BRGÖ 2020 Beiträge zur Rechtsgeschichte Österreichs

Carmen KLEINSZIG, Wien Vom deutschen Gehilfenverein zur DNSAP Die Entwicklung einer Partei im Überblick

Early National Socialists in Austria‐Hungary An Overview of the Development of the ʹGerman National Socialist Workers’ Partyʹ While the details of the rise of the national socialists of Hitlerʹs NSDAP in are widely known, the ideological roots of this movement and its origin in the Austro‐Hungarian empire are often left undiscussed. This paper focuses on the ideological development of what later would become the national socialist party of Austria and the relation of this party to Hitler’s NSDAP and the Czechoslovakian national socialists. Keywords: Austria‐Hungary – DNSAP – national socialism – NSDAP

Einleitung von den zeitgenössischen Parteimitgliedern ver‐ fasst und ist daher dementsprechend kritisch zu Die Parteigeschichte der in (Deutsch‐)Österreich betrachten.1 Von der weiteren Darstellung ab der tätigen Deutschen Nationalsozialistischen Arbei‐ Auflösung der Partei 1933 bzw. 1934 wurde hin‐ terpartei (DNSAP) ist weit weniger aufgearbeitet gegen abgesehen, da hierzu bereits ausführliche als jene der mehr oder weniger zeitgleich in Literatur2 existiert. Deutschland aktiven NSDAP – dies vermutlich Eine vereinsrechtliche Untersuchung soll in die‐ auch aufgrund ihrer geringen Bedeutung in der sem Beitrag nur in groben Grundzügen erfolgen. politischen Landschaft Österreichs. Die ideologi‐ Kern des Beitrages ist die ideologische Entwick‐ schen Wurzeln der DNSAP lassen sich allerdings lung der Partei auf Grundlage der verschiedenen über ihre Gründung 1918 hinaus zurückverfol‐ Parteiprogramme. gen. Die Entwicklungsgeschichte dieses Arbei‐ tervereins, der sich von seinen deutschnationa‐ len, sozialistischen Wurzeln hin zu einer natio‐ nalsozialistischen Partei entwickelte, soll das Zur Rechtsnatur Thema dieses Beitrags sein. Aufgrund der unklaren Rechtsnatur der Gehil‐ Die Aufarbeitung der frühen Parteigeschichte ge‐ fen„vereine“ und „Parteien“, die im Zuge dieses staltet sich vor allem deswegen als schwierig, da Beitrags behandelt werden, ist es angebracht, die sie nur spärlich dokumentiert ist. nDie‐ vorha rechtlichen Rahmenbedingungen zuerst und ge‐ dene Literatur, die auch diesem Beitrag zu gewis‐ sondert zu betrachten. Zunächst gestaltet sich die sen Teilen zu Grunde liegt, wurde vorwiegend Suche nach Dokumenten, die die eindeutige

1 Natürlich gibt es zu dieser Thematik auch eine Reihe schen Parteimitgliedern publizierten Werke, die in die‐ an tschechischer Literatur, die aufgrund mangelnder sem Beitrag verwendet wurden, sind alle in deutscher Sprachkenntnisse der Autorin nicht in den Aufsatz Sprache verfasst. übernommen werden konnte. Es sei hingewiesen auf: 2 Siehe u.a. REITER‐ZATLOUKAL, ROTHLÄNDER, SCHÖLN‐ MALÍŘ, Politické strany. Die von den tschechoslowaki‐ BERGER, Österreich 1933–1938; TALOS, NEUGEBAUER, Austrofaschismus. http://dx.doi.org/10.1553/BRGOE2020‐1s30 Vom deutschen Gehilfenverein zur DNSAP 31

Rechtsnatur der Vereine und Parteien belegen, örtlich in Frage kommenden Archiven nötig. Eine als schwierig. Grund dafür ist, dass die Quellen Anfrage bei der Wiener Vereinsbehörde blieb er‐ nicht klar erkennen lassen, ob die frühen Gehil‐ folglos.5 Da das Vereinsgesetz 1867 von der pro‐ fenvereine in Böhmen und Mähren tatsächlich visorischen Nationalversammlung in die Repub‐ Vereine im rechtlichen Sinn waren, oder ob sie lik Deutschösterreich übernommen wurde, ist vielmehr Treffpunkte für lokale Arbeiter davon auszugehen, dass es in Monarchie und Re‐ („Stammtische“) waren, die keine Rechtspersön‐ publik die Rechtsgrundlage für die – 1903 ge‐ lichkeit hatten. gründete und 1918 in DNSAP umbenannte – Ar‐ Sollte es sich um Vereine i.S.d. Vereinsgesetzes beiterpartei war. Über die genaue Rechtsgrund‐ 1867 gehandelt haben, so gab es zwei Möglichkei‐ lage der Vereine, rdie von de Monarchie überge‐ ten. Zum einen konnten sich die Mitglieder als leitet wurden, wurde bis 1929 eingehend disku‐ nichtpolitischer Verein statuieren, zum anderen tiert.6 Dass sich die Bezeichnung der Gruppie‐ als politischer Verein nach §§ 29–35 leg.cit. rung von „Verein“ in „Partei“ geändert hat, ist Eine Gründung der Gehilfen„vereine“ als politi‐ wohl auf die Einführung des allgemeinen (Män‐ sche Vereine ist unwahrscheinlich, da politische ner‐)Wahlrechts in der Monarchie zurückzufüh‐ 7 Vereine nach § 33 des Vereinsgesetzes keine ren. Schon die Reichsratswahlordnung vom Zweigvereine gründen, Verbände schließen oder 26. Jänner 1907 spricht in ihrem § 23 Abs. 3 und 4 untereinander durch schriftlichen Verkehr oder von „wahlwerbenden Parteien“. Um eine Partei Abgeordnete kommunizieren durften. Auch war i.S.d. Parteiengesetzes handelte es sich hierbei es einem politischen Verein bei Strafe untersagt, nicht. Anstatt den Anhang „Partei“ als Hinweis mit einem nicht politischen Verein in Verbin‐ auf die Rechtssubjektivität zu werten, ist es wahr‐ dung zu treten.3 Dass zwischen den einzelnen scheinlich zutreffender, dass die Vereine damit Gehilfenvereinen und den daraus später entstan‐ zum Ausdruck bringen wollten, dass sie als denen Parteien reger Austausch, auch durch Ent‐ wahlwerbende Partei an den Wahlen teilzuneh‐ senden von Rednern, herrschte, ist aber hinrei‐ men gedachten. chend belegt.4 Die genaue Rechtslage dieser „politischen Par‐ Wahrscheinlicher ist, dass die frühen Gehilfen‐ teien“ blieb weitestgehend unklar und war auch vereine und ihre Nachfolger, auf die unten näher noch in der 1. Republik Gegenstand des wissen‐ eingegangen wird, als nicht politische Vereine schaftlichen Diskurses. „Aus den Wahlordnun‐ auf Grundlage des Vereinsgesetzes von 1867 ge‐ gen geht an mehreren Stellen klar hervor, daß die gründet wurden. Klarheit könnte aber nur ein Wahlpartei mit der politischen Partei nicht iden‐ 8 Blick in die Statuten – sofern diese noch existieren tisch ist“. Es ist für eine „politische Partei“ wenig – bringen. Dazu wären Nachforschungen in den sinnvoll, zumindest aber für die Beteiligung an

3 MAYRHOFER, Handbuch für den politischen Verwal‐ Gruppierungen der deutschen nationalen Sozialisten. tungsdienst 2, 120. Näheres zur Bezeichnung der Gruppierung im frühen 4 Dazu ausführlicher im entsprechenden Teil des Auf‐ Stadium als nationale Sozialisten: siehe Anm. 22. satzes. 6 U.a. LENHOFF, Die politische Partei als Rechtssubjekt; 5 Nach Auskunft der Vereinsbehörde vernichtet sie alle als Antwort darauf: KRAUS, Die politische Partei als Aufzeichnungen über Vereine, die länger als zehn Rechtssubjekt. Jahre aufgelöst sind. Dies inkludiert den gesamten Be‐ 7 Zuerst die Badenische Wahlrechtsreform von 1896, stand aus der Monarchie, sofern die Akten nicht vom die eine fünfte Kurie mit einem Wahlrecht für Männer Stadt‐ und Landesarchiv Wien gerettet wurden. Ver‐ ab dem 24. Lebensjahr einführte, danach die Beck’sche einzelte Dokumente zur DNSAP, die die Gauleitung Wahlrechtsreform von 1907, die ein allgemeines Män‐ ab 1939 gesammelt hatte, sind im Wiener Stadt‐ und nerwahlrecht schuf. Landesarchiv zu finden, betreffen aber nicht die frühen 8 KRAUS, Die politische Partei als Rechtssubjekt 495.

