Maria Stona und ihr Salon in Strzebowitz

Kultur am Rande der Monarchie, der Republik und des Kanons

Martin Pelc

Maria Stona_vnitr str.indd 1 16.12.2014 10:32:44 Gedruckt mit Unterstützung des Europäischen Strukturfonds

Projekt OP VK 2. 3. „Historizace střední Evropy“ jako téma pro rozvoj lidského potenciálu v oblasti výzkumu, inovací, vzdělání a zapojení současných a budoucích vědecko-výzkumných pracovníků do mezinárodních VaV aktivit, číslo projektu CZ.1.07/2.3.00/20.0031 / Projekt des Operationsprogramms Bildung für Konkurrenzfähigkeit „Die Historisierung Mitteleuropas“ als Thema für die Entwicklung von Humanpotenzial im Bereich Forschung, Innovation und Bildung sowie für die Einbindung von aktuellen und zukünftigen Wissenschaftlern und Forschern in internationale Wissenschafts- und Forschungsnetzwerke, Projekt-Nr. CZ.1.07/2.3.00/20.0031.

Begutachtet von: Klaus Werner (Leipzig) Jiří Jung (Ostrava)

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Copyright © 2014 by Martin Pelc

Verlag: Europäischer Strukturfonds/Schlesische Universität in

Umschlagbild: Maria Stona an ihrem Arbeitstisch Umschlaggestaltung: Martin Feikus Redaktion: Martin Pelc Satz: Martin Feikus Übersetzung: Petr Máj Korrekturen: Mathias Becker Druck und Bindung: Z + M Partner, spol. s r. o. Ostrava

Opava 2014

ISBN 978-80-7510-056-6

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Maria Stona und ihre Welt Vorwort /6/ 1. „Die kleine Marquise“ /9/ 2. Maria Stona auf Reisen /39/ 3. Das Schloss Strzebowitz: Schnittpunkt der Wege und Gedanken /57/ 4. „Des toten Schloßes totes Herz“ /81/

Edition der Korrespondenz Editionsprinzipien /92/ Adressatenverzeichnis /94/ Ausgewählte Briefe von Maria Stona an Georg Brandes und Andere /96/ Quellennachweis /269/

Abkürzungen /275/ Quellenverzeichnis /276/ Literaturverzeichnis /278/ Register /285/ Zusammenfassung /294/

Maria Stona_vnitr str.indd 3 16.12.2014 10:32:45 Maria Stona_vnitr str.indd 4 16.12.2014 10:32:45 Maria Stona und ihre Welt

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Vorwort

Der Name Maria Stona wird in der Korrespondenz, in den Tagebüchern sowie in den Memoiren von Persönlichkeiten wie Theodor Herzl, Bertha von Suttner, Hermann Bahr, Arthur Schnitzler, Marie von Ebner-Eschenbach, Peter Rosegger, Ernst Haeckel, Rudolf Steiner oder Georg Brandes erwähnt. Und dennoch – so müssen wir gestehen – wissen wir über sie fast nichts. Das Strzebowitzer Schloss, in dem sie beinahe ihr gan- zes Leben verbracht hat, existiert nicht mehr; ihr persönliches Archiv ist verschwun- den und dort, wo ein Informationsvakuum vorherrscht, bleibt Raum für Legenden und Spekulationen. Die Literatur und die historische Überlieferung verbinden mit ihrem Schloss eine breite Palette von Persönlichkeiten europäischen Formats aus dem Bereich der Kultur und der Intellektuellen (Theodor Herzl, , Karl Kraus, Georges Clemenceau u. a.). Es spielt dabei keine Rolle, dass die meisten von ihnen nie in Strze- bowitz gewesen sind. Wenn wir trotzdem über die Persönlichkeit dieser Schriftstellerin und Schlossherrin etwas aussagen wollen, müssen wir uns zuerst damit abfinden, dass unsere Neugier aufgrund des Mangels an Quellen nicht immer befriedigt wird und eini- ge Antworten fragmentarisch bleiben. Maria Stona war Schriftstellerin. Um die Jahrhundertwende, als sie den Höhe- punkt ihrer Karriere erreichte, erlangte sie sogar eine gewisse Popularität. Dennoch hat- te Stonas Werk nicht das Potential, um in den Kanon der deutschen Literaturgeschichte aufgenommen zu werden. Zudem wurde „ihr“ Kreis, d. h. der Kreis der ihr am nächs- ten stehenden literarischen und intellektuellen Freunde, nicht von den oben genannten Namen gebildet, vielmehr handelte es sich um damals bekannte Persönlichkeiten, die jedoch von der Literaturgeschichte nicht in ihren Kanon aufgenommen wurden. Ei- nerseits spielte in diesem Zusammenhang die manchmal nicht hinreichende Qualität des Werks eine Rolle, andererseits war daran auch die nicht eindeutig einzuordnende literarische Richtung schuld, die weder der traditionellen Heimatkunst noch der Mo- derne angehörte, wobei nicht zu verschweigen ist, dass ihr Werk auch Antworten auf Fragen der Weltanschauung bot. Stonas Welt ist also im gewissen Maße identisch mit der Welt der zu dieser Zeit vielleicht allzu viel gerühmten Schriftstellerin, Dichterin und Dramatikerin Marie Eugenie delle Grazie, des Philosophen und liberalen Politikers Bartholomäus von Carneri und deren gemeinsamen Freunden. Als ich anfing, mich mit dem Gedanken zu befassen, einen Text über Maria Stona zu schreiben, wusste ich nicht, wie ich ihn strukturieren sollte. Und auch später wusste ich es lange nicht, bis zu dem Zeitpunkt, an dem mir bewusst wurde, dass die üblichen Rahmenkategorien wie das Volk und der Staat in ihrer Welt keine wichtige Rolle spielten, dass sie viel über unsere Gegenwart aussagen würden, jedoch zu wenig über Stonas eigene Lebenswelt, in der die Region fließend in Europa überging. Seit diesem Augenblick musste ich die Tatsache berücksichtigen, dass ein Buch über sie sowohl die regionale als auch die europäische Geschichte einbeziehen muss. Hinzu-

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zufügen ist, dass die präsentierte Version eine kürzere Fassung der angedachten Mo- nographie darstellt und angesichts des vorausgesetzten Rezipientenkreises den Wert vielmehr auf die europäische Dimension als auf das Regionale legt. Dies würde eine umfangreichere Einleitung in die Problematik erfordern und für die Leser außerhalb des geographischen Rahmens Schlesiens und Nordmährens hätte sie keine besondere Bedeutung. Deshalb habe ich das regionale Ausmaß, soweit es für das Begreifen von breiteren Zusammenhängen nicht notwendig ist, außer Acht gelassen. Was hingegen hinzugekommen ist, ist die Edition der ausgewählten Briefe von Stona. Wegen des Untergangs des Familienarchivs wird lediglich die versendete Kor- respondenz präsentiert, die ohnehin eine einzigartige Quelle bezüglich der Bedeutung Stonas für die mitteleuropäische Kultur ist und auch neue Erkenntnisse über die Ad- ressaten anbieten kann. Eindeutig am wichtigsten und zugleich am umfangreichsten ist das Konvolut der an Georg Brandes geschickten Briefe, das sich in der Königlichen Bibliothek in Kopenhagen befindet. Der Zugang zu diesen Materialien wurde mir von einem Mitarbeiter der Bibliothek, Herrn Bruno Svindborg, ermöglicht, wofür ich mich bei ihm recht herzlich bedanken möchte. Die Korrespondenz mit Georg Brandes wird um die Briefe an weitere Persönlichkeiten ergänzt, die zum größten Teil in der Wienbi- bliothek im Rathaus aufbewahrt und zugänglich gemacht werden. Hiermit möchte ich mich bei allen Mitarbeitern der Bibliothek für ihre Bereitwilligkeit, mir die Schriftstü- cke zur Verfügung zu stellen, bedanken. Aus den Fonds der Wienbibliothek im Rathaus bieten vor allem die Briefe an Marie Eugenie delle Grazie, den Familienfreund Rudolf Jeremias Kreutz, Arthur Schnitzler oder Richard von Schaukal reichhaltige Informati- onen über Stonas Lebenswelt. Ausführlichere Notizen zum Schlüssel für die Wahl der editierten Briefe und für die Editionsregeln befinden sich in der Einleitung des zweiten Teils dieses Bandes. Die subjektive Sichtweise der Briefe von Stona wird insbesondere durch die Korrespondenz von Bartholomäus von Carneri mit der gemeinsamen Freun- din und Schriftstellerin Marie Eugenie delle Grazie und mit dem Philosophen Wilhelm Bolin ausgeglichen. Von ihnen schöpfe ich die besonders wertvollen und glaubwürdi- gen (denn privat mitgeteilten) Ansichten zu Stonas Persönlichkeit. Einige Stücke der Korrespondenz Stonas finden wir allerdings auch in einer Reihe von österreichischen, deutschen und schweizerischen Institutionen. Wegen eines erschwerten Zugangs konn- te in der vorliegenden Edition nur ein Teil von ihnen genutzt werden. Den Augenblick festzulegen, wo der Autor sagen kann „Nun ist die Studie fer- tig!“, war im Falle des vorliegenden Textes über Maria Stona noch schwieriger als bei anderen Themen. Informationen über sie sind fast über ganz Europa verstreut und können praktisch überall auftauchen. Das entstehende Werk wurde (vorerst) in dem Moment abgeschlossen, in dem die Hauptfragen beantwortet wurden, die sich im Laufe der Bearbeitung ergeben hatten, in dem es möglich war, sich über Stona ein relativ kompaktes Bild zu machen und einige scheinbare Widersprüche zu erklären. Aber be- reits jetzt wird ersichtlich, wo die Schwachstellen des Textes sind und wohin die wei- tere Forschung schreiten sollte. Absichtlich und manchmal vielleicht zu Ungunsten der Qualität des Buches wurde zum Beispiel die fundamentale Rolle der Tochter Stonas,

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der erfolgreichen Bildhauerin Helene Zelezny-Scholz, in den Hintergrund gestellt. De- ren faszinierende Persönlichkeit hätte Stona in den Schatten gestellt, wenn ihr mehr Raum gewährt worden wäre. Ihre Mutter ist zwar in ihrer Freizeit in die europäischen Kulturmetropolen gereist, aber Helene ist in ihnen künstlerisch aufgewachsen und hat dort gelebt! Was für Stona ein Festtag, eine angenehme Abwechslung zum ländlichen Alltag war, war für Helene eine alltägliche Realität. Was bei Stona in Andeutungen präsent ist, wird Helene in großen Mengen zuteil – sie war es, die sich mit dem ers- ten tschechoslowakischen Präsidenten Tomáš Garrigue Masaryk anfreundete und laut Masaryks Sekretär dessen Korrespondenz-Partnerin war.1 Sie verkehrte mit Stefan Zweig, persönlich getroffen hat sie sich auch mit der österreichischen Kaiserin Zita und dem Generalstabschef der österreichisch-ungarischen Armee Franz Conrad von Hötzendorf. Nach dem Zweiten Weltkrieg traf sie sich persönlich mit Papst Paul VI. In Rom bewegte sie sich in der Gesellschaft der Künstler und der hohen Diplomaten. Deshalb ist also ein Buch über sie ohne einen längeren Aufenthalt in Rom undenkbar. Viele Leser könnten bemängeln, dass in der einleitenden Studie dem literari- schen Werk Stonas ein zu geringer Raum gewidmet wird. Dies ist allerdings dadurch gegeben, dass es sich um keinen literaturhistorischen, sondern um einen historischen Text handelt. Das Buch soll nicht Stona die Schriftstellerin, sondern Stona die Per- sönlichkeit und das von ihr geschaffene kulturelle Zentrum von Strzebowitz behan- deln. Stonas Strzebowitz bietet genug Spezifika, um nicht nur ein weiteres Zentrum der Schlosskultur zu werden, wie sie in der Fachliteratur beschrieben werden, und wie vielleicht der Titel des Buches andeuten könnte. Im Idealfall bleibt dieses ganze Kon- volut nicht nur eine obligate „Lückenfüllung in der Forschung“, sondern es wird die re- gionale Geschichte im Kontext der gegenwärtigen europäischen Kultur so präsentiert, wie sie sich entwickelte. Nicht etwa ohne Rücksicht auf die Nationalitäten und Staaten, sondern dann und wann parallel mit ihnen und oft ihnen zum Trotz.

1 Smetanová (1996): 142–143, 179–180, 184, 230–231.

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1. „Die kleine Marquise“

Ich zähle 20 Jahre des morgens und 19 des abends und bin ein sonderbares Ding. Man beachtet mich nie, wenn man mich ken- nen lernt, und man vergißt mich nie, wenn man mich kennt. Und Ihnen gestehe ich, daß alle meine Lieder erlebt sind – O ich habe wundervolle Erlebnisse u[nd] mir ist, als zöge ich schon seit Jahrtausenden durch die Welt in immer neuen Incarnatio- nen des Weibes. Meine Erlebnisse haben so viel Schönheit, so viel Sehnsucht und Leidenschaft. Der Dichter Jacobowski sagte mir gestern, ich gliche einer französischen Marquise aus dem XVIII. Jahrhundert. Maria Stona an Georg Brandes, 4. 7. 1899

Ein nicht großer Teil Schlesiens, den Maria Theresia nach den Kriegen mit Preußen verteidigt hatte, bildete in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das kleinste autono- me Land des ganzen Reiches schlechthin. Ab und zu übernahm die Führung der klei- nen Länder das noch kleinere Vorarlberg, das allerdings lediglich über eine autonome Landesverwaltung verfügte, die durch den Landtag repräsentiert wurde. Im Bereich der Staatsverwaltung fiel es unter die gemeinsame Statthalterei für Tirol und Vorarl- berg in Innsbruck. Trotz seiner kleinen Fläche wies das k. k. Herzogtum Ober- und Nieder-Schlesien eine außergewöhnliche Formenvielfalt auf. Die Konfessionssituation war hier so kompliziert wie nirgendwo anders in Cisleithanien, neben den zahlenmäßig dominanten Katholiken war insbesondere im Osten des Landes eine starke evangeli- sche Minorität vertreten, in größeren Städten wie Bielitz, Teschen und Troppau leb- ten darüber hinaus einige Tausende Juden. Auch das Völker-Mosaik blieb hinter der Konfessionsvielfalt keinesfalls zurück. Im Gegenteil. Obwohl die Deutschen das am zahlreichsten vertretene Ethnikum darstellten, waren fast 60 % der Schlesier Polen und Tschechen, d. h. keine Nationalität hatte im Lande die absolute Mehrheit. Und auch die

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Geomorphologie war nicht eintönig. Im Westen ragte der östlichste Zipfel des Sudeten- gebirges empor, den Osten Schlesiens beherrschte der westliche Kamm der Karpaten. Nicht weniger als ein Drittel des Landes nahm die Gebirgslandschaft ein. Zwischen den beiden Gebirgsrändern lagen eine fruchtbare Ebene und ein Hügelland, geteilt durch einen Keil namens Mährisch-Ostrau, der sich zwischen dem Troppauer und Teschener Land befand. Dank dieses Keils war Schlesien kein integraler Komplex, sondern es bestand aus den zwei voneinander getrennten Teilen. Das sollte sich erst im Jahre 1920 durch den Anschluss des Hultschiner Ländchens verändern, das aufgrund des Versail- ler Vertrages zu Ungunsten Deutschlands an die Tschechoslowakei abgetreten wurde. Zwischen den beiden Hälften Schlesiens mäandert der Fluss Oder von Süden nach Norden. In die Oder mündet die von Osten kommende Ostrawitza, die einen Teil der Gewässer des Teschener Landes sammelt, von Westen kommend mündet nur ein paar Kilometer entfernt stromaufwärts die Oppa in die Oder, sie erfüllt dieselbe Aufgabe im westlichen Teil. Eben an diesen Orten, beim Zusammenfluss der Oppa und der Oder, entstand im Mittelalter das Dorf Strzebowitz,2 das dem historischen Troppauer Land angehörte, aber nach 1945 durch den Industriemoloch Ostrava verschlungen wurde. In seiner Nachbarschaft befindet sich die Gemeinde Svinov, die mit dem für Öster- reicher wohllautendem Namen Schönbrunn und seit 1847 zudem mit einem Bahnhof an der Kaiser Ferdinands-Nordbahn von Wien nach Galizien, der nach dem Fertigbau des Eisenbahnnetzes einer der wichtigsten Verkehrsknoten der breiteren Region wurde, prahlen konnte. Seit 1855 war es auch möglich, mit der Eisenbahn über Schönbrunn (Schlesien) bis zu der Landeshauptstadt des kleinen österreichischen Schlesiens, Trop- pau, zu fahren. Für die meisten Reisenden aus den Zentren der österreichischen Monar- chie, dem nahe gelegenen Deutschland, dem russischen Polen oder den Nachbarländern in das österreichische Schlesien wurde eben diese Strecke zum bevorzugten Reiseweg. Wenn ein Reisender Ende des 19. Jahrhunderts in Schönbrunn in eine Lokalbahn nach Troppau umstieg, war es, als ob er das rege Leben und Treiben des Industriege- bietes hinter sich gelassen hätte und in eine mit Anwesen und weidendem Vieh besäte Hirtenlandschaft gekommen wäre. Neben den auffälligen Vertikalen der Kirchentürme konnte man einige halbverdeckte Adelssitze nicht übersehen. Der erste tauchte gleich nach ein paar Minuten Fahrt auf:

Der Reisende, der von Schönbrunn bei Ostrau nach Troppau fährt, sieht von dem den Hang eines mäßig hohen Hügels hinansteigenden Ort nicht viel mehr als eine Fabriksanlage, einige unbedeutende Häuschen und – sie überragend – ei- nen Kirchturm. Erst wenn er aufmerksamen Blickes die Landschaft mustert, ge- wahrt sein Auge über einem Walle mächtiger Bäume Stückchen eines altersgrauen Schieferdaches und darunter Flecken wohl noch älteren Mauerwerkes. [...] Schloß Trzebowitz liegt hinter dem Baumwalle, das Heim der Dichterin Maria Stona.3

2 In diesem Text wird die einheitliche Form Strzebowitz verwendet. 3 Ullrich (1926): 145–146.

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Hier, von den europäischen Zentren weit entfernt, aber dennoch an einer Ver- bindungsstrecke zwischen diesen Zentren gelegen, wurde die Schriftstellerin Maria Stona also geboren, hier lebte und starb sie. Natürlich gehörte ihr Dorf nicht zu den europäischen Zentren. Aber bedeutet dies, dass es eine Peripherie war? Stona schrieb in einem ihrer ersten Briefe an den dänischen Intellektuellen Georg Brandes: „Ich wohne an der Hauptstrecke, 2 Min[uten] von der Bahn entfernt.“4 Ein paar Minuten reichten und schon eilte sie mit einem Schnellzug nach Wien, in die umgekehrte Richtung nach Breslau oder noch weiter, nach Berlin. Ihre Heimat Strzebowitz war genauso wie ganz Schlesien nicht frei von Wi- dersprüchen. Sie balancierte eigentlich „am Rande des Kohlen- und Eiseninfernos, in dessen Zentrum Bohumin und Kattowitz liegen [...]“, wie der Dramatiker Franz Theo- dor Csokor im Jahre 1935 aus Kattowitz an Lina Loos schrieb. „Dort werde ich nur am Nordhorizont die Glut unserer Esse des Vulcan noch schimmern sehen und selbst im Frieden der Äcker und der Ebereschen der mährischen Landschaft leben, in einem tausendjährigen Schloß, das sogar den Tartarensturm überdauerte“, fuhr er fort.5 Das Ostrau-Karwiner Kohlenrevier, wie der österreichische Teil der Agglomeration hieß, war in Stonas Strzebowitz hauptsächlich als ästhetisches Motiv präsent. So beschrieb es im Jahre 1900 auch der Direktor des schlesischen Kunstgewerbemuseums zu Troppau Edmund Wilhelm Braun: „Von den Fenstern der Dichterin aus erblickt man Rauch und Qualm und hunderte von Schloten, die modernen Cyclopenwerke von Witkowitz. Und nachts flammen blutrote, grüne und blaue Feuerwellen in die Wolken.“6 Während des langen Lebens der Schriftstellerin hat auch die soziale und nationale Dimension der Industrialisierung auf die Gemeinde eingewirkt: In dem bis zu dieser Zeit tschechi- schen Dorf ließen sich allmählich immer öfter polnische Arbeiter mit ihren Familien nieder und auch der traditionelle Charakter der Bauten änderte sich und neue bauli- che Formen, die in den Augen der Betrachter nicht immer schön waren, erschienen. Die Einwohnerzahl stieg und das Dorf wurde zum Marktflecken erhoben. Auch Stonas Vater hat viel zu der Entwicklung der Industrie in der Gemeinde beigetragen; es ging allerdings nicht um Schwerindustrie, deren Betriebstätten am Horizont emporragten, sondern um Lebensmittelbetriebe (Spiritus- und Hefefabrik) sowie chemische Betrie- be (Pottasche-Produktion), die sich an die landwirtschaftliche und forstwirtschaftliche Produktion anschlossen. Immer noch gab es hier allerdings auch die andere Seite des Dorfes mit Ausblick in die Felder und Wiesen: „Es giebt dort hinter dem Friedhofe Feldwege zwischen Rai- nen und Wiesen, von denen man blühende Kleefelder, große, weiße Dolden und sanfte Abhänge sieht, wie auf Frühlingsbildern von Böcklin“.7 Und diese rurale Idylle wirkte auf den Besucher noch in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Als der Interpret der Wiener Avantgarde Leopold Wolfgang Rochowanski im Jahre 1943 Stona besuchte, erschienen

4 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 23. 7. 1899. 5 Csokor (1964): 105. 6 Braun (1900): 6. 7 Ebenda.

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vor ihm ein „herrlicher Bauernhof, schöne Gebäude, nackte Kinder, Enten, Gänse, kleine Hühner, stille Kapelle mit buntem Nepomuk [...]“.8 Unweit von der Station, wo der Zug hält, lag auf der Anhöhe ein Schloss – die Heimat der Dichterin Stona. Beim Durchzug der Front im Frühjahr 1945 teilte das Dorf das Schicksal der anderen Adelssitze, die auf den ersten Anhöhen südlich der schlesischen Ebene, von wo aus die Rote Armee vorrückte, lagen. Sei es infolge der militärischen Operationen oder zum Teil auch der Vernachlässigung in der Nachkriegs- zeit, Stonas Schloss hat sich in die Geschichte verabschieden müssen, ähnlich wie das nahe gelegene Dobroslawitz. Heute kann man es sich nur noch durch zahlreiche Fotos, Aquarelle und Schilderungen der Gäste von Maria Stona vergegenwärtigen. Lassen wir von diesem Schloss E. W. Braun sprechen, der hier sehr oft verweilte:

Eine weiße, köstlich unregelmäßige Fassade ist hoch hinauf umsponnen von dich- tem, grünem Gerank. Daran glühen hochrote Blumen, von jener Art, wie wir sie nur noch dort in den niedrigen Fenstern kleiner Häuschen sehen, wo die letzten Straßen der Stadt in das Feld sich verlieren, richtige Bauernblumen, Geranien und andere. Um die Mittagsstunde, wenn die Sonne voll und schwer über Schloß und Park lagert, stehen diese Blumen und der Bau wie ein Märchen, seltsam durch Stimmung gebunden.9

Das Gebäude umgab der von Stona und den Besuchern geliebte Garten. Der Neutitscheiner Heimatkundler Josef Ullrich konnte in den 20er Jahren − im Gegensatz zu uns − anmerken: „Noch umzieht es [das Schloß] der alte Wassergraben, der trocken gelegt den Grund für eine wundervolle Baumwildnis hergab [...].“10 Hier konnten die Gäste Fasane beobachten, die nahe an das Schloss herankamen.11 Während der Parkteil eine Fläche seitlich des Schlosses und den Abhang bei der hinteren Mauer einnahm, wurde der Zufahrtsweg mit einer sorgfältigen „französischen“ Gartengestaltung ver- schönert:

Ein weites Rondell vor dem Hause flammt von Rosen, roten, weißen und jenen demütig stolzen, großen, gelben, die in schwerer Süße sich senken und Düftewel- len aushauchen. Ein Springbrunnen ruht im Rund, nur ab und zu sendet er in die traumhafte Stille einen Wasserhauch empor, der wie erschrocken langsam erstirbt,

so skizzierte Braun das impressionistische Bild der Atmosphäre des alten Strzebo- witz.12 Im Garten standen ein Altan und das Gebäude Palazzino, wo Sommer-Teepartys abgehalten wurden.13

8 WBR, HS, Nachlass Leopold Wolfgang Rochowanski, ZPH 347/8, L. W. Rochowanski an K. Kandinski, Troppau 13. 5. 1943. 9 Braun (1900): 3–4. 10 Ullrich (1926): 146. 11 Nathusius (1925). 12 Braun (1900): 4. 13 Nathusius (1925).

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Aber treten wir nun durch das breite grüne Tor des gastfreundlichen Hauses hin- ein. Manche nannten es „Schlösschen“, aber wir bleiben bei der Bezeichnung „Schloss“. Bei der Anfahrt wirkte es zwar gewissermaßen subtil, zwei Fensterreihen boten Einblick in einige Zimmer, aber in der Wirklichkeit wurde das Gebäude durch vier Flügel gebil- det, die in der Mitte einen kleinen Hof umschlossen. An den Stellen, wo das Terrain in Richtung zum Tal der Oppa abfiel, waren die Mauern auch mehr als einen Meter breit und sie erinnerten an die mittelalterliche und frühneuzeitliche Bauphase. Die deutsche Schriftstellerin Annemarie von Nathusius war fasziniert von dem „alte[n] Polenschloß [...] mit seinen tiefen Fensternischen, seinen Wappen und seinem Hausrat aus Urväterzeit [...]“.14 Den weltberühmten Besuchern wurden hier Legenden über eingemauerte Nonnen erzählt, anhand derer sich die Besitzer die zahlreichen Nischen in den Jahrhunderte alten Mauern erklärten. Georg Brandes hielt für die weiteren Generationen wiederum folgende Erwähnung fest: „[...] in einem der Zimmer im Erdgeschoß befindet sich noch das Loch im Fußboden, durch das im Mittelalter die Gefangenen in das Verließ hinabgesenkt wur- den. Dort ist der Steinfußboden schlüpfrig, die Luft wie in einer Grabkammer, feucht und kalt [...]“.15 In diesem Fall muss es nicht unbedingt eine Fiktion gewesen sein. Der Raum, in dem Stona Wein lagerte, könnte tatsächlich mit dem Kabat, also dem schweren Kerker, identisch gewesen sein, der in der Abschrift des Inventars aus dem Jahre 1663 „unter dem Toreingang“ dokumentiert ist.16 Im Erdgeschoss befand sich unter anderem ein gewölbtes Esszimmer und auch eine Schlosskapelle fehlte nicht. Die Repräsentationsräume des gan- zen Schlosses waren jedoch im Geiste der Tradition piano nobile im ersten Stock situiert. Von diesen Räumen müssen wir − neben der obligatorischen Bibliothek – dem Rosenzim- mer, d. h. dem Arbeitszimmer von Stona, und den Bischofszimmern, die einen kürzeren Flügel einnahmen, besondere Aufmerksamkeit widmen.17 Eben hier, in den Räumen, wo „seidene Wände zärtlich schimmerten und deren schwerer Damast leise rauschte, wenn man ihn streifte“,18 beherbergte die Gastgeberin so viele berühmte Frauen und Männer. Den Gesamteindruck des nicht großen, jedoch gegliederten Gebäudes beschrieb wieder- um Brandes treffend: „Hier gibt es strenge Säle und geheimnisvolle Stuben und muntere Zimmer, in denen die Sonne lacht, und lange Korridore, die nach zehn Uhr stockdunkel sind.“19 Das alte Schloss, umgeben vom Garten, lockt den Erzähler zu langen Spaziergän- gen, aber wir müssen einstweilen von ihm Abschied nehmen, um es in einem der nächsten Kapitel voll von den verschiedensten Gästen aus allen möglichen Teilen Europas wieder zu finden. „Leb wohl, du liebes Märchenbild, ich will dich nie vergessen, und wenn das Glück mir hold ist, trägt es mich auf seinem blauen Mantel noch einmal zurück in das kleine Paradies... wenn die Magnolien blühn...“, so Annemarie von Nathusius.20

14 Nathusius (1925). 15 Brandes (1906): 528. 16 AMO, Archiv městyse Třebovice, Inv. Nr. 9, Gedenkbuch des Marktfleckens Strzebowitz, II. Teil, 2. Band: 407. 17 SZM, UhP, Inv. Nr. U 4497 G, Plan des Schlosses Strzebowitz, 1932. 18 Zitiert nach Nathusius (1925). 19 Brandes (1906): 529. 20 Nathusius (1925).

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Die Familie Stonawski erwarb das Schloss bereits in der Form, wie es ein pro- minenter Gast der Dembliner, Franz Alt, bereits früher gezeichnet hatte.21 Die Familie kaufte es zusammen mit dem ganzen Großgrundbesitz Strzebowitz-Martinau von ei- nem französischen Emigrantengeschlecht aus der Zeit der Französischen Revolution, den Grafen Demblin. Bei diesen Grafen handelte es sich ursprünglich um ein loth- ringisches Geschlecht, die de Canon, das seit dem 18. Jahrhundert den Titel de Ville trug. Der Titel der Grafen von Demblin wurde ihnen erst im Jahre 1816 anlässlich der Verheiratung eines Familienmitglieds mit einer polnischen Adeligen verliehen.22 Sie verpachteten zunächst im Jahre 1854 den Strzebowitzer Großgrundbesitz an den Vater von Maria Stona, Josef Stonawski, und verkauften ihn schließlich im Jahre 1865 an ihn. Die Stonawskis waren eine Bauernfamilie aus dem Teschener Land, Josefs Va- ter betrieb zudem ein Fuhrgewerbe auf der Kaiserstraße nach Wien und besorgte die Beförderung von Rohstoffen aus Oberungarn. Josef Stonawski (1823–1910) stammte aus Niebory, dem heutigen Stadtteil von Trzynietz.23 Ihre Mutter, Maria (1829–1890), war Tochter des Besitzers der unweit gelegenen Herrschaft Nieder-Schöbischowitz, Bernard Primus.24 Beide Eltern gehörten der erwähnten evangelischen Minorität des Teschener Landes an. Im Jahre 1849 kam der erstgeborene Sohn der Familie Stonawski, Karl (1849– 1855), zur Welt, der allerdings bereits im Kindesalter verstarb. Nur die zwei jüngeren Kinder haben das Erwachsenenalter erreicht: der Sohn Gustav und die Tochter Maria. Gustav Stonawski (1851–1905) war als Wirtschaftsverwalter außerhalb Schlesiens tä- tig, einige Zeit besaß er auch das Schloss in Süßenbrunn bei Wien,25 aber im Jahre 1905 starb er in der Hauptstadt an einer Herz- und Lebererkrankung. Laut Stona fügte er sich die Beschwerden durch übermäßiges Alkoholtrinken zu.26 Maria war das jüngste Kind der Stonawskis und auch das erstgeborene in Strzebowitz. Sie wurde Marie Josephine Sophie Stonawski getauft,27 nach der Heirat trug sie den bürgerlichen Namen Marie Scholz, wir werden sie jedoch nach dem Pseudonym Maria Stona nennen, den sie von ihrem Geburtsnamen abgeleitet hat. Auf die einfache Frage nach dem Geburtsdatum Stonas gibt es überraschen- derweise eine reiche Sammlung von Antworten. Das renommierte Österreichische biographische Lexikon führt den 1. Dezember 1861 auf. Und es ist bei weiten nicht allein. Dasselbe Datum erscheint in einer Reihe von weiteren Nachschlagewerken oder seit Neustem auch in der tschechischen sowie deutschen Wikipedia. Ein völlig anderes Geburtsjahr – 1868 – führt Milan Rusinský in seiner bahnbrechenden Studie über die

21 Die Reproduktion seines Bildes wurde als Vorlage einer der Ansichtskarten genutzt. Vgl. SZM, FP, Inv. Nr. FP 14880. 22 Demblin (1997): 13, 191. 23 ZAO, Sbírka matrik severomoravského kraje, Sign. Ja VI 7, fol. 143. 24 Stona (1961); 30. 7. 1890: 4; ZAO, Sbírka matrik severomoravského kraje, Sign. ET I 3, fol. 107; Josef Stonawski, Wiener Landwirtschaftliche Zeitung 2. 4. 1904: 254; Stona (1904). 25 Neue Freie Presse 8. 2. 1905: 8; Silesia 10. 2. 1905: 3. 26 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 29. 1. 1905. 27 ZAO, Sbírka matrik severomoravského kraje, Sign. ET I 7, fol. 272.

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deutsche Literatur in Schlesien an.28 In diesem Falle ist jedoch ein Irrtum klar ersicht- lich. Andere Quellen geben alternativ den 1. Dezember 1860 an. Dieses Datum scheint durch die Grabplatte der Familie Stonawski-Scholz an der Pfarrkirche Strzebowitz be- stätigt zu werden. Aus den Kirchenmatrikeln der geborenen Kinder des evangelischen Pfarramtes Nieder-Bludowitz geht hervor, dass Maria Stona nicht Anfang der 60er, son- dern Ende der 50er Jahre geboren wurde, und zwar am 1. Dezember 1859. Getauft wur- de sie am 28. Dezember.29 Merkwürdigerweise erschien das Datum 1. Dezember 1860 ursprünglich auch in der Trauungsmatrikel. Es wurde erst nachträglich korrigiert.30 Ein solcher Unterschied ist für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ungewöhnlich. Wie kann man es erklären? Angesichts dessen, dass die Jahre 1860 und 1861 mehrmals in Stonas Biographie bereits während ihres Lebens erschienen sind, ist es anzunehmen, dass sie diese Jahre selbst als Geburtsdatum angegeben hat. Das würde auch die falsche Eintragung auf der Grabplatte erklären. Hat sie wissentlich nicht die Wahrheit gesagt? Wie wir später sehen können, war Stona eine Frau, die vom Interesse der Männer an ihr begeistert war, oft waren es jüngere Männer als sie selbst. Vielleicht hat sie deshalb absichtlich einen kleinen Betrug begangen. Mit der Verschiebung des Geburtsdatums um ein oder zwei Jahre wurde sie plötzlich „um ein Jahrzehnt“ jünger. Oder handelte es sich um einen bloßen Irrtum? Wie dem auch sei, hinsichtlich des Todestages konnte sie nicht mehr schwindeln: Sie starb am 30. März 1944 in Strzebowitz. Die im Strzebowitzer Schloss erlebte Kindheit projizierte Stona später in die biographischen Skizzen über ihre Eltern. Was wissen wir von ihrer Kindheit? Ihr Vater widmete sich völlig dem wirtschaftlichen Betrieb der Domäne und den damit verbun- denen Bearbeitungsbetrieben. Nur in seltenen Augenblicken, wenn er frei hatte, las er gerne historische Romane von Walter Scott. Von einigen Fotos schaut er auf uns als schlicht gekleideter Mann mit Bowler. Das Bild der Mutter fließt dann in Übereinstim- mung mit der zeitgenössischen Rollenaufteilung mit dem Haushalt, der Erziehung der Kinder und der Frömmigkeit zusammen. Neben den Eltern und dem Bruder wimmelte das Strzebowitzer Schloss von Verwandten aus Ost-Schlesien und Galizien, konser- vativen Tanten – offensichtlich nicht verheirateten oder verwitweten Verwandten, um die man sich entsprechend der Gewohnheiten des 19. Jahrhunderts kümmern musste.31 Sie werden auch in Stonas Briefen oder literarischen Arbeiten erwähnt und sind meis- tens mit einem negativen Bild der Engherzigkeit und des Obskurantismus verbunden. Anscheinend verlief alles so, wie Stona in einem ihrer Bücher schildert, wo erst nach dem Tod der Mutter (d. h. 1890) „zwei Tanten das Haus verließen, nur Sophie blieb, die jüngste und gütigste von ihnen, und führte die Wirtschaft“.32 Ein untrennbarer Bestand- teil des Haushalts auf dem Strzebowitzer Schloss war das Dienstpersonal, das ab und zu in Stonas Briefen oder Erinnerungen der Besucher auftritt: Meistens handelte es sich um Tschechen, die aber teilweise auch gesprochenes Deutsch verstanden.33

28 Rusinský (1933): 73. 29 ZAO, Sbírka matrik severomoravského kraje, Sign. ET I 7, fol. 272; Svoboda (2007). 30 ZAO, Sbírka matrik severomoravského kraje, Sign. ES IV 4, fol. 41. 31 Vgl. Kuhn (2002) 32 Stona (1907): 20. 33 Brandes (1906): 529.

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Ein Kind im Strzebowitz der 1860er Jahre hatte nicht viel Unterhaltung zur Ver- fügung und es ist möglich, dass auch Maria – genauso wie die Hauptfigur ihres autobio- graphischen Erstlingswerks – mit den Dorfkindern im Garten spielte, Fische im Bach fing und auf Bäume kletterte.34 Was aber an Stonas Kindheit am interessantesten ist, und was auf sie vielleicht einen bedeutenden formativen Einfluss hatte, ist die Absenz jeglicher formalen Bildung. Sie besuchte nie eine Schule, und trotzdem behauptete der Philosoph Bartholomäus von Carneri seinem finnländischen Kollegen Wilhelm Bolin gegenüber, dass „ihre Bildung in jeder Beziehung eine ganz ungewöhnliche ist“.35 Das größte Verdienst an ihrer geistigen Entfaltung hatte eine Erzieherin, die im Haus der Stonawskis angeblich zehn Jahre seit Stonas achtem Lebensjahr tätig war, also ungefähr in den Jahren 1867–1877.36 Diese Gouvernante war eine gewisse Valeska Schliephacke aus dem deutschen Halberstadt.37 Bestimmt nicht zufällig wählten die evangelischen Schlesier eine Frau aus dem protestantischen Teil Deutschlands aus, über die zwar die „zuverlässigen Quellen“ schweigen, die aber in einigen Werken Stonas in Erscheinung tritt. Obwohl literarische Texte nicht als Realität wahrgenommen werden können, sind diese jedoch beim Fehlen jeglicher Zeugenaussagen ein gutes Mittel zur Füllung der weißen Stellen in der Lebenswelt der Schriftstellerin, zumal wir wissen, dass die Au- torin zur Autobiographie neigte und die Realien ihres Lebens oft nur mit veränderten Namen verschlüsselte. Valeska Schliephacke ist zum Beispiel identisch mit der Figur Thekla aus dem ersten Roman von Marie Stona Der Rabenschrei, wo wir lesen:

Da rief die Mutter eine deutsche Erzieherin herbei. Die achtjährige Valerie [d. h. Maria] erwartete sie mit Scheu, denn die Tanten hatten ihr Angst gemacht. Fräu- lein Thekla war lang und mager; sie trug das braune Haar zu einem Chignon auf- gesteckt, und da sie gerade aus England kam, wollte sie gleich ein Badezimmer haben und hatte hundert Wünsche nach Dingen, die man in Pruskau [d. h. Strze- bowitz] nicht einmal dem Namen nach kannte. Die Tanten waren entsetzt über das Fräulein, Valerie aber vergötterte es. Nie hatte sie geahnt, daß das Lernen so schön sein könnte.38

Als Valeska Schliephacke im Jahre 1927 starb, schrieb Stona ein Gedicht, in dem sie von ihrer Gefährtin als von einer ledigen, kinderlosen Frau spricht, mit der sie eine innere Beziehung verband.39 Stona war ein typisches Produkt der Erziehung der Mädchen aus höheren So- zialschichten der damaligen Zeit. Laut ihren eigenen Worten wurde sie ausschließlich auf die Heirat vorbereitet. Das Ergebnis dieser Erziehung war eine unerfahrene, idea-

34 Stona (1907): 14. 35 WBR, HS, Sammlung Wilhelm Börner, H. I. N. 178882, B. von Carneri an W. Bolin, Marburg an der Drau 17. 9. 1887. 36 ÖNB, Sammlung Otto Frankfurter, 228/12-1, M. Stona an R. F. Arnold, Strzebowitz 10. 11. 1927, Anhang. 37 Wer istʼs (1928): 1536. 38 Stona (1907): 14. 39 Stona (1928): 88.

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listische, naive junge Frau.40 Die Zeit im Elternhaus verkürzte sie sich mit den üblichen literarischen und künstlerischen Versuchen. Von den zuletzt erwähnten sind ein Selbst- porträt in Reproduktion, das in der deutschen Ausgabe des letzten Romans Stonas Vor dem Sturz41 abgebildet ist, sowie ein nicht besonders gelungenes Aquarell der alten Strzebowitzer Kirche erhalten geblieben.42 Allein auf der Grundlage dieses Bilderpaa- res kann keine Beurteilung der künstlerischen Begabung des Mädchens vorgenommen werden. Das Malen sollte jedoch bald und offensichtlich definitiv dem Schreiben wei- chen. Es passte besser als Ausdrucksmittel in einer Situation, wo romantische Vorstel- lungen des heranwachsenden Mädchens der Ernüchterung und Desillusion in der Rolle der Neuvermählten wichen. Auch Stonas Heirat hielt die zeitgenössische Rollenaufteilung zwischen Mann und Frau aufrecht. Sie heiratete bereits mit einundzwanzig Jahren, ohne die Möglich- keit zu haben, das Leben außerhalb des Familiensitzes kennen zu lernen, während ihr künftiger Ehegatte – JUDr. Albert Scholz (1850–1905) – ein um zehn Jahre älterer, gebildeter, erfahrener und finanziell abgesicherter Mann war. Er gehörte zu den besten Partien in Mähren und Stona muss von seiner Mondänität begeistert gewesen sein, ebenso wie die Heldin des Romans, Valerie, von Dr. Franz Heeger fasziniert war, als dieser zu einer der regelmäßig veranstalteten Jagdgesellschaften anreiste: „Einen Welt- mann wie diesen hatten sie noch nie gesehen. Er war Fabrikbesitzer in Mähren, trug Lackschuhe und seidene Strümpfe und goß Parfüm auf seine Hände.“43 Albert Scholz, Doktor der Rechtswissenschaften, besaß tatsächlich eine Fabrik in Mähren, konkret eine Zuckerfabrik in Chropin bei Kremsier. Der Chropiner Betrieb war dabei nur ein kleiner Teil des Industrie-Imperiums, das von seinem Vater, Alois Scholz (1821–1883), der einer der wohlhabendsten Unternehmer in Mähren war, aufgebaut worden war. Scholz der Ältere wechselte die Direktorenposten, z. B. in den Kleinschen Eisenwerken zu Zöptau oder in der Witkowitzer Berg- und Hüttengewerkschaft. Zudem ist er auch in eine Reihe von Betrieben mit seinem Kapital eingetreten.44 Gegenüber der Familie Scholz müssen die Stonawskis, obwohl sie auf einem Schloss lebende Gutsbesitzer waren, wie „arme Verwandte“ gewirkt haben. Der gewisse Standesunterschied wurde jedoch durch die gegenseitigen Sympathien des jungen Paares überwunden. Nachfolgende Ereignisse könnte der Erzähler nur schwer schildern, wenn es wie- derum Stonas Roman nicht gäbe, welcher oft nur flüchtig die realen Ereignisse aus dem Leben der Schriftstellerin kodiert. Vergleichen wir die „Fiktion“ mit der Realität. Zur Trauung der Hauptfigur schrieb Stona Folgendes: „Da Franz katholisch, Valerie protes- tantisch war, wurde die Trauung in der katholischen Sakristei von Pruskau und in der protestantischen Kirche der nahen Fabrikstadt Odersch vorgenommen.“45 Durch ein einfaches Austauschen des Franz für Albert und Valerie für Maria, Pruskau für Strzebo-

40 Vgl. Budde (2000). 41 Stona (1934). 42 Prokop – Hadamčík (1938): 9. 43 Stona (1907): 15. 44 Spurný (1997). 45 Stona (1907): 17.

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witz und Odersch für Mährisch-Ostrau erhalten wir ein treues Bild des Hochzeitstags. Die zuständigen Kirchenmatrikeln bestätigen, dass Maria Stonawski und Albert Scholz am 12. September 1881 an beiden genannten Orten die Ehe geschlossen haben. Der Zeuge der Braut war Andreas Stonawski, der Zeuge des Bräutigams war ein Mitglied einer verwandten Unternehmerfamilie, Ignaz Seidl aus Mährisch-Schönberg.46 Maria Scholz folgte ihrem Gatten nach Chropin, wo den Eheleuten innerhalb eines Jahres das erste Kind geboren wurde. Die Tochter, getauft auf den Namen Helena Antonia Maria Josefa, kam am 16. August 1882 zur Welt. Ihre Taufpaten waren Gus- tav Stonawski, offensichtlich der Bruder der Mutter, und Alois Scholz. Helene Scholz wurde später Bildhauerin und nach der Rückkehr in das Kulturmilieu von Strzebowitz werden wir ihr noch mehrmals begegnen. Das zweite Kind bekamen die Scholz am 22. Juni 1884 in Chropin. Es handelte sich diesmal um einen Sohn, der auf den Na- men Siegfried Adalbert Alois Josef getauft wurde, die Taufpaten waren wieder Alois Scholz, diesmal in Vertretung des Gutsbesitzers zu Chudwein, Emil Ritter von Tersch, und die Ehefrau des Vertreters Louise von Tersch. Obwohl die Eltern unterschiedlichen Konfessionen angehörten, hatten sie vereinbart, dass beide Kinder katholisch erzogen werden sollten. Beide Kinder sind jedoch später zur evangelischen Religion übergetre- ten, Helene im Jahre 1898, Siegfried Adalbert im Jahre 1913, wohl im Zusammenhang mit der Trauung.47 In Chropin lebte die Familie bis 1888. Soweit wir Stonas Romanen glauben kön- nen, war der Aufenthalt in Chropin von einer allmählichen Entfremdung der Eheleute gekennzeichnet. Für uns wird dieses Intermezzo, das Stona einmal im Leben für län- gere Zeit vom Heimatdorf Strzebowitz weggeführt hatte, erst am Ende, gegen 1887, interessant. Damals, wie es schien, ist Maria Stona geboren! Spätestens im Jahre 1887 veröffentlichte sie ihre ersten literarischen Texte, zum Teil bereits unter dem neuen Pseudonym, und aus dem Jahr 1887 stammt auch der älteste erhaltene Brief von Stona – übrigens als einziger noch in Chropin geschrieben. Darüber wird allerdings erst in weiteren Kapiteln erzählt. Wir verfolgen bisher immer noch den Lebenslauf der Auto- rin, der sich Ende der 80er Jahre zu beschleunigen beginnt, um in den Jahren 1899 und 1900 in eine gefährliche Spirale zu geraten. Der ungefähr siebenjährige Aufenthalt in Chropin endete wahrscheinlich infolge der Fehlentscheidungen im Unternehmen des Albert Scholz. Wohl zu dieser Zeit dachte Stona über die Trennung nach, aber die Exis- tenzschwierigkeiten haben das Paar noch einmal zueinander geführt, wie das Sujet des Romans Rabenschrei andeutet. Stonas Vater gewährte der Familie Hilfe und Zuflucht auf dem Strzebowitzer Schloss, wo sich deren Wirtschaftslage für lange Zeit stabilisie- ren konnte. Albert Scholz war auch in der Verwaltung der Firma von Josef Stonawski tätig,48 aber alles endete so wie in Chropin. Stonas Ehemann lebte wohl über seine Verhältnisse und anscheinend war auch Stona in diesem Zusammenhang nicht völlig unschuldig. Die entstandene Situation wurde am 30. April 1900 von Bartholomäus von 46 ZAO, Sbírka matrik severomoravského kraje, Sign. BI XI 16, fol. 93; Sign. ES IV 4, fol. 41. 47 MZA Brno, Sbírka matrik, Sign. 7773: 210, 236. 48 ZAO, Krajský soud Opava, oddělení firemních spisů, Sign. HrTřebA4 (Strzebowitzer Siritus- und Pottaschefabrik des Josef Stonawski).

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Carneri in einem Brief an seine Freundin, die Literatin Marie Eugenie delle Grazie, beschrieben:

Was ich Ihnen jetzt sage, bleibt vor der Hand, unter uns. Dr. Sch[olz] ist einer der schlimmsten Arten Verschwender. Er hat schon ein Mal, wie er noch in Chropin war, sein und seiner Frau sehr schönes Vermögen durchgejagt. Hierauf zogen sie zu ihrem Vater, und da hat Sch[olz] bald gewußt, die Leitung des Gutes und der Fabriken an sich zu reißen. Im Anfang sagte dies der Maus [Maria Stona] zu, die auch eine ganz nette Neigung zur Verschwendung hat, aber zum Glück, wennʼs darauf ankommt, auch musterhaft sich einzuschränken versteht. Eine Zeit lang ging es auch brillant, bis Vater und Tochter einsahʼn, daß alles auf Schwindel be- ruhte. Nun giebt es keine andere Rettung als den unglückseligen Doctor gänzlich loszuwerden. Die Scheidung ist auch in Zug, natürlich mit großen Geldopfern, aber ich fürchte noch immer, daß sie nicht zu Stande kommt, und dann gehʼn alle dem totalen Ruin entgegen. Kommt die Scheidung zu Stande und bleibt der alte Herr noch lange genug arbeitstüchtig, dann kann noch alles in ein gutes Geleise kommen; aber es wird ein saueres Stück Arbeit sein.49

Die schlechte wirtschaftliche Lage trat bereits während des vorherigen Jahres ans Tageslicht und die Scheidung einer ohnehin nicht funktionierenden Ehe erwies sich als die einzige Möglichkeit, wie das Familienvermögen der Stonawskis gerettet werden konnte. In diesem Augenblick war es nicht klar, ob Stona ihr Schloss verlieren wird. Mit Erleichterung konnte sie letztendlich am 26. November 1899 Brandes mitteilen, dass ihr Ehemann just an diesem Tag die Einwilligung zur Scheidung erteilt hatte. In der letzten Minute zögerte Stona noch, aber der energische Eingriff ihres Vaters startete das Scheidungsmartyrium dann doch:50 „Heirat ist Brutalität; Scheidung Bestialität“, schrieb Stona am 12. April 1900 an Brandes.51 Ein paar Wochen früher schrieb sie über ihre Krise einem anderen Freund, dem deutschen Journalisten und Schriftsteller Lud- wig Jacobowski:

Mein Vater ertrugs nicht länger, dieses zurückgeschoben werden und ich hät- te eines Tages betteln gehen können. Also jener unheilvolle Leichtsinn, der hier herrschte und den Vater malträtierte, mußte [im Original hervorgehoben] gebro- chen werden. Jetzt bin ich allein, jetzt weiß ich, was ich habe, aber es war ein fürchterlicher Sieg. Ich habʼ zu viel verloren.52

Zu der Zeit, als Stona über den erkämpften Sieg schrieb, war bei weitem noch nicht alles klar. Die Verhandlungen zogen sich ungefähr ein Jahr dahin und noch im August 1900 war ihr Vertrauter Carneri nicht ganz sicher, ob Stona nicht zu ihrem Ehemann

49 WBR, HS, Nachlass Marie Eugenie delle Grazie, H. I. N. 100296, B. von Carneri an M. E. delle Grazie, Marburg an der Drau 30. 4. 1900. 50 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 26. 11. 1899. 51 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 12. 4. 1900. 52 Stern (1974), Band I, M. Stona an L. Jacobowski, s. l. 26. 3. 1900: 468–469.

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zurückkehren würde.53 Erst im Dezember teilte das Bezirksgericht Troppau dem evan- gelischen Pfarramt Mährisch-Ostrau mit, dass die Ehe der Maria und des Albert Scholz geschieden wurde.54 Da im Falle der Ehe der Katholiken (und Albert Scholz war Katho- lik) eine Trennung nach der cisleithanischen Rechtsordnung nicht möglich war, blieb die mit dem Vermögensausgleich verbundene Scheidung die einzige Möglichkeit. Josef Stonawski übernahm wieder die Verwaltung des Gutes und es gelang ihm, den Betrieb von den Schulden zu befreien, die durch Scholz verursacht worden waren. Stonas Vater war aber im Jahre 1900 bereits siebenundsiebzig Jahre alt und ein Teil der Pflichten, die mit dem Betrieb zusammenhingen, ging nun auf die Tochter über. Ihre frühere Sorglosigkeit bezüglich der Wirtschaft wechselte mit einem zwar nicht freiwil- ligen, aber aufrichtigen Interesse am Wohlergehen des Familienunternehmens ab. In Stonas Korrespondenz erscheinen nun neben Teepartys und literarischen Aktivitäten immer öfter auch wirtschaftliche Angelegenheiten. Noch mehr Sorgen kamen im Jahre 1906 hinzu, als der Vater von einem leichten Hirnschlag betroffen war.55 Noch konnte er sich davon erholen, aber als er am 24. November 1910 mit 87 Jahren starb, musste Stona die gesamte Verantwortung übernehmen. Eine teilweise Erleichterung brachte erst das Jahr 1917, in dem sie die Verwaltung des Landwirtschaftsbetriebes des Groß- grundbesitzes Strzebowitz-Martinau an die tschechische Genossenschaft für Viehzucht günstig verpachtete.56 Der Tod des zutiefst bewunderten Vaters bedeutete für Stona zusammen mit der Scheidung wohl den größten Schicksalsschlag. Der Zeitraum zwischen 1900 und 1910 war für sie am allerschwersten. Im Jahre 1900 wurde ihre Ehe geschieden, am 7. Feb- ruar 1905 starb ihr einziger Bruder Gustav und anschließend starb im Teschener Lan- deskrankenhaus, am 24. April 1905, auch ihr ehemaliger Mann, JUDr. Albert Scholz, der nach der Scheidung das Gut in Hultschin gemietet hatte.57 Laut Stona starb er am gleichen Übel wie ihr Bruder, nämlich am übermäßigen Alkoholgenuss.58 Auch eine Reihe von ihren guten Freunden schied in diesen Jahren aus der Welt. Zu dieser Zeit dachte sie ernsthaft über einen Wegzug von Strzebowitz nach. Sie wollte erneut hei- raten und auch Helene plante eine Hochzeit, „Los von Strzebowitz ist unsere Dewise“, schrieb sie damals an Brandes. Stona ist sogar etwas Unvorstellbares gelungen: Den Vater zum Verkauf des Gutes zu überreden, für das er gearbeitet und gelebt hat.59 Dieser Plan hat sich jedoch – aus welchem Grund auch immer – zerschlagen. Wir wissen nur, dass Helene ihre angedachte Hochzeit widerrufen hat. In dem Bestreben, niemanden und nichts Bedeutendes zu vergessen, haben wir bereits fast die Hälfte des Lebens von Stona geschildert, ohne gesagt zu haben, wie 53 WBR, HS, Nachlass Marie Eugenie delle Grazie, H. I. N. 100296, B. von Carneri an M. E. delle Grazie, Krumpendorf 10. 8. 1900. 54 ZAO, Sbírka matrik severomoravského kraje, Sign. ES IV, fol. 41. 55 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 8. 4. 1906. 56 ZAO, František Zíka, Inv. Nr. 228, Box 3; ebenda, Inv. Nr. 349, Box 9. 57 Silesia 26. 4. 1905: 2; ZAO, Krajský soud Opava, oddělení firemních spisů, Sign. HrTřebA4 (Strzebowitzer Spiritus- und Pottaschefabrik des Josef Stonawski). 58 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 29. 1. 1905. 59 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, s. l. 18. 8. 1906.

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sie eigentlich war. Sie hat sich selbst in einem Brief an Brandes als 163 cm große, grauäugige,60 blonde Frau beschrieben.61 Es stellt sich die Frage, ob sie bei der Angabe ihrer Körpergröße nicht übertrieben hat und ob diese Information überhaupt ernst ge- meint war. Von den Fotos wissen wir nämlich, dass die Inhaberin von Strzebowitz klein war, und das Attribut klein haben auch die meisten Freunde mit ihr verbunden. Carneri nannte sie „die kleine Marie Stona“ oder noch vertraulicher „die kleine Maus“.62 Stonas Freundin, die deutsche Journalistin Else Frobenius, widmete ihr in ihren Erinnerungen ein ganzes Kapitel, das sie Die kleine Marquise betitelte. Von ihr haben auch wir uns dieses Epitheton geliehen. Jedoch nicht als Charakteristik einer historischen Persön- lichkeit, sondern als Ausgangspunkt für die Antwort, wer Maria Stona war. Geben wir aber das Wort einer Freundin Stonas. Das kleine Gedicht, das sie einmal in das Strzebo- witzer Gästebuch geschrieben hat, bietet das Bild der Gastgeberin in einer einzigartigen poetischen Kurzform dar:

Notre petite marquise Gracieuse et bien mise, Pleine d’esprit et d’âme, Tojours la grande dame. Causeuse élégante, Diseuse charmante, Philosophe ironique, Poête bucolique, Noble chatelaine, Active souveraine – Elle est – en un mot Le coeur du château!63

Diese prägnante Charakteristik kann nur noch ergänzt werden. Der alte Philo- soph Carneri schrieb über Stona an Wilhelm Bolin nach Helsinki: „[...] die reizende kleine Frau ist ebenso hübsch und jung, als sie geistvoll ist [...]“. Seine Behauptung begleitete er durch das sogenannte Kalenderbildchen, „welcher der Schalk aus jedem Zug hervorguckt“.64 Diesen Gesichtsausdruck hat Stona bis zum hohen Alter aufrecht- erhalten. Und noch der tschechische Komponist Ilja Hurník bezeichnete in seinen Er- innerungen aus der Kindheit die kleine Gestalt und den lebendigen Charakter als die Hauptzüge der Schriftstellerin Stona: „Die Tür hat sich geöffnet und da stand – eine Elfe! Nein, es war die Gräfin. Eine kleine, bejahrte und pausbackige, Augen, Backen, Finger, alles spielte an ihr.“65 60 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 4. 7. 1899. 61 „[...] mit dem Haar wie reifender Weizen im Abendlicht.“ – Nathusius (1925). 62 WBR, HS, Nachlass Marie Eugenie delle Grazie, H. I. N. 132093, B. von Carneri an M. E. delle Grazie, Marburg an der Drau 23. 5. 1890. 63 Wildenthal (2005): 213. 64 WBR, HS, Sammlung Wilhelm Börner, H. I. N. 178882, B. von Carneri an W. Bolin, Marburg an der Drau 17. 9. 1887. 65 Hurník (1979): 187.

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Die wirkliche Stona war – so wie ihre Poesie und Prosa – beseelt von Leiden- schaft und Sehnsucht. Sie suchte die Gesellschaft von starken und geistreichen Män- nern, und diese wiederum wurden von ihr angezogen. Sie lernte ihr Aussehen und ihren Charme zu nutzen, und deshalb haben die Bewunderer sie nicht in Verlegenheit ge- bracht. Manches wird in dem Brief angedeutet, in dem Carneri an Marie Eugenie delle Grazie schreibt: „Die kleine Maus ist zwar die Koketterie in Person – sie kann nicht anders – aber sie ist gewiß besser als ihr Ruf.“66 Vielleicht hatte Carneri Recht. Stonas Vorliebe für das Flirten kann bei dem Leser ihrer Privatkorrespondenz mit vornehmen europäischen Intellektuellen den Eindruck erwecken, dass sie nicht einmal durch die Ehe am Anknüpfen sexueller Beziehungen mit anderen Männern gehindert wurde. Eine erotische Aufladung ist zum Beispiel in den Briefen an Ludwig Jacobowski vorhanden, aber die Wirklichkeit sah nach Carneri anders aus. Denn auch an Brandes schrieb sie offen:

[...] ich habe die schönste Absicht, mit Ihnen zu flirten, ich bitte Sie um Gottes- willen nur nichts deutsches und langweiliges. Nur keine „Beziehungen“, die sich in einem dünnen Faden ausziehen u[nd] keine Kraft u[nd] kein Ende haben. Ich kenne das zur Genüge – hu! Etwas Graziöses, Tolles, Lachendes, Nixenhaftes – Entschwindendes. Nur keine Banalität.

Ihre scheinbare Dreistigkeit hat sie aber mit einer erotischen Metapher aufs richtige Maß gebracht: „Ich liebe den Duft der Erdbeere mehr als die Erdbeere selbst.“67 Auch nach der Scheidung von Albert Scholz fühlte Stona keinerlei Abneigung gegen das männliche Geschlecht, auch wenn sie durch einen gewissen Reichsdeutschen belästigt wurde, der anscheinend mit jenem Mann identisch war, den sie in den Brie- fen an Brandes als Rechtsanwalt bezeichnete.68 Wie kompliziert Stonas Liebesleben zu dieser Zeit war, zeigt, wenn auch nur in Andeutungen, ihr Brief an Jacobowski vom Frühling 1900:

Wie das Ende kam? Ja, lieber Jacobowski, das fing schon im April an. Damals, als Sie zu Thea [Ettlinger] fuhren, da hatte ich das Gefühl, daß meine Hand los- gelassen würde und ich tappte ängstlich und unsicher herum. Da schrieb mir der Braun exaltierte Briefe, und meine Seele st[r]eckte schon die feinen Fühlerchen nach Ihnen aus. [...] Dann kam Ihr Hiersein und da gabʼs Momente, wo alles gut war. Dann kam die entsetzliche Indiskretion mit der Haarnadel. Wie mich das schockierte. Und zwischendurch streckte die Seele die Fühlerchen nach anderen Briefen aus. [...] Da kommt zu mir – zu mir!, die ängstlich jedem Skandal aus dem Wege ging, ein Mann und sagt mir: ,Wähle! Deinen Mann oder mich!ʻ [...].69

66 WBR, HS, Nachlass Marie Eugenie delle Grazie, H. I. N. 100056, B. von Carneri an M. E. delle Grazie, Marburg an der Drau 7. 5. 1900. 67 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, s. l. 1. 3. [1901]. 68 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, s. l. 13. 6. 1901, s. l. 7. 7. 1901. 69 Stern (1974), Band I, M. Stona an L. Jacobowski, s. l. s. d. [Strzebowitz 13. 4. 1900]: 470–471.

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Es ist nicht leicht, sich in den Gefühlen der vierzigjährigen Stona zu orientieren. Die Sachen bekommen erst nach dem Tod von Scholz am 24. April 1905 festere Umrisse, als Stona wieder „frei“ wurde. Sie versäumte keine Zeit und schrieb schon am 9. Mai an Brandes, dass sie wieder an eine neue Eheschließung denke.70 Ihren künftigen Ehemann charakterisierte sie als einen ausgezeichneten, edlen Menschen von vornehmer Gesin- nung, einen Journalisten von Beruf – einen der namhaftesten in Österreich – z. Z. tätig im Staatsdienst. Zu der Zeit wusste nicht einmal ihr Vater von der geplanten Heirat. Die Identität ihres Auserwählten offenbarte sie Brandes im nächsten Brief vom 8. August 1905. Es war Karl Erasmus Kleinert, ein siebenundvierzigjähriger Mann. Die Tochter Helene soll erklärt haben: „[...] so eine Liebe wie die seine giebts auf der ganzen Welt nicht mehr [...].“ Stona fügte noch hinzu, dass die Ehe ein Jahr später geschlossen werden könnte, „früher ist es unmöglich, da er katholisch u[nd] gerichtlich geschieden ist, also erst die ungarische Scheidung durchführen muß“.71 Wann Stona und Kleinert geheiratet haben, ist bisher unbekannt. Dass die Trauung tatsächlich stattgefunden hat, scheint unbestreitbar zu sein. Die erste Friedensnobelpreisträgerin, Bertha von Sutt- ner, notierte in ihrem Tagebuch, wie ihr ihre schlesische Freundin bei einem Wiener Abschied davon erzählte, dass sie wieder geheiratet habe.72 Die Öffentlichkeit wusste jedoch von diesem Bündnis offensichtlich nichts. Auch der Kenner der Ortsverhältnisse Alois Prokop schreibt unbestimmt über Kleinert, dass „er oft das Strzebowitzer Schloss besucht hat“.73 Kleinert, der zu der schlesischen Literatin nach Strzebowitz umsiedelte, um hier seine grüne Insel Zeit zu erleben74, war in der gebildeten Öffentlichkeit nicht unbe- kannt. Er wurde im Jahre 1857 in Wien in der Familie eines bekannten Medailleurs und Graveurs geboren und nach seiner Studienzeit begann er eine Karriere als Journalist. Im Rahmen seiner journalistischen Laufbahn war er tätig als Mitarbeiter der Grazer Tages- post und als Chefredakteur des Hamburger Tageblatts, der amtlichen Grazer Zeitung und der Wiener Zeitung. Außerdem veröffentlichte er im Jahre 1889 die anerkannte Monographie über den Dichter Robert Hamerling. Er wurde mit dem Franz-Joseph- Orden ausgezeichnet und es wurde ihm der Titel „Kaiserlicher Rat“ verliehen. Er wurde hauptsächlich durch seine Teilnahme an Autorenlesungen und Vorlesungsabenden in ei- ner Reihe von österreichischen und deutschen Städten bekannt. Er starb im Jahre 1933 in Wien. Soviel an dieser Stelle zur kurzen Biographie von Kleinert.75 In Bezug auf seinen Aufenthalt in Schlesien hatte Stona einige Details in dem Sammelband erfasst, den sie zu Ehren Kleinerts herausgegeben hat. In diesem erwähnt sie, wie er zuerst die ländliche Ruhe begrüßte, er schloss sich der Gesellschaft der Ostrauer Schlaraffia an,

70 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, s. l. 9. 5. 1901. 71 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 8. 8. 1905. 72 UNOG, RRAU, Bertha von Suttner Papers, Box 3, File 6/22, Diary Vol. X (1. 1. 1912–31. 12. 1913), fol. 43. 73 AMO, Sbírka pamětí a vlastivědných rukopisů, Inv. Nr. 245, Box 19, Alois Prokop: Vzpomínka na spisovatelku Marii Stonu. 74 Stona (1933): 23–43. 75 Wiener Zeitung 18. 2. 1933: 4; ÖBL (1965): 387.

