anwesend abwesend Jüdisches Erbe in Osteuropa Fotografien von Christian Herrmann Vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer zieht sich ein Gürtel alter Kulturlandschaften durch Ost- und Mitteleuropa, in dem so viele Juden lebten, wie sonst nirgendwo auf der Welt. Galizien, die Bukowina, Wolhynien, Podolien, Bessarabien und andere Regionen, aus denen die Bilder der Ausstellung stammen, sind Teil dieses Gürtels. Heute gehören sie zur Ukraine, zu Polen, zur Republik Moldau und zu Rumänien.

Während der deutschen Besatzung im 2. Weltkrieg wurde die jüdische Bevölkerung nahezu vollständig vernichtet. Verwilderte Friedhöfe, Ruinen von Synagogen, Lehrhäusern, Schulen, Kultureinrichtungen und – manchmal gekennzeichnete, oft ungekennzeichnete – Massengräber legen bis heute Zeugnis von jüdischem Leben und seiner Bild: Sylvia de Swaan Auslöschung ab. Was die Vernichtung durch Deutsche und ihre Verbündeten überstand, wurde von den Sowjets zerstört Christian Herrmann, Jahrgang 1962, studierte Objekt- oder zweckentfremdet. Die Gewalt, die von den Diktaturen Design an der Hochschule Niederrhein. Er lebt in Köln und des 20. Jahrhunderts Dingen angetan wurde, spricht bis heute arbeitet in Bonn für eine Non-Profit-Organisation. Seine von der Gewalt, die Menschen angetan wurde. Bilder sind Teil eines langfristigen Projektes, das auf seinem Blog fortgeschrieben und dokumentiert wird. Mit Das jüdische Erbe ist dennoch in Straßenbild und Alltag klassischen Schwarzweißfilm fotografierte Aufnahmen präsent und zugleich auch nicht. Jüdische Gemeinden sind seiner Reisen durch Osteuropa hat er bereits in mehreren heute kleine Minderheiten und jüdische Baudenkmäler nicht Ausstellungen präsentiert. In dieser Ausstellung zeigt er immer Gegenstand eines gemeinsamen Geschichtsbildes und erstmals digitale Farbfotos. gemeinsamen Erinnerns.

Mehr Informationen: http://vanishedworld.wordpress.com „Alles ist weg.“ „Alles ist da.“ Trochenbrod (ukrainisch Trachimbrod, manchmal auch bekannt unter dem Namen des von deutschen Mennoniten bewohnten Nachbarortes Sofiowka) ist eine Kleinstadt, die es nicht mehr gibt. Der Ort wurde ausschließlich von Juden bewohnt.

Im zaristischen Russland waren Juden nicht nur in der Wahl ihres Wohnortes auf den so genannten Ansiedlungsraion beschränkt, sie durften auch keinen Grund und Boden erwerben. In Wolhynien war ein polnischer Großgrundbesitzer dennoch bereit, ihnen Land zu verpachten. Durch eine spätere Gesetzesnovelle wurde dies als Eigentum legalisiert: Juden war es nun erlaubt, Land zu besitzen, wenn sie es erstmalig urbar machten. Bis zur Zwischenkriegszeit – nun war Wolhynien Teil Polens – wuchs eine Gemeinde von 6.500 Seelen, die mit ihrer mehrheitlich ukrainischen Umgebung durch zahlreiche wirtschaftliche Bande verknüpft war.

Nur eine Handvoll Menschen in Trachimbrod überlebte die deutsche Denkmal in Trochenbrod (Trachimbrod, Sofiowka), Wolhynien, Besatzung. Wer sich nicht in den Wäldern der Umgebung verstecken oder Ukraine, Winter 2014 sich zu den sowjetischen Partisanen durchschlagen konnte, starb im Ghetto oder bei Massenerschießungen. In einer Zeit bitterer Armut und von Deutschen erzwungenen massiven Lebensmittelexporten aus der Ukraine ins Reich nahmen sich die Menschen aus den Nachbardörfern Das Unsichtbare alles, dessen sie habhaft werden konnten: Haushaltsgegenstände, Fenster, Türen, das Straßenpflaster. Trochenbrod verschwand vollständig.