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Wahlen nicht zwingend, sich als politischer Ver‐ waren, so stand der Verein nur „deutschen“ ein i.S.d. §§ 29–35 Vereinsgesetzes 1867 zu statu‐ Männern offen. Da „der Jude kein Deutscher“10 ieren. Dementsprechend wird es sich bei der 1903 sei, kann aber von einer antisemitischen Haltung gegründeten DAP um einen Verein i.S.d. Ver‐ des Vereins ausgegangen werden. So teilte man einsgesetzes, und nicht um einen politischen Ver‐ auch Viktor Adler, als dieser dem Verein beitre‐ ein i.S.d. §§ 29–3leg.cit. gehandelt haben. ten wollte, mit, dass seine Mitgliedschaft uner‐ Mangels vorhandener Statuten werden die fol‐ wünscht sei.11 gend behandelten „Vereine“ als Rechtssubjekte Im September desselben Jahres wurde das „Lin‐ i.S.d. Vereinsgesetzes 1867 betrachtet, nicht je‐ zer Programm der Deutschnationalen“ veröffent‐ doch als politische Vereine. Ob einige davon Zu‐ licht. Das Programm stützte sich auf die demo‐ sammenschlüsse ohne Rechtsgrundlage und kratischen Forderungen von 1848, das Parteipro‐ Rechtssubjektivität waren, kann aus den ange‐ gramm des Historikers Heinrich Friedjung von führten Gründen nicht sicher belegt werden. Der 1880 und ein Parteiprogramm, das Schönerer folgende Beitrag widmet sich daher nicht dem selbst bereits 1879 entworfen hatte.12 Das Linzer Vereinsrecht, sondern der ideologischen Ent‐ Programm verlangte unter anderem eine Perso‐ wicklung jener Partei, die eine Entwicklung von nalunion mit Ungarn, die ausschließliche Ver‐ einer national sozialistischen Gesinnung hin zu wendung der deutschen Sprache beim Heer, in einer nationalsozialistischen vollzog und ab den öffentlichen Ämtern und Protokollen, in der 1920er Jahren kontinuierlich dem Einfluss Hitlers Volks‐ und Mittelschule sowie bei sämtlichen unterlag. Staatsprüfungen und Rigorosen. Zwar forderte das Programm neben Vereins‐ und Pressefreiheit auch ein direktes Wahlrecht, jedoch sollte ein Die ideologischen Wurzeln passives Wahlrecht nur „deutschen Männern“ zukommen. Ein klarer sozialreformatorischer Literatur und Zeitgenossen sind sich nicht ganz Standpunkt trat vor allem bei den Forderungen einig, ob die Geschichte der späteren DNSAP nach einer Reform der Gewerbeordnung, beim beim – vorwiegend in Böhmen und Mähren akti‐ Arbeitnehmerschutz (u.a. Einschränkung der ven – Deutschen Gehilfenverein, der 1885 ge‐ Kinder‐ und Frauenarbeit sowie Festsetzung ei‐ gründet wurde, beginnt, oder beim Linzer Pro‐ ner Normalarbeitszeit) und bei steuerlichen For‐ gramm von 1882; es sind sich jedoch alle einig, derungen zutage. Mit dem Deutschen Reich for‐ dass die ideologischen Wurzeln bei dem Verfas‐ derte man ein dauerhaftes (staatsvertragliches) ser des Linzer Programmes, Georg von Schöne‐ Bündnis sowie eine Zollunion. Antisemitische rer, zu finden sind.9 Forderungen, wie sie im Programm von Schöne‐ Schönerer, der als Abgeordneter zuerst für die li‐ rer und jenem von Friedjung zu lesen sind, waren berale deutsche Fortschrittspartei in den Reichs‐ 1882 im Linzer Programm nicht enthalten. Dies rat gewählt worden war, sich von dieser aber bald ideologisch entfernte, gründete im Juni 1882 den „Deutschnationalen Verein“. Auch wenn im Statut des Vereins selbst vorerst keine explizit an‐ tisemitischen Forderungen niedergeschrieben

9 BERNER, Vom Gesellenverein zum nationalen Sozia‐ 12 Ebd. 152; Die Programme sind nachzulesen bei lismus 8. BERCHTOLD, Österreichische Parteiprogramme 1868– 10 PICHL, Georg Ritter von Schönerer 100. 1966. 11 WLADIKA, Hitlers Vätergeneration 151.

Vom deutschen Gehilfenverein zur DNSAP 33 ist wohl auf die Mitarbeit Viktor Adlers13 am Pro‐ niederträchtigste Behandlung gefallen lassen.“16 gramm zurückzuführen, der maßgeblich an der Im Zuge der Zusammenkunft wurden auch die Entwicklung – allen voran der sozialistischen Vertreter der (sozialdemokratischen) Arbeiter‐ Teile des Programms – beteiligt war, bevor man partei in Wien kritisiert, da diese „die Verhält‐ ihm erklärte, dass er unerwünscht sei. Nach 1885 nisse in Böhmen und Mähren nicht kennen und fügte man dem Linzer Programm jedoch einen nicht wissen, daß hier der nationale Standpunkt zwölften Punkt hinzu: „Zur Durchführung der auch der wirtschaftliche Standpunkt ist“.17 Ne‐ angestrebten Reformen ist die Beseitigung jüdi‐ ben ihrem Ziel, der „Tschechisierung des deut‐ schen Einflusses auf allen Gebieten des öffentli‐ schen Handwerks und Gewerbes Einhalt zu chen Lebens unerläßlich.“14 tun“18, das sie vor allem durch Arbeitsvermitt‐ Das Linzer Programm war wesentlich gemäßig‐ lung zu erreichen versuchten, stellten die Gehil‐ ter als das Programm von Schönerer aus dem fenvereine Unterstützungskassen und Bibliothe‐ Jahr 1879 und das Programm von Friedjung. ken für ihre Mitglieder zur Verfügung. Letztere Beide Programme enthielten neben antisemiti‐ dienten der Fortbildung der Arbeiterschaft in ei‐ schen Forderungen auch die Trennung von Kir‐ ner Zeit, in der frei zugängliche Bibliotheken che und Staat, dies vor allem im schulischen Be‐ noch eine Seltenheit waren. reich. Interessant ist auch, dass im Linzer Pro‐ Ideologisch setzen sich zwar sowohl Schönerer als gramm eine Forderung fehlt, die im Aufruf zur auch der Deutsche Gehilfenverein für die Interes‐ Gründung der deutschnationalen Partei 1881 ent‐ sen der Arbeiter ein, jedoch auf verschiedenen halten ist, nämlich die Einführung einer obligato‐ Ebenen. Während Schönerer, wie schon am Partei‐ rischen Zivilehe.15 programm ersichtlich, weitreichende rechtliche Beinahe zeitgleich, 1885, wurde der erste der und staatliche Reformen forderte, die bis in die Deutschen Gehilfenvereine im südböhmischen Tiefen der Verwaltung, der Diplomatie und der Budweis [České Budějovice] gegründet. Gleich‐ Gesetze der Monarchie reichten, waren die Gehil‐ namige Vereine waren bald besonders in Böh‐ fenvereine ein Netzwerk aus lokalen Vereinen, men und Mähren weit verbreitet, sodass es im das sich primär gegen die tschechischen Arbeiter Jahre 1888, am 4. November, in Reichenberg be‐ und für die Förderung der deutschen Arbeiter ein‐ reits einen „Deutschen Gehilfentag für Böhmen setzte. Ihr Fokus lag auf Arbeitsvermittlung und und Mähren“ gab. Schont dor war die Abneigung Fortbildung ihrer Mitglieder.19 Es ist nicht davon gegen die tschechische Arbeiterschaft, die sich auszugehen, dass sich die Mitglieder der frühen durch die Parteiprogramme bis hin zum Pro‐ Gehilfenvereine über ihre lokalen Bedürfnisse hin‐ gramm der 1918 gegründeten DNSAP zieht, klar erkennbar: „Die tschechischen Arbeiter werden bevorzugt, weil dieselben billiger arbeiten und sich, da sie gar keine Standesehre besitzen, die

13 WLADIKA, Hitlers Vätergeneration 152, 155. Dass Ad‐ 14 BERCHTOLD, Österreichische Parteiprogramme 1868– ler für den Deutschnationalen Verein und Schönerer 1966, 203. tätig war, führt Wladika auf einen antisemitischen 15 Ebd. 192. „Grundkonsens“ in Form eines „wirtschaftlichen An‐ 16 BERNER, Vom Gesellenverein zum nationalen Sozia‐ tisemitismus“ Adlers zurück. Der von Schönerer ver‐ lismus 9. tretene rassische Antisemitismus führte schließlich 17 Ebd. 10. dazu, dass Adler die Aufnahme in den Deutschnatio‐ 18 KNIRSCH, Arbeiterbewegung 12. nalen Verein verweigert wurde. Er trat daraufhin be‐ 19 Ebd. 12; POKORNÝ, Vereine und Parteien in Böhmen kanntlich den Sozialdemokraten bei. Ausführlich 694. hierzu: WLADIKA, Hitlers Vätergeneration 156f.

