit Mäusen blockierte er CTLA-4 mit einem Antikörper, und viele Krebsarten konnte er bei den Tieren damit bekämpfen. Pharma- und Biotechfirmen sollen ihn immer wieder weggeschickt und gesagt haben: «Sie meinen, Sie kön­ nen Krebs therapieren, nur indem Sie ein Bennet Omalu Stanley Prusiner

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ten Erbmaterial. 1982 wies Prusiner im Hirn von erkrankten Hamstern das infek­ tiöse Agens nach: Es war ein Protein. Er nannte es Prion, eine Abkürzung für pro­ teinaceous infectious particle. Einige Jah­ re später wies Prusiner nach, dass sich das Prion-Protein in zwei Varianten fal­ ten kann und dass das infektiöse Prion eine Kettenreaktion auslöst, die letztend­ lich zu den Hirnveränderungen führt. «Für mich als jungen Arzt war es damals einfach, Prusiners Hypothese zu akzep­ tieren. Ich habe aber viele ältere Kollegen erlebt, die sehr skeptisch waren.» Nur langsam akzeptierte die Fachwelt Prusi­ ners Hypothesen. 1997 erhielt er den Nobel­preis. «Prusiner hat einen langen Atem gehabt und aller Skepsis widerstan­ den – das wurde belohnt», sagt Chan. Peyton Rous Ignaz Semmelweis

Martin Couney (1870–1950): der Retter der Frühgeborenen Auf der Berliner Gewerbeausstellung sacht werden könne, bezweifelten die Darf man mit kleinen Babys Geld ma­ stellte Couney mit seinem Chef Inkuba­ meisten Forscher damals. Kritiker be­ chen? Diese Frage stellte sich Martin Cou­ toren aus, die sie «Kinderbrutanstalt» haupteten, der durch das Rous-Virus ver­ ney vermutlich nicht – zum Glück. Denn nannten. Sechs dort ausgestellten Früh­ ursachte Tumor wäre kein Krebs, sondern mit seiner Aktion rettete der Arzt Tausen­ geborenen soll Couney das Leben gerettet eine Reaktion auf das Virus, wie eine Ent­ den von Frühgeborenen das Leben. Cou­ haben. Die Besucher waren begeistert. zündung oder ein Granulom. «Im Nach­ ney studierte in und war dort faszi­ Couney wollte die Geräte in die USA im­ hinein betrachtet war die Kritik nicht be­ niert von den neuen Inkubatoren, die der portieren, doch seine amerikanischen rechtigt», sagt Burkhard Ludewig, Leiter französische Arzt Étienne Stéphane Tar­ Kollegen reagierten ablehnend: Das sei des Instituts für Immunbiologie am Kan­ nier erfunden hatte: Kästen aus Holz mit gegen Mutter Natur. So stellte der clevere tonsspital St. Gallen. «Die Zweifler haben Glasklappen, inspiriert durch Geräte, mit Geschäftsmann die Inkubatoren im Luna sich nicht getraut, andere Erklärungs­ denen Geflügel inkubiert wurde. «Die Park auf Coney Island in New York aus. möglichkeiten, nämlich das infektiöse Erfindung war genial, weil sie so einfach Er nahm 25 Cent Eintritt, wenn jemand Prinzip, in Erwägung zu ziehen.» ist», sagt Vera Bernet, leitende Neonato­ seine Frühchen durch das Glas sehen Fast 60 Jahre nach Rous’ Entdeckung login am Unispital Zürich. «Frühgebore­ wollte, und zahlte damit die Behandlung wurde das verantwortliche Gen v-src ne haben wenig bis kein Unterhautfett der ­Babys. «Kinder zur Schau zu stellen, ­gefunden. Dies kodiert für eine Tyrosin­ und kühlen rasch aus. Werden sie im In­ um Geld zu sammeln, wäre heute aus kinase in der Zelle, die das Wachstum kubator gewärmt, sinkt ihr Energiebe­ ethischen Gründen nicht mehr möglich», von Krebszellen fördert. Jahre später ka­ darf, und ihre Überlebenschancen stei­ sagt Bernet. Couney soll 8000 Frühgebo­ men die ersten Tyrosinkinase-Hemmer gen.» rene behandelt und 6500 davon das Leben als Krebsmedikamente auf den Markt. gerettet haben. 1966, mehr als 50 Jahre nach seiner Ent­ deckung, erhielt Rous den Nobelpreis. Peyton Rous (1879–1970): Ludewig ist Rous persönlich dankbar für seiner Zeit voraus seine Forschung: «Mein Vater hat gegen Als junger Pathologe experimentierte seinen Krebs einen Tyrosinkinase-Hem­ Peyton Rous am New Yorker Rockefeller-­ mer bekommen und konnte damit noch Institut für medizinische Forschung mit viele Jahre leben. Rous’ Entdeckung hat Hühnereiern. 1911 injizierte er das zell­ die Entwicklung dieser Medikamente freie Ultrafiltrat eines Muskeltumors ei­ erst ermöglicht.» nes Huhns in andere Hühner und erzeug­ te so bei ihnen Krebs. Rous vermutete, Ignaz Semmelweis (1818-1865): ein Keim könnte dahinterstecken, aber mit einfacher Massnahme Kindbettfieber kein Bakterium, denn das hätte den fei­ vermeiden nen Filter nicht passieren können. Er Als der junge Assistenzarzt Ignaz Semmel­ dachte an ein Virus, wobei man damals weis in der Geburtshilfe am Allgemeinen noch gar nicht genau wusste, was das ist. Krankenhaus in Wien arbeitete, starb fast Später wurde das Virus, das den Muskel­ jede fünfte Frau an Kindbettfieber. Sem­ tumor erzeugte, Rous-Sarkom-Virus ge­ melweis fiel auf, dass viel mehr Frauen in nannt. der Abteilung starben, wo sich Ärzte und Rous war seiner Zeit weit voraus. Die Medizinstudierende um sie kümmerten, Martin Couney Idee, dass Krebs durch ein Virus verur­ als dort, wo nur Hebammen zuständig

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waren. Kurz darauf erlag sein Freund Ja­ «So ein Streit zwischen verschiedenen kob Kolletschka, ein Gerichtsmediziner, Theorien gab und gibt es sehr oft in der einer Blutvergiftung, er hatte sich beim Medizin», sagt Flurin Condrau, Professor Sezieren einer Leiche verletzt. Die Symp­ für Medizingeschichte an der Uni Zürich. tome des Freundes ähnelten denen des «Pasteur konnte seine Ideen aber so ge­ Kindbettfiebers: ieber,F schneller Puls nial vermarkten, dass er seine Zweifler und schnelle Atmung, Blutdruckabfall bis schnell überzeugte.» Pasteur lud Leute zu Schock und Tod. «Leichenteile», so ver­ öffentlichen Demonstrationen ein – ähn­ mutete Semmelweis, gelangten bei beiden lich wie heute Pharmafirmen mit ihren Krankheiten in das Blut und waren die Firmensymposien. «Er war begnadet da­ Ursache für die Todesfälle. Das erschien rin, so zu formulieren, dass die Zuhörer ihm logisch, denn Ärzte und Medizinstu­ fasziniert waren», erzählt Condrau. denten kamen direkt aus dem Seziersaal Pasteur verlangte nach Untersuchungs­ in den OP. 1847 forderte Semmelweis, kommissionen, um wissenschaftliche Ärzte und Studenten sollten ihre Hände Streitpunkte zu entscheiden. Allerdings nach Autopsien desinfizieren, bevor sie soll er dabei die Auswahl der Kommis­ Schwangere untersuchten. In den Klini­ sionsmitglieder beeinflusst haben, sodass ken, wo das umgesetzt wurde, starben für seinen wissenschaftlichen Gegner nur noch zwei Prozent der Frauen statt Louis Pasteur kein faires Urteil gesichert war. Die Wis­ wie vorher 18,3 Prozent. «Das war eine senschaftshistoriker Gerald Geison und der grössten Entdeckungen auf dem Weg Antonio Cadeddu wollen anhand von zur modernen Medizin», sagt Daniel Sur­ Louis Pasteur (1822–1895): Pasteurs Labortagebüchern nachgewie­ bek, Chefarzt der Geburtsmedizin am In­ Kritik im Keim erstickt durch geniales sen haben, dass sich seine Veröffentli­ selspital in Bern. «Semmelweis hat damit ­Marketing chungen nicht immer mit den tatsächlich schon zu Lebzeiten Tausenden von Frauen Louis Pasteur ist ein Beispiel dafür, wie im Labor vorgenommenen Experimenten das Leben gerettet.» Doch die meisten ein Forscher trotz Zweifeln und Wider­ deckten. Das machen leider heute noch Kollegen lehnten Semmelweis’ Erkennt­ stand durch Kollegen seine Theorie einige Forscher. «Trotzdem hat er gran­ nis ab oder verspotteten ihn sogar. «Da­ durchsetzen konnte. Pasteur meinte, diose Entdeckungen gemacht», sagt mals konnte sich keiner vorstellen, dass Krankheiten entstünden durch Mikro­ Condrau. «Und er war der Erste, der ge­ schwere Erkrankungen durch winzige orga­nis­men und zeigte das in überzeu­ zeigt hat, dass man für seine Ideen Unter­ ­Erreger übertragen werden können», sagt genden Experimenten. Damit stellte der stützung von Gesellschaft und Politik Surbek. 1865 soll Semmelweis gegen sei­ Mikrobiologe das Konzept der «Spontan­ braucht.» nen Willen in die Landesirrenanstalt in zeugung» infrage, dass sich also Leben Wien ­gebracht worden sein, wo er kurze und auch Krankheiten spontan entwi­ Zeit später starb – ausgerechnet an einer ckelten, was von vielen seiner Zeitgenos­ Literatur Wundinfektion. sen vertreten wurde. Literatur bei der Autorin

SSO-Jahreskongress – jetzt anmelden

(ar) «Jüngere Zahnärzte – ältere Patienten», unter diesem Motto steht der diesjährige SSO-Jahreskongress vom Donnerstag, 9., bis Samstag, 11. Juni. Das wissenschaftliche Programm beginnt am Donnerstag um 9.10 Uhr. Als erster Referent wird der Autor und Kari- katurist Werner Tiki Küstenmacher mittels Zeichenstift das Kongressthema interpretieren. Schlussreferent ist alt Bundesrat Adolf Ogi, er spricht zum Thema «Leadership aus erster Hand – praktisch umgesetzt». Dies ist ein öffentlicher Vortrag, der allen Interessierten offensteht (Samstag, 10.10 Uhr). Anschliessend wird unter den anwesenden Kongressbesuchern ein attraktiver Preis verlost. Am Don- nerstagabend sind alle Kongressteilnehmer zum entspannten Get-together mit Musik und Verpflegung eingeladen. Ebenfalls vom 9. bis 11. Juni öffnet die «Dental Bern», die grösste Dentalmesse der Schweiz, ihre üren.T

Anmeldung unter: www.sso.ch

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MEDIZIN-UPDATE

Für junge Frauen eignen sich andere Ver­ Sicherer Sex hütungsmethoden als für ältere. Welche die beste ist, hängt von Risikofaktoren und Vorlieben ab.

Text: Dr. Felicitas Witte, Ärztin und Journalistin Grafik: Emanuele ucecchiF

Die Auswahl ist gross, aber nicht alle Ver­ hütungsmethoden eignen sich für jede junge Frau gleich gut. Ausserdem haben sie unterschiedliche Vorstellungen von der Verhütung: Manchen macht es nichts aus, jeden Tag die Pille einzunehmen, einige kleben lieber wöchentlich ein Pflaster auf, andere wollen eine Methode für mehrere Jahre. Wichtig ist zudem, ob die junge Frau raucht oder eine Thrombose hatte und ob Thrombosen, Krebs oder Gefässkrankhei­ ten in der Familie auftraten. «Liegt keiner dieser Risikofaktoren vor, ist die Pille eine gute Option», sagt Gabriele Merki, Leiterin der Sprechstunde für Schwangerschafts­ verhütung am Unispital Zürich. Meist ver­ schreibt sie die Mikropille mit Östrogen und Gestagen. «Die Minipille, die nur Ges­ Jung und frisch verliebt: Welche Verhütungsmethode für junge Frauen die richtige ist, hängt von ihren tagene enthält, mögen Mädchen nicht so Risikofaktoren und Vorlieben ab. gerne, weil sie öfter Zyklusstörungen ver­ ursacht. Sie hat aber den Vorteil, dass sie im Gegensatz zur Mikropille das Thrombo­ bei den neueren kleinen Spiralen», sagt www.tschau.ch. Bei der Recherche sollte serisiko nicht erhöht.» Merki. Spiralen sind sicherer als die Pille, man aber nicht vergessen, auf die Quelle Eine gute Alternative sind Vaginalring oder selten kommt es zu Infektionen im Unter­ zu achten: Manche Seiten werden von Hormonpflaster, die man auf Bauch, Rü­ leib oder bei der Hormonspirale zu unre­ Pharmafirmen gesponsert, die ihr eigenes cken, Po oder Oberarm klebt. «Diese Me­ gelmässigen Blutungen. Bevor sie eine Verhütungsprodukt besser darstellen als thoden sind genauso sicher wie die Pille. Spirale einlegt, muss die Ärztin Infektio­ die anderen. Man braucht sie aber nur einmal pro Wo­ nen ausschliessen, vor allem mit Chlamy­ che beziehungsweise­ einmal pro Monat zu dien. Vor diesen Keimen, HIV oder ande­ Rechtliches wechseln», sagt Merki. Selten verschreibt ren sexuell übertragbaren Krankheiten Ein Arzt darf Mädchen unter 18 Jahren sie hormonelle Langzeitverhütungen wie schützen all diese Methoden jedoch nicht. ohne Einwilligung der Eltern die Pille eine Gestagenspritze. Diese sorgt zwar für «Junge Paare sollten immer zusätzlich ein ­verschreiben. «Das Mädchen muss aber eine sichere Verhütung, birgt aber das Ri­ Kondom benutzen, wenn sie sich noch urteilsfähig sein», sagt Brigitte Tag vom siko, dass die Knochendichte bei jungen nicht so lange kennen», sagt Merki. Rechtswissenschaftlichen Institut der Uni Frauen nicht altersgerecht zunimmt. Von natürlichen Verhütungsmethoden wie Zürich. «Es sollte beispielsweise andere Messung von Temperatur oder bestimmter Verhütungsmethoden kennen und muss Immer zusätzlich Kondom Hormone im Urin rät die Ärztin ab: Man die Einnahmevorschriften und Komplika­ Wer nicht regelmässig an die Verhütung muss jeden Tag zur selben Zeit messen, tionen der Pille sowie allfällige Auswir­ denken will, kommt vielleicht mit einer und ein unregelmässiger Tagesablauf, eine kungen auf seine Gesundheit verstehen.» Spirale besser klar, die bis zu fünf Jahre in Erkältung oder eine längere Party könnten Jugendliche können ab 13 bis 14 Jahren der Gebärmutter bleibt. Eine Spirale ist die Messungen ziemlich durcheinander­ ­urteilsfähig sein. Individuell kann dies va­ auch eine gute Option, wenn man die Pille bringen. Auch aufs «Aufpassen» oder auf riieren. Im Einzelfall entscheidet der Arzt. wegen erhöhten Thromboserisikos nicht den Coitus interruptus sollte sich kein Ist das Mädchen urteilsfähig, gilt für das nehmen darf. «Ich empfehle sie meist erst Mädchen verlassen. Gespräch das Arztgeheimnis. «Erzählt jungen Frauen ab 18, die in einer stabilen Im Internet gibt es einige gute Seiten, der Arzt den Eltern ohne Einwilligung des Partnerschaft sind. Die Einlage empfinden wo junge Leute sich informieren kön- Mädchens vom Pillenrezept, kann er be­ junge Mädchen oft unangenehm, selbst nen, etwa www.lustundfrust.ch oder straft werden.»

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ONLINE

Wir müssen in der aktuellen Ausgabe über iPhone-, iPod- und iPad- Game-Apps für Kinder sprechen. Sehr gut Apps für Zahnärztinnen gemacht ist beispielsweise das Spiel Monu- und Zahnärzte ment Valley.

Text und Bilder: Andreas Filippi

Ich denke, es gibt heute in der Schweiz eine der besten Game-Apps des Jahres Wasserfall in den Fluss zurückfällt, der ihn kaum mehr einen Haushalt in dem die 6- 2015 gelobt. Und kaum war die Ausgabe speist, oder in denen Ritter eine im Qua­ bis 12-Jährigen nicht regelmässig Games im Druck, kam auch schon eine neue drat angeordnete, nie endende Treppe auf ihren iPods, iPads oder gar schon Spiele-App auf das Natel des Autors, die scheinbar endlos bergauf gehen können iPhones spielen, bevor sie sich dann mit ebenfalls extrem gut gemacht ist (und in (Locher & Bross 1971). In der App finden 13 Jahren im Bereich Social Media ganz si­ die bei Akademikereltern beliebte Gruppe sich diese stark an Escher angelehnten cher gegen das langweilige Facebook und der «Endlich-mal-keine-Hay-day-oder- Treppen und Flüsse in den Gebäuden und für das coolere Instagram entscheiden. Clash-Fight-oder-Sims-Klon-oder- Schlössern wieder (Abb. 1, 2). Letzteres ist ein Thema für sich – ich emp­ Mine-­Craft-oder-Ego-Shooter-App» Zur Geschichte: Prinzessin Ida hat die fehle allen betroffenen Eltern die Informa­ ­gehört): Monument Valley. Als der Autor Aufgabe, verschiedene Wege bis zu einem tionen der Jugend- und Präventionspolizei dieser Kolumne die App heruntergeladen durch eine Art Kissen markierten Ziel des Kantons Basel-Stadt, ­einer Institution, hatte, war sie kostenfrei und enthielt ­zurückzulegen. Dabei können die Wege, die es bisher in keinem anderen Kanton trotzdem keinerlei Werbung (aktuelle Brücken, Treppen usw. durch Kurbeln gibt. Eines ihrer Programme lautet: «In­ Version November 2015). Sie hat verschie­ (Abb. 3) oder Schieber nicht nur wie in ternet, Handy und Co. – Prävention zu dene Auszeichnungen erhalten (Apple-­ ähnlichen Apps zweidimensional, son­ neuen Medien für 5. Primarstufe» (Kan­ Spiel des Jahres 2014, Gewinner des dern auch dreidimensional bewegt wer­ tonspolizei Basel-Stadt 2015). Apple-­Design-Awards 2014), und das den, was wirklich sensationell ist. Alleine wirklich zu Recht. durch die Veränderung der Perspektive Teil 25 – Monument Valley Die App erinnert an eine moderne Adapta­ eines Gebäudes (durch Drehen oder Kip­ In meiner Kolumne Nr. 21 hatte ich The tion von Sokoban in Verbindung mit den pen desselben) öffnen oder schliessen sich Room Two (Nachfolger von The Room, mitt­ berühmten, überwiegend schwarz-wei­ Wege (Abb. 4, 5). Jedes Mal, wenn Prin­ lerweile gibt es auch The Room Three) als ssen Bildern von M. C. Escher, in denen ein zessin Ida einen Weg bis zum Ende ge­

Abb. 1: Monument Valley: Ein sich Abb. 2: Monument Valley: … Treppen Abb. 3: Monument Valley: Zwei Kur- Abb. 4: Monument Valley: Zunächst selbst speisender Wasserfall und … auf allen Ebenen, wie in den Werken beln, mit denen einzelne Ebenen ge- nicht verbundener Weg, der sich … von M. C. Escher dreht werden

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Abb. 5: Monument Valley: … durch Abb. 6: Monument Valley: Nach dem Abb. 7: Monument Valley: … nimmt Abb. 8: Monument Valley: … ein geo- Drehen der Perspektive schliesst Erreichen des Ziels am Ende eines Ida ihren Hut ab. Diesem entweicht … metrischer Gegenstand in Anlehnung ­jeden Levels … an M. C. Escher

schafft hat, nimmt sie ihren Hut ab, und Objekte sind sehr surrealistisch und erin­ zu hören ist, im iTunes Store zu erwerben diesem entweicht ein kleiner geometri­ nern an Werke von Giorgio de Chirico, ist (12 Franken). Die 16 Titel entsprechen scher Körper, genau wie jene, die von Max Ernst oder Salvador Dalí (Abb. 9 teilweise den Namen der einzelnen Level Escher gezeichnet worden sind (Abb. 6 bis 11). Nach dem zehnten Level gibt es und erinnern den Autor ein wenig an Tan­ bis 8). Von Level zu Level erscheinen im­ eine schöne Zwischenauflösung (Abb. 12). gerine Dream. Dies ist wirklich bemer­ mer mehr schwarze Raben, welche die Die nächsten acht Level sind dann kos­ kenswert und zeigt den Gesamtaufwand, Prinzessin nicht passieren lassen (Abb. 3). tenpflichtig (2 Franken). der hinter einer App stecken kann. Diesen muss man nicht nur aus dem Weg Der Autor dieser Kolumne hat unmittelbar gehen, sondern man muss deren Weg nach dem Download Monument Valley mit Literatur Soko­ban-like durch Kurbeln oder Ver­ zwei elfjährigen Minecraft- und Clash-of- ––Filippi A: iPhone- und iPad-Apps für Zahnärzte, schieben so verändern, dass die Prinzessin Clans-Junkies getestet. Und alle drei wa­ Quintessenz-Verlag (2013) passieren kann. Das Schöne ist, dass Ida ren wirklich, ich meine wirklich, begeis­ –– Kantonspolizei Basel-Stadt: www.polizei.bs.ch/ keine Leben oder Ähnliches verliert und tert. Bemerkenswert ist auch, dass der praevention/kinder-jugendliche/praevention-­ schule.html man nicht immer wieder ganz von vorne «Original-Soundtrack», also die Musik, ––Locher J L, Broos C H A: Die Welten des beginnen muss. Manche der dargestellten die im Hintergrund der einzelnen Level M. C. Escher. Manfred Pawlak Verlag (1971)

Abb. 9: Monument Valley: Einige Abb. 10: Monument Valley: … erin- Abb. 11: Monument Valley: … surrea- Abb. 12: Monument Valley: Impres- ­Objekte … nern sehr an … listische Werke sion aus der Auflösung nach Level 10

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Ein Rechtsgutachten der Uni Neuenburg im Journal Club Auftrag der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften gibt Auskunft über die ärztliche Verantwortung unter dem Gesichtspunkt der interprofessionellen Zu- sammenarbeit. Der Text ist im Folgenden Rechtsgutachten zur ärztlichen zusammengefasst.

