Marianne Zelger-Vogt Heinz Kern

Strauss

Rosenkavalier-Druckfreigabe.indd 1 13.01.2014 11:56:34 Weitere Bände der Reihe OPERNFÜHRER KOMPAKT: Daniel Brandenburg . Verdi . Rigoletto Detlef Giese . Verdi . Aida Michael Horst . Puccini . Tosca Malte Krasting . Mozart . Così fan tutte Silke Leopold . Verdi . La Traviata Robert Maschka . Beethoven . Fidelio Robert Maschka . Wagner . Tristan und Isolde Volker Mertens . Wagner . Der Ring des Nibelungen Clemens Prokop . Mozart . Don Giovanni Olaf Matthias Roth . Puccini . La Bohème Olaf Matthias Roth . Donizetti . Lucia di Lammermoor

Marianne Zelger-Vogt war von 1977 bis 2009 Feuilletonredakteurin der Neuen Zürcher Zeitung und hat als Musikjournalistin das internationale Opernleben der letzten Jahrzehnte an zentralen Schauplätzen verfolgt. Nach Publikationen über das Zürcher Opernhaus und die Zürcher Tonhalle gab sie 2012 mit der Mezzosopranistin Vesselina Kasarova das Buch Ich singe mit Leib und Seele. Über die Kunst, Sängerin zu sein bei Bärenreiter und Henschel heraus.

Heinz Kern leitete nach dem Studium der Germanistik, Anglistik und Musik- wissenschaft eine Konzertagentur, ein Sprechtheater und ein Künstlerhaus. Sein besonderes Engagement gilt der Kunst- und Musikvermittlung. Von 2003 bis 2012 stellte er im Zürcher Vortragszyklus Pocket Opera einem interessierten Laienpublikum rund 100 Meisterwerke der Opernliteratur vor.

Rosenkavalier-Druckfreigabe.indd 2 13.01.2014 11:56:34 OPERNFÜHRER KOMPAKT

Marianne Zelger-Vogt Heinz Kern Strauss Der Rosenkavalier

Rosenkavalier-Druckfreigabe.indd 3 13.01.2014 11:56:35 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

© 2014 Bärenreiter-Verlag Karl Vötterle GmbH & Co. KG, Kassel Gemeinschaftsausgabe der Verlage Bärenreiter, Kassel, und Seemann Henschel GmbH & Co. KG, Leipzig Umschlaggestaltung: Carmen Klaucke, Berlin, unter Verwendung eines Fotos von Martin Sigmund (Mojca Erdmann als Sophie in der Inszenierung des »Rosenkavaliers« von Stefan Herheim, Staatstheater Stuttgart / Oper Stuttgart 2009) Lektorat: Ilka Sührig Innengestaltung: Dorothea Willerding Satz: EDV + Grafik, Christina Eiling, Kaufungen Korrektur: Kara Rick, Eberbach Notensatz: Tatjana Waßmann, Winnigstedt Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck ISBN 978-3-7618-2248-7 (Bärenreiter) . ISBN 978-3-89487-919-8 (Henschel) www.baerenreiter.com . www.henschel-verlag.de

Rosenkavalier-Druckfreigabe.indd 4 13.01.2014 11:56:35 Inhalt

»Allen Seelen zur Freude« – Eine Komödie mit Tiefsinn 7

Richard Strauss – Leben und Werk im Spiegel der Zeit 9 »Alles ging leicht« 10 . Das übermächtige Vorbild Wagner 11 . Selbstfindung in der Antike 14 . Hofmannsthal, der ideale Part- ner 17 . Komponierte Autobiografie 19 . Schatten über den Alters­jahren 19 . Ambivalentes Verhalten im Dritten Reich 21 . Abschiede 22 . Historische, biografische und werkspezifische Daten 26

Sujet und Entstehungsgeschichte »Auch zweier Menschen Werk kann ein Ganzes sein« 31 Französische Ahnen 32 . Lachen oder Lächeln? 35 . Die Aura Wiens 39 . Frau Paulines Befehl 41 . Die Handlung 43 . Die Figurenkon­stel­la­tion 45