Trochenbrod führt bis heute ein literarisches Nachleben in Jonathan Safran Foers internationalem Bestseller „Alles ist erleuchtet“ und in der verdienstvollen dokumentarischen Aufarbeitung von Avrom Bendavid- Val.

Wie fotografiert man das Unsichtbare, die Abwesenheit von etwas? Der Blick – und damit die Kamera – klammert sich an das einzige Objekt in der Landschaft: eine schneebedeckte Gedenktafel. Der Rest ist leerer Raum. Wenn in Lwiw Fassaden renoviert werden oder der Putz von der Außenwand fällt, dann tauchen oft alte Ladenschilder auf, so wie dieses eines jüdischen Hutmachers mit Werbung in Polnisch und Jiddisch, das einen unwillkürlich an Bilder des belgischen Surrealisten René Magritte denken lässt.

Einige Hauseigentümer erhalten die Wandmalereien und sind stolz auf das multiethnische Erbe ihrer Heimatstadt, andere übermalen die Schilder achtlos. Bei Regen, wenn das Regenwasser gegen die Fassaden schlägt, wird die oft billige Farbe, mit der Ladenschilder übermalt wurden, transparent. Sprachen, die heute in Lwiw nicht mehr gesprochen werden, erscheinen dann an den Wänden und erzählen von der Vergangenheit.

Ladenschilder eines jüdischen Hutmachers in Lwiw ( Lemberg, Lwów), Galizien, Ukraine, Winter 2014 Zeichen an den Wänden Die Jakob Glanzer Schul ist die einzige, erhaltene, chassidische Synagoge in Lwiw. In den Jahren 1841 bis 1844 wurde die Synagoge erbaut. In ihr befanden sich auch eine Jeschiwa und eine Mikwa. Die Jakob Glanzer Schul wurde von den Nazis verwüstet und als Pferdestall benutzt. Durch diese Nutzung entging sie dem Schicksal fast aller anderen Synagogen der Stadt: Sie wurden während der deutschen Besatzung gesprengt. Von den 150.000 Juden von Lwiw, unter ihnen viele Flüchtlinge aus den bereits 1939 von Deutschland besetzten Teilen Polens, überlebten etwa 800. Die meisten Überlebenden wurden nach Ende des Krieges von den Sowjets nach Polen „repatriiert“.

Unter sowjetischer Herrschaft wurde das Gebäude als Unterrichtsräume eines Gymnasiums verwendet. Seit der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 befindet sich in der ehemaligen Synagoge ein jüdisches Kulturzentrum, dessen Betrieb aber durch den schlechten Zustand des Gebäudes stark eingeschränkt ist. Zusätzlich zum altersbedingten Verfall erlitt das Jakob Glanzer Schul, Lwiw (Lemberg, Lwów), Galizien, Ukraine, Gebäude in jüngster Zeit Schäden durch den Bau eines unmittelbar Sommer 2015 angrenzenden Geschäftshauses. Einzelpersonen aus der jüdischen Gemeine bemühen sich um die Rettung der Synagoge – öffentliche Mittel wurden dafür bisher nicht bereitgestellt. Bedrohte Baudenkmäler Der jüdische Friedhof von Czernowitz (ukrainisch Tscherniwzi) gehört mit nominell 14, real 11 Hektar Fläche und 50.000 Gräbern zu den größten noch erhaltenen jüdischen Friedhöfen auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion. Vergleichbare urbane Friedhöfe in Odessa, oder Lemberg konnten nach sowjetischem Recht eingeebnet und überbaut werden, wenn sie nicht mehr genutzt wurden.

Der jüdische Friedhof von Czernowitz ist ein einzigartiges Geschichtsbuch. Er spiegelt traditionelles Judentum in den frühen Jahren des 1866 angelegten Friedhofs, Assimilation unter österreichischer Herrschaft, zwei Weltkriege, Verfolgung unter rumänischer Herrschaft, Wandlung jüdischer Identität in der Sowjetunion.