Verantwortung Text: Dr. iur. Sabrina Burgat1 und Prof. Olivier Guillod2

Die Zusammenarbeit zwischen Gesund­ Im Zivilrecht hängt dieses Haftungssys­ tung grundsätzlich identisch, denn es ist heitsfachleuten befindet sich seit Jahr­ tem von der Art der Beziehung zwischen in jedem Fall einer medizinischen Haftung zehnten in einem Wandel; dieser ist auf dem Patienten und dem Arzt ab: Es ist zu nachträglich zu prüfen, ob eine Pflegeper­ verschiedene Faktoren zurückzuführen, unterscheiden, ob diese Beziehung dem son die Regeln der ärztlichen Kunst ver­ z. B. auf die Entstehung neuer Gesund­ privaten oder dem öffentlichen Recht un­ letzt hat und ob diese Verletzung einen heitsberufe, den Mangel an gewissen Ka­ terliegt, um das anwendbare Haftungs­ Kausalzusammenhang mit dem vom Pa­ tegorien von Gesundheitsfachleuten, den system zu bestimmen. Wird die Haftung tienten erlittenen Schaden aufweist. Das finanziellen Druck oder die stärkere Spe­ durch das Privatrecht geregelt, ist darüber System des öffentlichen Rechts zeichnet zialisierung in der Medizin. Die Schweizer hinaus zu bestimmen, ob zwischen dem sich dadurch aus, dass der Arzt gegenüber Gesetzgebung im Bereich der ärztlichen Patienten und dem Arzt ein Vertrag be­ dem Patienten nicht verantwortlich ist, Verantwortung ist hingegen unverändert steht, der die Anwendung der Regeln der weder durch seine eigenen Handlungen geblieben. vertraglichen Haftung begründet. Wenn noch durch die Handlungen seiner Hilfs­ Um zu verstehen, wie das Recht die inter­ kein Vertrag besteht, kommen die Regeln personen, denn die Haftung wird von der professionelle medizinische Praxis abbil­ der ausservertraglichen Haftung zur An­ öffentlich-rechtlichen Spitaleinrichtung det, ist in einem ersten Schritt der Begriff wendung, die auch als deliktische Haf­ oder vom Gemeinwesen übernommen. der Verantwortung zu klären. Dieser Be­ tung bezeichnet wird. Unter diesen drei verschiedenen Syste­ griff kann gelegentlich Verwirrung stiften, Neben der zivilrechtlichen Haftung (deren men ist in Bezug auf die Zusammenarbeit insofern er verschiedene Bedeutungen Hauptzweck darin besteht, ein Opfer für zwischen Gesundheitsfachleuten zu un­ besitzt. den erlittenen Verlust zu entschädigen) terscheiden zwischen dem System, das Verantwortlich sein kann einerseits heissen,­ kann ein Arzt – unabhängig davon, ob er sich aus dem Privatrecht ableiten lässt, eine Position innezuhaben, die mit Ent­ im privaten oder im öffentlichen Sektor und dem System, das sich aus dem öffent­ scheidungsmacht verbunden ist und die arbeitet, und natürlich auch im Rahmen lichen Recht ableiten lässt. gleichzeitig impliziert, dass man sich des­ der Zusammenarbeit zwischen Gesund­ –– Im Privatrecht variiert die Haftungsre­ sen bewusst ist. Verantwortlich sein heisst heitsfachleuten – einer strafrechtlichen gelung für Handlungen Dritter je nach andererseits aber auch, für seine eigenen Haftung unterliegen, die eine Geld- oder dem Status des Dritten als Hilfsperson, Handlungen einstehen zu müssen, und Freiheitsstrafe nach sich ziehen kann. als Stellvertreter oder als unabhängiger zwar vor der Gesellschaft oder einer Be­ Und schliesslich untersteht ein Arzt, der Beauftragter. Je unabhängiger die Dritt­ hörde, namentlich einem Gericht. Diese eine kantonale Berufsausübungsbewilli­ person ist, desto umfassender ist die zweite Bedeutung entspricht dem juristi­ gung besitzt, einer disziplinarischen Haf­ Haftung, die sie übernimmt, ohne dass schen Begriff onv Verantwortung. Wäh­ tung, wenn er seine beruflichen Pflichten sie die Möglichkeit hätte, ihre Hand­ rend die französische Sprache für beide verletzt. Er kann also, im Wesentlichen zu lungen einer anderen Pflegeperson zu­ Bedeutungen den Begriff «responsabilité» präventiven Zwecken, für Verstösse be­ zuschreiben. Es ist festzuhalten, dass verwendet, spricht das Deutsche im ersten straft werden (Verweis, Busse, Sistierung grundsätzlich jede Gesundheitsfach­ Fall von «Verantwortung» und im zwei­ oder Entzug der Bewilligung). Auch in person im Rahmen ihres «Einfluss­ ten Fall von «Haftung». diesem Bereich sind die möglichen Aus­ bereichs» eine Haftung übernimmt. Deshalb analysiert dieses Gutachten in wirkungen der Zusammenarbeit zwischen –– Im öffentlichen echtR haftet der Staat ­einem zweiten Schritt das Rechtssystem Gesundheitsfachleuten kurz zu prüfen. gegenüber dem Patienten ausschliess­ der ärztlichen Haftung, insbesondere im lich für die Handlungen seiner Vertre­ Kontext der interprofessionellen Zusam­ Drei verschiedene Systeme ter. Er hat nur dann ein Rückgriffsrecht menarbeit. Das System der zivilrechtlichen Haftung im gegen eine Gesundheitsfachperson, medizinischen Bereich kann drei ver­ wenn ein vorsätzliches oder grob fahr­ Ärztliche Haftung schiedene Grundlagen haben: die ausser­ lässiges Verschulden gemäss den kan­ Die rechtliche Problematik, die sich durch vertragliche Haftung (Art. 41 OR), die ver­ tonalen Bestimmungen vorliegt. die Zusammenarbeit zwischen Gesund­ tragliche Haftung (Art. 97 ff. OR) und die heitsfachleuten ergibt, konzentriert sich öffentlich-rechtliche Haftung. Obwohl Der Arzt, die Pflegefachperson oder die auf Fragestellungen im Zusammenhang drei verschiedene Systeme bestehen, sind private Einrichtung unterliegen einer ver­ mit der Haftung für Handlungen Dritter. die materiellen Voraussetzungen der Haf­ traglichen Haftung, wenn sie mit dem

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Patienten­ einen Pflegevertrag abgeschlos­ ihre Pflichten absichtlich oder fahrlässig Auswirkungen auf das System der medi­ sen haben. Jede dieser Personen über­ verletzt, eine Verwaltungsstrafe nach zinischen Haftung. Eine solche Änderung nimmt in Anwendung von Artikel 101 OR sich. Die Pflichtverletzung muss jedoch kann sich jedoch indirekt auf die Rechts­ auch die Verantwortung für die Handlun­ schwerwiegend genug sein, damit eine stellung von Pflegefachpersonen, die in gen ihrer Hilfspersonen. Die betroffene Strafe (diese kann von einem Verweis bis die medizinische Behandlung eines Pa­ Person muss jedoch eindeutig als Hilfs­ zu einer Sistierung oder einem Entzug der tienten eingebunden sind, auswirken. person – und nicht als Stellvertreter oder Berufsausübungsbewilligung gehen) ver­ Denn wenn Pflegepersonal usserhalba als unabhängiger Beauftragter – gelten hängt werden kann. Die Schwere der Be­ ­eines bestehenden Mandats zwischen gemäss den vom Bundesgericht festgeleg­ strafung hängt natürlich davon ab, wie ­einem Arzt und seinem Patienten zum ten Abgrenzungskriterien; dazu gehören schwerwiegend die Pflichtverletzung ist, Einsatz kommt, gilt die Pflegefachperson als entscheidendes Kriterium das Interes­ die der Gesundheitsfachperson im kon­ als unabhängiger Beauftragter (ausser se des Patienten einerseits und dasjenige kreten Fall vorgeworfen wird. wenn ausnahmsweise die Regeln der Ge­ des Beauftragten andererseits. Wenn das schäftsführung ohne Auftrag anwendbar Interesse des Beauftragten ausschlagge­ Keine Änderungen sind). Wenn die Pflegefachperson im ahR ­ bend ist, sind die Regeln bezüglich der Ändert die Charta der SAMW zur Zusammen- men einer medizinischen Behandlung Haftung für Handlungen von Hilfsperso­ arbeit der Fachleute im Gesundheitswesen zum Einsatz kommt, gilt sie als unabhän­ nen anwendbar. etwas an der zivilrechtlichen Haftung der giger Beauftragter (Art. 394 ff. OR), als Die strafrechtliche Haftung ist im Strafrecht Ärzte? Nein. Nur eine gesetzliche Ände­ Stellvertreter (Art. 399 OR) oder als Hilfs­ geregelt, unabhängig vom Status der be­ rung (insbesondere des Obligationen­ person (Art. 101 OR). Diese Unsicherhei­ troffenen Gesundheitsfachperson. Eine rechts oder einer kantonalen Gesetz­ ten in Bezug auf den Status der Gesund­ Verletzung der Regeln der ärztlichen Kunst gebung betreffend die Haftung für Hand­ heitsfachpersonen bestehen bereits heute, kann eine Verletzung der Sorgfaltspflicht lungen von Vertretern des Staates) oder unabhängig von einer Änderung des KVG. darstellen und eine Strafe nach sich zie­ eine geänderte Rechtsprechung vermögen hen, die von der Art des Verstosses ab­ die geltende zivilrechtliche Haftung der Die vollständige Fassung dieses Rechts­ hängt (fahrlässige Tötung, fahrlässige Ärzte zu ändern. gutachtens ist unter www.samw.ch/ Körperverletzung usw.). Ändert die vorgesehene Revision des KVG, de/Publikationen/­Empfehlungen.html Die disziplinarische Haftung ermisst sich die dem Pflegepersonal mehr Autonomie abrufbar. nach den vom Gesetz auferlegten beruf­ ­verleihen soll, etwas an der zivilrechtlichen lichen Pflichten. Die disziplinarische Haf­ Haftung der Ärzte? Nein. Die vorgesehene tung zieht bei einem Fehlverhalten einer Änderung­ des KVG betrifft nur die Leis­ 1 Rechtsanwältin Gesundheitsfachperson, die eine Berufs­ tungen, die die obligatorische Kranken­ 2 Direktor des Instituts für Gesundheitsrecht (IDS) ausübungsbewilligung benötigt und die pflegeversicherung abdeckt. Sie hat keine der Universität Neuenburg

Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Oralchirurgie und Stomatologie in Seepark Thun Congress Hotel vom 25. Juni 2016 Ausschreibung des Nachwuchswettbewerbs für Assistenten in Aus- und ­Weiterbildung

Anlässlich unserer Jahrestagung wird Nachwuchsleuten die Möglichkeit für einen wissenschaftlichen Kurzvortrag geboten. Zugelassen sind Studierende sowie Kolleginnen und Kollegen, die aktuell in strukturierter oralchirurgischer Aus- oder Weiterbildung stehen oder das Programm vor maximal zwölf Monaten abgeschlossen haben. Der Vortrag ist auf zehn Minuten begrenzt und sollte aus dem Gebiet der Oralchirurgie oder Stomatologie stammen. Der Vortrag wird direkt im Anschluss diskutiert. Das Abstract sollte im IADR-Format (objective, materials and methods, results, ­conclusion) in digitaler Form via E-Mail bis am 31. Mai 2016 im SSOS-Sekretariat eingereicht werden. Der Nachwuchspreis der SSOS ist mit insgesamt CHF 2250.– dotiert. Die beste Arbeit wird mit CHF 1000.–, die zweitbeste mit CHF 750.– und die drittbeste mit CHF 500.– ausgezeichnet. Alle zum Nachwuchswettbewerb zugelassenen Teilnehmer werden zudem zur Tagung eingeladen und erhalten eine Spesenpauschale von CHF 100.–. E-Mail-Adresse: [email protected] Dr. Vivianne Chappuis Betreff: «Nachwuchswettbewerb Thun 2016» Sekretärin SSOS

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FIRMENREPORTAGE

Saremco Dental hat sich in den letzten Jah- Füllen und ren als Nischenplayer in der Dentalbranche mit Fokus auf die Verträglichkeit von Zahn- ­Vorbeugen füllungsmaterialien positioniert. Die Pro- dukte sind zu 100 Prozent «Swiss made».

Text: Andrea Renggli, Redaktorin SDJ; Fotos: Saremco

Rebstein, ein kleines, ruhiges Dorf im lung untergebracht, wo hochwertige der Ostschweiz Komposite und Adhäsive St. Galler Rheintal. Nicht gerade der Ort, Kunststoffe für die restau­rative Füllungs­ entwickelt. Seit 2012 ist Franca Schmid wo man eine moderne Produktionsstätte therapie entwickelt, produziert und ver­ Geschäftsführerin – sie ist mit dem Fir­ erwarten würde. Doch die Saremco Den­ trieben werden. mengründer nicht verwandt, führt das tal hat ihren Sitz in Rebstein, in einem frühere Familienunternehmen aber in ­älteren Industriegebäude, etwas aus­ser­ Hypoallergene Füllungskunststoffe seinem Geist weiter. «Saremco Dental ist halb des Dorfkerns. Im Inneren befinden Vor rund 30 Jahren gründete der Ost­ nach wie vor ein unabhängiges Schwei­ sich modern eingerichtete Büros und Sit­ schweizer Adalbert Schmid das Unter­ zer KMU. Diese Unabhängigkeit gibt uns zungszimmer. Auf der unteren Etage ist nehmen. Er war Chemiker und hatte die Freiheit, ‹out-of-the-box› zu denken die Produktions- und Forschungsabtei­ ­zuvor für ein Dentalunternehmen in und Produkte zu entwickeln, die sehr in­

Kernkompetenz von Saremco ist die Entwicklung und Produktion von hypoallergenen, lichthärtenden Zahnfüllungsmaterialien.

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novativ sind», betont Franca Schmid. Der Schwerpunkt der Entwicklung wur­ de in den letzten Jahren ver­lagert, hin zum Thema erträglichkeit.V Kernkompe­ tenz des Unternehmens ist die Entwick­ lung und Produktion von hypoallerge­ nen, lichthärtenden Zahnfüllungsmate­ rialien. Der Verzicht auf die Zugabe von HEMA oder TEGDMA bei der Herstellung stellt aufgrund der in der Literatur beschriebe­ nen Toxikologie und Allergologie dieser Materialien aus toxikologischer und aller­ gologischer Sicht einen vorbeugenden Schutz und deshalb einen wesentlichen Vorteil dar. Die innovative Formulierung kann somit bei einer nachgewiesenen Überempfindlichkeit auf HEMA oder TEGDMA zu einer Reduktion von allergi­ schen Reaktionen führen und in diesem Sinne als hypoallergen bezeichnet wer­ den. «Es ist uns gelungen, ein integrales Füllungssystem zu entwickeln, das ohne die kritischen Methacrylate TEGDMA und HEMA auskommt und trotzdem exzellen­ te physikalische Eigenschaften zeigt», fasst Franca Schmid zusammen.

Beträchtliches Allergiepotenzial Methacrylate sind in den meisten Zahn­ füllungsmaterialien enthalten. Die kriti­ schen Monomere HEMA und TEGDMA dienen als Verdünner, damit der Zahn­ arzt zähe Füllungsmaterialien leichter verarbeiten kann. Bei der abschliessen­ den Lichthärtung des Kunststoffs werden nur etwa die Hälfte der Moleküle poly­ merisiert. Die verbleibenden freien Mole­ küle können durch Kau- und Abrasions­ vorgänge freigesetzt werden. Sie werden resorbiert und gelangen in den Organis­ Dr. Christoph Evers, Entwicklungsleiter von Saremco Dental. mus. Im Körper zeigen sie möglicherwei­ se toxische Wirkungen. Auf Zellebene wurde die Bildung von kanzerogenen der Bevölkerung auf Zahnfüllungsmate­ Zahnärzte und das zahnärztliche Perso­ und mutagenen Verbindungen beim rialien allergisch reagieren, Tendenz nal. Hat ein Zahnarzt die entsprechende ­Abbau von HEMA und TEGDMA nach­ ­steigend. Ein Viertel der Bevölkerung Disposition und ist über Jahre oder gar gewiesen. in Deutschland leidet an Neurodermitis, Jahrzehnte dem betreffenden Stoff ausge­ Zwar sind diese Ergebnisse nicht direkt ­Asthma oder Heuschnupfen. Diese Men­ setzt, kann sich eine Allergie entwickeln. auf die Anwendung von Kompositen als schen tragen möglicherweise ein höheres Die kritischen Moleküle kommen nicht Zahnfüllungsmaterial zu übertragen; Risiko, eine Sensibilisierung auf neue nur in Kontakt mit der Haut, sie konnten neuere wissenschaftliche Studien bele- Stoffe wie beispielsweise Zahnfüllungs­ auch in der Raumluft von Praxen und gen aber, dass Methacrylate auch ein materialien zu entwickeln. Um diese an­ Labo­ren nachgewiesen werden. Viele ­beträchtliches Allergiepotenzial zeigen. fälligen Patienten zu schützen, legt die Schweizer Zahnärzte seien sich dieses Die Allergie manifestiert sich in manchen Saremco Dental bei ihren Produkten Wert Problems noch nicht bewusst, erklärt Fällen direkt nach dem Legen der Füllung auf Verträglichkeit im Sinn von Präven­ Franca Schmid. durch Ausschlag oder Rötungen. Aber tion: Kritische Stoffe sollen gar nicht erst Auf der Seite der Patienten zeigt sich das auch diffuse Symptome sind möglich wie in den Körper gelangen. Bedürfnis nach allergenarmen Füllungs­ beispielsweise Kopf- und Gliederschmer­ materialien deutlicher. «Fast täglich er­ zen oder eine allgemeine Anfälligkeit für Ein spürbares Bedürfnis kundigen sich Patienten nach unseren Ausschläge an unterschiedlichen Stellen. Doch nicht nur Patienten können von Produkten und deren Inhaltsstoffen», er­ Forscher an der Universität München ­einer Allergie gegen Zahnfüllungsmate­ zählt Franca Schmid. «Wir raten jeweils konnten zeigen, dass vier bis fünf Prozent rialien betroffen sein, sondern auch zu einem Allergietest bei einem Spezialis­

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ten, um eine vermutete Unverträglich- Swissness hilft keit nachzuweisen.» Sven Hauser, Mar­ Entwickelt, produziert, verpackt und keting- und Sales-Manager der Saremco verschickt werden die Produkte in Reb­ Dental ergänzt: «Wir spüren, dass die Pa­ stein. «Unsere Produkte sind zu 100 Pro­ tienten sich zunehmend selber informie­ zent ‹Swiss made›», darauf ist Franca ren wollen und dass ihnen die Verträg­ Schmid stolz. Rund 85 Prozent des Um­ lichkeit der Stoffe wichtig ist.» satzes erzielt das Unternehmen aber im Weitere Vorteile der Produkte aus dem Ausland, vor allem in Europa, in Kanada Hause Saremco sind ihre extrem niedrige und im Mittleren Osten. Insgesamt be­ Schrumpfspannung, die gute Modellier­ liefert Saremco Dentalhändler in rund barkeit und die ausgezeichneten physika­ 30 Ländern. lischen Werte. Auch deshalb werden sie Aufgrund der hohen Exportrate spürte das von vielen Zahnärzten seit der Lancie­ Dentalunternehmen die Auswirkungen rung im Jahr 2004 geschätzt. Die Formel des Frankenschocks im vergangenen Jahr. wurde im Jahr 2014 noch optimiert. «Auch wir mussten einen Margenverlust Die Produkte werden in der eigenen For­ hinnehmen, der wehtut. Aber dank unse­ schungsabteilung, aber auch extern von ren innovativen und qualitativ hochste­ unabhängigen Stellen getestet. Dazu ar­ henden Produkten konnten wir den Um­ Seit 2012 ist Franca Schmid Geschäfts­führerin des beitet Saremco mit Universitäten in der satz trotz Frankenstärke verbessern. Das früheren Familienunternehmens. Schweiz und in ganz Europa zusammen. Gütesiegel Swissness hilft ebenfalls.» Den direkten Kontakt zu den Zahnärzten Bereits im Frühling 2016 soll die Produkt­ gewährt eine Gruppe von Vertrauens­ palette durch ein neues One-Bottle-Ad­ gelungen, ohne das ebenfalls in der Dis­ zahnärzten, die Neuentwicklungen testen häsiv ergänzt werden. «Es kann funktio­ kussion stehende Monomer BisGMA aus­ und detaillierte Rückmeldungen geben. nal mit ähnlichen Produkten mithalten, zukommen. Das Team von Saremco setzt Ausserdem bietet das Unternehmen enthält aber ebenfalls nicht die kritischen weiterhin auf seine Stärke, die Entwick­ Workshops für Zahnmediziner an und Methacrylate HEMA und TEGDMA», er­ lung von neuen und verträglichen Mate­ ist an Messen und Kongressen präsent. zählt Sven Hauser. «Zusätzlich ist es uns rialien.»