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aber nach einer gewissen Zeit wurde Strzebowitz für ihn langweilig. Er vereinbarte mit Stona, dass er öfters außerhalb Schlesiens verweilen wird, aber zum Schluss trennte sich das Schriftstellerpaar.76 Schon Ende des Jahres 1919 schrieb Stona an Brandes: „[...] ich habe vor allem meinen Mann gut verheiratet“.77 Kleinert heiratete also wieder und Stona ging allem Anschein nach keine weitere Ehe mehr ein. Beide Kinder aus der ersten Ehe verließen Strzebowitz bereits Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Erziehung der Tochter Helene führte Stona absichtlich in einem dia- metral entgegengesetzten, moderneren Geiste gegenüber jener Erziehung, die sie selbst erlebt hat. Sie förderte die natürliche Begabung der Kinder, deren Frucht nicht mehr eine gute Partie sein sollte, sondern die persönliche Unabhängigkeit. Die Tochter war als Kind dem Einfluss der intellektuellen Gäste Stonas ausgesetzt und im Jugendalter führte sie sie in die Wiener Salons ein. Sie zögerte nicht, Helena in dem für Frauen un- gewöhnlichem Studium der Bildhauerei zu unterstützen, zuerst in Wien und später bei dem renommierten belgischen Bildhauer Charles van der Stappen. Am Ende übertraf Helene Scholz ihre Mutter durch ihre künstlerische Bedeutung und stieg in die höchs- ten Gesellschaftsschichten auf, als sich von ihr solche Persönlichkeiten porträtieren ließen wie die österreichische Kaiserin Zita mit ihrem Sohn Otto, der Generalstabs- chef der österreichisch-ungarischen Armee Franz Conrad von Hötzendorf oder später auch Tomáš Garrigue Masaryk, mit dem sie eine Freundschaft verband, die über die Beziehung Modell – Künstler hinausging. Jeder, der Stonas Geschichte erzählt, muss ab einem bestimmten Zeitpunkt der Versuchung widerstehen, die Aufmerksamkeit auf die starke künstlerische Persönlichkeit Helene Scholz zu verschieben, die sich in den höchsten Kreisen bewegte. Wir widerstehen dieser Versuchung und lassen die faszinie- rende Bildhauerin nur dort eintreten, wo sie einen formativen Einfluss auf die Strze- bowitzer Kultur-Oase hatte. Sie kehrte nie mehr nach Strzebowitz auf Dauer zurück. Zuerst sammelte sie Erfahrungen und Stoffe für ihr Werk in europäischen Kulturmet- ropolen (Wien, Berlin, Brüssel, Rom, Florenz) sowie in Tunis, um zum Schluss in der italienischen Hauptstadt Anker zu werfen. Von hier aus unternahm sie einerseits weitere Reisen, unter anderem in die Vereinigten Staaten von Amerika, andererseits kehrte sie in den Sommermonaten regelmäßig nach Strzebowitz zurück. Ihr Leben verbindet sich mit Stonas Leben in einem unauflöslichen intellektuellen Bündnis bis zum Tod der Mutter, und es überrascht nicht, dass die erfolgreiche, charismatische Tochter eines der häufigsten Objekte in der Korrespondenz der Schriftstellerin ist. Das persönliche Leben der talentierten und unabhängigen Bildhauerin Helene Scholz entzog sich den bürgerlichen Stereotypen, in denen ihre Mutter die Jugend er- lebt hatte. Helene blieb lange ledig, laut Stona war es wohl ihre starke Persönlichkeit, die dauerhafte Beziehungen verhinderte. Auch in einigen Briefen an Brandes nimmt sie Bezug auf die Beziehungen Helenes, die ebenfalls Inhalt der parallelen Korrespondenz von Helene Scholz mit dem dänischen Intellektuellen sind. In den Vorkriegsjahren er- scheint der später bekannt gewordene Schriftsteller (bis 1920 Offizier) Rudolf Jeremias

76 Stona (1933): 5–9. 77 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 31. 12. 1919.

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Kreutz als der wichtigste Mann im Leben Helenes. Aus der sibirischen Gefangenschaft kehrte er als überzeugter Pazifist zurück, was sich wesentlich in seinem literarischen Schaffen (Die große Phrase u. a.) und in der späteren Ablehnung des Nationalsozi- alismus widerspiegelte. Er gehörte auch nach dem Zweiten Weltkrieg zu den ihr am nächsten stehenden Korrespondenzpartnern. Auf die enge Beziehung zwischen ihnen weisen gleichfalls die von Stona an Kreutz adressierten Briefe hin. Sie meldete in ihnen regelmäßig, wo sich Helene gerade befand, und sie bemühte sich, Kreutz zu vertrösten. Anfang der 20er Jahre wird Kreutz von Stona an den damals ausgesprochenen Satz der Tochter erinnert: „Wir wären längst auseinander gegangen. (…) aber wir hätten schöne Kinder gehabt –“.78 Helene Scholz heiratete schließlich im Jahre 1917 ein an- deres Mitglied der österreichisch-ungarischen Armee, Johann Zelezny (1879?–1957).79 Zelezny trat nach dem Ersten Weltkrieg aus dem Militärdienst aus, ähnlich wie Kreutz und eine Reihe von weiteren Personen. Obwohl er ehemaliger Soldat war, hat ihn Sto- na als „einen feinen vornehmen Geist, etwas feminin“ bezeichnet,80 womit auch seine künstlerischen Talente übereinstimmten. Helene, die seit der Heirat unter dem Namen Helene Zelezny-Scholz (damals entstand die Signatur HZS) auftrat, lebte mit ihrem Ehemann auch nach dem Zweiten Weltkrieg, einige Reisen ausgenommen, in Rom. Die Ehe blieb kinderlos. Der Sohn Albert spielte in Stonas Leben eine völlig andere Rolle. Im Gegen- satz zu Helene hat er sich in keinerlei Weise an der Gestaltung des kulturellen Profils von Strzebowitz beteiligt, deswegen widmen wir ihm nur ein paar Zeilen und über- lassen ihn dann definitiv seinem abenteuerlichen Schicksal. Der junge Scholz suchte seinen eigenen Weg mit mehr Schwierigkeiten als Helene, die an ihm sehr gehangen hat, während die Mutter auf seine häufigen Extempore strenger reagierte. Noch zu der Zeit, als sich Albert (nach heutigen Maßstäben) dem Erwachsensein näherte, tritt er in Stonas Briefen höchstens als „ein kleiner Esel“ auf.81 Später wurde er sogar Ursache eines zeitweiligen Konflikts zwischen der Mutter und der Tochter, die Stona mit Hele- nes „blinder Schwäche für ihren Bruder“ erklärte.82 Wenn wir Albert Scholz durch das Prisma der Korrespondenz von Stona verfolgen, erhalten wir das Bild eines irrenden und wieder gefundenen Sohnes. Im Frühling 1905 erwähnte Stona in einem Brief an Brandes, dass Albert in Wien sei, wo er Jura studiere, und sich bessern solle.83 Zu Weih- nachten desselben Jahres verbot sie ihm wegen seines leichtsinnigen Lebenswandels, nach Hause zurückzukehren: „Er faßt das Leben als einen Bummel auf, das kommt von den verdammten Unterrichtsmethoden in Österreich. In den Jahren, in denen andere feste Männer sind – steht er im 2. Jahre Jus, das heißt so viel als: bummelt der ersten

78 WBR, HS, Nachlass Rudolf Jeremias Kreutz, ZPH 1248/8, 2.1.1.271, M. Stona an R. J. Kreutz, Strzebowitz 22. 12. 1921. 79 Klein (1930): 20. 80 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 5. 8. 1917. 81 WBR, HS, Nachlass Marie Eugenie delle Grazie, H. I. N. 80077, M. Stona an M. E. delle Grazie, Strzebowitz 28. 8. 1900. 82 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, s. l. 9. 5. 1905. 83 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, s. l. 9. 5. 1905.

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Staatsprüfung entgegen.“84 Die Situation spitzte sich allmählich zu. Im Frühling des nachfolgenden Jahres schrieb Stona an Brandes:

Helene ist selig in ihren Fortschritten. Ich lächle, wenn ich an sie denke. Mein Sohn dagegen – ach! Er galoppirt in ein Lumpentum. Einer völligen Energielo- sigkeit verfallen, lebt er in Liebschaften u[nd] lernt gar nichts. Rettet ihn nicht das Militärjahr, das im Oktober beginnt, dann schicke ich ihn nach Amerika.85

Albert Scholz wurde offensichtlich weder durch die Universität noch durch das Mili- tärjahr gerettet, da seine Entsendung nach Amerika unausweichlich wurde. Erst nach sechs Jahren erwähnte ihn Stona erneut, und zwar bereits als Rückkehrer aus der Neuen Welt. Eine lange Zeit hatte sie selbst wohl keine Nachrichten von ihm. Von seinem amerikanischen Aufenthalt erzählte er angeblich Wunder und Stona konnte endlich – wenigstens für einen Augenblick – zufrieden sein: „[...] er ist ein Prachtkerl. Amerika formt den Mann.“86 Der junge Abenteurer Albert Scholz kehrte nach Amerika zurück, um dort seinen Lebensunterhalt als Plantagenbesitzer zu bestreiten. Zuerst kam er nach Argentinien und dann in die brasilianischen Urwälder, wo er Reis und andere Früchte züchtete. Die Schilderung dieser Lebensetappe mit abenteuerlichen Geschichten veröffentlichte er unter seinem vollständigen Namen Siegfried Albert Scholz in der Berliner Deutschen Allgemeinen Zeitung. In der englischen Übersetzung erschienen diese Geschichten in Fortsetzung in der populären The Living Age unter dem zutreffenden Titel Pioneering in Brazil. Südamerika verließ Scholz offensichtlich nicht freiwillig: Als Staatsbürger einer der Zentralmächte wurde er, nachdem Brasilien den Krieg an Deutschland erklärt hatte (26. Oktober 1917), zur unerwünschten Person.87 In Europa ließ er sich aber nicht nieder und so beschloss er, sein Glück in Australien zu suchen. Wenn schon seine bra- silianischen Erlebnisse exotisch wirken, dann klingen seine australischen Abenteuer, wie zum Beispiel die Känguru-Jagden, stellenweise noch unglaubwürdiger. Im Neuen Wiener Tagblatt erschienen solche Schilderungen unter dem Titel Das Buschleben in Australien, in The Living Age als We hunt the kangaroo.88 Überspringen wir an dieser Stelle Alberts Liebschaften, von deren Folgen wir nur indirekt von den Strzebowitzer Augenzeugen wissen, und widmen wir uns lieber seinem ehelichen Leben. Genauso wie seine Eltern konnte er die Scheidung nicht ver- hindern: Seine erste Ehefrau Gertrude Schlesinger aus Hamburg soll er im Jahre 1913 geheiratet haben, die Scheidung erwähnt Stona in einem Schreiben an Franz Servaes im Jahre 1924.89 Die zweite Ehefrau des Albert Scholz war die Engländerin Betty Howard.

84 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 24. 12. 1905. 85 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 8. 4. 1906. 86 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 20. 1. 1912. 87 Vgl. Scholz (1925). 88 Scholz (1927); Scholz (1928). 89 ÖNB, Nachlass Franz Servaes, Sign. 1256/52-2, M. Stona an F. Servaes, Strzebowitz 21. 7. 1924; Klein (1930): 20.

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Albert Scholz ist ziemlich jung gestorben, und zwar im Jahre 1939. Es hat ihn nicht nur seine zweite Frau überlebt, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Großbritannien lebte,90 sondern auch seine Mutter Maria Stona. Der Sohn Albert hat Stona, trotz seines abenteuerlichen und vielleicht auch ziemlich ungeordneten Lebens, das einzige legi- time Enkelkind hinterlassen. Aus seiner ersten Ehe stammte die Tochter Liselotte, die meistens kurz Lilo genannt wurde. Sie wurde im Jahre 1915 in Buenos Aires geboren. Das Mädchen, das durch seine Schönheit berühmt war, wie es übrigens auch seine Mar- morbüste aus dem Jahre 1932 von Helene Zelezny-Scholz belegt,91 war zwischen den Kriegen sowohl in Strzebowitz bei Maria Stona als auch in Rom bei Helene Zelezny- Scholz zu Gast.92 Nach dem Jahre 1945 finden wir ihre Spuren in Argentinien, wohin sie ihre Tante Helene eingeladen hatte,93 danach verschwindet sie jedoch aus unserem Blickfeld. Lediglich im Buch über die Porträtkunst von Helene Zelezny-Scholz taucht sie noch einmal als Liselotte Scholz de Rossmann auf.94 In der Korrespondenz mit Brandes schreibt Stona zwar noch über eine andere Enkelin Dagmar, geboren im Jahre 1922 in Stanislau, aber aus einer anderen Quelle wissen wir, dass das Kind schon kurz nach der Geburt starb.95 Nach dem Tod von Helene Zelezny-Scholz im Jahre 1974 blieb also der einzige Nachkomme von Maria Stona in direkter Linie die Enkelin Liselotte Scholz. Ein eventueller tüchtiger Genealoge von Stona müsste in Südamerika forschen. Kommen wir aber in unserer Erzählung zurück nach Strzebowitz zu der Per- sönlichkeit Maria Stona. Wenn wir uns nach ihrem Leben umsehen, ist es, als ob wir vor uns eine Personifizierung Schlesiens sehen würden. Stona verkörperte die gesamte Kompliziertheit der hiesigen Verhältnisse, die zwischen Harmonie und Streit oszillier- ten. Maria Stona trat zwar als deutschschreibende Autorin auf, ansonsten war sie je- doch ein echtes Abbild der schlesischen Multiethnizität. Wenn die Angehörigkeit zum nationalen Kollektiv eine tagtägliche Volksabstimmung ist, wie Renan geschrieben hat, so sollten wir über das Nationalgefühl Stona selbst sprechen lassen. Obwohl ihr Nationalgefühl im Laufe ihres Leben nicht unveränderlich gewesen sein muss, verrät eine Passage des Briefes, den sie im Jahre 1899 an Brandes adressierte, vieles: „Sagen Sie, komm ich Ihnen urdeutsch vor? Ich bin eine geborene Stonawski [...] polnischen Ursprungs, deutscher Erziehung, österreichischer Anlage. Vielleicht hat darum mein Wesen so viele Elemente, die alle zusammen eine vollendete Harmonie ergaben.“96 Über ihr (Alt)-Österreichtum schrieb sie übrigens auch noch lange nach dem Ersten 90 WBR, HS, Nachlass Rudolf Jeremias Kreutz, ZPH 1248/7, 2.1.1.253, H. Zelezny-Scholz an R. J. Kreutz, Zürich 8. 12. 1946; ebenda, H. Zelezny-Scholz an R. J. Kreutz, an Bord der Queen Elizabeth II. 17. 1. 1947; ebenda, H. Zelezny-Scholz an R. J. Kreutz, an Bord der Caronia 15. 6. 1949. 91 Zelezny-Scholz (1970), Abbildung 3. 92 Vgl. AMO, Místní národní výbor Třebovice, Inv. Nr. 103; WBR, HS, Nachlass Felix Braun, ZPH 413/29, H. Zelezny-Scholz an F. Braun, [Rom] s. d. [1938]. 93 WBR, HS, Nachlass Rudolf Jeremias Kreutz, ZPH 1248/7, 2.1.1.253, H. Zelezny-Scholz an R. J. Kreutz, Prag 10. 1. 1946. 94 Zelezny-Scholz (1970), Abbildung 3. 95 Klein (1930): 20. 96 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 14. 8. 1899.

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Weltkrieg in einem Brief an Else Frobenius. Was bedeutete es, ein Altösterreicher zu sein? Es ging vor allem um eine kulturelle Kategorie, Ergebenheit zu den Werten und der Ordnung des alten Vorkriegsösterreich. In dieser Hinsicht war Stona offenbar im Einklang mit ihrem zweiten Ehemann Karl Erasmus Kleinert, denn sie betitelte die im Jahre 1933 herausgegebene Sammlung zu seinem Andenken Ein Alt-Österreicher Karl Erasmus Kleinert. Stonas Altösterreichtum spiegelte sich in vielen Hinsichten, einschließlich ihres Korrespondenzkreises, wider. Es überrascht nicht, dass Stona eine Anbindung an alle fünf Autoren hatte, die nach dem amerikanischen Kulturhistoriker William M. Johnston (neben den drei Riesen Hugo von Hoffmannsthal, Robert Musil, Franz Werfel) über die österreichische Identität nachgedacht haben:97 Sie korrespon- dierte mit Hermann Bahr, Richard Schaukal sowie Richard von Kralik, ihre Tochter führte einen langjährigen Briefwechsel mit Felix Braun und und einzig Anton Wildgans hatte zu Strzebowitz wahrscheinlich nur eine vermittelte Beziehung – zu Stonas Gästen gehörte sein guter Freund Franz Theodor Csokor, der an ihn von dort einen seiner Brie- fe adressierte.98 Zum polnischen Ursprung, deutscher Erziehung und österreichischer Gesinnung fügen wir noch die Fähigkeit hinzu, sich mit der hiesigen tschechischen Bevölkerung im tschechischen Dialekt zu verständigen, die zum Beispiel Ilja Hurník erwähnte.99 Stonas Ursprung verriet angeblich auch ihr Akzent: „Marie Stonas Stimme ist weich, mit den etwas singenden Tönen der Schlesierin und polnischen Anklängen [...].“100 Auch in Hinsicht auf ihre komplizierte konfessionelle Überzeugung kann Stona als „typisch schlesisch“ bezeichnet werden. Obwohl sie Protestantin war, stand sie ei- ner Reihe von katholischen Priestern nahe, wie wir in den nächsten Kapiteln sehen kön- nen. Genauso wie es nicht möglich ist, einen reinen Schnitt zwischen den schlesischen Nationalitäten zu machen, ist es auch im Falle der Konfession nicht möglich. Stona selbst fasste den Katholizismus und Protestantismus bestimmt nicht als Gegensätze auf, sondern eher als zwei Zweige eines Baumes. In einem der Briefe an Brandes schrieb sie: „Heute war ich wieder einmal in der Kirche während einer Messe, obwohl ich Pro- testantin bin.“101 Die Erinnerung eines der hiesigen Zeitgenossen an den Strzebowitzer Pfarrer bestätigt das oben Gesagte: „Er kam in die Schlosskapelle zu Frau Gräfin Stona Messen halten. Er hielt sie auf Tschechisch.“102 Und letzten Endes befindet sich auch die Familiengrabstätte der Stonawskis auf dem katholischen Strzebowitzer Friedhof, also nicht auf einem der schlesischen evangelischen Friedhöfe. In diesen Kontext zählt zudem auch Stonas Freundschaft mit einer Reihe jüdischer Persönlichkeiten, in erster Linie mit dem Vater des Zionismus, Theodor Herzl. Das Abbild von Maria Stona als Personifizierung Schlesiens hat darüber hinaus noch eine soziale Dimension. Das charakteristische Merkmal der Modernisierungsära

97 Johnston (2010): 31. 98 Siehe weiter unten. 99 Hurník (1979): 192. 100 Braun (1900): 4. 101 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 15. 8. 1906. 102 Larisch (2009): 29.

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war − hauptsächlich in dem Ostrauer-Karwiner Industriegebiet und dessen Umgebung − das Verdrängen der alten Adelsgeschlechter zu Gunsten der bürgerlichen Großgrund- besitzer aus den Reihen der Unternehmer, wie z. B. den Wilczeks oder Rothschilds. In Strzebowitz spielte sich eine ähnliche Verschiebung ab, als die Stonawskis den Groß- grundbesitz von den Grafen Demblin kauften. Nur wenige der Autoren, die über Sto- na schrieben, nahmen dies zur Kenntnis. Die Familie Stonawski war kein Träger des Adelsprädikats und auch Stona hat es nicht erhalten. Trotzdem würde eine ausführliche Behandlung des Themas ihres Adelstandes ein ganzes selbstständiges Kapitel ausma- chen. So schreibt z. B. Fred Benno Stern über die Strzebowitzer Literatin als über „eine Aristokratin von Geburt“103 und sogar „geborene Gräfin von Stonakowski“104 (richtig Stonawski). Für Ilja Hurník und die Einwohner von Strzebowitz war Stona Gräfin. Wie wir bereits oben erwähnten, hat Else Frobenius sie für eine Marquise gehalten und so könnten wir weitere Persönlichkeiten nennen, die ebenso dachten. Für eine Gräfin wurde sie zuweilen auch von einigen ihrer Gäste gehalten. Der Dramatiker des Verfalls des Habsburger Reiches Franz Theodor Csokor hat sie im Prolog zum angedachten Text Grosse Frauen in Oesterreich in die Gesellschaft des „künstlerisch immer sehr produk- tiv gewesenen österreichischen mittleren Adels“ eingeordnet, und zwar an die Seite von Bertha von Suttner, Marie von Ebner-Eschenbach und Enrica von Handel-Mazzetti.105 Eine weitere, wohl die seltsamste Geschichte über Stonas Adelstand hängt im Vestibül des Strzebowitzer Rathauses, wo die Passanten bei dem Jahr 1942 einen Eintrag über ihre Erhebung in den Adelsstand durch Adolf Hitler lesen können, der natürlich keine Erhebungen in den Adelsstand vorgenommen hat. Vielleicht handelt es sich hier um eine der Auszeichnungen, die Stona hat bekommen können. Wie entstand das Bild von Stona als einer Adligen? Vieles zeugt davon, dass es sich nicht um einen Irrtum handelte, sondern zum Teil um Stonas eigene aristokrati- sche Selbstpräsentation. Legenden über ihren Adelstand hat sie nicht bestritten, sie hat sich im Gegenteil sogar selbst als Adlige stilisiert. Ihr Lebensstil entsprach völlig der zeitgenössischen (und vielleicht noch älteren) Vorstellung über die Lebensweise einer Aristokratin. Die Saison wurde durch Jahreszeiten gegliedert: Einen Teil der kälteren Monate verbrachte sie in Wien, um der provinziellen Langeweile und dem schlecht beheizbaren Schloss zu entkommen, in wärmeren Monaten fuhr sie in Kurorte, und zwar auch in relativ jungem Alter. Zum Herbst gehörten die Veranstaltung von Jagden sowie eine aktive Teilnahme an ihnen. Ihre Unterstützung der pazifistischen Bewegung schloss keinesfalls die Vorliebe zu Waffen aus. Sie war eine leidenschaftliche Jägerin und sie lud ihre Korrespondenzpartner oft zur Jagd ein. Einmal schrieb sie an Brandes: „Sind Sie Jäger, dann jagen wir zusammen. Ich habe eben zwei Fasanen geschossen. Zwei Schuß – zwei Fasanen.“106 Einen Brief an Richard Schaukal schloss sie mit der

103 Stern (1974), Band II: 36. 104 Stern (1974), Band II: 237. 105 WBR, HS, Nachlass Franz Theodor Csokor, Box 6, Grosse Frauen in Oesterreich (Briefe, Werke, Dokumente). Prolog, Maschinenschrift. 106 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 10. 9. 1900.

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identischen Frage bezüglich seiner Beziehung zur Jagd ab.107 In einem Schreiben an R. J. Kreutz erwähnte sie eine neuerliche Jagd mit zweiundzwanzig Gästen.108 Und auch in den Innenräumen des Schlosses fehlte es natürlich nicht an den unentbehrlichen Jagdtrophäen.109 Die erstrangige Bedeutung der Jagd in ihrem Milieu war nicht wirtschaftlich, sondern sozial bedingt. Die Jagden boten die Gelegenheit, gesellschaftliche Treffen zu veranstalten, bei denen Stona die Rolle einer geistreichen Saloniere erfüllte. Insbe- sondere in den Sommermonaten kamen vornehme Gäste nach Strzebowitz, viel Zeit widmete Stona auch den Besuchen der Verwandten und Bekannten, insbesondere in der Rolle der Gastgeberin (siehe entsprechendes Kapitel). Immer wenn keine Gäste im Schloss waren, widmete sich Stona den Betrachtungen im Garten, dem Pferdereiten, ihrem literarischen Schaffen und selbstverständlich auch der Verwaltung der „Herr- schaft“. Die Annahme des aristokratischen Habitus spiegelte sich auch in der Beklei- dung oder in der Vorliebe zu prächtigen Schmucksachen wider. Else Frobenius sah sie auch in der Zwischenkriegszeit als „durch alt-Österreich geprägte Schlesierin, – zier- lich, im bunten Seidenkleide, mit glitzernden Steinen geschmückt, – wie die Verkörpe- rung einer verklungenen festlichen Zeit.“ Immer, auch beim Reiten und während der Inspektionen des Gutes, trug sie angeblich Stöckelschuhe und bis ins hohe Alter hat sie sich ihren weiblichen Charme bewahrt.110 Ihre Weiblichkeit sowie die Position der Frauen in der Gesellschaft analysierte sie wiederholt in ihren Werken und ihrer Auf- merksamkeit ist in dieser Hinsicht nicht einmal das epochale Buch von Weininger Ge- schlecht und Charakter (1903) entgangen. Gerade sie war es, die dieses Buch im Jahre 1905 Georg Brandes empfohlen hatte.111 Einige Zeit später entdeckte es auch Helene Scholz, die die Frage ebenso dringend behandelte, obwohl unter radikal veränderten Zeitumständen. In Florenz notierte sie im Jahre 1910 unter anderem: „Von Weiningers Buch bin ich begeistert“.112 Stona dachte darüber nach, wie sie als Frau wirkt, und zwar noch als fünfundsiebzigjährige im Roman Vor dem Sturz: „Noch immer sehen mich alte Herren mit verliebten Blicken an [...]. Ihnen erscheine ich sprühend jung. Aber an der Ehrfurcht, mit der mich Kadetten behandeln, merke ich, daß ich auf diese matronenhaft wirke.“113 Stonas Stellung zu ihrer eigenen Weiblichkeit entzog sich gewissermaßen dem bürgerlichen Moralkodex. Dies wurde sowohl in ihrer liberalen Ansicht bezüglich der Scheidung als Ausweg aus einem nicht funktionierenden Ehebündnis sichtbar – bereits im Jahre 1906 schrieb sie über die geplante und zum Schluss nicht realisierte Heirat ihrer Tochter, „eine Scheidung ist heute längst kein Skandal mehr, sondern die

107 WBR, HS, Nachlass Richard von Schaukal, ZPH 846/11, M. Stona an R. von Schaukal, Strzebowitz 31. 8. 1901. 108 WBR, HS, Nachlass Rudolf Jeremias Kreutz, ZPH 1248/8, 2.1.1.271, M. Stona an R. J. Kreutz, Strzebowitz 16. 12. 1925. 109 Hurník (1979): 189. 110 Wildenthal (2005): 211–212. 111 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 24. 12. 1905. 112 Zelezny-Scholz (1972): 14. 113 Stona (1934): 208.

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natürliche Folge einer Heirat“114 – als auch in ihrer Koketterie und einer gewissen Frivolität, die eher in der autonomen Welt der Adelssitze annehmbar war. Die Viktori- anische Moral betrachtete sie als für die psychische Gesundheit schädliches und somit auch nutzloses Überbleibsel.115 Schließlich präsentierte sich Stona auch in einer Reihe ihrer autobiographischen literarischen Texte als Adelige (Marquise, Gräfin), wie zum Beispiel im Buch Klein Doktor, wo eine der Illustrationen sogar ihre Porträtzüge trägt. Es ist also kein Wunder, dass auch der Direktor des Schlesischen Landesmuseums zu Troppau, Braun, sie als „graziöse, anmutige Schloßherrin [...] mit dem klugen Gesicht einer Rokokodame, eine von jenen großen Damen, die von den Bällen Ludwigs XV. zurückgekehrt in ihrem Bou- doir sitzen und so entzückend boshafte, geistgetränkte Memoiren schreiben, in denen die Worte wie zarte Falter sich schaukeln zwischen Blumen“ darstellte.116 Und ein ähn- liches Gefühl bekam auch der Journalist Jacobowski, was Stona unverzüglich Brandes mitteilte: „Der Dichter Jacobowski sagte mir gestern, ich gliche einer französischen Marquise aus dem XVIII. Jahrhundert.“117 Aus der Formulierung wird das Vergnügen über das eigene Bild der koketten unbändigen Frau erkennbar. Das Bevorzugen des privaten Ästhetismus vor dem sozialen Aktivismus, das für die aristokratische Selbststilisierung typisch ist,118 gewann bei ihr nur deswegen keine stärkere Form, weil sie sich nach dem Tod des Vaters der Leitung des Großgrundbesit- zes widmen musste, was sie anscheinend mit Erfolg tat.119 Dennoch war sie durch ihre Gewohnheit, sämtliches Geschehen und Gefühle in den literarischen Text zu projizie- ren, was allen „notorischen Vielschreibern“ eigen ist, und die Tendenz, soziale Pro- bleme mit patriarchalischem Abstand zu betrachten, von den tatsächlichen Ursachen der sozialen Probleme weit entfernt. Einerseits hat sie den sozial Schwachen finanziell geholfen, andererseits erging sie sich im Ästhetizismus. Im April 1903 schrieb sie zum Beispiel Brandes: „Wir hatten heute ein wundervolles Fest im Dorfe: ein Doppelbe- gräbnis eines 17jährigen Mädchens und eines 19jähr[igen] Jünglings. In ein so armes slawisches Dorf bringt der Tod eine weiche Schönheit.“120 Das Begräbnis von zwei jungen Dorfbewohnern wird zum Spektakel „erhoben“. Der aristokratischen Selbststilisierung entspricht auch ihr umfangreiches Werk. Darüber nur kurz aus der Sicht des Historikers, schon deswegen, weil Stona selbst sich bezüglich ihres Schaffens Georg Brandes gegenüber äußerte, wie ihr die Kunst und das Leben in eine wundervolle Einheit zusammenflossen.121 In einem anderen Brief schrieb sie wiederum: „Und Ihnen gestehe ich, daß alle meine Lieder erlebt sind“.122 Obwohl dieses Buch nicht Stona als Dichterin und Schriftstellerin behandelt, können wir ihre 114 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 24. 8. 1906. 115 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 26. 5. 1902. 116 Braun (1900): 4. 117 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 4. 7. 1899. 118 Vgl. Burri (2001): 108. 119 Wildenthal (2005): 212. 120 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 9. 4. 1903. 121 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 21. 4. 1902. 122 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 4. 7. 1899.

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literarischen Aktivitäten nicht außer Acht lassen. Wann sie ihre ersten Zeilen publizier- te, wissen wir nicht genau. Zu ihren Erstlingsarbeiten gehören jedoch zweifellos die Gedichte, die im Jahre 1887 in der „belletristisch-musikalischen Zeitschrift“ An der schönen blauen Donau veröffentlicht wurden. Dies scheint ebenfalls durch den Brief vom 23. Juli 1887 bestätigt zu werden, in dem Carneri an Bolin schreibt: „[...] sie hat sich erst mit ein paar schüchternen Versuchen an die Öffentlichkeit gewagt“.123 Aber noch in diesem Jahr erlebte die junge Autorin auch ihre erste schmale selbstständige Publikation. Presto prestissimo mit dem Untertitel Eine Reise in 288 Stunden ist eine lebendige Beschreibung einer spontanen, aus Langeweile unternommenen Reise einer kleinen Gesellschaft aus höheren Schichten. Das Sujet selbst riecht nach Snobismus und dessen unangenehme aristokratische Einfärbung verdirbt den frischen Eindruck etwas. Trotz offener Mängel brachte bereits dieses achtundvierzigseitige Heft, heraus- gegeben durch den bekannten Teschener Verlag von Karl Prochaska, der Autorin einige überraschende Bewunderer: den Reichsratsabgeordneten und Philosophen Carneri – mittels ihm dann den finnländischen Philosophen Wilhelm Bolin sowie den Star der damaligen europäischen Intellektualität, Ernst Haeckel.124 Noch größeren Erfolg erlebte Stona mit ihrer ersten Gedichtsammlung – Buch der Liebe, herausgegeben bereits im Jahre 1888 in Wien durch den Carl-Konegen-Ver- lag, dessen Stammautorin sie bis zur Jahrhundertwende wurde.125 Die Sammlung, die bis heute als ein Höhepunkt der Kunst Stonas betrachtet wird, erfuhr bis 1897 insgesamt drei Ausgaben und von den ursprünglichen 81 Seiten ist sie um ein Drittel gewachsen. Es folgte dann ein dickerer Band von Novellen, Reisebeschreibungen und Gedichten Erzählt und gesungen (1890), der neben dem neu gedruckten Presto prestissimo auch einen weiteren gelungenen Text derselben Gattung enthielt – Nach Scheveningen. Die Beschreibung der Reise in das beliebte niederländische Seebad evozierte erneut das elitäre Denken der Autorin. Nach Menschen und Paragraphe (1896), worin sie auch die Biographie ihrer Mutter einbettete, störte sie im Jahre 1898 die kleinbürgerliche Ruhe ihrer Region durch satirische Novellen in Die Provinz unterhält sich (1898). Die ironische Beschreibung einer Volksbelustigung bzw. eines Provinzballs provozierte bei ihren Landsleuten eine heftige Reaktion: „Hui, wie mich die Provinz darum steinigte!“, schrieb sie am 4. Juli 1899 an Brandes.126 Nach einigen nicht allzu ambitiösen Unterhaltungsnovellen brachte die vierzig- jährige Stona um die Jahrhundertwende eines ihrer meistgeschätzten Bücher heraus, und zwar die Gedichtsammlung Lieder einer jungen Frau (1899). Zu den zeitgenössi- schen Kritikern, die sich lobend über die Gedichtsammlung äußerten, gehörte z. B. der österreichische Germanist und Literaturhistoriker Richard Maria Werner aus Lemberg. Er stellte fest, dass die Autorin in dem Buch der Liebe einen großen Fortschritt gemacht habe, insbesondere durch die Neigung zur Einfachheit: 123 WBR, HS, Sammlung Wilhelm Börner, H. I. N. 178879, B. von Carneri an W. Bolin, Marburg an der Drau 23. 7. 1887. 124 Ausführlicher im nächsten Kapitel. 125 Wessely (1997): 51–52. 126 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 4. 7. 1899.

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Die Frau singt in diesen Liedern; nicht ein emanzipiertes, mit männlichen Allü- ren kokettierendes Weib, eine leidenschaftlich, tief liebende Frau läßt uns in das Geheimnis ihres Innenlebens blicken, macht uns mit ihren Leiden und Irren, ihrer Lust und ihrem Glück bekannt. [...] In den Bildern aus dem engsten Familienleben, in den rührenden, der Wirklichkeit abgelauschten Zügen der Kinderstube hat sie den Gipfel ihrer bisherigen Lyrik erreicht.127

Wenn sich die Literaturwissenschaft an Stona erinnerte, dann war es eben im Zusam- menhang mit Buch der Liebe und Lieder einer jungen Frau. Dieses Buch wurde auch einst durch die autoritäre Deutsch-österreichische Literaturgeschichte von Castle ge- schätzt, die Stona an die Seite von Ossip Schubin, mit eigenem Namen Aloisia Kirsch- ner, oder Auguste Hauschner stellt. Ihre Gedichte werden für sehr leidenschaftlich ge- halten, durch sie erklingt ab und zu auch der soziale Akzent. Stonas satirische Novellen werden mit den Texten der von ihr bewunderten Marie von Ebner-Eschenbach vergli- chen.128 Eine lobende Charakteristik von Stonas lyrischem Schaffen formulierte auch ihr Freund Rudolf Steiner, und zwar bereits im Jahre 1894:

Mit klarem Bewusstsein über die Natur der Frau und ihr Verhältnis zum Manne ist Marie Stona begabt. Der Gegensatz der Geschlechter und die Wirkung dieses Gegensatzes auf das Wesen des Liebesgefühles: das sind die Vorstellungen, die ihre Seele durchzittern. Gibt der Mann dem Weibe ebenso viel, wie ihm dieses entgegenbringt, das ist für sie eine bange Frage. Und muss das Weib dem Manne nicht mehr geben, als er erwidern kann, wenn sie seine Kraft erhöhen und nicht zerstören soll? Wie kann das Weib seinen Stolz, seine Selbstbewusstheit bewahren und doch das Selbst auf dem Altar der Liebe hingebungsvoll opfern? Es sind ewige Kulturfragen des Weibes, denen diese Dichterin nachgeht, und die sie aus einem ebenso reichen wie tiefen Gemüte heraus zu gestalten sucht.129

Noch eine Bemerkung zu dem erfolgreichen Titel Lieder einer jungen Frau. Das Wort Lieder im Titel war nicht nur eine bloße Manier. Stona wollte tatsächlich die Singbarkeit erhalten, die sie bei den meisten deutschen Poeten vermisste.130 Eben bei der Lektüre der Lieder hat Stonas Freund Carneri bemerkt: „[...] es giebt die Lieder, die unwiderstehlich zum Singen zwingen und ich begreifʼ es daß Tonsetzter darüber herfallen“.131 Eine Reihe von Stonas Gedichten haben Komponisten tatsächlich Ende des 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vertont. Unter ihnen ragt der berühmte Tonsetzer der tschechischen Moderne Josef Bohuslav Foerster132 hervor und auch hier – wie wir bei Stona noch mehrmals sehen werden – stellte der christliche

127 Werner (1898–1899). 128 Castle (1937): 1382. 129 Steiner (1894). 130 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 18. 1. 1903. 131 WBR, HS, Nachlass Marie Eugenie delle Grazie, H. I. N. 89550, B. von Carneri an M. E. delle Grazie, Marburg an der Drau 3. 4. 1899. 132 Foerster (1931).

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Glauben die imaginäre Brücke zwischen dem Deutschtum und Tschechentum dar. Die Titel der von Foerster vertonten Texte sprechen für sich (z. B. Es flammten am Alta- re). Es gab allerdings eine ganze Reihe von Komponisten, die vor dem Zweiten Welt- krieg Lieder mit Stonas Texten komponierten: die Dresdner Hanns Kötschke, Hans Hermann, von den österreichischen waren es zum Beispiel der Autor geistlicher Kom- positionen Anton Maria Klafsky oder der mährische Spätromantiker Egon Kornauth.133 Diese Seite ihres Schaffens befindet sich bisher fast völlig außerhalb des Fokusses der Geschichtsschreibung, der Literaturgeschichte sowie der Musikologie.134 Um die Jahrhundertwende kommt es in Stonas Werk zu einem weiteren bedeu- tenden Fortschritt. Mit der Sammlung Lieder einer jungen Frau endet die „Wiener“ Zeit und die Autorin sieht sich nach einem deutschen Verlag um. Nach misslungenen Erstgesprächen mit dem Verlag J. G. Cotta beginnt Stona hauptsächlich bei Berliner, Dresdner, Leipziger und Breslauer Herausgebern zu publizieren. Zu dieser Werkgrup- pe gehört zum Beispiel die Novellensammlung Im Spiel der Sinne (1907). Die Kritik nahm sie mit gemischten Gefühlen an, aber Kurt Adel kam in seiner Arbeit Geist und Wirklichkeit: Vom Werden der österreichischen Dichtung mit einer interessanten Be- merkung über den Einfluss von Leopold Sacher-Masoch auf die Titelnovelle.135 Man- che zeitgenössischen Kritiker hingegen haben das ganze Buch verrissen. So hat etwa Richard Wengraf Stona im Literarischen Echo bezichtigt, sie sei eine Feministin aus dem Jahre 1885, das heißt, sie behandele nicht die sozialen und wirtschaftlichen Ursa- chen der Stellung der Frau.136 Insbesondere dank ihrer Gedichtsammlungen, aber auch mit Hilfe ihres Freundes Jacobowski,137 etabliert sich Stona jedoch um das Jahr 1900 als Dichterin in Österreich sowie Deutschland, wo sie zu Autorenlesungen eingeladen wurde. Gegen Ende des Jahres 1900 nahm sie in Breslau an Kursen der Vorlesekunst teil. Else Frobenius erinnerte sich an sie als hervorragende Sprecherin, die sowohl bei literarischen Abenden, von Berlin bis Wien, als auch später im regionalen Rundfunk zur Geltung kam.138 Ihr Durchbruch als Künstlerin wurde auch in ihrem Verhältnis zu Redakteuren und Herausgebern deutlich: Früher war es Stona, die ihre Beiträge anbot und sich durch mehrfache Ablehnung nicht abraten ließ, nun kamen im Gegenteil im- mer öfter Publikationsangebote von außen. Ein Porträt von Stona brachte sogar die New Yorker Staatszeitung, die zentrale Zeitschrift der in den USA lebenden Deutschen.139 Zu dieser in persönlicher Hinsicht bewegten Zeit begann Stona ihren ersten Ro- man zu schreiben. Wahrscheinlich handelte es sich um die erst im Jahre 1907 her- ausgegebene Prosa unter dem Titel Der Rabenschrei: Roman einer Scheidung. Das Buch hat vorwiegend einen dokumentarischen Wert. Es präsentiert eine relativ genaue

133 Kornauth (cca 1914). 134 Eine Ausnahme ist hier die aktuelle Diplomarbeit über die Lieder des Josef Bohuslav Foerster. – Divošová (2011). 135 Adel (1967): 205. 136 Wengraf (1901–1902). 137 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 15. 12. 1900. 138 Wildenthal (2005): 212. 139 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 2. 12. 1901.

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Autobiographie von Stona, die ihren Höhepunkt in ihrer größten Lebensenttäuschung – der Scheidung – erreicht. Auf eine ausführliche Wertung der künstlerischen Bedeutung wartet dieses Buch noch, genauso wie die meisten ihrer Werke. Nach gegenwärtigen Kritiken erreicht dieser Roman jedoch nicht das Niveau, das für den Kanon erforderlich wäre. Paul Bornstein warf ihr „die stilistischen Härten und Provinzialismen der Dikti- on“ und auch „einen fatalen Zug von gesellschaftlichem Snobismus“ vor, der in Stonas Werk langfristig präsent war.140 In einem seiner Briefe warf ihr dies auch Georg Bran- des offenkundig vor.141 „Mangel jeder Pose“, der sie als Dichterin zierte,142 versagte in der Prosa. Einen wärmeren Empfang erfuhr auch der zweite Roman von Stona Rahel. Roman einer Mischehe (1909) nicht,143 der die Ehe einer Jüdin und eines Deutschen thematisiert. Die Rezensionen von Stonas Werken teilten sich oft in Apotheosen aus der Feder von ihren Freundinnen einerseits und in ätzende Kritiken der „unabhängigen“ Rezen- senten andererseits, die nicht zögerten, ihre Werke als „grundschlechtestes Ding“ zu bezeichnen, wie Bruno Frank aus Heidelberg in der Rezension des Buches König Eri. Ein Lied der Liebe, mit dem Stona noch ein letztes Mal unter die Obhut des Wiener Verlages von Carl Konegen (1907) zurückkehrte.144 Obwohl dieses Buch von den Kri- tikern überwiegend negativ beurteilt wurde, ist es für uns doch von Bedeutung, schon wegen der schönen Ausstattung: Die Bilder fertigte der Wiener Maler Josef Edgar Klei- nert, also der Bruder von Karl Erasmus Kleinert, an, dem wir noch in den Zimmern des Strzebowitzer Schlosses begegnen werden. Wir wollen hier nicht die vollständige Auflistung aller Bücher von Stona aus der Vorkriegszeit aufführen, dennoch möchten wir wenigstens den für ihr Schaffen kennzeichnenden Titel Mein Dorf. Novellen und Skizzen aus Schlesien (1908) erwähnen.145 Einen weiteren Halt machen wir erst bei dem epischen Gedicht Klein Doktor. Ein Kinderleben (1918), in dem ein kleiner Junge ins Schloss kommt, der der Marquise bei- bringt, die Welt mit Kinderaugen wahrzunehmen. Die Zeitgenossen spekulierten, dass die Vorlage für die Figur des Dorfjungen, der auf dem Schloss jederzeit willkommen ist, der uneheliche Sohn von Albert, Stonas Sohn, war.146 Wenn wir die Spekulationen außer Acht lassen, verdient auch diese Publikation Aufmerksamkeit für ihre gelunge- ne graphische Aufbereitung und die begleitenden Illustrationen des österreichischen Malers Franz Wacik.147 Vielleicht die erfolgreichste Prosa der Autorin überhaupt war der dritte Roman Die wilde Wolhynierin, herausgegeben im Jahre 1922 in Wien und Leipzig. Wie Stona Georg Brandes verriet, stellte sie darin „den wildesten Zweig“ ihrer

140 Bornstein (1907–1908). 141 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz --. --. 1901 (Brief Nr. 79). 142 Steiner (1894). 143 Stona (1909). 144 Frank (1907–1908). 145 Stona (1908). 146 Vysloužilová (2009): 15. 147 Stona (1918).

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Familie mütterlicherseits dar.148 Bis heute wird dieser Roman als ihr bestes Werk be- trachtet.149 Danach folgten schnell weitere Bücher, von denen wir hier nur einige nen- nen werden. Die in der Sammlung Neue Gedichte (1928)150 verwendeten Illustrationen entdecken einen Kreis der zum größten Teil schlesischen bildenden Künstler, mit denen sich Stona traf oder die sie zumindest kannte (Alexander Drobik, Valentin Držkovic, Arnošt Hrabal, Erich Hürden, Helmut Krommer, Raimund Mosler, Rudolf Potiorek, Fritz Raida, Josef Šrámek, Adolf Zdrazila). Es fehlte unter ihnen nicht einmal ihr künst- lerisch veranlagter Schwiegersohn Johann Zelezny. Im Geiste des älteren Bandes Die Provinz unterhält sich und nach dem Vorbild von Marie von Ebner-Eschenbach kehrte sie in ihrem Werk Mein lachendes Buch (1932) zu den kleinen Freuden und Sorgen des Dorflebens zurück. Das ruhige Leben auf dem Schloss wird durch Geschichten über das erste Automobil, Radio, die Begegnung mit einem Dieb usw. belebt oder gestört.151 Die Vollendung des epischen Schaffens von Maria Stona stellt der autobiogra- phische Roman Vor dem Sturz dar, dessen Außergewöhnlichkeit dadurch betont wird, dass er als einziger auch in tschechischer Sprache herausgegeben wurde, wenn wir andere Werke Stonas nicht dazu zählen, die für literarische Beilagen übersetzt und an- schließend zu Büchern gebunden wurden (wie etwa Der Sträfling mit dem Rosenkranz / Trestanec).152 Die stellenweise holprige Übersetzung wurde von der in Schlesien täti- gen tschechischen Künstlerin Helena Salichová durchgeführt. Die tschechische Version Před pádem (1936) weicht vom deutschen Original Vor dem Sturz (1935) in einigen Textpassagen, aber auch in der graphischen Verarbeitung ab. So enthält beispielsweise nur die deutsche Version Stonas Autoporträt, das den autobiographischen Charakter des Romans verstärkt. Interessant ist die Gestaltung des Plots: Die Lebensschilderung der Hauptfigur entwickelt sich parallel mit der Abfolge der vier Jahreszeiten. Stona nutzte hier wahrscheinlich ihr Tagebuch der Natur, das sie bereits um die Jahrhundertwende geführt hat.153 Die Natur tritt bei Stona als etwas Transzendentes auf, als etwas, was den Menschen übersteigt und wogegen er machtlos ist. Einen besonderen Stellenwert in ihren Texten, sei es in den Gedichten oder den Briefen, besitzen die Bäume, deren Alter sie zu der Kleinheit der Menschenleben in Opposition stellt. Über sich selbst schrieb sie im hohen Alter: „Ich bin ein Stamm“ und „Das Leben wird schöner, je älter man wird, weil man es um so besser begreift.“154 Auch im höheren Alter verzichtete sie nicht auf das Reisen (getreu ihrem Motto: „Reisen ist immer herrlich. Es multipliziert das Leben.“).155 Sie publizierte eine Reihe von Zeitschriftentexten über ihre Reisen nach Griechenland, Ägypten und drei Rei-

148 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 15. 5. 1922. 149 Svoboda (2007). 150 Stona (1928). 151 Stona (1932). 152 Stona (1925). 153 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 18. 11. 1903. 154 Stona (1934): 208. 155 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 13. 4. 1904.

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seberichte: Von Prag in die Provence über Strassburg, Verdun-Reims (1922),156 Eine Fahrt nach Karpathenrussland (1936)157 und Das schöne Spanien (ca. 1940).158 Mit ih- rem Interesse an den romanischen Ländern und der Wiege der antiken Zivilisation war die Schriftstellerin keine Ausnahme im Hinblick auf die zeitgenössischen kulturellen Präferenzen. Im Gegensatz dazu war die Entdeckung des fernsten Osten der Tsche- choslowakischen Republik typisch für eine engere Kulturströmung der Zeit, die z. B. auch durch ihre Tochter, die von dort eine Reihe von Skizzen nach Hause mitgebracht hatte,159 oder durch den schlesischen Landsmann Leopold Wolfgang Rochowanski re- präsentiert wurde. Rochowanski zeigte in seinem Buch Columbus in der Slowakei aus dem Jahre 1936 ein großes Interesse für die alte und die neue Slowakei, inklusive des eigenartigen östlichen Zipfels. Über die Entstehung des Buches haben Rochowanski und Zelezny-Scholz in der gemeinsamen Korrespondenz diskutiert. Bereits vier Jahre zuvor, also am 1. Oktober 1932, lobte Stonas Tochter Rochowanskis Idee bezüglich des Titels: „Columbus in Slovakia is a marvellous title, donʼt give it up anymore.“160 Kann etwas die Denkart der beiden Künstler besser ausdrücken als ein englischer Satz, der von einer deutschen Bildhauerin aus Schlesien, die sich in Rom niedergelassen hat, an ihren Landsmann nach Wien adressiert ist. Einen so starken Kosmopolitismus finden wir bei Stona nicht, und dies trotzdem sie angeblich mühelos sechs Fremdsprachen beherrschte.161 Auch die Reiseberichte sind bei weitem nicht die letzten in der Auflistung der Bücher von Stona, ganz zu schweigen von den Hunderten von Zeitungs- und Sam- melband-Beiträgen. Von diesen sind anscheinend die persönlichen Erinnerungen an bedeutende Freunde und zahlreiche Feuilletons am interessantesten, die zum Teil für die Neue Freie Presse geschrieben wurden. Eine größere Anzahl von Stonas Texten erschien darüber hinaus auch im Neuen Wiener Tagblatt und selbstverständlich auch in zahlreichen Literaturzeitschriften. Von den mährischen und schlesischen Zeitungen blieb sie der Troppauer Zeitung (später Deutsche Post) und dem Brünner Tagesbote am treuesten, wo ihr Schaffen auch der bedeutende tschechische Dichter Petr Bezruč verfolgte.162 Auch die tschechische Presse aus Ostrau oder Olmütz nahm ihr Werk wahr. Die Gattungsvielfalt der Werke von Stona wird noch durch die niemals inszenierten Theaterstücke verstärkt: Einige blieben im Torso des handgeschriebenen Nachlasses erhalten,163 andere (Der Großvater) erwähnt sie in ihrer Korrespondenz.164 Ihr Gesamt-

156 Stona (1922). 157 Stona (1936). 158 Stona (cca 1940). 159 WBR, HS, Nachlass Leopold Wolfgang Rochowanski, ZPH 347/4, H. Zelezny-Scholz an L. W. Rochowanski, Strzebowitz 9. 7. 1932. 160 WBR, HS, Nachlass Leopold Wolfgang Rochowanski, ZPH 347/4, H. Zelezny-Scholz an L. W. Rochowanski, Rom 1. 10. 1932. 161 Wildenthal (2005): 212. 162 AMO, Místní národní výbor Třebovice, Inv. Nr. 102, Box 9, P. Bezruč an den Gemeindeausschuß (Místní národní výbor) von Strzebowitz, Juni 1955. 163 SZM, PPB, Marie Stona. 164 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 17. 3. 1900.

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werk wird mit dem unvollendeten Filmmotiv unter dem Namen Der Nationalheld ab- geschlossen.165 Das Werk von Maria Stona bildete, wie sie in einem bereits erwähnten Brief an Georg Brandes schrieb, eine Einheit mit ihrem Leben. Von ihren Texten war sie mit denjenigen am zufriedensten, die sich am meisten ihren eigenen Erlebnissen näherten. In der Prosa fassen der erste und der letzte Roman Stonas ihre Gefühle am besten zu- sammen. In beiden tritt als Hauptfigur eine Frau auf, unglücklich in ihrer Ehe, einen Ausweg suchend. Andeutungsweise, aber trotzdem verständlich offenbart sie nicht nur ihre Gefühle, sondern auch ihre erotischen Sehnsüchte. Den Kreis der weiteren Lieb- lingsthemen und -sujets der Autorin verraten dem Uneingeweihten schon die Titel ihrer Werke: Mein Dorf, Der junge Gutsbesitzer166 oder O du spaßige Welt der Frauen!167 Natürlich zeichnen sich ihre Werke durch Professionalität und Routine aus, aber sie zeigt zu wenig Genie, um eine Rekanonisierung dieser einst relativ beliebten Autorin zu rechtfertigen. Letztendlich hat sie selbst gestanden, dass ein Teil ihrer Texte „für normale Dutzendmenschen“ bestimmt ist,168 aber dennoch: Im Meer der Konventiona- lität, das ihre Texte kennzeichnet, glänzt hier und da ein neuer, geistreicher Gedanke, eine scharfsinnige Formulierung oder ein eindrucksvoller Vers oder Satz. Und aufgrund des Mangels an anderen Informationen ist es notwendig, die aufrichtig gemeinten li- terarischen Versuche als kulturgeschichtliche Quellen ernst zu nehmen. Stona schrieb darüber, was sie kannte, wie sie war und – im Falle ihrer Herkunft auch – wie sie sein wollte: eine Marquise aus einem Dorfschloss, die aus Lebenskrisen weiser und stärker hervorgeht.

165 SZM, PPB, Marie Stona, Sign. 46a. 166 Stona (1922a). 167 Stona (1924). 168 DLA, HA, Teilnachlass Arthur Schnitzler, Mappe 1273, M. Stona an A. Schnitzler, Strzebowitz 22. 7. 1901.

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2. Maria Stona auf Reisen

Ach, wenn wir uns nur treffen könnten! Vielleicht Prag? Berlin mir lieber. Maria Stona an Georg Brandes, 7. 7. 1901

Dieses Buch wird die Geschichte des Schlosses Strzebowitz als einen bemerkenswer- ten kulturellen Mittelpunkt Mitteleuropas erzählen. Die Geschichte, die hier erzählt werden soll, beginnt aber nicht in Strzebowitz, wie man vielleicht vermuten würde, sondern weit weg, im Hotel Meissl & Schadn in Wien. Und auch die handelnden Ak- teure der Geschichte sind andere. An die Tafel setzt sich der Philosoph unter den Abge- ordneten, ein Liberaler aus der Steiermark, Bartholomäus von Carneri, der Folgendes erzählen könnte:

Das Hôtel Meißl gehört zu meinem Leben. Es ist in dem Jahr eröffnet worden, in dem ich mich – eben verheiratet – in Wien niederließ, und zwei Tage nach seiner Eröffnung habʼ ich dort einmal nach der Oper mit meiner Frau soupirt. Durch die 20 Jahre meiner reichsräthlichen Thätigkeit habʼ ich dort durch 6–8 Monate jährlich gewohnt und gegessen. Lebendig damit verknüpft ist meine heiligste Er- innerung und meine schönste Hoffnung.169

Hier beginnt die Geschichte des kulturellen Strzebowitz. Hier knüpfte die junge Schrift- stellerin Maria Stona Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre wichtige Kontakte, aus denen sie ein Beziehungsnetz zu den europäischen Intellektuellen und Künstlern auf- baute.

169 WBR, HS, Nachlass Marie Eugenie delle Grazie, H. I. N. 100099, B. von Carneri an M. E. delle Grazie, Marburg an der Drau 22. 2. 1895.

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Wie ist aber die bisher wenig bekannte Schriftstellerin aus der schlesischen Pe- ripherie in Carneris Gesellschaft geraten? Nach ihren eigenen Worten wurde sie dem Abgeordneten durch einen ungenannten Bekannten vorgestellt.170 Zudem verbanden sie mit Carneris Kreis auch Kontakte ihrer Verwandten. Wir meinen damit nicht den bodenständigen Vater Josef Stonawski, der das Wiener Gesellschaftsleben nicht be- sonders mochte, sondern die Familie von Stonas Ehemann Albert Scholz. Von ihm war es zu Carneri nur ein kleiner Schritt: Und so könnte das fehlende Glied zwischen der Familie der jungen Schriftstellerin und dem liberalen Abgeordneten vielleicht der von Stona erwähnte Ritter von Tersch gewesen sein. Das Unternehmertandem Tersch – Scholz war in Mährisch-Schönberg durch eine Reihe von Beziehungen miteinander verbunden. So kaufte beispielsweise Stonas Schwiegervater Alois Scholz zwecks Auf- baus seiner eigenen prächtigen Villa (heute der Sitz des Heimatkundlichen Museums in Mährisch-Schönberg) das Gut von Tersch.171 Louise von Tersch wiederum war Tauf- patin von Stonas Sohn Siegfried Albert.172 Ein anderes mögliches Verbindungsglied stellt eine weitere nordmährische Unternehmerfamilie, die Familie Klein, dar. Einen der Angehörigen des Unternehmerklans Klein erwähnte Stona unter den Gästen der Ta- fel von Carneri173 und Bertha von Suttner schrieb über die Kleins als über die Freunde ihres Ehemannes, der sich mit ihnen und auch mit Arthur Gundaccar von Suttner in der Metropole während der Studienjahre 1869–1871 treffen sollte.174 Wie dem auch gewesen sein mag, Stona geriet durch die Teilnahme an der Tafel von Carneri in die Gesellschaft der vorwiegend liberalen Elite der österreichisch-unga- rischen Monarchie. Sie selbst erwähnte einige (spätere) Minister und Abgeordnete.175 Zu der illustren Tischrunde um Carneri gehörten auch Philosophen, Künstler sowie Journalisten. Gerade hier lernte Stona eine Reihe von Koryphäen der zeitgenössischen mitteleuropäischen Intellektualität kennen, wie den Jenaer Professor Ernst Haeckel, einen der bedeutendsten Darwinisten, oder die erste Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner. Hier verkehrte auch der Vater des Zionismus Theodor Herzl oder der pazi- fistische Journalist und Schriftsteller Balduin Groller. Zu einigen von ihnen unterhielt Stona persönlichen Kontakt, mit anderen stand sie für den Rest ihres Lebens im Brief- wechsel. Die beruflich und weltanschaulich bunte Gesellschaft war vom Liberalismus, Pazifismus und dem Widerstand gegen den Antisemitismus geprägt. Wenn es Carneri nicht gegeben hätte, hätte vielleicht auch kein Strzebowitzer Kulturzentrum existiert. Wenn es dennoch entstanden wäre, hätte es wahrscheinlich eine völlig andere Form angenommen. Carneri ist das Verbindungsglied zwischen der

170 SZM, PPB, Marie Stona, Feuilletons und kurze Skizzen 1922–1929, III. Band, fol. 80, Maria Stona: Carneri (Sonderdruck aus: Die Gesellschaft, 1900). 171 Zatloukal (2007): 20. 172 MZA Brno, Sbírka matrik, Sign. 7773, fol. 236. 173 SZM, PPB, Marie Stona, Feuilletons und kurze Skizzen 1922–1929, III. Band, fol. 59, Maria Stona: Baernreither. Ein Erinnerungsblatt, Neues Wiener Journal 6. 12. 1925. 174 UNOG, RRAU, Bertha von Suttner Papers, M. Stona an B. von Suttner, Strzebowitz 13. 5. 1891. 175 SZM, PPB, Marie Stona, Feuilletons und kurze Skizzen 1922–1929, III. Band, fol. 59, Maria Stona: Baernreither. Ein Erinnerungsblatt, Neues Wiener Journal 6. 12. 1925.

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schlesischen Provinz und der europäischen Hochkultur und er war gleichzeitig Stonas Lehrer. Als Frau ohne jegliche formale Bildung stilisierte sie sich selbst in die Rolle einer Schülerin von Carneri: „Carneri war meine Volksschule“, teilte sie wiederholt Georg Brandes vertraulich mit.176 Ihre Beziehung zu dem von Krankheiten verfolgten alten Mann war mit Dankbarkeit und Bewunderung erfüllt – seine Vitalität und Tatkraft erinnerten Stona an ihren Vater, seine Bildung und Kultiviertheit imponierten ihr. Für sie war Carneri zum Maßstab der Weisheit und des Willens zum Leben geworden. Der alte Philosoph hingegen bewunderte an der Schriftstellerin deren Talent, das er bril- lant nannte,177 sowie deren Scharfsinn, Humor, Energie und Schönheit. Stona besuch- te Carneri in Wien, später auch in seinem Haus in der Steiermark,178 zahlreich waren auch die Briefe, die sie einander damals schrieben. Die Nähe ihrer Beziehung wird durch die Tatsache untermauert, dass Carneri Stona zu einer Art Beschützerin seines Nachlasses erhoben hat: So bestand er darauf, dass sie sein gesamtes Schriftgut in der Strzebowitzer Schlossbibliothek aufbewahrt. Und auch Stonas Korrespondenz verrät, dass sie nach Carneris Tod seinem Biographen, Wilhelm Börner, mit Ratschlägen be- hilflich war.179 Obwohl Carneri Reichsratsabgeordneter war, nahm ihn Stona vor allem als Philo- sophen wahr.180 Carneri – der Philosoph – versuchte den Darwinismus zur eudämonisti- schen Ethik zu transformieren;181 einer der Rezensenten charakterisierte zutreffend sein Denken als „Spinoza und Hegel in Darwins Gewand“. Bei Carneri mündete alles in die monistische Überzeugung, dass der Wille und Verstand eine Einheit bilden. Allerdings war das Einzige, was in Wirklichkeit eine Einheit bildete, Carneris liberale politische Überzeugung und seine monistische Philosophie. In seiner populären Schrift Der mo- derne Mensch bezeichnete er den „Übergang von der dualistischen Zwei-Welten-Lehre der christlichen Moral zum monistischen Weltbild“ als Charakteristikum des modernen Menschen. In seinem wichtigsten Werk, dem dreibändigen Sittlichkeit und Darwinis- mus, wird die Einheit von Denken und Wollen prägnant formuliert: „[...] ganz wird die Menschheit ihren Namen erst verdienen, [...] wenn sie keinen anderen Kampf kennt, denn Arbeit, keinen anderen Schild, denn Recht, keine andere Waffe, denn Intelligenz, kein anderes Banner, denn Zivilisation“182 und an anderer Stelle heißt es: „Nur die zu- sammenfassende Idee löst das Rätsel des physisch unerklärlichen Fortschritts“.183 Wie zu sehen ist, hatte seine monistische Weltanschauung eine optimistische Überzeugung, 176 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 4. 6. 1901; ebenda, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 5. 8. 1917. 177 WBR, HS, Sammlung Wilhelm Börner, H. I. N. 178879, B. von Carneri an W. Bolin, Marburg an der Drau 23. 7. 1887. 178 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 4. 6. 1901; ebenda, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 22. 10. 1903. 179 WBR, HS, Sammlung Wilhelm Börner, H. I. N. 193291, M. Stona an W. Börner, s. l. 20. 6. 1912. 180 Unter anderem nannte sie ihn oft den (alten) Philosophen Carneri und wenn sie seine Arbeit thematisierte, hat sie die Politik meistens gemieden. 181 Zum Verhältnis zwischen der Literatur und dem Darwinismus: Michler (1999). 182 Hervorhebung im Original. – Manninen (1996): 143–147; Lauermann (2000): 60–78. 183 Sieber (1913): 112.