Der Friedhof erlebte Zerstörungswellen nach der rumänischen Rückeroberung der Bukowina im 2. Weltkrieg, während Stalins antisemitischer Kampagne gegen die „Kosmopoliten“ am Ende seiner Jüdischer Friedhof, Czernowitz (Tscherniwzi), Bukowina, Ukraine, Herrschaft und nach der Unabhängigkeit der Ukraine, als Gruften Sommer 2016 aufgebrochen und nach Wertgegenständen gesucht wurde. Seit 2008 sind mehrere Freiwilligendienste auf dem Friedhof aktiv, um ihn von wuchernder Vegetation zu säubern und für Angehörige und Besucher zugänglich zu machen. Seit Frühjahr 2016 gibt es ernstzunehmende Pläne, Stadt der toten die Leichenhalle – im Hintergrund des Fotos zu sehen – zu restaurieren und in ein Museum umzuwandeln. Die Pläne treffen nicht auf die Dichter uneingeschränkte Unterstützung der jüdischen Diaspora. Czernowitz hat ein reiches literarisches Erbe, zu dem jüdischer Autor(inn)en in deutscher und jiddischer Sprache maßgeblich beigetragen haben. , Rose Ausländer, Itzik Manger, Selma Merbaum und viele andere finden immer noch eine Leserschaft. Die heutige Stadt öffnet sich wieder für dieses Erbe – unter anderem durch das Literaturfestival „Meridian Czernowitz“, bei dem sich prominente ukrainische und internationale Gäste ein Stelldichein geben. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Unabhängigkeit der Ukraine wurden viele chassidische Pilgerstätten wiederhergestellt. Seither entwickelte sich die Ukraine zu einem Magneten für jüdische Pilger aus aller Welt, hauptsächlich Chassidim aus Israel und den USA. 30.000 reisten 2016 an Rosch Haschana, dem jüdischen Neujahrsfest, nach Uman, um am Grab von Rabbi Nachman von Bratslaw zu beten.

Rabbi Nachman war ein Urenkel des Baal Schem Tow, des Begründers des Chassidismus, einer mystischen Bewegung, die in Osteuropa viele Anhänger fand. Rabbi Nachman wirkte von 1802 bis 1810 in Bratslaw. Nach der Stadt sind die Bratslawer Chassidim benannt, eine der größten Strömungen innerhalb des chassidischen Judentums.

Die Bratslawer Synagoge war in der Sowjetzeit Teil einer Bierbrauerei. Heute können Juden dort wieder beten. Die Löcher im Boden sind das Ergebnis der Suche nach einer wahrscheinlich noch im Untergrund Synagoge in Bratslaw, Podolien, Ukraine, Sommer 2015 vorhandenen Mikwa. Ein improvisierter Thoraschrein wartet auf Gläubige. Rückkehr der Pilger Das Konzentrationslager Płaszów wurde von den deutschen Besatzern 1942 im Krakauer Stadtbezirk Podgórze auf dem Gelände zweier jüdischer Friedhöfe errichtet. Es diente zunächst als Lager für jüdische Zwangsarbeiter aus dem Krakauer Ghetto und wuchs innerhalb kurzer Zeit zu einem der größten Arbeitslager im Südosten Polens. Die Bedingungen im Lager waren katastrophal, zahlreiche Häftlinge starben an Hunger, Seuchen und Massenerschiessungen. Die genaue Zahl der Opfer ist unbekannt.

1993 drehte der amerikanische Regisseur Steven Spielberg Teile von „Schindlers Liste“ auf dem Gelände des ehemaligen Lagers Płaszów. Der Film löste einen Tourismusboom aus, von dem Krakau bis heute profitiert.