Die musikalische und dramaturgische Gestaltung 48 Mozart und Wagner als Paten 48 . 1. Akt: Folgenreiches Verklei- dungsspiel 50 . 2. Akt: Auf dem Weg zum Ziel 64 . 3. Akt: Jäher Fall und Neuanfang 79

Inszenierungs- und Aufführungsgeschichte 88 Die Uraufführung in Dresden 88 . Erstaufführungen in Deutsch- land und Europa 100 . Langes Nachleben der Modellinszenierung und neue Lesarten 102 . »Mit den gewöhnlichen Opernsängern geht’s schon wieder nicht«: Die Kunst, Strauss zu singen 111

Jenseits der Bühne 115 Der Stummfilm 115 . Die erste Verfilmung der Oper 122 . Disko- grafie 122

Eine Liebesbeziehung – Franz Welser-Möst über den »Rosenkavalier« 127

Anhang 133 Glossar 133 . Zitierte und empfohlene Literatur 134 . Abbildungs- nachweis 136

Rosenkavalier-Druckfreigabe.indd 5 13.01.2014 11:56:35 Rosenkavalier-Druckfreigabe.indd 6 13.01.2014 11:56:35 »Allen Seelen zur Freude« Eine Komödie mit Tiefsinn

Nach der zweiten Aufführung des Rosenkavaliers in Dresden schrieb der Textdichter seinem Vater, er glaube, »dass es wirklich ein sehr großer Er- folg werden wird und habe auch (…) die Empfindung, dass sich diese Oper durch viele Jahre, vielleicht durch Jahrzehnte auf dem Repertoire halten wird«. Inzwischen ist mehr als ein volles Jahrhundert vergangen, und der Erfolg des ersten Gemeinschaftswerkes von und hält unvermindert an. Allein schon das Wort »Rosen- kavalier«, welches die zwei gleichermaßen positiv besetzten Begriffe »Ro- sen« und »Kavalier« verbindet, weckt freudige Erwartung, verheißt etwas Schönes, Festliches. Ob die tiefsinnige Komödie unter einem anderen Ti- tel – »Ochs von Lerchenau«, aber auch »Mariandel« oder »Der Vetter vom Land« wurden ernsthaft diskutiert – ebenso populär geworden wäre? Außer Frage steht, dass der Rosenkavalier ein Meisterwerk ist. Im fließenden Wechsel von intimen Szenen und pittoresken Gruppenbildern wird eine ganze Epoche lebendig, das barocke Wien der Kaiserin Maria Theresia, wie es der Dichter aus historischen Quellen und aus seiner Vor- stellungskraft nachgebildet hat. Neuere Inszenierungen mögen sich nicht mehr an die minuziösen Vorgaben des Textbuches halten und die Hand- lung in die Entstehungszeit des Werkes oder in die Gegenwart versetzen – das musikalische und sprachliche Idiom, das Strauss und Hofmannsthal in kongenialer Partnerschaft erschaffen haben, bleibt einzigartig und un- verwechselbar. Ihre Breitenwirkung verdankt die Oper vor allem der Musik, die, re- duziert auf eine Walzerfolge, auch die Konzertsäle erobert hat. Doch den Kennern und Liebhaberinnen ist Hofmannsthals altwienerische Kunst- sprache nicht weniger kostbar, und sie zitieren das wie ihre Haus- bibel. Für fast jede Lebenslage hält es eine passende Sentenz, eine ele-