34 Carmen KLEINSZIG aus für die politischen Strömungen in der Monar‐ Spaltung der – zeitweise durchaus am gleichen chie einsetzten.20 Diese Vermutung bestätigt sich Strang ziehenden – Lager. auch dadurch, dass die vielen Gehilfenvereine es Der „Deutschnationale Verein“ löste sich bereits trotz ihres gleichen Zieles aufgrund interner Diffe‐ 1889 selbst auf.24 Grund dafür waren die vielen renzen für viele Jahre nicht schafften, einen Dach‐ verschiedenen politischen Ansichten innerhalb verband zu gründen.21 Für Hans Knirsch, den spä‐ der Deutschnationalen. Schönerer hatte es ge‐ teren Führer der tschechoslowakischen DNSAP, schafft, sich mit beinahe allen namhaften und ein‐ waren die „nicht politischen Arbeitervereine auch flussreichen Vereinsmitgliedern zu zerstreiten. Stütz‐ und Sammelpunkte für den politischen Die von ihm ins Leben gerufene Bewegung hätte Kampf“.22 Viel wahrscheinlicher als eine politische damit wohl geendet, hätte sich nicht ein gewisser Tätigkeit der Vereine ist, dass Anhänger national Personenkult um Schönerer selbst etabliert, der sozialistischer Bewegungen die lokalen Vereine von verschiedenen kleineren Vereinen am Leben als Plattformen nutzten, um ihre Ideologie zu ver‐ gehalten wurde.25 Diese 23 Vereine schlossen sich breiten und Wählerstimmen unter den Arbeitern im Mai 1890 zum „Waidhofener Verband“ zusam‐ zu gewinnen.23 men und machten sich den „Kampf für das deut‐ Die ideologische Kluft zwischen den sozialdemo‐ sche Volk“ nach Vorlage Schönerers zur Auf‐ kratisch gesinnten Vertretern der Arbeiter in den gabe.26 Der Verband vertrat einen rassischen Anti‐ österreichischen Teilen der Monarchie, welche semitismus. Man befasste sich bereits in einem die Lage aller Arbeiter zu verbessern suchten, Ausschuss mit der „Judenfrage“ und entschied, und den deutschen Arbeitervereinen Böhmens dass Mitglieder „ihre arische Abstammung bis ins und Mährens, die lediglich an der Verbesserung dritte Glied nachzuweisen“ hätten.27 der Verhältnisse der deutschen Arbeiter interes‐ Ebenfalls 1889 kam es zur Gründung des „Ver‐ siert waren, führte letztendlich zu einer völligen bandes deutscher Gehilfen‐ und Arbeitervereini‐ gungen Österreichs“, nach seinem Gründungsort

20 Dies auch deshalb, weil sie sonst als politische Ver‐ Hitler geführten NSDAP, unter anderem in der Partei‐ eine i.S.d. § 33 Vereinsgesetz 1867 zu qualifizieren wä‐ struktur, die kein Führerprinzip vorsah, sondern eine ren, was im Widerspruch zu der faktischen Vernet‐ Wahl der Führung vorschrieb. Dass die Bewegung ein‐ zung der Vereine stünde. deutig antisemitische Forderungen vertrat, ist in mei‐ 21 Knirsch führt dies auf jene Gehilfen zurück, die auf nen Augen deshalb kein Merkmal für eine Qualifika‐ traditionelles Handwerk spezialisiert waren und sich tion als nationalsozialistisch, da die antisemitische Ge‐ weigerten, mit den Arbeitern aus der Industrie zu ko‐ sinnung weit verbreitet war. Es besteht natürlich genü‐ operieren oder ihr Handwerk zu modernisieren. Siehe gend Spielraum für gegenteilige Ansichten. Je nach‐ KNIRSCH, Arbeiterbewegung 13. dem wie weit man die Definition von „nationalsozia‐ 22 Ebd. 19. listisch“ zieht, könnte man die Partei natürlich auch 23 Die Bewegung wird hier von mir bewusst als natio‐ damals schon als nationalsozialistisch bezeichnen. nal sozialistisch und nicht als nationalsozialistisch be‐ 24 WLADIKA, Hitlers Vätergeneration 228. zeichnet. Dies deshalb, weil es sich um eindeutig sozi‐ 25 Im Übrigen führte dies auch zu einer mehr oder we‐ alistische Forderungen handelt, die so auch in Partei‐ niger prominenten Stellung in jeder parteigeschichtli‐ programmen der Sozialdemokraten zu finden sind chen Schrift der späteren (deutschösterreichischen) (etwa im „Linzer Programm“ der Sozialdemokrati‐ Nationalsozialisten. Sogar in Hitlers „Mein Kampf“ schen Arbeiterpartei Österreich von 1926, nachzulesen wird er – neben Karl Lueger – erwähnt. Ausführlicher, in BERCHTOLD, Österreichische Parteiprogramme 1868– insbesondere zum Einfluss Schönerers auf Hitler: HIT‐ 1966 247f.). Der Unterschied besteht darin, dass sich LER, Mein Kampf 309. die Partei für die deutschen Arbeiter einsetzte und ein 26 WLADIKA, Hitlers Vätergeneration 239. Nationalitätenkonflikt im Kern des Programmes zu 27 Ebd. finden ist. Noch finden sich ideologische Unterschiede zwischen den „Arbeiterparteien“ und der später von

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Mährisch Trübau [Moravská Třebová] „Mäh‐ Von der Deutschen Arbeiterpar‐ risch‐Trübauer Verband“ genannt. Der Verband tei zur DNSAP sollte die Gehilfenvereine trotz ihrer Differenzen einigen. Ihm gehörten 31 Vereine mit insgesamt Die Gründung der Deutschen Arbeiterpartei, 4.142 Mitgliedern an.28 Auch dieser Verband war kurz DAP, wurde im Jahre 1903 auf einer Konfe‐ ideologisch dem politischen Konzept Schönerers renz im böhmischen Aussig [Ústí nad Labem] be‐ nachempfunden. Erneut waren es aber interne schlossen.32 Formal gegründet wurde die Partei Auseinandersetzungen zwischen Schönerer und ein Jahr später, im August 1904, in Trautenau seinen Weggefährten – in diesem Fall Karl Her‐ [Trutnov].33 Im Zuge dieses ersten ordentlichen mann Wolf,29 der eine eigene Partei gründete – Parteitages wurde auch das Parteiprogramm, ge‐ die das deutschnationale Lager spalteten. Dies nannt Trautenauer Programm, festgelegt.34 Poli‐ führte schließlich zur Liquidierung des Mäh‐ tisch besann sich die Partei auf ihre nationalen risch‐Trübauer Verbandes im November 1902. Wurzeln zurück und widmete sich dem Kampf Bis zu seiner Auflösung war es dem Verband ge‐ der deutschen Arbeiterschaft gegen die „fremd‐ lungen, sich auf 156 Vereine und 17.804 Mitglie‐ völkischen“ – also vor allem tschechischen – Ar‐ der zu vergrößern.30 beiter. Dies ist auch klar aus den Leitsätzen der Auf derselben Konferenz, in der auch die Liqui‐ Partei herauszulesen: „Die deutsche Arbeiterpar‐ dierung des Mährisch‐Trübauer Verbandes be‐ tei erstrebt die Hebung und Befreiung der arbei‐ schlossen wurde, entschied man sich auch, eine tenden deutschen Volksschichten aus dem Zu‐ Partei zu gründen, die die deutschen Arbeiter in stande ihrer heutigen wirtschaftlichen, politi‐ 35 sich vereinen sollte:31 Die Deutsche Arbeiterpartei. schen und kulturellen Unterdrückung.“ Antise‐ mitische Forderungen waren nicht explizit ge‐ nannt, verbargen sich allerdings im „Kampf ge‐ gen den fremdvölkischen Einfluss“.36 Der vor allem in Böhmen beliebten Partei gelang es 1911 sogar, drei Sitze im österreichischen Reichsrat zu erlangen.37 Eine erste Änderung er‐ fuhr das Trautenauer Programm 1913, also kurz

28 CILLER, Vorläufer des Nationalsozialismus 26. 35 KNIRSCH, Arbeiterbewegung 29. 29 Wolf erlangte wohl deshalb Bekanntheit, da er aus 36 GAWRECKI, Arbeiterpartei 33. Protest gegen die Badenische Sprachenverordnung 37 WLADIKA, Hitlers Vätergeneration 540. Die DAP kan‐ den Ministerpräsidenten Kasimir Felix Badeni so sehr didierte als Teil des Nationalverbands, der ein loser beleidigte, dass dieser ihn zu einem Pistolenduell her‐ Zusammenschluss deutschfreiheitlicher Parteien war. ausforderte. Badeni wurde am Arm verletzt, Wolf Sie trat am 25. 6. 1912 aus dem Nationalverband aus blieb unverletzt und wurde zum Helden seiner Anhä‐ und ihre Mitglieder traten als Hospitanten am 24. 10. nger. Siehe KORNAUTH, Graf Badeni als Ministerpräsi‐ 1912 wieder ein; siehe ADLGASSER, Zentralparlamente, dent 93; HÖBELT, Kornblume und Kaiseradler 162. Einleitung LXXX FN 259; BERNER, Vom Gesellenverein 30 KNIRSCH, Arbeiterbewegung 23; für Details zu den zum nationalen Sozialismus 184. Die Mitglieder waren Auseinandersetzungen, die sowohl persönlicher als Hans Knirsch (siehe ADLGASSER, Zentralparlamente 1, auch politischer Natur waren: KNIRSCH, Arbeiterbewe‐ 593), Ferdinand Seidl (siehe ADLGASSER, Zentralparla‐ gung 24ff. mente 2, 1134) und Adam Fahrner (siehe ADLGASSER, 31 HANKE, Die nationale Bewegung in Aussig 93. Zentralparlamente 1, 271); WLADIKA, Hitlers Väterge‐ 32 WEBER, 7. neration 561; SCHILLING, Geschichte des Nationalsozia‐ 33 WLADIKA, Hitlers Vätergeneration 524; ELSTE, lismus 66; MASER, Frühgeschichte der NSDAP 241; NSDAP Kärnten 28; KNIRSCH, Arbeiterbewegung 30. KNIRSCH, Arbeiterbewegung 45; MALÍŘ, Die Parteien in 34 ELSTE, NSDAP Kärnten 28; KNIRSCH, Arbeiterbewe‐ Mähren und Schlesien 778. gung 30.