Nach Płaszów kommen jedoch weit weniger Besucher als zu Schindlers ehemaliger Fabrik. Das Gelände ist heute ein Naherholungsgebiet, in dem verstreut die Überreste des Konzentrationslagers liegen. Spaziergänger Überreste des Konzentrationslagers Płaszów, Kraków, Polen, melden immer wieder Funde menschlicher Knochen. Übersichtstafeln am Herbst 2014 Zugang des Geländes vermitteln interessierten Besuchern Informationen über die noch vorhandenen Gebäude und deren frühere Funktion. Die meisten Überreste sind von akutem Verfall bedroht, so wie das im Bild sichtbare Depot für Lebensmittel des Lagers, das durch einen eigenen Verschwindende Zaun gesichert war. Spuren In Rezina leben heute keine Juden mehr. Der jüdische Friedhof ist dicht überwachsen. Nachbarn schlagen dort Brennholz oder zweckentfremden Grabsteine als Picknickbänke und -tische. Von den Müllcontainern der nahegelegenen Wohnblocks wehen Abfälle herüber.

Auf dem Friedhof gibt es Grabsteine aus der Nachkriegszeit, die darauf hinweisen, dass es hier Überlebende gab. Sie und ihre Nachkommen haben es vorgezogen, die Republik Moldau nach deren Unabhängigkeit zu verlassen oder sich in anderen Orten im Land niederzulassen.

Im Bildhintergrund sind der Dnister, die Stadt Rîbnița und die Brücke, die als Grenzübergang zwischen der Republik Moldau und der von ihr abtrünnigen Region Transnistrien dient, zu sehen. Russische „Friedenstruppen“ sichern diese international nicht anerkannte Grenze. In Rîbnița existiert eine jüdische Gemeinde, die auch den Kontakt zu den Gemeinden in der Republik Moldau aufrechterhält. Sie pflegt den Grabsteinfragmente auf dem jüdischen Friedhof von Rezina, dortigen jüdischen Friedhof und das im Friedhof gelegene Massengrab Bessarabien, Republik Moldau, Frühjahr 2016 mit den sterblichen Überresten der Opfer des Ghettos von Rîbnița. Zerstörungen der Gegenwart Vadul Raşcov ist ein kleiner Ort am Ufer des Dnister – unmittelbar an der Grenze zu Transnistrien, einer Region, die sich von Moldawien für unabhängig erklärt hat. Die Grenze trennt Vadul Raşcov von der auf der anderen Flussseite gelegenen Gemeinde Raşcov. Ein unmittelbarer Grenzverkehr zwischen beiden Orten besteht nicht mehr, eine früher einmal vorhandene Fähre wurde stillgelegt.

In Vadul Raşcov und Raşcov existierten bis zu ihrer Deportation durch Rumänien bedeutende chassidische Gemeinden. Im Gegensatz zu anderen Orten in der Region gibt es kaum Grabsteine aus der Nachkriegszeit – die Vernichtung war entweder vollständig oder die Überlebenden hatten Gründe, nicht in ihre Heimatorte zurückzukehren. Quellen über das, was während des Krieges in Vadul Raşcov und Raşcov geschah, sind rar. Die französische Organisation Yahad in unum hat vor Ort Zeitzeugen befragt, deren Aussagen jedoch vage und widersprüchlich sind.

Jüdischer Friedhof, Vadul Raşcov, Bessarabien, Republik Moldau, Auf dem jüdischen Friedhof von Vadul Raşcov sind zahlreiche Sommer 2016 Zerstörungen sichtbar. In vielen Orten wurden jüdische Friedhöfe nach der Deportation und Vernichtung ihrer ursprünglichen Nutzer zu Steinbrüchen. In Vadul Raşcov gehört dies jedoch der Vergangenheit an. Heute dient der Friedhof vor allem als Weidefläche für Pferde und Ziegen. Keine Rückkehr Die Tiere nehmen dabei eine wichtige Aufgabe wahr: Sie halten den Friedhof von wuchernder Vegetation frei und helfen damit, weitere Zerstörungen zu verhindern. Schowkwa (polnisch Żółkiew) wurde im 17. Jahrhundert vom polnischen König Jan III Sobieski, dessen Kavallerie die Belagerung Wiens durch die Osmanen beendete, als Idealstadt ausgebaut. Von den unruhigen Zeiten der Kosakenaufstände gegen die polnische Herrschaft zeugt bis heute die Große Synagoge von Schowkwa. Sie wurde 1692– 1700 nach dem Vorbild der „Goldenen Rose“ im 30 Kilometer entfernten Lwiw (Lemberg, Lwów) als Festungssynagoge errichtet und sollte zur Verteidigung der Stadt beitragen.