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nicht nur von der Zivilisiertheit des Menschen, sondern der ganzen Menschheit, zur logischen Folge. Was Stonas Kenntnisse im Bereich der Philosophie anbelangt, macht es letzten Endes keinen Sinn, daran zu zweifeln, dass sie einen zumindest grundlegen- den Überblick in diesem Fachgebiet besaß. So hätte sie beispielsweise kaum folgende Passage in ihr Werk einbetten können, wenn sie den Platonismus nicht gekannt hätte:

Ich beobachtete einen Schatten, den eine freischwebende Weinranke auf das Haus- tor wirft. Der Schatten scheint ganz selbständig, er regt sich, die einzelnen Blätter sind scharf abgegrenzt – sie sind da – man kann sie nicht leugnen und doch tau- chen sie auf und verschwinden, je nachdem die Sonne oder die Wolke herrscht. Sind sie auch da, wenn die Wolke herrscht? Sicher – aber sie bleiben unsichtbar, d. h. unser Auge ist an der Grenze seiner Wahrnehmungen angelangt, der Schatten ist die transzendentale Zone, die sich nicht ohneweiteres erschließt. Dazu bedarf es der Materialisation, die die Sonne vermittelt. So sehe ich im Schatten das Bild einer Geisterwelt [...].184

Carneri starb im Jahre 1909 und spätestens seit dem Jahre 1914 galt seine Phi- losophie definitiv als antiquiert. Damals bezeichnete auch sein philosophischer Freund Wilhelm Bolin Carneris Monismus mit Verweis auf die globale politische Situation als veraltet. Auch wenn daran gezweifelt werden kann, dass Stona in der Lage war, sämtli- che Nuancen der Philosophie von Carneri zu verfolgen, deutet ihr Interesse an Haeckels Denken an, dass der Monismus eine Weltanschauung ausdrückte, die ihr nahe war, und dass sie sich unter dessen Flügeln gut fühlte. Carneris Philosophie passte am ehesten zu Stonas optimistischer Weltanschauung, jener glücklichen Lebensbejahung, aufgrund der sie laut Helene Zelezny-Scholz gut in die USA passen würde.185 Carneris Denken bildete sozusagen das Grundgerüst, zu dem Stona auf eklektische Weise weitere Ge- danken, Meinungen und Sprüche hinzufügte. Genauso wie die Figur Tuzzi in Musils Mann ohne Eigenschaften seine Lektüre charakterisiert, die sich auf Homer, die Bibel und Peter Rosegger beschränkt,186 kommt die Wertskala der Lebenswelt Stonas in ih- rem Feuilleton Der vierte Weise zum Ausdruck, dessen Hauptfiguren Rosegger, Carneri und Bacquehem (Olivier Marquis de Bacquehem – Politiker und Charmeur) sind.187 Die Beziehung Carneri – Stona war in dem Sinne ausgewogen, dass auch die schlesische Schriftstellerin zu Carneris Popularisierung beitrug, indem sie ihre promi- nenten Gäste mit dessen Werken bekannt machte. So ist es nicht zuletzt auch Stonas Verdienst, dass sich Ludwig Jacobowski in Strzebowitz in Carneris Bücher einlas und anschließend beschloss, ihm eines der Hefte „seiner“ Zeitschrift Die Gesellschaft zu

184 Stona (1934): 113. 185 WBR, HS, Nachlass Rudolf Jeremias Kreutz, ZPH 1248/7, 2.1.1.253, H. Zelezny-Scholz an R. J. Kreutz, Germantown 22. 4. 1949. Stona schrieb 1914 an Haeckel: „Im Herzen sind wir Künstler ja alle längst Monisten!“ – EHH, M. Stona an E. Haeckel, Strzebowitz 2. 6. 1914. 186 Musil (1930): 208. 187 WBR, HS, Nachlass Marie Eugenie delle Grazie, H. I. N. 80077, M. Stona an M. E. delle Grazie, Strzebowitz 28. 8. 1900.

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widmen.188 Einen weiteren Aufsatz schrieb Stona selbst,189 einen Artikel über Carneri – den Philosophen – verfasste ein weiterer Besucher des Strzebowitzer Schlosses, Rudolf Steiner.190 Es ist wahrscheinlich, dass auch Stona ihren Anteil an Steiners Interesse an Carneri hatte. Maria Stona tat mit der Propagierung des Denkens von Carneri nur das, was er für sie bereits seit der zweiten Hälfte der 1880er Jahre tat. Carneris Erwähnungen und Fürsprachen hatten großes Verdienst an der Popularisierung der Bücher der jungen Stona, ähnlich wie er sich ungefähr zur gleichen Zeit auch an dem gesellschaftlichen Aufstieg von Bertha von Suttner beteiligt hatte.191 Stonas literarisches Debüt und ihr sozialer Durchbruch gingen Hand in Hand. Vergessen wir nicht, dass sie gerade dank Presto prestissimo – und wie sonst als durch die Vermittlung Carneris – von Wilhelm Bolin und Ernst Haeckel zum ersten Mal wahrgenommen wurde. In Carneris Briefen an Bolin aus den 1880er und den frühen 1890er Jahren erscheint Stona beziehungsweise ihr Erstlingswerk mindestens zehnmal.192 Es ist kein Zufall, dass der älteste erhaltene Brief von Stona (1887) an Wilhelm Bolin adressiert ist. Und es war allem Anschein nach auch Bolin, der Presto prestissimo rezensierte. Auch später interessierte er sich für das Leben der Autorin. In Carneris Briefen an Bolin erscheint neben Stonas Erstlings- werk auch das Buch der Liebe und Erzählt und gesungen.193 Mit dem gleichen Interesse las Stonas Bücher auch der bereits oben erwähnte Haeckel (und dessen Frau).194 Es überrascht daher nicht, dass Stona Haeckel gerade an Carneris Tisch kennen gelernt hat. Carneri rief sie bei Haeckel als die „kleine Frau, die Sie in unserm Abgeordnetenhause kennen gelernt haben“,195 in Erinnerung. Zwischen Stona und Haeckel entstand in der Folgezeit196 ein langer (1890–1917) Briefwechsel und sie besuchte den berühmten Darwinisten sogar direkt in seinem Haus in Jena.197 Natürlich wurde Stona in das mitteleuropäische Kulturmilieu nicht nur durch das oben skizzierte Geflecht paralleler Beziehungen eingebunden, sondern sie wurde auch ein integraler Bestandteil dieses Kreises von sich gegenseitig beeinflussenden, propagierenden und kritisch reflektierenden Künstlern und Intellektuellen. Genauso wie ähnliche informelle Vereinigungen dieser Zeit hatte auch der beschriebene Zirkel eine klare Mitte, die von einer oder mehreren dominanten Persönlichkeiten sowie von deren Anhängern und Freunden gebildet wurde, während die am Rande des Zirkels stehenden Personen nur unklare Konturen besaßen. Gleichzeitig kam es an einer Reihe 188 Ebenda. 189 SZM, PPB, Marie Stona, Feuilletons und kurze Skizzen 1922–1929, III. Band, fol. 80, Maria Stona: Carneri (Sonderdruck aus: Die Gesellschaft, 1900). 190 Steiner (1900). 191 Suttner (1969): 222. 192 WBR, HS, Sammlung Wilhelm Börner, B. von Carneri an W. Bolin, passim. 193 WBR, HS, Sammlung Wilhelm Börner, H. I. N. 178897, M. Stona an W. Bolin, Chropin 21. 7. 1887. 194 Jodl (1922): 81. 195 Jodl (1922): 49. 196 Hossfeld – Breidbach (2005): 562, 600. 197 Stona (1914): 386.

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von Stellen zu Verbindungen mit anderen intellektuellen Künstlerkreisen – eine Reihe von Personen gehörte zu den Stammgästen mehrerer Salons und Tischgesellschaften. Im Rahmen des Zirkels von Carneri stand Stona im Vergleich zu Steiner oder Haeckel selbstverständlich im Hintergrund. Sie gehörte eher zu den Rezipienten der Gedan- ken als zu den originellen Denkern. Als weibliches Element war sie in dieser zumeist männlich geprägten Gesellschaft jedoch unübersehbar. So geht es zumindest aus den zeitgenössischen Texten hervor. In der Fachliteratur stellte Marie Eugenie delle Grazie sie allerdings in den Schatten, obwohl beide in der gegenseitigen Korrespondenz des Kreises Carneri – Haeckel – Steiner und Co. als nebengeordnet – als unsere Freundin- nen – erscheinen. Marie Eugenie delle Grazie ist genauso wie Maria Stona eine Literatin der Jahr- hundertwende, die zwar in ihrer Zeit eine gewisse, in ihrem Falle sogar sehr frühe und bedeutende Popularität genoss, aber dennoch von der Literaturwissenschaft nicht in deren Kanon aufgenommen wurde. Das Werk von delle Grazie widersetzt sich einer klaren Einordnung, was vielleicht der Grund dafür ist, dass ihr Werk vergessen wurde. Es gehört zu der sogenannten „dritten“ Literatur, die weder der konservativen, ruralen Strömung – der sog. Heimatkunst – noch der „Wiener Moderne“ zuzurechnen war.198 Ihr damals berühmtes Werk, das monumentale tausendseitige im Blankvers geschriebe- ne Epos Robespierre, ist für diese „dritte“ Literatur beispielhaft, allein schon deswegen, weil es nach einer Alternative zur Revolutionsgewalt und dem Geschichtspessimismus suchte.199 Robespierre beschäftigte Carneri, Haeckel, aber auch Stona sowie weitere Anhänger des Kreises, denn er war als eine Art Weltanschauungs-Manifest konzipiert. Werner Michler, einer der Rehabilitatoren des literarischen „dritten“ Weges, spricht im Zusammenhang mit diesem Epos direkt von „Weltanschauungsliteratur“. Die hier angesprochene Weltanschauung ist selbstverständlich der Haeckelsche Monismus.200 Zu dem oben über Carneris Zirkel Geschriebenen fügen wir als Beleg hinzu, dass auch die Korrespondenz von delle Grazie mit Haeckel im Grunde genommen als Dreierkorrespondenz mit Carneri aufzufassen ist.201 Und auch für delle Grazie, ebenso wie für Stona oder die „dritte Frau“ des Zirkels, Bertha von Suttner, war Carneri ein Propagator und Popularisator von deren literarischem Werk. Übrigens schließt sich mit der Freundschaft zu Marie Eugenie delle Grazie auch Stonas Kreis der Beziehungen zu Carneris Tischgesellschaft. Es scheint, dass delle Grazie die intimste Künstler-Freundin Stonas war: Es gab sehr wenige Personen, die Stona duzten. Gemeinsam mit Carneri gehörte sie zu den wenigen Personen, die sie mit ihrem Spitznamen – Maus – anreden durften.202 Stona nannte delle Grazie Jenny und hielt sie für eine durchaus genial veran- lagte Schriftstellerin.203 Delle Grazie wurde zudem auch über Stonas persönlichste Pro-

198 Michler (1999): 398. 199 Kriegleder (2011): 244. 200 Michler (1999): 399. 201 Michler (1999): 398. 202 So unterzeichnete auch Stona selbst unter einem Brief an M. E. delle Grazie. – WBR, HS, Nachlass Marie Eugenie delle Grazie, H. I. N. 80076, M. Stona an M. E. delle Grazie, Strzebowitz 28. 8. 1900. 203 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 23. 7. 1899.

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bleme informiert, über die sie mit Carneri in ihren Briefen diskutierte. Stona traf sich in Wien mit delle Grazie natürlich auch außerhalb des Kreises um Carneri und gerade bei ihr führte sie die kaum dreizehnjährige Tochter Helenchen in die Gesellschaft ein.204 Dass delle Grazie eine wichtige Bezugsperson in privaten Dingen war, beweist auch die Tatsache, dass Stona den Vormund von delle Grazie Laurenz Müllner, Ordinarius der katholischen Theologie an der Wiener Universität, in der Frage konsultierte, ob sie ihrer Tochter schon im jungen Alter die Freiheit, ihr unstrittiges Talents entwickeln zu dürfen, gewähren soll, oder „ob ich ihr irgendwo eine moralische Zwangsjacke anlegen soll“.205 Die dritte der Frauen, die mit Carneris Kreis in Kontakt kamen, war die bereits erwähnte Pazifistin Bertha von Suttner. Diese hatte Stona wohl schon im Jahre 1891 kennen gelernt und sich mit ihr insoweit angefreundet, dass sie sie in den letzten Mo- naten ihres Lebens fast regelmäßig besuchte: Bei Bertha von Suttner begegnen wir ihr im Oktober sowie im November 1913 und erneut im Februar 1914.206 Ebenso wie mit delle Grazie ging sie in der Kommunikation mit Suttner bald zum Duzen über. Außerdem kannten sich auch die Ehemänner der beiden Literatinnen bereits seit deren Studienzeit in Wien Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre.207 Gerade dank der Be- kanntschaft mit Bertha von Suttner wurde Stona eine der ersten Propagatorinnen des Pazifismus und des Vereins zur Abwehr des Antisemitismus in Österreichisch-Schle- sien. Am häufigsten traf sich Suttner mit Stona bei den gemeinsamen Soupers, denen sich mitunter auch weitere Freunde anschlossen. Bei anderen Gelegenheiten führte Suttner Stona in breitere Gesellschaftskreise ein. Als Beispiele können wir hierfür den Nachmittagstee bei Suttner am 30. Januar 1910, an dem auch vornehme österreichische Pazifisten teilgenommen haben,208 oder die Soiree bei dem Soziologen und Pazifisten Rudolf Goldscheid am 22. März 1914 anführen.209 Der bedeutendste aus der Gruppe von Persönlichkeiten, mit denen Stona an der Seite von Bertha von Suttner verkehrte, war Theodor Herzl, den sie aber offensichtlich nicht als Begründer des Zionismus, son- dern als Redakteur der Feuilleton-Rubrik der prominenten Neuen Freien Presse, wohin sie ihre Beiträge schickte, kennen gelernt hatte.210 Sie traf sich mit ihm persönlich im Redaktionsbüro oder auch beim Abendessen mit Bertha Suttner,211 oder sie wurde in Herzls wunderschöne Cottagewohnung eingeladen.212

204 Die von Stona erwähnte Dichtersoirée. – WBR, HS, Nachlass Marie Eugenie delle Grazie, H. I. N. 80075, M. Stona an M. E. delle Grazie, Strzebowitz 20. 12. 1895. 205 Ebenda 206 Pelc (2012). 207 UNOG, RRAU, Bertha von Suttner Papers, M. Stona an B. von Suttner, Strzebowitz 13. 5. 1891. 208 UNOG, RRAU, Bertha von Suttner Papers, Box 3, File 6/21, Diary Vol. IX (1. 7. 1909–31. 12. 1911), fol. 23. 209 UNOG, RRAU, Bertha von Suttner Papers, Box 3, File 7/24, Diary Vol. XII (1. 1. 1914–2. 6. 1914), fol. 13. 210 Vgl. Schäfer (1990–1993). 211 Stona (1929). 212 UNOG, RRAU, Bertha von Suttner Papers, Box 1, File 3/13, Diary Vol. I (1. 1. 1897–26. 1. 1899), fol. 70.

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Wenn man über die Verbindungsstellen der gesellschaftlichen Gruppen spricht, dann muss man auch feststellen, dass sich Stona in Wien nicht nur im Umfeld des Krei- ses von Carneri und dessen Anhängern bewegte. Für die damalige Frau – Künstlerin – hatte der Salon, der vorwiegend nach dem französischen Vorbild der Aufklärungszeit strukturiert war, eine sozial integrierende Funktion. Der gesellschaftliche Organismus des Salons war an den Raumtyp des Salons gebunden, den die bürgerliche Wohnkultur von der Aristokratie als Ausdruck der emanzipatorischen Bestrebungen übernommen hatte. Das bürgerliche Wohnen war durch eine klare Teilung in die private und ge- sellschaftliche Sphäre gekennzeichnet, die die sozialen Kontakte im intimen Rahmen des eigenen Haushaltes ermöglichte. Die gesamte Einrichtung des Salons sollte zum Debattieren animieren: Gedämpfte Farben hatten Vorrang vor klaren Farben, beque- men Liegen, wie dem berühmten Diwan der Berta Zuckerkandl, und Sesseln wurde vor spartanischen Möbelstücken der Vorzug gegeben, die Einrichtung der Möbel hat nicht nur den Raum gestaltet, sondern sie unterstützte auch den gegenseitigen Meinungsaus- tausch; in den Salons waren Kunstwerke zu sehen, die das Gespräch anregen sollten. Das Herz und die Seele des Salons war eine wohlhabende, gebildete und scharfsinnige Frau – die Saloniere. Sie lud nicht nur die Teilnehmer des Salons ein und bewirtete diese – die Bewirtung oszillierte zwischen Reichhaltigkeit (Alma Mahler-Werfel) und ausgesprochener Bescheidenheit (Berta Zuckerkandl) –, sondern sie übernahm auch die Rolle der Moderatorin: Sie wählte anregende Gesprächsthemen aus, horchte auf- merksam zu, steuerte je nach Gefühl und Bedarf die Diskussion und änderte deren Rhythmus, pointierte, spitzte die Debatte zu oder schlichtete umgekehrt den Streit. Die Konversation wurde im Salon zu einer Kunst erhoben, die Kultiviertheit wurde höher als die schulische Bildung geschätzt. Wichtige Merkmale des Salons waren die Periodi- zität (jour fixe) sowie die personelle Zusammensetzung. Ein jeder Salon hatte nicht nur seine Stammgäste – habitués –, sondern er zeichnete sich auch, wenn möglich, durch bedeutende Gelegenheitsbesucher aus.213 Von der personellen Zusammensetzung des Salons und der Ausrichtung der Gastgeberin hing auch das Profil des jeweiligen Salons ab, wie es etwa Melanie von Wallis in der zeitgenössischen Zeitschrift An der schönen blauen Donau satirisch beschrieb.214 Die vornehmsten Wiener Salons wie der von Bertha Zuckerkandl, Alma Mahler- Werfel oder der superreichen Familien Wertheimstein, Gomperz und Todesco blieben Stona verwehrt – und sie bemühte sich wohl auch nicht einmal darum, in diese aufge- nommen zu werden, denn die dort anzutreffende Gesellschaft und die dort diskutierten Themen waren ihr nicht nah. Sie nahm jedoch am gesellschaftlichen Geschehen in nicht weniger bedeutungsvollen Salons teil, die etwa nur mit Rücksicht auf die weni- ger vornehme Zusammensetzung als Kulturzentren zweiten Ranges bezeichnet werden können. Aus der Literatur sowie Korrespondenz wissen wir, dass Stona den Salon der Dora von Stockert-Meynert besuchte. Hier trafen sich z. B. die Begründerin und Füh-

213 Vgl. u. a. Meysels (1994); Ackerl (1996); Zlamal (1997); Gerstinger (2002); Heyden-Rynsch (1992). 214 Wallis (1891).

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rerin der österreichischen Frauenbewegung Marianne Hainisch, die Schriftstellerinnen Betty Paoli und Florentine Galliny oder die Bildhauerin Molly Miller von Aichholz.215 Vielleicht noch öfter war Stona Gast im Salon von Ida von Gutmann, deren Ehemann Wilhelm von Gutmann ein wohlhabender „Kohlenbaron“ war und dessen Familie als Angehörige der Wiener haute juiverie zu den bedeutendsten Mäzenen und Gastgebern gehörte.216 Sehen wir uns an, wie Stona selbst den Gutmann-Salon betrachtete:

Wenn die hohe Gestalt mit dem ausdrucksvollen Haupt, dem freundlichen Lächeln in den Kreis der Gäste trat, teilte sich allen sofort eine frohe Belebung mit. Immer wußte sie die kleinen Feste so zu gestalten, daß jeder Geladene nicht nur Anregung empfing, sondern daß auch jedem Gelegenheit geboten war, selbst von seinem Besten zu geben. Nie lud sie Freunde nur zu Tafelfreuden ein, dazu war sie zu klug. Diese blieben eine angenehme Begleiterscheinung des Abends, wurden aber niemals ein in den Mittelpunkt gehobener Akt. Nach dem Mahle erst begann das eigentliche Fest. Da spielte der immer prächtig gestimmte Alfred Grünfeld seine unvergleichlichen Walzer oder Professor Zumbusch erzählte, an seinem langen Bart herabstreichend von seinen Reisen; Gesandte mit ihren Damen, Altgrafen und Jungherren – alle fanden sich in Behagen vereint bei der ausgezeichneten Hausfrau. Sie saß dann in einer Ecke des Sofas, eine weiße Federboa um den Hals geschlungen, das reiche dunkle Haar hochfrisiert, und leitete mit blitzenden Augen die Gespräche, indem sie ihnen aufmerksam zu folgen schien. Es war köstlich, wenn sie selbst zu plaudern begann, wenn sie von Bauernfeld erzählte, der lange ihr täglicher Gast gewesen war und meist verdrießlich raunzte oder sogleich ein- schlief, oder wenn sie die Langeweile der feierlichen Bälle schilderte. Die ehemals durch ihre Schönheit und ihre ebenmäßige hohe Gestalt vielbekannte Frau hatte Witz und Humor. Ihr Gatte erschien nur flüchtig an den Gesellschaftsabenden, aber ihre Kinder waren stets zugegen.217

Wie man sehen kann, respektierte der Salon von Ida von Gutmann die unge- schriebenen, aber streng eingehaltenen Prinzipien der Wiener Salonkultur, einschließ- lich solcher Details, wie das obligate Sofa für die Saloniere. Bevor wir den Salon ver- lassen, sollten wir hier noch eine der nur selten erhalten gebliebenen Erinnerungen Stonas an diese Salonabende, und zwar an einen konkreten, aber nicht genauer datierten Abend in Gutmanns Haus, anführen:

Gestern abend war ich bei Frau v[on] Gutmann zum Diner eingeladen. Um ¾ 7 Uhr fuhr ich vor ihr Palais. Ein Portier empfing mich und öffnete mir die Pri- vatstiege zu den Gemächern der Gnädigen. Schwellende, rote Teppiche, die den Marmor liebkosend bedeckten, nahmen jeden Laut meiner Schritte auf. Ich kam in einen Wintergarten von üppigem Grün und sah hinter einer Tür die Füße eines auf einem Sessel lang hingestreckten Dieners. Er wartete meinen Eintritt ab, um

215 Meinel-Kernstock (1948): 175; ÖNB, Nachlass Otto Rub, Sign. 190/51-1, M. Stona an M. Formes- Königswarter, Strzebowitz 3. 1. 1927. 216 Arnbom (2002); Gessner (1989). 217 Stona (1924a).

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sich wie erschrocken zu erheben und mir beim Ablegen behilflich zu sein. Dann riß er die Flügeltüren auf und ich trat Frau v[on] Gutmann entgegen. Sie kam mir mit liebenswürdiger Zuvorkommenheit entgegen, hieß mich willkommen und machte mich mit einigen Gästen bekannt. Wie sie so da saß in ihrem schweren, roten Brokatkleid, mit einem Fächer aus roten Bändern, eine chinesische Spielerei in der Hand, die geistvollen, sprühenden Augen von einem zum anderen gleiten lassend, die Lippen von einem beredten Lächeln umspielt, da sagte ich mir, daß sie vortrefflich zu der prunkvollen Umgebung paßte. Und wie gut verstand sie es, die Wechselreden zu leiten, wo ein Thema zu erschlaffen drohte, ein anderes ins Treffen zu schicken, ein Gespräch anzuregen, es immer lebhaft, immer amüsant zu erhalten, ihm auch Tiefe zu geben. Man sprach in ihrem Salon von Tagesereignis- sen, von Kunst, Theater, auch von Lessing und Schopenhauer.218

Warum so ein langes Zitat? Erstens, um die allgemeinen Züge des Mechanismus bzw. Organismus des Salons zu zeigen und zweitens, weil gerade hier, bei Ida von Gutmann am Wiener Beethovenplatz 3, Stona die gesellschaftliche Salonkultur gelernt hatte, die sie – wie wir im nächsten Kapitel sehen werden – bei den Besuchen der renommierten Gäste auf dem Strzebowitzer Schloss bis ins kleinste Detail anwendete.219 Es soll hier nicht darum gehen, eine Aufzählung der Persönlichkeiten zu erstel- len, die Stona in Wien traf, sondern es reicht, ein paar illustrative Beispiele zu nennen, die den Kreis ihrer Bekannten repräsentieren. An erster Stelle muss man hier einen ihrer engsten Freunde, den renommierten Literaturhistoriker Georg Brandes, erwähnen. Von dem dänischen Gelehrten, der für die Deutschen Nietzsche „entdeckt“ und etwa die seinerzeit beste Arbeit über Shakespeare geschrieben hat, wird noch die Rede sein. An dieser Stelle sei vorweggenommen, dass es gerade in Wien war, wo am 24. März 1900 die lebenslange Freundschaft der beiden Schriftsteller entstand.220 Stona hätte in der Übersicht ihrer Gefährten sicher nicht vergessen, ihr unerreichbares literarisches Vor- bild zu nennen, nämlich Marie von Ebner-Eschenbach.221 Es ist gut möglich, dass sie sie bereits während der Chropiner Zeit persönlich kennengelernt hat, da sie sozusagen Nachbarinnen waren. Dies wird in der Erinnerung „an längstvergangene Sommertage von Prerau und Chropin“ aus Stonas Brief an Viktor Dubsky den Jüngeren (?) kurz nach dem Tod der großen mährischen Schriftstellerin angedeutet.222 Sicher belegt ist 218 Ebenda. 219 Einige Persönlichkeiten der Wiener Salons erwähnte Stona in Form eines Nekrologs oder Feuilletons. Es ist offensichtlich, dass die uns bekannten Texte nur ein Torso von Stonas Publikationstätigkeiten bezüglich dieses Themas darstellen. Aus dem Nekrolog der Ida von Gutmann haben wir zitiert, aus dem Kreis der Dora von Stockert-Meynert nennen wir wenigstens das Feuilleton/Nekrolog über Florentine Galliny. – Stona (1913). 220 Stona (1932): 155. 221 Neben Stonas Briefen erwähnen auch die Tagebücher von Ebner-Eschenbach die Bekannschaft. Die Notizen betreffen meistens die Korrespondenz, ein Mal vermerkte Ebner-Eschenbach die Lektüre des Feuilletons von Stona über Flora Galliny und ein anderes Mal im Jahre 1903 den Beitrag zur Hochwasserhilfe für die betroffenen Menschen in Schlesien. – Vgl. Pohlheim – Gabriel (1996); Pohlheim – Gabriel (1997). 222 WBR, HS, Nachlass Marie von Ebner-Eschenbach, H. I. N. 61388, M. Stona an V. Graf Dubsky, s. l. 17. 3. 1916.

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dagegen ein nicht genauer datierter Besuch Stonas auf dem Schloss in Zdislawitz.223 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts suchte Stona Marie von Ebner-Eschenbach auch in Wien auf: „Ich besuchte die Ebner-Eschenbach, klug und fein und kühl ist sie, und hundert Uhren umticken sie. Alle 5 Minuten schlägt eine. Was muß die Frau für gute Nerven haben!“, schrieb sie an Brandes.224 Stonas Tage in Wien waren neben den gesellschaftlichen Vergnügungen und Pflichten und den später immer zahlreicher werdenden Geschäftsverhandlungen mit Einkäufen und Besuchen von Ausstellungen, Museen, Theatervorstellungen oder Kon- zerten ausgefüllt. An diesen Unternehmungen nahm auch Stonas Tochter Helene teil, und manchmal schloss sich den beiden Damen auch ein interessanter Begleiter an. Ei- nige Male war es der charmante Arthur Schnitzler.225 Manchmal war Stona auch für ein einstündiges Gespräch (am 21. Oktober 1901) dankbar,226 ein anderes Mal war das Tref- fen mit einem gemeinsamen Besuch des Kunsthistorischen Museums (am 8. November 1901) verbunden.227 In späteren Jahren erscheint Helene und ihr künstlerisches Werk in Schnitzlers Notizen auch selbstständig als Frl. Scholz, wie zum Beispiel am 27. März 1916 („bei Miethke wegen Büsten von Frau Scholz (Frau Stonas Tochter)“).228 Mehr- mals hatte Schnitzler auch mit Stonas Büchern zu tun, weil sie diese zur Beurteilung an ihn sowie an zahlreiche weitere Autoritäten (Hermann Bahr,229 Peter Rosegger,230 Wilhelm von Scholz,231 Richard Schaukal,232 Paul Keller233 u. a.) schickte. Stonas Berichte über ihre Besuche in Wien erlauben es uns, ihre Präferenzen im Bereich der bildenden Kunst aufzuzeigen und sie auf der kulturellen Landkarte der Jahrhundertwende zu positionieren. Im Grunde genommen bilden sie eine Einheit mit ihren Vorlieben in der Literatur, in der sie sich, dank des regen geistigen Austausches mit Georg Brandes, für die „Klassiker“ und die Romantiker wie Shakespeare, Keats, Byron oder Swinburne begeisterte,234 und wo Schnitzlers Beatrix „das einzige moderne

223 WBR, HS, Nachlass Marie von Ebner-Eschenbach, H. I. N. 60952, M. Stona an M. von Ebner- Eschenbach, s. l. 1. 10. 1915. 224 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 10. 1. 1904. 225 Vgl. KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, s. l. 26. 10. 1901. 226 Schnitzler (1989): 358; KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, s. l. 26. 10. 1901. 227 „Museum. Stona und Tochter.“ – Schnitzler (1989): 359; DLA, HA, Teilnachlass Arthur Schnitzler, Mappe 1273, M. Stona an A. Schnitzler, [Wien] 7. 11. 1901. 228 Schnitzler (1983): 276; vgl. auch Schnitzler (1981): 368–369. – Galerie Miethke veranstaltete eine Ausstellung der Porträt-Kunst von Helene Zelezny-Scholz. 229 ÖTM, Nachlass Hermann Bahr, Sign. A 24176 BaM, M. Stona an H. Bahr, Strzebowitz 4. 6. 1896; ebenda, Sign. A 24177 BaM, M. Stona an H. Bahr, Strzebowitz 19. 11. 1907; ebenda, Sign. A 24178 BaM, M. Stona an H. Bahr, Strzebowitz 28. 10. 1909; Sippl (2001): 114, 158. 230 SLB, Nachlass Peter Rosegger, M. Stona an P. Rosegger, Strzebowitz 24. 6. 1896. 231 DLA, Nachlass Wilhelm von Scholz, M. Stona an W. von Scholz, Strzebowitz 18. 12. 1901. 232 WBR, HS, Nachlass Richard von Schaukal, ZPH 846/11, M. Stona an R. von Schaukal 17. 7. 1901. 233 ÖNB, Inv. Nr. H 20/80, Sign. 977/25-1, M. Stona an P. Keller, Strzebowitz 12. 4. 1923 (im Katalog der Österreichischen Nationalbibliothek ist Paul Anton Keller fälschlich (?) als Adressat genannt). 234 Stona (1932): 161.

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Stück ist, in dem ich einen leichten Ewigkeitshauch verspürte“.235 Auch in der bildenden Kunst bedeuteten Sezession und Moderne für sie nicht viel: Klimts Ausstellung, die sie Ende 1903 und Anfang 1904 besucht hatte, kritisierte sie als geschmacklos – und wenn sie Gustav Klimt dann doch ein gewisses Talent zuerkannte, dachte sie anscheinend an seine älteren Arbeiten im Ringstraßenstil.236 Im Gegensatz dazu besuchte sie den mit Klimt zusammenarbeitenden Bildhauer Anton Hanak in seinem Atelier im Wiener Prater sogar persönlich.237 Auch Klingers Beethoven, eines der ikonischen Werke der Moderne, war für sie eine Enttäuschung.238 Auf der anderen Seite muss man hinzufü- gen, dass sie trotz des unterschiedlichen Geschmacks jeder Kunstströmung Autonomie zuerkannte und die Eingriffe des Kaisers gegen die moderne Malerei im Deutschen Reich nicht befürwortete.239 Aber verlassen wir nun Wien, um wenn möglich den ganzen geographischen Horizont von Stona zu umfassen. Im Rahmen der Monarchie verweilte Stona, wie es damals üblich war, einige Male in Karlsbad. Kurortaufenthalte gehörten damals zum Habitus der höheren Schichten, und hinsichtlich des Zwecks des Aufenthalts war es unwichtig, ob es sich um einen Heil-, Präventiv- oder rein gesellschaftlichen Aufenthalt handelte. Zu den zwei letztgenannten gehörten im gewissen Maße auch Stonas Besu- che. Besonders interessant war für sie der Aufenthalt, während dessen sie für zehn Tage Gast am Tisch von Georg Brandes und dessen Freund Georges Clemenceau war.240 Im Anschluss an diesen Kuraufenthalt wurde der Journalist und künftige Ministerpräsi- dent Frankreichs, wie Helene Zelezny-Scholz in ihren Erinnerungen schreibt, einer von Stonas Korrespondenz-Partnern.241 Zu Stonas Lebensstil gehörten auch die zahlreichen Besuche der slowakischen Kurorte. So verbrachte Stona im Jahre 1895 einen Monat im Luftkurort Alt-Schmecks;242 im Jahre 1918 war sie in Trentschin-Teplitz, in diesem Falle wollte sie jedoch den Schriftsteller Alexander Roda Roda besuchen.243 Der Zufall wollte es, dass sich ihre Tochter Helene in Trentschin-Teplitz mit Clemenceaus Sohn Michel anfreundete, der in einer der dortigen Fabriken als Chemiker arbeitete.244 Durch diese Kombination von geplanten und zufälligen Treffen baute Stona ein Netz von Kontakten auf, das zur Entstehung des Kulturphänomens Strzebowitz beigetragen hat. In den oberungarischen (später slowakischen) Kurorten gelangen wir an die Ostgrenze

235 DLA, Nachlass Arthur Schnitzler, Mappe 1273, M. Stona an A. Schnitzler, Strzebowitz 22. 7. 1901. 236 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 10. 1. 1904. 237 SZM, PPB, Marie Stona, Feuilletons und kurze Skizzen 1922–1929, III. Band, fol. 60, Maria Stona: Bei Meister Hanak, Neues Wiener Tagblatt 25. 3. 1926. 238 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 12. 5. 1902. 239 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 10. 1. 1904. 240 SZM, PPB, Marie Stona, Feuilletons und kurze Skizzen 1922–1929, III. Band, fol. 113, Maria Stona: Clemenceau, Linzer Tagespost 7. 12. 1929. 241 WBR, HS, Nachlass Rudolf Jeremias Kreutz, ZPH 1248/7, 2.1.1.253, H. Zelezny-Scholz an R. J. Kreutz, Bronxville 2. 1. 1948. 242 WBR, HS, Nachlass Marie Eugenie delle Grazie, H. I. N. 80074, M. Stona an M. E. delle Grazie, Strzebowitz 28. 9. 1895. 243 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 3. 3. 1918. 244 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 4. 7. 1901.

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von Stonas geographischem Horizont, der sich vom österreichischen Galizien, über das russische Polen bis nach Karpathenrussland erstreckte. Hier lebte ein Teil ihrer Familie, den sie im Roman Die Wilde Wolhynierin verewigt hatte. Ihre Eindrücke aus Karpa- thenrussland arbeitete sie, wie gewöhnlich, auch in die Feuilletons und kurzen Reise- berichte ein. In Polen interessierte sie sich für den „ritterlichen Zug“ der Einwohner,245 in Galizien fühlte sie sich – wie viele andere auch – bereits in den Orient versetzt, also außerhalb des kulturellen Europas.246 Während für Stona bereits auf den galizischen Märkten eine exotische Welt be- gann, verließ sie bei ihren Reisen in Gebiete, die westlich und nördlich von Cislei- thanien lagen, nicht den bekannten Raum der deutschen mitteleuropäischen Kultur. In einigen Lebensphasen, insbesondere auf dem Höhepunkt ihrer künstlerischen Karriere am Anfang des Jahrhunderts, hielt sie sich in deutschen Städten sogar öfter als in Wien auf. In Deutschland trat sie bei Autorenlesungen auf und auch nach 1918 nahm sie hier an Bällen von Künstlern und Journalisten sowie anderen ähnlichen gesellschaftli- chen Veranstaltungen teil. Die Kenntnis der deutschen Geschichte und Kultur war ein Bestandteil der damaligen höheren Bildung, und deshalb besuchte Stona historische Orte, die mit den berühmtesten Persönlichkeiten des deutschen Volkes verbunden wa- ren – Eisenach als Stadt von Luther, Bach und Wagner, danach Weimar als Wirkungsort von Goethe, Schiller und Nietzsche. Und gerade dieser unlängst verstorbene Philosoph hatte auf sie die stärkste Anziehungskraft. Es besteht zudem kein Zweifel, dass es der Einfluss von Georg Brandes war, aufgrund dessen sie sich für Nietzsches Denken inte- ressierte und im Sommer 1905 dessen Tochter, Elisabeth Förster-Nietzsche, besuchte. Das Nietzsche-Archiv, das sie sich in Weimar ansehen wollte, war noch nicht für die Öffentlichkeit zugänglich, weshalb die Frauen eine Stunde im Gespräch über Goethe verbrachten. Ein zweites Mal besuchte Stona Elisabeth Förster-Nietzsche 1922.247 In Deutschland traf Stona noch weitere Bekannte und Freunde. Von dem Besuch Stonas bei Ernst Haeckel in Jena war schon zuvor die Rede gewesen, ferner kann in diesem Zusammenhang Wilhelm Jensen genannt werden, der Stona im Jahre 1908 in seinem Haus empfangen hat,248 erwähnenswert ist auch das Dichterpaar Viktor und Klara Blüth- gen.249 Die Aufzählung würde kein Ende nehmen, aber genauso wie im Falle Wiens ist es wichtiger, den Kreis einzugrenzen, in dem sich Stona in Deutschland bewegt hat. Wer um die Jahrhundertwende von Wien nach Berlin reisen wollte, hatte ver- schiedene Möglichkeiten. Die meistgewählte Eisenbahnstrecke der damaligen Reisen- den führte über Prag, Tetschen-Bodenbach und Dresden. Die zweite Wahl war die Bahn

245 SZM, PPB, Marie Stona, Feuilletons und kurze Skizzen 1922–1929, III. Band, fol. 85, Maria Stona: Bilder aus Polen, Morgenzeitung, Mähr.-Ostrau 23. 9. 1927 246 SZM, PPB, Marie Stona, Feuilletons und kurze Skizzen 1922–1929, III. Band, fol. 80, Maria Stona: Reisebilder aus Polen, Neues Wiener Tagblatt 1. 10. 1927. 247 GSA, Sign. 72/BW 5351, M. Stona an E. Förster-Nietzsche, Strzebowitz 2. 9. 1924. 248 SZM, PPB, Marie Stona, Feuilletons und kurze Skizzen 1922–1929, III. Band, fol. 87, Maria Stona: Begegnung mit Wilhelm Jensen, Neues Wiener Journal 27. 2. 1927. 249 SZM, PPB, Marie Stona, Feuilletons und kurze Skizzen 1922–1929, III. Band, fol. 65, Maria Stona: Das Ehepaar Viktor und Klara Blüthgen, Deutsche Post, Troppau 27. 11. 1926.

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über Oderberg und Breslau. In der Sichtnähe dieser Achse des mitteleuropäischen Rau- mes lebte Stona, die sich zwischen den beiden Metropolen sowohl physisch als auch kulturell bewegte. Auf Stonas geistiger Landkarte war Berlin näher als Prag. Als sie im Jahre 1901 ein Treffen mit Brandes vereinbarte, schrieb sie: „Ach, wenn wir uns nur treffen könnten! Vielleicht Prag? Berlin mir lieber.“250 Für Stonas Beziehung zu den beiden Zentren ist charakteristisch, dass sie im Jahre 1922 das Theaterstück von Karel Čapek Ze života hmyzu (Insekten) nicht in Prag, sondern in Berlin sah.251 Ähnlich wie in Wien traf sie sich auch in Berlin mit einer Reihe von Literaten – Clara Viebig, Gabriele Reuter, Max Halbe u. a. Am nächsten von allen intellektuellen Gruppen Berlins stand sie dem Kreis um den Mystiker und Esoteriker Rudolf Steiner, der zunächst in Wien und später in Berlin leben sollte.252 Er war deshalb ein Verbindungsglied zwischen ihrer Wiener und Berliner Lebenswelt. Steiner hatte sich schon in der Mitte der 80er Jah- re im Wiener Kreis der Theologen und Schriftsteller um Marie Eugenie delle Grazie bewegt,253 wo er die Grundsätze seiner „Freiheitsphilosophie“ formulierte. Er setzte sich vor allem kritisch mit dem Werk von Haeckel und Nietzsche auseinander. Nach seiner „Erleuchtung“ im Jahre 1900 verkündigte er seine Form des neuen, mystischen Christentums, das er Theosophie nannte und welches wohl auch Stona wegen der Syn- these des Glaubens und der Natur anzog, wie auch aus ihrem Exlibris vom tschechi- schen Graphiker und Priester Arnošt Hrabal hervorgeht. Der Hintergrund der Erscheinung wird von einem Hochwald gebildet, der sich zeigt, als ob er in der Mitte auseinanderklaffen und die Einsicht in die Unendlichkeit des Nachthimmels bieten würde, zeigt. Aus der Lichtung wächst eine einzige Blüte der Königskerze empor. Die, wie von einer üppigen Vegetation bedroht, bestrahlt die Walddunkelheit. Die dargestellte Königskerze gilt allgemein als Symbol eines langen Lebens, aber sie ist auch – und in dieser Funktion erscheint sie hier – das Symbol des Lichtes in der Finsternis, wie übrigens die unten genannte Devise In tenebris lux verkündet. Der Wald tritt hier in zweifacher gegensätzlicher Rolle auf: Er ist jene Dun- kelheit, jenes Chaos, aber gleichzeitig ist er ein Dom. Wir kennen ähnliche Graphiken Hrabals, wo die Baumstämme die Säulen eines Domschiffs oder Orgelpfeifen in einer Kathedrale darstellen. Die Königskerzenblüte kann als Symbol des Glaubens aufge- fasst werden, der den Weg der Seele (hier durch einen Vogel symbolisiert) aus der Fins- ternis des Chaos in Richtung zur Harmonie und Hoffnung (hier als Sterne am Himmel dargestellt) zeigt. Es geht selbstverständlich um eine biblische Metapher: „Das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht ergriffen“, wie es im Evan- gelium des Heiligen Johannes steht. Aber die Form der Abbildung an Stonas Exlibris verrät neben der christlichen Schicht auch noch eine andere, mystische – heidnische oder morgenländische Verehrung der Natur.254

250 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, s. l. 7. 7. 1901. 251 SZM, PPB, Marie Stona, Feuilletons und kurze Skizzen 1922–1929, III. Band, fol. 8, Maria Stona: Vom verzweifelten Berlin, Neues Wiener Tagblatt 27. 3. 1923. 252 In Bezug zu Rudolf Steiner – Maria Stona vgl. Zdražil (1997). 253 Vgl. Steiner (2011): 124. 254 SZM, Bibliothek, Sign. S 2517.

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Stonas Einbindung in Steiners Kreis sollte nicht überbewertet werden: Als Gast war sie eher gelegentlich bei den Treffen der Gruppe Die Kommenden in Berlin an- wesend. Marie Eugenie delle Grazie hingegen gehörte zu den regelmäßigen Besuche- rinnen. Auf dem Boden dieser Gesellschaft wurde vor allem über die Möglichkeiten diskutiert, wie die Gegensätze der Zeit zu überwinden und die anwachsende Summe der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse in ein klares, einheitliches Weltbild einzu- beziehen sind. Wie in einer Reihe anderer Vereine der Zeit spielte die Anwendung der Haeckelschen Denkmodelle eine große Rolle.255 In einem Text über Jacobowski ruft Steiner an einer Stelle in Anspielung auf den Titel des Buches von Haeckel aus: „Wir leben ein Welträtsel.“256 Hinzuzufügen ist allerdings, dass es eben Rudolf Steiner war, der eine kritische Einstellung zum Haeckelschen Denken hatte und den Jenaer Ge- lehrten in seinen Schriften als philosophischen Dilettanten und naturwissenschaftlichen Phantasten bezeichnete.257 Es kann als gesichert gelten, dass es neben Steiner noch einen weiteren Verbindungspunkt Stonas zu den Kommenden gegeben hat, und zwar ihre Kontakte zu Steiners Vorgänger in der Rolle des Anführers der Gruppe, Ludwig Jacobowski. Nach seinem Tod ersetzte ihn Steiner Ende des Jahres 1900.258 Diesem vorzeitig verstorbenen Journalisten und Dichter werden wir später noch auf dem Strze- bowitzer Schloss begegnen, übrigens genauso wie dessen Nachfolger Rudolf Steiner. Bleiben wir nun aber noch einen Augenblick in Berlin. Diese deutsche Groß- stadt faszinierte Stona immer stärker, wenn man die Menge der Artikel betrachtet. Ihre Aufmerksamkeit zog Berlin vor allem nach dem Ersten Weltkrieg auf sich, als es hin- sichtlich der Entwicklungsdynamik Wien überholte, dem die Provinzialisierung drohte. Das Berlin der 1920er Jahre, das heißt das Berlin des Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit, Brechts Berlin, taucht immer wieder auf, denn – wie Stona schreibt – sah es jedes halbe Jahr wie eine andere Stadt aus.259 Das pulsierende Herz der Weimarer Republik war für Stona ein Schaufenster der Avantgarde: angefangen mit einem völlig unterschiedlichen Lebensrhythmus bis hin zu den Piktogrammen in der Straßenbahn, die zum schnellen Ein- und Aussteigen aufforderten und die die früheren geschrie- benen Informationstafeln ersetzten. Die Jahre 1922 und 1923 waren noch durch die Nachkriegskrise und Hyperinflation gekennzeichnet – Stona schrieb damals noch „vom verzweifelten Berlin“.260 Den Aufschwung der Stadt bemerkte sie erst in der Mitte der 20er Jahre, als sie schrieb: „[...] zum ersten Mal seit Kriegsausbruch steht Berlin im vollen Taumel der Vergnügen, der Feste und Bälle“ und „nach Mitternacht und gegen zwei Uhr morgens geht es auf den Straßen so lebhaft zu, wie um Mittag [...]“.261 Im Jah- 255 Wülfing – Bruns – Parr (1998): 240–246. 256 Steiner (1901): 68. 257 Steiner (2011): 219. 258 Wülfing – Bruns – Parr (1998): 242. 259 SZM, PPB, Marie Stona, Feuilletons und kurze Skizzen 1922–1929, III. Band, fol. 100, Maria Stona: Berliner Bilder, Das Volk, Jägerndorf 4. 1. 1928. 260 SZM, PPB, Marie Stona, Feuilletons und kurze Skizzen 1922–1929, III. Band, fol. 8, Maria Stona: Vom verzweifelten Berlin, Neues Wiener Tagblatt 27. 3. 1923; ebenda, fol. 86, Maria Stona: Feuilleton. Tage im Reich, Neues Wiener Tagblatt 10. 3. 1927. 261 SZM, PPB, Marie Stona, Feuilletons und kurze Skizzen 1922–1929, III. Band, fol. 52, Maria Stona:

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re 1927 diagnostizierte sie schon in der deutschen Metropole „stoßweises Atmen unter ungeheurem Blutdruck“. Darüber hinaus besuchte sie damals auch Dresden, wo sie sich eine Tanzvorstellung der Ballerina Anna Pawlowa ansah. In Leipzig ließ sie sich die Vorstellung der Jazz-Oper Johnny spielt auf des mährisch-amerikanischen Tonsetzers Ernst Krenek nicht entgehen.262 Diese Information relativiert die angebliche Zurück- haltung Stonas gegenüber der Moderne und den „Avantgarden“, worüber bereits oben gesprochen wurde. Bisher haben wir Stona im Rahmen des mitteleuropäischen Raumes beobachtet. Wann sie die Grenzen dieses Raumes zum ersten Mal überschritten hat, wissen wir nicht. Es ist möglich, dass bereits ihre älteren Texte Presto prestissimo und Nach Sche- veningen ihre persönlichen Erlebnisse schildern. Sicher können wir hingegen ihre Reise nach Brüssel, Brügge und Paris datieren. Den Ausflug unternahm sie mit ihrer Tochter, die damals in Brüssel studierte, und zwar im Frühling 1904. In Belgien bewunderten sie die gotische Kunst, aber es war vor allem Frankreich, von dem sie begeistert war:

Es geht nichts über Frankreich – über die französische Cultur – Barbaren sind wir alle. Dort ist Leben und Geist und – der feinste Geschmack, daß ich nicht längst dort gewesen bin! Künstler sein zu wollen ohne die französische Cultur zu kennen! Das heißt messen wollen ohne ein Maß zu kennen.

Stona zweifelte nicht daran, dass dies die bislang schönste Reise ihres Lebens war.263 Dazu trug auch die Bekanntschaft mit den Bildhauern Auguste Rodin und Charles van der Stappen sowie dem Maler Fernand Khnopff in Paris und Brüssel bei.264 Nach Frank- reich kehrte Stona noch mehrmals zurück. Über die Reisen in die Provence, die über Stuttgart, Straßburg, Nancy, Verdun, Reims, Lyon, Avignon, Tarascon (von wo sie eine Ansichtskarte an Brandes geschickt hat),265 Arles, Nîmes, Pont du Gard usw. führten, sowie über die Rückreise, die über die Schweiz führte, publizierte sie im Jahre 1922 das oben genannte Buch. Besonders nah war Stona jedoch Italien, wo ihre Tochter lange Zeit lebte. Das Land dürfte sie zum ersten Mal im Jahre 1906 besucht haben und bezeichnete den Besuch von Rom, Florenz und anderen italienischen Städten wiederum als – „die herr- lichste Zeit meines Lebens“.266 Die späteren Reisen nach Italien waren schon mit dem Besuch ihrer Tochter verbunden (zum ersten Mal wahrscheinlich im Jahre 1912),267 die sie bis ins hohe Alter besuchen sollte. Den letzten bekannten Aufenthalt in Rom

Die Frauen von Berlin. Auf Reisen und Festen, Neues Wiener Tagblatt 15. 3. 1925. 262 SZM, PPB, Marie Stona, Feuilletons und kurze Skizzen 1922–1929, III. Band, fol. 86, Maria Stona: Tage im Reich, Neues Wiener Tagblatt 10. 3. 1927. 263 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 3. 6. 1904. Schon 1892 hielt sie sich kurz in Nizza und Monaco auf. – EHH, M. Stona an E. Haeckel, Strzebowitz 17. 3. 1892. 264 WBR, HS, Teilnachlass Eugen Guglia, H. I. N. 220636, M. Stona an E. Guglia, Strzebowitz 6. 8. 1904. 265 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, [Tarascon] 30. 9. 1920. 266 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 8. 4. 1906. 267 WBR, HS, Sammlung Wilhelm Börner, H. I. N. 193290, M. Stona an W. Börner, Strzebowitz 28. 5. 1912.

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absolvierte sie im Jahre 1938, d. h. mit 79 Jahren.268 In einem relativ fortgeschrittenen Alter, nämlich als siebzigjährige Frau, stillte Stona ihre weitere Reise-Sehnsucht, und zwar mit einer längeren Tour durch Spanien im Jahre 1930, die sie im Reisebericht Das schöne Spanien (über Wien, Innsbruck, Mailand, Genua, Marseille, Narbonne und zurück über die Schweiz) ausführlich beschreiben sollte. Aus der bisherigen Aufzählung wird ersichtlich, dass die Schriftstellerin vor- wiegend „zu der Kultur“ zu reisen pflegte. Deshalb musste sie auch in die Wiege der europäischen Zivilisation reisen, und zwar nach Griechenland. Dieses Land besuchte sie in den 1920er Jahren gleich zweimal (1924, 1927). Bei ihrem zweiten Besuch Grie- chenlands durchreiste sie Attika, Thessalia, Peloponnes, Patras und Delphi. Die zweite Reise dauerte ganze sieben Wochen, wobei sie auch die Inseln im Ägäischen Meer besuchte. Genauso wie früher Italien wirkte auch jetzt Griechenland tief auf Stona ein, obwohl diesmal auf eine andere Art und Weise als zuvor: „Griechenland hat nicht den landschaftlichen Zauber Italiens und seine gepflegte Blumenpracht, es ist heroisch, nicht paradiesisch.“269 Wir können sagen, dass Stona mit Ausnahme Großbritanniens das ganze kul- turelle Europa bereist hat. Den europäischen Kontinent dürfte sie nur einmal in ihrem Leben verlassen haben. Im Gegensatz zu den beiden Kindern besuchte sie nicht Ame- rika, sondern Ägypten. Die Reise unternahm sie zu der Zeit, als ihre Tochter sich in Tunis aufhielt, nämlich Ende Januar 1913.270 Neben Kairo besuchte sie unter anderem Beni Hasan. Im Rahmen der Reise sah sie sich die Denkmäler von Luxor an. Nachdem sie einen älteren Engländer auf einer Fähre kennen gelernt hatte, der sich später dem archäologischen Team unter der Führung des Ägyptologen William Flinders Petrie an- schließen sollte,271 beschloss sie, diesen Bekannten auf der Rückreise nach Kairo zu be- suchen. Bei dieser Gelegenheit wurde sie auch Flinders Petrie vorgestellt. Hilda Petrie lud sie bei dieser Gelegenheit zum Mittagessen ein, bei dem sie mit deren Mann über die Fortschritte der ägyptologischen Forschungen diskutieren konnte. Im Anschluss an den Besuch Ägyptens publizierte sie diesmal kein Buch – vielleicht deswegen, weil ihr schon die schlesische Landsfrau Mechtilde Lichnowsky zuvorgekommen war. Diese war schon im Jahre 1912 in Ägypten gewesen. Noch in diesem Jahr (bzw. ein Jahr später) gab sie ihre Eindrücke von diesen Reisen unter dem Titel Götter, Könige und Tiere in Ägypten heraus.272 Stona hingegen beschrieb ihre Reise erst nach fast zehn Jahren in ihren Zeitungsartikeln.273 Ihr Interesse an Ägypten hatte aber noch ein weite- 268 WBR, HS, Nachlass Felix Braun, ZPH 413/29, H. Zelezny-Scholz an F. Braun, [Rom] s. d. [1938]. 269 SZM, PPB, Marie Stona, Feuilletons und kurze Skizzen 1922–1929, III. Band, fol. 81, Maria Stona: Das Reisen in Griechenland, Neues Wiener Tagblatt 8. 6. 1927. 270 WBR, HS, Sammlung Wilhelm Börner, H. I. N. 193292, M. Stona an W. Börner, Strzebowitz 27. 1. 1913. 271 Dulíková (2011), Dulíková (2013). 272 Lichnowsky (1913); Holaubek (2006). 273 SZM, PPB, Marie Stona, Feuilletons und kurze Skizzen 1922–1929, III. Band, fol. 10, Maria Stona: Die Königsgräber in Theben, Neue Freie Presse 14. 2. 1923; ebenda, fol. 22, Maria Stona: Bilder aus Ägypten. Kairo-Benihassan, Neue Freie Presse 14. 8. 1924; ebenda, fol. 45, Maria Stona: Bei Professor Flinders Petrie in der Wüste, Neue Freie Presse 24. 2. 1925.

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res, interessantes Ergebnis. Von der British School of Archaeology in Egypt kaufte sie eine kleine Gruppe altägyptischer Fundstücke, meistens aus dem Bereich von Tarchan, die sie am 31. Dezember 1913 dem schlesischen Kunstgewerbemuseum zu Troppau widmete. Bis heute ist nur ein Torso erhalten geblieben, unter anderem der Mumien- Kartonumschlag, heute im Eigentum des Náprstek-Museum in Prag.274 In Schlesien selbst wird diese Episode durch einen einzigen fünftausendjährigen Alabaster-Behälter im Schlesischen Landesmuseum repräsentiert.275 Auch in diesem Punkt war die Ge- schichte zu dem Kultur-Phänomen Strzebowitz nicht barmherzig.

274 Für diese Information danke ich Veronika Dulíková vom Ägyptologischen Institut der Karls- Universität Prag. Ein Jahrhundert später, im Jahre 2014, kehrte er im Rahmen der Ausstellung Das Land und sein Museum vorübergehend nach Troppau zurück. 275 Dulíková (2011): 83.

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3. Das Schloss Strzebowitz: Schnittpunkt der Wege und Gedanken

[...] wenn man in dem kühlen, gewölbten Speisezimmer saß und die Hausfrau eine Flut der heterogensten Fragen rasch, unver- mutet stellte. Edmund Wilhelm Braun: Marie Stona, 1900

Alles, was Stona in Wien über die Salonkultur gelernt hatte, versuchte sie in dem völ- lig anderen Umfeld des ländlichen Strzebowitz umzusetzen. Um ihren eigenen Salon bemüht, schuf sie ihr eigenes Kulturzentrum, das vielleicht mit Markt Janowitz von Sidonie Nádherny verglichen werden kann. Die Lage ihres Landguts, der spezifische Freundeskreis und die Persönlichkeit ihrer Tochter bestimmten jedoch gleichzeitig dessen spezifische Form. Dass eine Parallele mit den Wiener Salons angebracht ist, kann man aus dem Text von E. W. Braun schließen, der von einem Kränzchen auf dem Strzebowitzer Schloss berichtet hat: „[...] wenn einmal ein Haufen Gäste, gleichgülti- gere Gäste, gekommen waren, wenn man in dem kühlen, gewölbten Speisezimmer saß und die Hausfrau eine Flut der heterogensten Fragen rasch, unvermutet stellte.“276 Die scharfsinnige Frau, in zweifacher Rolle als Gastgeberin und gleichzeitig Moderatorin des Gesprächs, erinnert auffällig an die allgemeine Charakteristik der sozialen Insti- tution des Salons, wie sie oben beschrieben wurde. Und auch hier dienten die Namen der bekannten Persönlichkeiten, die sich auf dem Schloss aufhielten, als Reklame für weitere Interessenten. Ohne sich dessen bewusst zu werden, war auch Ilja Hurník Zeu-

276 Braun (1900): 6.

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ge und Protagonist des späten Salons von Stona. In seiner Schilderung wird zwar eine zeitgemäß bedingte soziale Aversion deutlich, dennoch kann daraus eine faktographi- sche Substanz sublimiert werden: An verschiedenen Plätzen im Zimmer saßen Stona mit einem kurzen Schwert am Gürtel, „ältere Herren mit Zigarren“ und Damen mit „Ohrringen bis zu den Schultern“. Hurník spielte entsprechend dem vorgeschriebenen Programm einige Kompositionen und dann wurde er zur Seite geführt, während das Treffen offensichtlich in der Konversation weiter verlief.277 Unverzüglich müssen wir jedoch hinzufügen, dass der Raum für die Gestaltung des Salons in Strzebowitz sehr begrenzt war. Wer konnte zu den habitués einer solchen Gesellschaft gehören? Nur kulturelle, kirchliche, wirtschaftliche, administrative oder militärische Eliten der Region – tschechische und deutsche Künstler (Adolf Zdrazila,278 Arnošt Hrabal,279 Edmund Pick-Morino280 u. a.), sowohl katholische als auch protes- tantische Geistliche (zu ihnen gehörte auch der bereits genannte Hrabal oder der tsche- chische Literat und Journalist Karel Dostál-Lutinov, ein Repräsentant der mährischen katholischen Moderne,281 Beamte der Landesregierung282 oder Besitzer der unweit ge- legenen Schlösser. Mechtilde Lichnowsky hingegen, die sich im unweiten Grätz und Kuchelna aufhielt, gehörte nicht zu Stonas Kreis, und es ist auch kein Besuch der Besit- zerin von Strzebowitz in Grätz nachgewiesen. Wobei Lichnowsky, genauso wie Stona, eine Schriftstellerin war und – wie wir am Beispiel der fast gleichzeitigen Ägypten-Rei- se gezeigt haben – hatten sie viel Gemeinsames. Trotz vieler Ähnlichkeiten ist Stonas Familie für das Geschlecht Lichnowsky keine standesgemäße Partie gewesen. Wohl am regelmäßigsten besuchte der Direktor des Kunstgewerbemuseums (später Landesmuseum) zu Troppau Edmund Wilhelm Braun das Schloss, welchen Stona ohne Bedenken auch den kulturellen Persönlichkeiten europäischen Formats vorstellen konnte. Sein reichsdeutscher Ursprung, seine Erfahrungen aus dem renom- mierten Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg, seine Bildung sowie sein gesell- schaftliches Geschick haben ihn – und zwar wortwörtlich – salonfähig gemacht. Es scheint, dass hauptsächlich um die Jahrhundertwende die Beziehung Stona – Braun sehr intensiv war. Damals versuchte Braun, als Kunsthistoriker, sich in höheren Schich- ten der mitteleuropäischen Kultur zu etablieren, sei es als Kunstkritiker oder als Schrift- steller. Im Jahre 1901 teilte er z. B. Stona seine Absicht mit, durch Schaukals Buch Intérieurs aus dem Leben der Zwanzigjährigen inspiriert, einen lägeren Essay für das Schaufenster der Wiener Sezession, die Zeitschrift Ver sacrum, zu schreiben.283 Andere Arbeitspflichten und vielleicht auch die in Stonas Korrespondenz geschilderten Liebe- 277 Hurník (1979): 188. 278 Zelezny-Scholz (1972): 63. 279 ZAO, pobočka Olomouc, Karel Dostál-Lutinov, Inv. Nr. 603, Box 10, M. Stona an K. Dostál- Lutinov, s. l. 23. 5. 1923. 280 Erhalten ist eine Fotografie seiner Kohlezeichnung – Porträt von Maria Stona aus dem Jahre 1937. – SZM, UhP, Edmund Wilhelm Braun, Fotographien, Tagebücher, Zuwachsnummer 80.1/31645. 281 ZAO, pobočka Olomouc, Karel Dostál-Lutinov, Inv. Nr. 603, Box 10. 282 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 5. 6. 1901. 283 WBR, HS, Nachlass Richard von Schaukal, ZPH 846/11, M. Stona an R. von Schaukal, Strzebowitz 14. 9. 1901.