Entwickelt, produziert, verpackt und verschickt werden die Saremco-Produkte in Rebstein im St. Galler Rheintal.

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KONGRESSE/FACHTAGUNGEN

Bilder von Migrationsbewegungen sind in Zahnärztliche den Medien zurzeit omnipräsent. Es gibt immer mehr Menschen, deren Geburts­ ­Aspekte in der datum nicht zweifelsfrei bekannt ist. Zahn­ärzte stellen bei Altersschätzungen Rechtsmedizin – wichtige Teilgutachten und wirken bei «CSI Basel» Identifizierungen mit. Text und Fotos: Dr. med. dent. Martina Schriber, Universität Bern

Am 25. Februar fand am Universitären Zentrum für Zahnmedizin Basel die erste Fortbildungsveranstaltung mit dem Titel «Zahnärztliche Aspekte in der Zahnme­ dizin – CSI Basel» statt. Die langjährige Zusammenarbeit des Instituts für Rechts­ medizin Kanton Basel-Stadt und der Kli­ nik für Zahnärztliche Chirurgie, - Radio­ logie, Mund- und Kieferheilkunde wurde anhand von konkreten Fallbeispielen präsentiert. Dem Teilnehmer wurde ein Einblick in die Bereiche der forensischen Zahnmedizin mit vielen interessanten und spannenden Aspekten aus der Rechtsmedizin geboten. Wie kann das Lebensalter anhand eines OPG (Ortho­ pantomogramm) oder einer Hand­rönt­ gen­aufnahme geschätzt werden? Wann sind die Bedürfnisse eines Kindes nicht erfüllt und das Kind ist vernachlässigt? Darf ich als Zahnarzt trotz Berufsgeheim­ nis eine Meldung an die KESB (Kindes- Die Referenten der Fortbildungsveranstaltung mit dem Titel «Zahnärztliche Aspekte in der Zahnmedi- zin – CSI Basel» (von links): Dr. med. dent. Dorothea ­Dagassan, Prof. Dr. med. et dipl. phys. Eva Scheurer, und Erwachsenenschutzbehörde) ma­ Prof. Dr. Andreas Filippi, Dr. med. Holger Wittig und Dr. med. dent. Cornelia Filippi. Es fehlt Dr. med. Regula chen? Kindsmisshandlungen kommen Möckli. in allen sozialen Schichten vor und kön­ nen auch durch sehr sympathische, ko­ operative und sozial gut integrierte Eltern macht einen wesentlichen Unterschied, dem ein CT (Computertomografie) des erfolgen. ob jemand nach dem Jugend- oder dem Schlüsselbeins gemacht. Die Ethnie und Erwachsenenstrafrecht verurteilt wird. der sozioökonomische Status haben ei­ Geboren am 1. Januar Ebenso hat das Lebensalter bei Minder­ nen Einfluss auf die Entwicklung, was bei Prof. Dr. Andreas Filippi, stellvertretender jährigen einen Einfluss bei Vormund­ der Beurteilung zu berücksichtigen ist. Klinikvorsteher der Klinik für Zahnärztli­ schafts- oder Pflegschaftsangelegen­ Gründe für Identifikationen sind Natur­ che Chirurgie, - Radiologie, Mund- und heiten. In Asylverfahren spielt das katastrophen, Massenunfälle und Ver­ Kieferheilkunde des Universitären Zen­ Lebensalter auch eine wichtige Rolle. brechen. Die Zähne sind gegenüber Feuer trums für Zahnmedizin Basel, startete mit Und nicht zuletzt ist das Lebensalter und der Verwesung sehr stabil. Daher seinem Vortrag über die Schnittstelle von wichtig, um den Zeitpunkt der Pensio­ werden nicht selten die Zähne durch Zahnmedizin und Rechtsmedizin. Diese nierung zu bestimmen. Das Lebensalter den Vergleich der Ante-­mortem- und Schnittstellen sind die Altersschätzung, ist manchmal unbekannt oder darf nicht Post-mortem-Daten herangezogen. Identifikationen und die Vernachlässi­ bekannt werden. Anhand von körperli­ gung. chen Untersuchungen, Handröntgenauf­ Vernachlässigung hat viele Gesichter Wieso braucht es Lebensaltersschätzun­ nahmen und OPGs wird das Lebensalter Bei Kindern mit multiplen kariösen gen? Das Lebensalter hat einen Einfluss bestimmt. Wenn die Handröntgenauf­ Läsio­nen und Abszessen, der Jahreszeit auf das Strafmass bei der Verurteilung. Es nahme nicht ausreicht, wird je nach- nicht angemessener Bekleidung und

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mangelnder Hygiene kommt die Frage tierende Alter bestimmt. Das geschätzte Ein Diskussionspunkt ergibt sich, wenn auf, ab wann man denn von einer Ver­ Alter ist dann der Durchschnitt aus allen das ­Maximalalter der einen Untersu­ nachlässigung und Verwahrlosung spre­ vier Werten. Es ist zu beachten, dass chungsmethode unter dem Mindestalter chen kann. Typisch sind auch unzuver­ grosse Kiefer wie sie bei Afrikanern vor­ einer anderen Methode liegt. Im schlech­ lässige Eltern, die Termine verpassen. kommen, eine um ca. ein halbes bis ein testen Fall wird jemand als zu alt einge­ Meist sind die Eltern mit alltäglichen Jahr schnellere Entwicklung ermögli­ schätzt und zu Unrecht nach dem Er­ Dingen total überfordert. Was ist in so chen. Dementsprechend müssen die wachsenenstrafgesetz verurteilt. Zur Be­ ­einem Fall das angemessene Verhalten Werte bei kleinen Kiefern von Asiaten stimmung des Pensionsalters werden in des Zahnarztes? Soll man aktiv werden nach unten korrigiert werden. der Kindheit angefertigte Röntgenbilder und den Druck auf die Eltern erhöhen? (Handröntgenbild und OPG) eingeholt Soll der Kinderarzt oder das Jugendamt Jugendstrafgesetz favorisiert und/oder der Razemisierungsgrad von informiert werden? Der Zahnarzt unter­ Dr. med. Regula Möckli, Institut für Rechts­ Asparaginsäure im Dentin beurteilt. Dafür liegt grundsätzlich der Schweigepflicht. medizin (IRM) Kanton Basel-Stadt, ist ein Zahn nötig, der natürlich nur bei Nicht jede Karies beim Kind ist ein Zei­ sprach über die rechtsmedizinische Pers­ entsprechender medizinischer Indikation chen für ein gefährdetes Kindswohl. Die pektive der Altersschätzung. Diese ist bei gezogen wird. Vernachlässigung hat viele Gesichter. ausländischen bzw. ausländisch-stäm­ migen Bürgern mit nicht zweifelsfrei do­ Knochen schmilzt vor dem Zahnschmelz Ethnie und sozioökonomischer Status kumentiertem Geburtsdatum in juristi­ Dr. med. dent. Dorothea Dagassan sprach Dr. med. dent. Dorothea Dagassan, Oberas­ schen Verfahren von Relevanz. Konkret weiter über die zahnärztliche Identifika­ sistentin an der Klinik für Zahnärztliche bei Jugendlichen in Straf-, Zivil- und tion von Toten. Zahnschmelz ist das här­ Chirurgie, - Radiologie, Mund- und Kie­ ausländerrechtlichen Verfahren, bei der teste Material, das intravital und post­ ferheilkunde des Universitären Zentrums Altersschätzung von älteren Erwachse­ mortal verwertet werden kann. Bei Feuer für Zahnmedizin Basel, referierte über die nen zur Klärung von Rentenansprüchen wird der Knochen vor den Zähnen zer­ zahnärztliche Perspektive bei der Alters­ und bei kindlichen Opfern im Zusam­ stört. Bei den Zähnen gibt es eine gewisse schätzung bei Lebenden und auch Toten. menhang mit kinderpornografischen inter- und intraindividuelle Konstanz. Der Lebende wird zuerst klinisch mit Bilddokumenten. Bei Kindern und Ju­ Unterschiede bei Individuen sind einer­ dem Auge, Licht und zwei zahnärztlichen gendlichen erfolgt im Strafverfahren eine seits genetisch bedingt und andererseits Spiegeln untersucht. Die Schleimhaut körperliche Untersuchung, eine Rönt­ erworben. So können eine gewisse Zahn­ wird bezüglich Narben und die Zähne genuntersuchung der linken Hand und stellung wie ein Diastema, Nichtanlagen, werden bezüglich Unfällen, Zahnverlus­ eine zahnärztliche Untersuchung. Zum Zahnformen oder bestimmte Rekon­ ten und systemischen Erkrankungen un­ Teil wird auch eine radiologische Unter­ struktionen charakteristisch für einen tersucht. Die Zahnentwicklung ist sehr suchung (CT) der Schlüsselbein-Brust­ bestimmten Menschen sein. Für zahn­ regelhaft und wenig von der Ernährung, bein-Gelenke gemacht. Bei der Röntgen­ ärztliche Unterlagen, insbesondere Rönt­ genbilder, besteht eine zehnjährige Auf­ bewahrungspflicht, sodass ab dem Schulalter in der Regel zahnärztliche «Der Zahnstatus ist bezüglich Ver- ­Daten vorhanden sind. Dr. med. Holger Wittig, IRM Kanton Basel-­ fügbarkeit, Kosten und Sicherheit ein Stadt, erklärte die rechtsmedizinische Identifikation von Toten. Identifizieren bedeutet Wiedererkennen durch Verglei­ sehr gutes Identifikationsverfahren.» chen. Als sichere Verfahren gelten die fo­ rensisch-odontologische Methode, die Daktyloskopie und die forensisch-gene­ tische Methode. Unsicher sind hingegen dem Hormonhaushalt oder Krankheiten untersuchung der linken Hand werden die Direktkonfrontation, Effekten, Kör­ abhängig. Kinder aus wärmeren Regionen die Form und die Grösse der einzelnen permerkmale usw. Der Zahnstatus ist sind oft früher entwickelt. Bis zum 9. Le­ Knochen­elemente und der Verknöche­ ­bezüglich Verfügbarkeit, Kosten und bensjahr beträgt die Abweichung etwa rungszustand der Epiphysenfugen Sicher­heit ein sehr gutes Identifikations­ ein Jahr, bis zum 13. Lebensjahr etwas (Wachstumsfugen) angeschaut. Dabei verfahren. Bei der Röntgenbildanalyse mehr. Bei den Weisheitszähnen ist eine ­erfolgt ein Vergleich mit Standardauf­ post mortem können das Alter des Refe­ grössere Variationsbreite von etwa zwei nahmen des jeweiligen Alters und Ge­ renzmaterials und dessen Qualität eine bis drei Jahren möglich. Um das Lebens­ schlechts (sog. Atlasmethode). So wird Fehlerquelle darstellen. Chirurgisches alter zu bestimmen, werden auf dem OPG mit jeder Untersuchungsmethode ein Fremdmaterial wie zum Beispiel Metall­ die Wurzelwachstumsstadien der Zähne Mindest- bzw. Maximalalter und dann splitter sind wichtig, wie auch charakte­ im 3. Quadranten (31–37) anhand von zusammenfassend für alle Untersu­ ristische Fehlbildungen und Normvarian­ vorgegebenen Daten ermittelt. Sind alle chungsmethoden das wahrscheinlichste ten im Skelett. Ebenso sind chronische Wurzeln fertig gebildet, können die Weis­ Alter bestimmt. Dabei werden die Ethnie Pathologien wie Gefässverkalkungen be­ heitszähe angeschaut werden. Bei allen und der sozioökonomische Status be­ deutend. Auch kann die Anzahl der vor­ vier Weisheitszähnen wird das Stadium rücksichtigt. Eine schlechte Ernährung handenen Gallensteine oder eine Zysten­ der Mineralisation anhand von Referenz­ hat einen Einfluss ufa das Wachstum und bildung in der Niere zur Identifikation tabellen ermittelt und das daraus resul­ die Entwicklung. eines Toten führen. Die Anatomie der

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Atlas der Zahnentwicklung und -eruption (Bild aus dem Vortrag von Dr. med. dent. Dorothea Dagassan).

Nasennebenhöhlen­ ist bei jedem Men­ stellt werden die Verletzung oder die Ver­ Bedürfnis nach Schutz und Sicherheit: schen einmalig und dementsprechend nachlässigung der Fürsorge- oder Erzie­ Das Kind wird beaufsichtigt und auf nützlich bei der Identifikation. hungspflichten gegenüber unmündigen mögliche Gefahren hingewiesen. Zu­ Personen, sofern durch diese Verletzung wendung und Aufmerksamkeit dem Wann ist es Vernachlässigung? die körperliche oder seelische Entwick­ Kind gegenüber sind neben der Zuverläs­ Prof. Dr. med. et dipl. phys. Eva Scheurer, lung des Unmündigen gefährdet ist.» sigkeit der Eltern wichtige Punkte. Dem Direk­torin IRM Kanton Basel-Stadt, Und unter Art. 122 und 123 StGB, «Straf­ Kind Wertschätzung in Form von körper­ sprach über die Vernachlässigung aus bare Handlungen gegen Leib und Le­ lichen Kontakten, Zärtlichkeit und aus­ rechts­medizinischer Perspektive. Beim ben», steht: «Schwere und einfache gesprochenem Lob zeigen. Das Bedürfnis Fall «Kind» gibt es nicht selten Unsi­ Körper­verletzungen, Tätlichkeiten.» nach Anregung, Spiel und Leistung ist cherheiten im Case-Management. Wer Die Vernachlässigung wird nicht explizit nicht weniger wichtig. Dem Kind wer­ hat die Verantwortung? Oftmals liegt ein genannt. Es werden aber Handlungen den Spielmöglichkeiten geboten, Kon­ Interessenkonflikt zwischen dem Kin­ ­beschrieben, die mögliche Folgen von takte mit anderen Kindern ermöglicht, desschutz, dem Strafverfahren und einer Vernachlässigung sind, wie zum Beispiel und es kann den Kindergarten oder die allfällig ungerechtfertigten Anschuldi­ die Gefährdung des Lebens und der Ge­ Schule besuchen. Bereits ein Kind hat das gung vor. Nach Art. 301–306 Zivilgesetz­ sundheit. Bedürfnis nach Selbstverwirklichung: buch (ZGB) wird der Inhalt der elterli­ ­Eigene Interessen werden verfolgt und chen Sorge so definiert: «Die Eltern Bedürfnisse des Kindes erfüllen Hobbys gepflegt. Die Anerkennung als haben das Kind ihren Verhältnissen ent­ Vernachlässigung bedeutet, dass die Be­ Individuum ist wichtig. sprechend zu erziehen und seine körper­ dürfnisse nicht erfüllt werden. Körper­ Welche rechtsmedizinischen Befunde liche, geistige und sittliche Entfaltung zu liche Bedürfnisse des Kindes sind der der Vernachlässigung werden gemacht? fördern und zu schützen.» Das schweize­ ­Jahreszeit entsprechende Kleidung, tro­ Zu den körperlichen Symptomen und rische Strafgesetzbuch (StGB) besagt un­ ckene Windeln und ein eigener Schlaf­ Zeichen gehören der Stand der körper­ ter «Verbrechen und Vergehen gegen die platz/Rückzugsort sowie dem Alter ent­ lichen Entwicklung (Über- oder Unter­ Familie» nach Art. 219: «Unter Strafe ge­ sprechende Ernährung. Ein Kind hat das gewicht, verzögerte motorische Ent­

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wicklung usw.), der Pflegezustand che Verletzungen und Ereignisse vor, also fährt, ist meldepflichtig. Die Kantone (schmutzig, Finger-/Zehennägel und mehrere unterschiedlich alte Verletzun­ können weitere Meldepflichten vor­ Haare ungepflegt, Parasiten usw.), eine gen oder sogar Röntgenbefunde mit sehen. hohe Krankheitsanfälligkeit und Zei­ mehreren und unterschiedlich alten chen einer aktiven Gewaltanwendung Knochenbrüchen. Was dabei ganz wich­ Melderecht trotz Berufsgehemins (Hämatome usw.). Zur Beurteilung der tig ist: Die Kindsmisshandlung ist nicht Für Ärzte bzw. Zahnärzte gibt es ein Mel­ psychosozialen und intellektuellen Ent­ auf eine soziale Schicht beschränkt. Es derecht gegenüber der KESB (Art. 364 wicklung sind die geistige Entwicklung besteht kein Zusammenhang mit dem StGB). Ist an einem Unmündigen eine (Sprachprobleme, geistige Fehlentwick­ sympathischen Eindruck oder der Ko­ strafbare Handlung begangen worden, so lung usw.), die psychische Entwicklung operation der Eltern. Je nach Kanton be­ sind die zur Wahrung des Amts- und Be­ (Hyperaktivität, Ängste, gemindertes steht gemäss dem jeweiligen kantonalen rufsgeheimnisses verpflichteten Personen Selbstwertgefühl usw.) und die soziale Gesundheitsgesetz ein Melderecht bzw. (u. a. Ärzte, Zahnärzte, Chiropraktiker, Entwicklung (Distanzlosigkeit, Aggres­ eine Meldepflicht gegenüber der olizei.P Apotheker, Hebammen, Psychologen) sivität, Verhaltensauffälligkeiten usw.) In den Kantonen Basel-Stadt, Zürich und berechtigt, dies im Interesse des Unmün­ zu beachten. Bern besteht ein Melderecht. Es gibt auch digen an die KESB zu melden. Kantone ohne Regelung, wie Schaffhau­ Dr. med. dent. Cornelia Filippi, Leiterin der Melderecht, Meldepflicht oder keine sen und Genf. Grundsätzlich besteht ein Abteilung Prophylaxe der Schulzahnkli­ ­Regelung Melderecht für alle gegenüber der KESB nik Basel, referierte über Vernachlässi­ Wie erkennt man eine Kindsmisshand­ (Art. 443 ZGB), d. h., jede Person kann gung aus der zahnärztlichen Perspektive. lung? Zum Beispiel wenn die Erklärun­ der Behörde Meldung erstatten, wenn Anhand von Beispielen aus dem Klinik­ gen der Eltern nicht zu den Verletzungen eine Person hilfsbedürftig erscheint. Vor­ alltag wurden konkrete Probleme be­ passen, d. h., es besteht eine Diskrepanz behalten bleiben die Bestimmungen über sprochen: wiederholt verpasste Termine, zwischen der Vorgeschichte und dem das Berufsgeheimnis. Wer in amtlicher mangelnde Mitarbeit und Kooperation Verletzungsbild. Oder es liegen mehrfa­ Tätigkeit von einer solchen Person er­ und unsanierte Dentitionen. Wichtig ist eine Fotodokumentation. In Basel gibt es für problematische Situationen und Kon­ stellationen verschiedene Anlaufstellen: die Kinderschutzgruppe Basel, «HELP! for families» und die KESB Basel-­Stadt. Im Leitfaden «Kindsmisshandlung – Kin­ desschutz» von Ulrich Lips (Hrsg.: Stif­ tung Kinderschutz Schweiz) werden ­detailliert die Früherfassung und das Vor­ gehen bei einem Verdacht in der ärztli­ chen Praxis geschildert. Im Falle ­einer Vernachlässigung ist viel Initiative erfor­ derlich. Wichtig sind der Einbezug der Betreuer und Beistände und deren Infor­ mation über versäumte Sitzungen. Ver­ nachlässigung zeigt sich bei Pflegebe­ dürftigen wie Kindern, Behinderten und Betagten. Eine Schulung des Pflegeperso­ nals kann die Verhältnisse deutlich ver­ bessern. Für nächstes Jahr ist die zweite Fortbil­ dungsveranstaltung «CSI Basel» in Zu­ sammenarbeit mit dem IRM Basel-Stadt und dem Universitären Zentrum für Zahnmedizin Basel geplant.