Von den 4.400 jüdischen Bürgerinnen und Bürgern von Schowkwa haben nur 70 das von den Nazis eingerichtete Ghetto, die wiederholten Massenerschießungen und die Deportationen nach Belzec, wo geschätzte 400.000 Menschen mithilfe von Dieselgeneratoren vergast wurden, überlebt.

Die Große Synagoge wurde 1941 von den deutschen Besatzern gesprengt. Große Synagoge in Schowkwa, Galizien, Ukraine, Sommer 2016 Dass sie in der Nachkriegszeit wiederaufgebaut wurde, gehört zu den großen Ausnahmen im Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Das Gebäude befindet sich heute in prekärem Zustand. Ein Metalldach, das vor wenigen Jahren von einer amerikanischen Organisation finanziert wurde, um den Festungssynagogen Baubestand zu schützen, wurde innerhalb kurzer Zeit gestohlen.

Ein jüdischer Friedhof existiert in Schowkwa nicht mehr, er wurde in der Sowjetzeit zerstört. Auf seinem Gelände befindet sich heute ein Markt, dessen Ausläufer im Bild zu sehen sind. In Dubăsari wurden im September 1941 tausende von Juden vom Einsatzkommando 12b der SS erschossen. Die genaue Zahl der Opfer ist unbekannt, Schätzungen reichen von 4.000 bis 18.500.

Ein sowjetisches Mahnmal steht am Ende der langen Reihen von Erschießungsgruben. Es zeigt einen Soldaten der Roten Armee, der zwei trauernde Kinder tröstet. Die Botschaft des Denkmals entspricht dem sowjetischen Selbstverständnis als Befreier und deren Verhältnis zu den Völkern des Imperiums.

Erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion konnten Denkmäler errichtet werden, die darauf hinweisen, dass an Orten wie Dubăsari Juden ermordet wurden. Sowjetische Denkmäler sprechen lediglich von „sowjetischen Bürgern, die von Faschisten ermordet wurden“. Nach dem Ende der Sowjetunion hat das Denkmal in Dubăsari eine Ergänzung erfahren. In Nischen entlang der Erschießungsgruben wurden Steintafeln Denkmal am Massengrab von Dubăsari, „Transnistrien“, mit den Namen der Ermordeten – soweit diese noch rekonstruierbar sind – Sommer 2016 angebracht. Sie sind mit Davidsternen dekoriert und verweisen damit auf die jüdische Herkunft der Opfer. Sowjetische Denkmalkultur Während die jüdische Bevölkerung Warschaus vollständig vernichtet wurde, überstand der Friedhof in Brodno Krieg und deutsche Besatzung nahezu unversehrt. Er wurde erst nach dem Krieg zerstört, nachdem die polnischen Behörden den Beschluss fassten, das Friedhofsgelände in einen Park umzuwandeln. Die Grabsteine wurden herausgerissen und in der Mitte des Geländes zusammengetragen. Von dort wurden sie teilweise als Baumaterial vergeben und waren bis vor kurzem als Teile von Pavillons in Parks, Einfassungen von Sandkästen oder als Sockel eines sowjetischen Ehrenmals in Benutzung. Seit einigen Jahren werden diese Bauwerke entfernt und die Steinfragmente zum Friedhof zurückgebracht.