7

Rosenkavalier-Druckfreigabe.indd 7 13.01.2014 11:56:35 gante Wendung bereit. Tiefsinniges lässt sich mit Worten der Marschallin aussprechen: »Jedes Ding hat seine Zeit«; »Wer allzu viel umarmt, der hält nichts fest«; »Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding«. Für Alltagssituationen ist der Part des Ochs auf Lerchenau ergiebiger: »Wo hat Er seine Manie- ren gelernt?«; »Kost’ sicher hier ein Martergeld«. Dass der Baron seiner- seits Manieren gelernt hat, bezeugt die Phrase »Dies liegt in Euer Gnaden allerschönsten Händen«. Mit den ersten Worten, die Octavian zu Sophie spricht, lassen sich nicht nur silberne Rosen formvollendet überreichen: »Mir ist die Ehre widerfahren.« Und wer sich der Jugend gegenüber tole- rant geben will, mag mit Faninal sagen: »Sind halt aso, die jungen Leut’!« Die Beispiele ließen sich beliebig vermehren. Es trifft zu, was Hofmannsthal in einem Geleitwort notiert hat: »Diese Figuren haben sich längst von ihrem Dichter abgelöst«, sie exis- tieren, als wären sie schon immer da gewesen. Wer einmal in ihren Bann- kreis geraten ist, den begleiten sie durch das ganze Leben, bald die eine, bald die andere als Idealbild und Identifikationsobjekt. Was diese Büh- nengestalten erleben, widerfährt früher oder später jedem Menschen: das Glück der jungen Liebe, Abschied, Verzicht, der Schmerz der Trennung, aber auch die Lust an einem frechen Streich und der Frust einer Blamage. Nicht zu vergessen die teils zarte, teils derbe Erotik, die dieser Oper inne- wohnt. Die Zensur konnte zur Zeit der Uraufführung zwar Textänderun- gen verordnen, doch gegen die Sinnlichkeit der straussschen Musik war sie machtlos. Diese Musik, meinte Hofmannsthal in seinem »Ungeschrie- benen Nachwort zum ›Rosenkavalier‹«, verbinde alles und kenne nur ein Ziel: »die Eintracht des Lebendigen sich ergießen zu lassen, allen Seelen zur Freude«. Das vorliegende Buch möchte dazu beitragen, die Freude zu vertiefen.

8

Rosenkavalier-Druckfreigabe.indd 8 13.01.2014 11:56:35 Richard Strauss Leben und Werk im Spiegel der Zeit

Richard Strauss ist der Sohn eines sehr gegensätzlichen Paares. Sein Va- ter Franz Joseph stammt aus einfachen Verhältnissen, bringt es aber als Erster Hornist an der Münchner Hofoper und Professor an der Königli- chen Akademie zu hohem Ansehen. Er gilt als »Charakter«, als knorri- ger, eigenwilliger Mensch. Sein Musikerherz schlägt für Mozart, Haydn und Beethoven, während er Wagner verabscheut. Zu Hause kann heftig, tyrannisch und jähzornig sein. Er ist bereits 42, 16 Jahre älter als seine Frau Josephine, als am 11. Juni 1864 Richard geboren wird. Strauss’ Mutter Josephine entstammt der bekannten und wohlhabenden Münchner Brauersfamilie Pschorr und ist von ganz anderem Naturell als ihr Gatte: mild, gütig, bescheiden, empfindsam. Die Gegensätzlichkeit der Eltern scheint die Persönlichkeit des Sohnes nicht belastet zu haben, viel- mehr finden in ihm deren positive Eigenschaften glücklich zusammen. Der Einklang von Künstlertum und (Groß-)Bürgertum hat sein gan- zes Leben geprägt, ihn aber für jene Zeitgenossen und Nachgeborenen, welche von der Kunst unverschlüsseltes gesellschaftskritisches Engage- ment forderten, suspekt gemacht. Anders als der elf Jahre jüngere Thomas Mann, dem er in seinem Lebensstil und seiner Arbeitsdisziplin verwandt ist, hat sich Strauss in seiner herausragenden künstlerischen Position über das politische Zeitgeschehen erhaben gefühlt. Als Dirigent machte er in der Weimarer und der österreichischen Republik genauso Karriere wie zuvor im königlichen München, im kaiserlichen Berlin und im habsbur- gischen Wien, und der wachsenden Verbreitung seines kompositorischen Œuvres haben die politischen Wechselfälle so wenig anhaben können wie seine stilistische Entwicklung vom Revolutionär zum Traditionalisten. Ei- ner Gesinnungsprüfung hat er sich erst als Siebzigjähriger zu stellen, als die Nationalsozialisten an die Macht kommen. Bis dahin aber steht das

9

Rosenkavalier-Druckfreigabe.indd 9 13.01.2014 11:56:35 Leben dieses nach Umfang, Vielfalt und Dauer seines Schaffens bedeu- tendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts im Zeichen der Harmonie, des Erfolgs und des Glücks.