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leien verursachten jedoch notorische Verspätungen der versprochenen Texte. Hiermit steht auch das Fragment des fiktiven Theaterspiels in Verbindung, das Stona auf einer Korrespondenz-Karte an Richard Schaukal geschickt hat. Der Dialog von Maria und Helene (Stona mit der Tochter) über Schaukal endet mit den folgenden Worten: „Hele- ne. Er [Schaukal] wird wohl nie etwas Ganzes schreiben. (mit sehr altem Ton) Das ist schon schrecklich mit den jetzigen Dichtern. Der Feldegg wird auch nie fertig. / Maria (säufzend) Und der Braun auch nie!!!“284 Im selben Geiste ist auch Stonas Korrespondenz mit Ludwig Jacobowski ge- schrieben. Das hohe Ansehen von Braun mischt sich mit der Besorgnis im Hinblick auf dessen Unzuverlässigkeit:

Braun ist total unverläßlich. [...] Ich glaube, er würde mit dem Essay [über Königs- brunn-Schaupp] überhaupt nie fertig. Wie habʼ ich ihn beschworen, doch endlich die Studie zu vollenden! Er scheint ganz unfähig zu sein, systematisch zu arbeiten. Ich denke, er bleibt zeitlebens Direktor und wird nie ein Künstler, ein Schaffender. Schadʼ um ihn. In ihm geht viel zugrund.285

E. W. Braun und seine künstlerischen Bestrebungen betrifft wahrscheinlich auch Stonas Bemerkung: „Der Braun kriegt nie im Leben einen Roman fertig.“286 Den Essay über Maria Stona für Jacobowskis Zeitschrift Die Gesellschaft beendete Braun zum Glück und so konnte das Zitat im Kopf dieses Kapitels erscheinen. Die Freundschaft Sto- na – Braun dauerte trotz der angedeuteten Streitigkeiten offensichtlich bis zu Stonas Tod. Angedeutet wird dies beispielsweise durch ein Bild aus dem 18. Jahrhundert mit dem Motiv Die Leiden des Heiligen Laurentius, das Stona Braun zu dessen sechzigs- ten Geburtstag im Jahre 1930 schenkte,287 durch deren gemeinsamen Besuch der alten Sammlungen im Sitz des Geschlechts Desfours-Walderode in Bodenstadt in der zwei- ten Hälfte der 1930er Jahre bzw. die erhaltene Fotografie mit Stona, Braun und einer unbekannten Gesellschaft (Familienmitglieder und Felix Papsdorf, ein Freund Stonas?) vor dem Tor des Strzebowitzer Schlosses am 25. Dezember 1937.288 Edmund Wilhelm Braun gehörte zu den treuesten und auch interessantesten Be- suchern des Strzebowitzer Schlosses. Wir könnten zu ihm eine ganze Reihe von weite- ren, nicht uninteressanten Persönlichkeiten hinzufügen, die mit der Region mindestens einen Teil ihres Lebens verbunden haben, wie z. B. der bekannte Musiker Emil Paur, seinerzeit Chefdirigent in den Stadttheatern Kassel, Königsberg oder im Boston Sym- phony Orchestra, der die letzten Jahre an der mährisch-schlesischen Grenze in Mistek verbrachte. Dort besuchte ihn auch Stona.289 Wenn wir nur bei den Persönlichkeiten der 284 WBR, HS, Nachlass Richard von Schaukal, ZPH 846/11, M. Stona an R. von Schaukal, Strzebowitz 12. 1. 1902. 285 Stern (1974), Band I: M. Stona an L. Jacobowski, s. l. 18. 5. 1900: 474. – Den erwähnten Essay hat letztendlich Paul Leppin für die Gesellschaft geschrieben. – Stern (1974), Band II: 240. 286 Stern (1974), Band I: M. Stona an L. Jacobowski, s. l. 1. 7. 1899: 467. 287 SZM, UhP, Přírůstková kniha 1926–1934: 155–156. 288 SZM, UhP, Edmund Wilhelm Braun, Fotos, Tagebücher, Zuwachsnummer 80.1/65049. 289 SZM, PPB, Marie Stona, Feuilletons und kurze Skizzen 1922–1929, III. Band, fol. 70, Maria Stona:

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Region bleiben würden, was auch interessant sein mag, könnte dieses Buch über das von Stona aufgebaute Kulturzentrum kaum entstehen. Dem ansonsten faden Landsitz verliehen vor allem die Wiener und die ausländischen Intellektuellen und Literaten ihren Glanz. Ihrer Anwesenheit ist es zu verdanken, dass die Epitheta „Schlesisches Athen“, „Schlesisches Weimar“ oder sogar „Aranjuez“ an Strzebowitz haften blieben.290 Wie abwegig sie auch sein mögen, lassen sie doch eine ungewöhnlich hohe Konzentration von Künstlern und Gelehrten an der Peripherie des Reiches und der Republik erahnen, von der wir hier sprechen wollen. Durch die Einladung nach Strzebowitz bemühte sich Maria Stona zweifellos die Tatsache zu bewältigen, dass ihr Schloss sich an der Peri- pherie befand. Dasselbe gilt auch für ihre Korrespondenz, die gemeinsam mit den per- sönlichen Treffen in den mitteleuropäischen Metropolen den Besuchen der „Berühm- ten“ oft voranging. Stona führte einen intensiven Korrespondenz-Verkehr, und zwar auch im Hinblick auf die hoch entwickelte Briefkultur des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts.291 Thea Ettlinger schrieb ihrem Freund Ludwig Jacobowski über „einen regen Briefwechsel, wie ihn M[aria] St[ona] liebt“.292 Wenn auch die gefundene Korres- pondenz Stonas einen Bruchteil des ursprünglichen Komplexes darstellt, erreicht sie auf ihrem Höhepunkt im Jahre 1901 sogar einen Wochentakt. Sehr oft schrieb Stona auch mehrere Briefe täglich. Fragen wir zuerst, was (außer Maria Stona selbst) all die vornehmen Persön- lichkeiten nach Strzebowitz zog. Vieles ergibt sich aus den Worten der Schriftstellerin Annemarie von Nathusius, einer der weniger berühmten Besucherinnen des Strzebo- witzer Schlosses: „Dort träumte ich drei Tage, sah die Fasanen bis in den Park laufen und die Blätter fallen; ich saß in der Sonne vor der Torfahrt und dachte an glückliche Tage im Süden [...]. Diese drei Tage waren ein Traum aus einem Märchenbuch.“293 Ja, es war vor allem die relative Idylle des Landlebens, die Ruhe der Schlossgärten und auch das in den wärmsten Tagen angenehme Klima des Landsitzes. Wegen der Unbe- heizbarkeit eines Teils des Schlosses in den kalten Monaten lud die Gastgeberin alle Besuche zwischen Mai und September ein. Eine Ausnahme war die Jagdzeit, wenn mehr als zwanzig Personen gleichzeitig in rascher Folge zusammenkamen. Ende des Jahres 1925 bewirtete Stona 21 Gäste auf einmal, mit dem schlesischen Landespräsi- denten Josef Šrámek und dessen Familie an der Spitze. Das zweite Mal absolvierte sie eine Jagd mit 22 Personen und zum Schluss empfing sie noch die Familie Wilczek aus dem Schloss des benachbarten Dobroslawitz.294 Die Herbstbesuche haben anscheinend eher Verwandte und Bekannte aus der unweiten Umgebung wahrgenommen. Im Fall der Künstler und Intellektuellen sollte deren Aufenthalt auf dem Schloss keineswegs lediglich eine gesellschaftliche Angelegenheit sein. Es sollte ihnen genug Zeit für die

Bei Emil Paur. Ein Künstleridyll, Ostrauer Zeitung 14. 2. 1924. 290 Svoboda (1929), K. Dostál-Lutinov an M. Stona, Prossnitz 14. 8. 1923: 56. 291 Vgl. Baasner (1999). 292 Zitiert nach Stern (1974), Band I., T. Ettlinger an L. Jacobowski, Lausanne 4. 2. 1898: 454. 293 Nathusius (1925). 294 WBR, HS, Nachlass Rudolf Jeremias Kreutz, ZPH 1248/8, 2.1.1.271, M. Stona an R. J. Kreutz, Strzebowitz 16. 12. 1925.

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Arbeit eingeräumt werden. Als Stona Mitte der 1920er Jahre den deutschen Schriftstel- ler Franz Servaes nach Strzebowitz lockte, versprach sie ihm, dass die „Künstler ganz ungestört [seien] – man [sähe] sich nur bei den Mahlzeiten“.295 Natürlich ließ sich die Gastgeberin nicht die Gelegenheit entgehen, die renommierten Gäste den habitués vor- zustellen, sei es beim Abendessen oder bei den Ausflügen in die Umgebung. Wann beginnt die Geschichte des Strzebowitzer Kulturzentrums von Maria Sto- na? Mit der Ankunft des ersten berühmten Gastes? Ein genaues Datum kann wieder nicht erwartet werden: Zu den zerstörten Urkunden und Schriftstücken des Schlossar- chivs gehört wahrscheinlich auch das von einigen Zeitgenossen erwähnte Gästebuch, in das die Ankommenden ihre Unterschriften und Gedenkeinträge tätigten. Auch hier wird die Aufzählung nicht vollständig sein. Der Besuch einer Reihe von berühmten Gästen hat zum Glück wenigstens in Stonas Briefwechsel, ihren literarischen Arbeiten sowie den eigenen Texten eine Spur hinterlassen. Der erste prominente Gast von euro- päischer Bedeutung war vermutlich Ludwig Jacobowski, der Stona in Strzebowitz wie- derholt aufsuchte, zum ersten Mal im Jahre 1898. Diese Datierung basiert auf Stonas Schilderung des Kennenlernens von Jacobowski: Im Herbst 1897 hatte ihr Verleger ein ablehnendes Gutachten über eine ihrer Novellen geschickt. Die Autorin hatte den Re- zensenten daraufhin persönlich kontaktiert, worauf sich zwischen ihnen ein intensiver Briefwechsel entwickelte, der von Fred B. Stern herausgegeben wurde.296 Im Sommer 1898 besuchte Jacobowski Stona schließlich auch persönlich. Im Jahre 1898, als Jacobowski Strzebowitz zum ersten Mal besuchte, wurde er Redakteur der Berliner Zeitschrift Die Gesellschaft. Mit der Erlangung des Postens in der Redaktion der anerkannten Zeitschrift beendete er die lange Suche nach einer Un- terhaltsquelle und somit befand er sich am Anfang einer kurzen, aber relativ erfolgrei- chen journalistischen und literarischen Karriere. Nach der Meinung vieler Bekannten wurde das Ende dieser Karriere durch seinen Workoholismus herbeigeführt. Seine Han- dicaps – materielle Not, eine Sprachstörung, einen Augenschaden und vor allem seine jüdische Herkunft – kompensierte er mit einer fieberhaften Arbeit jenseits der Grenze der Selbstvernichtung. Rudolf Steiner schrieb über ihn, dass seine „seelische Grund- stimmung in innerer Tragik atmete“,297 und Stona teilte ihrer Freundin delle Grazie kurz vor seinem Tod mit: „Jacobowski ist einer der fleißigsten, die ich kenne; den Kopf voll Pläne und die Hände voll Arbeit. An die Gesundheit wird gar nicht gedacht.“298 Die Folgen ließen nicht lange auf sich warten. Jacobowski starb mit nur einunddreißig Jahren, und zwar am 2. Dezember 1900. Zwei Wochen später schrieb Stona an Brandes: „Jacobowski hat sich zu Schanden gearbeitet, [...] sein Tag hatte nur Arbeitsstunden u[nd] keine Minute der Erholung. So, zart u[nd] schwächlich von Constitution, brach er zusammen.“299 Obwohl Jacobowski nicht in den höchsten Schichten der Literatur der

295 ÖNB, Nachlass Franz Servaes, Sign. 1256/52-1, M. Stona an F. Servaes, Strzebowitz 15. 6. 1924. 296 Stern (1974). 297 Steiner (2011): 382. 298 WBR, HS, Nachlass Marie Eugenie delle Grazie, H. I. N. 80077, M. Stona an M. E. delle Grazie, Strzebowitz 28. 8. 1900. 299 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 15. 12. 1900.

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Jahrhundertwende eingestuft wird, wird dessen Romanen und Gedichten, die keines- wegs revolutionär sind, eine Vorreiterrolle im Hinblick auf die Entstehung der revo- lutionären literarischen Strömungen des 20. Jahrhunderts zugesprochen. Auch einige seiner eigenen Werke erfuhren eine positive Resonanz: Der Roman Werther, der Jude (1892) erschien im Original in mehreren Ausgaben, und zwar auch nach Jacobowskis Tod, er wurde in mehrere Sprachen einschließlich der tschechischen übersetzt. In Strzebowitz suchte Jacobowski die Ruhe, die er so dringend brauchte: „Wir waren des Landlebens müde, und da kam Einer, der seine Wunder pries, beglückt inʼs Blaue oder inʼs Grüne schaute, die Johannisbeeren fast andächtig vom Strauche pflück- te und in Entzücken gerieth, wenn ein Frosch über den Weg sprang.“300 Was Stona über Jacobowski geschrieben hat, gilt gewissermaßen sicher auch für die weiteren wichtigen Gäste. Sie kamen meistens aus Wien, Berlin oder weiteren Großstädten und Strzebo- witz war für sie eine „grüne Insel“. Jacobowskis Aufenthalt nutzte Stona zu Gesprächen über die verschiedensten Themen. Die Debatten wurden von Weltanschauungsfragen durchdrungen: Genauso wie die ganze Gruppe Die Kommenden, deren Begründer er war, ging Jacobowski in weltanschaulicher Hinsicht von Darwins und Haeckels Lehre aus. Angesichts dessen, dass Stona mit Ernst Haeckel bereits korrespondierte,301 konn- te die Diskussion gegenseitig bereichernd sein. Jacobowskis Monologe konzentrierten sich auf sein Interesse an der Poesie der Stämme der schwarzen Afrikaner und auf eines seiner größten Lebens- und Literaturprobleme – die Stellung der Juden in der Gesell- schaft.302 Einen wesentlichen Teil des Tages widmete Jacobowski allerdings der Arbeit:

Am liebsten las und schrieb er im Garten. Auf den braunen Tisch unter die alten Kastanien schleppte er Bücher und Manuskripte; dort konnte man ihn stundenlang so tief gebeugt über seine Arbeit sehen, daß sein Kopf mit dem dichten nacht- schwarzen Haar zwischen den schmalen Schultern fast verschwand.303

Stona und Jacobowski lasen sich gegenseitig ihre neuesten Verse vor, Jacobowski ging durch das Dorf und beobachtete das Leben der Einwohner. Nach Strzebowitz kam er Stonas Worten nach noch einige Male – anscheinend zweimal. Seine Anwesenheit ist hier Anfang Juli 1899 und erneut im August 1900 belegt. Der letzte Aufenthalt war schon gekennzeichnet durch seine Gesundheitsprobleme. Anstatt zu arbeiten, saß er im Garten und sah in die Ferne, war verschlossen, in die Debatten mit Stona schlich sich Disharmonie ein und nur die Gespräche mit Helene Scholz konnten seine Stimmung aufhellen. Bei der Abreise aus Strzebowitz bekam er einen Anfall, der ihn dazu zwang, die Fahrt zu verschieben. Er reiste Ende August ab und versprach, im nächsten Jahr ganze sechs Wochen in Strzebowitz zu verbringen.304 Bereits im Dezember 1900 haben jedoch seine gesundheitlichen Beschwerden in einen frühzeitigen Tod gemündet.

300 Stona (1901a): 140. 301 Hossfeld – Breidbach (2005): 562, 600. 302 Stona (1901a): 140–141. 303 Stona (1901a): 142. 304 Stona (1901a): 143, 150–157.

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Die Strzebowitzer Aufenthalte beeinflussten sowohl Jacobowskis Redaktions- arbeit als auch Stonas literarische Karriere. Ein fassbares Ergebnis der Besuche von Jacobowski ist einerseits das Sonderheft Gesellschaft über Carneri, in dessen Werke er sich auf dem Schloss eingelesen hat, und andererseits Brauns Essay über Stona in der- selben Zeitschrift. Die Gesellschaft druckte unter Jacobowskis Redaktion auch einige Gedichte von Stona. Sie gewann dank Jacobowski einen besseren Zugang zu der Berli- ner Literaturgesellschaft. Die größte Frucht der Freundschaft der schlesischen Schrift- stellerin mit dem Berliner Journalisten bleibt der Sammelband Ludwig Jacobowski im Lichte des Lebens, herausgegeben unter der Redaktion von Stona im Jahre 1901 in Breslau. Wie aus der Korrespondenz hervorgeht, widmete Stona der Vorbereitung des Sammelbandes nicht wenig Zeit und Energie. Es ist ihr gelungen, berühmte Persön- lichkeiten als Beitragende, zum Großteil Jacobowskis Freunde, zu gewinnen: Rudolf Steiner, den Germanisten und Literaturhistoriker Richard Maria Werner, die Literaten Martin Boelitz oder Anna Ritter und vor allem Georg Brandes, der zwar nicht zum Kreis der Bekannten von Jacobowski gehörte, aber auf Stonas Bitte einen Beitrag lie- ferte. Stona hat ihre Erinnerungen an den Verstorbenen im oben genannten Sammel- band zusammengefasst, insbesondere bezüglich seiner Strzebowitzer Aufenthalte. Die Freundschaft Stonas mit Jacobowski, wie kurz sie auch gewesen sein mag, gehörte zu den innerlichsten; ihre Briefe bewegen sich auf einer sehr intimen Ebene. Auch ein erotischer Unterton fehlt nicht:

Dann kam ihr Hiersein und da gabʼs Momente, wo alles gut war. Dann kam die entsetzliche Indiskretion mit der Haarnadel. Wie mich das schockierte. Und zwi- schendurch streckte die Seele die Fühlerchen nach anderen Briefen aus. Und hier verstummen meine Bekenntnisse. Liebe ist oft eine kolossale Willensübertragung. Da kommt zu mir – zu mir!, die ich ängstlich jedem Skandal aus dem Wege ging, ein Mann und sagt mir: ,Wähle! Deinen Mann oder mich! Ein strenger Mann, der mein ganzes Innere in die Knie beugt.ʻ305

Wer war jener starke Mann? Welche Rolle spielte Jacobowski in der ganzen Angele- genheit und was diese Indiskretion mit der Haarnadel zu bedeuten hat, wissen wir nicht. Eines ist jedoch klar. Zu der Zeit, als die Ehe der Schriftstellerin scheiterte, fand sie in Jacobowski nicht nur einen intellektuell fähigen Konversationspartner, sondern auch eine Unterstützung in persönlichen Angelegenheiten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Ludwig Jacobowski während seines Strzebo- witzer Aufenthaltes auf dem Schloss auch einem anderen Gast – dem Philosophen Wil- helm Bolin aus Helsinki – begegnete. Sein Besuch fand im Juni oder Juli dieses Jahres statt und dauerte drei Tage.306 Bolins Anwesenheit in Strzebowitz kann nur auf den ersten Blick als überraschend erscheinen: In der Wirklichkeit war er seit der Heraus- gabe des Erstlingswerkes Stonas Presto prestissimo ihr begeisterter Leser und anschei- nend auch Rezensent. Als Bewunderer der literarischen Kunst von Stona und darüber

305 Stern (1974), Band I, M. Stona an L. Jacobowski, [Strzebowitz] 6. 4. 1900: 470–471. 306 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 4. 7. 1899.

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hinaus als Freund Carneris war für ihn das Tor des Schlosses jederzeit offen. Gegen die hypothetische Begegnung Jacobowskis mit Bolin steht das nachgewiesene Treffen mit Braun und Ferdinand von Fellner-Feldegg, dem österreichischen Architekten und Schriftsteller. In Brauns Tagebuch finden wir am 5. Juli 1899 folgenden Eintrag: „Mit Feldegg [...] in Strzebowitz bei Frau Stona u[nd] Jacobowski.“307 Ähnlich wie Rudolf Steiner Ludwig Jacobowski an der Spitze der Kommenden ersetzte, so ersetzte er ihn im Sommer 1901 auch als Gast von Maria Stona auf de- ren Schloss. Während der Berliner kulturellen Sommerpause war er mit seiner Frau nach Österreich gereist, um in Salzburg seinen alten Freund Josef Köck, am Attersee die Familie Specht, in Wien und Umgebung Rosa Mayreder und Moritz Zitter und in Horn seine eigene Familie zu besuchen. Auf der Rückfahrt verbrachte das Ehepaar auf dem Schloss Strzebowitz einige Tage, wo Steiner Ruhe für Korrekturen der Druckfah- nen seiner Mystik vorfand.308 Danach reiste er nach Berlin zurück. Steiners Aufenthalt in Strzebowitz wird durch die Korrespondenz mit Stona eingerahmt: am 11. August schrieb er ihr aus Salzburg, am 2. September wieder aus Berlin. In Strzebowitz war er nachweislich am 22. August 1901, wo Stona Georg Brandes mitteilte, dass alle Gäste bereits abgereist sind, „nur noch Dr. Rudolf Steiner u[nd] Frau sind aus Berlin hier“.309 Am selben Tag schrieb Steiner ins Gästebuch eines seiner Wahrspruchworte: „Den ,Sinn des Lebensʻ suchen, heißt sich in das Labyrinth der Seele begeben; es hilft nichts, sich aus diesem Labyrinth wieder ins Freie der gemeinen Wirklichkeit zurückzufinden; denn ist man wieder zurück, hat man auch wieder den ,Sinn des Lebensʻ verloren.“310 In Strzebowitz sprach Stona mit Steiner zweifellos auch über seinen Beitrag für den Sammelband Ludwig Jacobowski im Lichte des Lebens, der auch das häufigs- te Thema der nachfolgenden Korrespondenz war. Wir können in Steiner sogar einen Vermittler zwischen Stona und dem Breslauer Verlag Schottlaender sehen. In seinen zahlreichen Briefen an Stona aus dem Herbst 1901 drückte Steiner unter anderem sei- ne Unzufriedenheit mit dem Artikel von Hermann Friedrich aus, schilderte seine Ent- täuschung über die ablehnende Stellungnahme des Freundes von Jacobowski, Josef Ettlinger,311 zu dem vorbereiteten Sammelband. Im Spiel war auch Ettlingers Kritik der literarischen Kunst Stonas. Anfang Dezember hatte Steiner schon den gedruckten Sam- melband in der Hand und das Kapitel seiner intensiven Kontakte wird durch eine sog. „Winterüberraschung“ aus Stonas Wäldern abgeschlossen, die als Festmahl auf dem Berliner Weihnachtstisch der Steiners landete.312 Danach bricht sein Kontakt mit Stona ab. Noch im Frühjahr 1918 plante er einen weiteren Besuch in Strzebowitz. Sein volles Programm in Prag ermöglichte jedoch einen Umweg über Schlesien nicht.313

307 SZM, UhP, Edmund Wilhelm Braun, Fotos, Tagebücher. 308 Lindenberg (1997): 325. 309 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 22. 8. 1901. 310 Steiner (2011a): 245. 311 Herausgeber der Zeitschrift Das literarische Echo, deren Rezensenten keine besonders positive Meinung über Stona hatten. 312 Steiner (1987), R. Steiner an M. Stona, Friedenau-Berlin 24. 12. 1901: 408. 313 Steiner (1987), R. Steiner an M. Stona, Wien 7. 6. 1901: 471–472.

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Wir hätten von einigen durch die Fachliteratur nicht erwähnten Besuchern nicht gewusst, wenn es die zufällig erhalten gebliebenen vereinzelten Erwähnungen nicht ge- geben hätte. So schrieb Stona zum Beispiel am 26. November 1901 an Richard Schau- kal: „Gestern war Dr. Muther hier“.314 Jener Dr. Muther war höchstwahrscheinlich der deutsche Kunsthistoriker Richard Muther, der an der Breslauer Universität tätig war. Auf ähnliche Weise hatte sie am 24. Mai 1900 Jacobowski informiert: „Gestern wa- ren Czermaks und Morgan hier.“315 Gemeint waren Hans Czermack, Redakteur der humoristisch-satirischen Zeitschrift Die Glühlichter, und Camillo Morgan, ein öster- reichischer Journalist und Schriftsteller. Wie viele Journalisten, Redakteure, Schrift- steller und weitere interessante Persönlichkeiten des kulturellen Lebens Mitteleuropas uns aufgrund der unvollständig erhaltenen Quellen entgangen sind, können wir nur vermuten. Jeder neue Name, der im Zusammenhang mit Strzebowitz auftaucht, wird ein Stück eines nie fertigen Mosaiks unserer Erkenntnis des europäischen fin de siècle sein. Vollständigkeit ist zwar schon längst nicht mehr das Ideal der Historiker, dennoch sind es gerade neue Erkenntnisse und Feststellungen, die neue Historikergenerationen dazu motivieren, die Konvolute der damaligen Dokumente zu durchforschen. Lenken wir nun unsere Aufmerksamkeit auf den bedeutendsten Besucher, der selbstverständlich weder der Aufmerksamkeit der bisherigen tschechischen noch der ausländischen Literatur entgehen konnte. Der dänische Literaturhistoriker und -kritiker Georg Brandes besuchte Stonas Schloss in den Jahren 1901 bis 1903 insgesamt dreimal. Er war nicht nur einer der vornehmsten europäischen Intellektuellen der zweiten Hälfte des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts, sondern auch eine der wichtigsten Personen im Leben von Maria Stona. Wenn von Stonas Korrespondenz mit anderen Persönlichkei- ten höchstens zwanzig Briefe erhalten blieben, dann übersteigt das Konvolut der Briefe an Brandes die Ziffer 150. Es ist logisch, dass es eine der wichtigsten Quellen bezüglich der Persönlichkeit der schlesischen Schriftstellerin darstellt. Erläutern wir am Anfang mit einigen Sätzen, wer Georg Brandes war. Georg Morris Cohen Brandes wurde im Jahre 1842 in Kopenhagen in einer nicht-orthodoxen jüdischen bürgerlichen Familie geboren. Er war der ältere Bruder von zwei weiteren prominenten dänischen Persönlichkeiten, nämlich des Wirtschafts- wissenschaftlers und Redakteurs Ernst Brandes und des Politikers, Kritikers und Schriftstellers Edvard Brandes. Nach seiner Studienzeit etablierte er sich als führender skandinavischer Kritiker. Er wirkte an der Universität Kopenhagen, wo seine Vorlesun- gen ein begeistertes Echo bei dem zahlreich erschienenen Publikum fanden. Seine An- trittsvorlesung über die Hauptströmungen in der Literatur des 19. Jahrhunderts nahm das lebenslange Streben nach der Modernisierung der dänischen Belletristik vorweg. Brandes hat dieses Modernisierungsbestreben in einem seiner ambitioniertesten Werke, Hauptströmungen der Literatur des 19. Jahrhunderts, ausgearbeitet. Seine Neuinter- pretation der europäischen Hauptliteraturen seit Anfang des 19. Jahrhunderts als Kampf

314 WBR, HS, Nachlass Richard von Schaukal, ZPH 846/11, M. Stona an R. von Schaukal, Strzebowitz 26. 11. 1901. 315 Stern (1974), Band I, M. Stona an L. Jacobowski, s. l. 24. 5. 1900: 476.

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gegen den Pseudoklassizismus des 18. Jahrhunderts zog die Aufmerksamkeit der au- ßerdänischen Intellektuellen-Kreise auf sich. Im Jahre 1877 siedelte Brandes nach Ber- lin über, aber angesichts seiner kritischen Ansichten gegenüber Preußen wurde er für diesen Staat unbequem und lebte deshalb seit 1883 wieder in Kopenhagen. Dort war in der Zwischenzeit sein Ansehen dermaßen angewachsen, dass er als Sprecher einer neu- en Generation von Schriftstellern angenommen wurde, die ein moderneres literarisches Schaffen anstrebten. Brandesʼ gesammelte Werke umfassen nahezu zwanzig umfangreiche Bände. Aufgrund dieser Tatsache erwähnen wir von seinem Werk nur einige von seinen be- deutendsten Büchern. Monographien widmete er unter anderem verschiedenen Persön- lichkeiten, die das 19. Jahrhundert in vielerlei Hinsicht prägten, wie z. B. Benjamin Disraeli, Søren Kierkegaard, Ferdinand Lassalle, Ludvig Holberg, Henrik Ibsen oder Anatole France. Das wichtigste von seinen späteren Werken war gewiss seine umfang- reiche Arbeit über William Shakespeare, die auch die Encyclopedia Britannica Anfang des 20. Jahrhunderts als maßgebende Abhandlung über das Werk und die Persönlich- keit des englischen Dramatikers zitierte. Die breitere Öffentlichkeit machte er auch mit der Lehre Friedrich Nietzsches bekannt, in späteren Jahren erstellte er umfangreiche Biographien von Goethe, Voltaire, Caesar und Michelangelo. Sein internationaler Ruf ermöglichte es ihm, als aufmerksamer Beobachter Stellungnahmen zu den zeitgenössi- schen politischen Fragen abzugeben. Er verurteilte die Verfolgung der ethnischen Min- derheiten (unter anderem den Prozess gegen Alfred Dreyfus oder den Genozid an den Armeniern), den Imperialismus, das aggressive Auftreten der Weltmächte im Ersten Weltkrieg, er entwickelte die These über den Wahrheitshass der Deutschen.316 Georg Brandes hat Maria Stona zuerst mittels der Korrespondenz kennen ge- lernt. Die Schriftstellerin traute sich, ihm den ersten Brief am 7. Juni 1899 zu schreiben, als sie noch keine vierzig Jahre alt war und sich auf dem Höhepunkt ihrer künstle- rischen Karriere befand; Brandes war zu diesem Zeitpunkt schon fast sechzig Jahre alt. Als Vorwand zur Anknüpfung des Kontaktes mit dem prominenten Intellektuellen diente ihr die deutsche Übersetzung des Artikels von Brandes über die Schriftstellerin Annie Vivanti (eigentlich Anna Emilie Vivanti), veröffentlicht an diesem Tag in der Neuen Freien Presse. Dem ersten Schreiben legte sie ihre relativ erfolgreiche Gedicht- sammlung Lieder einer jungen Frau bei und wartete auf eine Antwort. Diese kam zu ihrem Erstaunen schon bald und bereits eine Woche später schrieb Stona an Brandes zum zweiten Mal und dann wieder und wieder bis zu seinem Tod im Jahre 1927. Den letzten Brief von Stona erhielt Brandes einen Monat vor seinem Lebensende. Die meis- ten dieser Briefe sind im zweiten Teil dieses Buches abgedruckt und bieten eine Vor- stellung über die allmählich entstandene Freundschaft zwischen den beiden. Es ist nicht notwendig, sie hier umfangreich zu schildern, aber geben wir das Wort an Stona, die selbst beschrieben hat, was die Freundschaft für sie bedeutete:

316 Vgl. Grössel (2007).

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Carneri war meine Volksschule, da lernte ich lesen u[nd] schreiben u[nd] das abc der Kunst; Jacobowski hatte u[nd] gab mir Mittelschulbildung; er führte mich ins Latein u[nd] Griechisch der Litteratur ein. Nun fehlte mir die Universität. Da kam der große Brandes u[nd] schenkte mir den weiten Blick u[nd] erschloß mir eine Welt an Wissen317,

hatte sie im Jahre 1901 geschrieben und fast mit denselben Worten wiederholte sie den Gedanken noch sechzehn Jahre später: „Carneri war meine Volksschule, Jacobowski mein Gymnasium, Brandes meine Universität – das sage ich immer wieder.“318 Bei Absenz jeglicher formalen Ausbildung nahm sie Brandes als eine Autorität wahr, deren Empfehlungen im Bereich der Lektüre sie restlos befolgte. Gerade Brandes machte sie, wie bereits im vorherigen Kapitel erwähnt, mit einer Reihe ihr bis zu dieser Zeit unbekannter Autoren bekannt. Wann sich Stona mit Brandes zum ersten Mal persönlich getroffen hat, wissen wir auf den Tag genau, denn sie machte sich Notizen von allen Gesprächen mit ih- rem Guru, damit sie sich, obwohl sie ein gutes Gedächtnis hatte, diese Unterhaltungen später jederzeit in Erinnerung rufen konnte („mein Schädel ist in solchen Fällen ein Phonograph“). In die streng geheim aufbewahrten Notizen gewährte sie, soweit wir wissen, lediglich Ludwig Jacobowski Einsicht.319 Die Erinnerungen an Georg Brandes ordnete sie zum Schluss erst fünf Jahre nach seinem Tod in Mein lachendes Buch ein. Das erste Unterkapitel wird durch den Text Unsere erste Begegnung gestaltet, in dem sie detailliert sowohl die Umstände der Begegnung als auch den Verlauf des Gesprä- ches beschrieb. Als Stona am 17. März 1900 in einem Brief an Brandes bedauerte, dass sie ihn nicht besuchen könne, obwohl er gerade in Wien sei, hoffte sie wohl auf eine Antwort, die dann auch folgte. Brandes hatte ihr offensichtlich in einem nicht erhalte- nen Brief angeboten, sie solle zu ihm nach Wien kommen, was Stona im Schreiben vom 21. März mit „rasender Freude“ annahm.320 Nach Wien reiste sie nur seinetwegen. Sie kam in die Metropole am Nachmittag des 23. März, und bereits am 25. März schrieb sie an Brandes wieder von Schlesien aus, vom Bahnhof der Nordbahn in Schönbrunn. Die erste Begegnung Stonas mit Brandes fand am 23. März 1900 statt. Den Be- gegnungsort kennen wir dank Stonas Mitteilsamkeit aus einem Brief an Jacobowski, vor dem sie mit dem neuen Bekannten sofort prahlte. Am 26. März schrieb sie ihm, sie habe nicht Brandes besucht, sondern Brandes habe sie aufgesucht, nämlich im Salon des Hotels Meissl. Dort verweilten sie im Gespräch von 19 Uhr bis halb 9. Am folgen- den Tag, das heißt am 24. März, holte sie Brandes um ein Uhr Nachmittag im Hotel ab, um dann gemeinsam mit ihr im Hotel Krauter bis drei Uhr zu frühstücken (!).321 In der 32 Jahre später veröffentlichten Erinnerung verschwammen die beiden Treffen an- scheinend in ein einziges Rendezvous, datiert auf den 24. März 1900. Wir haben einen

317 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 4. 6. 1901. 318 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 5. 8. 1917. 319 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 27. 2. 1925. 320 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 21. 3. 1901. 321 Stern (1974), Band I, M. Stona an L. Jacobowski, s. l. 26. 3. 1900: 469.

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guten Grund, eher dem Schreiben an Jacobowski zu glauben, das mit Abstand von nur zwei Tagen geschrieben wurde. Da Brandes in der veröffentlichten Erinnerung von dem dänischen Botschafter kommt und bereits an diesem Tag „das schönste Haus in Wien“ gesehen hat, nämlich das Haus von Karl Graf Lanckoronski-Brzezie,322 bezieht sich diese Erinnerung wohl auf das abendliche Treffen. (Auch wenn sie mit folgen- dem Satz beendet wird: „Es war 1 Uhr geworden. Wir nahmen Abschied [...]“).323 Im Gespräch mit Brandes musste Stona eingestehen, dass sie außer einigen Feuilletons in der Neuen Freien Presse nur wenig von ihm gelesen hatte. Die Diskussion betraf auch den gerade stattfindenden Burenkrieg („Mein Herz ist bei den Buren“, soll Brandes erklärt haben),324 und auch Bismarck wurde erwähnt. Aber auch Stona erzählte: über Carneri, delle Grazie, Clara Viebig, über Namen, die Brandes nie zuvor gehört hatte und für die er sich angeblich laut der neuen Freundin interessieren sollte. Stona war von Brandes begeistert: „Das ist wirklich ein kolossaler Geist, so ein Mount Everest unter den Geistern. Ein Riesengedächtnis, ein klarer Blick, über alle Literaturen, der alle Höhen mißt.“325 Obwohl Stona im Brief an Jacobowski vom 26. März 1900 erwähnte, dass Bran- des wahrscheinlich auf der Rückfahrt in Strzebowitz vorbeikommen würde, erfolgte sein erster Besuch in Österreichisch-Schlesien erst ein Jahr später. „Also am 7. Mai!“, schrieb Stona an Brandes Ende April 1901 und seine Ankunft an diesem Tag scheint auch durch den Brief an Richard Schaukal vom 6. Mai 1901 bestätigt zu werden, in dem sie mitteilt: „[...] zu meiner Freude kommt morgen Georg Brandes aus Kopenha- gen zu mir auf 8 Tage“. Somit kennen wir wahrscheinlich auch die Dauer des Aufent- haltes.326 Diesen schilderte Stona wieder in den Erinnerungen an Georg Brandes von 1932 im Kapitel Brandes in Schlesien. Laut ihr arbeitete Brandes üblicherweise bis 11 Uhr vormittags, ging spazieren, aß schweigend und hastig und ging dann sofort wieder in sein Zimmer, wo er sich der Arbeit, der Lektüre (z. B. Haeckels Welträtsel)327 und anscheinend auch der Korrespondenz widmete – aus Strzebowitz adressierte er am 10. und 13. Mai 1901 beispielsweise Briefe an Arthur Schnitzler, mit dem er ein Treffen vereinbarte.328 Erst gegen sechs Uhr abends kehrte er in die Gesellschaft zurück. Mit Stona ging er spazieren und wieder konnten sich Debatten über die verschiedensten Themen entfalten. Brandes sprach über die Literatur, erzählte Geschichten, die er mit

322 Karl Graf Lanckoroński-Brzezie war ein führender Vertreter der österreichischen Denkmalpflege und Kunstsammler. An die Adresse seines Hauses soll Brandes nach Stona gesagt haben: „Es ist eine Pracht! Kunstschätze, die ich auf zehn Millionen schätze.“ – Stona (1932): 155. – Lanckoroński war mit Margarethe von Lichnowsky verheiratet, durch die er auch Beziehungen zu Österreichisch-Schlesien hatte. 323 Stona (1932): 160. 324 Stona (1932): 156. 325 Stern (1974), Band I, M. Stona an L. Jacobowski, s. l. 26. 3. 1900: 469–470. 326 WBR, HS, Nachlass Richard von Schaukal, ZPH 846/11, M. Stona an R. von Schaukal, Strzebowitz 6. 5. 1901. 327 Stona (1932): 160–161. 328 Bergel (1956): G. Brandes an A. Schnitzler, Strzebowitz 10. 5. 1901; ebenda, G. Brandes an A. Schnitzler, Strzebowitz 13. 5. 1901: 85–86.

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Anatole France, Ernst Renan, Victor Hugo, Emile Zola, Alphonse Daudet und anderen erlebt hatte.329 Gleich im Jahre 1901 bettete er seine Erlebnisse von der Reise durch Österreich in drei Artikel ein: Abbazia, Strzebowitz und Witkowitz, in dem er den Aus- flug an Stonas Seite in eines der größten Industriewerke unweit von Stonas Strzebowitz erzählte. „Es ist ein Leben, wie es Zola in den ersten Teilen seines Buches ,Die Arbeitʻ geschildert hat,“ schrieb er damals.330 Aus Strzebowitz reiste Brandes weiter nach Wien, wo er sich mit Schnitzler traf, und von dort aus weiter ans Adriatische Meer nach Abbazia.331 Auf der Rückfahrt kam er aber bei Stona unerwartet noch für einige Tage vorbei: Am 21. Mai 1901 antwortete Stona auf seinen im Brief angekündigten zweiten Besuch, dass sie sich auf ihn rasend freue. Am 1. Juni war Brandes schon zurück in Kopenhagen. Auch die beiden schnell nacheinander erfolgten Besuche von Brandes in Strzebowitz schildert Stona als einen einzigen Aufenthalt: „[...] im nächsten Jahre [1901] war Georg Brandes durch ein paar Sommerwochen mein Gast in Schlesien“.332 Es ist also nicht möglich, sein hiesiges Pro- gramm Tag für Tag zu erzählen, letztendlich ist es auch nicht der Zweck dieser Studie. Wir wissen nur, dass Stona ihm auch ihren Freund E. W. Braun vorgestellt hat – in Brauns Nachlass ist ein Brief von Brandes erhalten geblieben,333 in dem er Freude über das gegenseitige Treffen äußert („Braun sehr erfreut über Ihren Brief und stolz auf ihn“, schrieb Stona an Brandes).334 Und noch ein Name muss im Zusammenhang mit Brandesʼ Aufenthalten in Strzebowitz erwähnt werden, nämlich ein Name, der ihn für den Rest seines Lebens begleitet hat: Helene Scholz. In der damals achtzehnjährigen Tochter Stonas fand Brandes eine anregende Konversationspartnerin, mit der er dann eine Parallel-Korrespondenz von mehr als hundert Briefen führen sollte. Die junge Bildhauerin war für ihn genauso eine Freundin wie deren Mutter, und als sie sich in Tu- nis aufhielt, besuchte er sie sogar für zwei Wochen. In Tunis und Karthago verbrachte er damals die Zeit zwischen dem 11. und 26. Februar 1913.335 Nach Strzebowitz lud Stona Brandes noch mehrmals ein, aber er erhörte ihre Einladung nur noch einmal, und zwar Ende des Jahres 1903. Im August und September verbrachte er etwa einen Monat auf Reisen durch Deutschland und Österreich, anläss- lich derer er auch Maria Stona besuchte. Zurück nach Kopenhagen reiste er von dort am 12. September ab.336 Neben den drei beschriebenen Besuchen traf sich Stona mit Brandes nur noch außerhalb ihres Schlosses: In Karlsbad, wo sie ihm und Clemenceau Gesellschaft leistete, in Berlin337 und in Wien. Das geplante Treffen in Paris konnte nicht verwirklicht werden, auch deshalb, da Helene die Adresse von Brandes vergessen

329 Stona (1932): 162–165. 330 Brandes (1906): 532. 331 Ein Routenverzeichnis von Georg Brandes wurde von Dahl (1998) bearbeitet. 332 Stona (1932): 160. 333 SZM, UhP, Edmund Wilhelm Braun, Box 3, G. Brandes an E. W. Braun, Kopenhagen 19. 6. 1901. 334 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 25. 6. 1901. 335 Dahl (1998): 42; Zelezny-Scholz (1972): 38–43. 336 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 13. 9. 1903. 337 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 12. 2. 1902.

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hatte.338 Das letzte, nahezu zweistündige339 Treffen Stonas mit dem damals schon alten und müden Brandes erfolgte am 8. Mai 1925 nach einer seiner öffentlichen Vorlesun- gen in Wien.340 Kehren wir jedoch noch einmal zurück zu Brandesʼ Aufenthalt in Strzebowitz. Daran schließt sich ein anderer berühmter Besuch an, der noch unwahrscheinlicher gewesen sein dürfte als der Besuch des Philosophen Wilhelm Bolin. Am 12. September 1903, sechs Stunden nach Brandesʼ Abfahrt,

[...] kamen drei Freunde vor das Haus; eine junge Dame von wunderbarer Schön- heit, eine ältere Frau und ein junger Mann. Sie fragten nach Ihnen [Brandes]. Als sie hörten, daß Sie abgereist seien, waren sie wie vernichtet. Die junge Dame brach in Thränen aus. Man rief mich. Ich sah sogleich, daß sie in andern Umständen sei.

Wer war diese Frau mit dem Antlitz der französischen Schönheitskönigin Cléo de Merode – „große blaue Augen, klassische Züge, von schwarzem Haar umrahmt“? Der Visitenkarte von deren Ehemann konnte Stona entnehmen, dass es sich um die Ehegat- tin des Dr. Arthur Klein aus dem damaligen ungarischen Rosenberg, Melanie Klein, handelte.341 Melanie Reizes Klein, der wir hier als Einundzwanzigjähriger begegnen, war Tochter von jüdischen Eltern aus Wien. In Stonas Geschichte tritt sie an der Seite ihres Ehegatten auf, des assimilierten Juden Arthur Klein, den sie am 31. März 1903 heira- tete. Zu dieser Zeit zeugte noch nichts davon, dass aus Melanie Klein die Begründe- rin einer der Hauptströmungen der Psychoanalyse werden sollte, die die Konzeption der projektiven Identifikation entwickelte und sich für eine Reihe von Innovationen in der Therapie der Kinderpsyche einsetzte. Die Reise nach Strzebowitz hing allerdings nicht mit ihrer späteren Spezialisierung zusammen, sondern mit dem Tod ihres Bruders Emanuel Reizes. Der kokainabhängige Reizes mit schwerem Herzfehler starb am 2. Dezember 1902. Melanie Klein beschloss, den Tod des Bruders durch die Herausga- be des Romans aus seinem Nachlass zu ehren.342 Hierzu wollte sie ein Vorwort aus der Feder des großen Dänen, Georg Brandes, bekommen, der aber auf ihren Brief aus Strzebowitz ablehnend antwortete. Als Melanie Klein dies erfuhr, beschloss sie, ihn auf dem Strzebowitzer Schloss persönlich aufzusuchen. Wie aber bereits erwähnt wurde, kam sie um einige Stunden zu spät. Die Situation war umso ernster, als sie – wie Stona schreibt – schwanger war. Das Kind, das ein paar Monate später (am 19. Januar 1904) geboren wurde und dem die Verstimmung in Strzebowitz einen Schaden hätte zufügen können, war niemand anders als Melitta Klein, eine bedeutende Ärztin und Psychoana- lytikerin.343

338 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 3. 6. 1904. 339 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 6. 5. 1925. 340 Stona (1932): 165–166. 341 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 13. 9. 1903. 342 Grosskurth (1993): 44–45, 58. 343 Grosskurth (1993): 53.

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Bisher war ihre Reise zu Brandes von einem Geheimnis umgeben, denn sie selbst konnte sich nach Jahren weder an den Namen von Maria Stona noch an Strzebowitz erinnern. In ihrer weder herausgegebenen Autobiographie, die in den USA erhalten ist, schildert sie eine Episode in allgemeinen Umrissen:

[...] nach seinem [Emanuel Reizes] Tod, als ich zwanzig war, sammelte ich seine Schriften, zusammen mit Irma Schönfeld, einer guten Freundin von ihm und von mir, und es gelang mir, seine Papiere zu veröffentlichen. Inzwischen war ich ver- heiratet und erwartete mein erstes Kind, und ich reiste ziemlich weit, um den Li- teraturhistoriker Georg Brandes zu treffen, den mein Bruder bewundert hatte, um von ihm das Vorwort für dieses Buch zu bekommen, da er sich brieflich geweigert hatte. Tatsächlich hatte er schon das Haus verlassen, aus dem er mir geantwortet hatte, er sei zu alt und zu müde, um noch Vorworte zu schreiben oder Bücher zu lesen, aber die Freunde, bei denen er gewesen war – an ihren Namen kann ich mich nicht erinnern, eine Schriftstellerin und ihre Tochter, eine Bildhauerin –, schienen so beeindruckt von mir zu sein, dass ihr Brief an Brandes sein Vorwort ermöglich- te. Tatsächlich hat er in diesem Vorwort fast alles benützt, was ich über meinen Bruder geschrieben hatte. Nach einem langen Kampf gelang es mir, einen guten Verleger für ihn zu finden [...].344

Die Autorin der umfangreichen Biographie über Melanie Klein, Phyllis Grosskurth, betrachtete die vage Angabe der Reise als mysteriös, Stonas Brief fehlt angeblich in der Familienkorrespondenz, und deshalb ist sie eher der Meinung, dass es sich um die Fahrt nach Berlin handelte.345 Wir können nun dank Stonas Briefwechsel mit Brandes die ganze Angelegenheit richtig wiedergegen: Die Fahrt ging nicht nach Berlin, sondern nach Strzebowitz, bei der unbekannten Schriftstellerin handelt es ist selbstverständlich um Maria Stona und bei deren Tochter um die Bildhauerin Helene Scholz. Ergänzt wer- den muss noch, dass das Buch mit Brandesʼ Vorwort unter dem Titel Aus einem Leben im Jahre 1906 im Wiener Verlag erschien.346 Zehn Jahre nach Melanie Klein begrüßte Stona in Strzebowitz eine andere be- rühmte Frau, und zwar ihre langjährige Freundin Bertha von Suttner. Sie hatten sich bereits seit Anfang der 90er Jahre in Wien getroffen, aber erst ein Jahr vor ihrem Tod besuchte Suttner zum ersten und letzten Mal Stona auf deren Schloss. Bertha von Sutt- ner haben wir zum ersten Mal im Zusammenhang mit Carneris Kreis erwähnt. Nun erschien sie schon mit Lorbeeren gekrönt, inklusive des Friedensnobelpreises (1905). Zugleich war sie aber müder und resignierter, soweit es sich um die Möglichkeiten der Durchsetzung der pazifistischen Gedanken und der Ziele der Bewegung gegen den Antisemitismus handelte. Das Vorspiel zum Besuch Suttners in Strzebowitz war Stonas Aufenthalt in Wien Ende Mai und Anfang Juni 1913. Damals traf sie sich auch wie- der mit Suttner. Dank der Tagebuchnotizen der berühmten Pazifistin wissen wir, dass ihr Besuch von Strzebowitz am 29. Mai 1913 vereinbart wurde: „Zum Thee Stona.

344 Zitiert nach Grosskurth (1993): 58. 345 Grosskurth (1993): 58. 346 Reizes (1906): VII–XII.

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Zugleich Schuster. Stona ledt [!] mich nach Strzeb[owitz] ein was ich für Ende Juni annehme.“347 Suttner kam am 27. Juni gegen Abend mit dem Zug aus Wien in Strzebowitz an, also konnte sie das Abendessen auf dem Schloss mit Stona und Erasmus (Kleinert) einnehmen. Die Eindrücke Suttners waren durchaus positiv: „[...] schönes Schloss, schöner Haushalt“, „der Str[ebowitzer]-Park prachtvoll“. Ebenso wie andere berühm- te Besucher arbeitete auch Bertha von Suttner in Strzebowitz, aber sie hat hier auch einige Treffen absolviert (zum Beispiel mit Rohrmann – anscheinend der ehemalige Reichsratsabgeordnete Moritz Rohrmann).348 Wohl am stärksten wirkte auf sie die zu der Zeit bereits erfolgreiche Bildhauerin Helene, die kurz zuvor mit neuen Anregun- gen aus Tunis zurückgekehrt war: „Tochter des Hauses (Helene) interessante indivi- duelle künstlerische Erscheinung.“ Helene Scholz datiert ihre Erinnerung an Suttner irrtümlicherweise in das Jahr 1914. Sie hat eine kurze Notiz darüber in ihr Tagebuch eingetragen: „Sie hat ein sehr vornehmes Gesicht, wie eine weise und milde Frau. Zwei Eigenschaften, die wie eine Krone auf das Haupt jener Menschen gelegt werden, die ihr Leben lang viel geliebt, viel gelitten und viel geleistet und das edle Gleichgewicht ihrer Seelen bewahrt haben.“349 Helene Scholz erzählt noch eine weitere, nicht uninteressante Geschichte: „Sie lachte zuerst über die Bilder Giacomettis, aber als ich ihr sagte, es seien Farbenhar- monien, fasste sie diese Ansicht sofort auf. ,Also Farbenorchesterʻ, meinte sie, und ,allerdings sehr schönʻ.“350 Die zitierte Episode ist nicht besonders wichtig aus der Sicht von Bertha von Suttner, sie charakterisiert eher die Lebenswelt der Maria Stona allgemein und das Milieu des Strzebowitzer Schlosses im Besonderen. Wenn wir zu der allgemeinen Schilderung des Salons zurückkommen, haben wir dabei Kunstwerke nicht nur als Dekorationen gesehen, sondern auch als Gegenstände, die eine geistreiche Debatte anregen. Als solche erschienen sie in der Geschichte mit Bertha von Suttner und deren Missverständnis in Bezug auf abstrakte Experimente des Schweizer Malers Augusto Giacometti, des Verwandten des bekannteren Bildhauers Alberto Giacometti. An den Wänden des Strzebowitzer Schlosses hingen mindestens zwei Gemälde von ihm (heute in der Sammlung des Schlesischen Landesmuseums), das Autoporträt des Malers und eben jene farbige Abstraktion. Nach dem Zweiten Weltkrieg erwarb das Museum im Rahmen der Konfiskationen noch eine Zeichnung von Giacometti aus dem Schloss Strzebowitz – eine Skizze für die groß angelegte symbolistische Arbeit Sinn- lichkeit.351 Die Gemälde, die aufgrund ihrer Modernität auch bei Suttner, die an Wiener Standards gewohnt war, auf Missverständnis stießen, gelangten nach Strzebowitz zwei- fellos durch die Vermittlung von Helene Scholz. Diese war mit Giacometti befreundet und besuchte ihn auch einige Male in seinem Zuhause – vor dem Ersten Weltkrieg in

347 UNOG, RRAU, Bertha von Suttner Papers, Diary Vol. X (1. 1. 1912–31. 12. 1913), fol. 43. 348 UNOG, RRAU, Bertha von Suttner Papers, Diary Vol. X (1. 1. 1912–31. 12. 1913), fol. 45. 349 Zelezny-Scholz (1972): 64. 350 Ebenda. 351 SZM, UhP, Zuwachsnummer G 62.29

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Florenz, nach dem Zweiten Weltkrieg in Zürich.352 Giacometti malte sogar ein Porträt von ihr, das als Reproduktion in der gedruckten Auswahl aus ihren Tagebüchern zu fin- den ist.353 Giacomettis Arbeiten vervollständigten damit etliche Bilder und Graphiken verschiedenen Alters und Werts, die sich im Strzebowitzer Schloss befanden. Von den interessanteren Stücken des Inventars – von verschiedenen Statuen von Helene Scholz natürlich abgesehen – muss hier zumindest noch eine Graphik des deutschen Expressi- onisten August Babberger, eines Freundes von Giacometti, erwähnt werden.354 Dieser Exkurs gehört jedoch eher in den Text über Helene Scholz, die jenes Verbindungsglied zwischen der zeitgenössischen bildenden Kunst und der schlesischen Provinz war. Der Besuch von Bertha von Suttner, der uns einen Einblick in das Interieur des Strzebowit- zer Schlosses ermöglicht, endete nach einer Woche, d. h. am 3. Juli 1913. Am letzten Abend wurde Champagner eingeschenkt und Bertha von Suttner versprach beim Trink- spruch, im nächsten Jahr nach Strzebowitz zurückzukehren. Dieses Versprechen konnte sie jedoch nicht einhalten – ein Jahr später war sie nicht mehr unter den Lebenden. Nach dem Abendessen schrieb Suttner bis ein Uhr in der Nacht und am folgenden Tag, nach einem einstündigen Warten am Schönbrunner Bahnhof, fuhr sie nach Wien ab.355 Es ist gewissermaßen irreführend, Karl Erasmus Kleinert, der eine gewisse Zeit mit Stona lebte und sich zum Teil in die hiesige bürgerliche Gesellschaft integrierte, in den Kontext der namhaften Besucher von Strzebowitz einzuordnen.356 Wir erwähnen ihn an dieser Stelle noch einmal deswegen, weil er öfters seinen Bruder, den Maler Josef Edgar Kleinert (nach 1935 Vizepräsident des Österreichischen Künstlerbundes), mit nach Strzebowitz nahm.357 Dank seiner Aquarelle (1924, 1937 und ein nicht datier- tes), die glücklicherweise in einer Privatsammlung erhalten geblieben sind, haben wir eine Vorstellung über das Aussehen zumindest einiger Schlosszimmer. Zu den Malerei- en, die er für ca. sechzig Sakralbauten in Wien, Krain, der Steiermark und in Ungarn geschaffen hat, können wir noch die Ausschmückung der Pfarrkirche in Strzebowitz hinzurechnen, die anlässlich der Renovierung dieser Kirche in den 1930er Jahren ent- standen ist. Die Chronisten der Strzebowitzer Kirche haben aufgezeichnet, dass „die Kosten für die sämtliche Verzierung, die durch den Maler Kleinert durchgeführt wurde, die hiesige Gutsbesitzerin Frau Marie Scholz-Stona bezahlt hat.“358 Dank Stona dehnte Josef Edgar Kleinert seinen Tätigkeitsbereich auch in den Norden der ehemaligen Mo- narchie aus, der sonst nicht zu seinem Schaffensraum gehörte. Die Fachliteratur sowie die damalige Presse verbinden Strzebowitz mit einer Reihe von berühmten Namen. Nur selten erscheint unter diesen Namen jener des Dra- matikers des Verfalls der Habsburger Monarchie Franz Theodor Csokor, dessen Stück

352 WBR, HS, Nachlass Rudolf Jeremias Kreutz, ZPH 1248/7, 2.1.1.253, H. Zelezny-Scholz an R. J. Kreutz, Prag 23. 11. 1946; ebenda, H. Zelezny-Scholz an R. J. Kreutz, Zürich 8. 12. 1946. 353 Zelezny-Scholz (1972): 29. 354 SZM, UhP, Inv. Nr. U 4709 G. 355 UNOG, RRAU, Bertha von Suttner Papers, Diary Vol. X (1. 1. 1912–31. 12. 1913), fol. 45. 356 Stona (1933): 6. 357 ÖBL (1965): 387. 358 Prokop – Hadamčík (1938): 20, 22.

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3. November 1918 als Memento neben Krausʼ Die letzten Tage der Menschheit steht. Dieser war, ebenso wie Brandes, einige Male in Strzebowitz. Sein erster Aufenthalt kann hypothetisch mit dem Literaturabend der Autoren der Wiener satirischen Zeit- schrift Die Muskete in Troppau im März 1911 verbunden werden.359 Er hielt sich nach- weislich im Oktober 1918 auf Stonas Schloss auf, also am Vorabend des 3. November 1918, den er durch sein Werk berühmt machen sollte. Seinem Freund Anton Wildgans, dem späteren Burgtheaterdirektor, schrieb er am 16. Oktober 1918: „Mein lieber Toni, hier ist es ganz fabelhaft, und ich muß mir wahrhaftig eine Liste von Bekannten an- legen, die Schlößer besitzen – leider kenne ich von solchen Ausnahmsmenschen nur wenige, – denn nie noch hab ich so gut und gedrängt gearbeitet wie jetzt.“360 Wohl in der turbulenten Atmosphäre des multiethnischen Schlesien sammelte er Stoff für sein berühmtestes Drama:

Die Weltgeschichte ist jetzt ein Film geworden. Ich habe, zeit meines Hierseins folgendes erlebt: Am 8. Oktober in Krakau unter ungeheurem Jubel des Volkes die Proklamierung des unabhängigen Polens. Dies No 1. Gestern war ich in Mährisch Ostrau; es standen die Eisenwerke und in den Kohlenschächten wurde gefeiert: am Ringplatz aber proklamierten tschechische Abgeordnete die tschechoslowakische Republik, die den Tag zuvor in Prag durch Maueranschlag ausgerufen worden war. Und – No 3 – in Troppau war gestern nachmittag eine Deutsch-Schlesier Versammlung, die sofortigen Anschluß an Deutschland fordert, von dem übrigens erzählt wird, daß es unter gegebenen Umständen – Streik oder Unruhen in den Eisen- und Kohlenbezirken – einmarschieren würde.361

Und das waren bei weitem nicht alle bedeutenden Ereignisse des Schlesien- Aufenthaltes von Csokor. Damals lernte er auch seinen besten Freund, den modernisti- schen Maler Carry Hauser, kennen: „Im Kohlengebiet an der russisch-österreichischen Vorkriegsgrenze ereignete sich im Frühherbst 1918 mit der dämmernden Niederlage als Hintergrund unsere Begegnung, aus der sich eine nun über vierzig Jahre währende Freundschaft ergab,“ schrieb er viele Jahre später im Aufsatz Carl Maria Hauser dem Freund!362 Für das Kulturmilieu von Strzebowitz ist gewissermaßen charakteristisch, dass die beiden geborenen Wiener und späteren Antifaschisten die Freundschaft gerade hier, an der Peripherie der zusammenbrechenden Monarchie, geknüpft haben. Carry Hauser kam zwecks einer bemerkenswerten Ausstellung nach Österreichisch-Schlesi- en, die dem K. u. k. Schlesischen Infanterieregiment „Kaiser“ Nr. 1 gewidmet war, das in Friedenszeiten meistens in Troppau stationiert war. Da der Regimentsinhaber der Kaiser selbst war, hatte diese Einheit im Rahmen der österreichisch-ungarischen Armee eine besondere Stellung. Carry Hauser hatte sich angeblich am Anfang des Krieges 359 Ein Muskete-Autorenabend in Troppau, Silesia 28. 2. 1911: 1; Muskete-Autorenabend, Troppauer Zeitung 4. 3. 1911: 3. 360 ÖNB, Nachlass Anton Wildgans, Sign. 1152/12-6, F. T. Csokor an A. Wildgans, Strzebowitz 16. 10. 1918. 361 Ebenda. 362 WBR, HS, Teilnachlass Franz Theodor Csokor, Box 6, Carl Maria Hauser dem Freund!

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freiwillig zu einem anderen Regiment, den sog. Deutschmeistern, gemeldet, aber spä- ter wurde er zum Regiment Nr. 1 verlegt und als dessen Angehöriger beteiligte er sich auch an der sog. Einser-Ausstellung im Schlesischen Landesmuseum zu Troppau. Für den beginnenden Maler war es die erste bedeutendere Ausstellungsmöglichkeit über- haupt.363 Die Ausstellung, auf der der junge Hauser sein Debüt gab, ist in vieler Hin- sicht bemerkenswert: Sie wurde in der österreichisch-ungarischen Monarchie unter der Schirmherrschaft des Kaisers Karl I. am 14. September 1918 eröffnet und sollte erst in der Zeit der Ersten Tschechoslowakischen Republik beendet werden. Unter den ausstel- lenden Künstlern fehlte auch Helene Zelezny-Scholz nicht. Als Zeugnis dieses Aufent- halts hinterließ Hauser in Schlesien das Porträt des Museumsdirektors E. W. Braun.364 Franz Theodor Csokor kehrte nach Strzebowitz anscheinend noch im Jahre 1935 zurück – diesen Plan äußerte er zumindest gegenüber Lina Loos am 13. Juni 1935.365 Vielleicht traf er sich mit Stona schon früher in diesem Jahr anlässlich der Proben bzw. der Premiere seines Stückes Gewesene Menschen, das angesichts der begrenzten Prä- sentationsmöglichkeiten seiner antifaschistischen Werke auf der deutschen Bühne in Mährisch-Ostrau gespielt wurde. Seine suggestive Beschreibung behandelt Mährisch- Ostrau, das bald auch Stonas Strzebowitz verschlingen sollte:

Ein merkwürdiger Ort, dieses Mährisch-Ostrau! Eine Goldgräberstadt – hundert- fünfzigtausend Einwohner und in ständigem Wachstum begriffen, das Stadtbild faszinierend, neben Großstadtstraßen mit Wolkenkratzern zwanzig Meter hohe Hügel von Kohleschlacke, ein Ring von feuerspeienden Hochöfen, Fördertürmen und auf den Plätzen Kaffeehäuser von enormen Ausmaßen, die sogar Wien über- trafen; nachts sind sie zum Bersten voll, und neben Bars, in dem einem Nackttän- zerinnen aufgetischt werden, sind Slums, schwarz von Ruß, der immer aus hundert Riesenschloten über die Stadt zieht, pompös verwirrend von slawisch verschwim- menden Konturen, Rußland mit einem Hauch Paris, die ,Dreigroschenoperʻ auf tschechisch! Eine starke, erregende Luft, wenn sie auch nach Ruß und Kohle riecht!366,

schrieb Csokor Anfang des Jahres 1935 an Ferdinand Bruckner. Dass sich keineswegs die ganze deutsche Minderheit, die mehr als drei Millio- nen Menschen zählte, mit dem Nationalsozialismus identifizierte, deutet eine weitere Bemerkung von Csokor an. In einem Brief aus Mährisch-Ostrau erwähnte er den Auf- tritt des legendären schweizerischen politischen Kabaretts Die Pfeffermühle von Erika Mann, das hier am 15. Februar 1935 gastierte.367 Ostrau, das durch seine magische Kraft schon immer auf Stona gewirkt hatte, profilierte sich nicht nur als wirtschaftliches, son- dern auch als dynamisches kulturelles Zentrum der Region, in das auch Strzebowitz einbezogen wurde. Dieses gehörte zwar historisch gesehen zu Schlesien, tendierte aber

363 Haiböck (1960): 7; Cabuk (2012): 26. 364 Stadt Troppau (2010): 11–12. 365 Csokor (1964), F. T. Csokor an L. Loos, Katowice-Domb 13. 6. 1935: 105. 366 Csokor (1964), F. T. Csokor an F. Bruckner, Mährisch-Ostrau 30. 1. 1935. 367 Vgl. Keiser-Hayne (1995): 118–120.

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geographisch, wirtschaftlich und zunehmend auch kulturell zu Mährisch-Ostrau. Gehen wir in dieser Richtung noch ein wenig weiter: Die Liste der österreichi- schen Antifaschisten, denen das Milieu des Strzebowitzer Schlosses nicht unbekannt war, haben wir noch nicht zu Ende gelesen. Einer der letzten namhaften Besucher von Strzebowitz schlechthin war Leopold Wolfgang Rochowanski, Stonas österreichisch- schlesischer Landsmann aus Zuckmantel. Der Interpret und Protagonist der Wiener Avantgarde war gleichzeitig Propagator der österreichischen modernen Kunst in der Tschechoslowakei. Zwischen den Weltkriegen trat er als Organisator der Ausstellungen zu diesem Thema in Prag, Pressburg (1928) und Kaschau (1935) auf. Für seine Dienste erhielt er im Jahre 1934 sogar den tschechoslowakischen Orden des Weißen Löwen der fünften Klasse. Seiner demokratischen Überzeugung blieb er im Gegensatz zu zahlrei- chen anderen auch in der Krisenzeit Ende der 30er und Anfang der 40er Jahre treu. Mit Maria Stona stand Rochowanski bereits Anfang der 1920er Jahre in einem regen Brief- wechsel. Damals kam sein Besuch noch nicht zustande, später kam er aber doch noch nach Strzebowitz, vielleicht auch wiederholt, denn er kehrte regelmäßig nach Trop- pau zurück, wo seine Mutter lebte.368 Der älteste erhaltene Brief von Stona an Rocho- wanski stammt aus dem Jahre 1920.369 Es scheint, dass sie sich vorher nicht persönlich gekannt bzw. nicht sehr intensiv getroffen haben. Als Rochowanski im Jahre 1912 mit Hilfe des Bundes schlesischer und mährischer Mundartdichter im Freudenthaler Verlag W. Krommer eine Auswahl der deutschen Poesie der Region Hämetgsang herausgab, fehlte Stona merkwürdigerweise darin. Weitere Briefe tauschten die beiden Autoren in den Jahren 1928 und 1929 aus.370 Wie bereits erwähnt, stand Rochowanski nicht nur mit Maria Stona in Kontakt, sondern auch mit Helene Zelezny-Scholz, mit der ihn die Liebe zu den neu entdeckten Eigentümlichkeiten der Ostslowakei verband. Ein weiterer überzeugter Demokrat war Rudolf Jeremias Kreutz, einer der nächsten Freunde von Helene Zelezny-Scholz. Sie hatten sich auf ihrem ersten Ball kennengelernt. Danach schickte ihr Kreutz, zu der Zeit ein Angehöriger des 16. Feld- jägerbataillons, dessen Stabsquartier sich in Jägerndorf befand, eine Karte als Bewun- derer.371 Zelezny-Scholz erinnerte sich später oft an den gemeinsamen Ausflug in den blühenden Wienerwald, den sie am 2. Mai 1905 kurz nach der Bestattung ihres Vaters unternahmen, sowie an eine weitere Begegnung in der „Maiglöckchenzeit“, also vor dem Ersten Weltkrieg.372 Kreutz war zwar nach 1910 in Wien tätig, aber episodisch kehrte er nach Schlesien zurück, so z. B. aus Anlass des Autorenabends der Zeitschrift Die Muskete, ebenso wie auch Franz Theodor Csokor (siehe oben). Kreutz kam aus der sibirischen Gefangenschaft als überzeugter Pazifist zurück und in diesem Geiste schuf

368 Leitner (1995). 369 WBR, HS, Nachlass Leopold Wolfgang Rochowanski, ZPH 347/4, H. I. N. 202586, M. Stona an L. W. Rochowanski, Strzebowitz 11. 7. 1920. 370 Ebenda. 371 WBR, HS, Nachlass Rudolf Jeremias Kreutz, ZPH 1248/7, 2.1.1.253, H. Zelezny-Scholz an R. J. Kreutz, Bronxville 2. 1. 1948. 372 WBR, HS, Nachlass Rudolf Jeremias Kreutz, ZPH 1248/7, 2.1.1.253, H. Zelezny-Scholz an R. J. Kreutz, Philadelphia 22. 5. 1948.