Der Friedhof von Brodno ist kein Einzelfall, er ist der Standard im urbanen Raum. Vor allem in der Sowjetunion wurden jüdische Friedhöfe planmäßig zerstört und die Grabsteine als Baumaterial missbraucht, wenn keine Beerdigungen mehr stattfanden. Wer heute nach Odessa, Vilnius, Riga oder Lwiw kommt, wird keine alten jüdischen Friedhöfe mehr Jüdischer Friedhof in Brodno, Warschau, Polen, Winter 2015 vorfinden. In der Provinz, in Kleinstädten und Dörfern, war die Wahrscheinlichkeit der Zerstörung hingegen geringer. Dort drohte die Zerstörung eher durch Vernachlässigung und wuchernde Vegetation. Nachkriegszerstörung Dieser Zustand hält vielerorts an. Mithilfe eines Denkmalschutzprogramms der Europäischen Union konnten viele rumänische Synagogen wiederhergestellt werden – zumindest äußerlich. Unwiederbringlich verloren ist hingegen in vielen Fällen ihr städtisches Umfeld. Wo sich früher Jugendstil oder neo- klassizistische Fassaden befanden, dominiert heute die Tristesse sozialistischer Wohnblocks. Viele Rumänen haben die Zerstörung historischer Bausubstanz als geplante Entwurzelung wahrgenommen.

Synagoge in Botoșani, Rumänien, Frühjahr 2015 Verändertes Umfeld Die Profanisierung von Gotteshäusern zu Kinos, Sporthallen, Schwimmbädern, Bibliotheken, Archiven und Autowerkstätten war ein Merkmal der Sowjetisierung. Aus der Großen Synagoge von Horodenka in Galizien wurde eine Sporthalle, die auch heute noch in Betrieb ist. Diese Kontinuität im postsowjetischen Raum ist keine Ausnahme, sie ist die Regel. Diese Profanisierung war kein „Privileg“ von Synagogen, sie betraf christliche Kirchen ebenso. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion konnten die Kirchen an neu belebte christliche Gemeinden zurückgegeben werden, aber wem sollte man die Synagogen geben – in Orten, an denen es keine jüdischen Gemeinden mehr gab?

In der Ukraine gibt es etwa 2.000 jüdische Friedhöfe. Die Anzahl der Synagogen liegt mutmaßlich höher, denn sie umfasst nicht nur die Großen Synagogen für die hohen Feiertage, sondern auch die vielen kleinen Synagogen, Bethäuser und „Schtiberl“. Was tun mit ihnen? In Deutschland ist die Umnutzung als Kulturzentrum eine gängige Lösung, Große Synagoge, Horodenka, Galizien, Ukraine, Sommer 2015 wenn es keine jüdische Gemeinde mehr gibt. Doch in Deutschland ist die Situation eine völlig andere, denn die meisten Synagogen wurden 1938 in der sogenannten Kristallnacht zerstört. Nicht so in der Ukraine. Wie viele Zweckentfremdung „Kulturzentren“ braucht ein Land? Das Lied „Belz, meyn Schtetele Belz“ gehört zu den Evergreens jiddischer Schlager der Zwischenkriegszeit. Der Song von Alexander Olshanetsky und Jacob Jacobs lässt für Momente eine Welt auferstehen, die es nicht mehr gibt. Wer heute nach Bălţi kommt, wird vom „Schtetele“ und seiner jüdischen Bevölkerungsmehrheit kaum noch eine Spur vorfinden. Die jüdische Bevölkerung wurde deportiert und ermordet, die Stadt so schwer im Krieg zerstört, dass sich kaum ein Gebäude aus der Vorkriegszeit ausfindig machen lässt. Die von den Lubawitscher Chassidim betriebene Synagoge, die fast immer verschlossen ist, versammelt die letzten Belzer Juden an Feiertagen.

Der letzte Zeuge der jüdischen Vergangenheit ist der jüdische Friedhof. Auf einem Hügel abseits des Stadtzentrums liegt er oberhalb der Bahngleise und einer Regattastrecke.

Jüdischer Friedhof, Bălţi (Belz), Bessarabien, Republik Moldau, Frühjahr 2016 Letzte Zeugen Zoloty Potik ist ein Städtchen in Galizien. Fremde verirren sich hierhin fast nie, allenfalls solche, die eine Leidenschaft für Schlösser teilen, denn es gibt eine sehenswerte Ruine, die einmal der polnischen Fürstenfamilie Potocki gehörte. Ein Stadtzentrum gibt es im Ort nicht mehr. Das Zentrum wurde von den Deutschen zum Ghetto erklärt und nach der Ermordung der jüdischen Bevölkerung niedergebrannt. Heute befindet sich dort ein Park mit einem sowjetischen Ehrenmal.