36 Carmen KLEINSZIG vor dem Ersten Weltkrieg, auf dem Parteitag in 2. Die in der neu entstandenen Tschechoslowa‐ Iglau []. Der wohl bedeutendste Unter‐ kei lebenden Parteianhänger organisierten schied zum Trautenauer Programm, das sich sich unter ihrem Vorsitzenden Hans noch am Linzer Programm von 1882 orientierte, Knirsch.41 betrifft die Einstellung zu den Kronländern. Das Iglauer Programm forderte nach „völkischen Siedlungsgebieten“ abgegrenzte Selbstverwal‐ Tschechoslowakei tungskörper und damit einhergehend eine voll‐ Während die österreichische Partei nie ein bedeu‐ ständige Auflösung der Kronländer.38 Diese Än‐ tendes politisches Gewicht gewann, erlangte die derungen wurden vor allem auf Betreiben von DNSAP in der Ersten Tschechoslowakischen Re‐ Rudolf Jung durchgeführt und von Walter Riehl publik eine gewisse Bedeutung. Die Partei ergänzt. konnte sich dabei im Gegensatz zur österreichi‐ Der Beginn des Ersten Weltkrieges störte das schen DNSAP auf die Kernforderungen der DAP Wachstum der Partei empfindlich. Zunächst bil‐ der Monarchie, nämlich die Verteidigung deut‐ dete die Partei in den österreichischen und böh‐ scher Arbeitsplätze gegen tschechische Arbeiter, mischen Gebieten sowohl organisatorisch als stützen.42 Gemeinsam mit der bürgerlichen Deut‐ auch personell eine Einheit. Bereits gegen schen Nationalpartei (DNP) unter Rudolf Lodg‐ Kriegsende, am. 16 April 1918, fand ein Landes‐ man von Auen vertrat sie jenen Teil der sudeten‐ parteitag in Böhmen statt, auf dem die Umbenen‐ deutschen Bevölkerung, der der Gründung der nung der DAP in Deutsche Nationalsozialistische Tschechoslowakei prinzipiell ablehnend gegen‐ Arbeiterpartei beschlossen wurde. Im Mai folgte über stand und den Anschluss der deutschspra‐ ein entsprechender Beschluss auch am Parteitag chigen Gebiete an das Deutsche Reich oder an in Wien.39 Nach dem Zusammenbruch der Öster‐ Deutschösterreich forderten.43 Alternativ ver‐ reichisch‐Ungarischen Monarchie 1918 zerfiel die langte die Partei ein „geschlossenes Siedlungsge‐ DNSAP 1918 in zwei Gruppierungen:40 biet als gesicherten Lebensraum mit selbstge‐ 1. Die in Deutschösterreich verbliebenen Anhä‐ wählter Verfassung, Verwaltung und Landes‐ nger der Partei bildeten die DNSAP Deutsch‐ wehr“.44 österreichs unter Führung von Walter Riehl.

38 Originaltext und Ausführungen in KNIRSCH, Arbei‐ 1931 erschienen, Knirsch konnte damals wohl nicht ab‐ terbewegung 32. sehen, welchen Einfluss Hitler bzw. die NSDAP auf 39 Ob diese nach Ländern getrennten Beschlüsse der seine tschechoslowakische Partei – und die europäi‐ Namensänderung aufgrund einer Vorahnung vom sche Geschichte – haben würde. Vielleicht hat Knirsch Zerfall der Monarchie, oder aber aufgrund der im Ig‐ deshalb nicht versucht, eine künstliche Verbindung lauer Programm festgehaltenen Trennung nach „völki‐ zwischen den Parteien zu konstruieren, wie dies so schen Siedlungsgebieten“ erfolgte, ist nicht klar. Jeden‐ viele deutschösterreichische Nationalsozialisten in falls schreibt Knirsch, dass „die Gründung der ‚Natio‐ später erschienenen Werken versuchten. nalsozialistischen deutschen Arbeiterpartei’ im Deut‐ 40 MASER, Frühgeschichte der NSDAP 243. schen Reiche […] ganz unabhängig von der Partei in 41 KREBS, LEHMANN, Wir Sudetendeutsche 140. Österreich erfolgte“, KNIRSCH, Arbeiterbewegung 57. 42 KNIRSCH, Arbeiterbewegung 68. Diese Behauptung ist insofern spannend, als kaum 43 BRANDSTÖTTER, Dr. Walter Riehl 146. zwei Jahre später bereits die erste staatenübergrei‐ 44 KNIRSCH, Arbeiterbewegung 73; dabei berief sich die fende Tagung zwischen der deutschösterreichischen, Partei auf das Pariser Minoritätenschutzgesetz. Siehe der deutschen und der tschechoslowakischen Natio‐ auch die Forderungen in KREBS, LEHMANN, Wir Sude‐ nalsozialistischen Arbeiterpartei stattfand. Dies deutet tendeutsche 18ff. darauf hin, dass die NSDAP in Deutschland keine his‐ torisch gemeinsamen Wurzeln mit ihrer Deutschnatio‐ nalen Partei in der Monarchie gehabt hat. Das Werk ist

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Bei den ersten Wahlen zum tschechoslowaki‐ choslowakische Regierung eine ernste Bedro‐ schen Parlament im April 1920 ging die DNSAP hung für ihren Staat.49 Die zunehmende parami‐ ein Wahlbündnis mit der DNP unter dem Namen litärische Ausrichtung der tschechischen DNSAP „Deutsche Wählergemeinschaft“ ein. Dieses er‐ mit der Schaffung eines „Verbunds Volkssport“ reichte 5,3 % der Stimmen und 15 der 300 zu ver‐ nahmen die Behörden zum Anlass, die Partei zu gebenden Mandate; die DNSAP entsandte 5 Ab‐ verbieten. Diesem Verbot kam die DNSAP am geordnete ins Prager Abgeordnetenhaus; insge‐ 3. Oktober 1933 durch Selbstauflösung zuvor.50 samt entsandten die deutschen Parteien 72 Abge‐ ordnete ins Parlament.45 Im Zuge der politischen Stabilisierung der Tsche‐ Österreich choslowakischen Republik im Verlauf der 20er Die „Dismembration“ der Monarchie führte auch Jahre konnte unter der sudetendeutschen Bevöl‐ zum Zerbrechen der DAP. Schon beim Parteitag kerung die kompromisslose Ablehnung des 1916 war man sich einig, dass die DAP umbe‐ neuen Staates keine Popularität gewinnen. Der nannt werden müsse, um einen größeren Wähler‐ von den Parteien bei den nächsten Parlaments‐ kreis anzusprechen. Man wollte die DAP in die wahlen im November 1925 erhoffte Stimmenzu‐ „Deutschsoziale Arbeiterpartei Österreichs“ um‐ wachs blieb aus. Die DNP errang 3,4 % der Stim‐ benennen, um sich „die denkende Arbeiterschaft men (10 Mandate), die DNSAP 2,4 % (7 Man‐ und die Arbeiteraristokratie zu ,holen sodass den date).46 Als Reaktion darauf traten die Vorsitzen‐ Sozialdemokraten nur mehr die urteilslose Masse den beider Parteien, Lodgman und Knirsch, zu‐ blieb“.51 Hier merkte bereits Walter Riehl an, rück. dass man nicht zu einer „Beamtenpartei“ ver‐ Im Jahre 1926 übernahmen Rudolf Jung und kommen wollte, die die Schutzarbeit für das Hans Krebs die Parteiführung. Unter ihnen deutsche Volk vernachlässigte.52 Riehl bestand lehnte sich die Partei immer stärker an die darauf, dass der Parteiname schon den Inhalt der NSDAP des Deutschen Reiches an.47 Bei den Par‐ Parteileitsätze voll und ganz enthalten solle. lamentswahlen im Oktober 1929 änderte das am Noch befand man sich auf ideologischer Wander‐ Ergebnis der Partei wenig; sie errang nur 2,8 % schaft. Im Mai 1918 benannte die Partei sich der Stimmen und 8 Mandate. schließlich in „Deutsche Nationalsozialistische In den zunehmenden Wahlerfolgen der NSDAP Arbeiterpartei“ um, wobei der Zusatz „sozialis‐ im Deutschen Reich, der sich im Sudetenland be‐ tisch“ die Abgrenzung zu bürgerlichen Gruppen sonders stark auswirkenden Weltwirtschafts‐ ausdrücken sollte. 1918/19 ntrat ma dann mit ei‐ 48 krise und den damit wieder zunehmenden nem neuen Parteiprogramm und dem Namen deutsch‐nationalen Bestrebungen sah die tsche‐ „Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei“ (DNSAP) im Wahlkampf an.53