Fülle und Vielfalt des Werks Im Lauf seines langen Lebens hat Strauss eine schier unüberblickbare Zahl von Werken komponiert. Die nach Gattungen gegliederte Auflistung in dem von Walter Werbeck verfassten Artikel »Richard Strauss« in der Enzyklopädie Die Musik in Geschichte und Gegenwart beansprucht 15 volle Spalten, wobei nur die vollständigen Kompositionen aufgeführt sind. Zwar wird Strauss vor allem mit seinen Opern, Tondichtungen und Liedern identifiziert, doch sein Œuvre umfasst auch Chorwerke, Ballette und Tanzmusik, Schauspiel- musiken, Orchesterwerke, Kammermusik, Kompositionen für Bläser, Werke für Klavier und andere Tasteninstrumente, überdies Bearbeitungen eigener und fremder Werke, unter diesen Mozarts Idomeneo, zu dessen Wiederent- deckung im 20. Jahrhundert Strauss entscheidend beigetragen hat.

»Alles ging leicht«

Innere und äußere Lebensumstände wirken darauf hin, dass Richard Strauss schon in frühester Jugend ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein ent- wickelt. Das 1871 gegründete Deutsche Reich befindet sich in einem bei- spiellosen Aufschwung, Wirtschaft und Kultur florieren. Die Familie gibt dem Knaben Geborgenheit, vor allem aber kann er auf seine eigenen, früh erkannten Talente vertrauen. Dabei ist er ein ganz normales Kind, lebhaft, fröhlich und beliebt. Seine drei Jahre jüngere Schwester Johanna schreibt in ihren Jugenderinnerungen: »Mit sechs Jahren kam Richard in die Dom- schule. Es machte ihm Freude, alles ging leicht und regte ihn an und er hatte sofort eine Menge Freunde.« Auch im Ludwigs-Gymnasium erhält er glänzende Qualifikationen: »Nur wenige Schüler gibt es, die in gleichem Grade wie dieser Knabe Pflichtgefühl, Talent und Lebhaftigkeit in sich vereinen (…) er lernt ebenso gern als leicht (…). Seine Aufmerksamkeit beim Unterricht ist sehr groß, nichts entgeht ihm. Und doch kann er kaum eine Minute lang ruhig sitzen (…) Ungetrübte Heiterkeit und Fröhlichkeit lacht ihm aus blauen Augen Tag für Tag.« Abgerundet wird das liebevolle