Das letzte Zeugnis jüdischen Lebens ist der jüdische Friedhof. Auch hier sind die Zerstörungen unübersehbar: Viele Grabsteine wurden abgeschlagen und als Baumaterial benutzt. Seit einige Zeit kehren sie von Baustellen zurück auf den Friedhof – Zeichen eines sich verändernden Bewusstseins. Die Gemeinde bemüht sich aktiv um die Pflege des Friedhofs. Das Gras ist kurz, Ziegen sorgen dafür, dass es so bleibt.

Jüdischer Friedhof in Zoloty Potik, Galizien, Ukraine, Sommer 2015 Hoffnung Die Mehrheit der Opfer des Holocaust hat nie ein Konzentrationslager von innen gesehen. Sie wurden zu Orten für Massentötungen wie Maly Trostinez bei , Lysynychi bei Lwiw oder Ponar bei Vilnius gebracht und dort erschossen. Ebenso häufig war die Erschießung unmittelbar in den Heimatorten der Opfer durch SS , deutsche und einheimische Polizei sowie durch sogenannte „Hilfswillige“.

Die französische Stiftung Yahad in unum lokalisiert und untersucht Massengräber in Osteuropa. Dabei ist sie bisher auf über 500 Orte gestoßen, an denen 500 oder mehr jüdische Frauen, Männer und Kinder erschossen wurden – insgesamt über 1,5 Millionen Opfer. 2004 hat die Stiftung auch die Massengräber im galizischen Städtchen Busk untersucht. Die Spuren der Grabung sind noch im Gelände sichtbar.

Zu den typischen Ergebnissen solcher Grabungen gehört das Auffinden großer Mengen von Geschosshülsen, die aus Pistolen abgefeuert wurden. Ungekennzeichnetes Massengrab in Busk, Galizien, Ukraine, Das Töten erfolgte aus nächster Distanz, oft durch einen aufgesetzten Winter 2014 Schuss in den Kopf. Die Befunde widersprechen der gängigen Vorstellung eines anonymen, industriellen Tötens.

Die Dimension der Massentötungen durch Erschießen dringt nur langsam Unbekannter ins öffentliche Bewusstsein – in Deutschland ebenso, wie in Osteuropa. 2016 zeigte die Gedenkstätte Topografie des Terrors in Berlin erstmals in Deutschland eine Ausstellung zum Thema Massenerschießungen. Das Holocaust Berliner Büro des American Jewish Committee weihte 2015 fünf Mahnmäler auf Massengräbern in der Ukraine ein, jeweils unter Einbeziehung der örtlichen Bevölkerung. Das Projekt wird nun unter dem Dach des Denkmals für die ermordeten Juden Europas mit Mitteln des Auswärtigen Amts fortgesetzt. Die Große Synagoge befindet sich unweit des Marktplatzes von Busk. Zu etwa Zweidritteln wird das Gebäude von einer Baptistengemeinde genutzt, die ihren Anteil an der Synagoge bis zur Unkenntlichkeit renoviert und himmelblau angestrichen hat. Das verbliebene Drittel teilen sich 8 Familien als Wohnraum.Seit Jahren bitten sie die Gemeindeverwaltung um Zuteilung besserer Wohnungen. Vor jeder Kommunalwahl werden ihnen Versprechungen gemacht, nach Auszählung der Stimmen wieder vergessen. Postsowjetische Realität.

Große Synagoge in Busk, Galizien, Ukraine, Winter 2014 Wohnen in der Synagoge Wie mit dem verbliebenen jüdischen Kulturerbe in der Ukraine – und anderen Ländern Osteuropas – umzugehen ist, ist und bleibt umstritten. Konfliktlinien entwickeln sich entlang säkularer und religiöser Definitionen von Judentum, kommerzieller Interessen von Stadtverwaltungen, Erwartungen von öffentlicher Anerkennung durch jüdische Gemeinden und entlang von Differenzlinien lokaler und internationaler Narrative und Erinnerungskulturen sowie ihren wechselseitigen Überschneidungen.