45 KNIRSCH, Arbeiterbewegung 75; BRANDSTÖTTER, Dr. 51 WLADIKA, Hitlers Vätergeneration 578. Walter Riehl 147. 52 BRANDSTÖTTER, Dr. Walter Riehl 121f. 46 SLAPNICKA, Die böhmischen Länder 61. 53 SCHILLING, Geschichte des Nationalsozialismus 7; 47 MASER, Frühgeschichte der NSDAP 238f. KNIRSCH, Arbeiterbewegung 45. Höchstwahrschein‐ 48 Die deutschen Gebiete waren von der Arbeitslosig‐ lich handelte es sich um einen (nicht politischen) Ver‐ keit stärker betroffen als die übrigen Gebiete der ein i.S.d. Vereinsgesetzes 1867, der sich zur Wahl als Tschechoslowakei; von 1.000 Einwohnern waren 90 ar‐ gleichnamige Wahlpartei formierte. Da die Wahlord‐ beitslos. Ausführlicher zur Wirtschaftskrise: nung zum Nationalrat die Parteien anerkennt und SLAPNICKA, Die böhmischen Länder 66. 49 KREBS, LEHMANN, Wir Sudetendeutsche 158f. 50 SLAPNICKA, Die böhmischen Länder 77.

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Der größte Teil der Mitglieder der Partei war seit Das Parteiprogramm jeher in den böhmischen Kronländern – der neu der DNSAP ab 1918 gebildeten Tschechoslowakei – beheimatet gewe‐ sen. Dies auch deswegen, weil der Nationalitäten‐ Im neuen Parteiprogramm blieben die meisten konflikt nur dort geführt werden konnte, wo auch wirtschaftlichen und sozialen Forderungen und Nationalitäten zusammentrafen. In den österrei‐ die „Forderungen der Arbeitnehmerschaft“ aus chischen Teilen der Monarchie hatte die Partei nie dem Trautenauer Programm unangetastet, doch einen annähernd gleich großen Wählerkreis. standen nun neue, rechte Leitsätze über den al‐ Hinzu kam, dass in Deutschösterreich keine nati‐ ten, linken sozialreformatorischen Forderun‐ onale Partei notwendig war, da das Land relativ gen.57 An erster Stelle stand die 1913 hinzuge‐ „national einheitlich“ war.54 Es galt daher, sich fügte „Hebung und Befreiung der arbeitenden eine neue Klientel für die Wahl zu suchen. Ein alt‐ deutschen Volksschichten aus wirtschaftlicher, bewährtes Ziel waren auch hier wieder jene Tsche‐ politischer und geistiger Unterdrückung und chen, die teilweise schon lange vor dem Krieg ihre volle Gleichberechtigung auf sämtlichen Ge‐ nach Wien ausgewandert und dort geblieben wa‐ bieten völkischen und staatlichen Lebens“.58 Es ren. Diese „Post‐ und Bahnwenzel“ (da viele von sollte eine Besserung der Zustände durch „Zu‐ ihnen bei der Post oder Bahn beschäftigt waren) sammenfassung aller Schaffenden auf dem Bo‐ sollten für die aus der Tschechoslowakei ausge‐ den des Volkstums“59 erreicht werden. Bereits wiesenen Deutschen Platz machen.55 hier waren die antisemitistischen Grundsätze er‐ Ein weiteres, vielversprechendes Angriffsziel für kennbar, die anscheinend untrennbar mit dem die Partei waren die Juden, von denen viele aus Nationalsozialismus verbunden sind. Denn nicht den ehemaligen Gebieten der Monarchie nach das Privateigentum an sich wurde als schädlich Wien zogen. Problematisch war jedoch, dass es bezeichnet, sondern „alle Art arbeitslosen Ein‐ einerseits viele kleine nationale Parteien gab und kommens, wie Grundrente und Geldzins und dass andererseits ihre Themen auch von größe‐ den [sic!] der Not des Nächsten abgepresste Wu‐ ren Parteien bedient wurden, so auch vom Partei‐ chergewinn“.60 Auch wenn anhand des Inhalts programm der Christlichsozialen, das an mehre‐ völlig klar war, wer vorrangig damit gemeint ren Stellen antisemitische Forderungen enthielt.56 war, räumt das Programm durch explizite Nen‐ Es fehlten der österreichischen DNSAP auch die nung der Juden jegliche Zweifel am Antisemitis‐ finanziellen Mittel, um einen effektiven Wahl‐ mus der Partei aus dem Weg: „[Die Partei] be‐ kampf zu führen. Eine Listenkoppelung blieb der kämpft daher alle rückschrittlichen Bestrebun‐ Partei nicht erspart. gen, kirchlichen, adeligen und kapitalistischen Vorrechte und jeden fremdvölkischen Einfluß,

ihnen an verschiedenen Stellen Rechte leitet Kraus da‐ dentums und der jüdischen Presse verbündeten Par‐ raus ihre Rechtssubjektivität ab. Siehe KRAUS, Die poli‐ teien“ zu vertreten. Nachzulesen in BERCHTOLD, Öster‐ tische Partei als Rechtssubjekt 494f. reichische Parteiprogramme 176. 54 ROSENKRANZ, Schulz‐Gruppe 124. 57 WLADIKA, Hitlers Vätergeneration 580; MASER, Früh‐ 55 Ebd. 125. geschichte der NSDAP 238. 56 So u.a. das Wahlmanifest der christlich‐sozialen 58 RIEHL, Endziel (1923) 15f. Reichspartei von 1907, welches erklärte, „[dieses Pro‐ 59 Ebd.; ELSTE, Kärntner NSDAP 28. gramm] gegenüber den unter der Patronanz des Ju‐ 60 RIEHL, Endziel (1923) 15f.

Vom deutschen Gehilfenverein zur DNSAP 39 vor allem aber die überwuchernde Macht des jü‐ von Hitler und Feder verfassten Programm der disch‐händlerischen Geistes auf allen Gebieten Antisemitismus noch um einiges radikaler ausge‐ des öffentlichen Lebens.“61 prägt war, war der Kern der Forderungen Hinzu trat ein neuer, im Trautenauer Programm gleich.65 Es war auch das Jahr 1920, in dem die nicht vorhandener, Teil des Parteiprogrammes, erste gemeinsame, staatenübergreifende Tagung der eng mit den ideologischen Grundsätzen der der deutschen NSDAP und der österreichischen Partei in Verbindung stand. Dieser Programm‐ DNSAP in Salzburg stattfand.66 Die Leitung der punkt umfasste die „Zusammenfassung des ge‐ zwischenstaatlichen Kanzlei der Parteien wurde samten deutschen Siedlungsgebietes in Europa Walter Riehl übertragen.67 Noch hatte Walter zum demokratischen, sozialen, Deutschen Rei‐ Riehl die Parteiführung in Österreich inne, es che“ sowie den „tatkräftigen Schutz aller von un‐ sollte aber nicht lange dauern, bis Hitler immer serem Volke bewohnten aber von fremden Völ‐ mehr Einfluss auf die deutschösterreichische Par‐ kern beherrschten Gebiete“.62 Daraus ist auch das tei erlangte.68 Bekenntnis der DNSAP zum „Anschluss“ er‐ kennbar.63 Auch die Ablehnung eines politischen Pluralismus zeigt sich in der Forderung, die Die Wahlen zur konstituierenden Parteiherrschaft zu bekämpfen und über „ein‐ Nationalversammlung schneidende“ Gesetze das Volk abstimmen zu lassen.64 Die Wahl am 16. Februar 1919 brachte für die Par‐ tei eine herbe Enttäuschung. In den Wiener Das im Februar 1920 von Adolf Hitler und Gott‐ Wahlkreisen erreichte sie nur 0,7 % der Stim‐ fried Feder entworfene Parteiprogramm der men69 und insgesamt kein einziges Mandat.70 NSDAP weist viele Ähnlichkeiten mit dem Pro‐ gramm von Walter Riehl auf. Auch wenn in dem