10

Rosenkavalier-Druckfreigabe.indd 10 13.01.2014 11:56:35 Porträt mit der nüchternen Feststellung: »Strauss ist ein angehendes Mu- siktalent.« Dieses Talent wird schon sehr früh gefördert. Mit viereinhalb Jahren erhält der Knabe den ersten Klavierunterricht, in seinem ersten Schuljahr kommt die Geige hinzu und bereits zu Beginn des Gymnasi- ums der Kompositionsunterricht bei Hofkapellmeister Friedrich Wilhelm Meyer. Die sorgfältig ausgesuchten Lehrer sind Kollegen und Freunde des Vaters. Meyers Unterricht ist so umfassend, dass Richard Strauss nie eine Musikschule zu besuchen braucht. Das Komponieren ist für ihn buch- stäblich ein Kinderspiel. Als erstes Werk des Sechsjährigen entsteht ein Weihnachtslied. Im Hinblick auf sein späteres Schaffen als Opernkom- ponist ist vor allem ein Chor zur des Sophokles erwähnenswert, der anlässlich einer Schulfeier aufgeführt wird. Sein »reifes Verständnis« für die antiken Klassiker wird 1882 im Abiturzeugnis bestätigt, nebst den »rühmenswerten« Kenntnissen in Geschichte. Nach dem Abitur immatrikuliert sich Strauss 1882 an der Münchner Universität zum Studium der Philosophie, Ästhetik und Kunstgeschichte. Das entspricht seinen Interessen, doch einen Abschluss strebt er nicht an, denn es steht bereits fest, dass er die Musikerlaufbahn einschlagen wird. Die Vorlesungen besucht er zur Vertiefung seiner Allgemeinbildung. Sein kultureller Horizont weitet sich, als ihm der Vater im Winter 1883 einen längeren Aufenthalt in Berlin und Dresden finanziert. Er besucht die Oper, lernt Künstler und Schriftsteller und natürlich auch viele Musiker kennen, unter ihnen Hans von Bülow, welcher dort Strauss’ Bläserserenade op. 7 aufführt und bei ihm ein neues Stück bestellt. Bülow, der »grimmige Geg- ner« von Vater Strauss, Wagner-Schüler und erster Ehemann von Wagners Frau Cosima, ist damals Chef der Meininger Hofkapelle und wird zum wichtigsten Förderer des Sohnes, indem er diesem den Weg zur Dirigen- tenlaufbahn öffnet. Im Mai 1885 sondiert er, ob Strauss bereit wäre, ihn während seiner Urlaube zu vertreten.

Das übermächtige Vorbild Wagner Strauss nimmt das Angebot sofort an. Am 9. Juli 1885 ernennt der kunst- sinnige Meininger Herzog Georg II. den gerade 21-Jährigen zum Hofmu- sikdirektor, am 1. Oktober tritt Strauss sein Kapellmeisteramt an. Damit beginnt eine Karriere, die für sich allein schon genügen würde, Strauss einen Platz unter den herausragenden Musikerpersönlichkeiten sei- ner Zeit zu sichern. Die Hauptstationen seines Wirkens liegen alle im deutschen Sprachraum: Nach Meiningen sind es München (1886−1889

11

Rosenkavalier-Druckfreigabe.indd 11 13.01.2014 11:56:35 und 1894−1898), Weimar (1889−1894), Berlin (1898−1919) und Wien (1919−1924). In Meiningen erarbeitet er sich in kürzester Zeit das Konzert­ repertoire, in Weimar dirigiert er erstmals Wagner-Opern, woraus dann eine enge Beziehung zu Cosima Wagner und den Bayreuther Festspielen resultiert. Die längste und glücklichste Periode sind die Jahre in Berlin, wo er nicht nur zum Generalmusikdirektor der Hofoper und der Hofkapelle avanciert, sondern auch sein eigenes Orchester gründet, das Berliner Ton- künstler-Orchester, welches sich der Aufführung zeitgenössischer Werke, natürlich auch seiner eigenen, widmet. Die Berufung zum Kodirektor der Wiener Staatsoper (an der Seite von Franz Schalk) bedeutet die Krönung einer Laufbahn, deren Gravitationszentrum sich von der sinfonischen Mu- sik zunehmend zur Oper verlagert hat. Dass Strauss in Wien indirekt die Nachfolge seines früh verstor- benen Kollegen Gustav Mahler antritt, legt Vergleiche nahe. Beide sind sie in der Musikgeschichte auch insofern Ausnahmeerscheinungen, als sie als Komponisten und Dirigenten gleichermaßen Weltruhm erlangt haben. Unabhängig von ihrer Aura als Interpreten eigener Werke hatten sie nach