Die „Goldene Rose“ ist das älteste noch sichtbare Relikt einer Synagoge in der Ukraine. 1582 wurde sie nach Plänen des Architekten Paolo Romano gebaut, 1941 wurde sie von den Deutschen Besatzern gesprengt. Sinnbildlich steht sie für das Schicksal der 150.000 Juden von Lwiw, von denen nur wenige Hundert überlebten. Im Sommer 2016 wurde auf dem Gelände der „Goldenen Rose“ der „Space of Synagogues“ eröffnet, eine bis dato einzigartige Gedenkstätte in der Ukraine. Meylakh Sheykhet vor der Ruine der Synagoge „Goldene Rose“, Lwiw (Lemberg, Lwów), Galizien, Ukraine, Sommer 2016 Meylakh Sheykhet ist einer der letzten chassidischen Juden in Lwiw. Seit vielen Jahren engagiert er sich für den Erhalt jüdischer Friedhöfe und der Gräber berühmter Rabbis. In einem Haus, das unmittelbar an die „Goldene Rose“ angrenzt, hat er ein Büro und einen Betraum eingerichtet. Umstrittenes Erbe Die neue Gedenkstätte hat er jahrelang erbittert bekämpft. Was für andere eine bitter nötige Anerkennung jüdischer Präsenz in der Stadt ist, ist für ihn eine Profanisierung. Er möchte die „Goldene Rose“ als Synagoge wiederaufbauen. In den Regionen der Sowjetunion, die während des 2. Weltkrieges unter rumänischer Verwaltung waren, in Bessarabien, der Bukowina und Teilen Podoliens, wurde der Völkermord an den Juden unsystematisch durchgeführt. Hier überlebten mehr Menschen, als in den deutschen Besatzungszonen. Juden die in die Lager und Ghettos Transnistriens deportiert worden waren oder denen die Flucht mit der Roten Armee gelungen war, kehrten nach Ende des Krieges zurück. Mit ihnen kamen auch Juden, die in Gebieten überlebt hatten, die nicht von Deutschen und ihren Verbündeten besetzt werden konnten. Auch im Dorf Tirgul Vertiujeni in Bessarabien, ließen sich wieder Juden nieder.

Sowjetische Juden kämpften jahrzehntelang um ein Recht auf Ausreise, beispielsweise nach Israel. Viele Aktivisten bezahlten dafür mit langen Haftstrafen. 1991 wurde ihr Traum wahr: Die Sowjetunion ging unter und die Grenzen öffneten sich. Was folgte, war ein Massenexodus. Etwa 80% der jüdischen Bevölkerung verließ die Nachfolgestaaten der Sowjetunion Verlassenes jüdisches Geschäft in Tirgul Vertiujeni, Bessarabien, und wanderte nach Israel, Deutschland oder die USA aus. Zurück blieb ihr Republik Moldau, Frühjahr 2015 unbewegliches Eigentum, so wie dieses Haus in Tirgul Vertiujeni. Auswanderung Câmpulung Moldovenesc liegt hoch in den Karpaten. Vor dem 1. Weltkrieg und in der Zwischenkriegszeit war das Städtchen eine beliebte Sommerfrische für wohlhabende Bukowiner Juden, die hier ihre Ferien verbrachten. Im benachbarten Vatra Dornei kündet noch das Wrack eines großen Casinos vom Glanz alter Zeiten. Seit langem ist der Lack ab und das gilt auch für viele der Synagogen der Bukowina. Viele wurden zweckentfremden, so auch diese Synagoge in Câmpulung Moldovenesc. Ein Schild über dem Eingang verkündet, dass es sich um ein Club Restaurant handelt. Ein moderner Anbau erlaubt den wenigen Gästen einen Panoramablick auf die umgebende Tristesse.

Ehemalige Synagoge in Câmpulung Moldovenesc, Bukowina, Rumänien, Frühjahr 2015 Synagoge mit Panoramablick