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Die 33. Jahrestagung der Schweizerischen Kieferorthopädie Vereinigung für Kinderzahnmedizin SVK/ASP fand im Januar in Bern statt. Erstmals und interzeptive berich­teten Vertreter der vier Schweizer Universitäten an der Tagung von ihrer Behandlungen ­aktuellen Forschung.

Text und Fotos: Dr. med. dent. Monika Hersberger-Zurfluh, Zürich

SVK-Präsident Dr. Christoph Langerweger drittens die Wurzelbewegung. Um diesen eröffnete den Kongress mit Hauptthema Punkten ausreichend Rechnung zu tra­ Kieferorthopädie und interzeptive Mass­ gen, seien Aligner für Teenager mit eini­ nahmen. Musikalisch untermalt wurde gen Besonderheiten ausgestattet. Zur die Eröffnung durch ein Kindermusik-­ Einschätzung der Tragedauer hätten die Ensemble. Der Kongress der SVK/ASP, Schienen blaue Punkte, die sich mit zu­ der traditionsgemäss im Hotel Bellevue nehmender Tragdauer entfärben. Für den Palace in Bern stattfindet, habe erneut Fall, dass Aligner verloren gingen oder grossen Anklang gefunden. Dies sei – so verlegt würden, seien ferner sechs kos­ Dr. Christoph Langerweger – nicht zuletzt tenlose, individuell angefertigte Ersatz­ dem wissenschaftlich attraktiven Pro­ schienen inbegriffen. Ausserdem ermög­ gramm und den hochkarätigen Referen­ lichten sogenannte Durchbruchszungen ten zu verdanken. Die Kieferorthopädie die Eruption nachträglich durchbrechen­ sei schon in früheren Jahren Gegenstand der Molaren, Prämolaren und Eckzähne. des Kongresses gewesen. Eine Neuheit sei Als Voraussetzung für einen Behand­ allerdings, dass die kieferorthopädischen lungsstart gelte jedoch, dass die Sechs­ Abteilungen aller vier Schweizer Univer­ jahresmolaren, die ersten Prämolaren und sitäten an der Jahrestagung vertreten die Frontzähne vollständig vorhanden seien und aus ihrer aktuellen Forschung sind, da diese die Okklusionsebene be­ berichteten. In der Podiumsdiskussion – stimmen würden. ebenfalls ein Novum – würden die Ver­ Dr. Marco Tribò sprach über das «Invisalign Am Ende des Einstiegsteiles widmete sich treter der Universitäten Aspekte der in­ Teen» – ein Invisalign speziell für Teenager. der Referent der parodontalen Gesund­ terzeptiven Kieferorthopädie vorstellen heit mit fest sitzenden Apparaturen und und diskutieren. Weitere praxisbezogene zitierte eine Studie von Boyd et al. aus Referate zu aktuellen Behandlungsme­ Behandlungsmethode für Teenager ein dem Jahre 1989. Selbst bei einem gut thoden und deren Grenzen rundeten das flexibler und ästhetisch minimal kom­ strukturierten Präventivprogramm gelte Programm ab – so Dr. Langerweger. promittierender Weg zu einem schönen die Tatsache, dass 20 bis 30 Prozent der und selbstbewussten Lächeln sei. Im Ge­ Jugendlichen unter einer deutlichen Behandlung Jugendlicher mit «Invisalign gensatz zu herkömmlichen Apparaturen ­Vermehrung von Zahnbelag und Zahn­ Teen» seien die Aligner von Invisalign bequem, fleischentzündungen und drei bis fünf Dr. Marco Tribò, ein Privatpraktiker aus liessen sich bei Bedarf herausnehmen und Prozent von ihnen sogar unter Knochen­ ­Zürich, eröffnete mit seinem Vortrag seien so gut wie unsichtbar. Damit könn­ verlust leiden würden. Ausserdem ent­ «­Invisalign für Jugendliche» den fachspe­ ten Teenager weiterhin den Aktivitäten stünden bei fest sitzenden Apparaturen zifischen Teil der Tagung. Das Zielalter bei nachgehen, die ihnen Spass machen, bei zehn Prozent der Patienten Wurzelre­ Teen-Behandlungen liege zwischen 11 und ohne die Einschränkungen, Reizungen sorptionen von mehr als drei Millimetern. 19 Jahren. Mit Invisalign Teen könne eine und peinlichen Situationen, die mit Me­ Bei Invisalign-Behandlungen sei hin­ umfassende Behandlung mit oder ohne tallspangen und Drähten im Mund ver­ gegen kein messbarer Wurzelabbau fest­ Einbezug des Kieferwachstums stattfin­ bunden seien. Im diesem Lebensab­ stellbar. den. Die Therapie könne aber auch als Teil schnitt sei nämlich ein besonderer Im zweiten Teil seines Vortrages widmete einer zweiphasigen Behandlung erfolgen, Lebensstil zu berücksichtigen. Die Ju­ sich Dr. Tribò Fallbeispielen aus dem Pra­ also eine kieferorthopädische Korrektur gendlichen hätten andere Interessen, xis­alltag. Beim ersten Fall, einem Tief- mit zweck­mässiger Apparatur in Phase 1, würden sich verlieben und Sport treiben, biss bei dentaler Klasse I, wies er auf die gefolgt von Invisalign in Phase 2, so der so Dr. Tribò. Als primäre Herausforderun­ beträchtlichen Zahnbewegungen, die Kieferorthopäde. Invisalign biete ausser­ gen für die Behandlung Heranwachsender Möglichkeit der Intrusion und der Rota­ dem eine Reihe von Behandlungsoptio­ mit Invisalign nannte der Referent erstens tion hin. Anhand des zweiten Falles er­ nen speziell für Teenager. Der grosse Vor­ die Patientencompliance, zweitens die klärte der Referent den sogenannten teil von Invisalign liege darin, dass diese durchbrechenden, bleibenden Zähne und «­ClinCheck®». Die Grundlage des Be­

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handlungsplans sei ein Abdruck der ­Zähne, den der Invisalign-Anwender anfer­tige, um zu prüfen, ob eine Zahn­ begradigung mit dem Invisalign-System möglich sei. Nach der Bestätigung werde mithilfe von «ClinCheck®», der Software für die virtuelle 3-D-Planung, ein detail­ lierter Behandlungsplan ausgearbeitet. Die Software zeige dabei die vorgesehene Abfolge der Zahnbewegungen im Be­ handlungsverlauf. Beim dritten Beispiel, einem Tiefbiss bei dentaler Klasse II, wies er auf die Möglichkeit von intermaxillären Zug­mechaniken hin, die vor allem dento­ alveoläre Reaktionen hervorrufen wür­ den. Zum Schluss seines Vortrages beton­ te der Redner die Wichtigkeit der Reten­ tion am Ende einer jeden Behandlung, beruhe doch ein Grossteil der heutigen Interventionen auf Rezidiven, die als Folge kieferorthopädischer Interventionen vor 20 bis 30 Jahren entstanden seien. Welche Methode zur Lösung eines Falles gewählt werde, ob eine fest sitzende Apparatur Prof. Dr. Britta Jung vom Universitätsklinikum Freiburg sprach über Kieferorthopädie und Prävention im oder eine Schiene, hänge von der Antwort Kindesalter. Ein besonderes Augenmerk gelte den Eckzähnen. auf die alles entscheidende Frage nach der Effizienz ab, so das Schlussvotum von Dr. Tribò. ­offenem Biss und bilateralen Kreuzbissen. Tatsache, dass zu einem späteren Zeit­ Zwischen drei und sieben Jahren war je­ punkt kein Zahnersatz notwendig werde, Kieferorthopädie und Prävention doch mit einem Rückgang von 66 Prozent und die günstige Prognose des lücken­ im ­ Kindesalter von funktionellen Dysgnathien zu rech­ versorgenden natürlichen Zahnes seien Prof. Dr. Britta Jung vom Universitätsklini­ nen. Ein erstes Fazit für die Praxis lautete nur einige der zahlreichen Vorteile des kum Freiburg im Breisgau sprach über darum folgendermassen: Insgesamt ist im letztgenannten Vorgehens. Am Rande Kieferorthopädie und die Prävention im reinen Milchgebiss eine kieferorthopädi­ ­erwähnte die Referentin ein Fazit aus Kindesalter. Sie teilte die Dysgnathien in sche Intervention selten. Behandlungs- ­einer kürzlich publizierten «Cochrane zwei Gruppen ein. Die erste Gruppe erge­ und kontrollbedürftige Befunde sind hin­ Review»: «Orthodontic treatment for be sich aufgrund der vermuteten Ursa­ gegen folgende: young children … appear to significantly che, die angeboren oder erworben sein –– alle offenen Bisse nach der Schnuller­ ­reduce the incidence of incisal trauma.» könne, die zweite nach den betroffenen phase Ein vergrösserter Overjet stelle also ein Strukturen, wobei dentale, alveoläre –– alle frontalen und lateralen Kreuzbisse, drei- bis vierfach höheres Risiko für eine oder skelettale Dysgnathien vorkommen auch Zwangsbisse Zahnschädigung durch einen Unfall dar. könnten. Prof. Jung erwähnte eine aus –– stark vergrösserte Frontzahnstufen Demzufolge diene die Kieferorthopädie in dem Jahre 2013 stammende Longitudi­ –– traumatische Verletzungen des Kiefer­ dieser Altersphase auch der Prävention nalstudie aus Schweden, die Kinder im bereiches von Frontzahntraumata. Alter von drei und sieben Jahren nach Bei den im Unterkiefer lokalisierten Frak­ Malokklusionen untersuchte. 50 Prozent Im zweiten Teil ihres Vortrages beschäf­ turen seien neben Kieferköpfchenfraktu­ der dreijährigen Kinder wiesen vertikale, tigte sich Prof. Jung mit Traumata. Gemäss ren mediane und paramediane Frakturen 19 Prozent transversale und 9 Prozent einer kürzlich publizierten Studie erlitten am häufigsten. Zu den klinischen Symp­ sagit­tale Anomalien auf. Im Alter von sie­ Patienten bis zu ihrem siebten Lebensjahr tomen bei traumatisch bedingten Anoma­ ben Jahren gingen die vertikalen Anoma­ in 17 bis 20 Prozent der Fälle ein dentoal­ lien im Milchgebiss gehörten einerseits lien auf rund 10 Prozent zurück, trans­ veoläres Trauma. Prof. Jung illustrierte den Schwellungen im Bereich der Gelenkfrak­ versale Abweichungen waren noch bei Sachverhalt mit einem klinischen Bei­ tur und Stauchungsschmerzen bei Palpa­ 17 Prozent vorhanden, und die sagittalen spiel, bei dem ein bleibender Frontzahn tion, andererseits eine eingeschränkte Anomalien verringerten sich auf 5 Pro­ durch einen Schlag intrudiert wurde und Mundöffnung, bei der immer an eine Ge­ zent. Zusammenfassend heisst dies, dass nach dessen Ankylose extrahiert werden lenkfraktur gedacht werden müsse, so die bei dreijährigen Kindern in 70 Prozent der musste. Bei einem derartigen Zahnverlust Referentin. Die klinischen Symptome bei Fälle eine Malokklusion vorhanden war, lägen Behandlungsoptionen im rein pro­ einer klassischen Unterkieferfraktur seien dass sich diese aber aufgrund einer Spon­ thetischen und/oder prothetisch-im­ beispielsweise Mundöffnungsbehinde­ tankorrektur bei siebenjährigen Kindern plantologischen oder aber im kieferor­ rungen, Okklusionsstörungen, Stufen­ auf knapp 60 Prozent reduzierte. Ferner thopädischen Vorgehen, dies im Sinne bildungen und ein Mundbodenhämatom, zeigte sich ein signifikanter Zusammen­ eines konventionellen Lückenschlusses. das oft bei medianen und paramedianen hang zwischen Lutschhabits, frontal Die Versorgung im Wachstumsalter, die Frakturen vorkomme. Bei einer Kiefer­

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gelenksfraktur bringe eine Aktivatorthe­ fer habe zwangsläufig eine Mesialisierung ­behandelt werden, sei dies doch oft die rapie, die als evidence-based gelte, folgen­ der ersten Molaren zur Folge, was letzt­ letzte Chance, ein Kombikonzept (Kiefer­ den Nutzen: Sie diene der Einstellung der lich in einem massiven Platzdefizit gipfle. orthopädie-Chirurgie) zu umgehen. Bei Gelenksflächen in hp ysiologischer Bezie­ Prof. Jung erklärte dem Publikum ein Klasse-III-Patienten könne bei geeigne­ hung, der Aktivator sei eine Entlastung mögliches Vorgehen zur einfachen Dista­ ter Disposition nach einer initialen Deh­ der Gelenke, die Vertikale könne gehalten lisierung und Aufrichtung der meist stark nung des Oberkiefers versucht werden, und Deviationen und Okklusionsstörun­ mesial angulierten Molaren. die Maxilla nach mesial zu belasten. Fer­ gen könnten verhindert werden. Schliess­ Im späten Wechselgebiss, der Hauptphase ner erwähnte die Referentin auch den lich erfolge ein Remodelling im Bereich der kieferorthopädischen Therapie, müs­ Bollard-Anker, bei dessen Anwendung ein der Kiefergelenke. se ein besonderes Augenmerk auf den direkter Einfluss auf das Mittelgesicht Weiter widmete sich die Professorin der Eckzahndurchbruch gerichtet werden. zu verzeichnen sei. Diese Behandlungs­ Persistenz von Milchzähnen. Mögliche Jeder Eckzahn sollte mit ca. zehn Jahren option hätte in diversen Studien um den Ursachen hierfür seien eine ausbleibende zu palpieren sein. Eine Retention und/ Faktor fünf besser abgeschnitten als die oder unzureichende Resorption durch oder Verlagerung käme bei drei Prozent erstgenannte Intervention, Langzeit­ die bleibenden Nachfolger, wie sie bei­ der Jugendlichen vor. Mädchen seien ergebnisse hierfür lägen allerdings noch spielswiese bei der Hyperdontie auftrete. doppelt so häufig davon betroffen wie nicht vor, so die Referentin. Aus­ser­­dem seien Nichtanlagen, trau­ Jungen. Zudem seien die Eckzähne drei­ mabedingte Keimverlagerungen oder mal häufiger palatinal als bukkal retiniert. Dentofaziale Asymmetrien ­pathologische Prozesse, welche bei einer Ferner finde man häufig eine Assoziation Prof. Carlalberta Verna, Klinikleiterin der Zyste oder einem Odontom vorkämen, mit Aplasien und Formanomalien der Abteilung Kinderzahnmedizin und Kie­ dafür verantwortlich. Im Fall von über­ seitlichen Inzisiven, dies besonders bei ferorthopädie der Universität Basel, be­ zähligen Zahnanlagen entschieden der Angle-Klasse II/2. Mögliche klinische richtete über dentofaziale Asymmetrien. schliesslich die Morphologie, der Mobi­ Hinweise auf ein abweichendes Verhalten Sie erklärte den Zusammenhang zwi­ lisationsgrad und die Prognose jedes seien folgende: schen Wachstum und Zahneruption fol­ ­einzelnen involvierten Zahnes darüber, –– Eckzahn mit zehn Jahren nicht palbier­ gendermassen: Wenn das Wachstum der ­welche Zähne geopfert und welche meist bar Mandibula nicht symmetrisch ist, wird kieferorthopädisch eingestellt werden –– asymmetrische Zahneruption auch nicht genügend vertikale Höhe für könnten. –– Bukkalkippung des seitlichen Schnei­ die Zahneruption bereitgestellt, was wie­ Ein zweites Fazit für die Praxis lautete: dezahnes derum in einer dentalen Diskrepanz und Insgesamt sind Behandlungen im frühen –– Lockerung und Verfärbung des seit­ damit einer dentalen Asymmetrie resul­ Wechselgebiss nur bei Anomalien, bei lichen Inzisiven tiert. ­denen eine Wachstumshemmung droht, –– Platzdefizit in der Eckzahnregion Das Funktionsprinzip von funktionskie­ oder bei dentalen Wachstumsstörungen ferorthopädischen Apparaturen beruhe der bleibenden Zähne notwendig. Be­ Bei einem allfälligen Verdacht auf eine auf der Wachstumsstimulation sowie auf handlungs- und kontrollbedürftige Be­ Retention oder Verlagerung solle sofort der Kontrolle der Wachstumsrichtung der funde sind darum folgende: eine Röntgendiagnostik durchgeführt Mandibula und der Stimulation der be­ –– jeder ektopische Durchbruch von blei­ werden, damit rechtzeitig mit geeigne­ benden Zähnen ten, meist auch kieferorthopädischen –– jede Persistenz von Milchzähnen Massnahmen günstig darauf reagiert wer­ –– jede symmetrische und asymmetrische den könne. Eine irreversible Schädigung Zahnretention erfordere eine Röntgen­ der seitlichen Schneidezähne könne bei diagnostik und die Diagnostik der Ur­ rechtzeitiger Intervention in vielen Fällen sachen, wenn die Grenzwerte der nor­ vermieden werden. malen Gebissentwicklung überschrit­ Im vierten und letzten Teil streifte Prof. ten seien Jung skelettale Wachstumsstörungen. –– Intrusion (dentoalveoläres Trauma) und Eine 2011 publizierte Studie untersuchte Zahnverlust den Zusammenhang zwischen Mobbing in der Schule und dem dentalen und Im dritten Teil standen der ektopische skelettalen Erscheinungsbild der Kinder. Durchbruch und die Eckzahnretention Mögliche Ursachen für ein Mobbing seien und -verlagerung im Mittelpunkt. Die in 20 Prozent der Fälle in diesem Sektor Ursache für einen ektopischen Durch­ anzusiedeln und beinhalteten die skelet­ bruch liege meist im Platzmangel, in tale Klasse II, prominente Oberkieferzäh­ Durchbruchhindernissen und/oder in ne, einen vergrösserten Overjet und einen pathologischen Prozessen. Ein richtiges vergrösserten Overbite, den Tiefbiss. Für Vorgehen bei einer unterminierenden die Klasse-II-Therapie schlug die Re­ Resorp­tion von Milchfünfer durch Sechs­ ferentin vor, in einer ersten Phase die jahresmolaren im Oberkiefer sei essen­ sagit­tale Stufe ausreichend zu reduzieren ziell, um das Einleiten einer kieferortho­ und dann mit einer fest sitzenden Appa­ pädischen Therapie zu einem späteren ratur einzusteigen. Patienten mit einem Prof. Carlalberta Verna, Klinikleiterin der kiefer­ orthopädischen und kinderzahnmedizinischen Zeitpunkt zu vermeiden. Eine frühzeitige minimalen Restwachstum hingegen Abteilung der Universität Basel, sprach über Extraktion der anresorbierten Milchfün­ könnten mit einem Herbst-Scharnier dento­faziale Asymmetrien.