Der Kapellmeister Richard Strauss begann seine Karriere als Dirigent und brachte es in die- ser Kunst schon zu internationalem Ansehen, bevor er sich als Komponist etablierte. Dirigieren empfand er als seinen Brotberuf und stand auch zeit- lebens dazu. Der große Wagner-Sänger Hans Hotter wunderte sich einmal, den über 70-jährigen, nunmehr weltberühmten Komponisten im Telefonbuch unter folgendem Eintrag zu finden: »Dr. Strauss, Richard, Kapellmeister«. Aus zahlreichen Bemerkungen von Orchestermusikern, Kritikern, Konzertbesuchern und anderen Zeitzeugen lässt sich über Strauss’ Dirigie- ren immer wieder der gleiche gemeinsame Nenner heraushören: Der junge Kapellmeister war in seiner Gestik äußerst lebhaft, in späterer Zeit kam er mit sparsamsten Bewegungen, oft sogar nur mit Blickkontakten aus. Seine Interpretationen schlugen einen großen Bogen von Anfang bis Ende, der Orchesterklang war schlank, bei flüssiger Agogik und Dynamik, und einen besonders mitreißenden Elan erhielten seine Wiedergaben durch häufiges Dirigieren der 4/4-Passagen auf zwei Schläge (alla breve). Diese Neigung zu schnellen Tempi kommt auch in seinen Kompositionen zum Tragen. Adorno meinte, ein Grundmerkmal im Werk von Strauss sei der »Schwung«, und Willi Schuh bezeichnete Strauss einmal als »Allegro-Komponisten«.

12

Rosenkavalier-Druckfreigabe.indd 12 13.01.2014 11:56:35 heutigen Begriffen den Status von Stardi- rigenten mit internationalem Wirkungs- feld. Eine Gemeinsamkeit zwischen den beiden Freunden, die ihre Schöpfungen gegenseitig zur Aufführung bringen, be- steht in der Vorliebe für Vokal- und groß besetzte Orchesterwerke. Gegensätzlich verhalten sie sich jedoch gegenüber der erdrückenden musikdramatischen Hin- terlassenschaft Wagners. Mahler refor- miert die Oper, indem er für einen neuen Darstellungsstil und eine neue szenische Ästhetik kämpft, er trägt aber als Kom- ponist nichts zu deren Fortleben bei. Für Strauss dagegen wird die Bewältigung des »ungeheuren Gipfels« Wagner zur künst- lerischen Lebensaufgabe. Dass sein Vater Wagner verabscheute und sich mit ihm denkwürdige Wortgefechte lieferte, hat den Sohn nicht daran gehindert, dessen Musik mit offenen Sinnen zu begegnen. Bekannt geworden ist er mit ihr wie auch mit dem Œuvre Liszts schon durch seinen ersten Kompositi- onslehrer Friedrich Wilhelm Meyer. Als er dann in Meiningen Alexander Ritter kennenlernt, Geiger im Hoforchester, Freund Bülows und Kenner von Wagners Werk, ist der Bann gebrochen. Ritter, mit dem er sich rasch anfreundet, ermuntert ihn, den Ver- such zu wagen: »Ohne seinen Ansporn und seine Mitarbeit wäre ich, in meinem heillosen Respekt vor dem Riesenwerk Richard Wagners, wohl kaum auf die Idee gekommen, eine Oper zu schreiben.« Das Resultat ist . In Wagners Nachfolge hat Der 29-jährige Richard Strauss als Diri- Strauss den Text des in einer mittelalterli- gent in Weimar. chen Ritterwelt spielenden Werkes selbst verfasst, und die Musik wie die Hand- lungselemente aus dem Umkreis von Tannhäuser, Parsifal und Lohengrin verweisen gleichfalls auf das übermächtige Vorbild. Der Erfolg des 1894 in Weimar uraufgeführten Erstlings ist so bescheiden, dass Strauss in den folgenden sechs Jahren kein weiteres Bühnenwerk komponiert. Auch der zweite Versuch, der derb-heitere Einakter (1901) misslingt.