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er auch seine weiteren Werke. In den 30er Jahren wurde er unter anderem Sprecher der demokratischen Mitglieder des PEN-Klubs, die sich mit einer gemeinsamen Resolution der Nazi-Willkür entgegenstellten. Am Ende des Zweiten Weltkriegs saß er sogar einige Monate im Gefängnis, wurde aber letztendlich aus gesundheitlichen Gründen freigelas- sen. Nach 1945 wurde er zu der engsten Vertrauensperson von Helene Zelezny-Scholz. Zumindest erwähnen sollten wir auch den deutschen Schauspieler Ferdinand Gregori, der den Sommer 1923 bei Stona in Strzebowitz verbrachte.373 Zusammen mit ihm hielt sich auch der österreichische Schriftsteller Otto Hauser in Strzebowitz auf.374 Eine wichtige Besuchergruppe des Schlosses Strzebowitz waren auch junge Musiker, die Stona einlud, um die gesellschaftlichen Begegnungen auf dem Schloss musikalisch zu begleiten. Wir können hier etwa die Pianistin Poldi Mildner375 oder den späteren Komponisten Ilja Hurník nennen. Der Besuch der deutschen Schriftstellerin Annema- rie von Nathusius wurde schon erwähnt. Eine weitere Frau, die in unserer Erzählung bereits erschienen ist, ist die deutsche Journalistin Else Frobenius, Schwägerin des be- kannten deutschen Archäologen und Anthropologen Leo Frobenius, der ein Freund von Ludwig Jacobowski war. Diese kam zwischen den Jahren 1929 und 1943 einige Male nach Strzebowitz. Sie selbst schreibt von fünf ein- bis zweiwöchigen Aufenthalten. Mit Maria Stona lernte sie auf gemeinsamen Reisen mit dem Auto auch die weitere Um- gebung und deren Sehenswürdigkeiten kennen: das Schloss des Dichters Joseph von Eichendorff in Sedlnitz, das Freilichtmuseum der Mährischen Wallachei in Rosenau, den Sitz des deutschen Ritterordens in Freudenthal, das Zentrum des Kuhländchens Neutitschein, das Elternhaus der Mutter von Franz Schubert in Zuckmantel, die Städte Hultschin, Troppau usw.376 Es ist zu sehen, dass man die Aufzählung der Besucher von Strzebowitz fortset- zen könnte. Es steht außer Zweifel, dass noch weitere Namen mit der Zeit erscheinen werden, die wir mit dem Kulturzentrum um Maria Stona verbinden können. Nun aber wollen wir die Perspektive ändern. Ein besonderes Kapitel über das kulturelle Strzebo- witz stellen „berühmte Besucher“ dar, die das Schloss nie besucht haben. Bei manchen handelt es sich um ausgesprochene Irrtümer, bei anderen fehlt vielleicht nur der Beweis für deren Besuch. Der Ausgangspunkt unserer Betrachtungen sind die überlieferten Nachrichten über die Besuche von großen Persönlichkeiten der europäischen Intellek- tualität. Mit diesem Typ von Informationen kann man sich allerdings nicht kritisch auseinandersetzen. Behauptungen über berühmte Gäste, die Stona nie besucht haben, besitzen meist einen rationalen Kern, und deshalb kann man sie nicht einfach ignorie- ren. Alle Namen verbinden sich mit Stona auf eine spezifische Art und Weise, aufgrund derer auf einen Aufenthalt in Strzebowitz geschlussfolgert werden kann. Versuchen wir also eine Genealogie von Irrtümern, einen nach dem anderen, zusammenzustellen.

373 ÖNB, Nachlass Franz Servaes, Sign. 1256/52-1, M. Stona an F. Servaes, Strzebowitz 15. 6. 1924. 374 SZM, PPB, Marie Stona, Feuilletons und kurze Skizzen 1922–1929, III. Band, fol. 49, Maria Stona: Otto Hausers Klingsor und Morgane (Verlag von Adolf Bonz und Co. in Stuttgart), Tagesbote Brünn 26. 4. 1925. 375 Wildenthal (2005): 213. 376 Wildenthal (2005): 214–215.

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Dass es dabei zu nicht weniger interessanten, sogar überraschenden Schlüssen kommen kann, zeigt sich am Beispiel des (vermeintlichen) Besuches von Karl Kraus. Zu den am häufigsten genannten Namen gehört im Zusammenhang mit Strze- bowitz Stefan Zweig, der praktisch in keiner der bisherigen Publikationen fehlt. Auch in diesem Fall hat die Information einen rationalen Kern, obwohl die Verbindungsli- nie mit Strzebowitz diesmal nicht über Stona führt, sondern über Helene Scholz. Ihre Freundschaft mit Zweig ist tatsächlich nachweisbar. Die Bildhauerin tritt namentlich auch in seinem Tagebuch auf. Zum Beispiel notiert am 10. April 1915 Zweig: „Bei Helene Scholz die mit den Brüsslern in guter Verbindung geblieben ist.“377 Helene Scholz schildert wiederum eine gemeinsame Rundfahrt mit der Kutsche durch die Um- gebung Wiens im Mai 1914. Kennengelernt hatten sie sich schon lange vorher. Durch die Freundschaft mit Helene Scholz trat der schon damals bekannte Schriftsteller mit der belgischen Kulturszene in Kontakt, in der die junge Bildhauerin künstlerisch aufge- wachsen war. Zweig besuchte sogar Helene Scholz in Brüssel, als sie noch bei Charles van der Stappen studierte. In seinem Atelier fand damals eines der großen Treffen der belle époque statt, als Stefan Zweig Emile Verhaeren persönlich kennen lernte, des- sen Büste eben van der Stappen modellierte.378 Während die Freundschaft von Helene Scholz und Stefan Zweig relativ eng war, erscheint Maria Stona in den Tagebüchern des Schriftstellers nicht und Zweigs Name erscheint auch nicht in der bekannten Kor- respondenz von Stona. Es scheint also, dass der überlieferte Besuch Zweigs von einer falschen Schlussfolgerung ausgeht: Weil er ein Freund von Helene Scholz war, besuch- te er Strzebowitz. Die Situation um den Besuch des größten österreichischen Kritikers Karl Kraus ist noch komplizierter. Kraus war tatsächlich in Schlesien, und zwar dank der Beziehun- gen zu dem Haus Lichnowsky, das er z. B. im Jahre 1920 in Kuchelna, etwa zwanzig Kilometer von Strzebowitz entfernt, besuchte. Wiederum wäre es logisch, dass Kraus auch Stonas Schloss besucht hätte. Zumal wir in Betracht ziehen, dass Stona einen ihrer zahlreichen Briefe auch an Karl Kraus adressierte, wenn auch erst acht Jahre später. Aber wie auch in anderen Fällen berührten sich auch hier die Wege von Maria Stona und Mechtilde Lichnowsky offensichtlich nicht. Die geographische Nähe und das ge- meinsame literarische Interesse blieben ohne konkrete Folgen. Es ist unwahrscheinlich, dass Karl Kraus Strzebowitz im Jahre 1920 oder zu einem anderen Zeitpunkt besucht hätte. Im Schreiben, das ihm Stona im Jahre 1928 geschrieben hat, erwähnt sie kein persönliches Treffen, geschweige denn einen Aufenthalt auf ihrem Schloss. Sie schreibt ihm als eine der vielen Zuhörerinnen seiner damaligen literarischen Abende in Wien und bittet ihn um die Einwilligung, ihre Erinnerung an dieses Ereignis veröffentlichen zu dürfen. Dies ist allerdings nicht alles, was zu dem vermeintlichen oder tatsächlichen Verhältnis Stona – Kraus gesagt werden sollte. Eine interessante Spur finden wir in der Zeitschrift Die Fackel. Die Literatur gibt an, dass er bis auf seltene Ausnahmen alle

377 Zweig (1988): 156. 378 WBR, HS, Nachlass Felix Braun, ZPH 413/29, H. Zelezny-Scholz an F. Braun, Rom 14. 3. 1972.

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Beiträge für die Zeitschrift nach 1912 alleine geschrieben hat. Es scheint jedoch, dass eine dieser Ausnahmen mit Maria Stona verbunden werden kann. In der Ausgabe vom 2. August 1916 ist eine kurze Glosse – Hunde, Menschen, Journalisten – zu finden. Stona erwähnt sie zwar in dem besagten Brief nicht, aber dessen Datum Strzebowitz, 16. Juni [19]16 lässt kaum irgendwelche Zweifel zu. Ein weiterer Schlüssel zur Bestim- mung des Autors (der Autorin) ist die Textfassung:

Ich danke Ihnen. Es wird einem das Bewußtsein, Zeitgenosse zu sein, weniger schmerzlich. Ich habe es kürzlich in meinem Dorf erlebt, daß 50 arme zuckende Hundeleiber von Schlächtern totgeschlagen worden sind. Der Schuß kostete 20 Heller und kein Hundebesitzer opferte die 20 Heller, jeder überließ die Hinrich- tung dem Stock. Meine Adjunktin sprang auf den Gensdarm und den Lehrer los und schrie: ,Und ihr duldet das?ʻ Worauf der Gensdarm lachend sagte: ,Im Krieg gehts auch nicht anders zu.ʻ379

Die Wendungen „in meinem Dorf“ oder „meine Adjunktin“ scheinen auf Stona als Au- torin hinzudeuten und berechtigen somit die Einbeziehung von Karl Kraus in den Dis- kurs über das Strzebowitzer Kulturzentrum, wenn auch aus völlig anderen Gründen, als die älteren Autoren behaupteten. Zu dem Paar der vermeintlichen berühmten Besucher haben wir uns bereits im vorgehenden Text indirekt geäußert. Über den Aufenthalt von Marie von Ebner- Eschenbach in Strzebowitz konnten keine Befunde festgestellt werden. Stona hat sie in Wien sowie auf ihrem Schloss Zdislawitz besucht, aber dass die ruhmreiche mährische Schriftstellerin diese Besuche erwidert hätte, wagen wir nicht zu behaupten. Ziemlich unwahrscheinlich klingt die Information über einen Strzebowitzer Besuch von Theodor Herzl, mit dem Stona befreundet war und den sie wiederholt in Wien aufgesucht hat. Völlig in die Sphäre der Fiktionen muss dann die Mitteilung verwiesen werden, dass der französische Politiker Georges Clemenceau Strzebowitz besucht hätte. Diesen hat Stona bis auf eine Karlsbader Kur nie mehr getroffen, sie stand nur im Briefwechsel mit ihm, zum Teil wohl über Brandes. Zu den populären Mythen gehört auch der Besuch des englischen Ägyptologen William Flinders Petrie. Dieser hat wohl mit Stona nur einige Stunden in Ägypten verbracht, und es ist auch nicht bekannt, dass sie nach 1913 miteinander im Kontakt geblieben wären. Es fehlen auch Beweise – zumindest bisher – über den vermeintlichen Aufenthalt des Schriftstellers Alexander Roda Roda in Strze- bowitz, den Stona im Gegenteil nachweislich in Trentschin-Teplitz besuchte. Soweit es um den Schriftsteller Karl Schönherr geht, so können wir dessen Besuch in Strzebowitz nicht ausschließen. Stona traf sich nachweislich mit ihm sowie mit seiner Frau und zum Beispiel im November 1933 schrieb sie an Malvine Schönherr, dass sie sich auf das nächste Treffen Anfang Dezember freue. Hier ist jedoch wahrscheinlich nicht das Treffen in Strzebowitz gemeint.380 Fraglich bleibt auch der Strzebowitzer Aufenthalt

379 Die Fackel, 18. Jg., Nr. 431–436: 3. 380 ÖNB, Nachlass Karl Schönherr, Sign. 591/31-2, M. Stona an M. Schönherr, Strzebowitz 16. 11. 1933.

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von Paul Keller. Es ist gut möglich, dass die Autoren aus mir unbekannten und nicht feststellbaren Quellen schöpften, zumindest ein Teil der von ihnen genannten Stars auf dem Strzebowitzer Himmel kann jedoch völlig ausgeschlossen werden.

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4. „Des toten Schloßes totes Herz“

Wo sind die Seelen, die mich hier umworben? Unheimlich ruht das Schloss, als wärʼs gestorben, Ein dunkler Toter in des Sarges Erz, Gebannt fühlʼ ich in mir den heissen Willen, Den Schrei der Lust, den keine Seufzer stillen – Ich bin des toten Schlosses totes Herz. Aus dem Gedicht Es starrt die Nacht, Maria Stona: Neue Gedichte, 1928.

Die deutsche Journalistin Else Frobenius war nicht die einzige, die Stona in ihren Me- moiren ein selbstständiges Kapitel gewidmet hat. Auch der tschechische Komponist Ilja Hurník erzählt in seinem autobiographischen Buch Kindheit in Schlesien von sei- nem Besuch auf dem Strzebowitzer Schloss, auf das er eingeladen wurde, um für die musikalische Kulisse einer der gesellschaftlichen Begegnungen von Stona zu sorgen. Es handelt sich um eine diametral entgegengesetzte Sichtweise: Während Frobenius eine Deutsche nationalistischer Gesinnung war, war Hurník ein tschechischer Schlesier. Auch die beiden Aussagen können nicht unterschiedlicher sein: Während Frobenius Stona als kleine Marquise glorifiziert, schließt Hurník seine Erinnerung an die Strzebo- witzer Schriftstellerin apodiktisch ab: „Aber Maria Stona bleibt im Gedächtnis, wie sie zu Füßen der SS-Männer vor dem Gesicht des zu Tode beklommenen Dorfes liegt.“381 Er spielt auf die Geschichte an, nach der Stona die Füße der deutschen Soldaten geküsst haben soll, die nach dem Münchener Abkommen 1938 das Dorf besetzten. Hurník ver- suchte mit seiner Behauptung, die Stellung von Maria Stona im kollektiven Gedächt-

381 Hurník (1979): 195.

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nis der Tschechen erfolgreich zu verankern. So blieb die Strzebowitzer Schlossfrau tatsächlich als devote Anhängerin des deutschen Nationalsozialismus im kulturellen Gedächtnis erhalten. Es ist gleichgültig, dass Hurník, damals kaum achtzehnjährig, im Verweis auf die Quelle seiner Informationen schrieb: „Dies alles und noch viele andere Sachen hat Vater in der Straßenbahn erfahren.“ Ein wichtigeres Zeugnis bezieht sich auf sein persönliches Treffen mit Stona auf deren Schloss. Damals soll sie ihm Fotos „der zwei größten Männer“, wie sie sich selber äußerte, – Hitler und Mussolini – ge- zeigt haben.382 Das ist allerdings ein völlig neuer Blickwinkel auf Stona, der im Gegen- satz zu dem steht, wie sie bisher in dieser Studie gezeigt worden ist – als Freundin von Theodor Herzl und einer Reihe von weiteren jüdischen und liberalen Intellektuellen, als Anhängerin des Vereins zur Abwehr des Antisemitismus, der pazifistischen Bewegung und als Mäzenin von tschechischen Künstlern. Dieses Kapitel wird deshalb danach fragen, ob Hurníks Aussage wahrheitsgetreu ist, und wenn dies der Fall sein sollte, wie kann man dann diese Aussage mit dem Bild von Stona als Liberale und Pazifistin, die sich um die Jahrhundertwende selbst als harmonische Synthese des Slawentums und Deutschtums bezeichnet hat, verknüpfen. Kann so eine schroffe Veränderung der Weltanschauung nachgewiesen werden? Und kann ihre Genese aus Stonas früheren Einstellungen erklärt werden? Um Hurníks Versuch der Konservierung des Andenkens an Maria Stona zu be- stätigen oder zu widerlegen, ist es notwendig, viel tiefer als in die zweite Hälfte der 1930er Jahre zurückzukehren, von denen der Komponist offensichtlich in seiner Er- innerung schrieb. Wie hat sich ihre Beziehung zu der tschechischen Umgebung ent- wickelt, in der sich das Strzebowitzer Schloss befand, und wie wurde sie durch das tschechische Umfeld wahrgenommen? Auch wenn Stona keine Adelige war, entsprach ihre Position in der Gemeinde dem patriarchalischen Habitus der aristokratischen Großgrundbesitzer. Ein Teil der Einheimischen fand Arbeit in den Wirtschaftsbetrieben des Großgrundbesitzes Strzebowitz-Martinau und in den Nebenbetrieben. Die Schloss- herrin trug auch zu den gemeinnützigen Bauten bei, von denen sie selbstverständlich auch teilweise profitierte. Daneben widmete sie sich auch dem „echten“ Mäzenatentum und dem Kirchenpatronat. Obwohl sie Protestantin war, trug sie im Geiste der Traditi- on zu der Ausstattung der Strzebowitzer katholischen Kirche finanziell bei. Für dieses Gotteshaus besorgte sie die Verzierung von Josef Edgar Kleinert, zudem beteiligte sie sich auch an dem ambitiösen Projekt der St. Hedwigskirche in Troppau, die urprüng- lich als Denkmal aller schlesischen Gefallenen des Ersten Weltkrieges (sog. „Krieger- gedächtniskirche“) entworfen worden war.383 Neben dem Mäzenatentum und Patronat kann man noch den Bereich der Wohltätigkeit erwähnen. Als Beispiel hierfür nennen wir ihre Unterstützung der Hochwasseropfer im Jahre 1903. Als Dank für ihre Hilfe wurde sie vom Gemeinderat am 26. Oktober 1903 zur Ehrenbürgerin von Strzebowitz ernannt. An Georg Brandes schrieb sie über diese Angelegenheit Folgendes: „Meine Ehrenbürgerschaft haben so viele Zeitungen nachgedruckt, daß ich in ganz Österreich

382 Hurník (1979): 194. 383 Šopák (2000).

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zur ,bekannten Schriftstellerinʻ geworden bin, denn jede Notiz hatte diesen Zusatz. So hat mich der Strzebowitzer Bürgermeister berühmt gemacht.“384 Im Lichte ihrer Ehren- bürgerschaft der vorwiegend tschechischen Gemeinde Strzebowitz erscheint Hurníks Aussage noch überraschender. Stona hat sich, obwohl sie deutschsprachig war, nicht geweigert, mit den Einhei- mischen in deren tschechischen Dialekt zu sprechen, und laut Else Frobenius galt ihr Interesse der schlesischen Folklore, wobei sie kaum zwischen den einzelnen Nationa- litäten unterscheiden konnte:

Die kleine Marquise hatte in den Sälen und Gängen ihres Schlosses eine große Sammlung schlesischer Altertümer zusammengetragen: bunte Truhen und schim- mernde Gläser, farbige Tücher und Goldstickereien, alte Stiche und Pergament- bände. Zuweilen kam im schwarzen Schultertuch eine Frau aus dem Huldschiner Ländschen [!] und brachte ihr Altertümer, die sie aus Privatbesitz aufgekauft hatte.

Allein an schlesischen Tüchern besaß Stona wohl über einhundert.385 Auf der anderen Seite schenkte sie einige von diesen Gegenständen gegen Ende des Jahres 1938 als sog. Befreiungsgabe dem Schlesischen Landesmuseum.386 Es fällt hier schwer, den Gedan- ken zuzulassen, dass sie dazu durch die Umstände gezwungen worden wäre. Trotz ihres „Alt-Österreichertums“ stellte sich Stona nach dem Jahre 1918 sehr schnell auf die Seite der neu gegründeten Tschechoslowakischen Republik. Be- reits Anfang des Jahres 1919 schrieb sie an Brandes mit deutlicher Erleichterung: „Wir haben im neuen tschechoslowakischen Staate unberufen große Ordnung. Welche Wandlung!“387 Sie trug damals sogar im gewissen Maße zur Stabilisierung der neuen Staatsordnung bei, indem sie z. B. die Rolle der Gastgeberin für die Mitglieder der Delimitierungs-Komission annahm, die über die Grenzen der Tschechoslowakischen Republik im Bereich des Teschener Schlesiens entscheiden sollte. Über den Aufenthalt der Offiziere auf dem Strzebowitzer Schloss schrieb sowohl der hiesige Chronist Alois Prokop388 als auch Stona selbst in einem Brief an Leopold Wolfgang Rochowanski, in dem sie eine Einladung mit der Angabe des Grundes zurückziehen musste: „Ich habe das ganze Haus bis auf das letzte Zimmer gefüllt, sogar tschechische Offiziere wohnen neben meinen aus Amerika heimgekehrten Angehörigen u. s. w. [...].“389 Ihre Befürwor- tung der Republik wird hinreichend durch die bereits erwähnte Tatsache belegt, dass sie auf dem Schloss den höchsten Repräsentanten der Staatsverwaltung in Schlesien, den Landespräsidenten Josef Šrámek mit dessen Familie, empfing.390

384 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, s. l. 18. 1. 1904. 385 Wildenthal (2005): 217. 386 ZAO, Werner Kudlich, Inv. Nr. 84, Box 2, M. Stona an W. Kudlich, Strzebowitz 13. 12. 1938. 387 KBK, HA, Nachlass Georg Brandes, M. Stona an G. Brandes, Strzebowitz 24. 1. 1919. 388 AMO, Sbírka pamětí a vlastivědných rukopisů, Inv. Nr. 245, Box 19, Alois Prokop: Vzpomínka na spisovatelku Marii Stonu. 389 WBR, HS, Nachlass Leopold Wolfgang Rochowanski, ZPH 347/4, H. I. N. 202586, M. Stona an L. W. Rochowanski, Strzebowitz 11. 7. 1920. 390 WBR, HS, Nachlass Rudolf Jeremias Kreutz, ZPH 1248/8, 2.1.1.271, M. Stona an R. J. Kreutz,

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Insbesondere in der Zeit zwischen den zwei Weltkriegen knüpfte Stona die in- tensivsten Kontakte mit der ethnisch tschechischen Kultur, vor allem mit den Vertretern der mährischen katholischen Moderne um den Priester und Schriftsteller Karel Dostál- Lutinov. Dieser war im Jahre 1922 auf ihrem Schloss zu Gast.391 Noch jahrelang nach seinem Tode wollte sie die Herausgabe der Gedichte aus seinem Nachlass finanzieren. Zudem verpflichtete sie sich, einen wesentlichen Teil der Auflage vom Verlag abzukau- fen. Das war im Jahre 1936,392 als der Großteil der deutschsprachigen Bevölkerung in der Tschechoslowakei Henleins Sudetendeutsche Partei unterstützte. Aber Stona nicht. Soweit es sich um die Beziehung zwischen Stona und Dostál-Lutinov handelt, haben beide Dichter gegenseitig ihre Poesie übersetzt; Dostál-Lutinov wusste Stonas Kunst sehr zu schätzen, er hielt sie für „eine der grössten deutschen Dichterinnen [...], die ich vor Maria Herbert, Ricarda Huch, gleich neben A. Droste-Hülshoff inthronisieren muß“.393 Zum Kreis der kulturell engagierten tschechischen Priester gehörten neben Dostál-Lutinov auch der Journalist Ladislav Zamykal, der Verfasser der Artikel über Stona sowie Helene Zelezny-Scholz, Josef Marcol Svoboda oder der Autor von Stonas Exlibris Arnošt Hrabal. Diesen unterstützte Stona auch materiell – er durfte auf dem Strzebowitzer Schloss sowie in ihrem nicht weiter spezifizierten Haus in Nieder-Lin- dewiese künstlerisch tätig sein – andererseits besorgte sie ihm eine Apanage von der Gräfin Desfours-Walderode aus Bodenstadt.394 Interessant ist auch, dass Stonas Exlibris gerade in dem Buch über die slawischen Heiligen Konstantin und Method erhalten geblieben ist.395 Und man könnte hier noch eine ganze Reihe von Kontakten mit der tschechischen Elite nennen. Da es sich jedoch für die Leser außerhalb der Region le- diglich um Namen ohne den entsprechenden Kontext handeln würde, kommen wir zu der grundlegenden Frage zurück: Hatte Ilja Hurník Recht, als er versuchte, das Bild Stonas als Nationalsozialistin zu konservieren? Auch einige Tschechen haben ihm nicht zugestimmt. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich das Bild von Maria Stona in zwei Strömungen geteilt, die als kommunistische (aggressive) Strömung und demokratische (gemäßigte) Strömung bezeichnet werden können. Auf der Seite der Verteidiger Stonas finden wir beispielsweise den Chronisten Alois Prokop, der die Meinung vertrat, dass

Maria Stona war keine Nationalsozialistin, aber sie ist durch den Einfluss der Be- amten – der Renegaten Sonek und Muroň – bei der Besatzung der V. Zone durch die deutsche Wehrmacht in eine kritische Situation geraten. Wegen großer Unan-

Strzebowitz 16. 12. 1925. 391 Svoboda (1929), K. Dostál-Lutinov an M. Stona, Prossnitz 17. 10. 1922: 52. 392 ZAO, pobočka Olomouc, Ladislav Zamykal, Inv. č. 109, Ev. Nr. 2, M. Stona an L. Zamykal, Strzebowitz 15. 4. 1936. 393 Svoboda (1929), K. Dostál-Lutinov an M. Stona, Prossnitz 17. 10. 1922: 52. 394 ZAO, pobočka Olomouc, Karel Dostál-Lutinov, Inv. Nr. 603, Box 10, M. Stona an K. Dostál- Lutinov, s. l. 23. 5. 1923 und [im Coupé] 3. 5. 1923; ebenda, Inv. Nr. 811, Box 14, K. Dostál- Lutinov an A. Hrabal, [Prossnitz] 27. 4. und [Prossnitz] 5. 5. 1923. 395 SZM, Knihovna, Sign. S 2517 (Franz Přikryl: Denkmale der Heiligen Konstantin (Cyrill) und Method in Europa. Wien 1920).

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nehmlichkeiten und aus einem Selbsterhaltungstrieb wurde sie in den Strudel der Ereignisse hineinzogen, sie brachte die Gemeinde gegen sich auf, die die damali- gen Intrigen auf dem Gut und in der Nationalsozialistischen Partei nicht kannte.

Während Hurník Stona eindeutig negativ beschreibt, erinnert Prokops Charakteristik hingegen zu sehr an den Topos des guten Herrschers, der von schlechten Beratern um- geben ist. Andererseits kann er vielleicht von Taten Stonas gewusst haben, die uns nicht bekannt sind („Unter der Besatzung schützte sie auch kommunistische Intellektuelle gegen die Verfolgung.“).396 Es wird ersichtlich, dass wir es bei Maria Stona mit zwei miteinander nicht zu vereinbarenden Lebensetappen zu tun haben, die das Jahr 1938 voneinander trennt. Da- mals fehlte der schlesischen Schriftstellerin nur noch ein Jahr bis zu ihrem achtzigsten Geburtstag und es scheint so, dass es bei ihr zu einem Meinungswandel gekommen ist, weg von der Demokratie, dem Liberalismus und der Toleranz hin zum National- sozialismus. Zur Illustrierung der neuen Einstellung von Stona reicht ein einziger Satz aus dem Vorwort ihres letzten Buches, des Reiseberichts über Spanien (ca. 1940), aus: „Wie Mussolini und Adolf Hitler, ergriff auch Franco in der Stunde der höchsten Not die Zügel der Macht und brachte nach unsäglichen Kämpfen seinem Vaterland die Befreiung.“397 Jedweder Versuch, die beiden erwähnten Perioden in Einklang zu brin- gen, ist abwegig: Die Inkohärenz war das, was Stona im Jahre 1938 kennzeichnete. Die Aussage, die diesen Gedanken rechtfertigt, könnte von keiner glaubwürdigeren Seite kommen. Helene Zelezny-Scholz schilderte in einem Brief an Felix Braun vom Früh- ling 1938 den letzten Besuch ihrer Mutter in Rom: „Meine Mutter war jetzt einige Tage hier, sonderbarer Weise ist sie ganz umgeschwenkt in das andere Lager! Die Ausspra- chen waren darum eher unangenehm, aber mit 78 hat man kein klares Urteil mehr, zumindest die Frauen nicht.“398 Wie hätten wir Stonas Veränderung anhand unvollstän- diger Quellentexte erklären können, wenn ihre eigene Tochter sie nicht mehr verstehen konnte? Der Meinungswechsel hing vielleicht tatsächlich mit Stonas Alter zusammen, jedoch kaum mit ihrem Geschlecht. Das angeführte Zitat ist aus zwei Gründen interessant: Es belegt einerseits Stonas „Meinungswechsel“, andererseits zeigt es Helene Zelezny-Scholz als überzeug- te Demokratin, die ihre Einstellungen nicht einmal in dem Moment änderte, als Fami- lienstreitigkeiten drohten. Aus ihrem Briefwechsel mit dem Antifaschisten Felix Braun wird deutlich, dass sie innerlich schon durch den Anschluss Österreichs tief getroffen war und in Rom versuchte, demokratisch denkenden Künstlern in Not zu helfen. Ihre demokratische Gesinnung bezeugen auch Aussagen von tschechischen Strzebowitzern aus der Nachkriegszeit:

396 AMO, Sbírka pamětí a vlastivědných rukopisů, Inv. Nr. 245, Box 19, Alois Prokop: Vzpomínka na spisovatelku Marii Stonu. 397 Stona (cca 1940): 6. 398 WBR, HS, Nachlass Felix Braun, ZPH 413/29, H. Zelezny-Scholz an F. Braun, [Rom] s. d. [1938].

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Frau Zelezny kennt die Familie Masaryk. Bereits in der Besatzungszeit ist angeb- lich vereinbart worden, dass das Schlossgebäude in Strzebowitz den tschechischen Künstlern zufällt. Frau Malurová und Frau Wagnerová können angeblich bestäti- gen, dass Frau Zelezny mit Frau Stona bezüglich bestimmter Sachen, die unsere nationalen Interessen betrafen, gestritten hat. Sie hat angeblich ständig auf das deutsche Regime geschimpft.399

Von mehreren Seiten bekommen wir also Informationen über das angespannte Verhält- nis zwischen Stona und ihrer Tochter Ende der 30er Jahre, das rein politische Wurzeln hatte. Die letzten zwei Jahre waren für die Besitzerin von Strzebowitz tatsächlich schwer, und obwohl die damaligen Probleme die Bejahung der Ideologie Hitlers nicht rechtfertigen können, können sie sie zumindest erklären. Stonas Lebensabend war durch steigende Einsamkeit gekennzeichnet. Bereits im Jahre 1928 schrieb sie pro- phetisch in einem ihrer Gedichte: „Ich bin des toten Schloßes totes Herz.“400 Nach der Trennung von Karl Erasmus Kleinert leistete ihr eine gewisse Zeit der nicht besonders erfolgreiche Maler, Bildhauer und Architekt Felix Papsdorf Gesellschaft. Der gebore- ne Sachse hatte zwar während seines Architekturstudiums an der Königlichen Techni- schen Hochschule in Berlin ein gewisses Talent nachgewiesen, wo er in dem Schuljahr 1906/07 für sein Projekt eines Gesellschaftshauses im historisierenden Heimatstil den ersten Preis des Rektors bekommen hatte, dennoch konnte er in seinem späteren Le- ben nicht an das vielversprechende Debüt anknüpfen. Nach dem Ersten Weltkrieg zog er nach Strzebowitz, wo er mit eher geringem Erfolg versuchte, sich als Maler und Bildhauer zu etablieren. Einige Belege seiner Arbeit sind bis heute in Strzebowitz zu sehen. Stona hatte ihn zuerst unterstützt, später verlor sie aber die Geduld mit ihm. Einige Nachrichten erwähnten seine notorische Faulheit und Alkoholabhängigkeit.401 Es ist wahrscheinlich, dass er nicht derjenige war, der einer alternden Frau eine ruhige Zuflucht hätte gewähren können. Die Tochter Helene Zelezny-Scholz lebte schon seit 1923 dauerhaft in Rom und nach Strzebowitz kehrte sie nur in den Sommermonaten zurück, um hier in ihrem bis heute existierenden Gartenatelier zu arbeiten. Der Sohn Siegfried Albert Scholz starb noch vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, am 8. Januar 1939, in Troppau. Der Gemeindechronist hat zu seinem Tod Folgendes notiert: „Die Mutter hat am Begräbnis nicht teilgenommen [10. Januar in Strzebowitz], nur die Tochter Helene Zelezny mit ihrem Gemahl Johann, die eigene Schwester“.402 Trotz der häufigen Einsamkeit bewahrte sich Stona eine positive Lebensein- stellung: „Um ihr Gedächtnis frisch zu erhalten, lernte sie morgens beim Aufstehen Gedichte. Den Mittagsschlaf verschmähte sie und zog sich nach Tisch, angeblich zum

399 AMO, Sbírka pamětí a vlastivědných rukopisů, Inv. Nr. 245, Box 19, Alois Prokop: Vzpomínka na spisovatelku Marii Stonu. 400 Stona (1928): 37. 401 Für die Informationen über F. Papsdorf danke ich dem Kollegen Jakub Ivánek. 402 AMO, Místní národní výbor, Inv. Nr. 8, Pamětní kniha městyse Třebovice 1937–1949, Band IV: 28.

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Arbeiten, in ihre ,Klauseʻ, oben im Giebel, zurück.“403 Erst die Lungenentzündung, die sie im Jahre 1943 durchmachte, war stärker als sie. Damals wollte Leopold Wolfgang Rochowanski sie besuchen, aber Stonas Krankheit sorgte bereits dafür, dass er von diesem Plan Abstand nahm. In den letzten Monaten wurde Stona noch kurz von Else Frobenius besucht, die notierte:

Als ich sie 1929 zum ersten Mal besuchte, war sie 70 Jahre alt, doch voll Tat- kraft und Schöpferdrang, immer weiblich und dabei doch Herr Ihrer Umwelt. (…) Als ich 1943 zum letzten Mal flüchtig in Strzebowitz weilte, hauste die alte Frau einsam im großen Schloß, dessen Bücherei, dessen Prunk- und Fremdenzimmer zugesperrt waren. Bleich und still saß sie vor dem Portal, vor dem in unveränderter Schöne die Rosen blühten, die Parkbäume rauschten. Für Maria Stona war die Zeit wesenlos geworden.404

Maria Scholz starb am 30. März 1944 im Alter von vierundachtzig Jahren. Kurz darauf wurde sie am 1. April in der Familiengruft bestattet. „Die Bauern haben sie aus der Schlosskapelle zum Grab getragen.“ Es kam zu der letzten mystischen Verbindung ih- res Lebens, ihres Werks und des Todes. Sie ruht auf dem Strzebowitzer Friedhof in der Familiengruft an der Kirchenmauer „unter den Linden“, wie ein lokaler Euphemismus besagte.405 Dank ihres Todes blieb ihr zweifellos das Schlimmste erspart: Während des Lebens musste sie zwar die Zwangsverwaltung des Gutes erdulden, aber die fatals- ten Begleiterscheinungen des Krieges kamen erst einige Monate nach ihrem Tod nach Strzebowitz. Im Juli 1944 wurden Flüchtlinge, die vor der Roten Armee flüchteten, im Schloss einquartiert. Und als die Front im April 1945 durchzog, war die Gemein- de einige Tage Schauplatz schwerer Kämpfe. Strzebowitz liegt geographisch auf einer der ersten Geländewellen, vom Norden gesehen, von wo sich die Front näherte. Das Schloss erlitt ebenso wie andere adlige Landsitze, die auf den strategisch wichtigen Hö- hen des ehemaligen tschechoslowakischen Schlesien lagen, schwere Schäden. Die neue Eigentümerin, Stonas Tochter Helene, war von der Zwangsaussiedlung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg ausgenommen, und sie hielt sich zu dieser Zeit in Prag auf. Einen Zufluchtsort fand sie dank der Unterstützung ihrer Freunde aus den Kreisen der britischen Diplomatie im Prager Hotel Ambassador.406 Das Strzebowitzer Gut hatte sie noch vor ihrer Abfahrt verpachtet, vermeintlich für dreißig Jahre.407 Die Jahre von 1947 bis 1949 verbrachte sie in den USA, während ihr Mann in der Tschechoslowakei blieb, nach dem Februar 1948 im Grunde genommen als Geisel der kommunistischen Ämter.408

403 Wildenthal (2005): 217. 404 Wildenthal (2005): 217. 405 AMO, Místní národní výbor, Inv. Nr. 8, Pamětní kniha městyse Třebovice 1937–1949, Band IV: 57. 406 WBR, HS, Nachlass Rudolf Jeremias Kreutz, ZPH 1248/7, 2.1.1.253, H. Zelezny-Scholz an R. J. Kreutz, Washington 13. 11. 1948. 407 AMO, Místní národní výbor, Inv. Nr. 37, Box 4. 408 Pelc (2013).

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Nach vielen Aussagen von damaligen Augenzeugen haben die Soldaten der Ro- ten Armee den größten Teil der Schlossbibliothek, einschließlich der wertvollen alten Drucke, der Schriftstücke des Gutsarchivs sowie auch der persönlichen Dokumente von Maria Stona vernichtet. Diese heute vermissten Dokumente, die eine besondere Bedeutung für die mitteleuropäische Kulturgeschichte hatten, wurden auf dem Schloss- hof verbrannt.409 Die Troppauer Straße, die bereits zu Lebzeiten der Schriftstellerin den Namen Maria-Stona-Gasse getragen hat, nennt sich heute durch eine Ironie des Schick- sals Russische Straße.410 Ein Teil des Mobiliars fiel den Plünderungen der Dorfbewoh- ner zum Opfer. Über die weitere Nutzung des beschädigten, aber bewohnbaren Strze- bowitzer Schlosses wurde bald nach dem Ende der Kämpfe verhandelt. Es wurde als Kindergarten, als Sitz verschiedener Organisationen und als Herberge für obdachlose Flüchtlinge genutzt. Später waren im Schloss Arbeiter untergebracht, die bei dem Auf- bau der chemischen Werke in Ostrau tätig waren; diese haben weitere Beschädigungen des Schlossmobiliars verursacht. Die Situation war unübersichtlich und die Entschei- dungen der einzelnen Organe wurden oft geändert. Nach und nach wurden beschädigte Gebäude des Wirtschaftshofes sowie das sogenannte Palazzino unweit des Schlosses abgerissen. Das Schloss selbst war zwar von den unmittelbaren Kriegskämpfen nicht besonders betroffen, aber sein Zustand verschlechterte sich aufgrund der Nässeeinwir- kungen schnell. In den Jahren 1949 und 1950 kam es wenigstens zu einer gründlichen Inventarisierung des Schlosses. Wertvolle Kunstgegenstände und Bücher wurden bei dieser Gelegenheit in verschiedene Institutionen gebracht. Zu der Zeit befand sich auch der Ehemann von Helene Zelezny-Scholz bereits außerhalb der Republik. Er hatte an- geblich gegen Aushändigung des Reisepasses unterschreiben müssen, dass das Ehepaar auf jegliche Eigentumsansprüche in Strzebowitz verzichtet.411 In den 1950er Jahren fing man an, über einen Abriss des Schlosses nachzuden- ken, der dann schließlich im Jahre 1958 erfolgte. Der schlechte bautechnische Zustand des Objektes war dabei einer der Gründe. Zu der Zerstörung des Denkmals trug ge- wiss auch dessen symbolische Funktion bei: Gerade dieses Schloss verkörperte die Hochkultur der vergangenen Zeiten, die das neue kommunistische Regime negieren und überwinden wollte. In der Aufbaubegeisterung wurde viel Altes bzw. Traditionelles vernichtet, was, wenn man sich ein wenig bemüht hätte, hätte aufrechterhalten werden können. Dies gilt nicht nur für Strzebowitz. Den Abriss des Schlosses hat nicht einmal die Fürsprache des großen schlesischen Dichters Petr Bezruč aus dem Jahre 1955, der in Strzebowitz Verwandte hatte, verhindern können. Erinnern wir an seine Worte als Memento: „Dieses Herrenhaus ist ein schönes Haus [...]. Wenn es Ihnen gelingt, das Schloss trotz des Vordringens der Zivilisation, die die Vergangenheit gerne nivelliert,

409 WBR, HS, Nachlass Rudolf Jeremias Kreutz, ZPH 1248/7, 2.1.1.253, H. Zelezny-Scholz an R. J. Kreutz, Rom 23. 8. 1949; AMO, Místní národní výbor, Inv. Nr. 3, Zápisy ze schůzí rady MNV 3. 8. 1945-6. 9. 1948: 1. schůze 3. 8. 1945. 410 Brabcová (1994): Anhang; AMO, Místní národní výbor, Inv. Nr. 8, Pamětní kniha městyse Třebovice 1937–1949, Band IV: 54. 411 WBR, HS, Nachlass Rudolf Jeremias Kreutz, ZPH 1248/7, 2.1.1.253, H. Zelezny-Scholz an R. J. Kreutz, an Bord der Caronia 15. 6. 1949.

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zu erhalten, klatsche ich von weitem Beifall!“412 Mit der Zerstörung des Schlosses gin- gen auch die Kulissen des bereits nicht mehr existierenden Kulturzentrums verloren. Vielleicht haben auch die Schnelligkeit und Irreversibilität des Verschwindens dieses kulturgeschichtlichen Ortes zu dem bald darauf entstehenden Interesse der regionalen Wissenschaft an dem Phänomen „Strzebowitz“ beigetragen. Schon Anfang der 1970er Jahre interessierten sich für die Persönlichkeit der Helene Zelezny-Scholz und das Schlossmobiliar die Kunsthistorikerin Eva Klimešová aus dem Schlesischen Museum und der Direktor der Nationalgalerie Prag Jiří Kotalík.413 Und nach der Wende von 1989 richtete sich die Aufmerksamkeit endlich auch auf die Gestalterin des Strzebowitzer kulturellen Zentrums, Maria Stona – zehn Jahre später, im Jahre 1999, wurde die erste Studie über dieses Thema publiziert,414 zwanzig Jahre später wurde die erste germa- nistische Magisterarbeit über Maria Stona verteidigt415 und nun, ein Vierteljahrhundert später, ist dieses Buch entstanden. Man könnte hier noch weiter erzählen, denn Vieles wurde nicht gesagt. Nichtsdestotrotz wäre das Format der einleitenden Studie zur Edi- tion der Korrespondenz dadurch zersplittert. Lassen wir daher Stonas Briefe etwas zu Ende erzählen und das andere überlassen wir den weiteren Publikationen, auf die wir hoffentlich kein weiteres Vierteljahrhundert warten müssen.

412 AMO, Místní národní výbor, Inv. Nr. 102, Box 9, P. Bezruč an den Gemeindeausschuß (Místní národní výbor) Třebovice, Kostelec na Hané 13. 6. 1955. 413 SZM, UhP, nicht sortierte Korrespondenz aus den Jahren 1972–1979, Sign. UH 27/72. 414 Šopák (1999). 415 Vysloužilová (2009).

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Editionsprinzipien

Die vorliegende Edition präsentiert eine Auswahl der von Maria Stona versandten Kor- respondenz, die aufgefunden werden konnte. Weil die Korrespondenz weit verstreut ist, erhebt die Edition keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Nicht in die Edition aufgenom- men wurden bereits veröffentlichte Briefe (Ludwig Jacobowski, Theodor Herzl) so- wie Briefe, deren Veröffentlichung geplant ist (Ernst Haeckel). Darüber hinaus wurden informationsarme Korrespondenzstücke (Glückwünsche, Geschäftsangelegenheiten usw.) und Korrespondenz von regionaler Bedeutung aus der Auswahl ausgeschlossen. In die Edition wurden somit unter anderem keine Briefe von Maria Stona einbezogen, deren Adressaten der Germanist Robert Franz Arnold, die Opersängerin und Ehefrau von Hermann Bahr Anna Bahr-Mildenburg, die Schriftsteller und Schriftstellerinnen Oskar Maurus Fontana, Karl Emil Franzos, Marie Herzfeld, Lulu von Strauß und Tor- ney, Richard Kralik, Karl Schönherr, Josef Karl Ratislav, Hermann Sudermann, der Geistliche Karl Kohl sowie eine Reihe von Persönlichkeiten aus der engeren Region waren. Nachdem die Edition abgeschlossen worden war, wurden weitere Briefe von Maria Stona gefunden: Die Hauptgruppe der Adressaten bilden erneut deutsche Litera- ten, Kritiker, Journalisten und Verleger (z. B. Karl Ernst Knodt, Rudolf Presber). Die Herausgabe der einzelnen Korrespondenzen kann jedoch auch in Form von Fallstudi- en erfolgen. Wir betonen deshalb noch einmal, dass die vorliegende Edition zwar ein „Torso des Torsos“ ist, aber gleichzeitig ein repräsentatives Korpus von Texten für das Erkennen der Rolle des kulturellen Strzebowitz und dessen Gestalterin in der europäi- schen Kultur darstellt. Der Text wurde transkribiert, bei Eigennamen wurde die Transliteration verwen- det, alle Briefe sind in extenso abgeschrieben. Offensichtliche Irrtümer der Verfasserin (Wiederholung oder Wortverwechslung) wurden korrigiert, kleinere Fehler sind ge- kennzeichnet: z. B. Clémençeaus [!] statt Clemenceaus, oder Rhodes [!] statt Rohdes. Unsicheres Lesen wird mit Fragezeichen in eckigen Klammern markiert: [?]. Syntak- tische Spezifika der Handschrift Stonas wurden beibehalten, die Interpunktion wird nicht ergänzt, der Text wurde jedoch typographisch vereinheitlicht und hält die durch die Autorin angedeutete Gliederung in Absätze ein. Das nicht einheitliche Schreiben der Majuskel bei du / dich / dein / Du / Dich / Dein wird in die Form Du, Dein verein- heitlicht. Im Original unterstrichene oder auf andere Weise hervorgehobene Passagen sind in der Edition mit Kursivschrift gekennzeichnet. Gestrichene Passagen sind nicht in die Edition eingeschlossen, denn es geht meistens um stilistische Änderungen und durch die Autorin korrigierte Fehler. Abkürzungen werden konsequent in Klammern aufgeschlüsselt. Beispiel: H[ermann] B[ahr] oder W[iener] Tagblatt. Lediglich die im heutigen Deutsch gebräuchlichen Abkürzungen (z. B., u. s. w., d. h., u. A., P. S.) und Abkürzungen von physikalischen, Maß- und Währungseinheiten (ºR, fl.) sind nicht aus- geschrieben.

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In der Edition werden erläuternde und ergänzende Anmerkungen bei folgenden Kategorien verwendet: a) Personen. Soweit es möglich war, die Details zu erforschen, folgen nach dem Namen in der Klammer Geburtsdatum, Todestag und kurze Berufs- charakteristik. Beispiel: Bartholomäus von Carneri (1821–1909), österreichischer Po- litiker, Philosoph und Dichter; b) bei Orten. In der Anmerkung folgt der gegenwärtige offizielle Name, bei österreichisch-ungarischen Gemeinden die Landeszugehörigkeit und die heutige Staatszugehörigkeit. Beispiel: Das Toponym Schönbrunn ist mit der Anmerkung Svinov, Österreichisch-Schlesien (Tschechische Republik) versehen; c) bei Büchern und anderen Werken. Bei den Publikationen beinhaltet die Anmerkung eine kurze bibliographische Eintragung mit dem Ort und Datum der ersten Herausgabe. Beispiel: Marie Eugenie delle Grazie: Robespierre. Leipzig 1894. Nur bei den häufig erscheinenden Werken von Georg Brandes wird ein Hinweis auf seine gesammelten Schriften angeführt. Beispiel: GBSS 11 bedeutet Georg Brandes, Samlede Skrifter, 11. Band. Wenn Stona die deutsche Übersetzung seiner Texte erwähnt, wird auch das Da- tum der Herausgabe des Originals hinzugefügt. Beispiel: Georg Brandes: Polen (Ori- ginal Indtryk fra Polen 1888, GBSS 10). Bei wiederholter Erwähnung im Rahmen eines Briefes folgt eine Anmerkung nur nach der ersten Erwähnung. Bei wiederholter Erscheinung in einem der folgenden Briefe folgt der Hinweis auf die erste Erwähnung im Rahmen der Edition. Beispiel: Anm. 4. Mit erläuternden Anmerkungen sind nicht versehen: a) Namen der Adressa- ten der Briefe von Stona. Deren kurze Charakteristik geht der Edition vor. Die Na- men von literarischen, fiktiven und mythologischen Figuren sowie Namen in bildli- chen Äußerungen. Beispiel: Ich bin ganz Columbus; Ich war Ihr Eckermann usw. Von den Personen ferner die nahen Familienmitglieder: die Tochter Helene (erscheint in den Briefen oft als Helenchen), der Sohn Albert (Albertl), der Vater Josef Stonawski, der Bruder Gustav Stonawski, der erste Ehemann Albert Scholz usw.; b) Namen der Staaten und Hauptstädte (Paris, Wien, Berlin, Brüssel, Budapest, Kopenhagen, Kiew, Tiflis, Teheran usw.), ferner allgemein bekannte Städte (München, Nürnberg, Dresden, Bremen, Leipzig, Weimar, Graz, Prag, Karlsbad, Petersburg, Genua) und das häufig benutzte Strzebowitz; c) Werke, die allgemein bekannt sind (Shakespeares Cymbeline, Der Sturm, Michelangelos Fresko in der Sixtinischen Kapelle, von den Zeitungen die Neue Freie Presse). Obwohl sich die Studie zum Ziel gesetzt hatte, in der Edition hinsichtlich der Anmerkungen größtmögliche Vollständigkeit zu erreichen, wurden der Erreichung die- ses Ziels durch die Dispersität der Korrespondenz, die große Anzahl der Adressaten und durch die sich daraus ableitende Themenvielfältigkeit Grenzen gesetzt. Im Bewusstsein dieser Risiken wird der Fachöffentlichkeit diese Edition als kritische Ausgabe der aus- gewählten Briefe von Maria Stona vorgelegt.

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Editionsstruktur

Die Korrespondenz ist chronologisch geordnet. Die einzelnen Positionen beachten die einheitliche Struktur – laufende Nummer des Briefes / Datierung / Name des Adressa- ten (mit Kapitälchen) / Umschrift des Brieftextes

Adressatenverzeichnis

Bahr, Hermann (1863–1934), österreichischer Schriftsteller, Literaturkritiker und Journalist 8, 168, 173 Börner, Wilhelm (1882–1951), österreichischer Schriftsteller, Arzt und Pädagoge 179, 180, 182, 184 Bolin, Wilhelm (1835–1924), finnischer Philosoph 1 Brandes, Georg (1842–1927), dänischer Literaturhistoriker und Schriftsteller 11–16, 19–23, 25–27, 29–35, 37, 39, 40, 42–45, 47–67, 69, 70, 74, 79–85, 87, 89, 92, 94, 95, 97, 101, 103, 105–110, 112, 114–116, 118–124, 126–128, 130–141, 143, 145–147, 149, 150, 152, 155–161, 164, 165, 167, 172, 175–178, 181, 183, 186– 187, 190–192, 194, 195, 198, 200–205, 210, 211, 213–216, 221 delle Grazie, Marie Eugenie (1864–1931), österreichische Schriftstellerin und Dramatikerin 4–6, 18, 28, 36, 38, 41, 88, 218 Dubsky von Trebomyslic (Viktor d. J. ?) 189 Ebner-Eschenbach, Marie von (1830–1916), österreichische Schriftstellerin 154, 174, 188 Förster-Nietzsche, Elisabeth (1846–1935), Schwester des Philosophen Friedrich Nietzsche 151, 153, 209, 219 Formes-Königswarter, Margarete (1869–1942), österreichische Schauspielerin 220 Guglia, Eugen (1857–1919), österreichischer Historiker und Publizist 142, 144, 169, 170 Hainisch, Marianne (1839–1936), österreichische Frauenrechtlerin 222, 223 Huch, Ricarda (1864–1947), deutsche Schriftstellerin 125, 129 J. G. Cottaʼsche Buchhandlung (Verlag) 111, 113, 117, 162, 163 Kraus, Karl (1874–1936), österreichischer Publizist, Schriftsteller und Dramatiker 224

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Kreutz, Rudolf Jeremias (1876–1949), österreichischer Schriftsteller 193, 197, 199, 212, 217, 225 Necker, Moritz (1857–1915), österreichischer Journalist und Literaturhistoriker 17, 166 Redaktion von „An der schönen blauen Donau“ 2 Rochowanski, Leopold Wolfgang (1888–1961), österreichischer Publizist, Schriftsteller und Verleger 196, 226 Rosegger, Peter (1843–1918), österreichischer Schriftsteller 9, 185 Schaukal, Richard von (1874–1942), österreichischer Schriftsteller 24, 46, 71, 75–78, 86, 93, 98–100, 102, 104, 227 Schnitzler, Arthur (1862–1931), österreichischer Schriftsteller 68, 72, 73, 90, 91, 148 Scholz, Wilhelm von (1874–1969), deutscher Schriftsteller 96 Servaes, Franz (1862–1947), deutscher Journalist, Literaturkritiker und Schriftsteller 206–208 Suttner, Bertha von (1843–1914), österreichische Pazifistin und Schriftstellerin 3, 7, 10, 171

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Ausgewählte Briefe von Maria Stona an Georg Brandes und Andere

1. 21. 7. 1887 an Wilhelm Bolin

Chropin Mähren 21 Juli 1887.

Hochverehrter Herr! Mein lieber Freund Carneri1 hat mir eine riesige Freude gemacht, indem er mir die Karte schickte, auf welche Sie so liebenswürdige Worte über „Presto prestissimo“2 geschrieben haben. Ich bin nämlich die Verfasserin der kleinen Reisebeschreibung, „habe die Ehre mich Ihnen vorzustellen“ (gegenseitige Verbeugung). Sie glauben nicht, wie selig ich bin, daß ein so gelehrter und berühmter Mann wie Sie das unbedeutende Ding gelesen hat und daß es ihm sogar ein Bisserl gefiel. Ich substrahire sehr viel von Ihren Worten, aber etwas bleibt noch immer übrig. Wenn man sich blos bedankt, um der Höflichkeit zu genügen, klingt es anders. So haben z. B. Car- neri und ich uns kürzlich über eine höchst ernste Brochure eines Bekannten, die einem populär-wissenschaftlichen Vortrag aus den „Flieg[enden] Blättern“3 glich, königlich amüsiert, und waren dann in nicht geringer Verlegenheit, wie wir dem Verfasser unsern 1 Bartholomäus von Carneri (1821–1909), österreichischer Politiker, Philosoph und Dichter. 2 Maria Stona: Presto prestissimo. Teschen 1887. 3 Fliegende Blätter, deutsche humoristisch-satirische Zeitschrift.

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Dank aussprechen sollten, ohne mit unserm Gewissen in Konflikt zu gerathen. Carneri zog sich glänzend aus der Affaire, er betonte, daß er aus dem Werk „sehr viel gelernt“ habe, ich beschränkte mich darauf, es als besonders interessant zu bezeichnen. Doch darüber vergesse ich ganz, weshalb ich Ihnen eigentlich schreibe, was Sie sich wahrscheinlich schon selbst gefragt haben. Danken will ich Ihnen für Ihr so nach- sichtiges gütiges Urtheil. Sie sollen es wissen, daß Sie mir eine große Freude machten! Und damit reiche ich Ihnen die Hand und grüße Sie von Herzen. Marie Scholz

2. 17. 2. 1891 an die Redaktion von „An der schönen Blauen Donau“4

Schloss Strzebowitz Post Schönbrunn5 Öst[e]r[reichisch] Schlesien 17/II [18]91.

Sehr geehrter Herr, Ich erlaube mir, mich Ihnen als M[aria] Stona vorzustellen u[nd] Ihnen bestens für die schnelle Aufnahme meines Schwankes „Schwarz in Schwarz“ zu danken. Habe heute früh freudiges Wiedersehen mit der „Blauen Donau“ gefeiert.6 Mit bewegtem Herzen sehe ich nun der gütigen Zusendung des Honorar’s entgegen, überzeugt, daß es meine glänzenden Erwartungen übertreffen wird. (Traurig u[nd] bitter genug, wenn man von Tinte u[nd] Druckerschwärze leben muß!) Darf ich Sie bitten, mir von dem Schluß des Schwankes 10 bis 12 Bürstenabzüge gnädigst zukommen zu lassen? Unter den unglücklichen Manuskripten, die Dr. Goldmann7 Ihnen wahrschein- lich in der schrecklichsten Unordnung übergeben hat, dürfte sich eine Novelette von mir („Im Seebad“)8 befinden, um deren Herausgabe – in Ihrem Blatte oder per Post – kurz, in irgend einer Form, ich ganz ergebenst bitte. Entschuldigen Sie den collegialen Ton meines Briefes, – ich habe mit Ihren Vor- gängern im Amte, den Ministern a. D.9 Mamroth10 & Goldmann stets in dieser Weise verkehrt – und sie haben mir trotzdem große Honorare gezahlt, wenn ich meine Feder 4 Briefpapier mit Trauerrand. Geschrieben kurz nach dem Tod von Stonas Mutter. 5 Svinov, Österreichisch-Schlesien (Tschechische Republik). 6 Wiener Literaturzeitschrift An der schönen Blauen Donau, in der Maria Stona seit 1887 einige Texte publiziert hat. Nachdem im Jahre 1890 von ihr keine Beiträge in der Zeitschrift erschienen waren, veröffentlichte sie im Jahre 1891 den Einakter Schwarz in Schwarz. Schwank in einem Act (S. 89–91, 113–115). 7 Paul Goldmann (1865–1935), österreichischer Journalist, Literaturkritiker und Schriftsteller. 8 Der Text mit diesem Titel wurde in der Zeitschrift nicht gedruckt. 9 Gemeint sind ehemalige Redakteure. 10 Fedor Mamroth (1851–1907), Journalist und Onkel von Paul Goldmann.

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in den Dienst der Donau stellte. Da Sie mich für einen Mann halten – Ihre Adresse ehrte mich heute als „Herrn M. Scholz“ unterschreibe ich mich, um Irrthümern vorzubeugen, einfach mit meinem Bilde. Ihre ergebene [Maria Stona]

3. 13. 5. 1891 an Bertha von Suttner

Schloss Strzebowitz Post Schönbrunn11 Öst[e]r[reichisch] Schlesien. 13/V [18]91.

Hochverehrte Baronin! Stolz ergreife ich heute die Feder, denn es gilt, Ihnen zu schreiben, Ihnen, „der Frau mit dem männlichen Geiste“, wie die Kritiker Sie mit Vorliebe nennen, überzeugt, damit das höchste Lob auszusprechen. Ich aber weiß, daß Sie das echte weibliche Herz haben mit seinem reichen Gefühl, den klugen sinnenden Verstand der Frau, ich weiß, daß Sie der Besten Eine sind. Ich bitte Sie, werden Sie nicht ungeduldig, – Sie müssen es sich nun einmal gefallen lassen, daß ich Sie schrecklich lieb habe – warum waren Sie auch so gütig gegen mich! 1 In wunderbarer Fröhlichkeit sind wir Sonntag um 3 /2 Uhr früh hier angekom- men. Der Morgen war so herrlich, daß ich am liebsten mit den Nachtigallen um die Wette gejauchzt und gejubelt hätte. Das Schluchzen kam erst später, als die weiblichen Gäste, die daran Schuld waren, daß wir Wien verlassen hatten – ausblieben! „Je nun, man trägt, was man nicht ändern kann –“ Und ich habe ja die Hoffnung, Sie in Wien wiederzusehen! Für den Verein gegen den Antisemitismus12 habe ich bereits einflußreiche schle- sische Namen gewonnen. Allen voran mein Vater, eine industrielle Größe, Josef Stonawski, ferner Heinrich Janotta13 Troppau,14 Direktor der dortigen Zuckerraffinerie, Alexander von Jutrzenka, ebenfalls dort Direktor15 u[nd] nebenbei Vater meiner Freundin Frau Hopp, von der ich noch alles Schöne Ihnen zu sagen habe – Direktor Willig der Zuckerfabrik Chiby16 Dr. Albert Scholz, mein Gatte, und, wie er behauptet, ein alter Bekannter Ihres

11 Anm. 5. 12 Verein zur Abwehr des Antisemitismus in Österreich. 13 Heinrich Janotta (1856–1944), Unternehmer und Mitglied des österreichischen Herrenhauses. 14 Opava, Österreichisch-Schlesien (Tschechische Republik). 15 Alexander von Jutrzenka (1816–1894), Unternehmer. 16 Chybie, Österreichisch-Schlesien (Polen).

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Gemahls,17 mit dem er in den Jahren 69–70–71 in Wien studiert u[nd] viel bei den Ba- ronen Klein18 verkehrt haben will. Natürlich werde ich weiter werben. Die Friedensliga19 wird zahllose Anhänger finden. Indem ich mir erlaube, ein kleines nonsense-Feuilleton beizulegen, grüße ich Sie und Ihren Gemal [!] von ganzem Herzen, und bleibe, hochverehrte Baronin, in alle Ewigkeit Ihre getreu ergebene Maria Scholz-Stona.

4. 17. 4. 1895 an Marie Eugenie delle Grazie

Strzebowitz 17/4 [18]95

Meine liebe Jenny! Das ist schnell gegangen, nicht wahr? Binnen 3 Tagen hatte ich das Manuskr[ipt] von Berlin wieder zurückerhalten mit beigeschlossenem Briefe, (Papierkorb!) (d. h. ich schicke ihn Dir für den Papierkorb.) Nun muß ich also die Güte des Herrn Rectors20 in Anspruch nehmen; ich bitte ihn recht schön, nicht böse zu sein, wenn auch Er das klei- ne Ding zurückerhält. Ich mache mir gar nichts daraus, habe gegen Redaktionen eine Krokodilhaut. Würde es dann mit der „Frankfurter Zeitung“, deren Dr. Mamroth21 mir befreundet ist, versuchen. Mir ist es nur schmerzlich, daß ich Dich und den Herrn Rektor belästigen muß u[nd] doch thut es mir wieder wohl, zu denken, wie gut Ihr seid. H[ermann] B[ahr] („Zeit“)22 hat eine Infamie gegen die Verfasserin des Robe- spierre23 begangen; darüber herrscht nur Eine Stimme unter den Wiener Redakteuren. Hugo Klein24 sagte, daß H[ermann] B[ahr] durch solche Bubenstreiche bekannt sei. Ein vergifteter Pfeil gegen den Mond abgeschossen. Für heute adieu. Tausend Dank Dir und dem Herrn Rector für alle Güte und Freundschaft. Es grüßt ihn herzlich und umarmt Dich Deine Dir treu ergebene Maria 17 Arthur Gundaccar von Suttner (1850–1902), österreichischer Schriftsteller und Ehemann von Bertha von Suttner. 18 Klein, nordmährische Unternehmerfamilie. 19 Österreichische Gesellschaft der Friedensfreunde. 20 „Rector“ oder „Professor“ – Laurenz Müllner (1848–1911), österreichischer Philosoph, Theologe und Freund von Marie Eugenie delle Grazie. 21 Hier in der Funktion des Redakteurs der Feuilleton-Rubrik der Frankfurter Zeitung. 22 Die Zeit, österreichische Zeitung. 23 Marie Eugenie delle Grazie: Robespierre. Leipzig 1894. 24 Hugo Klein (1853–1915), österreichischer Schriftsteller und Redakteur.

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5. 28. 9. 1895 an Marie Eugenie delle Grazie

Strzebowitz 28/9 [18]95.

