Georg Leibbrandt • Reichsministerium Für Die Besetzten Ostgebiete
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
Hans-Christian Jasch • Christoph Kreutzmüller (Hrsg.) DIE TEILNEHMER Die Männer der Wannsee-Konferenz Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur Umschlagbild: Protokoll der „Besprechung über die Endlösung der Judenfrage“ vom 20. Januar 1942, S. 1 und 2 PA AA Berlin, R 100857, Bl. 166 und 167 Online: http://www.ghwk.de/ghwk/deut/protokoll.pdf ISBN: 978-3-86331-306-7 © 2017 Metropol Verlag Ansbacher Straße 70 D–10777 Berlin www.metropol-verlag.de Alle Rechte vorbehalten Druck: buchdruckerei.de, Berlin Inhalt Von Wannsee nach Auschwitz .......................................................... 7 Geleitwort von Otto Dov Kulka Die Teilnehmer. Die Männer der Wannsee-Konferenz ........................ 13 Hans-Christian Jasch • Christoph Kreutzmüller Die Teilnehmer der Wannsee-Konferenz im Blick der Forschung ......... 29 Mark Roseman Otto Adolf Eichmann • Reichssicherheitshauptamt ............................ 45 Der Organisator Bettina Stangneth Reinhard Heydrich • Reichssicherheitshauptamt ............................... 63 Der Vollstrecker des nationalsozialistischen Terrors Robert Gerwath Otto Hofmann • Rasse- und Siedlungshauptamt der SS ..................... 79 Ein Pragmatiker der Rassenpolitik? Isabel Heinemann Rudolf Lange • Reichssicherheitshauptamt ....................................... 97 Akademiker, Weltanschauungskrieger, Massenmörder Peter Klein Heinrich Müller • Reichssicherheitshauptamt ................................... 111 Prototyp des Schreibtischtäters Johannes Tuchel Eberhard Schöngarth • Reichssicherheitshauptamt ........................... 129 Ein unterschätzter Praktiker des Massenmords Olaf Löschke Josef Bühler • Regierung des Generalgouvernements ...................... 145 Ein Hintermann Ingo Loose Roland Freisler • Reichsjustizministerium ........................................ 163 Politischer Soldat Hitlers Silke Struck Gerhard Klopfer • Partei-Kanzlei .................................................... 181 Völkischer Ideologe und Bürger der Bundesrepublik Markus Heckmann Friedrich Wilhelm Kritzinger • Reichskanzlei .................................... 197 Ein preußischer Beamter im NS-Staat Lore Kleiber • Stefan Paul-Jacobs Georg Leibbrandt • Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete .... 213 Ein gelehrter Radikaler Martin Munke Martin Luther • Auswärtiges Amt .................................................. 227 Ein hemdsärmeliger Aufsteiger Christopher Browning Alfred Meyer • Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete ......... 247 Vom kaisertreuen Bürger zum Verwaltungsmassenmörder Heinz-Jürgen Priamus Erich Neumann • Beauftragter für den Vierjahresplan ....................... 263 Ein farbarmer, willfähriger Preuße Christoph Kreutzmüller Wilhelm Stuckart • Reichsministerium des Innern ............................ 277 Ein heikler Gesetzesonkel Hans-Christian Jasch Abkürzungsverzeichnis ............................................................... 295 Literaturverzeichnis .................................................................... 299 Die Autorinnen und Autoren ....................................................... 329 Personenregister ........................................................................ 331 Georg Leibbrandt Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete Ein gelehrter Radikaler Georg Leibbrandt (1899–1982) Unbekannter Fotograf, o. D. [1942] ullstein bild, 00263185 „Die Verschiedenheit der Völker […] brachte ein weiteres Moment in der Bereicherung mit sich, sei es auf dem Gebiet des wirtschaftlichen Lebens, der geistigen Haltung oder der religiösen, kulturellen, politischen und sozialen Willensbildung. […] Es war ein Colloquium humanum, ein menschliches und geistliches Zusammenleben, bei dem jeder seine Eigenart behalten konnte […], in dem aber über allem Nationalen die menschliche Gemeinschaft als oberstes Prinzip dominierte.“1 So beschreibt Georg Leibbrandt Ende der 1960er-Jahre das Zusammenleben der verschiedenen Nationalitäten in der Ukraine vor dem E rsten Weltkrieg. Das Zitat aus einer Selbstdarstellung Leibbrandts mutet wie eine Vision von einem harmonischen Zusammenleben der Völker, von Koope- ration, Austausch, Akzeptanz an – eine Vision, von der sich Leibbrandt nach eigener Aussage auch in seiner Tätigkeit als hochrangiger Funktionär im Außen- politischen Amt der NSDAP (APA) und im Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete (RMO) leiten ließ. Christian Gerlach zeichnet demgegenüber ein ganz anderes Bild. So urteilt er über die Russlanddeutschen in der NS-Verwaltung: „Zu den aktivsten und fanatischsten Tätern, nicht selten zu den Strategen der Besatzungspolitik und der Massenmorde gehörten die ehemaligen Rußland- oder Sowjetdeutschen. […]“2 – wie der in der Nähe von Odessa geborene Leibbrandt. Dieser Sichtweise folgt auch 214 Georg Leibbrandt • Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete Ernst Piper in seiner biografischen Studie zu Alfred Rosenberg (1893–1946), dem langjährigen Vorgesetzten Leibbrandts.3 Dessen Teilnahme an der Wannsee- Konferenz, bei der er gemeinsam mit Rosenbergs Stellvertreter Alfred Meyer das RMO vertrat, und die Tendenz vieler Protagonisten des NS-Regimes, ihre eigene Rolle im Nachhinein zu verharmlosen, lassen diese Perspektive – wenn man mit der neueren Täterforschung auch die „Köpfe und Planer“ unter den Begriff sub- sumiert4 – zunächst einleuchtender erscheinen.5 Die Gründe für Leibbrandts Anwesenheit auf der Besprechung am 20. Januar 1942 sollen im Folgenden untersucht werden. In den zahlreichen Publikationen zur Wannsee-Konferenz ist er bisher nur als Randfigur thematisiert.6 Seine Beteiligung an der Vernichtungspolitik gegenüber der jüdischen Bevölkerung in den besetzten Ostgebieten wird unterschiedlich beurteilt. Einige Autoren schätzen ihn als Dilettanten ein,7 andere als wichtigen Experten.8 Dabei ist Leibbrandt mit Otto Hofmann und Gerhard Klopfer einer von nur drei Kon- ferenzteilnehmern, die nach dem Zweiten Weltkrieg mehrere Jahrzehnte ihres Lebens in der Bundesrepublik verbrachten und sich dort eine neue Existenz auf- bauen konnten. Im Folgenden wird Leibbrandt als wichtiger Akteur einer völkisch orien- tierten „Ostforschung“ porträtiert,9 dessen Konzepte zur Neuordnung Europas unter deutscher Vorherrschaft „humaner“ scheinen als die Realität der Besat- zungsherrschaft im Osten. Seine volkstumspolitischen Arbeiten zur Umsetzung dieser Konzepte wurden jedoch eindeutig im Rahmen des Nationalsozialismus und für die politischen und ideologischen Ziele des Regimes verfasst – mit allen mörderischen Konsequenzen, die daraus, ob intendiert oder nicht, erwuchsen. Volkstumsforscher Georg Leibbrandt wurde am 5. September 1899 in Hoffnungsfeld (Torosowo) bei Hoffnungstal (Zebrykowe) in der Nähe von Odessa als Nachfahre deutscher Aus- wanderer geboren.10 Er besuchte weiterführende Schulen im Baltikum in Dorpat (Tartu) und Werro (Võru) sowie in Odessa. Neben Deutsch als Muttersprache lernte er Russisch und Ukrainisch, am Gymnasium Griechisch und Latein, spä- ter auch Französisch und Englisch. 1918 war er als Dolmetscher für deutsche Besatzungstruppen in der Ukraine tätig, 1919 flüchtete er vor dem Bürgerkrieg nach Deutschland. Diese Erfahrung und der Tod einer Reihe von Familienmit- gliedern infolge der Umsiedlungen unter Stalin legten den Grundstein für Leib- brandts strikten Antibolschewismus, der den Kern seiner weltanschaulichen Konzeptionen bildete. Ein gelehrter Radikaler 215 In den 1920er-Jahren absolvierte er ein Studium der Theologie, Geschichte und Philosophie in Tübingen, für wenige Monate auch in Marburg und Leipzig. Es folgten Aufenthalte in Paris und London mit Lehrveranstaltungen in Völker- recht und Völkerbeziehungen. Den Lebensunterhalt verdiente er sich aushilfs- weise als Dolmetscher für ausländische Gäste auf den Leipziger Messen und als Hauslehrer. Während seiner Studienzeit und erneut nach 1945 war Leibbrandt in der christlichen Studentenverbindung Wingolf aktiv. 1927 promovierte er an der Universität Leipzig über die schwäbische Auswan- derung nach Russland, an der auch seine Vorfahren beteiligt gewesen waren.11 Während und nach einer freien Mitarbeiterschaft am Forschungsinstitut für Kultur- und Universalgeschichte seines Doktorvaters Walter Goetz12 unternahm Leibbrandt Forschungsreisen nach Kanada, in die USA, dreimal in die Sowjet- union und in die Schweiz. Finanzieren konnte er diese mithilfe von Stipendien der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft und der Rockefeller-Stiftung. Zwischenzeitlich war er bei der Stiftung für deutsche Kultur- und Bodenfor- schung und am Potsdamer Reichsarchiv beschäftigt. Hier untersuchte er jeweils Fragen des „Auslandsdeutschtums“. Seine Publikationen betonen die „kolonisa- torischen Fähigkeiten“ der deutschen Siedler in Russland bzw. der Sowjetunion sowie in den USA.13 Im Vorwort zu einer Quellenedition formulierte Leibbrandt das Ziel, das Buch solle „beim Deutschen selbst Liebe zu seinem Volkstum und Interesse für die Geschichte des Kolonistentums fördern helfen“.14 Die Edition erschien als Auftakt einer neuen Reihe des Deutschen Ausland-Instituts (DAI) in Stuttgart, welche die „Kulturleistungen der Auslandsdeutschen“ darstellen15 und deren Berücksichtigung in der aktuellen deutschen Außenpolitik befördern sollte.16 Schon als Student hatte sich Leibbrandt entsprechend engagiert und z. B. einen Beitrag zu den „völkischen Pflichten“ des Wingolf publiziert.17 Er war Mitglied in Organisationen wie der Vereinigung auslandsdeutscher Studieren- der und dem Verein Deutscher Studierender Kolonisten.18