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nachbarten Weichgewebe, so Prof. Verna. und im täglichen Leben hin. Für die Pra­ term vertical changes of the anterior maxil- Ausserdem werde damit eine Kompensa­ xis gelten folgende Punkte: lary teeth adjacent to single implants in tionsmöglichkeit durch die Maxilla ver­ –– Verwenden von Bisphenol-a-freien young and mature adults». Die Konklusion hindert. Für die Behandlung ständen zwei Kunststoffen beim Kleben von Brackets lautete: Erwachsene (40 bis 55 Jahre) und verschiedene Arten von Apparaturen zur und fest sitzenden Retainern junge Erwachsene (15 bis 21 Jahre) weisen Verfügung: der sogenannte Distraktions­ –– gründliches Spülen nach dem Einbrin­ gleichermassen vertikale Stufen der im­ splint und der Aktivator. Bei dentofazia­ gen von Versieglern, Füllungen oder plantatbenachbarten Zähne auf. len Asymmetrien sei die richtige Diagno­ dem Kleben von Brackets Ausserdem zeige sich eine Übereruption sestellung sehr wichtig, wenn es darum –– beim Entfernen von Kunststoff (z. B. beispielweise bei Antagonisten von an­ gehe, bereits früh mit der Behandlung zu beim Debonding) Maske tragen, Absau­ kylosierten Zähnen mit einer vertikalen starten, um so eine kompensatorische gen und Raum ausreichend lüften, ro­ Stufe und bei Zähnen mit fehlenden An­ Reaktion rechtzeitig abzufangen. tierende Instrumente für Entfernung tagonisten. Die Tatsache, dass einige so wenig wie möglich benutzen, keine Zähne elongieren und andere nicht, sei Xenoöstrogene Reaktionen von Adhäsiven Exposition von schwangeren Patien­ teilweise mit dem Alter des jeweiligen Der nächste Referent war Prof. Theodore tinnen und Behandlerinnen Patienten erklärbar. Während Zähne im Eliades, Vorsteher der Klinik für Kieferor­ Erwachsenenalter aufgrund des aus­ thopädie und Kinderzahnmedizin der Für das tägliche Leben nannte Prof. Eliades gereiften Faserapparates tendenziell nicht Universität Zürich. Er berichtete in sei­ folgende Aspekte: elongierten, sei im Kindes- und Jugend­ nem Vortrag über xenoöstrogene Reak­ –– Vermeiden von Plastikflaschen (Was­ alter mit einer entsprechenden Über­ tionen Folgendes: Bisphenol-a erhöht die ser, Wein, Essig) und Plastikbehältern eruption zu rechnen. Die alveoläre Kno­ Knochendichte und -stärke, verschliesst zur Aufbewahrung von Essen chenhöhe folge bei jungen Individuen der Epiphysen und trägt zur Skelettreife bei. –– Erhitzen von Babyplastikflaschen ver­ zusätzlichen Eruption; dies sei bei Er­ Ferner hat es Auswirkungen auf hormo­ meiden wachsenen nicht der Fall, so Prof. Kiliaridis. neller Ebene und beeinflusst das Fettge­ –– Plastikbehälter für Nahrungsmittel Ein Tierexperiment mit Ratten ergab, dass webe. Bisphenol-a wird bei der industriel­ durch Glasbehälter ersetzen parodontal kompromittierte obere erste len Plastikherstellung verwendet und Molaren ohne Antagonisten eher zu einer kommt beispielweise in Plastikflaschen Verspätete Eruption Übereruption neigten als gesunde Mola­ und -behältern sowie in Kosmetikpro­ Stavros Kiliaridis, Professor an der Clinique ren. Ausserdem sei der Attachmentver­ dukten vor. In der Zahnmedizin ist es ein Universitaire de Médecine Dentaire der lust bei parodontal geschädigten Zähnen Bestandteil von dentalen Füllungsmate­ Universität Genf, beschäftigte sich mit ohne Antagonist grösser als bei parodon­ rialen. Eine Studie aus dem Jahre 2000 der Zahneruption. Die Frage, die es zu tal geschädigten Molaren, die in Okklu­ zeigte, dass der Level von Bisphenol-a im beantworten galt, war folgende: Stoppen sion ständen. Speichel direkt nach dem Einbringen von durchbrechende Zähne, wenn sie die Versiegelungsmaterial um ein Vielfaches Okklu­sionsebene erreichen, oder ist viel­ Retention in der Kieferorthopädie höher ist als drei Stunden später. Der Re­ mehr eine kontinuierliche Eruption zu Der letzte Referent, Dr. Johannes Grossen, ferent wies am Ende des Vortrages auf erwarten? Er zitierte hierzu eine Studie stellvertretender Direktor der Klinik für Sicher­heitsmassnahmen in der Praxis aus dem Jahre 2014 mit dem Titel «Long- Kieferorthopädie der Universität Bern,

Prof. Theodore Eliades, Klinikvorsteher der Kieferorthopädie und Kinderzahnmedizin der Universität Zürich, beschäftigte sich mit dem Thema xenoöstrogene Reaktionen von Adhäsiven. Hier zusammen mit dem Moderator Oliver Haindl, der durch die Tagung führte.

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Von links: Dr. Christoph Langerweger (Präsident SVK), Dr. Laurent Daeniker (Präsident Fachkommission), Dr. Giovanni Ruggia (ehemaliger Präsident und ­Beisitzer SVK), Dr. Daniel Alkalay (neu gewählter Beisitzer)

befasste sich mit der Retention und zitier­ tionsrichtlinien für die Privatpraxis be­ mit lebenslanger, fest sitzender Retention te die kürzlich erschiene Studie «Ortho- grüssen, so der Referent. periodische Kontrollen beim Kieferortho­ dontic retention procedures in Switzerland». Zum Schluss ging der Referent der Frage päden oder Privatzahnarzt durchführen Zähne hätten die Tendenz, sich in ihre nach, wie die Reaktion des Privatzahn­ lassen, damit potenzielle negative Neben­ ­ursprüngliche Lage zurückzubewegen, arztes aussehe, wenn ein fest sitzender wirkungen früh erfasst würden. nachdem die aktive kieferorthopädische Retainer locker geworden sei. Es erschei­ Behandlung abgeschlossen sei. Um genau ne nämlich zweckmässig, wenn die Re­ Präsentation und Fragen bezüglich inter­ dies zu verhindern, würden deshalb bei tentionskontrollen nach einer gewissen zeptiver kieferorthopädischer Massnahmen fast jedem Patienten Retentionsgeräte Zeit im Rahmen des jährlichen Recalls Im letzten Teil des Programms präsen­ eingesetzt. Aktuelle Umfragen hätten durch die Privatzahnärzte erfolgten. tierten Prof. Verna, Prof. Kiliaridis, Prof. Elia- ­jedoch ergeben, dass signifikante Unter­ Rund 64 Prozent entschlossen sich für des und Dr. Grossen Fakten zu posteriorem schiede zwischen den einzelnen Reten­ ein Rebonding (Wiederbefestigung), ein Kreuzbiss, Tiefbiss, vergrössertem Overjet tionsprotokollen beständen. Die Mehr- Drittel schickte den Patienten zurück und Traumarisiko sowie Habits in Zusam­ heit der Behandler bevorzugte eine fest zum Kieferorthopäden, sieben Prozent menhang mit frontal offenem Biss. Die sitzende Retention, sowohl im Ober- setzten selbstständig einen neuen Re­ Jahrestagung endete mit einer spannen­ als auch im Unterkiefer. Im Fall von Ex­ tainer ein, und etwas mehr als ein Pro­ den Diskussionsrunde im Rahmen eines traktionen und Dehnung werde eine zent entschieden sich, den Retainer voll­ round-table, wobei auch auf Fragen aus Kombination­ von fest sitzenden und ab­ ständig zu entfernen. Grundsätzlich sei dem Publikum eingegangen wurde. nehmbaren Retentionsgeräten gewählt. die Kommunikation zwischen dem Kie­ Die Teilnehmer konnten mit neuen Er­ 87 Prozent und somit die Mehrheit der ferorthopäden und dem Privatzahnarzt kenntnissen, Tipps und Tricks nach Hause Kieferorthopäden sähen die fest sitzen­ ausserordentlich wichtig, gehe es doch zurückkehren. Der Präsident der SVK/ den Retainer als permanente Langzeitre­ darum, ein langfristig stabiles Behand­ ASP, Dr. Christoph Langerweger, kündigte tention. Rund zwei Drittel konnten nach lungsresultat zu erhalten. bereits die 34. Jahrestagung am 26. Januar einiger Zeit negative Nebenwirkungen bei Zusammenfassend sei festzuhalten, dass 2017 in Bern an. Ausserdem verwies er auf fest sitzenden Retainern feststellen. Un­ fest sitzende Retainer von der Mehrheit das Privileg der Schweizerischen Gesell­ erwünschte Torqueänderungen an ein­ der Kieferorthopäden und unter den meis­ schaft für Kinderzahnmedizin, im Jahre zelnen Zähnen würden mit gut 84 Pro­ ten klinischen Voraussetzungen bevorzugt 2018 die EAPD (European Academy of zent am häufigsten genannt. 93 Prozent würden und diese lebenslang bestehen Paediatric Dentistry) in Lugano organi­ der Kieferorthopäden würden Reten­ bleiben sollten. Daher sollten Patienten sieren zu dürfen.

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Direkt nach dem WEF in Davos tagte Mitte Gipfeltreffen Februar die 8. Wintersportwoche der Fort­ bildung Rosenberg. Experten der Zahn­ zum Thema medizinerwelt diskutierten über optimale Behandlungsmethoden, neuste Erkennt­ Zahnmedizin nisse und Produkte in der modernen Zahn- medizin.

8. Wintersportwoche in Davos Text und Fotos: Dr. med. dent. Sybille Scheuber, Bern

Organisator Dr. Nils Leuzinger freute sich hen polymerisieren Zahnärzte zu wenig Absprühen reicht nicht. Sandstrahlen über die Rekordanmeldung von über lange. Sein Tipp: einfach doppelt so lange funktioniert – ist aber bei einer verletzten 280 Teilnehmern und über die zahlrei­ aushärten, wie vom Hersteller empfoh­ Papille nicht sehr beliebt. Dr. Lenhard prä­ chen «Repeater», die aufgrund guter Er­ len, und: so nah ran wie möglich! Dr. Len- pariert vorsichtig nach. Beides ist kri­ fahrungen immer wieder kommen. Und hard schrägt konsequent die Schmelzrän­ tisch. Eine optimale Lösung gibt es nicht. die Teilnehmer freuten sich neben dem der an – wichtig dabei ist das Verhältnis Cerecs oder anderweitige keramische Re­ wissenschaftlichen Programm auf beste zu den Schmelzprismen. Nur dann ist die konstruktionen klebt Dr. Lenhard niemals Wetterverhältnisse und viele neue Kon­ Haftung optimal. Für alle Kofferdam-­ subgingival ein. Einen subgingivalen takte. Muffel gibt es seit 2012 eine neue Studie: Kronenrand versucht er vorgängig mit Es gibt keinen Unterschied, ob die Fül­ ­einem fliessfähigen Komposit (Flow) Wo ist hier die Kompositfüllung? lung unter Kofferdam oder nur mit Wat­ ­anzuheben, das nennt sich «proximal Dr. Markus Lenhard, Privatpraxis in Schaff­ terolle gelegt wurde. Vergleichsergebnis­ box elevation». Kommt beim Schichten hausen, zeigte einmal mehr, dass High-­ se zeigen nach zehn Jahren die gleiche wider Erwarten Speichel auf das Kompo­ End-Ästhetik auch mit Komposit funk­ Überlebensrate. Der Kofferdam macht sit, wiederholt Dr. Lenhard konsequent tioniert. Er nahm gleich vorneweg: Man eine Füllung nicht besser. Nur Blut und alle Schritte: Absprayen, Trockenblasen, kann, muss aber nicht mit Komposit ar­ Speichel sollen wegbleiben. Die Wahr­ ­Ätzen, Primer, Adhäsiv, Bond (je nach beiten. Er will damit nicht sagen, man scheinlichkeit dafür ist jedoch mit Koffer­ verwendetem System) und erst dann solle keine Kronen machen – auch wenn dam höher als mit der Watterolle. ­erneut Komposit. er in der Lage ist, ganze Frontzähne aus Der Graus eines jeden adhäsiv praktizie­ Dr. Lenhard ist ein Vertreter von Bulk-­ Komposit zu schichten. Studien zeigen renden Zahnarztes (neuerdings «Bondo­ Fill‑Materialien – auch wenn die Farbe ein sehr gutes Ergebnis bei Kompositfül­ dontist» genannt) ist neben dem Speichel leicht gräulich transparent ist und noch lungen: nur zwei Prozent Verlustrate pro das Blut. Es gibt derzeit keinen Blutstiller, zu wünschen übrig lässt. Wenn Komposi­ Jahr. Am langlebigsten bleiben jedoch die der die Klebung nicht negativ beeinflusst. te altern, nehmen sie Wasser auf und ver­ Goldrestaurationen. Sie zeigen ein Versa­ Sowohl Viscostat (Eisensulfat) als auch lieren dadurch ihre Transluzenz. Sie wer­ gen von nur 0,25 Prozent pro Jahr. Gold Hemodent (Aluminiumchlorid) als auch den opaker – Bei Bulk-Fill-Materialien frakturiert nicht. Fatal ist: Die Überle­ die beliebte Expa-Syl-Paste reduzieren ein gewünschter Effekt, bei Frontzahn­ bensrate einer Rekonstruktion fällt mas­ die Dentinhaftung dramatisch. Einfaches füllungen eher unangenehm. Ebenso ist siv nach unten, wann immer ein Patient den Zahnarzt wechselt. Zahnärzte neigen dazu, die Arbeiten der Kollegen wesent­ lich kritischer zu beurteilen als das eigene Werk. Das führt oft zu einem «Overtreat­ ment». Am langlebigsten sind also Arbei­ ten, wenn der Patient bei einem einzigen Zahnarzt bleibt … Doch woher kommt die Sekundärkaries? Führt die Schrumpfung zum Mikrolea­ kage? Nein. Dr. Lenhard glaubt, der Haupt­ faktor sei immer noch die Mundhygiene. Eine Kompositfüllung funktioniere ge­ nauso gut wie eine Amalgamfüllung. Er betonte, dass die vollständige Polymeri­ sation des Komposits in direktem Zusam­ menhang mit dem Erfolg stehe. Alle Para­ meter wie Randständigkeit, Biegefestig­ keit, Polierbarkeit usw. hängen vom Polymerisationsgrad ab. Statistisch gese­ Dr. Urs Brodbeck, Dr. Markus Lenhard, Dr. Nils Leuzinger

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zin und Kriminalistik. In vielen Fällen kann man anhand der Zähne das Alter eines Menschen bestimmen. Wie Baum­ ringe reihen sich sogenannte Jahresringe auf der Zahnwurzeloberfläche und lassen auf das Alter eines Menschen schliessen. Wenn es darum geht, Kinderarbeit zu verhindern, die Strafmündigkeit oder das Rentenalter bei zugewanderten Per­ sonen festzustellen, wird er gerufen. Auch spektakuläre Bissspurgutachten bei bis anhin ungelösten Kriminalfällen fallen in seine Rubrik. Davon wusste Dr. Knell wie in einem Krimi zu berichten. Heute wird mit dem PC gearbeitet und digital eine forensische Fotogrammetrie durchgeführt. Gut zu wissen: Ein Toter Dr. Urs Brodbeck, Dr. Chantal Riva, Dr. Nils Leuzinger kann sich in der Schweiz nicht gegen eine Obduktion wehren. Man macht sich als Zahnarzt übrigens nicht strafbar, gibt Lenhard der festen Überzeugung, dass tine (Moronal), Ampho-­Moronal und man die Unterlagen zur Identifizierung sich One-Bottle-Systeme mehr und mehr ­einer Hibitan-Spülung behandelt. Auch einer unbekannten Leiche heraus. Der durchsetzen werden. In fünf Jahren wird sollte die Prothese professionell gerei­ Zahnarzt ist in diesem Fall vom Arztge­ kein Zahnarzt mehr Phosphorsäure auf nigt und der Patient entsprechend in­ heimnis entbunden. Leider wird es bei den Zahn geben. Er ätzt sowieso nur den struiert werden. Ein wichtiges Erken­ heutigen idealen KFO-Kl-I-Gebissen Schmelz an, das Dentin nur fünf bis zehn nungsmerkmal ist die Abwischbarkeit. schwieriger werden, den «Beisser» zu Sekunden. Er warnte eindringlich vor der Nach dem Abwischen erscheint ein finden, da die Individualität verloren Überätzung des Dentins. Das kann vor Erythem oder eine blutende Läsion. Wer geht. Was vom Kindes- bis zum Erwach­ ­allem bei tiefen Kavitäten zu postopera­ sich seiner Blickdiagnose nicht sicher senenalter allerdings stabil bleibt, sind tiven Hypersensibilitäten führen. ist, kann auch einen Micro­stix-Candida- die Rugae palatinae. Man kann vom Kin­ Test machen. Im Detail wurden auch dermodell auf den Erwachsenengaumen Flecken, Pünktchen und Bläschen die präkanzerösen und karzinogenen schliessen. Diese Diziplin nennt sich Pa­ Frau Dr. Chantal Riva, Privatpraxis in Jona Erkrankungen der Mundschleimhaut latoskopie und erlaubt eine eindeutige SG, stellte eine Übersicht über sämtliche durchgesprochen. Zuordnung. Dr. Knell war auch in Kata­ Schleimhauterkrankungen vor. Wichtig strophengebieten im Einsatz. Beim war ihr, dass die Anwesenden nach der Wer war der Mörder? ­Tsunami 2004 in Thailand waren mehr Lektion die Läsionen erkennen können, Dr. Bernhard Knell ist Leiter der Fachgrup­ Menschen vermisst gemeldet, als Lei­ verstehen, warum sie entstehen, und sie pe für forensische Odontologen (FOCH) chen gefunden wurden. gut beschreiben können. Dies übte sie in der Schweiz. Er sprach zum spannen­ Es gibt drei Dinge, woran man einen vorbildlich mit dem Publikum, welches den Thema der forensischen Zahnmedi­ Menschen eindeutig identifizieren kann: nach der Vorlesung in der Lage war, die teilweise seltenen Befunde korrekt wie­ derzugegeben. Zur Not kann man Sto­ Ausstellungssaal der Fortbildung Rosenberg ma‑Patienten auch in ihre Sprechstunde überweisen. Dabei ist ein systematisches Vorgehen von Vorteil: Wie lange besteht die Veränderung schon? Trat sie schon mal auf? Lokalisation? Gibt es Begleit­ symptome? Das sind Fragen, die dem Patienten vorgängig gestellt werden ­sollen. Ein Beispiel: Die Pilzerkrankung Candidiasis, auch bekannt als Soor oder Candidamykose, ist eine durch den He­ fepilz Candida albicans hervorgerufene Erkrankung. Sie tritt auf bei schlechter Prothesenhygiene, Immunmangelzu­ ständen (Aids) oder bei Behandlung mit Immunsuppressiva wie Antibiotika, ­Zytostatika oder Steroiden. Die Lokali­ sationen sind häufig die Zunge, die Wange oder die von den Prothesen be­ deckten Areale. Sie werden mit Nysta­

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Dr. Nils Leuzinger, Prof. Dr. Dr. h. C. Jörg Strub, Prof. Dr. Wael Att und Dr. Urs Brodbeck

1. Fingerabdruck – man braucht aber eine (zu) wenig weiss, stürzen sich alle auf Faulheit der Menschen» – er wirkt wie Vergleichsuntersuchung die Bakterien. Schon Page wusste: Wir Elmex Gelee, nur länger anhaltend. Sein 2. DNA – kann auch aus der Pulpa konzentrieren uns zu sehr auf die Bakte­ Credo: höchstens zwei Instrumente be­ gewon­nen werden rien, weil wir über die Immun­ ­abwehr zu nutzen – eine Zahnbürste und ein Inter­ 3. das zahnärztliche Gebiss wenig wissen. Dabei machen die Bakte­ dentalbürstchen. Die meisten Menschen rien vielleicht 20 Prozent aus, das Rau­ ­machen kreisende, schrubbende oder Nur eine der drei Methoden muss zutref­ chen 30 Prozent und die Immunabwehr fegende Bewegungen mit der Zahnbürs­ fen, um einen Täter zu überführen. 50 Prozent. te. Die Bass-Technik scheint sich in der Logische Konsequenz: Die Bakterien Bevölkerung nicht durchgesetzt zu ha­ Die Mundhöhle ist ein Verschleissteil müssen weg! Bakterien sind da, wo sie ben. Neuere Studien von 2013 weisen Prof. Dr. Johannes Einwag, Stuttgart, hielt sich wohlfühlen oder nicht gestört wer­ ­jedoch darauf hin, dass es keinen Unter­ einen Vortrag, den jeder verstand. Bei den. Karies kommt nicht über Nacht. schied in der Plaquereduktion gibt, egal der Parodontitis sieht die Lehrmeinung Damit sich Beläge entwickeln, braucht welche Putztechnik nun verwendet folgendermassen aus: Man weiss, dass es Zeit. Genau gesagt 48 Stunden, bis wird. Das A und O einer effektiven Bio­ sie bakteriell induziert ist und dass die sich ein kariogener Biofilm entwickelt. filmentfernung ist der Borstenkontakt. Immunabwehr eine entscheidende Rolle Es würde also reichen, wenn man sich Deshalb ist es wichtiger, dem Patienten spielt. Befinden sich beide Seiten im nur einmal am Tag die Zähne putzt, da­ eine Putzsystematik einzubläuen als ihm Gleichgewicht, ist alles in Ordnung. für aber gründlich. Subgingival dauert hypermoderne Zahnbürsten aufzudrän­ Wenn nicht, dann nicht. Da die Wissen­ es drei Monate, bis ein Biofilm pathogen gen. Zur Ernährung gab Prof. Einwag fol­ schaft von der Immunabwehr jedoch wird – zum Glück, die Zeit ist auf unse­ genden Ratschlag: «Selten süss, selten rer Seite. Das Problem heutzutage sind sauer, selten klebrig.» aber eher die Putztraumen und die keil­ förmigen Defekte, die ein übermässiges Wenn der Knochen erst mal weg ist … oder falsches Zähneputzen nach sich Die Anzahl gesetzter Implantate steigt, ziehen. Auf schonendem Putzen liegt auch wenn so etwas wie ein Euphorie­ neuerdings der Fokus. Eine Zahnpasta knick sichtbar ist. Ebenso nehmen mit niedrigem RDA-Wert und eine elek­ ­pe­riimplan­täre Erkrankungen zu, so trische Zahnbürste mit einem Druck­ Dr. ­Claude Andreoni, Privatpraxis Zürich. sensor sind sinnvoll. Wobei es keinen Wenn man sieht, wie mühsam und auf­ Unterschied macht, welche elektrische wendig eine Rezessionsdeckung bei Zahnbürste gewählt wird. Jedoch ist die ­einem fehlplatzierten Frontzahnimplan­ Schallentfernung der Plaque durch die tat ist, dann möchte man jedem unsiche­ Schallzahnbürste ein Märchen. Ein che­ ren Zahnarzt raten, das Implantieren sein misches Biofilmmanagement wirkt nur zu lassen oder sich entsprechend weiter­ kurzfristig und auf Bakterien in plankto­ zubilden. Die kritische Selbsteinschät­ nischer (gelöster) Form. CHX-Anwen­ zung ist wichtig. Misserfolge sollen ver­ dungen (Spülungen, Gele, Lacke) haben mieden werden. Nach Mombelli weisen also nur einen oberflächlichen Effekt. zehn Prozent aller Implantate und zwan­ Chemie ist kein Ersatz für die Mund­ zig Prozent aller Implantatpatienten nach hygiene. Fluoridlacke wirken nur auf fünf bis zehn Jahren eine Periimplantitis sauberen Zahnflächen.Prof. Einwag rief auf. Der Ablauf einer Periimplantitis ist aus: «Fluoridlack ist die Antwort auf die schnell und meistens beschwerdefrei.