61 Ebd.; RIEHL, Endziel (1918) 9. Redner geladen. Siehe dazu: ROSENKRANZ, Schulz‐ 62 RIEHL, Endziel (1923) 15f.; RIEHL, Endziel (1918) 11. Gruppe 132f.; JAGSCHITZ, Nationalsozialistische Partei 63 BRANDSTÖTTER, Dr. Walter Riehl 131. 233. Ein Flugblatt aus dem Jahr 1922, das zu einer Ver‐ 64 RIEHL, Endziel (1923) 15f. anstaltung, bei der Hitler, Riehl und Jung geladen wa‐ 65 Siehe Parteiprogramm in: BILLUNG, N.S.D.A.P. 145f; ren, einlud, findet sich im Wiener Stadt‐ und Landesar‐ HEIDEN, Geschichte des Nationalsozialismus 20f. chiv: WStLA, Gauarchiv: Parteigeschichte, 66 SCHILLING, Geschichte des Nationalsozialismus 7; 2.7.1.11.1.A1.207. Wann genau sich die deutsche DAP in NSDAP umbe‐ 67 DEUERLEIN, Aufstieg der NSDAP 121. nannte, ist nicht exakt feststellbar. Es soll jedoch Walter 68 Obwohl sich die deutschösterreichische, die deut‐ Riehl selbst gewesen sein, der vorschlug, dass die DAP sche und die tschechoslowakische Partei in ihren Zie‐ „nationalsozialistisch“ in ihren Namen aufnehmen len und Grundsätzen sehr ähnlich waren, sei noch ein‐ solle. Siehe dazu: HITLER, Mein Kampf 930 Rz 185. Ge‐ mal darauf hingewiesen, dass die deutschösterreichi‐ genteiliger Ansicht ist, wie oben erwähnt, Knirsch, der sche und die tschechoslowakische Partei ihre Führung ausdrücklich betont, dass die reichsdeutsche National‐ wählten. Siehe dazu PAULEY, Nationalsozialismus 40. sozialistische Arbeiterpartei völlig unabhängig von Die mangelnde Bereitschaft, Hitlers Führerprinzip der Deutschösterreichischen und der Tschechoslowa‐ umzusetzen, war es auch, die zur Auseinandersetzung kischen entstanden war. Ein regelmäßiger Kontakt zwischen Riehl – und später Schulz – und Hitler und zwischen den deutschen Arbeiterparteien zumindest damit zur Spaltung der Partei führte. ab 1920 ist aber gesichert belegt. Dies deckt sich auch 69 ROSENKRANZ, Schulz‐Gruppe 128. mit der Praxis der Partei, die sowohl zwischen ihren 70 https://bmi.gv.at/412/Nationalratswahlen/fi‐ lokalen Gruppierungen in der Monarchie als auch spä‐ les/NRW_1919.pdf (3. 9. 2019). ter zwischen der DNSAP Deutschösterreichs und jener der Tschechoslowakei regen Austausch pflegte. Nam‐ hafte Mitglieder wie etwa Riehl und Knirsch waren re‐ gelmäßig bei den Treffen der jeweils anderen Partei als

40 Carmen KLEINSZIG

Dies wurde von der Partei als äußerst enttäu‐ semitismuswelle gipfelte schließlich in einem Er‐ schend empfunden. Als Reaktion auf das lass des sozialdemokratischen niederösterreichi‐ schlechte Ergebnis begann die DNSAP, die Par‐ schen Landeshauptmannes Albert Sever, der eine teipresse zu vermehren und ihre Organisations‐ Ausweisung aller zugezogenen Juden ver‐ arbeit zu intensivieren.71 langte.75 Daran ist deutlich erkennbar, dass sich Bei den Landtagswahlen 1919 erlangte die Partei bis auf wenige Parteien alle an der Judenhetze be‐ in Salzburg zwei Mandate und im Wahlkreis teiligten, mit der man den Juden die Schuld am Wien‐Innen‐Ost (1., 3., 4. Bezirk) ein Mandat für verlorenen Krieg, an der Wohnungsnot und der den niederösterreichischen Landtag, in den man Lebensmittelknappheit zuschrieb.76 Walter Riehl entsendete. Riehl forderte dort die Aufhebung des Mieterschutzes für Nichtdeut‐ sche (v.a. „Ostjuden“), um Wohnungen für Nationalratswahlen 1923 „Arier“ frei zu machen, und die Einstellung der Die Frage, ob man für die Nationalratswahlen Ausgabe von Lebensmittelkarten an Juden sowie 1923 eine Einheitsliste mit der Großdeutschen die Entlassung aller „Fremdvölkischen“, die im Volkspartei bilden sollte, spaltete die Partei. Die Staatsdienst tätig waren.72 Mehrheit entschied sich gegen eine Teilnahme an Gleichzeitig kam es zur Gründung von Ortsver‐ den Wahlen.77 Walter Riehl, der sich für eine einen der DNSAP und zur Gründung des Wahlgemeinschaft mit den Großdeutschen aus‐ „Deutschösterreichischen Schutzvereines Antise‐ gesprochen hatte, wurde für diese Haltung stark mitenbund“, der sich der „Befreiung aus der jü‐ kritisiert.78 Statt zu einer Beteiligung an den Wah‐ dischen Herrschaft“ verschrieben hatte.73 Haupt‐ len entschloss man sich, den „Väterländischen thema waren die jüdischen Flüchtlinge aus der Schutzbund“ auszubauen und so das Führer‐ Bukowina und Galizien, die wegen der Kriegs‐ prinzip auch auf Österreich auszuweiten. Riehl, verwüstung und der antisemitischen Ausschrei‐ der mit dieser Entscheidung nicht einverstanden tungen in ihren Ländern nach Wien kamen. Das war, aber die Partei durch seine Gegenstimme Thema beschäftigte allerdings nicht nur die nicht spalten wollte, legte sein Amt nieder.79 Deutschnationalen und die Christlichsozialen, Seine Geschäfte wurden von Karl Schulz weiter‐ sondern auch die Sozialdemokraten.74 Die Anti‐ geführt und Riehl selbst wurde von allen Partei‐ geschäften beurlaubt.80

71 BRANDSTÖTTER, Dr. Walter Riehl 149. Schwindel nicht mitgemacht [zu haben]“ findet sich im 72 Ebd. 150f. Wiener Stadt‐ und Landesarchiv: WStLA, Gauarchiv: 73 In Kärnten „Väterländischer Schutzbund“ genannt, Parteigeschichte, 2.7.1.11.1.A1.207. welcher eine Keimzelle für die spätere SA war. ELSTE, 78 SCHILLING, Geschichte des Nationalsozialismus 79f; Kärntner NSDAP 33. Riehl orientierte sich dabei an der sudetendeutschen 74 Siehe z.B. das Parteiprogamm der Wiener Christ‐ Bruderpartei, die es durch Listenkoppelung mit den lichsozialen von 1919, welches den „Ausgleich zwi‐ Deutschnationalen in das Prager Parlament geschafft schen Interessen der verschiedenen Bevölkerungs‐ hatte. schichten auf christlicher, deutscher und antisemiti‐ 79 BRANDSTÖTTER, Dr. Walter Riehl 197; ELSTE, Kärntner scher Grundlage“ zu vertreten versprach. Nachzule‐ NSDAP 36. sen in BERCHTOLD, Österreichische Parteiprogramme 80 Die kommenden Jahre Riehls waren von politischer 1868–1966 364. Bedeutungslosigkeit und Distanzierung von der 75 LICHTBLAU, Antisemitismus 455. DNSAP geprägt. Mit seinen Anhängern gründete er 76 ROSENKRANZ, Schulz Gruppe 130; LICHTBLAU, Anti‐ den „Deutschsozialen Verein für Österreich“. 1930 trat semitismus 455. Riehl der Hitler‐Bewegung bei, wurde jedoch zwei 77 Ein Flugblatt, betitelt als „Die Wahlkomödie ist vo‐ Jahre später ausgeschlossen. 1933 distanzierte er sich rüber“, mit welchem die Partei erklärte „diesen