Meine liebe Jenny! Zwanzigmal wolltʼ ich Dir schreiben, Dir für Deinen lieben Brief danken – kam nicht dazu. Weißt selbst, wie das geht. Vier Wochen lang war ich in Schmecks,25 wo ich keine Zeile schrieb, aber Bände zusammenschwatzte, was man ja wohl „sich gut unter- halten“ nennt. Die Höhenluft hat mir so gut gethan, daß ich jetzt ganz Kraft, Energie, Fleiß, Vollblut bin. In Schmecks hattʼ ich zwei große Erfolge: ich habe Bischof Fraknoi26 für Robe- spierre27 gewonnen und den Danton Ungarnʼs: Szilagyi.28 Ein Bischof! Du kannst Dir vorstellen, daß er Qualen litt bei manchen Stellen, die er mit Interesse las. Er nennt das Werk „eine („bedeutend“ verkleinert hier) Schöpfung, welche Form, Inhalt, dich- terischer Schwung u[nd] philosophischer Geist hoch über das Niveau der modernen poet[ischen] Litteratur erheben.“ „Speziell erregt meine Bewunderung der tiefe Blick der Dichterin, mit dem sie in die Geheimnisse der geschichtlichen Entwicklung großer Ereignisse einzudringen vermochte.“ So schreibt er mir. Wie freute ich mich über Dein Heft29 in der „Gesellschaft“. Bravo Bienenstein!30 Aber in Einem irrt er wohl. Nicht weil Du ein Epos schreiben wolltest, wähltest Du Robespierre, sondern weil Du Robespierrre wähltest, schriebst Du das Epos. Über die erste Anregung, die ein Dichter empfängt, werden sich die Kritiker nie klar. Ich kann mich immer ärgern, wenn mich jemand frägt: „Haben Sie viel Anregung in Schmecks gefunden?“ Ich finde sie nie unter hundert Menschen, aber ein Blatt, das vom Baume fällt, kann sie mir geben. Ach Eugenie, ich habe jetzt Stoffe – Stoffe, sagʼ ich Dir! Ich schwelge. Einer ist schon ausgeführt; ich brauche nur noch einige Studien in der chinesischen Abthei- lung des Hof-Museums zu machen.31 Den andern hat mir das Leben eben erst an den Strand gespült. Eine ganz einfache traurige Geschichte. Aber ich fand die Möglichkeit zu beweisen, daß die sogenannte Schuld des Einen nur die Consequenz der seit Jahr- hunderten geübten „Schuld Aller“ ist. Diesen Gesichtspunkt zu erfassen, ist die Kunst des Dichters; die Begebenheit zu schildern, trifft jeder Reporter.

25 Alt-Schmecks – Starý Smokovec, Ungarn (Slowakei). 26 Vilmos Fraknói (Wilhelm Fraknoi, 1843–1924), ungarischer Historiker und Titularbischof von Rab, Ungarn (Kroatien). 27 Anm. 23. 28 Wahrscheinlich Dezső Szilágyi (1840–1901), ungarischer Politiker und Jurist. 29 Thematische Nummer der Zeitschrift Gesellschaft über Marie Eugenie delle Grazie und ihr Werk. 30 Karl Bienenstein: M. E. delle Grazie und ihr Epos „Robespierre“, Gesellschaft 1895, S. 591–600. 31 Wahrscheinlich Studien zur Erzählung Die beglückte Stadt. Eine chinesische Provinzgeschichte, siehe Maria Stona: Die Provinz unterhält sich. Wien 1898.

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Ich zittere schon darauf, Dir meine Stoffe zu erzählen. Bist Du am 6. Okt[ober] schon in Wien? Darf ich Dir und dem Herrn Professor32 meine Reverenz machen? Ich bitte um 2 Worte auf beigeschlossener Karte. Rasend freuʼ ich mich auf eine Stunde bei Dir!!! Ich lege mich Dir bildlich zu Füßen u[nd] sage dem Herrn Professor meine herz- lichsten Grüße. Dich in neuer Schaffensfreudigkeit hoffend, umarmt Dich innig Deine Dir treu ergebene Marie

Vom Berliner Tageblatt33 habʼ ich noch nichts gehört. „Bis man dort aufersteht!“

6. 20. 12. 1895 an Marie Eugenie delle Grazie

Strzebowitz 20/12 [18]95.

Meine liebe liebe Jenny! Ich weiß nicht, wofür ich Dir zuerst danken soll, für den Kuß, den Du meiner Tochter auf die Stirn gedrückt – mir war es in jenem Augenblick so weihevoll zu Mut, u[nd] wie ein Schauer überflog mich das Ahnen großer Gedanken – oder für Deine und des Herrn Professors34 Herzlichkeit, dem Kinde u[nd] mir gegenüber, oder für Dein Buch. Aber für dieses werden Dir ganz andere danken als ich. Ich bin einfach hinge- rissen. Du hast Dich zur höchsten Freiheit emporgerungen, delle Grazie, u[nd] Dein Geist ist auf einer Höhe angelangt, wo es nur Dich giebt u[nd] den Gott in Dir. Und gerade jene Gedichte, die Dein „Ich“ offenbaren, das die Schlangenhaut der Subjek- tivität abgestreift hat und Ewigkeit im Auge trägt – gerade jene Gedichte lassen Dich so seltsam, so ungeheuer groß erscheinen. Ich kenne nichts Schöneres als „An den Schmerz“: „Und zwischen Himmel u[nd] Erde – Nach jenem nicht begehrend, Und diese kaum beachtend, Durchwalle ich die Zeit“. Und das sieghaft jubelnde 2. Lied im „Ich,“ das einen Stammbaum offenbart, vor dem Deinen Kritikern Hören u[nd] Sehen vergehen wird. Wie schwelge ich in den Mönchsberg Phantasien. „Die Lilien blühn im Klostergarten unten“.. Bild auf Bild entrollt sich – die Kinderschaar, die junge Nonne, deren Lebensbild so wundervoll mit dem der Lilien übereinstimmt – ein Ring, der sich schließt. Und dann die Bienen – auch ein Ring der sich schließt, meisterhaft ausgeführt u[nd] so schlicht u[nd] einfach, daß sogar ein Kind ihn spielend versteht. Helenchen ist

32 Anm. 20. 33 Berliner Tageblatt, eine von Rudolf Mosse 1872 gegründete Zeitung. 34 Anm. 20.

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von den Bienen entzückt. Ich bin entzückt von „In Gesellschaft“, deren Steigerung bril- lant ist, u[nd] von der andern Gesellschaft, in der man Dir empfahl, das Flügelkleid der Poesie „auf den alten Nagel der Weisheit“ zu hängen. Aber auch die Liebeslieder lieb ich u[nd] immer summt es mir im Ohre: „Helft suchen mir, helft suchen mir – Ich muß es wieder haben...[“] „Ein Rosenstrauch steht inmitten. Mein Liebster geht darüber hin mit langen harten Schritten.“ Das ist echter Volkston. Und welches Weib hat „Fahrʼ wohl“ nicht erlebt! Und welche sieghafte Kraft spricht aus dem „Wenn einst ich sterben gehe –“ Nicht müde könntʼ ich werden von Deinen Gedichten zu sprechen, aber Dich könnte mein langer Brief ermüden. Als wir Dich letzthin verließen u[nd] auch Frau S.35 weit war, rief Helenchen: „Du Mama, das war so schön! So interessant! Das hättʼ ich nie geglaubt.“ Sie hatte nämlich vor der Dichtersoirée einen gelinden Respekt gehabt. „Nein, so lieb ist sie!“ fuhr sie fort. (Das warst natürlich Du) „Aber weißt Du, sagen wird sie sich nicht viel lassen.“ (O ahnungsvoller Engel Du!) „Und der Schinken war so gut – und die Torte erst und der Wein!“ Ich packte Dein Buch aus. Wir waren allein in der Tramway. „Zeig... nein, Mama – nach dem Bild hättʼ ich mir keine richtige Vorstellung von ihr machen können. Das ist so fremd...“ Ich staunte übrigens über die gute, rasche Auffassung mit der Helene allen Ge- sprächen folgte. Ich bitte Dich, schreibe mir, welchen Eindruck sie auf Dich u[nd] den Herrn Professor machte – ob ich ihr irgendwo eine moralische Zwangsjacke anlegen soll, sie hemmen oder vorwärts führen. Sehr gern hätte ich Frau S. besucht, was sich auch geschickt haben würde, aber Helenchen bekam Schnupfen, ich ein schlimmes Auge, so daß wir anʼs Zimmer gefes- selt waren. Nun leb wohl, Du liebe, große, einzige Jenny! Ich geniesse wieder in träumender Seligkeit den stillen Frieden unseres Hauses – Weihnachten in mir. Alles Liebe dem Herrn Professor. Dich umarmt u[nd] küßt in treuer Liebe u[nd] hündischer Anhäng- lichkeit Deine Marie

35 Suttner (?).

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7. 3. 3. 1896 an Bertha von Suttner

Strzebowitz 3/III [18]96.

Liebe hochverehrte Suttner! Soeben aus Wien zurückgekehrt, finde ich Deine Aufforderung, von welcher mir Delle Grazie erzählte. Ich bin so erfreut, daß Du an mich gedacht hast u[nd] werde noch in diesem Monat Bild u[nd] einige Gedichte zur Auswahl senden,36 Laß Dir innig danken von Deiner Dir herzlich ergebenen Maria Stona.

8. 4. 6. 1896 an Hermann Bahr

Strzebowitz, Schönbrunn,37 Öster[reichisch] Schlesien. 4/VI [18]96.

Hochgeehrter Herr! Ich weiß nicht warum ich an den Moses von Michel Angelo38 denken muß, so oft ich Ihnen schreibe. Vielleicht kommen Sie mir auch so gewaltig, so zerschmetternd vor. Heute komme ich ganz besonders zaghaft zu Ihnen und doch mit einer heimlichen, stillen, großen Freude: mit meinem Buch. Ich drücke es Ihnen in die Hände und bitte Sie: nehmen Sie es freundlich an! Sie sollen es nicht lesen, ja nicht das Ganze, nur etwas daraus, die beiden letzten Geschichten. Wenn Sie dazu Zeit fänden, würden Sie mich sehr glücklich machen! Denn ich denke mir, daß der eine oder der andere Einfall Sie sympatisch berühren dürf- te, und daß ich vielleicht den Eindruck des Unfertigen verwischen könnte, den meine beiden letzten Einsendungen Ihnen machen mußten. Und noch eine große Bitte habe ich. Es wird der „Zeit“39 selbstverständlich ein Rezensionsexemplar zugehen. Nicht Moses sein und mich als Gesetzestafel oder goldenes Kalb behandeln, bitte, bitte! Lieber die Sünderin in mir sehen und sich als Christus fühlen... Und vor allem, wegen dieses Briefes nicht böse zu sein – Ihrer, verehrter Herr, ganz ergebene Maria Stona. 36 Aufforderung zur Herausgabe einer Gedichtsammlung, das Buch erschien unter dem Titel Frühlingszeit. – Vgl. Anm. 45. 37 Anm. 5. 38 Michelangelo Buonarotti (1475–1564), italienischer Künstler. 39 Anm. 22.

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9. 24. 6. 1896 an Peter Rosegger

Strzebowitz b[ei] Schönbrunn40 öster[reichisch] Schlesien 24/6 [18]96

Hochgeehrter Herr! Herr Konegen41 sandte mir heute Ihren gütigen Brief, und ich bin so glücklich, daß meine „Menschen und Paragraphe“42 Ihren Beifall fanden, daß Sie es mir gestatten müssen, Ihnen von ganzem Herzen für Ihre lieben Worte zu danken. Mit Freude stelle ich Ihnen „Bis man begraben wird“ für Ihren Heimgarten43 zur Verfügung, u[nd] dürfte H[err] Konegen Ihnen auch schon in diesem Sinne geschrieben haben. Diese kurze Geschichte, die Sie „tiefergreifend“ nennen, habʼ ich, wie Sie wohl mit feinem Blick erriethen, dem Leben Wort für Wort nachgeschrieben. Ebenso „Meine Mutter“ und „§335“. Zu den „Veilchen“44 ist manches hinzugedichtet, darum mag ich sie nicht recht, denn wir lieben nur, was wir selbst durchlacht oder durchlitten. Erlauben Sie mir, Sie der herzlichen Verehrung zu versichern, die ich schon seit Jahren für Sie fühle, und mich zu nennen Ihre, hochgeehrter Herr, ganz ergebene Maria Stona

10. 5. 12. 1896 an Bertha von Suttner

Strzebowitz 5/12 [18]96

Theure Suttner! Erlaube, daß ich Dich beglückwünsche. Die „Frühlingszeit“45 ist ein Prachtwerk. Die Männer sollten es uns in einer „Herbstzeit“ sogleich nachmachen. Herrlich ist das Buch. Ich bin ganz entzückt u[nd] mit mir alle, die es sahen. Mit tausend Grüßen Deine treue Stona.

40 Anm. 5. 41 Carl Konegen, Leiter des gleichnamigen Wiener-Verlags (1872–1903). 42 Maria Stona: Menschen und Paragraphe. Wien 1896. 43 Roseggers Heimgarten, „volkstümliche Zeitschrift“. 44 Nur zwei Veilchen. 45 Bertha von Suttner (Hg.): Frühlingszeit. Stuttgart 1896.

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11. 7. 6. 1899 an Georg Brandes

Schloß Strzebowitz Öster[reichisch] Schlesien 7 Juni [18]99.

Annie Vivanti! Annie Vivanti!46 Wo hatte ich den Namen nur gelesen? Richtig, in der Deutschen Dichtung47 war es, vor Jahren, da stand unter einigen Versen, die mich tief bewegten: „aus dem Italieni- schen der Annie Vivanti.“ Die zwei kleinen Strophen habe ich nie vergessen. „Ich bringe dir die weißen Veilchen dar, Von Farbʼ und Duft fehlt ihnen jede Spur, Sie theilen mit der blauen Schwestern Schar Gestalt und Namen nur.

Die Liebe, die dem Glück entsagen muß, Lebt blaß und traurig so im Herzen noch, Sie weiß von keinem Lächeln, keinem Kuß, Und Liebe ist sie doch...“

Seither habe ich selber viele Lieder geschrieben, mindere und bessere, alle aus dem Jubel und dem Schmerz des Erlebnisses, ohne besondere Form und ohne besonde- re Absicht, nur mit der durstigen Sehnsucht der Seele. Warum ich Ihnen, hochverehrter Herr, das alles sage? Ich möchte einmal vor Ihnen zu mir selber sprechen. „Du arme kleine Maria Stona“, so flüstere ich mir zu, „was nützt es dir, wenn die „Zeit“ so schön von der „vi- sionären Schönheit“ deiner Gedichte spricht, der Georg Brandes, für den es wirklich dafür steht, lyrisch zu empfinden (so wie es nur für wenige Männer dafür steht, hübsch zu sein –) er wird ja doch nie deine Lieder lesen... Mein Gott, und doch, wie herrlich wäre es, wenn es ihm einmal so in den Ohren klänge: Maria Stona – Maria Stona! u[nd] ihm keine Ruhe ließe, bis er sich den dummen Namen vom Herzen geschrieben. Bist immer eine muntere kleine Lerche gewesen – flieg hin zu ihm u[nd] zwitschere ihm deinen Sang vom blauen Himmel nieder...“ „Ich wills versuchen“, sage ich darauf ganz verständig und öffne die Flügel – zwei weiße Flüglein eines Briefes – und trage die „Lieder einer jungen Frau“48 weit in die Ferne....

46 Anna Emilia Vivanti (1866–1942), italienische Dichterin. Stonas einleitender Ausruf ist ein Zitat aus einem Feuilleton von Brandes, veröffentlicht in der Neuen Freien Presse. – Georg Brandes: Annie Vivanti, Neue Freie Presse 7. 6. 1899, S. 1–3, 8. 6. 1899, S. 1–3 (Original 1897, GBSS 11). 47 Deutsche Dichtung, deutsche literarische Zeitschrift. 48 Maria Stona: Lieder einer jungen Frau. Wien 1899.

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Verzeihen Sie mir!!! In hochachtungsvoller Ergebenheit begrüßt Sie, hochver- ehrter Meister, Maria Stona

12. 16. 6. 1899 an Georg Brandes

Schloß Strzebowitz, Öster[reichisch] Schlesien. 16 Juni [18]99.

Hochverehrter Herr, Die Freude, die ich beim Anblick der Marken aus „Danmark“ empfand, kann ich Ihnen gar nicht schildern. Ich schrie im ganzen Hause herum: „Georg Brandes hat mir geschrieben!“ Die alte Wirtschafterin, die aller Litteratur ferne steht, fragte ärgerlich leise: „Wer ist denn der Georg wieder?“ und witterte einen neuen Gast. In dem halbblinden Blick der Buchhalterin, die wie eine Zahlenreihe aussieht, leuchtete der Neid auf; ihr wird nie eine Berühmtheit schreiben: „Mit Bezug auf Ihr Geschätzes Letztes...“ Mein Mann, praktisch wie alle Ehemänner, mahnte: „So lies doch schon endlich...“ Aber er kannte mich schlecht. Ich habe noch lange nicht gelesen. Ich bin nicht so plump wie die Eva im Paradiese. (An ihrer Stelle hätte ich zwei Tage lang an dem Apfel gerochen...) Endlich las ich. Und nun dank ich Ihnen tausendmal für die Güte, mit der Sie mir geschrieben haben. Dacht ichs doch, daß ein ganzer Regen von lyrischen Briefen über Sie niederge- gangen sein wird, u[nd] freue mich, nun auch eines der Tröpfchen gewesen zu sein, das klatschend an Ihr Fenster schlug. Aber die Neue Freie Presse! Nein so was! Da sehe mal Einer das vornehme Blatt an! Maust sich so ein Feuilleton und protzt damit!49 Ich werde meinem Freunde Theodor Herzl50 in salbungsvollem Tone meine Meinung sagen. Ich schicke Ihnen die Zeitung in 2 Tagen. Hättʼ es gleich gethan, wenn sie die Wirtschafterin nicht unglücklicherweise den Tapezierern gegeben hätte, die Annie Vi- vanti51 ins Treppenhaus pickten, wo sie vielleicht in 100 Jahren Jene, die nach mir kommt, wiederfinden wird, wie ich jetzt unter den alten Tapeten die französischen Blät- ter fand, die der ehemalige Besitzer des Schlosses, der emigrirte Marquis aus Nancy52 gelesen hat, der auf dem kleinen Dorffriedhof unter alter Marmorplatte ruht...53 49 Annie Vivanti. 50 Theodor Herzl (1860–1904), österreichisch-ungarischer jüdischer Publizist und Schriftsteller. 51 Anm. 46. 52 Auguste Marquis de Ville (1776–1857), Gutsbesitzer. 53 Der erwähnte Grabstein befindet sich bis heute auf dem Strzebowitzer Friedhof.

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Vielzulang ist mein Brief – verzeihen Sie mir! Mein Gott, werden Sie bald ganz gesund!!! In Verehrung grüßt Sie fröhlich Maria Stona.

13. 4. 7. 1899 an Georg Brandes

Schloß Strzebowitz, Öster[reichisch] Schlesien 4 Juli 1899

Hochverehrter Herr, Ihr zweiter so gütiger Brief hat mir eine fast noch größere Freude gemacht als das erste. Und wieder jubelte ich durch das Haus, wer mir geschrieben! Aber diesmal kam ich schlecht weg. Ich hatte Gäste. Der Eine, ein ernster Professor, rief freundlich: „Wie nett! Ich kenne Georg Brandes, – ich werde ihm von Ihnen erzählen – Ja – ich werde diesen Anlaß sogar benützen, um ihm nach langer Zeit wieder zu schrei- ben..“ Ich fiel beinahe in Ohmacht. Das ist das geringste, was ich mir wünsche, daß unser gemeinsamer Bekannter – es ist Wilh[elm] Bolin aus Helsingfors – sich eines Tages hinsetze u[nd] Ihnen schreibe: „Ich war 3 Tage Gast der Frau Stona. Sie ist 163 Centimeter groß, hat zwei graue Augen und eine blonde Tochter; ihr Wesen ist kühl und ruhig u[nd] stimmt vortrefflich zu dem ihres Gatten...“ Ich bin über diese Vorstellung so erschrocken, daß ich 10 Tage lang schwieg, Ihre ganze Ernüchterung vorausfühlend. Aber nun packt mich die Angst, Sie könnten mich ganz vergessen u[nd] flugs bin ich wieder da, und aus der Flut Ihrer Briefe und Postsachen taucht mein fremdes Haupt empor.... Wilhelm Bolin, u[nd] wenn er Ihnen zehn Briefe schriebe, wird Ihnen nie sagen, wer ich bin, noch wie ich bin. Noch weiß es Einer von denen, die mit mir leben. Ich zähle 20 Jahre des morgens und 19 des abends und bin ein sonderbares Ding. Man beachtet mich nie, wenn man mich kennen lernt, und man vergißt mich nie, wenn man mich kennt. Und Ihnen gestehe ich, daß alle meine Lieder erlebt sind – O ich habe wundervolle Erlebnisse u[nd] mir ist, als zöge ich schon seit Jahrtausenden durch die Welt in immer neuen Incarnationen des Weibes. Meine Erlebnisse haben so viel Schönheit, so viel Sehnsucht und Leidenschaft. Der Dichter Jacobowski54 sagte mir gestern, ich gliche einer französischen Marquise aus dem XVIII. Jahrhundert. 5. Juli. Hier bin ich unterbrochen worden u[nd] das ist gut so. – Nun will ich Ih- nen ein wenig von Ihnen erzählen. Sie genießen in ganz Österreich u[nd] Deutschland ein ganz kolossales Ansehen. Sie sind der einzige Kritiker von europäischer Bedeutung. Von Ihnen ausgesprochen zu werden, heißt für die Unsterblichkeit proklamirt zu sein.

54 Ludwig Jacobowski (1868–1900), deutscher Journalist und Schriftsteller.

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Georg Brandes ist der Name, zu dem die Jungen beten u[nd] den die Alten mit unge- heuerm, vielleicht neiderfülltem Respekt nennen. Ich selbst habe sehr viele Aufsätze von Ihnen gelesen, aber kein Buch. Soeben bestellte ich mir Ihren Shakespeare.55 Die N[eue] Fr[eie] Presse treibt einen Cultus mit Ihnen, u[nd] es ist schade, daß Ihre Über- setzerin miserabel ist. Selbstverständlich habe ich Ihre gütige Mitteilung zur Kenntnis genommen u[nd] erwähne nichts gegen Herzl,56 den ich sehr lieb habe. Denken Sie sich, gestern entdeckte ich in der Modernen Dichtung57 – Ihr Bild! Wie mich das packte. Was haben Sie für seltsame Augen. Ich glaube doch, wir begeg- nen uns eines Tages – macht nichts – ich beichte Ihnen ruhig meine wunderschönen Sünden. Ich möchte, daß Sie etwas von meinem Leben wissen, darum schicke ich Ihnen ein kleines dummes Buch: „Die Provinz unterhält sich.“58 Vielleicht haben Sie einmal in einer Dämmerstimmung ein Weilchen Zeit für meine beiden lachenden Skizzen: „Der Ball“ u[nd] „Das Volksfest.“ Hui, wie mich die Provinz darum steinigte! Aber die Steine fügten sich zu einem kleinen Mausoleum, aus dem ich, in Verkennung seines ersten Zweckes, heiter auf die Zürnenden herabluge. Ich schicke Ihnen auch ein Heft der Gesellschaft59 mit Ihrem verliebten Gedicht. Herrgott, mögen Sie römische Erinnerungen haben! Wieder zu viel geschrieben u[nd] noch nichts gesagt! Wenn Sie mich nur nicht schon vergessen haben! In Verehrung grüßt Sie Ihre herzlich ergebene Marie Stona Bitte umblättern!

Nachschrift 1. Den Nordau60 u[nd] die Herzfeld61 können wir nicht ausstehen. NB 2. Um Gottes willen nie einen Sekretär! Zwei Personen machen unpersönlich. NB 3. Ich bin gar nicht hübsch. (Diese bedeutungslose Note nur zur Vollendung meines Steckbriefs.) NB Tausend innigen Dank für Ihren Brief!

55 Georg Brandes: William Shakespeare (Original 1895–1896, GBSS 8–9). 56 Anm. 50. 57 Moderne Dichtung, später Moderne Rundschau, Literaturzeitschrift der Wiener Moderne. 58 Anm. 31. 59 Die Gesellschaft, deutsche Zeitschrift. 60 Max Nordau (1849–1923), Arzt, Literaturkritiker, Publizist und Zionist. 61 Marie Herzfeld (1855–1940), österreichische Schriftstellerin und Übersetzerin.

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14. 23. 7. 1899 an Georg Brandes

Schloß Strzebowitz Öster[reichisch] Schlesien 23/7 [18]99

Hochverehrter Herr, Das ist so gut und lieb von Ihnen, mir zu schreiben. Ich weiß auch, was das für ein Opfer ist, u[nd] ich wollte, ich könnte Ihnen so schreiben, daß es sich für Sie ver- lohnte, meinen Brief zu lesen. Aber obgleich ich voll von Gedanken und Empfindungen bin und Sehnsucht und Träumen, so beginne ich Ihnen gegenüber zaghaft zu werden u[nd] begreife die Keckheit nicht, mit der ich die ersten Zeilen für Sie niederwarf. Ich möchte Ihnen viel erzählen, von Zeit zu Zeit, wenn mich in meiner Einsam- keit die Sehnsucht packt; aber Sie müssen nicht denken, daß Sie stets antworten müssen – das würde ja eine Last für Sie sein. Ich komme und plaudere und verschwinde – ists Ihnen so recht? Und nur manchmal lächeln Sie ein winziges Briefchen zu mir herüber. Gott, wär das schön, wenn Sie recht bald herkämen! Denn daß Sie eines Tages kom- men, darauf zähle ich gewiß. Aber bald – bitte bald! Das Leben fliegt so hin... Jetzt weiß ich, warum mir nichts an meinen Übersetzungen liegt, d. h. an den Übersetzungen meiner Novellen. Mir fehlt der brennende Ehrgeiz, der, wie ich jetzt nach Ihnen schließe, auch gar nichts Künstlerisches hat. Ich kenne überhaupt die Kunst nur als tief innere Beglückung. Wenn ich in Berlin oder Wien bin bei meinen Collegin- nen u[nd] Collegen, dann schauerts mich vor all dem Streben und Jagen und Neiden. Sehen Sie, mir ist letzthin ein sonderbarer Gedanke gekommen, für den mich die modernen Frauen steinigen würde[n]. Aus der Tiefe einer Empfindung quoll mir die Erkenntnis, daß: so wie Journalisten zumeist Männer sind, die ihren Beruf verfehlt haben – so sind Schriftstellerinnen zumeist Frauen, die das Glück verfehlt hat. Und unsere Begabung hat oft enge Grenzen – weil unser Gefühl keine hat.... Ich schickte Ihnen die Neue Fr[eie] Presse mit Ihrem sehr interessantem Feuil- leton über Hervieu62 – und eine kleine Novelle, die soeben von mir erschienen ist. Üb- rigens schlägt die Presse merkwürdige Bahnen ein. Bringt vor wenigen Tagen einen ungewöhnlich langen Essay von der Delle Grazie63 über einen Toten S[amuel] A[mi] Weiss,64 der sehr unglücklich war im Leben u[nd] auch dichtete. Und die durchaus genial veranlagte Delle Grazie gelangt zu dem kuriosen Schluß, daß eigentlich das Maß des persönlichen Unglücks für den Kritiker entscheidend sein sollte. Sie will die ganzen Kri- tiker auf den Kopf stellen. Nun glaub ich nicht an das ungeheure, nie unterbrochene Un- glück eines Lebens. Es giebt immer Tage, an denen die Sonne scheint. Freilich giebt es Naturen, die immer in den Schatten kriechen. Aber die verwirken das Recht auf Mitleid.

62 Georg Brandes: Paul Hervieu, Neue Freie Presse 20. 7. 1899, S. 1–5 (Original 1899, GBSS 7). 63 Marie Eugenie delle Grazie: Einem Todten, Neue Freie Presse, Abendblatt 18. 7. 1899, S. 4. 64 Samuel Ami Weiß (1858–1896), österreichischer Dichter.

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Mein alter Freund, der Philosoph Carneri65 ist nahe dem achtzigsten Jahre halb- blind, halbgelähmt, jede Sekunde von Schmerzen gefoltert, u[nd] doch ist er eben dar- an, Dantes66 Göttliche Komödie zu übersetzen. Darin liegt Kraft und Größe! Gott, der Genuß, einmal mit Ihnen zu plaudern! Wann kommen Sie denn nach Berlin oder Wien? Ich wohne an der Hauptstrecke, 2 Min[uten] von der Bahn entfernt. Nun adieu – ich wünsche Ihnen sehr sehr gute Erholung! Von ganzem Herzen grüßt Sie, hochverehrter Herr, Ihre ergebene Marie Stona.

15. 14. 8. 1899 an Georg Brandes

Strzebowitz Öster[reichisch] Schlesien 14/8 [18]99

Hochverehrter Herr, Unsere Briefe haben sich gekreuzt und darauf war ich riesig stolz. Es kam mir so vor, als ob Ihnen etwas an mir läge – eine kleine Einbildung, die nicht lange ange- halten hat, aber enorm wohlthuend war. Und aus kleinen guten Augenblicken besteht ja eigentlich das große Glück des Lebens... Millionen winziger Minuten, die sterben müssen, um unserm Dasein die Purpurfarbe zu geben – Kochenillethierchen. Ich bin so glücklich, daß meine Novelle „Im Spiel der Sinne“67 von Ihnen in so freundlicher Weise beurteilt worden ist. Sie mag wohl typisch sein, denn mehrere Frau- en meiner Bekanntschaft haben sich getroffen gefühlt u[nd] mich gefragt, ob ich sie meinte. Es ist sehr schade, daß Sie nicht fortgesetzt haben, über die Enttäuschungen der Frauen zu sprechen, die immer den Schluß bilden u[nd] je stärker sind, je weniger Seele in den Beziehungen lag. Grad, wo Sie am Interessantesten wurden, hörten Sie auf!! Und doch ist die Liebe so wunderschön u[nd] sicher die süßeste Illusion des Lebens. Aber eigentlich sollte man in der Jugend einen Einzigen und im Alter die ganze Menschheit lieben. So erweitern sollte sich das Gefühl. Es ist so thöricht, zu klagen, daß das Alter freudlos macht. Wir sollten wie die Bäume sein, die immer reicher wer- den mit den Jahren, immer stolzer und höher ihre Kronen tragen. Es ist jämmerlich, wie schlecht Ihr Gedicht übersetzt worden ist. Wozu übersetzt es dann so ein Kerl eigentlich? Das könnte mich wüthend ärgern. Letzthin zitirte ein Kritiker mein Lied: „Hab einen Traum begraben“ mit den Worten: „Welche rührend innigen Töne schlägt die Dichterin in dem Gedicht an: „Hab einen Treuen begraben – was liegt denn wohl daran!“ 65 Anm. 1. 66 Dante Alighieri (1265–1321), italienischer Dichter. 67 Novelle aus dem Buch von Maria Stona: Im Spiel der Sinne. Novellen. Breslau 1901.

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Ich habe so gelacht! Sie genießen jetzt an französischer Küste französische Frauen und französischen Geist. Ich gehe morgen ins Riesengebirge, um deutsche Tiefe zu athmen, deutsche Lan- geweile. Eigentlich ist es jetzt am schönsten zu Hause, – wir Schlesier haben ja nur zwei Monate Sommer, – aber mich ziehts doch fort von den alten ehrwürdigen Bäumen des Parkes; ich gehöre zu den Vögeln, die im Sommer ihr Bad haben müssen. Diese Sorte kommt unter den Frauen sehr häufig vor. Ach, wenn Sie mir schrieben – das wäre wohl schön! Mir wird alles nachge- schickt. Eine Polin schreibt mir eben entzückt von Ihrem Werk über Polen.68 Sagen Sie, komm ich Ihnen urdeutsch vor? Ich bin eine geborene Stonawski (beim Pseudonym ließ ich das wski weg) polnischen Ursprungs, deutscher Erziehung, österreichischer Anlage. Vielleicht hat darum mein Wesen so viele Elemente, die alle zusammen eine vollendete Harmonie ergeben. (Ich kaufe mir nächstens Ihr Bild. Wirklich!) Doch nun adieu – ich lege meine Hand über diesen Bogen – nun ists mir, als hielt ich die Ihre. Tausend Grüße! Ihre ergebene Maria Stona.

16. 26. 11. 1899 an Georg Brandes

Strzebowitz 26. 11. [18]99 von morgen an wieder Dresden, Lüttichaustr[aße] 24.

Hochverehrter Herr! So wohl hat mir Ihr gütiger Brief gethan – ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie wohl. Der erste Theil, der mich so richtig und scharf beurteilte u[nd] mir so klar sagte, wo meine Fehler liegen, und so liebenswürdig, als hätten Sie aus Vorzügen auf sie ge- schlossen, – und der zweite Theil, der mir von Ihrem ungeheuern Schaffen erzählte, von dieser kolossalen Arbeitskraft, die allein schon Größe ist. Ich danke Ihnen viele viele Male! Es ist so sonderbar, ich habe solch ein tiefes Vertrauen zu Ihnen und in den letzten Wochen, wenn es mir in der Seele schlecht ging, oft so wilde Sehnsucht gehabt, mich mit allen meinen Sorgen zu dem Menschen Georg Brandes zu flüchten, der so weise und einsichtsvoll und ruhig ist wie das weite Meer im Sonnenglanz. Aber dann wars zu wirr in mir, als daß ich Ihnen die Probleme hätte schildern können, unter denen ich litt... Heute, endlich! hab ich meinen Kampf aus-

68 Georg Brandes: Polen (Original Indtryk fra Polen 1888, GBSS 10).

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gefochten: mein Mann willigt in die Scheidung.69 Und merkwürdig. Wenn mein Vater nicht zum Schluß das treibende Wort gesprochen hätte, ich wäre fast erlahmt. So müde war ich schon der Thränen, die der arme Mensch weinte nicht aus Angst, mich zu verlieren, nur in der Sorge, einer bequemen, cavaliersmäßigen Existenz entsagen zu müssen. Nun, die Sache ist geordnet. Er athmete auf. Und ich erst!! Sehen Sie, Sie haben ja Recht. In uns Frauen steckt so selten etwas Größe. Aber fragen Sie sich, ob nicht in vielen Fällen die Männer daran schuld sind. Sie ziehen uns hinab in die Niederungen ihrer Seelen, bis dann irgend ein großes Ereignis kommt, das uns aufrüttelt... wohl in den meisten Fällen die Liebe. Auch darin haben Sie recht gerathen. Ja, ich habe Jemand sehr lieb gewonnen, vielleicht, weil es der erste Mann ist, der in meiner Nähe nicht zum Knecht geworden ist.70 Denn ich habʼ das Unglück, die Männer stets in Knechte sich verwandeln zu sehen. Und dann blick ich voll Verachtung auf sie nieder und ihre Liebe wird mir zur Qual. Aber ich bin nicht mehr so „selbstsicher“ wie auf jenem Bild. Doch habe ich viel mehr innere Ruhe und Sammlung. Und viel mehr Ernst. Ich war ewig nur „liebens- würdig.“ Ein liebenswürdiges Mädchen, eine liebenswürdige Frau, ein liebenswürdiges Talent. Gott, wie schrecklich! Ich hoffe, daß es damit vorbei ist. Vorige Woche ist ein perfider Artikel in einem schlesischen Blatt gegen mich erschienen, der auch meine beiden Kinder u[nd] meinen alten Vater angriff.71 Das Land johlte vor Freude. Ich ließ den Verfasser zwingen, sein Bedauern auszusprechen, – es war ein Racheakt, der meinem Büchlein „Die Provinz unterhält sich“72 galt. Mich hätte er angreifen können, so viel er wollte, aber meine Familie durfte er nicht hineinziehen. Ich habe Ihnen die stürmische Verehrung zweier geistvollen Polinnen zu über- mitteln, einer Frau von Romaszkan u[nd] ihrer reizenden Enkelin, der Gräfin Giorgi- Bonda;73 Sie können Ihnen nicht genug danken „für die Delikatesse Ihres Buches über Polen“. Die alte Dame sprühte von [!] Geist. Ihre Aperçus füllten in Dresden meine Tage. „Chacun de nous a un petit malheur quʼil chéri et un petit bonheur, qui lui fait mal...“ sagte sie einmal, u[nd] von einem unbedeutenden dänischen Grafen, der in un- serer Pension wohnte, sagte sie, seinen hübschen Fuß betrachtend: „Mutter Natur hat sich in seinem Fuß erschöpft; le reste a poussé de soi.“ Und dann sah sie wieder wehmütig auf ihr Leben: „Combien aurais – je pu faire! Que de bienfaits – pendent tant dʼannées. Et quʼest-ce que jʼai fait? Jʼai épousseté mes chambres – voilà tout...“ Selig, die auf ein reiches Leben blicken. Daher sind einer der seligsten – Sie! Ich verehre Sie sehr und drücke Ihnen herzlich beide Hände. Und danke Ihnen viele Male für alle Freundlichkeit, die Sie haben für Ihre Ihnen von Herzen ergebene

69 Die Ehe wurde im Jahre 1900 geschieden. 70 Es ist nicht klar, ob Stona Brandes oder jemanden anderen gemeint hat. 71 Nicht gefunden. 72 Anm. 31. 73 Wahrscheinlich handelt es sich hier um die Mutter von Maria Helena von Romaszkan (1856–1935), die Ehefrau von Marino Orsato Graf von Bonda (1840–1902), mit einer ihrer Enkelinnen.

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Marie Stona. Ich bitte um Nachricht, wann Sie in Wien sind. Ich komme bestimmt hin u[nd] könnt ich Sie nur für Minuten sprechen.

17. 4. 12. 1899 an Moritz Necker

Zur Zeit: Dresden, Lüttichaustr[aße] 24. 4 Dez[ember] 1899.

Hochverehrter Herr, Mein liebeswürdiger Freund, Dr. Herzl,74 ermuthigt mich, Ihnen meine Lieder zu senden. Vielleicht finden Sie sie einer kleinen Besprechung würdig, die für mich in den Spalten der Neuen Freien Presse von großer Wichtigkeit wären. Das „Litterarische Echo,“75 die „Gesellschaft“,76 das „Magazin für Litteratur“77 brachten und bringen ganze Essays über mich – viel mehr, als ich verdiene. Möchte das tonangebende, vornehmste Blatt Österreichs, ja Deutschlands, mir nicht einen kleinen Zehrpfennig mitgeben auf die Reise durch die Deutschen Gauen? Um Verzeihung bittend, wenn sie zu kühn gewesen, grüßt in hochachtungsvoller Verehrung Marie Stona.

18. 9. 3. 1900 an Marie Eugenie delle Grazie

Strzebowitz 9/III 1900

Meine liebe Jenny! Vor allem kündige ich dir den Besuch eines lieben Troppauer Freundes an, des Dr[.] E[dmund] W[ilhelm] Braun, Direktor des Museums,78 Verfasser des Artikels über

74 Anm. 50. 75 Das Litterarische Echo, deutsche Literaturzeitschrift. 76 Anm. 59. 77 Magazin für Literatur, deutsche Literaturzeitschrift. 78 Edmund Wilhelm Braun (1870–1957), Kunsthistoriker und Direktor des Schlesischen Landesmuseums, Troppau.

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mich in der Gesellschaft.79 Er will Dir an einem der nächsten Samstage seine Aufwar- tung machen, was ich dich bitte, als eine Huldigung für Deine Kunst aufzufassen. Dann habe ich eine große Bitte. Mir liegt immens viel daran, unter der Hand zu erfahren, ob Dóczi80 den deutschen Pub[l]izisten Schweinburg81 kennt oder ihn bei sich empfangen hat. Könntest Du das nicht vielleicht zufällig an Deinem morgigen Tour erfahren? Ich bürge für Diskretion u[nd] ehrenhafte Benutzung. Wäre Dir so dankbar! Über Lucias82 großen Erfolg juble ich. Gewiß ist sie in Wien. Grüße sie tausend mal von wir. Dir selbst und dem verehr- ten Herrn Professor alles Liebe, Herzliche u[nd] Schöne von Deiner treuen Marie (Maus)

19. 17. 3. 1900 an Georg Brandes

Schloß Strzebowitz Öster[reichisch] Schlesien 17. März 1900.

Hochverehrter Herr, Sie sind in Wien und ich kann Sie nicht einmal sehen! Daran liegt Ihnen nichts, aber mir sehr viel. Ich weiß auch nicht, ob Sie meinen Brief im Dezember bekommen haben – es sind mir hier so viele unterschlagen worden. Ich kämpfe noch immer um meine Freiheit wie das arme Burenvolk.83 In solchen Stunden äußerer Bedrängnis giebt uns nur die Kunst die innere Freiheit wieder. Ich habe ein Schauspiel „Großvater“ geschrieben über meinen herrlichen alten Vater u[nd] versenke mich jetzt in einen Roman. Und bin glücklich in den Stunden der Arbeit und bin sehr einsam, aber auch stolz und stark. Und verehre Sie sehr. Mit tausend Grüßen, die im Jubel verhallen, der Sie um- rauscht – Ihre ergebene Marie Stona.

79 Edmund Wilhelm Braun: Marie Stona (Sonderdruck aus: Die Gesellschaft. Halbmonatschrift für Litteratur, Kunst und Sozialpolitik 1900). Minden i. W. s. d. 80 Wahrscheinlich Lájos Dóczi (1845–1918), ungarischer Journalist und Dichter. 81 Viktor Schweinburg (?). 82 Lucia Morawitz (1870–?), Ärztin und Frauenrechtlerin. 83 Vergleich des Scheidungsverfahrens Stonas mit dem Burenkrieg.

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20. 21. 3. 1900 an Georg Brandes

Strzebowitz Öster[reichisch] Schlesien 21 März 1900.

Hochverehrter Herr! Ich habe eine so rasende Freude über Ihren lieben guten Brief. Seien Sie mir nicht böse, aber ich komme für einige Stunden nach Wien. Ich muß Sie doch sehen, und wenn es nur für wenige Augenblicke ist. Dummerweise bin ich morgen von einem Be- zirksgericht als Zeugin vorgeladen. So kann ich erst Freitag d[en] 23. hinkommen, um 5 Uhr nachmittags. Ich wohne im Hotel Meissl, neben dem Hotel Krantz. Und bleibe nur bis Samstag oder Sonntag. Aber am Ende sind Sie dann schon nach Budapest abgereist! Darf ich Sie bitten, in diesem Falle diese vorbereitete Postkarte aufgeben zu lassen. Natürlich reise ich Ih- nen auch nach Budapest nach. Dort habe ich eine gute Freundin. Die 10stündige Fahrt macht mir nichts. Ich freue mich schrecklich auf Sie. Und Sie werden mich auslachen, wenn Sie mich sehen. Ich bin so klein u[nd] unscheinbar u[nd] will immer imponirt haben? Eben durch meine Schwäche. Ach Gott, sagen Sie mir nicht ab! Man hat so wenig Freuden im Leben, u[nd] ich habe in den letzten Monaten wirklich so viel Schlimmes erlebt – aber alles ist ver- gessen, wenn ich hinauskutschiren darf zu Ihnen! Also darf ich? Vor mir brauchen Sie keinen Regenschirm aufzuspannen. Ich werde mit dem „großen Brandes“ gar keine Geschichten machen, nur mich rasend wohl fühlen in seiner Nähe. Und lachen – lachen – ich weiß nicht, worüber, vielleicht, weil das Leben so hübsche Momente hat. Nein, der J.84 ists nicht. – Also darf ich – darf ich? Ich grüße Sie dreitausend mal. Mit riesiger Freude fliegt Ihnen entgegen Ihre winzige Stona.

84 Jacobowski (?).

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21. 25. 3. 1900 an Georg Brandes

Strzebowitz. Öster[reichisch] Schlesien Station Schönbrunn85 25/III 1900. ½ Stunde vor Oderberg.86

Euer Majestät allergnädigster Beherrscher der Hölle und ihres Nachbarreiches! Die arme Seele ist also glücklich wieder in ihren heimatlichen Gefilden einge- langt und in der steinernen Gruft, Schloß genannt, zu längerer Ruhe abgestiegen. Und sie ahnt nur dunkel, daß über ihrem Haupte die Schlacht des Lebens weiter tobt... Prinz Hamlet eine Ophelia nach der andern ins Kloster schickt. ––– Großer Gott, war das eine langweilige Rückfahrt. Neben mir saßen 2 Frauen (2 oder 12 oder 24 – es ist immer dasselbe) u[nd] sprachen vom Wert der Gummi- galloschen und dem grauen Himmel bei Regen u[nd] waren so zufrieden in ihrer Be- schränktheit. Und ich hatte 2 Stunden vorher (2 oder 12 oder 24 – es ist immer dasselbe) mit einem glänzenden Geiste verkehrt und war so unzufrieden. Sonderbar! Ich schicke Ihnen eine kleine Rezension über mich, die ich hier vorfand. Nie fiel es mir ein, mich mit Fragen zu beschäftigen, wie der viel gerühmte Rezensent sie mir zumutet. Daß man doch immer für die natürlichsten Dinge die unnatürlichste Erklärung sucht! ––– Und nun danke ich Ihnen noch herzlich, liebenswürdiger und verehrter Prinz, für die schönen Stunden.87 Ich bleibe wirklich dabei, daß Sie amüsant sind u[nd] bin froh, daß ich keine Artikel über Sie schreiben muß, um Sie berühmt zu machen, nachdem Sie das Gott sei Dank schon ohne mich geworden sind. Sehen Sie – Sie sind zu groß – ich bin zu klein; daher werden unsere Beziehungen zu ihrem Vorteil stets der wechselseiti- gen Lobesversicherungen entbehren dürfen. Einen recht herzlichen Gruß. Wie gut ist das, wenn man sich kennt! Ich hoffe, daß es Ihnen möglich sein wird, auf der Rückreise hier einzutreten, – das wäre so rei- zend! Viel Vergnügen für Budapest! Und nicht mit gar zu viel Verächtlichkeit denken an ein armes Dummelchen.

85 Anm. 5. 86 Bohumín, Österreichisch-Schlesien (Tschechische Republik). 87 Am 24. 3. 1900 in Wien.

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22. 12. 4. 1900 an Georg Brandes

Strzebowitz Öster[reichisch] Schlesien 12 Apr[il] 1900.

Mein – (ich denke jetzt fünf Minuten lang nach, ob ich Sie wohl „lieber Freund“ nennen darf, oder ob Ihnen das zu arrogant erschiene? Aber mein Gott, lieb sind Sie mir und Feind sind Sie mir nicht, folglich sind Sie Freund, nach der Logik des Herzens. Also : ) Mein – Prinz! Sie haben gar keine Ahnung, wie ich mich über Ihren lieben Brief freute. Nun brauchen Sie mir ewig lang nicht zu antworten – bis ich ungeduldig und grob werde und zu fabeln beginne. Ich habʼ nur einen großen Kummer; wie Sie wohl die Reise zurückgelegt ha- ben mögen? Gleich aus Sympathie bin ich 4 Tage krank gewesen; nichts hätte mich vermocht, auch nur die Fußreise in das untere Stockwerk anzutreten, u[nd] Sie haben die Energie gehabt, so mir nichts, dir nichts von Budapest nach Kopenhagen zu eilen. Alle Achtung. Ihr Gepäck hätte ich übrigens sehen mögen. Wie viele Bücher hat man Ihnen wohl angehängt – u[nd] wie viel mögen Sie wohl von jenen unsichtbaren zierli- chen Erinnerungen mitgenommen haben, die man selbst pflückt wie rote Kirschen vom Baum.... Das mag eine gehörig belastete Heimkehr geworden sein. Wenn Sie nur schon gesund wären! Ich wünsche es von ganzer Seele. In Ungarn sind Sie ja über die Duse88 gefeiert worden. Ich sende Ihnen einige Zeitungsschnitzel.89 Ich bin schon sehr stolz auf Sie. In Deutschland begreift man nicht, daß man die deutsche Sprache als Ausländer nicht jeder andern vorzieht. So naiv ist man. Ich hätte Ihnen noch so viel zu erzählen, aber Sie hassen lange Briefe. Darum schnell das Wichtigste: ich schreibe einen prachtvollen Roman. Nicht spotten. Vorderhand macht er mich selig, u[nd] das ist die Hauptsache. Meine Scheidung ist auch Gott sei Dank bald erledigt. Heirat ist Brutalität; Scheidung Bestialität. Und nun adieu. Fröhliche Ostern! Mögen Sie ganz gesund und freundlich geden- ken Ihrer herzlich Ihnen ergebene Marie Stona.

88 Eleonora Duse (1858–1924), italienische Schauspielerin. 89 Im Anhang befinden sich Ausschnitte mit zwei Artikeln über Brandes: Georg Brandes in Ungarn aus der Neuen Freien Presse und Herr Professor Brandes hat das Wort aus der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung.

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23. 16. 5. 1900 an Georg Brandes

Strzebowitz Öster[reichisch] Schlesien 16. Mai 1900

Mein hochverehrter Prinz! In Wien hörte ich, daß Sie krank seien – und bin ich großer Sorge um Sie. Das Venenleiden, erzählte man mir, habe Sie wieder heimgesucht u[nd] Sie wären sogar im Krankenhaus. Wie schrecklich mag Ihre Rückreise gewesen sein. Für dieses dumme alltägliche Schmerzensleben braucht man oft einen wahren Heldenmut. Und dann hat man nichts erreicht, als blos: es ertragen. „Wie theuer ist die Kohle!“ jammerte einmal eine alte Tante von mir, „und man hat nichts von ihr, als daß man – nicht friert...“ So mags im Leben oft sein. Man braucht soviel Positives, um ein bischen Minus aufzuheben – wie viel Kräfte sind erst nöthig, um ein plus zu gewinnen! Ich war in den letzten 3 Wochen immerfort verreist; habe Gutes und Schlimmes erlebt u[nd] oft gedacht wie Recht Sie mit dem Worte hatten, daß Ehe isolirt. Ich würde mir ein zweites Isoliren doch noch sehr gründlich überlegen. Eigentlich sind wir nur glücklich, wenn wir uns in unserer Eigenart ausleben können, und die Ehe ist ein Reis, das die Cultur aufgepfropft hat. Ein notwendiges – gewiß; ein wilder Birnbaum taugt nichts, aber es will ja auch nicht ein jeder Birnbaum saftige Früchte tragen, zum Nutzen derer, die sie essen wollen. Ich will doch lieber ein wilder Birnbaum bleiben als zu einer Möhre im Gemüsegarten werden, will einmal im Jahre meine herrliche Blütenzeit ha- ben u[nd] hunderttausend Vögel in meinem Geäst umfangen. Honni soit qui mal y pen- se. Ich bitte Sie um eine Postkarte über Ihr Befinden. Mit tausend Grüßen Ihre ergebene Stona.

24. 24. 5. 1900 an Richard von Schaukal

Soeben las ich Ihre Studie über Saar,90 verehrter Herr Schaukal, und sie hat mir so ans Herz gegriffen, daß ich es Ihnen schnell sagen will und Sie in meiner Nachbarschaft begrüßen. Wir sind ja kaum einige Wolkenlängen von einander entfernt.91 Wenn einmal der Jacobowski92 bei mir zu Besuch sein wird, dann lade ich Sie ein; wollen Sie kommen? 90 Ferdinand von Saar (1833–1906), österreichischer Schriftsteller, Dichter und Dramatiker. 91 Schaukal heiratete 1899 Franziska (Fanny) Hückel (1877–1959), Tochter des Neutitscheiner Fabrikanten Johann Hückel. Einige der Briefe Stonas an Schaukal sind nach Neutitschein adressiert. 92 Anm. 54.

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Wie wunderbar fein besprechen Sie die Novellen von Saar und die deutsche Sprache dazu (die zwei kurzen Sätze über die seltsame Schönheit der Worte haben es mir angethan) und das junge Österreich und den Snobismus und die schöne Frau vom Louvre... Wirklich, prachtvoll ist Ihre hellsehende Träumerei, so vom Duft der eigenen Seele erfüllt. Ich begrüße Sie herzlich! Marie Stona.

Schloß Strzebowitz Öster[reichisch] Schlesien 24. Mai 1900.

25. 27. 7. 1900 an Georg Brandes

Strzebowitz Öster[reichisch] Schlesien 27 Juli 1900.

Mein gütiger Prinz! Ich war schon ganz verzweifelt, als Sie mir so lange nicht schrieben und wollte Ihnen eben nachlaufen – da kam Ihr lieber Brief. Und heute gar der zweite. Welche Freude! Wenn man das Reisefieber hat, ist man schon kerngesund. Reconvaleszent sein, heißt also wohl bei Ihnen nichts anderes als die Erinnerung an eine Krankheit noch im Kopfe zu haben – so wie man die Erinnerung an eine Liebe oft noch lange im Herzen hat. Ob es hier heiß ist? Fürchterlich. Eine Hitze, die Einen direkt leiden läßt. Ich flüchte in den nächsten Tagen für einige Wochen zu meinem Freunde dem 80jährigen Carneri;93 und nicht nur vor der Hitze, sondern auch vor 2 alten Tanten, die mein Va- ter sich eingeladen hat. Diese Weiber halte ich nicht aus. Mit ihren schwarzen Strick- strümpfen sitzen sie mumienhaft unter den großen Bäumen, die die Jahre nur reicher und schöner gestalten. Ich schwärme für dumme alte Männer; es liegt so eine ausglei- chende Gerechtigkeit in ihrer Dummheit. Aber dumme alte Weiber sind ein unverant- wortlicher Pleonasmus, eine Tautologie der Natur. Im September bin ich wieder zu Hause, dann wird es schön und kühl bei uns u[nd] wir kriegen den berühmten schlesischen Herbst.

93 Anm. 1.

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Wie schön wäre es, wenn Sie dann Ihre unterbrochene Reise nach Ungarn wie- der aufnähmen und herkämen!! Wie mirs geht? Herrlich. Die Scheidung ist noch immer nicht in allen Formalitä- ten erledigt, aber ich schwelge, als ob ich an der Schwelle eines neuen Lebens stünde. Ich bin voll Harmonie und die Kunst erfüllt mich so! Lachen Sie nicht. Man darf den Glücklichen nie auslachen – einerlei, was ihm Glück bringt. Glück macht heilig, weil es grenzenlos gut macht. Schwalble ich? Dann grüßt Sie von ganzem Herzen u[nd] freut sich sehr auf ein frohes Wiedersehen eine kleine Schwalbe

26. 9. 8. 1900 an Georg Brandes

Strzebowitz 9 Aug[ust] 1900.

Ich bin sehr unglücklich, mein Freund. Es ist alles anders gekommen, als ich dachte. Wir haben alle beide den Anschluß versäumt. Als ich meinem Vater heute sagte, daß der große Mann, den ich in Wien besucht habe,94 beinahe hergekommen wäre, sagte er in seiner gütigen, herzlichen Weise: Aber das ist doch sehr schade, daß er nicht kam! Und nun bin ich an allem Schuld. Und das dümmste: die Hitze ist fort, und nur eine Tante ist hier u[nd] ich konnte noch gar nicht abreisen, da die Buchhalterin plötz- lich Urlaub nahm u[nd] ich meinen Vater nicht allein lassen kann. Und Sie waren so nahe – Berlin! Das ist ja nur 9 Stunden von hier entfernt. Nun will ich das als gutes Omen nehmen, daß Sie beinahe schon hier waren, und hoffen daß Sie, wenn es in diesem Herbst unmöglich ist, so doch sicher im nächsten Frühling auf 14 Tage kommen! Mein schwacher Trost ist noch, – ach, das langweilt Sie ja alles! Ihr Brief hat einen sehr häßlichen Satz: Sie seien nicht alt und nicht jung genug... Pfui, mein Prinz... schämen Sie sich wirklich, einem guten Kerl, wie ich es bin, so zu kommen. Wenn Sie wüßten, in welchen Sorgen ich in diesem Jahre stehe, was alles auf mir lastet, wie viel von meinem hellen Kopf abhängt, dann würden Sie mir herzlich die Hand geben und sagen: „Frau Marie, Sie sind ein armer kleiner Teufel... ich sehe ein, daß ich Ihnen Unrecht that.. Nun seien Sie wieder gut! [„]Wir beide gehören zu den Menschen, die nie zu jung und nie zu alt sind, die einfach sind...“ So sollten Sie sprechen, aber das treffen Sie ja nicht. Voriges Jahr waren Sie in einem französisch[en] Seebad95 u[nd] schrieben: „bei

94 Am 24. 3. 1900. – Vgl. Brief Nr. 21. 95 Bagnoles-de-lʼOrne (Frankreich).

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der Table dʼhôte sitze ich mit 40 venenkranken Frauen..“ Ich dachte, Sie gingen nun wieder hin. Wann ich abkomme, weiß ich nicht. Aber fort muß ich, wenigstens auf einige Tage, das weiß ich. Ich wünsche von Herzen, daß Sie sich in Bremen sehr erholen u[nd] bitte Sie, schreiben Sie mir bald! Zu all dem Kummer, den ich habe, möcht ich nicht, daß Sie mir zürnen. Von ganzem Herzen grüßt Sie tausendmal Ihre treu ergebene Marie Stona

27. 20. 8. 1900 an Georg Brandes

20 Aug[ust] [19]00.

„Sie gehören zu mir..“ Ich gestehe Ihnen, mein Freund, daß dieses Wort etwas Suggestives hat und bilde mir ein, daß Sie es nicht meiner blonden Haare wegen gesagt haben. Ich hätte große Lust, darauf sehr stolz zu sein... (Wir Frauen sind so töricht! Wir kokettiren ewig mit unserm Geiste und sind doch kreuzunglücklich, wenn man uns häßlich findet.) Sonderbar – Auch ich habe in den letzten Tagen daran gedacht, daß Sie doch etwas von mir lesen sollten z. B. das Lebensbild meiner Mutter.96 Vielleicht schicke ich es Ihnen. Und nicht des Spaßes sondern des Ernstes wegen will ich jetzt einige Ihrer Wer- ke studieren. Was ich da in der Neuen Fr[eien] Presse vor 2 Tagen „Über Lectüre“97 las, hat mir so gut gefallen. Ich hatte das Gefühl, als ob wir im Hotel Krantz säßen u[nd] ich Sie plaudern hörte, unersättlich horchend, während Ihr Geist so über die Lande glitt u[nd] hier u[nd] dort einen kleinen Fußtritt erteilte. Die Feuilletons waren übrigens selt- sam geschrieben, – wenn es eine Überstezung war, dann ziehen Sie die Übersetzterin an den Ohren u[nd] kaufen Sie ihr eine deutsche Grammatik.

23. Aug[ust] Ich bin gestört worden u[nd] schließe heute in trüber Stimmung. Mir ist eine sehr theure Freundin gestorben. Ich war so erschüttert, daß ich gestern den ganzen Tag fiebernd zu Bette lag. Haben Sie Sinn für Freundschaft? Ist Ihr liebes Wort: „Ihr Freund“ wirklich ernst zu nehmen? Wie gern faßt ich Sie dann an beiden Händen!!! Aber Sie sind noch zu jung, um das Wort durchleben zu können. Gott sei Dank, daß ja dieser Fehler täglich sich bessert!

96 Vgl. Brief Nr. 9. 97 Georg Brandes: Über Lectüre, Neue Freie Presse 15. 8. 1900, S. 1–3, 17. 8. 1900, S. 1–4.

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Wenn ich am wenigsten an Sie denke, wollen Sie kommen? Also leider nicht so bald, denn jetzt denke ich ja viel an Sie. Denken Sie, ich muß Sie um etwas bitten. Ein sehr anständiger Berliner, Dr. Hans Landsberg,98 möchte so gern Ihren Essay99 über Björnson100 oder Jacobsen101 in einer vorzüglichen Essaysammlung bringen. Erlauben Sie ihm das? Natürlich müssen Sie Honorar verlangen. (Wirklich, ich fange an, Sie zu bemuttern.) Er schrieb schon an Sie, aber Sie haben ihm nicht geantwortet, was mir sehr gefällt. Erledigen Sie die Sache durch mich, ja? Ach bitte, erlauben Sie ihm den Essay! (Ich komm mir jetzt wieder wie die Pompadour102 vor, die ihrem Roi soleil103 etwas abschmeicheln will.) 5 Seiten – schon zu viel! Sie werden ungeduldig. Schnell adieu und viele viele herzliche Grüße! Mon roi soleil! Ihre M[aria] St[ona]

28. 28. 8. 1900 an Marie Eugenie delle Grazie

Strzebowitz 28/8 [19]00

Meine liebe Jenny! Herzlichen Dank für Deine liebe Karte. Ich freute mich so über sie u[nd] wollte Dir gleich antworten, aber da kam so mancherlei dazwischen. Meine gute alte polnische Freundin starb, von der ich Dir und dem Herrn Professor104 oft erzählte, u[nd] das hat mich so furchtbar erschüttert, daß ich ganz krank geworden bin. Mir war diese Frau be- sonders in den letzten Jahren sehr viel. Sie gehörte zu den starken fesselnden Geistern, die man unter den Jungen so häufig, unter den Alten so selten trifft. In der Regel sind die Alten zu müde, um sich noch die Mühe nehmen zu wollen, anzuregen, zu belehren u[nd] die Fülle ihrer Weisheit, die Summe ihres Lebens den Jüngern zu offenbaren. Geschwätzig sind zumeist solche, die uns nichts zu sagen haben. Ich habe Dir verehrungsvolle Grüße von Ludwig Jacobowski105 zu überbringen, der mehrere Tage hier zubrachte. Die deutsche Lyrik war heuer recht elend und wollte

98 Hans Landsberg (1875–1920), deutscher Schriftsteller, Theaterkritiker und Literaturhistoriker. 99 Es kann nicht entschieden werden, welcher Essay hier gemeint ist. Brandes hat mehrere Aufsätze über Bjørnson und Jacobsen geschrieben. 100 Bjørnstjerne Bjørnson (1832–1910), norwegischer Dichter und Politiker. 101 Jens Peter Jacobsen (1847–1885), dänischer Schriftsteller. 102 Jeanne-Antoinette Poisson (Madame Pompadour, 1721–1764), Mätresse des französischen Königs Ludwig XV. 103 Ludwig XIV. (1638–1715), französischer König. 104 Anm. 20. 105 Anm. 54.

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6 lb106 zunehmen, leider ist ihr das nicht gelungen, aber im Ganzen hat sie sich doch ein wenig erholt. Jacobowski ist einer der Fleißigsten, die ich kenne; den Kopf voll Pläne und die Hände voll Arbeit. An die Gesundheit wird gar nicht gedacht. Die kommt Ei- nem so überflüssig vor, so lange man sie hat. Jaco[bowski] möchte Dich sehr gern kennenlernen u[nd] hofft, daß Du ihn von Deiner Anwesenheit in Berlin verständigst. Zu meiner Freude hatte er sich hier in Carneris107 Werke vertieft u[nd] bringt unserm teuren Freunde so viel Bewunderung entgegen, daß er ihm das Novemberheft der Gesellschaft108 widmet. Dr. Rudolf Steiner109 schreibt den Essay;110 auch er ist ein Verehrer unseres Philosophen. Ich hab so eine Freude! Hoffentlich geht es Dir und dem H[errn] Professor sehr gut! Ich will jetzt auch ein bissel heidi! gehen, hab das Gesitze satt! Mein Mädel111 ist ein famoser geistvoller Kerl, mein Bub112 noch immer ein kleiner Esel! Ich hab viel gearbeitet in der letzten Zeit u[nd] freue mich jedes Tages. In der kleinen Skizze,113 die ich Dir schickte sind die 3 Helden Bacquehem,114 Carneri u[nd] Rosegger.115 1000 herzliche Grüße Dir u[nd] d[em] H[errn] Professor. In treuer Herzlichkeit u[nd] Liebe Deine Marie.

29. 31. 8. 1900 an Georg Brandes

Strz[ebowitz] 31/8 [19]00.

„Herrn Dr. Georg Brandes“ – das klingt so einfach, als ob es an Herrn Hinz oder Peter wäre, und es ist doch an den Brandes, den Brandes in Europa. Man hängt so sehr mit seinem Namen zusammen, – ich glaube, Sie wären ein Idiot geworden, wenn Sie Lab- sig hießen wie unser Pastor.116 Als Brandes mußten Sie natürlich zu einer Brandfackel werden. Ich danke Ihnen viele viele Male für Ihre beiden Bücher; sie freuen mich riesig. 106 Pfund. 107 Anm. 1. 108 Anm. 59. 109 Rudolf Steiner (1861–1925), österreichischer Esoteriker und Philosoph. 110 Rudolf Steiner: Bartholomäus Carneri, der Ethiker des Darwinismus, Gesellschaft, November 1900, S. 150–157. 111 Tochter Helene. 112 Sohn Albert. 113 Maria Stona: Der vierte Weise (Neue Freie Presse?). 114 Olivier Marquis de Bacquehem (1847–1917), österreichischer Politiker. 115 Peter Rosegger. 116 In Mährisch-Ostrau – Moravská Ostrava, Mähren (heute Ostrava, Tschechische Republik).