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Wegen des fehlenden Fasernetzwerks tritt tienten – soll implizieren, dass auch Stu­ sind optimal. Dies ist jedoch nur in ausge­ sie zirkulär auf. Dabei sind die klassischen denten ohne 100 Jahre Implantiererfah­ wählten Fällen möglich: Wenn die Lachli­ Entzündungszeichen schlecht erkennbar. rung implantieren können, wenn sie mit nie tief, der gingivale Biotyp dick ist und Wissenschaftlich fundierte Therapieme­ navigierter OP-Schablone arbeiten. keine Entzündung vorliegt. thoden fehlen. Dr. Andreoni empfiehlt eine Selbstredend assistiert ein erfahrener Chi­ Mit der digitalen Technik lassen sich re­ Kombinationstherapie, bestehend aus ei­ rurg gegenüber. Nichtsdestotrotz ein zu­ lativ einfach Provisorien/Mock-ups her­ ner mechanischen, ­chemischen und mit kunftsweisender Weg, wenn es darum stellen. Das ist dann interessant, wenn dem Laser durch­geführten Dekontami­ geht, Implantate präzise zu setzen. Und Patienten im Vorfeld wissen wollen, wie nation der Implantatoberfläche. Zuerst zwar so präzise, dass ein vorbereitetes Im­ das Endergebnis aussieht. Das Hauptziel sollte immer konservativ versucht wer­ plantatprovisorium direkt nach der Im­ der provisorischen Versorgung ist eine den, das Implantat zu retten. Die Biosti­ plantation als Immediatarbeit einge­ genaue Reproduktion des diagnostischen mulation erfolgt mit dem Diodenlaser. schraubt werden kann. Das erfordert Wax-ups, das korrekt intraoral eingesetzt Erst wenn diese Therapieform zu keinem schon etwas Know-how und ist wohl ist. Ebenso wird in Freiburg mit der mag­ Erfolgt führt, greift er zum Skalpell und kniffliger als auf den Vortragsbildern dar­ netischen kieferorthopädischen Extru­ versucht eine Rege­neration bzw. Resek­ gestellt. Schon bei der Zahnextraktion soll sion experimentiert, wobei nach Salama tion, eine Muko­gingivalchirurgie oder – ein aufgesetztes Extraktionsgerät voll­ und Salama der Knochen und das Weich­ bei extrem ­ausgeprägten Fällen – gar die kommen atraumatisch einen Zahn senk­ gewebe «mitgezogen» werden. Das ist Explantation. recht aus der Alveole befördern. Mittels eine Variante, wie man einen Knochen­ DVT und überlagerten intraoralen Scans aufbau umgehen und ganz natürlich Studenten implantieren gratis in Freiburg wird die ideale Implantatposition ermittelt opti­male Verhältnisse schaffen kann. Etwas unkonventionelle, aber sehr zu­ und die OP-Schablone entsprechend her­ Solche und weitere interessante, sehr kunftsträchtige Fälle zeigte die «Freibur­ gestellt. Der Zahntechniker arbeitet das moderne alternative Wege schwappten ger Ecke» mit Prof. Dr. Dr. hc. Jörg Strub und vorbereitete Provisorium noch während aus Deutschland herüber. Was sich Prof. Dr. Wael Att. Als Mitgründer der Inter­ der OP aus, sodass der Patient nicht zahn­ durchsetzen wird, ist noch unklar, aber national Academy for Digital Dental Medi­ los den OP-Saal verlässt. Mögliche Vorteile es wird eine ständige Veränderung ge­ cine (IADDM) waren auch ihre Fallbeispie­ sind: Bei der Sofortimplantation wird dem ben. Die nächste Wintersportwoche der le mit viel digitaler Technik versehen.­ So Patienten ein weiterer chirurgischer Ein­ Fortbildung Rosenberg findet vom 20. bis implantieren Studenten navigiert am Pa­ griff erspart, und die Knochenverhältnisse 25. Februar 2017 in Davos statt.

SGDMFR Schweizerische Gesellschaft für dentomaxillofaziale Radiologie SSRDMF Société suisse de radiologie dentaire et maxillo-faciale SSRDMF Società svizzera di radiologia dentomaxillofacciale SADMFR Swiss Association of Dentomaxillofacial Radiology

Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für dentomaxillofaziale Radiologie (SGDMFR) in Bern vom 8. Juni 2016 Ausschreibung des Nachwuchswettbewerbs für AssistentInnen in Weiterbildung

Eingebettet im interessanten Programm der Jahrestagung 2016 in Bern, bietet die SGDMFR jungen Forschern, die auf dem Gebiet der zahnärztlichen Radiologie arbeiten, ein Forum, um im Rahmen eines Nachwuchswettbewerbs ihre Arbeiten zu präsentieren. Zugelassen sind MasterandInnen und DissertantInnen schweizerischer Universitäten/Universitätszahnkliniken sowie Teilnehmer eines BAG- oder SSO-akkreditierten Weiterbildungsprogramms. Bewerberinnen für den Nachwuchswettbewerb sollten Mitglied der SGDMFR sein (oder sich um eine Mitgliedschaft beworben haben). Das Abstract sollte im IADR-Format (Ziel, Material und Methoden, Ergebnisse, Diskussion, Schlussfolgerung: inkl. aller Koautoren und deren Institutionen) in digitaler Form bis zum 10. Mai 2016 via E-Mail an das SGDMFR-Sekretariat eingereicht werden. Zugelassene Refe­rate sollen maximal zehn Minuten dauern, anschliessend folgt eine fünfminütige Diskussion. Der Nachwuchspreis der SGDMFR ist mit CHF 2750.– dotiert. Die beste Arbeit wird mit CHF 1500.–, die zweitbeste mit CHF 750.–, die drittbeste mit CHF 500.– ausgezeichnet. Alle zum Nachwuchswettbewerb zugelassenen Teilnehmer werden zudem zur Jahrestagung eingeladen.

E-Mail-Adresse: [email protected] Dr. D. Dagassan-Berndt Sekretärin SGDMFR

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… so lautete das Motto des 24. Jahreskon- «Practical gresses der Schweizerischen Gesellschaft für Endodontologie (SSE), der am 22. und ­Endodontics – 23. Januar 2016 im Palais Beaulieu in Just endo it» … ­Lausanne stattfand. Text und Fotos: Caroline Clausen und Katrin Zumstein, Bern

Nach der Eröffnung durch den SSE-Präsi­ nig Restkaries belasse und indirekt über­ spielsweise zu wissen, wo genau in der denten Dr. med. dent. Reto Lauper folgten kappte, statt nach vollständiger Karies­ Pulpa sich die Entzündung befindet, ob zahlreiche Vorträge, die jeweils simultan exkavation direkt zu überkappen. man die Pulpa vital erhalten kann, ob auf Deutsch, Englisch und Französisch Bei schmerzhaften, vitalen Zähnen sind eine Pulpotomie durchgeführt werden übersetzt wurden. Eine umfangreiche auch Cracks als Ursache möglich. Diese sollte und ob der Periapex zu heilen be­ Dentalausstellung mit diversen Partnern können durch den typischen Loslass­ gonnen hat. Die Diagnostik sollte dabei aus der Dentalindustrie bot den etwa schmerz bei einem Aufbisstest bestätigt unabhängig von der Schmerzempfindung 250 Teilnehmenden zudem einen Über­ werden. Ist die Diagnose weiterhin un­ des Patienten sein. Hierzu könnte FACE blick über die neuesten Trends sowie eine klar, könnte es sich auch um einen atypi­ (fluorescence aided caries excavation) Fülle an weiteren Informationen. schen Gesichtsschmerz handeln. Patien­ auch für Weichgewebe entwickelt, getes­ ten, die über nicht genau lokalisierbare, tet und verwendet werden. Ausserdem Diagnose – Neuropathie – Resultat lang bestehende Schmerzen klagen, wird könnte der Nachweis molekularer Marker Prof. Matthias Zehnder, Universität Zürich, eine endodontische Behandlung nicht wie zum Beispiel IL-8 (hohe Konzentra­ begann mit seinem – wie er selbst sagte – helfen. Sie sind an einen Schmerzspezia­ tion bei irreversibler Pulpitis) dabei hel­ «fetten» Wladimir-Adlivankine-Vortrag listen zu überweisen. fen, anzuzeigen, welche Teile des Pulpa­ «Diagnosing the painful and the non-­ Den zweiten Teil, über den nicht schmerz­ systems von der Infektion betroffen sind. painful tooth» die Vortragsreihe und haften Zahn, startete Prof. Zehnder mit Der Marker sollte idealerweise im Dentin­ zeigte die grosse Bandbreite der endo­ ­einem historischen Rückblick, um zu fluid nachgewiesen werden können und dontischen Diagnostik. Das erste Thema: ­zeigen, wie wenig sich die Mittel zur die entsprechende Therapie anzeigen. Es der schmerzhafte Zahn. Ein sehr starker, Pulpa­diagnostik bis heute verändert ha­ ist jedoch sehr schwierig, mit dem weni­ akuter Schmerz ist meist endodontal ben. Eine Weiterentwicklung wäre wün­ gen, durch Papierspitzen gewonnenen ­begründet, wobei ein Zahn an drei ver­ schenswert, um mehr über den genauen Dentinfluid die gewünschten Marker schiedenen Stellen schmerzen kann: in Zustand der Pulpa zu erfahren: um bei­ nachzuweisen. Konkretere Nachweise der Pulpa, im Parodont und im Periost – wie Prof. Zehnder seinen Kollegen Domi­ nik Ettlin von der Universität Zürich ­zitierte. Anzumerken ist, dass eine Ent­ zündung im Knochen an sich nicht schmerzhaft ist, weil hier keine Nozi­ rezep­toren vorhanden sind. Bei der symptomatischen apikalen Paro­ dontitis fühlt es sich für die meisten Pa­ tienten so an, als stünde der Zahn höher als die übrigen Zähne, und die Betroffe­ nen suchen den Zahnarzt sehr früh auf. Zur Diagnose stehen Kältetests (z. B. mit

CO2-Schnee), warmes Gutta oder Auf­ bisstests zur Verfügung. Eine irreversible Pulpitis sei hingegen oft schwierig zu erkennen, erklärte Prof. Zehnder. Bei einer nicht eindeutigen Dia­ gnose sollte abgewartet werden. Ist jedoch eine tiefe Karies vorhanden und der Zahn bereits schmerzhaft, sind die Diagnose und somit die Einleitung einer Wurzelka­ nalbehandlung gegeben. In diesen Fällen sollte nicht direkt überkappt werden. Bei einem asymptomatischen Zahn erziele man bessere Resultate, wenn man ein we­ Prof. Matthias Zehnder

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(Rekapitulation am Apex), Ausdehnung der Aufbereitung und Konizität (ISO 30 mit 0.5 Taper für Edelstahl- und 0.6 Taper für NiTi-Instrumente). Die beiden ma­ schinellen Aufbereitungsmethoden Pro­ taper Next™ und WaveOne® erfüllen die Bedingungen einer idealen Präparation des Wurzelkanals. Zudem ist die Ver­ wendung eines geeigneten Spülmittels essenziell – empfohlen wird Natrium­ hypochlorit mit einer Konzentration von 0,5 Prozent am Wirkungsort. Dank gutem Spülen ist auch eine gewisse Penetration der Dentintubuli möglich. Dafür ist es wichtig, dass sich NaOCl über einige Mi­ nuten im Kanal befindet, damit es seine Wirkung entfalten kann. Die erwähnte Konizität des Wurzelkanales lässt das Prof. Paolo Scolozzi Prof. Serge Bouillaguet Spülmittel den gesamten Kanal errei­ chen. Der Smearlayer ist mit 17% EDTA zu entfernen. Das Spülmittel kann zu­ sind oft erst durch Untersuchung des sein. Wichtig dabei ist die chirurgische sätzlich beispielsweise mit Ultraschall pulpalen Blutes oder des periapikalen Übersicht durch einen ausreichend gros­ aktiviert werden. Fluids möglich, was aber eine Eröffnung sen Zugang. Auch von der Füllung ist der Erfolg einer bzw. Entfernung der Pulpa voraussetzt. Zum Schluss betonte Prof. Scolozzi, dass Wurzelkanalbehandlung abhängig. Wur­ Bessere Chairside-Diagnosemethoden jeder Sealer potenziell neurotoxisch sein zelfüllungen bis zum Apex oder bis zu würden die Entscheidungsfindung bei kann und dass bei Überfüllung des Sealers ­maximal einem Millimeter vom Apex ent­ endodontisch unklaren Fällen deutlich in der Nähe des Alveolarkanals ein gutes fernt zeigen bessere Resultate. Die Art und vereinfachen. postoperatives Monitoring wichtig ist. die Technik der Wurzelfüllung hingegen Prof. Paolo Scolozzi, Universität Genf, ver­ Sollten nach Abklingen der Lokalanäs­ bringen keinen signifikanten Vorteil. Auch schaffte den Kursteilnehmern in seinem thesie nach erfolgter Wurzelkanalbe­ die Anatomie des Wurzelkanals beein­ Referat einen guten Überblick über Ätio­ handlung neurologische Symptome flusst das Endergebnis: Weisen die Zähne logie, Klassifizierung, Diagnostik und ­bleiben, muss der Patient umgehend am Apex Ramifikationen uf,a verschlech­ ­Behandlung von Neuropathien mit endo­ zu einem Kieferchirurgen überwiesen tert dies die Erfolgschance der Wurzel­ dontologischem Ursprung. Nervenverlet­ werden. kanalbehandlung. Sind die Wurzelkanäle zungen können auf vielfältige Weise ent­ Prof. Serge Bouillaguet, Universität Genf, gefüllt, ist der Zahn beziehungsweise sind stehen: durch ein direktes Trauma zum referierte zu Beginn des Nachmittags über die Zähne so rasch wie möglich bakterien­ Beispiel mit endodontischen Feilen, die «Endodontic outcome: Product or Ope­ dicht zu verschliessen. über den Apex hinaus verwendet werden, rator?». Anhand diverser Studien zeigte chemisch durch Spülmittel wie zum Bei­ er auf, dass die Erfolgschance der Be­ Desinfektion – neue Instrumente – Revision spiel Natriumhypochlorit, durch medika­ handlung einer irreversiblen Pulpitis bei Prof. Roeland de Moor, Universität Gent mentöse Einlagen oder Wurzelfüllmate­ 83 Prozent und jene der apikalen Paro­ (Belgien), informierte in seinem Vortrag rialien, die Eugenol oder Paraformaldehyd dontitis bei 72 Prozent liegt. Dabei haben über die neusten Methoden zur Desinfek­ enthalten. Es kann auch zu einem Com­ verschiedene Faktoren einen Einfluss. Bei tion des Wurzelkanalsystems und zeigte, partment-Syndrom kommen, bei dem den Patientenfaktoren spielen Alter und wie wirksam «The bubble» ist. Laut die Nerven mechanisch beeinträchtigt Geschlecht keine entscheidende Rolle, Prof. de Moor kann das Resultat einer Wur­ werden, was wiederum zu Demyelinisie­ wogegen jedoch zum Beispiel Diabetes zelkanalbehandlung durch mehrere Fak­ rung, Ödemen, axonalem Unterbruch oder eine reduzierte Immunantwort die toren negativ beeinflusst werden: durch und Fibrose führen kann. Thermische peri­api­kale Heilung erschwert. Wird der unzureichendes Entfernen des Smear­ Reize können ebenfalls Neuropathien Patient durch einen Spezialisten behan­ layers, durch ungenügende Zerstörung auslösen. Sie entstehen durch Materialien delt, erhöht dies die Chance auf eine er­ der Mikroorganismen und durch be­ mit exothermen Abbindereaktionen oder folgreiche Wurzelkanalbehandlung. Ei­ grenzte Penetrationstiefe des Spülmittels. durch heisses Gutta bei vertikaler Kon­ nen weiteren Vorteil bringt die Isolation Da im apikalsten Teil des Wurzelkanals densation. Die Behandlung erfolgt kon­ des zu behandelnden Zahnes durch Kof­ am meisten Unregelmässigkeiten auftre­ servativ oder chirurgisch. ferdam. Auch Vergrösserungshilfen wie ten, ist es sehr wichtig, dass das Spülmit­ Beim chirurgischen Vorgehen kann der Mikroskop oder Lupenbrille und eine tel gerade dort gut wirken kann. Zugang von intraoral oder extraoral erfol­ gute Beleuchtung verbessern das endo­ «What about the bubble?»: Der Begriff gen, wobei ein intraoraler Zugang meist dontische Resultat. Nebst diesen eher Kavitation kann grob als starker, nicht von Vorteil ist. Es kann eine Wurzelspit­ ­allgemeinen Aspekten haben auch kon­ ­linearer Kollaps einer kleinen Gas- oder zenresektion, eine bukkale Plattenostek­ kretere Faktoren im Behandlungsablauf Dampfblase eingekapselt in einer Flüssig­ tomie, eine bukkale Corticotomie oder einen Einfluss. Dazu gehören: Straight keit beschrieben werden. Eine akustische eine sagittale Spaltosteotomie indiziert line access, apikale Patency und Gleitpfad Kavitation tritt auf, wenn eine Flüssigkeit