Vom deutschen Gehilfenverein zur DNSAP 41

Das Wahlergebnis zeigte, dass Riehl mit seiner der DNSAP noch von ihren Mitgliedern gewählt. Haltung gegenüber der Einheitsliste recht gehabt Über die deutschen Nationalsozialisten hatte Hit‐ hatte. Die Partei verzeichnete einen deutlichen ler bereits nahezu diktatorische Befugnisse – und Verlust an Stimmen, was zu Meinungsverschie‐ er war nicht gewillt, einen Widerspruch zu seiner denheiten innerhalb der Partei führte. Grund für Politik durch die wesentlich kleinere österreichi‐ die ideologische Spaltung war, dass viele der jün‐ sche Partei zu dulden.83 geren Parteimitglieder einen anderen Zugang Kurz nach Riehls Rücktritt fügte der gescheiterte zur Politik hatten. Das Leben der jüngeren Partei‐ Putsch in München der österreichischen Natio‐ mitglieder war nicht mehr bestimmt von dem nalsozialistischen Partei den nächsten schweren Kampf um „deutsche“ Arbeitsplätze in einem Schlag zu. Man sammelte Geld für die Verletzten tschechisch dominierten Umfeld, sondern von und die Hinterbliebenen der Verstorbenen und der Erniedrigung durch den verlorenen Krieg half, Teilnehmer des Putsches, unter anderem und die Pariser Vororteverträge.81 Die jungen Hermann Göring, nach Österreich zu schmug‐ Parteimitglieder glaubten nicht daran, dass Riehl geln.84 Die Stärke der Partei nahm nach dem ge‐ und seine Generation in der Lage waren, den scheiterten Putsch rapide ab. Sie konnte sich da‐ Traum von einem „alldeutschen Reich“ erfüllen von erst nach der Neugründung der deutschen zu können. Schulz, der Nachfolger Riehls, war NSDAP im Februar 1925 erholen. Mit der Neu‐ ein Gewerkschafter, der die Partei wieder zu ih‐ gründung erhielten auch die österreichischen rem Ursprung führen wollte und daher zwangs‐ Nationalsozialisten neuen Zulauf. Aber auch der läufig mit Hitler in Konflikt geraten musste.82 14. Zionistische Weltkongress, der im August 1925 in Wien stattfand und den die Partei zum Anlass für die Organisation von Protestver‐ Vom Hitlerputsch bis zum Ende sammlungen und Tumulte nutzte, verhalf der der Partei Partei zu neuer Anhängerschaft.85 Gleichzeitig spaltete der Weltkongress aber die jungen Anhä‐ Bei der fünften gemeinsamen Tagung der deut‐ nger erneut von der alten Führung, da letztere schen und (deutsch‐)österreichischen National‐ nicht auf die Straße gehen wollte. Schulz ver‐ sozialisten im August 1923 hatte Hitler seine Hal‐ suchte die jungen Mitglieder seiner Partei von ge‐ tung gegenüber der österreichischen Partei klar walttätigen Ausschreitungen abzuhalten. Die zu erkennen gegeben. Der Grund für die ableh‐ von Hitlers diktatorischer Führung und radikaler nende Haltung Hitlers gegenüber der österreichi‐ Rhetorik begeisterte Jugend der DNSAP war mit schen Partei ist wohl in der unterschiedlichen dem langsamen „Fortschritt“ der österreichi‐ Parteienstruktur zu finden; während die deut‐ schen Partei immer unzufriedener. Obwohl sche NSDAP das Führerprinzip schon früh par‐ Schulz im Februar 1926 einen letzten Versuch un‐ teiintern etabliert hatte, wurde die Parteiführung ternahm, mit dem er die Partei einen wollte,

erneut von den nationalsozialistischen Terrorakten. 81 BILLUNG, N.S.D.A.P. 59. Nach dem Anschluss 1938 versuchte er sich Hitler zu 82 ROSENKRANZ, Schulz‐Gruppe 178. unterstellen, wurde jedoch verhaftet. Nur eine Inter‐ 83 PAULEY, Nationalsozialismus 45. vention eines hohen Parteifunktionärs verhinderte 84 Ebd. 47; JAGSCHITZ, Nationalsozialistische Partei 233. seine Überführung in ein Konzentrationslager; siehe 85 BRANDSTÖTTER, Dr. Walter Riehl 227; LICHTBLAU, An‐ JAGSCHITZ, Nationalsozialistische Partei 233f. Doku‐ tisemitismus 456. mente über die Tätigkeit des Deutschsozialen Vereins, zum Teil von Riehl selbst verfasst, finden sich im Wie‐ ner Stadt‐ und Landesarchiv: WStLA, Gauarchiv: Par‐ teigeschichte, 2.7.1.11.1.A1.207.

42 Carmen KLEINSZIG mussten im Mai 1926 über 200 Mitglieder, näm‐ wobei die Hitlerbewegung seit Hitlers Wahler‐ lich jene, die sich von der DNSAP eine Parteipo‐ folg in Deutschland 1930 die Oberhand hatte. Die litik im Sinne und Stil Hitlers wünschten, aus der Hitlerbewegung wurde 1933 nach einer Reihe na‐ deutschösterreichischen Partei ausgeschlossen tionalsozialistischer Terrorakte von der Regie‐ werden. Die Ausgeschlossenen beantworteten rung Dollfuß aufgelöst.90 ihren Ausschluss mit der Gründung des soge‐ nannten „Hitlervereins“, der sich direkt Hitler unterstellte.86 Die DNSAP – Diese – erneute – Spaltung innerhalb der DNSAP eine faschistische Partei? sorgt für einige Verwirrungen und Verwechslun‐ gen, weshalb sie hier noch einmal kurz im Über‐ Dass es einen „roten Faden“ der ideologischen blick behandelt werden soll. Die DNSAP Entwicklung von Georg von Schönerer und den Deutschösterreich spaltete sich zuerst 1923, als Gehilfenvereinen bis zu der in (Deutsch‐) Riehl seine Parteifunktionen zurücklegte und ei‐ Österreich tätigen DNSAP gibt, und dieser Partei nen eigenen Verein gründete.87 Bezeichnet wird somit eine „Brückenfunktion“ zwischen dem dieses Fragment der Partei oft als „Riehl‐ Deutschnationalismus in der Habsburgermonar‐ Gruppe“. Bei den nach dem Rücktritt Riehls in chie einerseits, und der NSDAP Adolf Hitlers an‐ der DNSAP verbliebenen Mitgliedern handelt es dererseits zukommt, unterliegt keinem Zweifel. sich um die „Schulz‐Gruppe“, benannt nach dem Wesentlich schwieriger ist die Frage zu beant‐ Nachfolger Riehls, Karl Schulz. Es stellte sich für worten, ob die DNSAP selbst eine faschistische Schulz bald heraus, dass Hitler von ihm nur blin‐ Partei war, bzw. wo sich die ideologische Wand‐ den Gehorsam forderte und die Überzeugungen lung von den deutschnationalen, antisemitischen und Strukturen der DNSAP nicht berücksich‐ Vereinen zu einer nationalsozialistischen, fa‐ tigte. Jener Teil der DNSAP, der von Hitlers Poli‐ schistischen Partei vollzog. Nennt man als pri‐ tik begeistert war und eine radikalere nationalso‐ märe Merkmale der österreichischen Nationalso‐ zialistische Vorgehensweise der deutschösterrei‐ zialisten, dass sie den Anschluss befürworteten chischen Partei forderte, war es, der von Schulz und antisemitisch gesinnt waren, so müsste man im Mai 1926 aus der Partei aufgrund seiner Radi‐ wohl sehr vielen Parteien (Deutsch‐) kalität ausgeschlossen wurde. Ihrer politischen Österreichs eine nationalsozialistische Gesin‐ Einstellung entsprechend gründeten jene Mit‐ nung unterstellen. Der Anschlusswunsch wurde glieder den „Nationalsozialistischen Verein (Hit‐ u.a. aus wirtschaftlichen Gründen von einer brei‐ lerbewegung)“88 – auch „Hitlerverein“ genannt.89 ten Bevölkerungsgruppe geteilt und kann für sich allein nicht ausschlaggebend sein. Aber auch Jegliche Versuche in den Jahren 1927 und 1929, der Antisemitismus war weit verbreitet – was die Partei wieder zu vereinen, blieben erfolglos. Die beiden Gruppierungen bekämpften einander bis zur Auflösung der „Schulz‐Gruppe“ 1934,

86 JAGSCHITZ, Nationalsozialistische Partei 233, 235. 89 Aufgrund des Zeitpunktes ihrer Gründung ist davon 87 Der „Freundschaftbund Dr. Walter Riehl“ – später auszugehen, dass es sich sowohl beim „Deutschnatio‐ „Deutschsozialer Verein für Österreich“ genannt, be‐ nalen‐Verein“ als auch beim „Hitlerverein“ um Ver‐ stand hauptsächlich aus den Anhängern Riehls. Er eine i.S.d. Vereinsgesetz handelte. wurde am 3. 6. 1924 gegründet. Siehe dazu: BRANDSTÖ‐ 90 Siehe GARSCHA, Nationalsozialisten in Österreich TTER, Dr. Walter Riehl 216f. 103f. Die Auflösung erfolgte mit Verordnung vom 88 ROSENKRANZ, Schulz‐Gruppe 226. 19. 6. 1933, BGBl. 240/1933.