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Ich werde jetzt in Ihr Wesen eindringen; Ihr Urteil will ich kennen lernen, Ihre Einfälle, Ihren Charakter. Die englische und die Emigrantenlitteratur ist nur ein kleiner Umweg zu Ihnen, so wie die Völker „der Umweg sind, den die Natur macht, um ihre großen Männer zu zeugen.“ So nehmen Sie jetzt aber auch ein Stückerl von mir hin, ja? Wenn Sie mir eine Freude machen wollen, lesen Sie das Lebensbild meiner Mutter! Vielleicht noch „Bis man begraben wird,“ das ein ebenso schlechter Titel ist wie der Titel des ganzen Buches.117 Eine litterarische Freundin hat mich so versorgt. Die erste Geschichte in dem Bücherl ist miserabel;118 die zweite wird Sie nicht interessiren.119 Sie spielt in unserer Fabrik u[nd] zeigt meinen Vater als Chef aus der guten alten Zeit. Ich weiß ganz genau, daß Sie heute eine Sekunde lange an mich denken. In den Fingerspitzen fühlʼ ichs... Adieu, lieber Freund. Morgen reise ich endlich für einige Tage ab, vor allem nach Wien. Ich werde im Hotel Meissl an Sie denken! 1000 Grüße Ihre M[aria] St[ona]

30. 10. 9. 1900120 an Georg Brandes

Strz[ebowitz] 10 Sept[ember]

Es war sehr klug von mir, mein Freund, daß ich Ihnen gestern abend nicht geschrieben habe, denn ich dachte so viel an Sie, u[nd] aus solcher Stimmung erblühen törichte Briefe, die wie rote Rosen duften.... Ich aber will lieber mit Nesseln Sie beschenken, die wesentlich pikanter sind. Gott, ich habe Ihnen so viel zu sagen u[nd] nur vier elende kleine Seiten dazu, weiße Wände, an denen man hinabklettert. Also klettern wir... Vor allem tausend Dank für den dritten Band der Franzosen. Sie haben mir eine rasende Freude gemacht. Die andern kaufe ich mir. Es liest sich wundervoll und man lernt spielend. In Ihnen ist viel klingendes Spiel, Georg Brandes, und das liebʼ ich. Ich mag nicht den Tritt der deutschen Elefanten, pardon Gelehrten. Also „Über Lectüre“121 haben Sie deutsch geschrieben. Ich habʼ mir das eigent- lich gedacht, als mein Brief weg war. Für einen Ausländer beherrschen Sie die Sprache großartig; nur gegen den Schluß waren einige fremde Wendungen, ich glaube, nicht

117 Maria Stona: Menschen und Paragraphe. Wien 1896. 118 Nur zwei Veilchen. 119 §335. 120 Datierung anhand der Erwähnung des Aufsatzes „Über Lectüre“ von Georg Brandes. Vgl. Anm. 97 und 121. 121 Anm. 97.

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ganz korrekte. Soll ich sie Ihnen bezeichnen? Wollen Sie von mir lernen? Das wäre reizend. Ihr Feuilleton über Domati122 hat mir nicht gefallen. Sie dürfen nie Sachen schrei- ben, die auch ein anderer schreiben kann. Sie dürfen nie nachsichtig gegen sich werden. Ihre Essays über die Vivanti,123 über Hervieu124 waren glänzend, wozu aber Jemand mit gewaltiger Faust emporheben – u[nd] auf seine kleinen Fehler weisen? (Ich fange an, sehr streng mit Ihnen zu werden, mein lieber Freund... weil ich anfange, Ihnen wirklich gut zu sein.) Auf meinem kleinen Ausflug hab ich eine Menge komischer Sachen erlebt u[nd] sehr gewünscht, daß Sie in Wien wären. Meine Karte sagte es Ihnen. Also es bleibt dabei, Sie kommen im nächsten Jahre her. Ich freue mich schon auf Sie! Sind Sie Jäger, dann jagen wir zusammen. Ich habe eben zwei Fasanen geschos- sen. Zwei Schuß – zwei Fasanen. Ach – wenn Sie wirklich „Meine Mutter“ lasen, schreiben Sie mir einige Worte darüber! Aber ich bitte um die Gunst, beurteilt u[nd] nicht mit einer galanten Verbeu- gung abgethan zu werden. Ich schicke Ihnen ein kleines Reiseerlebnis, „Der vierte Wei- se,“ darin lernen Sie Carneri125 kennen.126 Heute war ich ganz außer mir vor Freude. Denken Sie sich, die litterar[ische] Gesellschaft in Dresden fordert mich auf, vorzulesen! Ich bin einfach selig! Im Januar will ich es thun; da bringe ich 14 Tage in Berlin zu u[nd] fahre dann stolz als Künstle- rin – zu den Sachsen. Gratuliren Sie mir. Ich hab eine so närrische Freude! Vorzulesen wünschte ich mir immer! Ach – lieben Sie mich nicht! Das macht nur traurig. Aber haben Sie mich lieb! Das macht froh! 1 000 Grüße! Ihre M[aria] St[ona]

122 Jean Domat (?). 123 Anm. 46. 124 Anm. 62. 125 Anm. 1. 126 Im Anhang befindet sich ein Ausschnitt mit dem erwähnten Feuilleton.

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31. 7. 10. 1900127 an Georg Brandes

Herzlichste Grüße! Hier sehen Sie Minna von Barnhelm und Franziska, auf Tellheim wartend.128 Wenn Sie nett sind, kriegen Sie eine furchtbar pikante Skizze zu lesen. Ihre M[aria] St[ona]

32. 8. 10. 1900 an Georg Brandes

Strzeb[owitz] 8 Okt[ober] [19]00.

Mein lieber Freund, Ihr Brief hat mich so traurig gestimmt: daß Sie so nah waren und ichs nicht wuß- te und Sie nicht die paar Stunden zugaben u[nd] herkamen! Froh macht es mich nur, daß Sie mir überhaupt schrieben. Wenn Sie lange schweigen, hab ich immer das Gefühl – (ich möchte „Angst“ verraten) Sie haben von der Idiotin jetzt gerade genug... Mich freuts, daß Sie so viel reisen und regieren u[nd] schaffen u[nd] alles mit der Raserei, die zu Ihnen paßt. So leben Sie hundert Leben in einem Jahr, während Andere in 100 Jahren kaum ein Leben genießen. Ich schwärme indessen den Herbst an, ein rein platonisches Vergnügen. Gestern sandte ich Ihnen eine Ansicht des Parkes und seiner Herrin. Da ich sie vorgestern adressirte u[nd] Sie mir vorgestern schrieben, gedachten wir einander viel- leicht zu der gleichen Stunde. Wie sonderbar. Sie haben Recht, so wie [Sie?] es sagen, muß man Ihr Buch lesen. Ich versinke also für die nächsten Tage in die 1000 Wellen Ihres Geistes. Und ich freu mich auf die- ses besinnungslose Genießen. Shakespeare – Brandes – – – Brandes – Shakespeare.129 Von ganzem Herzen Ihre Freundin St[ona]

127 Ansichtskarte mit zwei Frauen im Garten (wahrscheinlich Stona mit ihrer Tochter im Strzebowitzer Schlosspark). Datierung anhand des Poststempels und des Satzes „Gestern sandte ich Ihnen eine Ansicht des Parkes und seiner Herrin“ aus dem folgenden Brief. 128 Anspielung auf Lessings Mina von Barnhelm, Parabel über das Warten von Stona und ihrer Tochter auf Brandes. 129 Anm. 55.

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33. 15. 10. 1900 an Georg Brandes

15 Okt[ober] [19]00.

Mein Freund! Heute beginne ich den 3. Theil. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie ich in diesem kolossalen Werke lebe. Sie haben es um Ihretwillen geschrieben, das weiß ich schon jetzt, das fühl ich so heraus; aber es ist Ihnen gelungen, diesen Sonnenball auf Ihrer Hand emporzuheben, daß ihn alle sehen und er alle blendet. Sie werden noch einmal den Michel Angelo um Ihrer selbst willen schreiben, aber bis Sie viel älter geworden sind, die Jahre des Antonius weit, weit überschritten haben.130 Sie selbst sind in dem Shakespearebuch,131 Ihr ganzes ungebändigtes Sturmeswe- sen, Ihr Schmerz und Ihre Enttäuschung, Ihre Verachtung und Ihre Größe. Ich habe immerfort das Gefühl, daß zwei Gewaltige miteinander ringen. Indem Sie Ihn niederzwingen, heben Sie ihn empor, – indem Sie Ihn emporheben, zwingen Sie ihn nieder. Jetzt begreif ich Ihre Macht, und daß die kleinen Tagesartikel kleine Mücken sind, die Sie auslassen, die Gegner zu umsummen, zu stechen. So scheint es mir, daß Sie die beiden Russen gestern im Feuilleton der N[euen] Fr[eien] Presse („Gedanken und Gestalten“)132 nur darum festhielten, um die kleine Bemerkung über Tolstois133 Unwissenheit in die Feder fließen zu lassen. Wie geht es Ihnen? Was sagte der Arzt in Berlin? Ich habʼ große Sorge um Sie! Sie dürfen nicht wieder krank werden. Sie nicht! Ich grüße Sie tausendmal! Ihre M[aria] St[ona]

34. 20. 10. 1900 an Georg Brandes

Strzebowitz 20/10 [19]00

Mein Freund! Mit unendlicher Trauer habe ich diesen III Theil gelesen u[nd] als ich zu den letzten Worten kam, da saß ich lange, lange, in Schmerz und Thränen verloren. Ins Un- 130 Brandes hat tatsächlich ein Buch über Michelangelo geschrieben. Es erschien im Jahre 1921. 131 Anm. 55. 132 Georg Brandes: Gestalten und Gedanken. Urussov und Solowjew, Neue Freie Presse 14. 10. 1900, S. 29–30 (Original Urussof og Soloviof 1900, GBSS 17). 133 Lew Nikolajewitsch Tolstoi (1828–1910), russischer Schriftsteller.

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geheure ist die Gestalt Shakespeares vor mir aufgewachsen, mit dem Haupt die Ewig- keit berührend, indeß die Füße den Erdball verächtlich von sich stoßen... Aber nicht nur Shakespeare scheint mir so unermeßlich groß – So kann nur der ihn geschildert haben, der ihm in Augenhöhe gegenüberstand. So kann nur der ihn verstehen, der aus den gleichen Wunden geblutet hat. – (Großer Gott, was ist es für eine Pracht zu leben, wenn man solche Werke genießen darf!) Und da drängen sich die Idioten an Sie heran und wollen von Ihnen besprochen werden, wenn Sie wie Moses von dem heiligen Ber- ge herabsteigen, wo Sie unter Donner und Blitz mit Gott selbst gesprochen haben. Wie mögen Sie die Bande verachten! Und wie einsam sich fühlen. Dieses congeniale Verständnis der Größe zieht Sie immer wieder zu den Größ- ten. Shakespeare hat der Welt seine Werke – Sie aber haben der Welt Shakespeare geschenkt. Das mag Ihnen alles übertrieben klingen, aber Sie wissen, daß ichs so und nicht anders fühle. Ist es übertrieben, dann ist es Ihre Schuld u[nd] nicht die meine. O ich bin Ihnen so dankbar, so rasend dankbar! Wofür? Daß Sie das Buch schrie- ben. Es bedeutet einen Gewinn für das Leben, wie es deren Wenige giebt. Und es wird eine Zeit kommen, wo die Kraft, ein solches Werk zu schaffen, höher geschätzt werden wird als die angeborene Fähigkeit, ein paar Empfindungen in ein paar Versen tändelnd auszusprechen. Denn zu diesem braucht man nur ein wenig Natur, – zu jenem aber müssen sich ganze Culturepochen in einem einzigen Geiste verbinden. – Mein Prinz Hamlet – hoffentlich nie Timon – ich grüße Sie mit ganzer Seele. Ihre M[aria] St[ona]

35. 21. 10. 1900 an Georg Brandes

21. Okt[ober]

Ich möchte am liebsten gar nicht aufhören, mit Ihnen über dieses wundervolle Werk134 zu sprechen. Es lebt in mir fort und fort. Wie Michel Angelo135 das jüngste Gericht auf die Decke der Sixtinischen Kapelle malte, so zeichneten Sie die Gestalt Shakespeares auf das Gewölbe des Himmels. Ich habe langsam gelesen, alles laut, bei vielem verweilend, darüber sinnend, darüber träumend, – oft sprach ich zwischendurch mit Ihnen u[nd] drückte Ihnen zehn- mal die Hand. –

134 Anm. 55. 135 Anm. 38.

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Wie gut, daß Sie dem Landsberg Nein sagten.136 Sie sollen allen Menschen, die Sie in eine Heerde mischen wollen, Nein! sagen. Sie sind Sie u[nd] Sie stehen allein. Ich möchte jede Zeile von Ihnen lesen. Bleiben Sie ein klein wenig gut Ihrer M[aria] St[ona]

36. 28. 10. 1900 an Marie Eugenie delle Grazie

Strzebowitz 28/10 [19]00

Meine liebe Jenny! Als wenn meine Tochter ein Kind hätte kriegen sollen, genau so aufgeregt war ich gestern den ganzen Tag, u[nd] den ganzen Tag steckte ich in Deiner Haut, und um 7 Uhr saß ich im Theater u[nd] um ½ 8 hörte ich ganz deutlich ein riesiges Applaudiren.137 Dann aber wuchs das Fieber meines Helenchens, das vorgestern unglücklicherweise erkrankte – (heute Gott sei Dank viel besser!) und mir verging Hören und Sehen. Jetzt eben lese ich in der N[euen] Fr[eien] Presse das Weitere, lese von Deinem stürmischen Erfolg u[nd] beglückwünsche Dich von ganzer Seele. Ich freu mich so von Herzen! Habe so gebangt, nicht um den Werth des Stückes, der machte mir keine Sorge, aber die „Million,“ diese Menge, die unberechenbar ist, flößte mir Grauen ein. Diese Menschen mit den kleinen Gehirnen und den großen Hüten! Nun hast Du den Sieg erfochten, Glück auf rufʼ ich Dir aus ganzer Seele zu. Wie wird der Herr Professor138 sich freuen. Ich grüße Dich und ihn von Herzen u[nd] bin in treuer Ergebenheit Deine Marie

136 Vgl. Brief Nr. 27. 137 Uraufführung des Dramas Schlagende Wetter, Deutsches Volkstheater, Wien. 138 Anm. 20.

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37. 28. 10. 1900 an Georg Brandes

Strzebowitz 28 Okt[ober] [19]00.

Mein Freund, Ich ärgere mich sehr, daß ich Ihnen einen so exaltierten Brief schrieb. Sie haben verrückter Weiber genug um sich, mehr als Sie zählen können. Ich will nicht so ein verrücktes Weib sein! Wenn Ihr Shakespeare139 ein so kolossales Werk ist, so ist das im letzten Grunde doch nicht Ihr Verdienst, denn Sie können ja nichts für Ihr Genie – so wenig wie ein Schwachkopf für seine Dummheit. Es waren eben alle Voraussetzungen zu Ihrer Entwicklung gegeben. Ich gestehe Ihnen übrigens, ohne Exaltation, daß ich mit Entzücken Ihre Litteratur des 19. Jahrhun- derts140 lese. (Diese dummen Weiber! Immer streuen sie sich als Rosenblätter unter die Füße der großen Künstler.) Gestern las ich von einem neuen Shakespearebuch (Studie)141 von Leon Kell- ner.142 Der Verfasser erzählt harmlos, daß Sh[akespeare], während er beglückt im Kreise seiner Familie in Stratford143 seine letzten Lebensjahre verbrachte, aus dem Friedensi- dyll heraus seine Cymbeline u[nd] seinen Sturm schrieb... Diesen Leon Kellner sollte man doch irgendwo annageln. Aber da hätte man viel zu thun, wenn man alle solche Kellner, die gefälschten Wein serviren, fassen wollte. Wenn das deutsche Publikum das trinkt – Wie sonderbar. Ihr Feuilleton über die beiden Russen144 – es war ganz zerhackt – sandte ich Ihnen nicht, obwohl ich Ihnen schon lange alles sende, was ich in der N[euen] Fr[eien] Presse von Ihnen finde. Aber im letzten Moment hat ichs weg, daß das alles nur der Frau wegen geschrieben war. Und das vedroß mich. Der letzte Absatz war nur an sie gerichtet u[nd] klang in Wehmut aus. Und der ganze Artikel – flog in den Ofen. Seien Sie mir nicht böse. Ich hasse es, daß die Frauen sich so erniedrigen – denken Sie an Abbé Liszt.145 Wenn das so fort geht, werden Sie entsetzlich eitel werden u[nd] dadurch – genau so klein wie die Frauen. Doch nun dankʼ ich Ihnen herzlich von [!] Ihren guten Brief. Er hat mich sehr erfreut. Ich bin glücklich, daß Sie nun ganz gesund werden, aber ja sich genau nach den Verordnungen halten! Und nicht so zigeunern! – Tausend Dank für alles Liebe, das Sie mir thun! M[aria] St[ona]

139 Anm. 55. 140 Georg Brandes: Hauptströmungen in der Literatur des Neunzehnten Jahrhunderts (Original Hovedstrømninger i Det 19. Aarhundredes Literatur 1874–1887, GBSS 3). 141 Leon Kellner: Shakespeare. Leipzig – Berlin – Wien 1900. 142 Leon Kellner (1859–1928), österreichischer Literaturhistoriker und Zionist. 143 Stratford-upon-Avon (Großbritannien). 144 Urussov und Solowjew. – Vgl. Anm. 132. 145 Franz (Ferenc) Liszt (1811–1886), österreichisch-ungarischer Komponist, Pianist und Dirigent.

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38. 1. 11. 1900 an Marie Eugenie delle Grazie

Strzebowitz 1 Nov[ember] [19]00

Meine liebe Jenny! Trotz aller nörgelnden Kritik habe ich den Eindruck, daß Dein Stück146 einen kühnen, starken und gewaltigen Eindruck in Wien gemacht hat, wie er lange nicht von der Bühne ausgegangen ist. Die Rezensenten kommen mir vor wie dicke Maikäfer, die auf den Rücken gefallen sind und mit allen Füßchen strampeln u[nd] den Sturm leug- nen wollen, der über sie hingebraust ist. Ich beglückwünsche Dich nochmals u[nd] aus ganzem Herzen. Wie gern käme ich jetzt nach Wien, aber es geht mir schwer zusammen. Ich nehme nämlich in Breslau147 einige Lektionen im Vorlesen, da ich im Winter – höre und staune! – von litterarischen Vereinen eingeladen, in Deutschland „lese.“148 Und nach Breslau u[nd] Wien kutschieren, geht fürs Erste nicht. Aber ich komme, sobald ich kann. Den Herrn Professor149 und Dich grüßt inig [!] Deine treue Marie

39. 15. 12. 1900 an Georg Brandes

Strzeb[owitz] 15/12 [19]00 abends

Mein verehrter lieber Freund! Ich habe Ihnen so lange nicht geschrieben und nun denke ich heute mit inniger Freundschaft an Sie, mit Sehnsucht fast u[nd] mir ist, als hätte ich erst gestern mit Ihnen geplaudert. Ihr französischer Brief hat mir einen Begriff von Ihrer Thätigkeit gegeben. Ich kann nicht für Island kämpfen u[nd] nicht gegen die Vereinigten Staaten zu Felde zie- hen – aber zu kämpfen habʼ auch ich genug, und nicht nur die Frauen sind es, denen mein Zorn, meine Gedanken, mein Schmerz gehört. Ich kann Ihnen nicht genug danken für das wunderschöne Buch, das Sie mir heu- te geschickt haben, mir doppelt wertvoll durch den freundlichen Gruß von Ihrer Hand. Mit welchem Genuß werden mich diese Studien erfüllen! Ich kenne nun schon ein ganzes Stück Ihrer Seele – u[nd] immer noch sagen Sie, ich kenne Sie gar nicht! Um so besser glauben Sie mich zu kennen. 146 Anm. 137. 147 Wrocław (Polen). 148 Maria Stona absolvierte um diese Zeit eine Serie von Autorenlesungen in Deutschland. 149 Anm. 20.

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Ach, es ist ja gleichgiltig, ob wir alle Irrwege unserer Seele kennen, wenn wir nur ein wenig Wärme für einander haben. Es ist so fröstelnd kalt auf der Welt. Daß ichs nur schnell heraus sage: heute habe ich eine große, große Bitte an Sie, eine wirkliche Bitte, die ich mit aufgehobenen Händen Ihnen vortragen möchte, mit flehenden Blicken. Ach sagen Sie nicht „nein“ – ich bitte Sie, weisen Sie mich nicht zurück! – Am 2. Dezember starb mein Freund Jacobowski.150 Sein Tod – der 3. Todesfall unter meinen Freunden in diesem Jahre – hat mich tief erschüttert. Jacobowski hat sich zu Schanden gearbeitet, er war fast so fleißig wie Sie; sein Tag hatte nur Arbeitsstunden u[nd] keine Minute der Erholung. So, zart u[nd] schwächlich von Constitution, brach er zusammen. Ich will eine Art Gedenkbuch über ihn herausgeben; seine Berliner Freunde sol- len mir helfen. Ein Buch voll Sonne und Leben. Jeder von ihnen soll über ihn schreiben, der eine Anekdote, jener einen Essay. Jacobowski soll noch einmal lebendig werden unter uns. Nun weiß ich, daß es des Toten heißester Wunsch war, daß Sie seinen Namen auf die Lippen nehmen u[nd] er so vor Europa erklingt. Ich schmeichle nicht. – Für den Lebenden hätte ich nie um eine Gunst gebeten, – für den Dahingegangenen thue ich es mit Wonne. Würden Sie einem großen starken Talente zu Liebe, das in der Blüte seines Wir- kens gebrochen ward, ein wenig in den Büchern blättern, die ich Ihnen schicke? „Loki“151 folgt direkt vom Verleger; die „Leuchtenden Tage“152 u[nd] einige Büchlein schicke ich selbst u[nd] unterstreiche gleich die schönsten Lieder. Um was ich nun bitte? Um einige Worte für mein Buch, das den Titel führen soll: „Ludwig Jacobowski im Lichte des Lebens“153 – möge es nun ein Geleitwort sein oder ein kritischer Essay! Ihr Interesse für den Toten will ich erwecken; er verdient es bei Gott! Lächeln Sie nicht über mich. Ich bin Jacobowski so großen Dank schuldig, er hat mich gefördert u[nd] mir litterarisch die Wege geebnet, wo er konnte. Ich kann ihm kei- ne Wege mehr ebnen, ich kann nur seinen Namen ein klein wenig emporhalten, u[nd] Sie – wenn Sie mir ein wenig gut sind! – vergolden ihn... Ja?? Mit treuen innigen Grüßen Ihre Marie Stona.

150 Anm. 50. 151 Ludwig Jacobowski: Loki. Roman eines Gottes. Minden 1899. 152 Ludwig Jacobowski: Leuchtende Tage. Neue Gedichte 1896–1898. Minden 1900. 153 Maria Stona (Hg.): Ludwig Jacobowski im Lichte des Lebens. Breslau 1901.

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40. 1. 3. 1901154 an Georg Brandes

1 März abends

Kennst du die Sehnsucht nach dem Leben, Die Furcht, daß dich der Tod beschleicht, Ehʼ dir dein bestes Glück gegeben, Ehʼ du dein letztes Ziel erreicht?

O diese Hast, ihn auszutrinken Den Becher deiner Erdenlust – O diese Angst, hinabzusinken, Wo keine Wonne dir bewußt...

Und kämʼ der Tod mit tausend Rossen Und jagte mich ins finstre Grab – Ich folgtʼ ihm nicht, eh nicht genossen Ich deine ganze Liebe habʼ!

Diese Verse fielen mir eben ein, Georg Brandes, als ich Ihren Brief las, der viel Sehnsucht in mir erweckte. Es ist so sonderbar, mein Freund – (je herzlicher ich fühle, umso karger fließen die Anrede Worte) wenn man einander auch noch so selten sieht u[nd] noch so selten schreibt, irgendwie spinnen die heimliche Fäden, fast uns unbe- wußt, ihr Gewebe weiter u[nd] wir sehen mit einem male erschrocken u[nd] überrascht, wie nahe wir einander gekommen sind, – so im Winterschlaf... Von der würdevollen Freundschaft will ich gar nichts wissen; ich habe die schönste Absicht, mit Ihnen zu flirten, ich bitte Sie um Gotteswillen nur nichts deutsches und langweiliges. Nur keine „Beziehungen,“ die sich in einem dünnen Faden ausziehen u[nd] keine Kraft u[nd] kein Ende haben. Ich kenne das zur Genüge – hu! Etwas Graziöses, Tolles, Lachendes, Nixenhaftes – Entschwindendes. Nur keine Banalität. Ich liebe den Duft der Erdbeere mehr als die Erdbeere selbst. Aber jetzt die Hauptsache. In dieser Jahreszeit können Sie nicht kommen. Wir haben keine Wege, keinen Park, fast keine Zimmer. Die alten Steinwände dieser neun- hundertjährigen Veste sind nicht zu erheizen. An so was muß man gewöhnt sein, um es hinzunehmen. Wir verdienen uns hier den Frühling schwer. Ende April und Mai wird es

154 Der Nebensatz „daß Sie Jacobowski nicht sehen“ weist eher auf die um ein Jahr ältere Datierung (1900) hin, vor Jacobowskis Tod am 2. 12. 1900. Die Hervorhebung des Worts sehen kann jedoch eine bildliche Äußerung bedeuten (zum Beispiel an die Adresse des Beitrags von Brandes für den vorbereiteten Sammelband über Jacobowski). Für das Jahr 1901 hingegen sprechen relativ klare Anweisungen für Brandesʼ Reise nach Strzebowitz. Im Jahre 1901 führte auch Stona in den Briefen häufig nur das Tagesdatum an. Auch der Seufzer über die seltenen Treffen fällt wahrscheinlich erst in die Zeit nach dem ersten Treffen von Stona und Brandes am 24. 3. 1900 in Wien.

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erträglich. Bitte, bitte, liebster Freund, halten Sie es noch so lange in Kopenhagen aus u[nd] kommen Sie dann direkt her! Sie wissen – heute wissen Sie es ja – mit welcher Freude ich Sie erwarte. Eins ist sicher: ich war immer ehrlich mit Ihnen. Das macht mir große Sorge, daß Sie Jacobowski nicht sehen. Ich schicke Ihnen 2 Bändchen seiner Volksbibliothek, ein großes Unternehmen, [Schluß fehlt]

41. 11. 4. 1901 an Marie Eugenie delle Grazie

Strzebowitz 11/4 [19]01

Meine liebe Jenny! Zu Deinem Traumland155 muß ich Dich von ganzem Herzen beglückwünschen und in reiner Freude. Das ist eine ganz vorzügliche, glänzende Studie, Deinem dich- terischen Genius entsprungen, u[nd] was mich an ihr so freut, ist, daß sie trotz alles freundlichen Entgegenkommens die Linie haarscharf zieht, die den echten Dichter von dem – Schriften zusammen stellenden u[nd] stehlenden Schriftsteller unterscheidet. Das Traumland eröffnet damit den Plebejern den Blick in schaffende, schöpferisch schaffende Seelen, u[nd] das ist in meinen Augen sein größter Vorzug, wenn ich auch die unendlichen Schönheiten und Feinheiten dieser genialen Studie u[nd] ihres Wertes für andere Gebiete des Wissens voll anerkenne. Gerade in letzter Zeit habe ich direkt einen physischen Schmerz empfunden, so oft ich während der Arbeit gestört wurde. Und diese Seligkeit des Schaffens! Trat ich unter Menschen, so war es mir immer, als käme ich von irgendwo herab, aus fernen lichten Höhen u[nd] ich fühlte, daß meine Blicke etwas Geisterhaftes hatten. Was wis- sen diese Millionen von unsern Wonnen! Jeder Tag eine neue Offenbarung, eine neue Lust! Ich hab schon große Sehnsucht nach Dir, liebe Jenny. War ewig lang nicht in Wien, dafür oft in Deutschland drüben, las in Dresden und Breslau,156 machte vorher große Studien dazu, was mir auch wieder eine Fülle von Schönheit in der Sprache er- schloß. Jedes Wort ist eigentlich ein ungefüger Block, den man erst formen und beleben muß. Ich hatte zu meiner Freude einen sehr hübschen Erfolg. In Berlin war ich mit Clara Viebig157 zusammen, Gabriele Reuter,158 Max Hal- be159 – Dr. Rud[olf] Steiner160 es waren sehr schöne Stunden. – Soeben bin ich mit der

155 Marie Eugenie delle Grazie: Traumland. Zur Psychologie des Traumes in der Dichtung, Neue Freie Presse 4. 4. 1901, S. 16–18. 156 Anm. 147. 157 Clara Viebig (1860–1952), deutsche Schriftstellerin. 158 Gabriele Reuter (1859–1941), deutsche Schriftstellerin. 159 Max Halbe (1865–1944), deutscher Schriftsteller. 160 Anm. 109.

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Herausgabe einer Art Gedenkbuch161 für den armen Jacobowski162 beschäftigt, das ich mit Beiträgen von Georg Brandes, Otto Reuter,163 R[ichard] M[aria] Werner164 u. A. herausgebe: „Ludwig Jacobowski im Lichte des Lebens“ ist sein Titel. Du kannst Dir vorstellen, wie furchtbar mich sein Tod erschütterte. Noch im August war er bei uns gewesen, aber schon ganz verändert. Schreib mir doch wieder einmal ein paar Zeilen! Weißt Du noch, Du wolltest uns zu dreien einmal in Lyrik guillotiniren in der N[euen] F[reien] Presse, die Elsa Zimmermann165 noch Eine u[nd] mich. Ist nichts draus geworden? Wie schade! Ich hatte mich schon so gefreut! Steiner mußte ich viel von Dir erzählen. Der verehrt Dich so. Eine sehr liebe gute Frau hat er. In Breslau ist Koch166 Dein großer Bewunderer, sagte man mir dort. Doch jetzt adieu. Herzlichste Grüße dem Herrn Professor167 und Dir von Deiner treu ergebenen Marie

42. 19. 4. 1901 an Georg Brandes

Strzebowitz 19/IV [19]01.

Mein Freund, die Fenster werden schon geputzt – jetzt müssen Sie kommen! Ich freu mich schrecklich. Man fährt früh 8.25 von Berlin, Bahnhof Friedrichstraße weg, ist um 5 nachmittag in Oderberg,168 20 Min[uten] später in Schönbrunn169 u[nd] wird dort von mir erwartet. Will man das nicht, so steigt man in Schönbr[unn] um in den Troppauer Zug, erste Station Strzebowitz. Man ist also um ½ 6 hier. Haben Sie Unannehmlichkeiten in Berlin? Das thut mir furchtbar leid. Sie müs- sen mir viel von Ihren Kämpfen erzählen. Wir Frauen haben immer Verständnis für den Krieg, weil wir den Mann lieben – also den Sieg. Glücklich bin ich darüber, daß Sie nun schon über Jacobowski170 geschrieben haben u[nd] erwarte mit Spannung den Artikel. Hoffentlich! sind! Sie!!! in zwei!!! Tagen!! hier!! Ihre M[aria] St[ona] 161 Anm. 153. 162 Anm. 54. 163 Otto Reuter, Jacobowskis Biograph. 164 Richard Maria Werner (1854–1913), österreichischer Germanist und Literaturhistoriker. 165 Elsa Zimmermann (1875–1906), Schriftstellerin. 166 Asi Max Koch (1855–1931), deutscher Literaturhistoriker. 167 Anm. 20. 168 Anm. 86. 169 Anm. 5. 170 Anm. 54.

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43. 24. 4. 1901 an Georg Brandes

Strzebowitz 24/IV [19]01.

Mein großer lieber Freund! Nur das Sehen dieses Artikels,171 den ich mir so ersehnte, hat mich tief bewegt. Ich danke Ihnen aus ganzer Seele! Nun lasse ich ihn sogleich übersetzen. Natürlich habʼ ich ihn ganz durchbuchstabiert u[nd] auch ein schummerndes Bild von ihm gewonnen. Wenn ich an Ihre Kämpfe denke, an Ihre die Welt umspannende Seele, kommʼ ich mir wie ein Regenwurm vor, nur etwas dicker, u[nd] ich frage mich voll Angst: „wird er denn wirklich zu meiner Scholle herabfliegen?“ Ich fürchte mich so, daß Ihre Arbeit Sie nicht herkommen lassen wird. Ich fürchte mich wie ein Kind im Finstern. Nochmals innigen treuen Dank! Und alles Liebe von Ihrer M[aria] St[ona]

44. 25. 4. 1901 an Georg Brandes

25/4

Mein lieber Freund! O Ich freu mich, ich freu mich – ich freu mich!! Riesig freu ich mich! Also am 7. Mai!172 Das ist ein lachendes Datum und ich selbst lache mit Augen und Lippen und Seele. Ich mache mir schon Notizen über 100 Dinge, die ich Ihnen zu sagen habe. In 8 Tagen werden wir nie fertig mit allem Plaudern. Denn hier müssen Sie alle europäi- schen Kämpfe vergessen und sich nur unter das Szepter der Fröhlichkeit beugen. Und alle Jahre wiederkommen! Bei allen Ihren Freundinnen zusammen finden Sie nicht so viel Herzlichkeit wie hier. Für den Jacobowski Essay173 dankte ich schon gestern, bin so froh über ihn. Ich ließ ihn sogleich übersetzen. Auf Wiedersehn! Täglich send ich eine Lerchenschar von Grüßen Ihnen entgegen Ihre M[aria] St[ona]

171 Für den Sammelband Ludwig Jacobowski im Lichte des Lebens. – Georg Brandes: Ludwig Jacobowski (1901, GBSS 17). 172 Das Datum betrifft den geplanten Besuch von Brandes in Strzebowitz. 173 Anm. 171.

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45. 30. 4. 1901 an Georg Brandes

Strz[ebowitz] 30/IV [19]01.

Mein Freund! Mein Vater heißt Stonawski; deutliche Adresse ist: Strzebowitz, Post Schön- brunn174 Öster[reichisch] Schlesien. Hauptsache Öster[reichisch] Schlesien. Ach, ich freu mich so! Und ich sehe Sie genau vor mir wie in Wien. Den Artikel habe ich – in ein miserables Deutsch übersetzt – erhalten. Sie wer- den lachen. – Wenn es Ihnen hier nur gefiele – ich sorge mich schon! Auf frohes – frohes Wiedersehen! Ihre M[aria] St[ona]

46. 6. 5. 1901 an Richard von Schaukal

Strzebowitz 6. Mai 1901.

Das 1. Maiheft des Kyffhäuser bringt meine Besprechung der „Sehnsucht“175 mit einem blödsinnigen Druckfehler, dessen Berichtigung ich schon einsandte. Einen Prosasatz als Verszeile zu drucken, ist stark. Ich war wüthend. Meine beiden Gedichte in dem- selben Hefte wimmeln gleichfalls von Druckfehlern. Das Blatt muß einen Idioten zum Corrector haben. Sie sind übrigens, Herr Schaukal, fabelhaft unhöflich oder schlampet. Ich schrieb Ihnen einen furchtbar netten Brief mit Einladung – keine Antwort. Zu meiner Freude kommt morgen Georg Brandes aus Kopenhagen zu mir auf 8 Tage. Mit freundlichen Grüßen Marie Stona Nicht bös sein!

174 Anm. 5. 175 Der Kyffhäuser. Deutsche Blätter für Politik, Kunst und Leben, 1. 5. 1901, S. 60.

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47. undatiert an Georg Brandes

Am Trauerdonnerstag im Mai.176

„– Herzliebster Prinz Alexander –“177 Wieder diese Wehmut, wie an jenem Abschiedstag in Wien, nur tausendfach ver- tieft, – ach was – Wehmut! Ein lebendiger Schmerz ist es, der in Thränen blutet. Es ist so thöricht, Worte darüber zu schreiben, fast als sagte man: es donnert – es blitzt! Über- all sehe ich Sie – immer sehe ich Sie, und doch mag ich nicht in die Bischofszimmer gehen – der leere rote Stuhl – brrrr! Helenchen kam schon Mittag nach Hause und sagte so im Gespräch (als mein Vater bemerkte, Sie sähen so jung aus): „Am schönsten war er letzthin am Abend in dem hellgrauen Anzug – du sahst es nicht, – ich aber saß ihm gegenüber und sah es – das stimmte so zu seinem Haar – zu seinem ganzen Kopf! – o der weiß, was ihn gut kleidet! Großartig war er –“ Und Adele178 darauf mit sich röten- den Wangen: „Bei Ihm begreift man, daß er ein ganzes Volk hinreissen kann...“ Ich – (ich mußte doch auch etwas sagen) „Seine Gesinnung ist so durch und durch vornehm..“ Helenchen: „Und wie!!“ Nur die Tante behielt ihren schweigenden Ernst. Und nun sitze ich allein in meinem Zimmer, und möchte Ihnen so schrecklich viel sagen wollen u[nd] alles scheint mir so selbstverständlich. Warum kenne ich Sie nicht schon seit 10 Jahren! Ich möchte wüthen gegen das Schicksal. Aber da tobe ich ja schon wieder in meiner leidenschaftlichen Maßlosigkeit. Wie wohl thut Ihre Ruhe, Ihre kühle Gelassenheit. Ich möchte so gern werden, wie Sie sind. Wie selig bin ich, daß ich Sie überhaupt kenne, daß ich diese wenigen Tage mit Ihnen durchlebte. So hat man doch etwas vom Leben gehabt. Wie ganz anders richte ich mir jetzt meine Studien ein; meine Kunst wird großzügiger durch Sie. Es giebt Flüsse, die plötzlich ihren Lauf verändern – so komme ich mir vor. Ganz unerwartet verändere ich meinen Lauf u[nd] stürze meinem Hauptstrom entgegen! Nochmals Dank – Dank – Dank – mein – nicht 3mal – nur Einmal Dank! Für dies ganze jämmerliche – so schöne Leben Ihre Marie

176 Trauerdonnerstag: wahrscheinlich eine Anspielung auf Stonas Traurigkeit wegen der Abreise von Brandes. 177 Diese Ansprache wird im Brief Nr. 152 erklärt. 178 Eine Verwandte oder eine Buchhalterin von Maria Stona.

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48. 17. 5. 1901 an Georg Brandes

!! 17. Mai. Daß er im Frühling kam, ist ja wundervoll, aber daß er im Frühling ging, ist das Traurige, denn was hab ich jetzt vom Frühling! Im Wald war ich u[nd] saß auf dem Baumstamm und auf jeder Bank, auf der wir neben einander gesessen sind, u[nd] das Herz war mir so schwer und die Wimpern voll Thränen. Ach, ich hab solche Sehnsucht nach Ihm! Wie unbedeutend verfließen die Tage ohne ihn. Man kriecht so im Sande, muß so viel Triviales sprechen, und der beliebte Geist fehlt, der nach ewiger Schönheit weist. Wie viele Frauen mögen ihm solche Briefe schreiben wie ich – was ist ihm solch ein Brief! Den Untergrund meiner Gefühle bildet nicht nur eine namenlose Innigkeit – auch eine tiefe Schwermut, wie sie eigentlich meinem Wesen ferne liegt. Was mich eigentlich verblüfft, wenn ich an ihn denke, ist diese große, edle Ein- fachheit in seinem Wesen. Er ist wie die Statuen des Phidias179 – wie ein griechischer Tempel, so einfach und klar und voll Schönheit in allen Linien. Die kleinen Naturen, das sind die Komplizierten – die wahrhaft Großen, das sind die Einfachen. Die haben es nicht notwendig, kompliziert zu sein. – Die andern Menschen durchblicke ich oft so schnell – in Ihm finde ich mich manchmal gar nicht zurecht. Die alte Schablone paßt nicht auf ihn. Ich bin so glückselig, daß er mir diese Woche geschenkt hat. Für eine Stunde des Plauderns mit ihm komme ich gern nach Berlin, so oft er dort sein wird – wenn er es mir erlaubt! – – – Fürchten Sie nicht, daß ich Ihnen zu oft schreiben werde, mein Freund. Ich ver- lange ja nichts – ich hab Sie nur von ganzer Seele lieb. Ihre M[aria] Geht es Ihnen gut? Ich wünsche es so sehr!

49. 19. 5. 1901 an Georg Brandes

Strzebowitz 19/V [19]01.

Mein Freund! Das ist ganz abscheulich, daß man Ihnen nicht hieher telegraphirte, wenn man sein Wort nicht zuhielt. Ach, daß Sie nicht 2 Tage länger hier geblieben sind! Ihr gestriger Brief hat mich wirklich auch mit Zorn und Ärger erfüllt. Aber nun

179 Phidias (um 500 v. Chr. – um 432 v. Chr.), antiker griechischer Bildhauer.

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schwelgen Sie vermutlich schon in allen 7 blauen Himmeln u[nd] mein Mitgefühl macht einen stark verspäteten Eindruck. Heute bekam ich diesen Brief von Karlsbad. Das Zimmer von 12 fl. an per Wo- che, – gar nicht theuer. Hoffentlich ist Clémençeau180 [!] pünktlich. Nein, das geht nicht, daß Sie sich mit Schlafpulvern ruinieren. Meinem Vater hilft gegen Schlaflosigkeit Folgendes: I ein Leibumschlag von halb Alcohol, halb Wasser, – Sie wissen hoffentlich, wie man Prießnitzumschläge macht. Sonst schreib ichs Ihnen genau auf. II Oder: ein warmes (28°R)181 Sitzbad (10 Minuten) unmittelbar vor dem Schla- fengehen. III Oder: eine Wadenpackung mit 24°R,182 gleichfalls vor dem Schlafengehen. Das sind die Mittel der Naturheilärzte, die uns nicht vergiften. Am meisten empfehle ich den ersten Versuch mit dem Leibumschlag. Haben Sie nur ein wenig Vertrauen zu meinen Ratschlägen! Mir geht es ganz gut, ich radle wieder. Nur langweilen mich die Menschen ent- setzlich. Ich wollte, Sie wären hier u[nd] ließen sich ein wenig verwöhnen mit Reis und Liebe. Ich grüße Sie! Ihre M[aria] St[ona]

50. 21. 5. 1901 an Georg Brandes

Strz[ebowitz] 21/V [19]01.

Welche riesige Freude – hatte ich heute über Ihren lieben guten Brief. O wie Sie herz- lich sein können! Ich las ihn im Garten, auf dem Rosenhügel, vor all den blühenden „Syringen“, die uns letzthin plaudern hörten. Mit Ihrem vorletzten Briefe – dem ersten aus Abbazia183 – bin ich auch in den Garten gelaufen, aber der enttäuschte mich ein wenig, nur eine Sekunde lang, denn ärgerte ich mich tapfer mit Ihnen. Als gar vor einer Stunde der Bote mit Ihrem Telegramm kam, wurden Helene und ich feuerrot vor Freude. An ihr sah ichs und an mir fühltʼ ichs. Wir freuen uns ja rasend auf Sie, die andern alle aber auch. Jetzt kommen Sie als kein Fremder mehr – Sie kehren heim zu uns!! Ihren plötzlichen Entschluß erkläre ich mir so: eine heftige Scene mit jener Dame erschöpfte Ihre Geduld. Jetzt hatten Sie Schönheit und Meereswunder satt! Und die leise Sehnsucht nach einem alten wilden Park und einer sanften Frau überkam Sie....

180 Georges Clemenceau (1841–1929), französischer Politiker und Publizist. 181 35 °C. 182 30 °C. 183 Opatija, Österreichisches Küstenland (Kroatien).

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O wie dank ich Ihnen. Für heute nur diese wenige Worte – aber um so viel mehr verschwiegene Freude. Ihre M[aria]

51. 4. 6. 1901 an Georg Brandes

Strz[ebowitz] 4 Juni 1901.

Mein großer Freund! Heute sind Sie in Kopenhagen angekommen.184 Längst haben Sie uns alle verges- sen – aber lassen Sie mich noch einmal Ihnen danken dafür, daß Sie hier gewesen sind. Nun giebt es Vollmondnächte ohne Vollmondzauber; der Garten ist eine grüne duftende Wildnis, die Bänke stehen leer. Ich bin ganz untergetaucht in Arbeit – in meine „un- sterblichen Meisterwerke“, wie Sie sie nannten, wenn Sie mich in Manuskripten wüh- len sahen. – Ich weiß es nun ganz genau, was Sie mir sind: eine Universität. Ja wohl! Carneri185 war meine Volksschule, da lernte ich lesen u[nd] schreiben u[nd] das Abc der Kunst; Jacobowski186 hatte u[nd] gab mir Mittelschulbildung; er führte mich ins Latein u[nd] Griechisch der Litteratur ein. Nun fehlte mir die Universität. Da kam der große Brandes u[nd] schenkte mir den weiten Blick u[nd] erschloß mir eine Welt an Wissen. Jetzt brauchte ich Niemand mehr. Der „monumentale“ Däne hat mich stolz und einsam gemacht. Hören Sie, was Helene über Sie für sich niederschrieb: „So ein Mensch, der von hoch oben die andern beurteilt und sie mißt nach den Größten aller Zeiten! Wie winzig kommen wir mir vor, z. B. die ganz modernen Schriftsteller... Nur an den starken Na- turen können wir uns anhalten, damit wir überhaupt erst Sinn für Größe bekommen...“ Daß die Kleine Sie kennen lernte, bleibt ein Segen für ihr Leben.

Ich hoffe, Sie haben keine zu schlimme Reise gehabt u[nd] fühlen sich sehr wohl?! Um Ibsen187 soll es schlimm stehen, wie die heutige Zeitung berichtet. Mit tausend lieben Wünschen für Sie Ihre M[aria] St[ona] Ach bitte – eine Postkarte – wie die Reise war!

184 Aus Abbazia über Strzebowitz. 185 Anm. 1. 186 Anm. 54. 187 Henrik Ibsen (1828–1906), norwegischer Schriftsteller und Dramatiker.

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52. 5. 6. 1901 an Georg Brandes

Strz[ebowitz] 5/6 [19]01.

Mein lieber Freund! Die große Freude, die ich heute Nachmittag über Ihren Brief hatte, kann ich gar nicht schildern. Schon, daß Sie überhaupt in Berlin ein wenig Zeit für mich fanden, freute mich ja so sehr, u[nd] wie jubelte ich erst auf, als ich vier voll geschriebene Seiten sah! Ach, war das Lesen ein lieber, langsamer Genuß. Ich bin lange im Garten auf und abgegangen, bei den gelben Azalen u[nd] der rotblühenden Kastanie und im Seufzergang, – den wir im Regen liebten, weil er seinen großen grünen Regenschirm über uns spannte – und hab Ihrer so viel gedacht mit Herzlichkeit und Freude. Was uns allen Ihr Besuch war, wissen wir so recht erst jetzt. Strzebowitz kommt mir gar so verlassen vor. Wie ich Ihnen gestern harmlos nach Kopenhagen schrieb, „arbeite“ ich den ganzen Tag. – – Aus allem sehe ich, daß Sie es in Berlin sehr hübsch haben. An das Zittern glaube ich nicht recht, wohl aber an viele vergnügte Stunden. Um jene mit Leistikow188 u[nd] Hauptmann189 beneide ich Sie sehr, weniger um begabte Mütter mit ihren Töchtern. Ich behaupte, daß es so etwas nicht giebt. Etwas mehr – et- was weniger stupid – das ist alles, was es an Unterschieden giebt. Jedes Wort, daß Sie schreiben, interessiert mich. Ich lebe noch immerfort in Ihren Gesprächen u[nd] Ihre Worte fliegen mir durch den Sinn wie Schwalben u[nd] verjagen die Mücken meiner grämlichen Gedanken. Sonntag waren Braun190 und Slonecki191 hier u[nd] noch zwei Herren von der „Regierung.“192 Ich langweilte mich sehr[.] Braun und Slonje193 – als hinausgeschobene Verlobte – sind sehr niedergedrückt. Die Prager Tropfen sind noch immer nicht einge- troffen. Dafür weiß ich aber jetzt genau, was „vice“ heißt: „Dorf.“ Der englische Liebesbriefsteller – das ist er in Wirklichkeit – folgt mit Dank zu- rück. Das Buch wird schließlich urblöd. So wie ich gern sagte: „ich gehe schon“ u[nd] dann endlos blieb, so sagt die „Heldin“ auch: „Heute nur einige Zeilen!“ und schreibt 20 Seiten. Es geschieht gar nichts im ganzen Buch. Zum Schluß heiraten beide in Zucht und Ehren und sittlicher Frömmigkeit. Eine korrekte Geschichte von α bis ω, ohne die geringste Complication. Aber viele seine Gedanken sind in den Briefen eingefangen. Mit tausend lieben Wünschen für fröhliche Stunden – unter 100 Grüßen Ihre M[aria] St[ona]

188 Walter Leistikow (1865–1908), deutscher Maler und Graphiker. 189 Gerhart Hauptmann (?) (1862–1946), deutscher Schriftsteller. 190 Anm. 78. 191 Julius Slonecki, Ritter von Koráb (?), Oberleutnant des k. u. k. Infanterie-Regiments Nr. 1 in Troppau. 192 Schlesische Landesregierung in Troppau. 193 Wahrscheinlich Slonecki, Anm. 191.

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6. Juni. Ich lese Ihre romantische Schule in Frankreich.194 Ist das ein Genuß! Ich schwel- ge. Brillant ist jedes Wort über die Gründung der Dichterschulen. O wie gut hatte ichs vorige Woche, als Sie noch hier waren! Heute bin ich mehr als einsam: vereinsamt.* Das ist das Schlimmste. M[aria] *Ich vergesse immer, daß ich an keinen Idioten schreibe u[nd] die Worte nicht zu un- terstreichen brauche.195

53. 8. 6. 1901 an Georg Brandes

Strzebowitz 8 Juni [19]01

Mein großer hochverehrter Freund, Wieder eine so große reiche Freude durch Sie (das ist meine Kleinheit, die im- mer ihre Complémentairfarbe im Großen sucht)[.] Vielen herzlichen Dank! Ihr Brief ist so lieb, das Buch famos und Ihr Bild wirklich vortrefflich. Helene und ich finden nur, daß es Sie bedeutend älter erscheinen läßt als Sie aussehen, aber das ist in unsern Augen nur ein Vorteil mehr. Helene freut sich riesig auf Fräulein Ediths196 Bild. Die Kleine war so spaßig, als sie hörte, daß Sie so lange in Berlin blieben. „Schrecklich!“ stöhnte sie, „da wird er eine Menge Wein trinken, spät schlafen ge- hen und gar nicht an seine Gesundheit denken!“ Es ist ihr eine wahre Beruhigung, Sie wieder bei den soliden Blaubeeren zu wissen. Mir auch. Heute sende ich Ihnen ein Fläschchen Tropfen. Die Adresse lautet Fr Martin Jehlik Kapuzinerkloster Prag IV Hradschin 99. In dem Kloster werden sie seit Jahrhunderten bereitet. Aber bitte, nichts bestellen. Ich habe mir erlaubt, das für Sie zu thun; es wird aber 2 Wochen dauern, ehe die Sendung eintrifft. Die Kapuziner lassen sich Zeit. Sie aber sollten sich keine Zeit lassen. Hinter Ihnen wachsen die Georg Brandes nicht, wie die Kapuziner hinter den Kapuzinern. Sogleich sollten Sie an Ihr großes Werk gehen – nicht der Welt, sondern Michel Angelo197 zu Liebe, der ja Ihre einzige echte große Liebe ist. Kann Ihnen bei den Correcturen nicht Fräulein Edith behilflich sein? Sie hat sicherlich das Zeug dazu. Warten Sie nur, wie die wachsen wird, u[nd] wie 194 Georg Brandes: Den Romantiske Skole I Frankrig (Original 1882, GBSS 6). 195 Stona hat im Brief die Unterstreichung gestrichen. 196 Edith Brandes, Tochter von Georg Brandes. 197 Anm. 38.

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sie Sie vergöttern wird! Es ist ja egal, wann das eintritt. In der jungen Dame steckt ein männlicher Geist, sie hat viel Farbe und die ist echt. Von manchen Menschen wäscht sie der erste Regen herunter. Ihr Michelangelo! Meine ganze dumme kleine Seele schreit nach ihm. Jagen möchte ich Sie zu Ihren Studien. Die Apollogestalt nicht echt? Das wird wieder schö- nen Staub aufwirbeln, den alten, ehrwürdigen Museumstaub. – Gestern abend saß ich auf einem Baumstamm im Walde und dachte mir, daß es doch das Schönste sei, jemand lieb zu haben und das Beste, was man erreichen könne: ihm nicht zu sehr unangenehm zu sein. Von diesem Grundsatz sollten alle Liebenden ausgehen. Dann gäb es weniger – Langeweile auf der Welt. Ihren lieben Brief aus Berlin erhielt ich u[nd] dankte nach Berlin. Einen schönen Gruß an Fr[äu]l[ein] Edith. Ihnen alles Liebe und Herzliche. Ihre Marie Stona

54. 10. 6. 1901 an Georg Brandes

10 Juni

Mein großer lieber Freund! Nun habʼ ich noch zwei Bücher von Ihnen bekommen; ich danke Ihnen von ganzem Herzen. Jetzt habe ich Ihre nordische Sprache in der Westentasche. An Einem Tage haben Sie allein 4 Adressen an mich geschrieben. Das rührt mich so u[nd] kommt mir wie eine unerhörte Frechheit vor von meinem Namen, daß er sich in Ihre Feder drängte, da Sie doch so viel anderes zu thun haben. Aber Sie wissen, wie bescheiden und zufrieden ich bin. So bescheiden, daß ich nichts erwarte, und zufrieden, wenn ich eine Postkarte von Zeit zu Zeit bekomme. Heute schicke ich Ihnen einen Brief von Clémençeau198 [!] nach. Nächstens kriegen Sie ein Bild von mir – zu Ihren 2 000 Frauenportraits. Gestern war mein einziger intelligenter Vetter hier. Immer wieder mußtʼ ich ihm von Ihnen erzählen. Das hat mir eine solche Freude gemacht, Sie so hier aufleben zu lassen mit vielen Ihrer köstlichen Worte. Zu meiner frohen Überraschung fand ich, daß mehrere der sozialen Gedichte von Martin Boelitz199 „London“200 außerordentlich gelungen sind. Vergessen Sie Ihren jungen Dichter nicht, den Rørdamm.201 Sind es wirklich noch keine 100 Jahre her, seit Sie fort sind? 198 Anm. 180. 199 Martin Boelitz (1874–1918), deutscher Schriftsteller. 200 Martin Boelitz: London. Soziale Gedichte. Berlin 1901. 201 Valdemar Rørdam (1872–1946), dänischer Schriftsteller.

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Ich denke, es ist noch viel länger her! Nochmals tausend Dank für Bücher und Bild! Mit herzlichsten Grüßen Ihre Mar[ia] Stona

55. 11. 6. 1901 an Georg Brandes

11 Juni [19]01.

Mein lieber, guter Freund. Gerade heute hat mir Ihr Brief so wohl gethan. Als streckte sich mir eine liebe Freundeshand entgegen durch alle Fernen und legte sich weich auf meinen Scheitel – genau so war es mir, und ich möchte die gütige Hand dankbar küssen. Ich habʼ so viel Ärger gehabt über jenen verrückten Reichsdeutschen.202 Es giebt so niedrige Charaktere, die Einen fast verfolgen mit ihrem Haß, weil man sie nicht liebt. Mir ist so etwas bisher nie begegnet. Er hat sich vor irgendeinem Barbier die „ganze ganze Geschichte meines Lebens“ erzählen lassen und verlangt seine irrsinnigen Briefe zurück mit der Bemerkung: „Ich kenne ihre Zahl.“ Hoffentlich sperrt man ihn bald ins Irrenhaus. Ach ich bin so „traurig am Leben,“ wie Sie einmal sagten u[nd] meine Augen haben noch viel mehr Melancholie zu dieser Stunde wie die Ihren. Und nun sehe ich Ihr Bild an, (das nicht auf meinem Schreibtisch steht, weil Sie das nicht lieben, aber gleich daneben) und meine Augen schimmern vor Traurigkeit. Gleich habe ich Ihr Buch über Polen203 bestellt u[nd] freu mich so darauf. Wie genieße ich Ihre romantische Schule in Frankreich!204 Sie haben Recht. Multatuli205 ist verworren und unsachlich über die Maßen. Der Verfasser wirkt nur ergreifend durch die Fülle seiner Leiden, – die der Herausgeber oder sonst wer – sonstwo schildert. Ich freue mich unbeschreiblich über die Fülle Ihrer Erfolge. Heute morgens habʼ ich es so tief beklagt – als ich kaum die Augen aufschlug – daß Sie nicht schon im vergangenen Jahr hier gewesen sind. Man kann sich doch nicht lange genug kennen – wie kurz ist so ein Leben! – und nicht gut genug!! Ich grüße Sie mit ganzer Seele! Helene, die die Erinnerung an Sie wie ein Hei- ligtum bewahrt, studiert jetzt mit ungeheuerm Eifer. Bleiben Sie ein wenig gut Ihrer M[aria] St[ona] 202 Nicht näher spezifiziert, vielleicht identisch mit dem Mann, den Stona als der Rechtsanwalt bezeichnet. 203 Anm. 68. 204 Anm. 194. 205 Pseud., Eduard Douwes Dekker (1820–1887), niederländischer Schriftsteller.

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56. 13. 6. 1901 an Georg Brandes

13 Juni [19]01.

Mein hochverehrter lieber Freund, Welche reiche Freude! Wie bin ich froh, daß Sie so schnell über Rørdamm206 schrieben, der gewiß selig sein wird. Ein beglücktes Sterben für ihn. Ich fand unter den Citaten vieles, was wir zusammen gelesen haben, jenes wundervolle vom Meere u[nd] den Hügeln und das andere von dem Mast [?], der die Runen schreibt. Ich lese schon mächtig dänisch, wie sie sehen. Ihre sämmtlichen [!] zurückgelassenen Zeitungen werde ich ehrfurchtsvoll durchbuchstabiren. Ich lebe überhaupt noch ganz in der Zeit, da Sie hier waren. Sie kommen mir vor wie ein riesiger Baum, in dessen Schatten ich ein bischen ruhen durf- te, und nun träumʼ ich immer von dem Rauschen und Blühen und Singen dieser Welt über mir. Und ich sehe nur Gestrüpp rings um mich, daß nicht zu wachsen versteht, mit kranken Wurzeln und miserabeln Wipfeln. Gestern war ich so kühn, in den Heften zu blättern, die Clémenceau207 [!] Ihnen schickte. Da wurde ich immer begeisterter; oft glaubte ich Sie reden zu hören, Ihre gro- ßen Ideen traten mir entgegen. In Heft 9 u[nd] Heft 18 strich ich keck mit dem Nagel an, was mir gefiel – seien Sie nicht ärgerlich. Gleich habe ich das Blatt abonnirt u[nd] einige Worte an Clémenceau [!] ge- schrieben. Nun weiß ich, weshalb Sie beide Freunde sein müssen. Und ich habe so das Gefühl, daß er viel von Ihnen gelernt hat. Das muß ein vortrefflicher Charakter sein. Bei seiner Besprechung des Werkes von Aulard208 „Histoire de la Revolution française“,209 die in einem Abschnitt die großen Thaten auf die Wirkungen des Volkes und nicht Einzelner zurückführt – d. h. die einzelnen Helden nur genährt sieht von den Ideen, von der Kraft, die ihnen die Menge gegeben – da dachte ich mir, daß das den Beginn einer neuen – Mode bedeutet. Nach dem großen Cultus des Individuums kommt jetzt der Cultus der Menge. – Ich unterhalte mich königlich mit den 4 Satyrspielen210 von Gustav Wied.211 Es prickelt mir in den Fingerspitzen, auch solche Szenen zu versuchen. – Heute wieder ein paar hingefetzte Worte vom Rechtsanwalt.212 Er ist in Thränen.

206 Anm. 201. 207 Anm. 180. 208 François-Alphonse Aulard (1849–1928), französischer Historiker. 209 François-Alphonse Aulard: Histoire politique de la Revolution française. Paris 1901. 210 Gustav Wied: Vier Satyrspiele. München 1901. 211 Gustav Wied (1858–1914), dänischer Schriftsteller. 212 Anm. 202.

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Seine Schrift ist wie die eines Kindes. Ich mußte an Nietzsches213 letzten Brief an Sie denken. – Helenchen ist auf 8 Tage in einem ungarischen Bade214 bei einer Freundin. Haben Sie eine Ahnung wie einsam ist Ihre Marie Stona die Sie tausendmal grüßt.

57. 15. 6. 1901 an Georg Brandes

15/6 abends.

Mein Freund, Ich hab manchmal eine heftige Sehnsucht, Ihnen zu schreiben, aber ich unterdrü- cke sie gewaltsam, weil ich nicht so unbescheiden sein will, meine stupiden Worte in Ihre so gut eingeteilte Zeit zu drängen. Heute lassen Sie mich wieder ein bischen zu Ihnen sprechen. Ich freute mich sehr über Ihre gestrige französische Karte. Sie sehen, welches Gedächtnis ich für Schriftzü- ge habe. Da giebt es ein „Georg Brandes“ auf blauem Couvert, das ich noch immerfort vor mir sehe mit allen seinen Schnörkeln, die dem Lächeln milder Lippen gleichen. Sie ahnen nicht, wieviel ich von Ihnen gelernt habe – u. A. auch, meine Zeit ein- zuteilen. Ich packe jetzt jeden Tag wie einen Stier mit weißen Hörnern an u[nd] zwinge ihn zu Boden. Und so giebt mir jeder Tag eine Siegesfreude und Reichtum. Beim Früh- stück las Brandes – also lese auch ich... u[nd] so geht das weiter bis spät abends. Und ich sage nie mehr: „es donnert! es blitzt!“ und zanke nicht herum wie früher, denn ich hüte mich vor den überflüssigen Worten. Und es macht mir eine rasende Freude, so in Ihrem Sinne, in Ihrem Stil zu leben. Das Dänische Lesen geht schon famos, obgleich ich erst seit 3 Tagen wirklich u[nd] ernstlich lerne. Jetzt würde ich Sie sehr brauchen. Das Lernen der Vokabeln ist immer meine Leidenschaft, weil mein Gedächtnis sie so gut behält u[nd] sich so angenehm biegt unter dem Rankenwerk fremdartiger Wörter. Merkwürdig, daß mir jetzt so viele ungarische Sätze einfallen, als wenn die neue Sprache die alte, längstvergessene nun auch heraushöbe. Wie gut, daß Sie nun wieder etwas für Island thun werden! Ihren Lord Beacons- field215 muß ich lesen. Ihr „Polen“216 ist noch nicht eingetroffen.

213 Friedrich Nietzsche (1844–1900), deutscher Philosoph. 214 Trenčín, Ungarn (Slowakei). 215 Georg Brandes: Lord Beaconsfield (1878/1901, GBSS 9). 216 Anm. 68.

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Ich studiere jetzt den Idiotismus einer alten Tante, die hier ist, und die alles, was sie liest, noch dümmer macht, als sie von Natur ist. Und ich erlebe so viel! Gestern abend z. B. fand ich im Garten einen Igel. Flock jagte ihn aus dem Gebüsch; wie eine stachlige Kugel lag er da. Und allmälich, als es ganz still wurde ringsum, öffnete sich die Kugel und ein rosenroter Körper von wunder- barer Zartheit ward sichtbar. Heute schrieb ich ein Märchen: Fee Stachelhaut. So reich komme ich mir vor und dabei – so arm! Ich grüße Sie 1 000 000 mal! Ihre M[aria] St[ona]

58. 21. 6. 1901 an Georg Brandes

21/6

Mein großer großer Freund! Sie verwöhnen mich so, Sie sind viel zu gut mit mir – o que je suis heurese quand je vois votre écriture, diese feine, geistvolle, melancholische Schrift, in der die großen Buchstaben wie müde Trauerweiden sich über die kleinen neigen. (Ich bin heute bischen krank, daher der Bleistift und die Idiotie) Mit Clemenceau217 habe ich mich also wieder einmal gründlich blamirt. Aber wie konnte ich so etwas ahnen. Freilich, denken hätte ich es mir können. – – – – – – – Eine eigentümliche Rasse für sich, diese großen Männer; die kleinen Frauen begreifen sie so schwer. Die Verse von Swinburne218 sind kolossal, Nero von wundervoller Gewalt, bin ganz weg und liebkose die liebe Hand, die sie geschrieben. Natürlich subscribire ich Brandes gesammelte Werke – weshalb lerne ich denn dänisch? An Ihrem Jacobowski Artikel219 lernte ich so viel – immer ihn mit der Überset- zung vergleichend. Tausend Dank für alle Zeitungen! Meine Ungarin220 möchte immer von Ihnen hören – „Cet homme me hante“ sagte sie. Und Ihr Bild hat ihr einen tiefen Eindruck gemacht. „In den würde ich mich so- gleich verlieben...“ Gestern abend plauderten wir im letzten grünen Bischofszimmer, sie hatte sich schon zur Ruhe begeben, ich lag auf der Chaise longue, die dort in einem grünen Winkel steht. „Ah – cet homme –!“ sagte sie träumerisch – „glaubst du, daß er lieben kann?.. Ma chère – ça doit être un homme raffiné – je le vois dans ses yeux – tu as toujours des idées de province sur ces choses là – –“ (Quel cher petit mot dans votre billet dʼhier. 217 Anm. 180. 218 Algernon Charles Swinburne (1837–1909), englischer Schriftsteller und Literaturkritiker. 219 Anm. 171. 220 Helene Forinyák, Stonas Freundin (?).