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Spitze Nummer 16 und variabel progressi­ ver Konizität ermöglicht die Aufbereitung eines Gleitpfads mit nur einem einzigen Instrument oder kann bei schwierigen Fällen den Übergang von den Pathfiles zur ersten Finishing File erleichtern. Wer zur Wurzelkanalaufbereitung nur eine Feile verwenden möchte, dem emp­ fiehlt sich – wenn es die Anatomie er­ laubt – die WaveOne®-gold-Feile. Sie ist sehr widerstandsfähig gegen zyklische Ermüdung und ermöglicht durch das er­ weiterte Feilensortiment Small, Primary, Medium oder Large eine grössere Breite an Kanalmorphologien. Dank ihrer gros­ sen Flexibilität kann die WaveOne®-gold sogar Stufen überwinden. Die reziproke Technik der beiden Systeme Protaper Prof. Roland de Moor Prof. Damiano Pasqualini Next™ und WaveOne® erhöht die Le­ bensdauer der NiTi-Instrumente und ver­ ringert die Gefahr des Feilenbruchs. intensivem Schall oder Ultraschall (20 kHz Nd:Yag- und Diodenlaser sowie mittels Als letzter Referent des ersten Tages do­ bis 10 MHz) ausgesetzt wird. Durchdringt PIPS(Photon-induced Acoustic Strea­ zierte Prof. Phil Lumley aus Grossbritannien Schall eine Flüssigkeit, besteht er aus Ex­ ming)-Methode durchgeführt werden über Revisionen von Wurzelkanalbe­ pansionswellen und Kompressionswellen. und funktioniert unabhängig von der handlungen. Findet nach einer solchen Ist die Intensität des Schallfeldes hoch ge­ Wahl des Spülmittels. Eine zusätzliche Behandlung keine Heilung statt und sind nug, kann das das Entstehen, Wachsen Verbesserung der endodontischen Desin­ Symptome oder interne Resorptionen und die schnelle Rekompression der fektion erhofft sich Prof. de Moor in Zu­ vorhanden, kann eine Revision der Wur­ Dampfblase in der Flüssigkeit auslösen. kunft durch Laser-aktivierte Nanoparti­ zelkanalbehandlung indiziert sein. Laut Prof. de Moor veranschaulichte diesen Ab­ kel, welche die Zerstörung des Biofilmes Prof. Lumley ist die Erfolgschance bei der lauf mit einem Video aus der Meereswelt: erleichtern sollen. Revision einer inadäquaten, insuffizien­ Um ihre Beute zu erlegen, löst eine Gar­ In seinem Vortrag über neue Instrumente ten Wurzelkanalfüllung deutlich grösser, nele eine Dampfblase aus. zur Wurzelkanalaufbereitung erwähnte als wenn eine bereits suffizient scheinen­ Wird das Spülmittel mit Ultraschall akti­ Dr. Damiano Pasqualini aus Italien, wie de Wurzelkanalfüllung revidiert wird. viert, ist nur wenig Flüssigkeit im Wur­ wichtig es ist, bei engen Kanälen einen Dabei sollte eine orthograd verbesse­ zelkanal. Aus diesem Grund kollabieren guten Gleitpfad herzustellen. Manuell ist rungswürdige Füllung auch orthograd die Blasen an der Feile und nicht wie ge­ dies mit einer K-Feile möglich; maschinell und nicht retrograd korrigiert werden. wünscht an der Wand des Wurzelkanals. zum Beispiel mit den Pathfiles von Pro­ War die bestehende Wurzelkanalfüllung Durch Aktivierung mit Laser ist es jedoch taper Next™ und/oder dem Proglider™. adäquat, ist es möglich, dass die persis­ möglich, für Instrumente und Chemika­ Ist der Kanal bereits bis #15 gängig, ist kein tierende Infektion wenig empfänglich ist lien unzugängliche Gebiete des Kanalsys­ Gleitpfad nötig. Handelt es sich um einen für die routinemässige Revisionsbehand­ tems zu erreichen. Durch die Monochro­ sehr schwierigen Fall mit engem Kanal, lung. Es kann auch vorkommen, dass es mazität kommt es zu Wellenlängen-­ ist es sinnvoll, auf circa ein Drittel der Ar­ sich um eine extraradikuläre Infektion, spezifischen Interaktionen und durch beitslänge mit einem Step-back mit den um eine Zyste oder um eine Fremdkör­ parallele Bündel und pulsierenden Modus Pathfiles, dem Proglider™ und der ersten perreaktion handelt. In diesen Fällen zu lokalisierten Energiedichten. So ver­ Finishing File X1 von Protaper Next™ zu wäre eine orthograde Revision ebenfalls fügt zum Beispiel der NIR-Diodenlaser beginnen und sich erst dann zur Arbeits­ nicht erfolgreich. Besteht bereits eine über einen Mechanismus, der durch lo­ länge vorzuarbeiten. Das Protaper-­Next- Perforation, eine Wurzelresorption, eine kales Erhitzen des Substrates genügend System (NiTi), bestehend aus drei Pathfiles Stufe, eine Verblockung oder klemmt ein hohe Temperaturen erreicht, um adhä­ und den Finishing Files X1–X5, erlaubt frakturiertes Instrument tief im Wurzel­ rierte Mikroorganismen abzutöten. Aus­ aufgrund der Form und der schlängelnden kanal, ist Vorsicht geboten. serdem führt absorbiertes Laserlicht in Bewegung der Feilen mit exzentrischem In gewissen Fällen kann auch eine Ex­ der Bakterienzelle zu direkten Schäden. Querschnitt eine optimale Wegbeförde­ traktion die richtige Methode sein, zum Wird der Laser zur Spülmittelaktivierung rung des Debris, was dem Verkanten der Beispiel bei einem ungünstigen Kronen-­ verwendet, entstehen expandierende Feilen vorbeugt und Cracks vermeiden Wurzel-Verhältnis, bei ungenügender und implodierende Blasen, wodurch sehr helfen kann. Durch ihre Flexibilität kön­ Wurzellänge, fragwürdigem parodonta­ schnelle Flüssigkeitsbewegungen, sekun­ nen die Feilen von Protaper Next™ auch lem Zustand, bei zu wenig Ferrule, bei däre Kavitationsblasen und Schockwellen zur Aufbereitung von gekrümmten Wur­ schlechtem Zustand der Nachbardenti­ entstehen. Weil auf diese Weise die Nano­ zelkanälen verwendet werden. tion, bei Karies im Wurzelkanal oder einer bubbles die Biofilme zerstören, erhöht Alternativ oder zusätzlich zur Verwen­ Wurzelfraktur/einem Wurzel-Crack. dies die Reinigung des Wurzelkanalsys­ dung der Pathfiles kann die Nutzung des Scheint die bestehende Wurzelfüllung tems. Die Aktivierung kann mit Er:Yag-, Proglider™ sinnvoll sein: Die Feile mit und Restauration adäquat und die Wur­

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zelspitze ist chirurgisch erreichbar, ist ­einer periapikalen Läsion dar. Je nach Lä­ behandlung beschrieben wird. Bei Über­ eine retrograde Wurzelfüllung nach sion variieren die klinischen Konsequen­ kappungen im tieferen Bereich der Pulpa Wurzel­spitzenresektion sinnvoll. Die zen. Die wichtige Schlüsselfrage für den mit MTA und Komposit als dichtem Ver­ Entscheidung, ob Revision der Wurzel­ Zahnarzt ist: «Wann sollte eine Probe schluss sprach Prof. Cochet von einer Art kanalfüllung, retrograde Füllung oder entnommen werden?» Nach Prof. Lom- «hermetischem Verschluss». Ein Nach­ Extraktion, sollte immer gemeinsam mit bardi ist bei folgenden Symptomen bezie­ teil der Anwendung von MTA: die mögli­ dem Patienten gefällt werden. Eine Wur­ hungsweise Erscheinungen besondere che gräuliche Verfärbung des Zahnes. Zur zelfüllung zu revidieren, macht oftmals Aufmerksamkeit gefragt: Liegt eine Lä­ Desinfektion vor der Überkappung mit Sinn, jedoch müssen die Bedingungen sion nahe dem Apex eines vitalen Zahnes? MTA eignen sich Chlorhexidin, Hypo­ dafür stimmen. Ist die Läsion am Apex eines Zahnes nach chlorit oder der Laser. adäquat durchgeführter Wurzelbehand­ Mit einigen guten Fallbeispielen zeigte Läsionen – Traumazähne – Instrumente lung anhaltend oder sogar fortschreitend, Prof. Cochet auf, wie wichtig die radiologi­ Die Vortragsreihe am Samstag eröffnete eventuell in Verbindung mit ungewöhn­ sche Dokumentation der Behandlung und Prof. Tommaso Lombardi von der Medizini­ lichen Symptomen wie Sensibilitätsstö­ die regelmässige Vitalitätskontrolle von schen Fakultät der Universität Genf. Mit rungen? Zeigt die Umgebung der Wurzel­ Traumazähnen sind. «Knochen, wir einem klar gegliederten Vortrag zum The­ spitze eines Zahnes eine ungewöhnliche brauchen Knochen!», propagierte Prof. ma «Non-endodontic periapical lesions» Röntgen­struktur? Ist ein Zahn mobil, Cochet und betonte dabei mehrmals, wie begeisterte er die Zuhörenden. Periapika­ ohne eine parodontale Erkrankung auf­ wichtig der Versuch der Erhaltung von le Läsionen sind sowohl für den Human­ mediziner als auch für den Zahnarzt ein wichtiges Thema, denn oft haben Zysten radikulären und nicht parodontalen Ur­ sprung. Viele dieser nicht endodonti­ schen Läsionen befinden sich im perira­ dikulären Bereich, wobei die radikulären Zysten Folge einer chronischen Entzün­ dung durch dentale Ursachen sein kön­ nen. Prof. Lombardi zeigte die Unterteilung der periapikalen Läsionen anhand ein­ drücklicher Bilder histologischer Schnitte und von Fallbeispielen mit zugehörigen Röntgenbildern. Nach diversen Untersu­ chungen und persönlicher Erfahrung von Prof. Lombardi gelten der keratozystische odontogene Tumor (KOT), das Riesen­ zellgranulom sowie zementoossäre Dys­ plasien als die am häufigsten auftretenden Läsionen. Prof. Lombardi legte den Fokus seines Vor­ Prof. Tommaso Lombardi Prof. Jean-Yves Cochet trags auf den keratozystischen odonto­ genen Tumor, eine gutartige uni- oder multizystische intraossäre Neoplasie zuweisen? In all diesen Fällen ist eine ge­ Traumazähnen ist, mitunter zur Stabili­ odontogenen Ursprungs. Die Ursache des nauere Abklärung in Bezug auf eine peri­ sierung der Knochenkapazität. Bei einer­ KOT liegt in einer Mutation des Proteins apikale Läsion durchzuführen. Luxation des Zahnes soll dieser möglichst PTCH. Dadurch wird die Proliferation der schnell wieder repositioniert werden, um Zellen erhöht beziehungsweise angeregt, «Knochen, wir brauchen Knochen!» den Knochen zu stabilisieren und bei all­ und die Apoptosefähigkeit nimmt ab. Prof. Jean-Yves Cochet, Präsident der fälligem Verlust des Zahnes eine Implan­ Dies ist mitunter auch ein Grund, warum French Endodontic Society (SFE), be­ tationsmöglichkeit zu generieren. der KOT heute nicht in die Untergruppe fasste sich in seinem Referat mit dem der Zysten eingeteilt wird, sondern als Thema «Endodontic management of «Endodontie ist voraussehbar!» benigner Tumor definiert ist. Der KOT trauma­tized teeth» und meinte dazu: So die Worte von Prof. Pierre Machtou, kann solitär oder multipel auftreten. In «Traumatologie ist häufig eine unend­ emeritierter Professor der Pariser Sor­ letzterem Fall kann er als Teil des Basal­ liche Geschichte.» Hat der Zahn ein bonne. In seiner Rede befasste sich zellkarzinom-Syndroms gelten. «Die Trauma erlitten, sollte er so schnell als Prof. Machtou mit dem Thema «Accessing, Diagnose ist nicht immer einfach!», be­ möglich in seine ursprüngliche Position locating and negotiating complex root tonte Prof. Lombardi. Als problematisch gebracht werden, um die Regeneration canals: are stainless steel instruments still

gilt der CO2-Test, der gemäss Prof. Lom- des Knochens zu ermöglichen. Ist der valid?». Gemäss Machtou ist die endo­ bardi nicht immer zuverlässig ist, da in Zahn wieder an seinem Platz, ist die offe­ dontische Kunst eine etappenweise Be­ ­einem Zahn sowohl vitales als auch nek­ ne Pulpa zu behandeln. Als Material der handlung mit schrittweiser Kontrolle. Die rotisierendes Gewebe vorhanden sein Wahl bei Traumazähnen mit offener Pulpa Qualität der Behandlung stehe in Zusam­ kann. Ebenso stellt ein Zahn ohne vitale nannte Prof. Cochet MTA, das in mehreren menhang mit der Vorhersehbarkeit der Pulpa nicht zwangsweise die Ursache von ihm genannten Studien als Vorzugs­ Behandlung. Oft werde zu wenig Gewicht

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auf die Vorbehandlung gelegt: Ersatz der kavität möglich sind, erfuhren die Teil­ passend eingesetzt. Mit einem Diamanten alten Füllung(en), Exkavation der Karies nehmenden von Prof. Gabriel Krastl, Di­ konnten in einer Bohrung der Zugang so­ sowie ein guter Aufbau des zu behan­ rektor der Poliklinik für Zahnerhaltung wie der Kanal eröffnet werden. Parallel delnden Zahnes gelten für Prof. Machtou und Pardodontologie der Universität dazu wurde eine Studie mit 60 Zähnen als unabdingbar. Würzburg und Gründer des Zahnunfall­ und zwei Behandelnden durchgeführt. Anhand eines Videos zeigte Prof. Machtou zentrums Würzburg. Passiert ein techni­ Die Schablonen wurden mittels eines sein schrittweises Vorgehen bei der Wur­ scher Fehler bei der Endodontologie, 3-D-­Druckers produziert. Die Ergebnisse zelkanalaufbereitung. Nach einer adäqua­ kann dies die Heilung um bis zu 50 Pro­ zeigten eine behandlerunabhängige Auf­ ten Vorbehandlung wird in der ersten zent verschlechtern. Die Idee war es, eine bereitung ohne Perforationen und mit ­Behandlungsetappe eine Zugangskavität neue Methode zur Erschliessung oblite­ ­einer geringen mittleren apikalen Abwei­ geschaffen. Das wird nach genau vorge­ rierter Kanäle zu finden. Dank der Unter­ chung. Prof. Krastl sieht in dieser Behand­ gebenen Regeln durchgeführt. Eine opti­ stützung diverser Sponsoren, nicht zu­ lungsmethode grosses Potenzial für die male Zugangskavität bietet absolute letzt auch der SSE, konnte das Projekt der Zukunft. Dichtigkeit und ist zugleich ein Reservoir Guided Endodontics gestartet werden. für die Spüllösungen. Sobald die Pulpa Als mögliche Vorteile der Guided Endo­ Wurzelfrakturen und ihre Implikationen exponiert ist, kann die Zugangskavität dontics nannte Prof. Krastl die reduzierte «Root fractures» lautete das Thema von exakt ausgedehnt werden. Mit dem Ro­ Perforationsgefahr, verminderten Sub­ Dr. med. dent. Bernard Thilo, bis 2013 Präsi­ senbohrer werden Unterschnitte ent­ stanzverlust und die kürzere Behand­ dent der Schweizerischen Gesellschaft fernt, und mit einem Flammenfräser wird das Finish der Kavitätenwände durchge­ führt. Weiter werden Gates-Bohrer ver­ wendet, aber nur am Wurzelkanaleingang mit 700 rpm, ohne Druck und mit einer kleinen Drehbewegung. In einer zweiten Etappe wird ein Gleit­ pfad erstellt. Mittels einer Feile der ISO-­ Grösse 10 wird versucht, den Referenz­ punkt im Kanal zu erreichen. Auch bei einer Röntgenaufnahme erfolgt dies mit der 10er-Feile. Das Protaper Next™-Auf­ bereitungssystem, das auch Prof. Machtou verwendet, verfügt über drei Pathfiles, die mindestens drei bis vier Sekunden ­rotierend im Kanal angewendet werden. Ist der Apex-Referenzpunkt schon mit einer Feile Nummer 15 erreichbar, müs­ sen keine Pathfiles mehr verwendet wer­ den. Protaper Next™ führt neu auch ei­ nen Proglider™ in ihrem Sortiment. Von Prof. Pierre Machtou Dr. Bernhard Thilo Prof. Machtou «Baby Protaper» genannt, ersetzt dieser die drei zuvor genannten Glide path files. Der PROGLIDER™ ist lungszeit. Zur Durchführung sind ein für Endodontologie und seit über 30 Jah­ ein Nickel-Titan-Instrument, hat eine DVT, ein Intraoralscan sowie eine auf­ ren Privatpraktiker in Pully. Liegt der progressive Konizität und sollte mit circa grund dieser Daten designte Bohrschab­ Verdacht einer Wurzelfraktur vor, ist die 300 rpm angewendet werden. lone nötig. Diagnose der entscheidende Punkt. Zur Ein auf die exakte Länge aufbereiteter Im Januar 2014 konnte der erste Patient Diagnosestellung müssen klinische Zei­ ­Kanal macht 45 Prozent des Erfolgs aus. mit einem obliterierten Kanal in Zahn 11 chen beachtet werden. Ein apikales Weitere wichtige Faktoren sind eine gute behandelt werden. Dabei wurde das Röntgen sowie ein 3-D-Röntgen sind Desinfektion sowie Vorbehandlung. Die CAD/CAM-Verfahren angewendet. Bei nach Dr. Thilo nicht zuverlässig. Aber wie maschinelle Aufbereitung ist immer pas­ CAD (computer-aided design) und CAM lässt sich dann das Cracked-tooth-Syn­ siv apikal auszuführen, nie sollte eine (computer-aided manufacturing) in der drom klinisch diagnostizieren? Dr. Thilo Länge durch Druck forciert werden. Es Zahnmedizin handelt es sich um ein Sys­ lässt den Patienten auf exakt einem Hö­ sollte immer im Rückzug gearbeitet wer­ tem, bei welchem mittels einer intraora­ cker zusammenbeissen. Dies kann mit den, um den Kanal nicht selbst zu ver­ len Kamera ein optischer Abdruck einge­ ­einem Diagnoseinstrument, genannt stopfen. Für eine adäquate Wurzelkanal­ scannt wird; aus diesem wird auf dem ­Tooth Slooth, erfolgen. Manifestiert sich aufbereitung ist Fingerspitzengefühl ge­ Computer ein dreidimensionales Modell beim Öffnen ein kurzer elektrischer fragt. Wichtig ist das Vertrauen in den errechnet. Beim Patienten mit dem obli­ Schmerz, deutet dies auf ein Cracked-­ Apex-Lokator sowie den RX-Terminus. terierten Kanal des Zahnes 11 wurde ein tooth-Syndrom hin. In einem nächsten DVT erstellt, ein Intraoralscan aufgenom­ Schritt sind nun die Fissur beziehungs­ SSE-Forschungspreis «Guided Endo» men, und aus diesem Datensatz wurde weise der Frakturspalt zu suchen und Was für neue Technologien bei der Her­ virtuell eine Schiene gestaltet und herge­ mit Komposit zu behandeln. Mit dieser stellung der endodontischen Zugangs­ stellt. Diese wurde dann dem Patienten Materialwahl kann der Zahn wieder

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forderungen bei nicht vitalen Zähnen? Ästhetik der massgebende Faktor für die Und wie kann ich minimal invasiv vorge­ Materialwahl. hen?» Prof. Sailer wird immer wieder mit zwei grundlegenden Problematiken der SSE Student Prize Versorgung konfrontiert. Zum einen mit Am Freitagmorgen stellten drei Studen­ der Verfärbung der Stümpfe/Zähne, zum tinnen der Universitäten Bern (cmd. Mari- anderen mit dem grossen Verlust von na Siegenthaler, Endo 26), Basel (cmd. Karin Zahnhartsubstanz durch vorhergehende Rinne, Endo 46) und Zürich (cmd. Tanja Kronenpräparationen. So muss indivi­ Berner, Endo 14) je einen von ihnen im duell für jede Ausgangslage die richtige Studentenkurs behandelten endodonto­ Materialwahl und Vorgehensweise ge­ logischen Fall vor. Kurz vor Mittag stand troffen werden. die glückliche Gewinnerin des Student Neben den anschaulichen Fallbeispielen Prize fest: cmd. Tanja Berner. zeigte Prof. Sailer zahlreiche wissen­ Nach zwei spannenden, vielseitigen und schaftlich fundierte Studien aus ihrer informativen Kongresstagen mit dem eigenen­ Arbeit sowie vergleichbare Stu­ Ziel, dem Zuhörenden die praktische En­ dien, die Auskunft über die Materialien dodontologie näherzubringen, wurde der im Bereich Kronen-Brücken-Rekon­ Privatpraktiker in der Diagnosestellung, Prof. Irena Sailer struktionen gaben. Sie zeigte interes­ Ursachenfindung und Behandlung von sante Studien zur Materialwahl beim dentalen, neuropathischen Beschwerden konventionellen Verfahren im Vergleich sowie pathologischen Gegebenheiten ge­ funktionsfähig gemacht werden, und mit dem Material im CAD/CAM-Verfah­ schult. Eine umfangreiche Information auch das Preis-Leistungs-Verhältnis ren. CAD/CAM-Verfahren bieten eine über endodontische Aufbereitungssyste­ stimmt. Zudem hat ein mit Komposit schnelle, exakte und gute Alternative. me, Spülmechanismen und Versorgungs­ versorgter Frakturspalt gute Heilungs­ Provokativ stellte Prof. Sailer die Frage: möglichkeiten mit unterschiedlichen chancen, wodurch sich die Prognose des «Soll das Verfahren der konventionellen Verfahren und Materialien liefert dem betroffenen Zahnes verbessert. Metallkeramik überhaupt noch gelehrt Zahnarzt im Praxisalltag eine gute Grund­ Werden vertikale Frakturen nicht behan­ werden?» Fakt sei, dass CAD/CAM-Sys­ lage für die praktische Anwendung neuer delt, muss der Zahn extrahiert werden. teme für den Privatzahnarzt zunehmend Instrumente und Verfahren. Ganz nach Klinische Anzeichen vertikaler Frakturen wichtiger werden und die Literatur zu dem Motto: Just En-DO it! sind isolierte, tiefe und enge Taschen. Zur digitalen Verfahren in der Zahnmedizin Der nächste SSE-Kongress findet am Untersuchung der Taschentiefe verwen­ stetig anwächst. Aufgrund der klini­ 20./21. Januar 2017 in Bern statt, wie im­ dete Dr. Thilo früher immer eine Plastik-­ schen und wissenschaftlich-theoreti­ mer unmittelbar nach der SVK-Tagung. Parodontalsonde. Da diese aber im Durch­ schen Erfahrung von Prof. Sailer ist die Unbedingt vormerken! messer für die engen Taschen meist zu gross war, hat er eigens ein Instrument entwickelt: einen Nickel-Titan-Stopfer, der einen viel kleineren Durchmesser als die Parodontalsonde aufweist. Zudem ist der Stopfer an der Unterseite abgerundet und beugt so allfälligen Verletzungen des Gewebes vor. Als mögliche Ursachen für Cracks sieht Dr. Thilo die Restdentinstärke nach einer Wurzelfüllung sowie die late­ rale Kondensation und die dabei ange­ wandte Krafteinwirkung. Dabei bemerkt Dr. Thilo, dass Nickel-Titan-Instrumente geeigneter sind als metallene, da diese eine geringere Krafteinwirkung auf die Wände des Kanals ausüben. Um Überra­ schungen zu vermeiden, rät Dr. Thilo, Aus­ schau nach isolierten Taschen zu halten, egal, ob der Zahn auf den Kältetest reagiert oder nicht.