13

Rosenkavalier-Druckfreigabe.indd 13 13.01.2014 11:56:35 Frau Pauline Eine zentrale Rolle im Leben von Strauss spielt seine Ehefrau Pauline. Sie ist nicht nur verständnisvolle Partnerin, Mutter des geliebten Sohnes Franz und energische Haushaltvorsteherin; als temperamentvolle, oft kapriziöse Muse stimuliert sie auch die Kreativität des Komponisten. Die 1863 gebo- rene Tochter des musikliebenden bayerischen Generals Adolf de Ahna ist in München Strauss’ Gesangsschülerin. 1889 folgt sie ihm nach Weimar, wo sie bald an die Oper engagiert wird und u. a. als Wagners Elsa, Elisabeth, Eva und Isolde sowie als Leonore in Beethovens Fidelio auftritt. Kurz vor der Uraufführung des Guntram, bei der sie die Freihild singt, verlobt sich das Paar, im September 1894 findet die Hochzeit statt. Paulines Ansehen ist in der Strauss-Biografie nicht das beste, und der Komponist selbst hat dazu beigetragen, indem er ihrer notorischen Launenhaftigkeit und Eifersucht in seiner »Bürgerlichen Komödie« Inter­ mezzo ein humoristisches Denkmal setzte. Doch wer sich an den kursieren- den Pauline-Anekdoten ergötzt, sollte sich auch jenen Brief in Erinnerung rufen, den sie am 24. März 1894 auf Strauss’ Antrag hin geschrieben hat, schwankend zwischen den Gefühlen »des Glücks und der Angst vor dem neuen Leben«, im Bewusstsein ihrer Schwächen – er kenne ja ihre Launen, »ach Gott, und nun soll ich so plötzlich ein wahres Muster von Hausfrau werden« – wie, mehr noch, ihrer künstlerischen Begabung. »So schnell, lie- ber Freund, brauchen wir wirklich nicht zu heiraten; wenn sich jedes zuerst allein gewöhnen könnte, in seinem Berufe alles Glück zu finden«, denn: »das größte Glück ist doch unsere Kunst«. Eine Fortsetzung ihrer Bühnen- laufbahn scheint mit dem Status als Komponisten-Gattin unvereinbar zu sein. Als ideale Interpretin von Strauss’ Liedern tritt Pauline allerdings bis 1906 noch in Konzerten auf. Hofmannsthal hat sie dem Komponisten später als Modell für die Färberin in der Frau ohne Schatten vorgeschlagen: »es ist halt eine bizarre Frau mit einer sehr guten Seele im Grund, unbe- greiflich, launisch, herrisch, und dabei doch sympathisch«.

Selbstfindung in der Antike Dabei ist Strauss für die Oper geradezu prädestiniert: Seit frühester Jugend geschult in der Behandlung der Singstimme, bewandert in Geschichte und Mythologie, Augenmensch ebenso sehr wie Ohrenmensch, Kenner und Liebhaber der Literatur – er »reagiere eben sehr stark auf glückliche Worte«, bekannte er noch in hohem Alter seinem Biografen Willi Schuh –, verkörpert er in sich selbst die Elemente, aus denen das Gesamtkunst-

14

Rosenkavalier-Druckfreigabe.indd 14 13.01.2014 11:56:35 werk Musiktheater in der Nachfolge Wagners entsteht. Als er 1903 in Max Reinhardts Kleinem Theater Berlin Gertrud Eysoldt in der Titelrolle von Oscar Wildes sieht, findet er im dritten Anlauf den Stoff, der ihn musikalisch, in der Kühnheit der Harmonik, dem Raffinement der Ins- trumentation, der Differenzierung der Leitmotiv-Technik über Wagner hinaus und thematisch an diesem vorbei Richard Strauss mit Sohn Franz und führt. Nicht mehr die germanische Mytho- Ehefrau Pauline, Berlin 1904. logie, sondern die Antike, die ihn schon seit Kindheit fasziniert hat, wird zu seiner Inspirationsquelle. Dabei trifft er mit der lasziven Kindfrau Salome, für die er eine von gleißendem Licht und exotischem Kolorit erfüllte Klangwelt erschafft, die Zeitstimmung des Fin de Siècle, des Jugendstils mit seinem Kult der verführerischen, rätselhaften und bedrohlichen Frau. Nach dem Sensationserfolg dieses 1905 uraufgeführten Skandal- stücks wählt er auch mit Elektra einen Stoff aus dem ihm von längeren Reisen nach Italien, Griechenland und Ägypten vertrauten mediterranen Kulturraum, getrieben vom Wunsch, »dieses dämonische, ekstatische Griechentum des 6. Jahrhunderts Winckelmannschen Römerkopien und Goethescher Humanität entgegenzustellen«. Elektra ist jenes Werk, das den Komponisten »an die äußersten Grenzen der Harmonik, psychologi- scher Polyphonie« führt. Weiter kann er ohne Preisgabe der Tonalität nicht gehen, doch diesen Schritt will er nicht vollziehen. Vielmehr tritt nun eine Rückwendung ein, und er beschließt, als nächstes Werk eine »Mozart-