Vom deutschen Gehilfenverein zur DNSAP 43 man nicht oft genug betonen kann.91 Diese religi‐ „gewöhnliche“ Parteien in einem habituell an‐ öse und rassische Diskriminierung ist ein tief in schlussfreundlichen bzw. deutschnationalen und der Geschichte der Monarchie und Republik ver‐ antisemitischen politischen Umfeld gesehen wer‐ ankerter schwarzer Fleck, der nicht verharmlost den können, ist letztlich eine Definitionsfrage. werden sollte, indem man ihn als eine Ideologie darstellt, die allein dem Nationalsozialismus zu‐ kam und mit diesem auch wieder verschwand. Korrespondenz: Wo beginnt also der Faschismus? Hält man die Mag. Carmen KLEINZSIG Implementierung eines Führerprinzips für das Universität Wien wichtigste Merkmal, so muss man wohl zu dem Institut für Rechts‐ und Verfassungsgeschichte Schluss kommen, dass die DNSAP keine faschis‐ Schottenbastei 10–16 1010 Wien tische Partei war. Denn die Führung der DNSAP ORCID‐Nr. 0000‐0002‐5850‐4530 wurde – im Gegensatz zu Hitlers NSDAP – ge‐ wählt. Stellt man auf den Willen der Partei ab, durch Gewalt an die Macht zu kommen, so ent‐ Abkürzungen: stehen die ersten faschistischen Züge der DNSAP um das Jahr 1925, als die jungen Parteimitglieder Siehe das allgemeine Abkürzungsverzeichnis: [http://www.rechtsgeschichte.at/media/abk.pdf] beginnen, sich ausdrücklich für terroristische Akte auszusprechen. Orientiert man sich an ei‐ nem rassischen Antisemitismus, so wird man spätestens beim Waidhofener Verband (1890) Literatur: fündig. Dort verlangte man bereits einen, die Franz ADLGASSER, Die Mitglieder der österreichischen Nürnberger Rassegesetze gleichsam vorwegneh‐ Zentralparlamente 1848–1918. Konstituierender menden, Ariernachweis „bis ins dritte Glied“ für Reichstag 1848–1849, Reichsrat 1861–1918, 2 Bde. (Wien 2014). Parteimitglieder. Zuletzt darf auch nicht verges‐ Klaus BERCHTOLD, Österreichische Parteiprogramme sen werden, dass das Parteiprogramm der 1868–1966 (Wien 1967). DNSAP von 1918 viele Gemeinsamkeiten mit Alfred BERNER, Vom Gesellenverein zum nationalen dem Parteiprogramm der NSDAP von 1920 hat. Sozialismus. Betrachtungen über die Entwicklung der nationalsozialistischen Bewegung (Troppau Aufgrund der schwer fassbaren Definition des 1930). Faschismus ist eine klare Zuordnung der DNSAP R. BILLUNG, N.S.D.A.P. Die Geschichte einer Bewegung nicht. möglich Vielmehr sollte eine differenzierte (München 1931). Betrachtung herangezogen werden. Einzig die ab Rudolf BRANDSTÖTTER, Dr. Walter Riehl und die Ge‐ 1926 in Österreich tätige Hitlerbewegung kann schichte der nationalsozialistischen Bewegung in aufgrund ihrer Gewaltbereitschaft und ihrer Un‐ Österreich (ungedr. phil. Diss., Univ. Wien 1969). Alois CILLER, Vorläufer des Nationalsozialismus. Ge‐ terordnung unter Hitler eindeutig als faschisti‐ schichte und Entwicklung der nationalen Arbeiter‐ sche, nationalsozialistische Partei bezeichnet bewegung im deutschen Grenzland (Wien 1932). werden. Ob auch ihre deutschnationalen, antise‐ Ernst DEUERLEIN, Der Aufstieg der NSDAP in Augen‐ mitischen Vorgänger als faschistische, oder als zeugenberichten (Düsseldorf 1968).

91 Ein prominentes Beispiel hierfür wäre wohl der Me‐ Jude, ebensowenig wie ein Perser, oder ein Franzose diziner Theodor Billroth, der, scheinbar völlig unre‐ oder ein Neuseeländer, oder Afrikaner, je ein Deut‐ flektiert, den rassischen Antisemitismus in seinem scher werden kann […]“ siehe hierzu ausführlich: Buch „Über das Lehren und Lernen der medizinischen WLADIKA, Hitlers Vätergeneration 45. Wissenschaft an den Universitäten“ vertrat: „daß ein

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Alfred ELSTE, Stationen der Kärntner NSDAP 1919– u.a. (Hgg.), Handbuch des politischen Systems Ös‐ 1933: Von der völkischen Protestpartei zur aufstre‐ terreichs. Erste Republik 1918–1933 (Wien 1995) benden Massenbewegung, in: DERS., Dirk HÄNISCH 454–471. (Hgg.), Auf dem Weg zur Macht. Beiträge zur Ge‐ Jiří MALÍŘ, Die Parteien in Mähren und Schlesien und schichte der NSDAP in Kärnten von 1918 bis 1938 ihre Vereine, in: Helmut RUMPLER, Peter URBANI‐ (Wien 1997) 27–62. TSCH (Hgg.), Die Habsburger Monarchie 1848– Dan GAWRECKI, Německá dělnická Strana 1904–1919. K 1918, Band VIII/1 (Wien 2006) 705–803. pronikání buržoazního nacionalismu do děl‐ Jiří MALÍŘ (Hg.), Politické strany: vývoj politických nického hnutí [Die deutsche Arbeiterpartei 1904– stran a hnutí v českých zemích a Československu 1918. Zum Einbruch des bourgeoisen Nationalis‐ 1861–2004. I. díl, Období 1861–1938 [Politische Par‐ mus in die Arbeiterbewegung], in: Slezský sbornik teien: Entwicklung der politischen Parteien und Be‐ [Schlesischer Almanach] (Opava 1971) 29–41, 81– wegungen in den böhmischen Ländern und der 89. Tschechoslowakei 1861‐2004. Teil I, Zeitraum 1861‐ Winfred R. GARSCHA, Nationalsozialisten in Österreich 1938] (Brno 2005). 1933–1938, in: Emmerich TÁLOS, Wolfgang NEUGE‐ Werner MASER, Die Frühgeschichte der NSDAP. Hit‐ BAUER (Hgg.), Austrofaschismus. Politik – Ökono‐ lers Weg bis 1924 (Frankfurt–Bonn 1965). mie – Kultur 1933–1938 (Wien 2005) 100–20. Ernst MAYRHOFER, Handbuch für den politischen Ver‐ Alfred HANKE, Die nationale Bewegung in Aussig von waltungsdienst in den im Reichsrathe vertretenen 1848–1914. Ein Beitrag zur Geschichte des deut‐ Königreichen und Ländern mit besonderer Berück‐ schen Nationalismus in den Sudentenländern sichtigung der diesen Ländern gemeinsamen Ge‐ (Prag 1943). setze und Verordnungen, Bd. II (Wien 51896). Adolf HITLER, Mein Kampf. Eine kritische Edition, Bruce F. PAULEY, Der Weg in den Nationalsozialismus. Bd. 1, hg. v. Christian HARTMANN u.a. (München– Ursprünge und Entwicklung in Österreich (Wien Berlin 2016). 1988). Konrad HEIDEN, Geschichte des Nationalsozialismus. Jiři POKORNÝ, Vereine und Parteien in Böhmen, in: Hel‐ Die Karriere einer Idee (Berlin 1932). mut RUMPLER, Peter URBANITSCH (Hgg.), Die Habs‐ Lothar HÖBELT, Kornblume und Kaiseradler. Die burger Monarchie 1848–1918, Bd. VIII/1 (Wien deutschfreiheitlichen Parteien Altösterreichs 1882– 2006) 609–703. 1918 (Wien 1993). Ilse REITER‐ZATLOUKAL, Christiane ROTHLÄNDER, Pia Gerhard JAGSCHITZ, Die Nationalsozialistische Partei, SCHÖLNBERGER (Hgg.), Österreich 1933–1938. Inter‐ in: Emmerich TÁLOS u.a. (Hgg.), Handbuch des po‐ disziplinäre Annäherungen an das Dollfuß‐/ litischen Systems Österreichs. Erste Republik 1918– Schuschnigg‐Regime (Wien 2012). 1933 (Wien 1995) 231–244. Walter RIEHL, Unser Endziel. Eine Flugschrift für den Hans KNIRSCH, Aus der Geschichte der deutschen nati‐ deutschen Nationalsozialismus (Wien 1918, 51923). onalsozialistischen Arbeiterbewegung Alt‐Öster‐ Hannes ROSENKRANZ, Die „Schulz‐Gruppe“ der reich und der Tschechoslowakei (Aussig 1931). NSDAP (phil. Diss., Univ. Wien 2004). Friedrich KORNAUTH, Graf Badeni als Ministerpräsi‐ Alexander SCHILLING, Dr. Walter Riehl und die Ge‐ dent (phil. Diss., Univ. Wien 1949). schichte des Nationalsozialismus (Berlin 1933). Gaston J. KRAUS, Die politische Partei als Rechtssub‐ Helmut SLAPNICKA, Die böhmischen Länder und die jekt: politische Partei und Wahlpartei, in: JBl (1929) Slowakei 1919–1945, in: Karl BOSL (Hg.), Handbuch 493–498. der Geschichte der böhmischen Länder, Bd. IV: Der Hans KREBS, Emil LEHMANN, Wir Sudentendeutsche! Tschechoslowakische Staat im Zeitalter der moder‐ (Berlin 1938). nen Massendemokratie und Diktatur (Stuttgart Arthur LENHOFF, Die politische Partei als Rechtssub‐ 1970) 2–151. jekt, in: JBl (1929) 250–251. Thomas WEBER, Wie Adolf Hitler zum Nazi wurde. Albert LICHTBLAU, Antisemitismus – Rahmenbedin‐ Vom unpolitischen Soldaten zum Autor von „Mein gungen und Wirkungen auf das Zusammenleben Kampf“ (Berlin 2016). von Juden und Nichtjuden, in: Emmerich TÁLOS Michael WLADIKA, Hitlers Vätergeneration. Die Ur‐ sprünge des Nationalsozialismus in der k.u.k. Mo‐ narchie (Wien 2005).