CAD-CAM auf Endozähnen Prof. Irena Sailer, Direktorin der Abteilung für fest sitzende Prothetik und Okklusion der Universität Genf, hielt ihren Vortrag zum Thema «CAD-CAM restorations for non-vital teeth» und fragte die Zuhören­ den: «Was sind die restaurativen Heraus­ Tanja Berner, Marina Siegenthaler, Karin Rinne

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UNINACHRICHTEN

Basel: Kürzlich konnten die Universitäts­ Das ganze Spektrum kliniken für Zahnmedizin in Basel das dritte der digitalen Volumen­ digitale Volumentomografie-Gerät in tomografie ­Betrieb ­nehmen.

Text und Foto: Andrea Renggli, Redaktorin SDJ

Mit drei digitalen Volumentomografie-­ soll die Strahlenbelastung möglichst (Bewegungen des Kiefers in Echtzeit) Geräten sind die Universitätskliniken gering ausfallen, weil viele der Patien­ möglich. des UZB (Universitäres Zentrum für ten Kinder sind. Neben den beiden vor­ Dank dem neuen DVT-Gerät werden Zahnmedizin Basel) die erste zahnärzt­ handenen Geräten, dem Accuitomo 170 Zahnmediziner am UZB sowohl in der lich-universitäre Institution in der (Morita) und dem Scanora 3D (Sore­ klinischen Arbeit als auch in der For­ Schweiz, die über ein so grosses Spek­ dex), ergänzt das neue Gerät des Her­ schung neue und innovative Projekte trum der digitalen Volumentomografie stellers Planmeca diese Anforderungen. realisieren können. Die hoch spezialisier­ (DVT) verfügt. Die Funktionen der drei Es kann den gesamten Kopf eines Pa­ te Technologie steht neben den Zahn­ Geräte ergänzen sich, Spezialfunktio­ tienten darstellen, dabei bleibt die medizinern des UZB auch allen Privat­ nen ermöglichen es, individuell auf die effek­tive Dosis dank Ultra-low-dose-­ praktikern zur Verfügung. Diese können Bedürfnisse von Patienten und Klini­ Protokollen niedrig. Ein weiterer Vorteil ihre klinischen Fragestellungen an OA kern einzu­gehen. des Geräts ist seine Multifunktionalität. Dr. Dorothea Dagassan und die Röntgen­ Die Anschaffung des neusten der drei Es kann nicht nur DVT-Aufnahmen assistentinnen der Klinik für Zahnärztli­ DVT-Geräte wurde realisiert durch machen, sondern auch Gesichts-Scans che Chirurgie, - Radiologie, Mund- und Prof. Carlalberta Verna, Vorsteherin der und Modell-Scans. So erhält der Zahn­ Kieferheilkunde des Universitären Zen­ Klinik für Kieferorthopädie und Kin­ mediziner ein komplettes Set von Bil­ trums für Zahnmedizin Basel (UZB) sen­ derzahnheilkunde. In der Kieferortho­ dern und kann die Behandlung optimal den und erhalten einen Datenträger mit pädie besteht einerseits die Nachfrage planen und evaluieren. In naher Zu­ dem sorgfältig ausgewählten DVT sowie nach grossen Bildvolumen; andererseits kunft werden sogar 4-D-Aufnahmen einen entsprechenden Befund.

Sie freuen sich auf innovative Projekte, die das neue DVT-Gerät ermöglicht (von links): Prof. J. Thomas Lambrecht, Vorsteher der Klinik ürf Zahnärztliche Chi- rurgie, - Radiologie, Mund- und Kieferheilkunde, Prof. Carlalberta Verna, Vorsteherin der Klinik für Kieferorthopädie und Kinderzahnmedizin, und Dr. Dorothea Dagassan, Oberassistentin an der Klinik für Zahnärztliche Chirurgie, - Radiologie, Mund- und Kieferheilkunde.

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Bern: Zum siebten Mal wurde am 3. De- Verleihung zember durch die Klinik für Kieferortho- pädie der Universität Bern der Paul Herren Paul Herren Award Award für herausragende Leistungen in Lehre, Klinik und Forschung verliehen. 2015 Diesjähriger Preisträger ist Prof. William R. Proffit, Universität North Carolina, USA.

Text: Joël Beyeler, Simeon Häner, Katharina Kocher, Jonas Winkler Fotos: Thomas Engel

Zahlreiche in- und ausländische Gäste dem Laskin Award für die beste Publika­ nicht umgesetzt werden. NSAID (Prostag­ aus verschiedenen zahnmedizinischen tion des Jahres 2014 aus. landininhibitoren), welche bei kieferor­ Fachbereichen waren zugegen, als Prof. Prof. Proffit begeisterte die über 250 Gäste thopädisch verursachten Schmerzen oft Adrian Lussi, der stellvertretende Ge­ mit seinem Referat «Accelerated Tooth eingesetzt werden, verlangsamen die schäftsführende Direktor der Zahn­medi­ Movement from a Biologic Perspective». Zahnbewegungen bei kurzer Applika­ zinischen Kliniken der Universität Bern, Auf charismatische Art zeigte er die ver­ tionszeit und in geringen Dosen nicht. die Feier im Hotel Bellevue Palace in Bern schiedenen Faktoren auf, welche einen ­Anders verhält es sich mit Bisphosphona­ eröffnete. Prof. Christos Katsaros, Direk­ Einfluss auf die Bewegung von Zähnen ten, welche an den Hydroxylapatit binden. tor der Klinik für Kieferorthopädie der haben. Auch nach der Absetzung können diese Universität Bern, würdigte Prof. William lange im Knochen eingelagert verbleiben R. Proffit für die herausragendener V ­ Medikamentöser Einfluss und den Knochenumbau verlangsamen. dienste in zahlreichen Bereichen der Momentan sind keine Medikamente be­ ­Kieferorthopädie und der Kinderzahn­ kannt, welche orthodontische Zahnbewe­ Corticotomy medizin. Prof. Proffit ist eine der bekann­ gungen beschleunigen können. Experi­ Während der Wundheilung ist der Kno­ testen Persönlichkeiten unserer Zeit in mentelle Studien mit der Applikation von chenumbau beschleunigt. Auf dieser Er­ der klinischen Forschung und der Lehre Prostaglandinen zeigen leicht beschleuni­ kenntnis basiert die Idee, dass der korti­ der Kieferorthopädie. Als Autor des Buchs gende Effekte, können jedoch klinisch kale Knochen vor der Nivellierungsphase «Contemporary Orthodontics», das be­ reits in der 5. Auflage erschienen ist und in zwölf Sprachen übersetzt wurde, ist er weltbekannt und der Inbegriff in der Aus- und Weiterbildung von Zahnärzten und Kieferorthopäden. Von 1975 bis 2001 war Prof. Proffit Kenan Distinguished Professor an der Klinik für Kieferorthopädie an der Universität North Carolina. Er ist zudem Koautor des Buchs «Contemporary Treat­ ment of Dento-facial Deformity» sowie von zwei weiteren Büchern über chirur­ gische Behandlungen. Seine wissen­ schaftliche Tätigkeit ist immens. Sie ­beinhaltet über 200 wissenschaftliche Artikel, mehr als 50 Buchkapitel und Gastbeiträge sowie eine Reihe von web­ basierten Lehrmaterialien für die kiefer­ orthopädische Aus- und Weiterbildung. Seine Verdienste und Publikationen wur­ den in den vergangenen Jahren durch un­ zählige Preise ausgezeichnet. So wurde Prof. Proffit 2014 bereits zum dritten Mal der Dewel Award für die beste Publikation des Jahres im «Amercian Journal of Or­ thodontics and Dentofacial Orthopedics» verliehen. Auch das «Journal of Oral and Maxillofacial Surgery» zeichnete ihn mit Prof. Adrian Lussi bei der Begrüssungsrede

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Bei der Preisübergabe. Von links nach rechts: Prof. Christos Katsaros, Prof. William R. Proffit, Prof. Peter Prof. William R. Proffit während seinesortrags V Eggli, Prof. Adrian Lussi

chirurgisch geschwächt wird. Zurzeit scher Areale zu verhindern. Mit einem Zeitpunkt ist es nicht möglich, Zahn­ ­besteht jedoch keine wissenschaftliche Schmunzeln wies Prof. Proffit darauf hin, bewegungen im Praxisalltag zu be­ Evidenz, dass Zahnbewegungen damit dass die Applikationszeit völlig willkür­ schleunigen. Aufseiten der Industrie beschleunigt werden können, und in An­ lich definiert wurde und die Werbung der gibt es aber intensive Anstrengungen, betracht der chirurgischen Risiken und Industrie der wissenschaftlichen Evidenz neue Geräte auf den Markt zu bringen, möglichen Komplikationen ist davon ab­ meilenweit vorauseilt. um orthodontische Zahnbewegungen zu zusehen. Ebenfalls ist unklar, ob vor einer beschleunigen und somit die Behand­ kieferorthopädischen Behandlung mit­ Biolox-Apparatur/Applikation von lungsdauer zu verkürzen. Wir sind ge­ hilfe von «bone grafting» zusätzlicher ­Ultraschall spannt, was uns die Zukunft bringen Knochen geschaffen werden sollte. Dies Zwei weitere Methoden aus der Industrie, wird, sollten aber zum Wohle des Patien­ wäre oft erwünscht in der Unterkiefer­ welche mit langwelliger Licht- respektive ten allen Neuerungen kritisch gegen­ frontzahn-Region, um Zahnbewegungen Ultraschallapplikation Zahnbewegungen überstehen und keine Methoden ohne zu ermöglichen, ohne die Zähne aus dem beschleunigen und Wurzelresorptionen wissenschaftlich basierte Evidenz im Knochen heraus zu bewegen. verhindern sollen, wurden präsentiert. Die Praxisalltag anwenden. klinische Umsetzung ist jedoch schwierig Der Abend fand seinen Ausklang bei AcceleDent und die wissenschaftliche Evidenz eben­ ­einem gemütlichen Apéro mit einem Mithilfe eines Mundstückes wird 20 min falls ausstehend. ­regen Austausch der Anwesenden über pro Tag 30 Hz Vibration auf die Zähne Zusammenfassend lässt sich sagen: «Gut das Referat von Prof. Proffit. übertragen, um die Entstehung nekroti­ Ding will Weile haben.» Zum jetzigen

Bern: Antrittsvorlesung von Christoph A. Ramseier

Anlässlich seiner Ernennung und Beförderung Christoph A. Ramseiers Faszination für Com- zum Privatdozenten hielt Christoph A. Ram- puter zieht sich wie ein roter Faden durch seier am 1. März seine Antrittsvorlesung an seine Laufbahn als Parodontologe. So ent- der Klinik für Parodontologie der zmk Bern. wickelte er ein Programm zur digitalen Be- Für einmal waren nicht nur Studenten als schreibung des Parodontalstatus, das heute Zuhörer im André-Schröder-Auditorium der weltweit von Zahnärzten gebraucht wird. zmk Bern, sondern auch seine Lehrer und Seit Längerem beschäftigt er sich zudem mit die Familie. Ihnen war die Vorlesung gewid- der Tabakprävention und -entwöhnung in met. Christoph A. Ramseier absolvierte sein der zahnmedizinischen Praxis. Ramseier er- Staatsexamen an der Uni Bern. Nach einem arbeitete dazu die Methode der motivieren- Abstecher in eine Privatpraxis, an die Schule den Gesprächsführung und ein entspre- für Dentalhygiene und einem Forschungsauf- chendes Lehrbuch. Weitere Schwerpunkte enthalt in den USA arbeitet er seit 2008 wie- seiner Tätigkeit sind die Identifizierung von der an der zmk Bern. Er wurde 2014 mit dem Biomarkern in der Mundflüssigkeit zur Früh- Hans-R.-Mühlemann-Forschungspreis und diagnose von Parodontalerkrankungen so- mit dem Excellence in Dental Education wie das Image von Zahnärzten. Award der Association for Dental Education Text und Foto: Andrea Renggli, in Europe (ADEE) ausgezeichnet. ­Redaktorin SDJ Christoph A. Ramseier

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Zürich: Erteilung der Venia Legendi an Dr. Philipp Sahrmann

Dr. Philipp Sahrmann, Oberarzt in der Klinik disziplinären Periimplantitis-Sprechstunde Dr. Sahrmann hat 2014 den Master of Ad- für Präventivzahnmedizin, Parodontologie Zürich» (Leitung zusammen mit Professor vanced Studies in Periodontology (Univer­ und Kariologie (PPK), ist nach erfolgreicher Dr. Ronald Jung, Klinik KBTM). sität Zürich) und seine Spezialisation als Probevorlesung die Venia Legendi von der Parodontologe­ (SSP) abgeschlossen. Medizinischen Fakultät der Universität Die Thematik seiner Habilitation (Parodon­ ­Zürich für seine Habilitation mit dem Titel titis-Periimplantitis) spiegelt seinen For- «Peri-Implantitis, eine neue Herausfor­ schungsschwerpunkt an der Grenzfläche derung in der Zahnheilkunde» verliehen zweier oraler Entzündungserkrankungen worden. wider: einerseits mit der Parodontitis, einer zwar lang beforschten Erkrankung, die sich Nach dem Studium an der Friedrich-Alex- aber mit immer neuen Paradigmenwechseln ander-Universität Erlangen-Nürnberg von konfrontiert sieht, und andererseits mit der 1997 bis 2001 arbeitete Dr. Philipp Sahr- Periimplantitis, einem sehr neuen, span- mann als Assistent in Privatpraxen mit den nenden Phänomen, das nur auf den ersten Schwer­punkten Parodontologie, Implan­ Blick einfach eine Neuauflage der Zahn­ tologie und Prothetik in Süddeutschland, fleisch­ent­zün­dung zu sein scheint. Italien und der Schweiz. Seit 2007 arbeitet er in der Gruppe für Parodontologie an der Lieber Philipp, im Namen der Mitarbeitenden Klinik PPK im Zentrum für Zahnmedizin der Klinik PPK und persönlich gratuliere ich ­Zürich (ZZM). Seit 2010 liegt – neben der Dir ganz herzlich zu diesem Erfolg und wün- studentischen Ausbildung in Parodontolo- sche Dir für Deinen weiteren privaten sowie gie – sein wissenschaftlicher und klinischer beruflichen zukünftigen Werdegang das Fokus als Oberarzt auf der antiinflammato- Beste. rischen Parodontitis- und Periimplantitis- therapie, letztere im Rahmen der «Inter- PD Dr. Philipp Sahrmann Text: Prof. Dr. Thomas Attin

Zürich: Erteilung der Venia Legendi an Dr. Florian Just Wegehaupt

Im Dezember wurde Dr. Florian J. Wegehaupt mechanischen Stabilität von erodiertem haupt zunächst als Assistenzarzt, dann ab die Venia Legendi der Universität Zürich für Schmelz gegenüber Ultraschall- und Bürst­ Anfang 2013 als Oberarzt tätig. Seit Oktober das Gebiet Präventivzahnmedizin, Parodon- abrasion». In der Klinik PPK war Dr. Wege- 2013 leitet er den Bereich Kariologie in der tologie und Kariologie, speziell präventive Klinik PPK. und restaurative Zahnmedizin, verliehen. Der wissenschaftliche Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt, wie seine kumulative Habili- Nach dem Abitur im Jahre 1999 studierte tationsschrift mit dem Titel «Prevention of Florian J. Wegehaupt von 2000 bis 2005 an erosive tooth wear by surface sealants» der Georg-August-Universität Göttingen aufzeigt, in der Prävention und Therapie (Deutschland), an welcher er anschliessend erosiver Zahnhartsubstanzverluste. Damit bis September 2006 als wissenschaftlicher befasst sich seine Habilitationsschrift mit Mitarbeiter in der Abteilung für Zahnerhal- ­einer Erkrankung der Zähne, die zunehmend tung, Präventive Zahnheilkunde und Paro- häufiger beobachtet wird und schwierig zu dontologie arbeitete. therapieren ist. Im Oktober 2006 wechselte er an die Klinik für Präventivzahnmedizin, Parodontologie Lieber Florian, die Mitarbeitenden der Klinik und Kariologie (PPK) am Zentrum für Zahn- PPK und ich gratulieren Dir sehr herzlich zu medizin der Universität Zürich. Im Jahr 2007 diesem Erfolg und wünschen Dir für die erfolgte die Promotion zum Dr. med. dent. ­Zukunft beruflich und privat das Beste. an der Georg-August-Universität Göttingen mit der Arbeit «In-vitro-Untersuchung zur Text: Prof. Dr. Thomas Attin

PD Dr. Florian J. Wegehaupt

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Zürich: Dr. Tobias Tauböck gewinnt Publikationspreis

Oberarzt Dr. Tobias Tauböck (Klinik für Prä- ventivzahnmedizin, Parodontologie und Ka- riologie der Universität Zürich) wurde für die Forschungsarbeit «Pre-heating of high-vis- cosity bulk-fill resin composites: Effects on shrinkage force and monomer conversion» mit dem DGR2Z-GC-Publikationspreis der Deutschen Gesellschaft für Restaurative und Regenerative Zahnerhaltung (DGR2Z) ausge- zeichnet. Der Preis wurde am 13. November 2015 in München im Rahmen der 29. Jahres- tagung der Deutschen Gesellschaft für Zahn­ erhaltung feierlich übergeben. In der prä- mierten Studie konnte gezeigt werden, dass ein Vorwärmen hochvisköser Bulk-­Fill- Kom­posite vor der Lichtpolymerisation die während der Polymerisation auftretenden Schrumpfungskräfte signifikant reduziert. Zusätzlich konnte das Forscherteam mittels Fourier-Trans­for­ma­tions-Infrarot­spek­tro­ sko­pie nachweisen, dass der Polymerisa- tionsgrad der Kompositmaterialien durch den Vorwärmprozess in Abhängigkeit von der Materialzusammensetzung entweder erhöht wird oder unverändert bleibt. Die Ergebnisse der Forschungsarbeit wurden in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift «Journal of Dentistry» publiziert: Tau- böck T T, Tarle Z, Marovic D, Attin T (2015): Pre-heating of high-viscosity bulk-fill resin composites: Effects on shrinkage force and monomer conversion. J Dent 43: 1358–1364.

Lieber Tobias, im Namen der Klinik PPK so- wie persönlich gratuliere ich Dir sehr herz- lich zur Auszeichnung für die Publikation dieser Studie, die in Zusammenarbeit mit einer Forschergruppe der Universität um Professorin Zrinka Tarle durchgeführt wurde. Preisträger Dr. Tobias Tauböck Text: Prof. Dr. Thomas Attin (Bildquelle: GC GmbH, Bad Homburg, Deutschland)

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