15

Rosenkavalier-Druckfreigabe.indd 15 13.01.2014 11:56:35 Oper« zu komponieren. Entscheidenden Anteil an dieser Entwicklung hat Hugo von Hofmannsthal, dessen Bearbeitung der sophokleischen Tragö- die Strauss’ Vertonung zugrunde liegt. Noch vor Beginn der Komposition hat er den Dichter gebeten, »mir in allem Komponierbaren von Ihrer Hand das Vorrecht zu lassen. Ihre Art entspricht so sehr der meinen, wir sind füreinander geboren und werden sicher Schönes zusammen leisten, wenn Sie mir treu bleiben«.

Strauss’ »Künstlerisches Testament« Nach der Bombardierung der Wiener Staatsoper am 12. März 1945 schrieb Strauss dem Dirigenten Karl Böhm, der damals Direktor des Hauses und dem Komponisten eng verbunden war, einen Brief, den er explizit als sein »Künstlerisches Testament« bezeichnete. Darin nennt er die Werke, die sei- nem Urteil nach den Kernbestand der Opernliteratur bilden, und er kennt dabei keinerlei Hemmungen, für seine sämtlichen Opern einen Platz im Re- pertoire zu beanspruchen. In einer Liste zählt er zunächst jene Werke auf, die in einem großen Opernhaus – ähnlich wie die Spitzenwerke in einem Museum – einen festen Platz haben sollten: von Gluck Orpheus, Alkestis, Armida und die beiden Iphigenien, von Mozart Idomeneo, Figaro, Don Gio­ vanni, Così fan tutte und Zauberflöte, von Weber Freischütz, Euryanthe­ und Oberon, von Berlioz Benvenuto Cellini und Die Trojaner, von Verdi Aida, Simon Boccanegra und Falstaff, von Strauss Salome, Elektra, Rosenkava­ lier, Frau ohne Schatten, , , Ägyptische Helena, Liebe der Danae und Josephslegende, von Wagner alles von Rienzi bis zur Götter­ dämmerung, dazu Beethovens Fidelio und Bizets Carmen. »Der historischen Wissenschaft halber« könnte ab und zu auch eine Grand opéra von Meyer- beer oder Die Jüdin von Halévy präsentiert werden. Eine zweite, längere Liste umfasst jene Werke, die im jeweils klei- neren, populärer ausgerichteten Haus einer Großstadt aufzuführen wären. Neben sämtlichen übrigen Strauss-Opern einschließlich des Frühwerks Gun­ tram finden sich hier viele heute kaum mehr präsente Spielopern, anders als in der Hauptliste auch zahlreiche Titel aus dem italienischen Reper- toire: Bellinis Norma, mehrere Werke Donizettis, Leoncavallos Bajazzo, Mascagnis Cavalleria rusticana sowie weitere Verdi-Opern, dazu u. a. Char- pentiers Louise, Dvorˇáks Jakobiner, Korngolds Ring des Polykrates, Pfitzners Palestrina, Tschaikowskis Pique Dame und Eugen Onegin und Mussorgskis Boris Godunow. Vergeblich sucht man hingegen die Namen Rossini und Puccini – im Fall des Letzteren wohl damit zu erklären, dass Strauss ihn als direkten Konkurrenten in der Publikumsgunst empfand.

16

Rosenkavalier-Druckfreigabe.indd 16 13.01.2014 11:56:35