Schloss Caputh

Marie Goslich (1859–1936) Fotografin und Journalistin »Zwischen und Baumgartenbrück«

10. August bis 19. Oktober 2008

Die einzige reine Freude ist die Freude an der Natur. Marie Goslich 1904, Gästebuch der Familie Herrmann

m Rahmen des Themenjahres 2008 »Pro- Ivinz und Metropole – Metropole und Pro- vinz« des Vereins Kulturland Brandenburg e.V. wird mit über 200 Fotografien, Videopräsenta- tionen und zahlreichen Veröffentlichungen der zwischenzeitlich in Vergessenheit geratenen Fotografin und Journalistin Marie Goslich ge- dacht. Marie Goslichs Bilder geben ein bered- tes Zeugnis vom Alltag des Kulturraumes Berlin- Brandenburg in den Jahren zwischen1900 und 1920. Die Recherchen bezüglich ihrer journa- listischen Tätigkeit vermitteln heute, einhundert Jahre später, überraschende Einblicke in das Leben und Arbeiten in Berlin und Brandenburg zur Zeit der Jahrhundertwende. Marie Eva Elvine Goslich wurde in an der Oder geboren. Sie war die jüngste Toch- Marie Goslich fotografiert, zwischen 1905–1915. Glasnegativ, 13 x 9 cm. ter des Appelationsgerichtsrates Friedrich Juli- Privatsammlung Albrecht Herrmann us Goslich und seiner Frau Rosalie Elwine Hes- se. Von 1865 bis1875 besuchte Marie Goslich die Städtische Höhere Töchterschule in Frank- Republik Lützow-Ufer, bei Laura Delbrück, der In den Jahren 1907 bis1910 war Goslich als furt. Nach dem frühen Tod der Eltern lebte sie Mutter von Hans Delbrück, dem Herausgeber Redakteurin bei der Zeitschrift »Körperkultur« im Hause ihres Vormunds, dem königlich preu- der »Preußischen Jahrbücher«. Der Wende- tätig und von1902 bis1908 im Berliner Adress- ßischen Geheimen Justizrat Rudolf Tirpitz, Va- punkt im Leben von Marie Goslich war das Jahr buch als »Frl. Schriftstellerin und Redakteurin« ter von und Studienfreund ih- 1891. Sie wurde Sekretärin in der Redaktion in Berlin verzeichnet – eine Berufsbezeichnung, res Vaters. Die Haushaltsführung lernte sie bei des Verlages »Preußische Jahrbücher« und ver- die zur damaligen Zeit für Frauen nicht üblich einer befreundeten Familie auf dem Rittergut öffentlichte 1898 eine aus dem französischen war.Schon diese ersten Veröffentlichungen wer- Hertwigswaldau in Schlesien, danach bekam übersetzte Zusammenfassung: »Kreta«. 1899 fen die Frage auf, warum eine Frau großbür- Goslich in einem Pensionat in Unter- erschienen »Briefe von Johanna Kinkel«, der gerlicher Herkunft die Kunst des Fotografierens richt in Sprache, Musik und Schneiderei.1882 Komponistin und Musikpädagogin. erlernte und darüber hinaus eine engagierte verbrachte sie ein Jahr in der französischen 1905 publizierte sie im »Boten für die christ- und sozialkritische Journalistin wurde. Schweiz, um ihre Zeichen- und Französisch- liche Frauenwelt« eine dreiteilige Reportage Das Fotografieren nahm Goslich nun lei- kenntnisse zu vertiefen. über den Spreewald. Unter den bis dato gefun- denschaftlich auf, um die Anliegen in ihren Ar- In Berlin war Marie Goslich zunächst als Er- denen Veröffentlichungen von Marie Goslich ist tikeln noch einprägsamer zu machen, und so zieherin und Privatlehrerin für Französisch und es die erste, die mit eigenen Zeichnungen und waren in der Zeit zwischen1905 bis zu den An- Deutsch tätig. Sie wohnte in der so genannten Fotografien illustriert ist. fängen des Ersten Weltkrieges ihre Artikel nicht

62 Ausstellungen

Marie Goslich, Ohne Titel, zwischen 1905–1915. Glasnegativ, 13 x 9 cm. Marie Goslich, Ohne Titel, zwischen 1905–1915. Glasnegativ, 13 x 9 cm. Privatsammlung Albrecht Herrmann Privatsammlung Albrecht Herrmann

nur einfach Text mit beigefügten Bildern; die Fo- men, die schöne Stadt zu besuchen … Es bedarf dem Namen Marie Kuhls oder Marie Kuhls- tografien und Texte bildeten inhaltlich ein Gan- aber nicht einmal eines besonders großen Un- Goslich. 1911zog das Ehepaar Kuhls-Goslich zes. Außerdem fanden sich viele ihrer Fotogra- verständnisses, um einen jeden unbefangenen nach . Marie Goslich wurde erst Mit- fien auch in Veröffentlichungen anderer Au- Besucher der Stadt stutzig zu machen, wenn er glied, später Schriftleitende in der Redaktion toren, und sicherlich gab es ursprünglich viel plötzlich aus dem Barockstil Friedrich des Gro- der Zeitschrift »Bote für die deutsche Frauen- mehr als die über 400 Glasnegative, die nach ßen einen modernen vielstöckigen Steinklotz welt«. Nach der Scheidung von Karl Kuhls, des- Marie Goslichs Tod von Frau Liselotte Herr- emporragen sieht, als wollte er fragen, was sen unehelichen Sohn Hans Kuhls sie adop- mann im Gasthaus Baumgartenbrück aufgeho- denn das alte Gerümpel zu seinen Füßen hier tierte, zog sie nach Geltow, zuerst in das Gast- ben wurden. noch zu tun habe …« haus Baumgartenbrück der Familie Herrmann Marie Goslich vermittelt uns schon zu Be- In zahlreichen Fotografien und Artikeln rich- und dann in das Haus der Familie Rottstock. Im ginn des 20. Jahrhunderts in ihren fotografi- tet Goslich ein besonderes Augenmerk auf die Geltower Adressenverzeichnis ist sie zuletzt schen und journalistischen Arbeiten ein kriti- Frauen und deren Arbeit auf dem Feld und Hof. 1936/1937 als Marie Kuhls, Schriftstellerin, sches Bild der Alltagskultur ihrer Zeit. Woher Nicht die Schwere der Arbeit steht im Vorder- Havelstraße 4, aufgeführt. also diese sozialkritische Überzeugung? Eine grund – der natürliche Charme dieser Frauen Marie Goslich starb 1936 unter ungeklär- Erklärung kann man in der Erziehung und dem ist das Leitmotiv der Fotografin. Goslichs Kon- ten Umständen. Vom 9.August bis 19.Oktober Einfluss von Adolf Damaschke, dem Initiator zept, das Innehalten des Objektes in einer Na- 2008 werden gleichzeitig unterschiedliche The- der Bodenreformbewegung, finden. In einem turlandschaft, bewirkt, dass die Aufnahmen men der Ausstellungsreihe »Zwischen Berlin Leserbrief an die Zeitschrift »Bodenreform« von von Bettlern, dem Wandervolk am Straßen- und Baumgartenbrück« präsentiert: Blick auf 1914 erinnert Marie Goslich an ein Ereignis aus rand, ärmlichen Straßenverkäufern u. ä. nicht die Metropole (Schloss Caputh), Blick auf die den 1870er Jahren, als sie noch Schülerin war: die von uns erwartete Dramatik besitzen. Sie Provinz (Kirche in Petzow), Wege über die Ha- »… Tags zuvor erfuhr mein Vater von der Ge- sind ein Bestandteil, eine Selbstverständlichkeit vel (Baumgartenbrück in Geltow), Charme der burtstagseinladung. Wo ist das Fest? fragte er. ihrer Zeit. In »Poesie der Landstraße« 1906 Provinz (Bismarckhöhe in Werder), und Anmut – Bei dem P. vom Wilhelmplatz? – Aber das ist schreibt Marie Goslich »… so dass man die rei- der Stickerei (Heimathaus in Caputh). Das Pro- unmöglich … der Mann kauft Grundstücke, nur senden Handwerksburschen, Tippels genannt, jekt wird gefördert vom Landkreis Potsdam- um sie wieder zu verkaufen; es ist der reine fast beneidet, wenn man sich von ihnen erzäh- Mittelmark. Grundstückshandel. In ein solches Haus soll len lässt, wie viel Gegenden sie durchwandert meine Tochter nicht gehen.« haben, die dem seßhaften Mensch oft nur ein Krystina Kauffmann In der Zeitschrift »Die Mark« 1914 im Artikel ersehntes, aber niemals erreichtes Ziel blei- »Heimatschutz und Bodenreform« schreibt sie: ben.«

»Wer kennt nicht Potsdam, diese Perle des Ha- 1910 heiratete sie in Berlin den Schriftsteller Dr. Krystina Kauffmann ist die Organisatorin der vellandes … Touristen lassen es sich nicht neh- Karl Kuhls; nun veröffentlichte sie auch unter Ausstellung.

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