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„Quand nous nous reverrons...“ Est-ce que ce sera jamais? Cʼest si loin encore je ne le vois que par des nuages – Es ist so blödsinnig von mir, französisch zu schreiben – aber es klingt mir so im Herzen, weil ichs von Ihnen hörte – für heute adieu – votre petite idiote.

59. 23. 6. 1901 an Georg Brandes

23/6 [19]01.

Mein Freund. Wenn ich Ihr Bild ansehe, werde ich ganz trostlos, daß es nicht sprechen kann, und ich rufe ihm zu: „Jetzt sprich!!“ Aber die festgeschlossenen Lippen öffnen sich nicht, nur die sonderbaren Augen sprechen weiter ihre stumme melancholische Spra- che. Ich begreife den Ausspruch der Tante Ida: „Ganz kalt wird Einem“ ... etc und jenen meiner Ungarin:221 „Cet homme me hante...“ Nun bin ich wieder allein; sie ist gestern abgereist. Es fällt mir schwer, es zu sagen, aber sie hat mich beinahe gelangweilt mit ihren Liebesgeschichten. Die Frauen haben oft nur ein Rauschen – wie die Austern. Und aus manchen Menschen wachsen wir heraus wie aus Kinderschuhen. Wir achten Sie ja darum nicht gering – denn einst waren sie uns nötig – Es ist so dumm, von Jemand zu verlangen, daß er sich gleich bleibe. Man kann doch seine Überzeugung aus Überzeugung wechseln. Ob Sie wohl eine Ahnung haben, wie Sie durch die Ferne wirken? Ich komme mir vor wie ein Steinchen, das in eine Felsenenge gefallen ist und sich nun da immer herumtreibt, bis es ganz rund und glatt wird. Es sieht nichts als den kalten Stein um sich, über den es nie mehr hinauskommt, aber der Stein ist gut u[nd] nach Jahrtau- senden hat das kleine Steinchen sich eine Mulde, ein Bett in ihn gegraben. Aber dazu braucht es eben die Dauer von vielen vielen Menschenleben – mit einem einzigen er- reicht es nichts. Die dänische Sprache macht mir so viel Freude. Ihren Artikel über Grimm222 versteh ich gut. Ich begreife nur nicht, weshalb Sie den Ausspruch seiner Frau gerade in diesem Artikel zitierten, der ihn so schnell nach seinem Tode lächerlich macht mit seiner „jungfräulichen Seele.“ Die N[eue] Fr[eie] Presse brachte ein blitzdummes Doppelfeuilleton von Paul Goldmann,223 wie ein Kirschkern das Geschick einiger Menschen bestimmt; vorge- bracht ist diese miserable Geschichte mit der Pose der Originalität. – Im W[iener] Tag- 221 Anm. 220. 222 Georg Brandes: Hermann Grimm (Original 1900, GBSS 1900). 223 Paul Goldmann: Ein Kirschkern, oder der Lauf der Welt, Neue Freie Presse 21. 6. 1901: 1–5, 22. 6. 1901: 1–4.

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blatt224 verwahrt sich Her[mann] Bahr gegen den Vorwurf, daß die Wiener nur erotische Romane schreiben u[nd] zitiert viel aus Erwin Rhodes225 [!] Buch über den griechischen Roman.226 Helene schreibt: „Ediths227 Bild ist meine Wonne.“ Ich wünsche Ihnen so viel Gutes. Haben Sie Dank! Ihre M[aria] St[ona]

60. 25. 6. 1901 an Georg Brandes

25/6 [19]01.

Cher ami, damit Sie keine Mühe haben mit dem Aufreissen des Briefes – nur diese Karte. Braun sehr erfreut über Ihren Brief und stolz auf ihn.228 Hat sich schon getröstet u[nd] in die Ungarin229 verliebt, die doch mehr sein Genre ist. Wir hatten gestern wunderbaren Mondabend – wie vor Ihrer Abreise. – Der „Dichter“ ist unglaublich. Ich soll seine Correkturbogen durchsehen u[nd] 2 neue Romane „korrigiren“. Dem hab ich heimge- leuchtet. Es ist doch unerhört, so unverschämt zu sein! Sollen wir uns denn gar nicht gehören? Ich denke, das ist doch das Wichtigste!!! Heute Swinburne230 Ballads & po- ems231 angekommen! Ich grüße Sie sehr. M[aria] S[tona]

224 Neues Wiener Tagblatt, österreichische Zeitung. 225 Erwin Rohde (1845–1898), deutscher Altphilologe. 226 Erwin Rohde: Der griechische Roman und seine Vorläufer. Leipzig 1876. 227 Anm. 196. 228 SZM, Uměleckohistorické pracoviště, Edmund Wilhelm Braun, Box 3, G. Brandes an E. W. Braun, 19. 6. 1901. 229 Anm. 220 (?). 230 Anm. 218. 231 Richtig Poems & Ballads. – Algernon Charles Swinburne: Poems & Ballads. London 1866.

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61. 26. 6. 1901 an Georg Brandes

26. 6. [19]01.

Sie glauben nicht, welche Freude mir die dänische Sprache macht. Eben las ich Ihren Gorkiartikel,232 lernte viel daraus u[nd] las ganz ohne Wörterbuch fließend über Jør- gen Sonne233 u[nd] die Skizze Romersk Død.234 Da ich 26 Seiten Gespräche in einem dänisch[en] Buch (mit der Aussprache daneben) auswendig gelernt habe, vestehe ich so schnell, was ich lese. Es ist ein Genuß! Dank ich natürlich Ihnen. Ich schwelge nur so. Jeder Tag bringt so viel Schönes. Neue Welten erschließen sich. Ich bin ganz Colum- bus. Nächste Woche fahre ich für 3 Tage nach Wien. Ich habe dort zu thun. Wie geht es? Schmerz schon vorbei? Ich hoffe es. Jeg haaber!235 Ihre M[aria] St[ona]

62. 26. 6. 1901 an Georg Brandes

26/6 [19]01.

Mein monumentaler Freund, Dank für Brief und Zeitung, mange Tak!236 Ich bin überhaupt so voll Dank für Sie! Gestern Swinburne Ballads and poems237 gelesen – welche eine Welt an Schönheit! Alles das haben Sie mir erschlossen. Ich wäre so hingeblödet ewig Kartoffel essend. Meiner Ungarin238 schrieb ich Ihre Worte. Die werden sie natürlich verrückt ma- chen. Aber was thut das – Eine mehr! Und jetzt verrath ich was: sie quälte mich so, mit ihr auf 3 Tage nach Karlsbad zu gehen, im August, wenn Sie dort sein würden, und sie als Stumme vorzustellen „denn sie würde ohnehin nie den Mut haben, zu Ihnen zu sprechen.“ Doch es ist ja noch so lange bis dahin. Wie können Sie 9 Stunden in einem Zuge arbeiten – das ist Selbstmord! Ach ich habe solche Angst... Ist der Schmerz im Bein schon vorbei? Sie schreiben mir eine Postkarte darüber – bitte – bitte! – Hier war auch die Sonnwendfeier mit brennenden Besen. Ist das schön, wenn

232 Georg Brandes: Maxim Gorki (Original 1901, GBSS 10). 233 Jørgen Sonne (1801–1890), dänischer Maler. 234 Nicht identifiziert. 235 Ich hoffe (dän.). 236 Danke (dän.). 237 Anm. 231. 238 Anm. 220.

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durch die Jahrtausende über die blöden Köpfe der Individuen hinweg solch ein Cultus sich wälzt! Ich sehne mich sehr nach Ihnen. Und ich streichle Ihre liebe Hand. Ihre M[aria]

63. 28. 6. 1901 an Georg Brandes

28. VI [19]01.

Meine Verstimmung gegen meine Freundin239 war nur vorübergehend. Blos Ein Genre ihrer Geschichten goutire ich nicht; aber ich gebe mit Freude zu, daß sie entzückend ist, wenn sie anderes spricht. So hat z. B. Braun240 sich in ihr Wort „jʼai lʼâme conjugale“ verliebt u[nd] seine verflossene Braut darüber vergessen. Nun hat er eine neue Lei- denschaft. Helenchen sagt: „welch ein Glück, daß er seine Liebesregungen so schnell vergißt – wie müßte er sich sonst verachten!“ Ein Wort aus ihrer jungen stolzen weißen Seele. – (Selbstverständlich) Es ist wahr, ich bin jetzt verwöhnt; man mag das Kraut nicht, wenn man besseres kennt. Ich lese auch keine dummen Bücher mehr. Für mich und meinesgleichen sind die Größten gerade gut genug und für die andern – sind wir groß genug. – Wenn Sie wüßten, wie froh mich die Nachricht macht, daß es Ihnen wieder gut geht! Gruß. M[aria] St[ona]

64. 1. 7. 1901 an Georg Brandes

Wien, König v[on] Ungarn Montag.

M[ein] l[ieber] F[reund]! Da bin ich also glücklich (?) in Wien, falle in Helenchens Klagen über die Hitze, treffe natürlich nur die Hälfte von denen, die ich finden wollte, kaufe doppelt so viel zusammen, als ich kaufen wollte, renne in Gallerien u[nd] schwelge in Kunst. Man soll es mit den Bildern machen wie mit den Büchern; nur das Beste suchen, wie das Beste lesen. Das andere – für die andern. Ich wollte, Sie wären hier. Tausend Grüße Ihre M[aria] St[ona] 239 Anm. 220. 240 Anm. 78.

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65. 4. 7. 1901 an Georg Brandes

4/7

Mein liebster Freund! Diese Worte nur schnell im Coupé, von Troppau241 fahrend. Ich kam gestern von Wien, fand Ihren Brief – selig! O wie rasend freu ich mich auf Karlsbad. Ich fürchtete so sehr, Sie werden es nicht wünschen, daß wir kommen. Ich hatte in Wien u[nd] habe hier und überall so viel Sehnsucht nach Ihnen. Am liebsten denke ich zurück an jene Stunden, da Sie aus Abbazia242 kamen – die waren schön!! Ach es war alles so bezau- bernd! Und nun soll das wiederkommen, u[nd] ich soll wieder Ihre Monologe hören dürfen – und in mein mühsam gelerntes heiliges Schweigen verfallen? Das ist ja kaum glaublich. Natürlich werden Sie sich in Helene, die Ungarin243 verlieben. O das ist eine Feine. Keine Konfirmandin. Die lacht nicht, als ob sie „einen Apfel gestohlen“ hätte. Meine schönsten Stunden in Wien waren es, im Museum vor Velasquez244 und Rubens,245 Van Dyck246 und Rembrandt247 zu stehen, ganz mutterseelenallein, und Sie herbeizuwünschen. Alles war noch weg über Ellen Key.248 Ach Karlsbad!! Aber je später, um so besser. Helene249 kann nicht vor Mitte Au- gust kommen, fürchte ich. Denken Sie, mein Helenchen lernte in Trencsin250 Clemenceaus Sohn251 kennen u[nd] dessen Frau. Er ist dort als Chemiker in einer Fabrik angestellt. Für Zeitung tausend Dank. Füllen Sie jeden Buchstaben dieses Briefs mit Glut u[nd] denken Sie sich einen Himmel von Innigkeit dazu! Ihre M[aria]

241 Anm. 14. 242 Anm. 183. 243 Anm. 220. 244 Diego Velázquez (1599–1660), spanischer Maler. 245 Peter Paul Rubens (1577–1640), flämischer Maler. 246 Anthonis van Dyck (1599–1641), flämischer Maler. 247 Rembrandt van Rijn (1606–1669), niederländischer Maler. 248 Ellen Key (1849–1926), schwedische Schriftstellerin und Reformpädagogin. 249 Hier ist nicht die Freundin von Stona gemeint, wie in den vorherigen Briefen, sondern ihre Tochter Helene. 250 Anm. 214. 251 Michel Clemenceau (1873–1964), französischer Ingenieur und Sohn von Georges Clemenceau.

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66. 4. 7. 1901 an Georg Brandes

4/7

Ich bin ganz trostlos, mein Freund – hätte ich nur geahnt! – Aber die Karten schrieb ich ja nur, um es Ihnen recht zu thun, was ja meine einzige Ambition ist. Und ich glaubte sie alle so harmlos! Also nie wieder. Seien Sie jetzt nur nicht mehr ärgerlich!! – Ihren Brief etwas wärmer als die andern fand ich zu Hause vor u[nd] heute kam der zweite; meine Briefe kommen u[nd] gehen in vollendeter Sicherheit. Ich hab mich so an ihm gefreut, und ihn verbrannt. Ach, liebster Freund, leider ist Karlsbad vor August unmöglich. Helene kommt von Interlaken252 hin. Aber das thut doch gar nichts. Nein gar nichts. Ich bin so sub- stanzlos, hier im Wäldergrün, die reine Dryade, oder sonst eine Nymphe, die in Blu- menkelchen wohnt. Trotzdem freu ich mich rasend auf – Karlsbad. Sehr sehr lieb etc M[aria]

67. 7. 7. 1901 an Georg Brandes

7 Juli

Wo ist eine Sprache, die sagt, was keiner versteht, nur Er und ich! In dieser Sprache spreche ich Sie an. Sie hat Worte für Sehnsucht, wie keine andere u[nd] einen heißen flimmernden Hauch, der aus jedem Worte strömt, heiß von Herzblut. Karlsbad ist im Juli u[nd] allein unmöglich. Wimmelt von Bekannten, die gleich weg hätten, weshalb ich kam. Aber ich könnte auch 1 Tag nach Berlin kommen, da Sie wohl über Berlin fahren. Doch dort warten vermutlich schon so viele andere – Frauen – u[nd] ich würde nur contrecarrieren? Ach, ich freu mich so rasend!! Diese Tage wagt ich gar nicht zu schreiben. Kam mir vor wie ein Hunderl, das geschlagen worden u[nd] sich in einen Winkel verkroch, traute mich aus Angst gar nicht hervor. Aber die heutige Liebkosung lockt mich wieder ans Licht. Ich freute mich, daß Sie dem Studenten einen solchen Keulenschlag mit Ihrem Artikel versetzten. Es war doch eine Unverschämtheit von ihm, Sie – schlagen zu wol- len mit seiner Entgegnung.

252 Interlaken (Schweiz).

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Stellen Sie sich vor, was mir vorgestern begegnet. Der Rechtsanwalt253 schickt seine – Wirtin zu mir als Liebeswerberin, ich möge doch schreiben u[nd] ihm erlauben zu kommen, er erschieße sich sonst. Ich schrieb ihm: „Ich ließ mir von Ihrer Wirtin viel Schönes von Ihrer Frau er- zählen u[nd] von Ihren großen Töchtern u[nd] empfehle Ihnen, Ihrer Familie zu leben, wie ich es thue!![“] Begossen. Heute 2 Worte von ihm: „Einverstanden. Schluß.“ Ich war wütend über seine Frechheit. Ach, wenn wir uns nur treffen könnten! Vielleicht Prag? Berlin mir lieber. Er- bitte umgehend Bescheid. Ich nehme wieder meine Zuflucht zu jener Sprache und zu – einem Bild.

Yours „When with flame all around him –“254

68. 8. 7. 1901 an Arthur Schnitzler

Strzebowitz 8/7 01.

Verehrter Herr Doktor, natürlich hab ich geglaubt, daß Sie Abwesenheit markiren, weil Ihnen das Ganze zu fad war. Sie sehen enorm adlerflügig aus auf einem Bild, daß ich ganz erschrocken in einem illustr[ierten] Blatt entdeckte. Also, wenn ich wieder nach Wien komme. Ich möchtʼ Ihnen gern was sagen über die Beatrice, die ich, zu einer Gans ge- wandelt, in Breslau255 sah. Aber herrlich ist dieses Drama. Die ganze Menagerie von Darstellern konnt es nicht umbringen. Viel Vergnügen für St. Anton.256 Sie wissen, was Göthe257 zu solchen Ausflügen sagte. Ich fliege darum nicht, denn mir ist das eine zu langweilig und das andere erst recht. Freundl[ichen] Gruß! Marie Stona

253 Anm. 202. 254 Einleitung des Gedichtes von Swinburne Dolores aus der Sammlung Poems & Ballads: „When, with flame all around him aspirant / Stood flushed, as a harp-player stands [...]“. 255 Anm. 147. 256 St. Anton am Arlberg, Tirol (Österreich). 257 Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832), deutscher Schriftsteller und Dichter.

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69. 9. 7. 1901 an Georg Brandes

9. Juli abends

Mein Freund! Eine große Freude: ich habe Ihr Buch wieder mit den vielen vielen Bildern! Vier Brandes auf jeder Seite, vom putzigsten Kind bis zum Vollmenschen, zum Menschen voll Melancholie. Wie mich das freut. Ich sehe die Bilder jetzt ganz anders an als frü- her, sie haben ganz andere Bedeutung für mich. Ich lese den Artikel Lwów258 u[nd] bin wüthend auf das Frøken259 Jadwiga, dem er gewidmet ist. Das ist der einzige dunkle Punkt in dem lichten Buch. 10. Juli. Gestern kam Helene endlich zurück, viel mehr Dame geworden von all dem Badeverkehr.260 Sehr entzückt vom jungen Clemenceau,261 der vor 6 Wochen eine 17 jähr[ige] bildhübsche Ungarin geheiratet hat. Etwas dummlich, wie sie sagt (mit ge- wohnter Überlegenheit.) Da ich Sie kenne u[nd] Sie Clemenceau, fanden es die beiden Leute ganz selbstverständlich, sich sehr zu befreunden, nämlich Helene und der junge Ehemann. Die Logik der 18 Jahre. Herzlichen Dank für die heutige Zeitung. Ihr Wahrheitshaß262 interessiert mich. – Ihr Stil ist noch so schwer für mich. Ich weiß nicht – ich kann heute gar nicht schreiben. Erstens aus Angst u[nd] zweitens, weil ich mich Ihnen schon sehr sehr nahe fühle. Was sollen da die paar leeren Worte. Ich bin sicher, daß Sie in diesem Augen- blick, 10. Juli 4 Uhr wenn auch ganz flüchtig nur sich meiner erinnern. So scharf fühlʼ ichs.... Auf Wiedersehen! Viel Ungesprochenes und Herzliches! Ihre M[aria] St[ona] Wenn nur mein Bruder nicht um den 20. kommt. Denn dann könntʼ ich nicht fort.

258 Georg Brandes: Lwów (1899, GBSS 10). 259 Fräulein (dän.). 260 In Trencsin. Vgl. Anm 214. 261 Anm. 251. 262 Georg Brandes: Sandhedshadet (1901, GBSS 15).

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70. 11. 7. 1901 an Georg Brandes

Strz[ebowitz] 11/7 [19]01.

Mein lieber Freund. Es ist ganz gut, daß nichts mit Berl[in] wird, ich kann mir vorstellen, in wel- cher Hast und Eile Sie dort den Tag verbringen. Gestern kam mir eine luminöse Idee: Können Sie denn nicht herkommen? Das wäre doch das Schönste! Der Umweg kommt mir gar nicht so ungeheuerlich vor. Warum denn so weit zur Nachkur? Sie ist freilich wichtiger noch als die Kur selbst, aber könnten Sie nicht nach Ungarn in die Tátrá gehen, dort würde ich Sie mit meiner Freundin besuchen. Oder Sie kommen auch her! Nur wird mein Vater von Mitte Aug[ust] bis Anfang Sept[ember] nicht zu Hause sein, er geht nach Trencsin,263 u[nd] in seiner Abwesenheit wäre ich lieber allein hier – oder auch verreist. Ich freu mich so – denn irgendwo sehe ich Sie doch! Heute schickte ich Ihnen mein Novellenbuch.264 Wenn Sie in Karlsbad einmal Zeit haben, überfliegen Sie vielleicht die letzte Novelle. Mir wär es so lieb, wenn Sie sie lesen u[nd] mir einige Worte über sie sagen würden. Ich sandte Ihnen auch ein Bild von mir, im Blick ist der Gedanke an Sie. Ausgezeichnet ist Ihr Essay über den Wahrheitshaß.265 Ich habe geschwelgt in dieser Satyre. Was mir das für ein Genuß ist, Sie lesen zu können!! Aber nicht immer. Ihr Lwów266 z. B. ist im Anfang so minder. So viel Eitles. Aber das ist wohl nur im Anfang so. Mit Ihren Artikeln in Politiken267 kommen Sie mir vor wie Zeus, der ein Bündel Blitze in die Menge wirft – u[nd] wir haschen dann danach u[nd] freuen und über die Funken, – wenn sie uns nicht verbrennen. Kaer Ven!268 Diese Nacht erwachte ich, dänische Worte auf den Lippen. Inʼs Buch schrieb ich nichts – aus lauter Angst. Viel tausend herzliche Grüße! Und noch mehr frohe Hoffnungen! Ihre M[aria] St[ona]

263 Anm. 214. 264 Anm. 67. 265 Anm. 262. 266 Anm. 258. 267 Zeitschrift, die Brandes mitbegründete. 268 Richtig kaere ven, lieber Freund (dän.).

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71. 17. 7. 1901 an Richard von Schaukal

Strzebowitz 17/VII [19]01

Sehr verehrter Herr, Ihr Brief hat mich wirklich erfreut. Vielen Dank. Ich verstehe Sie nun viel bes- ser, seit ich Ihre „Intérieurs aus d[em] L[eben] d[er] Z[wanzigjährigen]“269 kenne. Bei Ihnen kommt man durch die Prosa zum Verständnis des Menschen schneller als durch die Poesie, – vielleicht weil soviel Pose in Ihnen steckt,* die sich bei der Prosa leichter verschiebt. Ich darf das wohl sagen; Sie sind ja großdenkend genug, um nicht empfind- lich zu sein. Ich bin sehr begierig, was Sie zu meiner Auffassung Ihrer Intérieurs sagen wer- den, die Sie demnächst lesen sollen. Für die Menge ist ja das Buch nicht – Gott sei Dank, und den Zunftkritiker schlägt es ins Gesicht. Der Effekt? Siehe Litterar[isches] Echo. Mich hat diese Rezension vielleicht mehr geärgert als Sie, weil mir das Buch vielleicht lieber ist als Ihnen, obwohl ich es unausstehlich finde wie ein verzogenes Kind. So haben Sie es ja aber auch behandelt. – Also ich schicke Ihnen mein Buch, – älteres habe ich leider nicht zu Hause. Ihr Urteil über die letzte Novelle – die andern kommen nicht in Betracht – würde mich sehr interessieren. Bitte, ganz ehrlich! Sie leben nach innen. Ich auch. Das ist doch das Schönste! Recht herzliche Grüße! Marie Stona. *darum lieben Sie auch die Spanier – wegen der Pose, – „spanische Etikette“...

72. 22. 7. 1901 an Arthur Schnitzler

Strzebowitz 22/VII [19]01.

Verehrter Herr Doktor, ich weiß schon, so lieb dankt man immer, wenn man etwas nie lesen will. Und doch möchte ich furchtbar gern, daß Sie die letzte Novelle im Büchel270 lesen, die Briefe an einen Toten. Die andern sind dumm, sind für normale Dutzendmenschen, – die No- velle möchte sich lieber an die anormalen wenden, an jene, von denen jeder einzelne 12 Dutzend wert ist. – Ja – Ihre Beatrice271 hat mir einen kolossalen Eindruck gemacht; ich

269 Richard Schaukal: Intérieurs aus dem Leben der Zwanzigjährigen. Leipzig 1901. 270 Anm. 67. 271 Arthur Schnitzler: Der Schleier der Beatrice (Drama, 1899).

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scheue mich fast, es zu sagen, daß es das einzige moderne Stück ist, in dem ich einen leichten Ewigkeitshauch verspürte, wie er uns aus Shakespeare272 so voll anweht. – Wenn Sie so viel herumkutschieren, sind Sie vielleicht auch nächstens in Karls- bad. Ich bin Anfang August mit einer reizenden Ungarin273 dort. Sie sind viel zu ge- scheidt, nicht wahr, um zu glauben, daß ich Sie dorthin locken möchte. Übrigens kenne ich Sie persönlich. Denken Sie, ich stand vor Jahren in einer Trafik im 9. Bezirk, da stürzt ein Herr herum u[nd] verlangt 30 Briefmarken für den Stadtverkehr, zieht 30 Briefe aus der Tasche, u[nd] pickt u[nd] pickt. Dieser S[e]igneur waren Sie! Es war nach der Première der Liebelei.274 Ich habe Sie damals sehr verachtet, weil Sie an so viele Gräfinnen schrieben u[nd] ich stark demokratisch war. Herzliche Grüße! Marie Stona.

73. 15. 8. 1901 an Arthur Schnitzler

Sehr verehrter Herr, Ihr freundlicher Brief hat mich in Karlsbad gefunden. Herzlichen Dank! Mit gro- ßem Interesse las ich Ihr Urteil über mein Buch. Mit dem Vorwurf der Unsachlichkeit haben Sie gewiß recht. Sehen Sie, ich fand so lange niemand, der mich auf die Fehler meiner Erzählungsform aufmerksam gemacht hätte, u[nd] war zu dumm, sie selbst zu finden, niemand, der mir die Bücher nannte, die man unbedingt gelesen haben muß. Es ist jetzt erst Haltung in mich gekommen, Ernst und Bewußtsein. Seien Sie mir nicht böse wegen der Bemerkung über – na – halt wegen einer Bemerkung im frühern Briefe. Ich hab sicherlich nur alles heiter und harmlos gemeint. – In welcher perfiden Weise greift man Sie an. Wüthend war ich, als mir letzthin eine Rezension über Ihren sehr guten Gustl275 in die Hände fiel. Bande! Bitte, grüßen Sie bestens H[errn] Paul Goldmann276 von mir, dessen ich mich lebhaft erinnere – ich sehe ihn vor mir mit dem schwarzen Schnurrbärtchen und den roten Wangen. Er war stets sehr gut zu mir. Nochmals dankt Ihnen herzlich mit einem Händedruck Marie Stona.

Strzebowitz 15/8 [19]01.

272 William Shakespeare (1564–1616), englischer Dramatiker. 273 Anm. 220 (?). 274 Arthur Schnitzler: Liebelei (Drama, 1895). 275 Arthur Schnitzler: Lieutenant Gustl. Berlin 1901. 276 Anm. 7.

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74. 22. 8. 1901 an Georg Brandes

Strzebo[witz] 22/8 [19]01.

Meine geliebte Universität, Ich war so maßlos nervös in diesen Tagen an unausstehlichen Gästen, daß ich nicht einmal zu einem Briefe die innere Ruhe fand. Jetzt bin ich ruhiger und einsamer, vielleicht, weil einsamer. Nur noch Dr. Rudolf Steiner277 u[nd] Frau sind aus Berlin hier. Er ist ein begeisterter Anhänger von Ihnen[.] „Was haben die Deutschen von ihm gelernt, und wie danken sie es ihm jetzt!“ rief er gestern. Als er das Magazin redigierte, brachte ihm Einer eine Schrift gegen Sie, in der auch Ihr Stil angefochten ward. „Ver- stehen Sie denn dänisch?“ fragte er den Verfasser. „Nein – aber die Übersetzungen –“ „Junger Mann – packen Sie Ihr Manuskript ein – Sie blamiren sich unerhört,“ rief Dr. Steiner dem Jünger zu. Ich habe wieder eine Erfahrung an mir gemacht, liebster Freund. Ich bin wieder aus einer Freundin herausgewachsen wie aus einem alten Kleid. Sie ist mir zu eng an allen Ecken und Enden. Ich verstehe sie noch – aber sie versteht mich nicht mehr. Das macht mich traurig und froh. Kommen Sie nicht jetzt her? Wir hoffen es alle. Am herzlichsten ich – am rüh- rendsten Helene. Foraarets Död278 hat uns viel Genuß gebracht. Sobald Sie hier oder in Kopenha- gen sind, kriegen Sie die Bücher gleich zurück. Liebster, liebster Freund. Wie freu ich mich auf Sie! Viel tausend Grüße! Immer Ihre Marie

277 Anm. 109. 278 Johannes Vilhelm Jensen: Foraarets Død. København 1900.

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75. 23. 8. 1901 an Richard von Schaukal

Strzebowitz 23/VIII 01.

Sehr verehrter Herr, Dr. E[dmund] W[ilhelm] Braun,279 der Direktor des Museums in Troppau,280 wür- de gern die Intérieurs281 rezensieren. Wollen Sie das vielleicht Ihrem Verleger mitteilen? Besten Gruß Marie Stona.

76. 31. 8. 1901 an Richard von Schaukal

Strz[ebowitz] 31/8 [19]01.

Sehr verehrter Herr, nun weiß ich wenigstens, wie Sie ausschauen. Also so! Etwas resignirt um die Lippen. Natürlich einen viel zu hohen Kragen. Sehr schade, daß der Verleger knausert. Dr. Br[aun] hätte einen mächtigen Artikel geschrieben. Ich soll Ihnen sagen, daß jetzt in Troppau282 eine vollständige Goyaausstellung283 ist. Prachtvoll. – Ich freu mich, daß manches im „Spiel d[er] S[inne]“284 Ihnen gefiel. Also zu „leicht–“ Jessas! Jessas! Beste Grüße. Sind Sie Jäger? M[aria] St[ona]

279 Anm. 78. 280 Anm. 14. 281 Anm. 269. 282 Anm. 14. 283 Francisco Goya (1746–1828), spanischer Maler. 284 Anm. 67.

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77. 2. 9. 1901 an Richard von Schaukal

Strzebowitz 2/9 [19]01

Verehrter Herr Doktor[,] na hören Sie – salopp – das ist das neueste. Diese 3 ersten Nummern mögen die- sen fälschlichen Eindruck machen – vielleicht ist das nur ihre Hilfslosigkeit – bei der 4. verwahre ich mich ganz entschieden dagegen. Die Kritik in der Wage285 las ich nicht (über die Intérieurs?)[,]286 habe an der gestrigen in der N[euen] Fr[eien] Presse genug.287 Meine schimpft ja auch bissel, aber doch in vornehmerer Weise. Opfern Sie nur ruhig die 3 fl. Das ist der einzige Mensch,288 der das Buch begeistert rühmen würde, weil er ein Faible für Sie hat. – Würde es ihnen Spaß machen, einmal hier zu jagen? Dumme Frage. Höflich sagen Sie ja u[nd] es kommt doch nie dazu. Kenne das. Herzl[iche] Grüße! M[aria] St[ona] 3 bis 5 ist zu viel. Eines wäre mehr als fünf Bücher.

78. 14. 9. 1901 an Richard von Schaukal

Strz[ebowitz] 14/9 [19]01.

Geehrter Herr Schaukal, Dr. Braun ist von den Intérieurs entzückt;289 er spricht den Norddeutschen überhaupt die Fähigkeit ab, über dieses Buch zu urteilen; er hat vor mir einige ausge- zeichnete Bemerkungen gemacht, die er sich sofort notiren mußte. Nun will er einen größer[e]n Artikel schreiben u[nd] zwar für Ver sacrum.290 Ich denke, daß diese vorneh- me Zeitschrift dazu sehr geeignet ist. Wie er mir den Essay skizzirte, will er die feinen Merkmale süddeutscher Kunst an Ihrem Buch klarlegen.

Ich schreibe Ihnen das, weil ich denke, daß es Sie freuen wird. Beste Grüße! Marie Stona

285 Die Wage, österreichische Zeitung. 286 Anm. 269. 287 Von C. F. Tiefenbach (Neue Freie Presse 1. 9. 1901, S. 24). 288 Edmund Wilhelm Braun (?). 289 Vgl. Briefe Nr. 75, 76 und 77. 290 Zeitschrift der Wiener Secession. Von Edmund Wilhelm Braun ist in Ver sacrum kein Text erschienen.

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79. ---. ---. 1901291 an Georg Brandes

Sonntag früh

Mein liebster, herzlich liebster Freund! Heute 2 Briefe von Ihnen – o was hab ich für Freude! Wenn ich nur wohl bin, dann komme ich sicher nach Leipzig. Und wie rasend gern!! Eben lag ich 2 Tage zu Bett, aber heute stehe ich auf u[nd] bin hoffentlich in 3 Tagen ganz gesund. (Aber lieber am 20. als 19! bitte, wenn es geht!) Ich hab schon solche Sehnsucht nach Ihnen! Wie lieb und gut von Ihnen, das kleine Buch292 gleich zu lesen u[nd] mir so ausführlich Ihr Urteil zu schreiben. Ich lerne so viel daraus. Ich weiß jetzt, wie ich Melanie schildern muß, denn Melanie ist noch lange nicht abgeschlossen. Über diese anmutig sinnliche Frau mit der ewigen Sehnsucht nach Seele u[nd] dem Feuer im Blut schreib ich noch eine Menge. Daß der Schluß von „Ihre Erzieher“293 miserabel ist, ist mir klar. Aber neu und fatal ist mir der Snobismus der letzten Novelle. Es ist immer ein Zeichen groben Un- geschicks, anders zu wirken, als man wirken will. Im Ganzen bin ich aber so zufrieden mit Ihren Worten, – ich hatte fürchterliche Angst vor Ihnen. Ich werde Amalie Skram294 lesen. Überhaupt muß ich Ihnen gestehen, daß ich weg bin von Euch Dänen. Herrgott, die haben im kleinen Finger mehr als wir Deutschen im ganzen Professorenschädel. Welche Feinheit, welche Kunst, welch ein durchsättigtes, gereiftes Schönheitsgefühl! Aebelø295 ist zauberhaft u[nd] dabei stellenweis schleuderisch u[nd] geschmacklos (letzteres vielleicht Schuld der Übersetzerin)[.] Eine Winterbeschreibung drin kläglich „Silberklingen, Teppich, Daunen, Krystallsäulen“ – so wirkt der Schnee; die Bilder führen im Zickzack. Aber unvergleichlich schön die Schilderungen der Insel, der Lei- denschaft, die ganze Conception. In Swinburne296 schwelge ich. Wie reizend ist: A Leave-taking. „Let us go hence, my songs; she will not hear...“ Der deutsche Dichter verfolgt mich mit Drohsonetten. „Wie ich dich hasse, kann dich Niemand hassen!“ So plump! Ich freue mich auf den 20. Ich liebe Jemand sehr sehr sehr. Und sehne mich – – Und dank Ihm alles Schöne und allen Reichtum, der mir zufliegt! Immer Ihre M[aria] Ein Hôtel in Leipzig kenne ich nicht. 291 Angesichts der ausstehenden Datierung ist es nicht klar, wohin der Brief einzuordnen ist. Die Erwähnung von Swinburne, die Reaktionen von Brandes auf ein „Novellenbuch“ und das geplante Treffen in Leipzig anlässlich des Aufenthalts von Brandes in Deutschland deuten auf den Sommer 1901. 292 Anm. 67. 293 Melanie und Ihre Erzieher – Novellen aus Stonas Buch Im Spiel der Sinne. 294 Amalie Skram (1846–1905), norwegisch-dänische Schriftstellerin und Frauenrechtlerin. 295 Sophus Michaelis: Aebelø. København 1895. 296 Anm. 218 und 231.

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80. 4. 9. 1901 an Georg Brandes

Strzeb[owitz] 4/9 [19]01. abends

Mein verehrter Freund, Heute früh kamen die Zeitungen, morgen früh gehen sie zurück. Ich danke Ihnen tausendmal. Wie froh bin ich, daß ich Sie lesen kann. Mir ist es, als hörte ich Sie spre- chen. Das Døde Hav297 macht mich melancholisch. Es ist so viel Schärfe u[nd] so viel uneingestandener Schmerz darin, der doppelt weh thut dem, der Sie lieb hat. Ihr chinesischer Feldzug ist wunderbar. Ich bin noch nicht ganz fertig. Der chi- nesische Brief berichtet Entsetzliches.298 Unsere Zeitungen schweigen davon. In der N[euen] Fr[eien] Presse waren Sie Sonntag wenigstens – erwähnt. Ein Herr Eugen Holzer299 begann seine Rezension mit einer Hymne auf Ihren „weltberühmten Björnson Artikel“, aus dem er zitierte. Und sehen Sie – wenn Jemand nicht im Toten Meere fisch- te – sind Sie es. Oder vielleicht doch?? Denn Niemand hat mehr gegeben und weniger empfangen in seinem ganzen Leben als Sie. Sie sind der Saemann – der den andern die Ernte vorbereitet.

Vielen vielen Dank für Ihre liebe Karte. Ich wüßte so gern Ihre Nächte voll Schlaf! Die Tage also sind voll Russinnen. Ihre Karte schickte ich Helenchen nach, die für 8 Tage in Mähren ist. Da sie nun von den Zeitungen nichts sieht, habe ich sie generös für das geistesdürstende Mädel aus Kopenhagen bestellt. Ich hoffe, Sie haben in den nächsten Tagen viel Vergnügen! (Bin heute noch viel dümmer als sonst – geistig total ausgegeben) Mit unzählbaren herzlichen Grüßen immer Ihre M[aria] St[ona]

81. 4. 9. 1901 an Georg Brandes

4/9. 01.

M[ein] v[erehrter] F[reund]! Ich bin ganz weg über Ihren Chinakrieg,300 über diese kolossale Wucht der Ent- gegnung in der letzten Nummer. Diese erschlagende Menge von Thatsachen und Be- 297 Georg Brandes: At fiske i det døde Hav (1901, GBSS 15). 298 Georg Brandes: En Kinsers Brev om Krigen; Kineserbreve (1901, GBSS 17). 299 Eugen Holzer, Rezensent (u. a. Das Literarische Echo). 300 Georg Brandes, En Kinesers Brev om Krigen (1901, GBSS 17).

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weisen! Wie haben Sie das nur alles so in Karlsbad aus den Ärmeln geschüttelt. Jauch- zend hab ich das gelesen! Stor Kaere Ven – meget – meget stor!301 Das Donnergetöse dieser Worte muß in der ganzen Welt wiederhallen! M[aria] St[ona] Nur den Chinesenbrief302 schickte ich an Helene, die ihn gleich senden wird. Zeitungen folgen mit 100 000 Dank zurück.

82. 14. 9. 1901 an Georg Brandes

Strz[ebowitz] 14/9 [19]01.

Mein liebster Freund, ganz gegen meine Gewohnheit und gegen mein Gefühl blieb ich Antwort schul- dig. Wir hatten Jagden, sehr viele Gäste u[nd] dazu jagen sich die Correcturbogen des Jacobowskibuches,303 das im Prestissimotempo gedruckt wird. Ich habe Freude an dem Buch; ein sehr bekannter Künstler – Hermann Hirzel304 – zeichnet den Buchschmuck. Ich denke, Ihnen in 2 Tagen die Correctur Ihres Artikels zu senden, werde mich telegra- phisch anfragen, ob Sie noch in Kreuznach305 sind. Das Vorwort lege ich bei.306 Ist es gut – oder vielmehr: geht es so? Eben sehe ich, daß Ihr Brief vom 8. datirt ist; er kam aber erst am 11. an. Ich freue mich riesig, daß Sie liebe Tage in Kreuznach hatten. Nun sende ich heute die Bücher nach Kopenhagen und mit tausend Dank. Ich habe oft und oft die große Kunst des Erzählers bewundert. Die Deutschen machen aus der Kunst oft ein Handwerk; die Dänen aus dem Handwerk selbst eine Kunst. Wie vie- les in den zwei Büchern würde ein Deutscher nüchtern oder übertrieben gesagt haben; der Däne gestaltete es zu künstlerischer Form. Ich bin Ihnen sehr sehr dankbar, das sag ich Ihnen – und noch viel mehr – mit Lippen und Herz. Helenchen leuchtete, als ich ihr Ihre warmen Worte las. Immer Ihre M[aria] St[ona]

301 Mein lieber Freund – sehr – sehr groß (dän.). 302 Anm. 298. 303 Anm. 153. 304 Hermann Hirzel (1864–1939), Maler, Graphiker und Zeichner Schweizer Herkunft. 305 Bad Kreuznach (Deutschland). 306 Dem Brief wurde das Vorwort für den Sammelband Ludwig Jacobowski im Lichte des Lebens beigefügt.

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83. 20. 9. 1901 an Georg Brandes

Strzebo[witz] 20 Sept[ember] abends.

Seien Sie nicht böse, mein Freund, daß ich Ihnen schon wieder schreibe. Ich habe viel Einsamkeit und ein ganz klein wenig Sehnsucht nach Ihnen (ein Mehr würde ich nie eingestehen.) Und ich schäme mich, daß ich mich so blamirt habe mit allem, was ich Ihnen zum Lesen schickte. Ich weiß heute ganz genau, was alles schlecht und miserabel daran ist. Und schäme mich so vor Ihnen! Besonders „Ihre Erzieher“307 in „Nord und Süd.“ Hu – brrrr! Sie haben den umgekehrten Weg des Zeus eingeschlagen, und ich den umge- kehrten Weg der Prinzessin in den deutschen Märchen: ich habe mir die Eselshaut zu- gelegt, anstatt sie abzuwerfen.

Nun kenne ich Sie mehr und mehr. Sagen Sie mir, lieber Freund, ist es nicht furchtbar kalt und einsam in der Gletscherhöhe Ihres Geistes? Stimmt es Sie zornig oder wehmütig, auf das Idiotengesindel der breiten Ebene zu blicken? Aber das sind ja alles Phrasen. Es ist so dumm, daß Sie mir jetzt so groß vorkom- men. Das wird mich noch ganz unnatürlich machen. Ihr Essay über Lermontow308 hat Sie meinem Herzen so nahe gebracht. Ach wie habʼ ich mich einst berauscht an dem „Held unserer Zeit.“309 Praktisch wie ich war, hatte ich mir den Roman durch Annoncen antiquarisch verschafft; er kam aus Italien. Die einzige deutsche Übersetzung, die aufzutreiben war. Heute, nach Jahren, weiß ich noch manche Stelle auswendig, wie ich viele Lieder in der Bodenstedt-Übersetzung auswendig kenne.310 Und den Dämon!! Tamara war immer ich, und der Dämon das große Unbekannte, das irgendwo geheimnisvoll flatterte u[nd] seine Fänge nach mir reckte, vor dem mir graute u[nd] das ich herbeisehnte, für das ich lebte und an dem ich verging. Ach mein Dämon! Haben Sie je erlebt, daß Ihre ganze Sehnsucht je befriedigt worden wäre? Ich nie. Ein Stückchen Herz bleibt immer leer. Warum ist das so? In diesem Stückchen lebt dann die Sehnsucht weiter und weiter und wird aufs neue groß... Ich habe Sie lieb. M[aria] S[tona]

307 Anm. 293. 308 Vielleicht ein Essay über Puschkin und Lermontow. 309 Michail Jurjewitsch Lermontow: Ein Held unserer Zeit (Original 1840). 310 Übersetzungen aus dem Russischen von Friedrich von Bodenstedt.

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84. 21. 9. 1901 an Georg Brandes

Strzebowitz 21/9 [19]01.

Mein liebster Freund! Nach Kreuznach311 schrieb ich Ihnen u[nd] vorgestern sandte ich nach Kopenha- gen die Correctur. Seien Sie nicht zu ärgerlich, bitte schön, lesen Sie Ihren Jacobow- skiartikel312 noch einmal. Und wenn die Götter mir wohl wollen, dann senken sie eine Ahnung in Ihr Herz, wie dankbar und froh mich dieser Essay von Ihnen macht, wel- chen Wert er dem kleinen Buche giebt. (Die Correctur krieg ich gleich zurück, ja?) Denken Sie sich nur, wie viel ich zu thun habe; vorgestern war ich von ½ 9 früh bis 5 Uhr nachmittags – nur mit kurzer Pause – fast ununterbrochen beschäftigt. Sobald das Buch fertig sein wird, hab ich wieder etwas mehr Ruhe. Aber ich weiß nicht, woher es kommt, daß plötzlich das litterarische Deutschland so viel Vorliebe für mich kriegt. Es hat sich in den letzten Monaten ein großer Umschwung zu meinen Gunsten vollzogen. Bin ich Ihnen langweilig, wenn ich Ihnen sage, daß mir Chastelard313 und Aurora Leigh314 geradezu Offenbarungen sind. Wie ich das genieße, wie das in mich übergeht und mein eigenes Blut nährt! Gestern abend zog Helenchen (die jetzt einen Männerkopf vorzüglich model- liert) mit einer Schar alter dänischer Zeitungen zum Abendessen herab. Nach Tisch blättert u[nd] liest sie. Plötzlich schreit sie: „Witkowitz!“ und wir finden Ihren lieben Artikel mit der flammenden Schilderung.315 Großer Jubel. Ich nenne mich von nun an nur noch Ihr Selskab.316 –“ Hattʼ ich nicht Recht, daß Ihr Polen317 ausverkauft ist? – Ich wünsche Sie in frischester Gesundheit! Von Helene und mir tausend Grüße! Ihre dankbare Marie St[ona] Das Wort von den 1 000 Küssen wie Einen – Einen wie 1 000 fand ich nicht in Chastelard.

311 Anm. 305. 312 Anm. 171. 313 Algernon Charles Swinburne: Chastelard, A Tragedy. London 1865. 314 Elisabeth Barrett Browning: Aurora Leigh. London 1864. 315 Georg Brandes: Witkowitz (1901, GBSS 11). 316 Gesellschaft, Gesellschafter, Begleiter (dän.). So bezeichnet Brandes Stona in seinem Text. 317 Anm. 68.

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85. 24. 9. 1901 an Georg Brandes

Str[zebowitz] 24/9 [19]01.

Mein Freund, Nur einige schnelle Worte mit herzlichem Dank für die lieben Zeitungen von gestern. Der dänischen [!] Nationalcharakter318 hat mich interessiert, sehr interessiert – und ich merke eine feine Absicht hinter dem ganzen Essay. Sie sagen nicht: „so seid Ihr nicht“ – Sie sagen viel feiner: „so werdet Ihr sicher werden“. Sonderbar – Ein Volk muß man erziehen wie ein Kind. Und erziehen heißt ei- gentlich nichts als: Hinaufziehen. Ich liebe Sie sehr, wenn Sie so sind, wie in diesem Artikel. Auch anders. Eigent- lich immer. Die Postkarte letzthin schrieb ich mit Willen – nicht etwa aus Vergeßlichkeit. Nun – wie fühlen Sie sich jetzt nach Karlsbad? Merken Sie irgend eine Wohlthat der Kur? Ich merkte Karlsbad vorzüglich; nun ist mir schon ganz übel vom ewigen zu- hause-sitzen u[nd] ich fahre Anfang Oktober für einige Tage nach Wien. Bis ich eine Novelle für die „Zeit“ vollendet habe, die mich drängt. Stellen Sie sich nur meine Be- deutung in Österreich vor. Auf einmal drängt die „Zeit“, die früher nie Notiz von mir nahm. Ich bin sehr fröhlich u[nd] voll Lust und Kraft und immer herzlichst Ihre Marie St[ona]

86. 4. 10. 1901 an Richard von Schaukal

Strzebowitz, 4. Okt[ober]

Verehrter Doktor Schaukal, Bin nicht ganz wohl, daher so geschwiegen, daher diktieren – Dr. Braun319 ist schrecklich, er wird nie rasch genug fertig. – Ich fahre nächste Woche nach Wien mit dem Mittagsschnellzug. Seien Sie nicht ganz so weltabgekehrt, wie auf dem Bilde u[nd] kommen Sie auf den Bahnhof. Da läßt sich alles, auch wegen der „Zeit“ viel besser besprechen – das giebtʼs nicht, daß die Sie totschweigt.

318 Georg Brandes: Om Nationafølelse (?) (1894, GBSS 12). 319 Anm. 78.

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Schreiben Sie mir umgehend, bitte, ob Sie nicht zu träge sind, Mittag auf die Bahn zu kommen. Mit besten Grüßen Marie Stona

87. 13. 10. 1901 an Georg Brandes

Strz[ebowitz] 13/10 [19]01.

Mein hochverehrter Freund, Endlich kann ich selbst Ihnen danken, – ich bin wohl heute zu Bett – aber der Kopf ist schon wieder ganz klar und ohne Schwindel. Sie haben Helene eine riesige Freude gemacht, sie kommt jeden Morgen selig mit einem Packet zu mir. Auch ich freu mich so sehr über das liebe Buch – tausend herzlichen Dank. Werde es gleich lesen mit Helene. Gestern schrieb mir Helene Forinyák,320 die eben aus Holland und Paris zurückgekehrt ist, daß sie in Csöppöny321 einen Brief von Ihnen fand u[nd] be- klagt sehr, ihn nicht eher erhalten zu haben u[nd] begehrt Ihre Adresse. Köstlich ist das Abenteuer mit dem Russen zu Ende gegangen. Sie wissen nicht, daß er ihr nach Wien und Holland nachreiste, scheinbar aus Liebe, um sie zu heiraten – in Wahrheit um ihre holländ[ischen] Verbindungen für einen Credit von 4 Millionen für seine Automo- bils auszunützen. Nun schreibt sie gestern, er habe sich zum Schluß, so wenig redlich benommen, nachdem schon ihre Freundin geschäftlich intervenirt hatte, daß sie alle Beziehungen zu ihm abbrach. Ich finde das köstlich. Nun ist es nichts mit Tiflis und Te- heran und Kiew und Petersburg u[nd] ihre russischen Sprachstudien wird sie wohl auch schon aufgegeben haben. Mir schien der Mensch gleich so, wie auf Vorstadtbühnen Abenteurer gegeben werden. Ich sah den Kerl noch im Restaurant am Nebentisch mit der Pariser „Künstlerin.“ Bitte gegen Helene For[inyák] nichts erwähnen, daß ich Ihnen diese famose Geschichte – der Mensch wollte schon ihrer Freundin in Holland ein Au- tomobil schenken für ihre Intervention – erzählte; wenngleich sie ja ganz harmlos ist. Ich denke mit sehr viel Herzlichkeit an Sie – mit sehr viel!! Ihre Marie

320 Anm. 220. 321 Richtig Csöpöny, Čepeň, Ungarn (Slowakei).

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88. 16. 10. 1901 an Marie Eugenie delle Grazie

Strzebowitz 16/10 [19]01.

Meine liebe Jenny, Es drängt mich, Dir zu schreiben, obwohl ich Samstag bei Dir zu sein hoffe. Aber wer weiß, wer dann alles dort ist u[nd] ob man zum Plaudern kommt, oder viel- mehr zum Sprechen. Ich habe die Schatten gelesen.322 Dichterisch u[nd] künstlerisch wunderbar, so daß ich ganz weg bin. Das Werk einer großen Dichterin. Wie man das „dunkel“ finden kann, ist mir einfach unverständlich. Technisch, rein in den Handgriffen des Dramas, scheint mir von S[eite] 111 – oder 113 an (die Rede des Fürsten) scheint mir einiges noch nicht ganz auf der Höhe. Mir ist, als hätte Dich bis dahin die Inspiration göttlich geleitet – hier aber fingst Du an zu suchen u[nd] eine etwas unsicher suchende tastende Hand zieht das Band der nächsten Szenen nicht ganz so fest. Im Anfang schreitest Du wie eine göttliche Somna- bule mit unerschrockener wundervoller Sicherheit einher. Auch zum Schluß bindest Du wieder die Flügel um u[nd] erhebst Dich in himmlische Höhen. Erstens bin ich wütend, daß die Kritik mit der verdammten Galanterie, die sie für uns Frauen so gütig bereit hat, das Stück verbindlich zu verurteilen sich anmaßt. Zweitens bin ich wütend, daß man ein solches Kunstwerk der Sprache wie ein Lustspiel leicht auffassen will. Warum nicht es als Buch freigeben, so daß man sich wie auf eine Wagneroper darauf vorbereiten kann?? Welchen Genuß würde mir heute die Auffüh- rung bereiten. Ein solches Werk ist doch kein Sensationsstück dessen Handlung man fiebernd folgt. Es giebt Ruhe und Genuß. Mir kommt es wie ein Liebesfest vor, das Du mit der Bühne feierst u[nd] ich rase gegen die Kritiker, die jeden Kuß beschnuppern wollen!!! So – jetzt ist mir leichter. Verehrung dem Herrn Professor. Dir Kuß. Deine Marie

89. 26. 10. 1901 an Georg Brandes

26 Okt [19]01.

Mein lieber Freund! Haben ewig lang nichts von Ihnen gehört – Helene stöhnt und ich seufze... Bin eben aus Wien gekommen. Schnitzler grüßt Sie – er ist charmant; ich habe

322 Marie Eugenie delle Grazie: Der Schatten (Drama, 1901).

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eine sehr vergnügte Stunde mit ihm verplaudert.323 Am 5[.] Nov[ember] fahre ich mit Helenchen wieder nach Wien, da will er uns ins Theater begleiten.324 In allen Gesellschaftskreisen war ich, auch im Lager der Christlich Sozialen, die ich entsetzlich dumm fand. Würden Sie es glauben, daß ein „Dichter“, als ich von Jacobsen325 sprach, meinte: „Der deutsche Dichter solle nur Deutsches lesen, um seine Originalität zu wahren“... um seinen Idiotismus in Reinkultur zu bewahren, müßte es besser heißen. Ich kann mit solchen Idioten nicht verkehren, noch in der Erinnerung gehen sie mir auf die Nerven. Menschen, die von Originalität faseln u[nd] nie eine hatten! Mit dem bewußten Herrn in der N[euen] Fr[eien] Presse sprach ich von Ihnen. Was er Ihnen „nachträgt“ ist: daß Sie nie für die unterdrückten Juden eingetreten sind, da Sie für so viele kämpften, für Finnländer und Dänen u. s. w. Er hat aber die Braga – Ihre Übersetzerin sehr lieb. Mir gehts noch nicht ganz gut. Kopf leicht eingenommen. Herzlichstes von Ihrer Marie St[ona]

90. 5. 11. 1901 an Arthur Schnitzler

Hotel Habsburg 5 Nov[ember] 1901.

Sehr verehrter Herr Doktor! Also da bin ich wieder mit meiner Tochter. Und wieder in dem gräßlichen Hotel. Werde ich die Freude haben, wieder ein wenig oder besser d. h. lieber viel mit Ihnen zu plaudern? Haben Sie Zeit? Und wann? Wir sind Donnerstag im Kubelikkonzert326 – Freitag u[nd] Samstag abend frei. Tagsüber immer. Mit herzlichen Grüßen Marie Stona.

323 Das erwähnte Treffen zwischen Stona und Schnitzler fand am 21. 10. 1901 statt. – Braunwarth (1989): 358. 324 Am 8. 11. 1901 notierte Schnitzler u. a.: „Museum. Stona und Tochter.“ – Braunwarth (1989): 359. 325 Anm. 101. 326 Jan Kubelík (1880–1940), tschechischer Violinist.

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91. 7. 11. 1901 an Arthur Schnitzler

Hotel Habsburg Donnerstag.

Sehr verehrter Herr Doktor, Ich freu mich so, daß Sie noch in Wien sind – aber ja nicht im Hotel Habs[burg] – Häßliche Eindrücke nie mit Absicht wiederholen! Wir sind also morgen Freitag so etwa um ½ 12 im Kunsthistor[ischen] Hofmuseum bei Coreggio327 – Palma Vecchio328 u[nd] dergl[eichen]329 Herzlichst M[aria] St[ona]

92. 13. 11. 1901 an Georg Brandes

Strzebowitz 13. Nov[ember] [19]01.

Hochverehrter Freund, Für so Vieles habe ich zu danken, auch in Helenchens Namen zu danken, die freilich von Ihren gütigen Zusendungen jetzt mehr profitiert als ich, da ich wegen mei- nes blöden Augenschwindels mich noch 14 Tage lang schonen muß.330 – Sonst aber geht es mir sehr gut u[nd] ich habe mich jetzt eben einige Tage in Wien mit Helene vorzüglich amüsiert. Natürlich mußten meine Interessen ganz in den Hintergrund treten. – Wir waren in vielen Ateliers bei Bildhauern u[nd] fanden auch einen tüchtigen Meister für Helene, bei dem sie Mitte Januar ihre Schule beginnen soll. – Fürchterlich hereingefallen sind wir bei einem Kainz-Abend. Kainz331 las Wiener Autoren, fast solch stumpfsinniges Zeug wie dieser Brief – das Publikum flüchtete schon nach den ersten 3 Nummern in Scharen. Man bekam einen traurigen Begriff von der spezifisch Wiener – Kunst. –

327 Antonio da Correggio (1489–1534), italienischer Maler. 328 Palma Vecchio (1480–1528), italienischer Maler. 329 Gemeinsam mit Stona und Helene Scholz besuchte auch Schnitzler das Museum. Vgl. Tagebuch- Notiz vom 8. 11. 1901: „V[or]m[ittag] bei Brahm. – Museum. Stona und Tochter. Mit Olg. Ali Bey (Zauber)“. – Braunwarth (1989): 359. 330 Der Brief wurde mit fremder Hand geschrieben. 331 Josef Kainz (1858–1910), österreichischer Schauspieler.

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Über Max Klingerʼs332 Berufung herrscht große Aufregung. Alles zittert. Die Feinde vor ihm, die Freunde für ihn. Es ist alles so fossil in Wien – das christlichsoziale Jubiläumstheater333 kann man wohl das dümmste der Welt nennen. Da sahen wir ein Stück „Im Zeichen des Kreuzes“, bei seiner 64. Aufführung. Vor dem Jubel der Zuseher kann man sich wirklich mit Ekel abwenden – dazu haben all die großen Männer gelebt, daß jetzt die breitesten Schichten der Bevölkerung zur Verdummung getrieben werden! – Herzl334 sah ich diesmal nicht. Mit vielen herzlichen Grüßen Ihre Marie Stona

93. 26. 11. 1901 an Richard von Schaukal

Strzebowitz 26/11 [19]01.

Sehr verehrter Herr Doktor, heute sandte ich Ihnen mein Jacobowskibuch335 u[nd] bitte Sie recht sehr, das irgendwo zu besprechen. Sie haben ja gewiß den lebenden Jacobowski336 hochgehalten, geben Sie noch dem Toten ein wenig Wärme! Auf Ihr Urteil über dies Buch bin ich sehr gespannt. Braun337 hat endlich seine Besprechung fertig. – Gestern war Dr. Muther338 hier. Herrlich anregende Stunden. Herzl[ichen] Gruß! M[aria] Stona.

332 Max Klinger (1857–1920), deutscher Bildhauer, Maler und Graphiker. 333 Antisemitische, klerikal orientierte Wiener Szene. 334 Anm. 50. 335 Anm. 153. 336 Anm. 54. 337 Anm. 78. 338 Wahrscheinlich Richard Muther (1860–1909), deutscher Kunsthistoriker.

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94. 28. 11. 1901 an Georg Brandes

Strzebowitz 28/11 [19]01.

Liebster Freund! Eine Freude habʼ ich – nicht zum Sagen! Ist das wahr mit der Dotation? Mich gehts ja nichts an u[nd] Sie brauchen sie gewiß nicht, – aber eine Riesenfreude, eine pudelnärrische Kinderfreude macht mir diese Anerkennung Ihrer enormen Verdienste als ob sie mich selbst getroffen hätte! Ich drücke warm u[nd] herzlich Ihre Hand und das soll Ihnen alles sagen. – Herzlichsten Dank auch für die beiden Zeitungen, die Helene wieder mir vorlesen wird, d. h. lesen und mir erzählen, ich lese noch nicht, aber es geht mir schon ganz gut u[nd] ich schreibe und dichte wieder mit Seligkeit! Das Jacobowskibuch339 sandte ich Ihnen. Es findet zu meiner Freude großen Beifall. Nun hat der Nordau340 den armen Clemen- ceau341 in der N[euen] F[reien] Presse mishandelt, u[nd] es zeugt von der Heldengröße des Franzosen, daß er noch immer groß aus dem Feuilleton342 hervorstieg. Ich grüße Sie tausendmal! Ihre Marie St[ona]

95. 2. 12. 1901 an Georg Brandes

Strz[ebowitz] 2/12 [19]01.

Mein liebster guter Freund! Sie haben keine Ahnung, wie unendlich mich Ihre lieben Worte erfreuen. Tau- send Dank und meine beiden Hände und den Kopf dazu. Hier ist der Artikel von dem Brüllaffen,343 wie Sie ihn famos bezeichnen. Es ist so lieb von Ihnen, sich um mich zu sorgen. Jetzt gehts mir schon ganz gut u[nd] ich juble wieder in der Kunst u[nd] jeder Tag bringt mir irgendeine Offenbarung. Aber Sie haben ganz Recht, ich will es nicht wieder übertreiben, – wenn es auch diesmal nur ein leichter Augenschwindel war, die Überanstrengung des rechten Auges, so wars doch eine Mahnung. Körperlich geht es mir ja diese ganze Zeit vorzüglich, ich sehe viel besser aus als in Karlsbad u[nd] fühl mich sehr wohl. Wie beglückt mich das, daß die Nachricht von Ihrem jungen Professorentum nun 339 Anm. 153. 340 Anm. 60. 341 Anm. 180. 342 Max Nordau: Georges Clémenceau, Neue Freie Presse 19. 11. 1901, S. 1–3. 343 Max Nordau (?).

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doch auf Wahrheit beruht. Die N[eue] Fr[eie] Presse hatte schon wieder dementiert zu meiner Wuth. Litterarisch geht es mir jetzt ganz gut. Die New Yorker Staatszeitung344 brachte mein Bild. Dergleichen mehrt sich jetzt. Schreiben Sie mir nicht – Sie haben so viel zu thun. Sagen Sie mir nur von Zeit zu Zeit mit 2 Worten, daß Sie mich nicht vergessen haben!!!!! Tausend liebe Grüße! Ihre M[aria] St[ona]

96. 18. 12. 1901 an Wilhelm von Scholz

Strzebowitz öster[reichisch] Schlesien 18 Dez[ember] 1901.

Hochgeehrter Herr! Sie haben Jacobowski345 gewiß Interesse entgegen gebracht – wie auch er Ihnen in reichem Maße. Darf ich Ihnen heute ein Buch überreichen, das seinem Andenken gewidmet ist? Bitte, nehmen Sie es lieb auf, und, wenn es Ihnen möglich ist, schenken Sie ihm ein paar Worte in irgend einem Blatte. Mir wärs sehr peinlich, wenn diese Bitte Ihnen arrogant erschiene. Seien Sie versichert, daß ich sie in aller Demut ausgespro- chen habe. Recht frohe Weihnachtsgrüße! Maria Stona.

97. 21. 12. 1901 an Georg Brandes

21/12 [19]01.

Liebster Freund! Ausgezeichnet sind Ihre beiden letzten Politiken346 Artikel. Ein Genuß, Sie zu lesen. Freilich, in Preußen wird man sich nicht freuen. Dafür in Polen umsomehr. Aber das ist alles gleichgiltig. Die Sache ist es, für die Sie eingetreten sind, nicht die Nation. Immer mehr sehe ich es ein, wie viel Bösartigkeit und Dummheit in der Welt ist. Be- 344 New Yorker Staatszeitung, deutsche Zeitung, herausgegeben in den USA. 345 Anm. 54. 346 Anm. 267.

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sonders Dummheit. In diesem letzten Jahr habe ich so viel an Einsicht gewonnen u[nd] hab überhaupt Fortschritte gemacht – und das dankʼ ich alles Ihnen. Ich vergeßʼ es ja nicht – trotzdem erinnert mich Helene jeden Augenblick daran. „Das verdanken wir dem Brandes“.. ist ihr Lieblingswort. Wie gern möchte ich Sie nun endlich schon wiedersehen! Wann wird das sein? Ende Januar fahre ich mit Helene nach Berlin auf einige Tage. – Das Jacobowskibuch347 macht vielmehr Aufsehen, als ich dachte. Ich bekam schon Dankesbriefe aus dem Publikum. Sicher nur weil Sie in dem Buche sind, be- achtet es die Presse sehr. Sogar die Kreuzzeitung348 brachte eine längere sympathische Besprechung. Auf meinem Schreibtisch gehts jetzt toll zu. Ich hab täglich neue litter[arische] Freuden. Eine Menge Zeitschriften suchen mich als „ständigen Mitarbeiter[“] zu ge- winnen, Anthologien verlangen mein Bild; die New Yorker Staatszeitung349 brachte mein Portrait – mir ist es, als ob mich irgend eine Kraft emportragen würde. Eine Lust ist das! Ich mag Ihnen sehr töricht vorkommen – aber ich bin glücklich. Darf ich Ihnen ein Kalenderl schicken? Helene sagt: „Der kriegt mindestens 24 von allen Frauen..“ Ich habe viel Sehnsucht nach Ihnen – und viele gute Wünsche für Sie!!! Immer Ihre M[aria] St[ona]

98. 23. 12. 1901 an Richard von Schaukal

Strzeb[owitz] 23/12 [19]01.

Herzlichsten Dank, verehrter Herr Schaukal! Bin sehr begierig auf die Szenen;350 eine kenne ich aus der Gesellschaft. Kennen Sie das miserable Blatt der Schriftst[ellerischen] Genossenschaft, das sich „Das litterarische Deutsch Österreich[“] nennt u[nd] unser öster[reichisches] Litte- ratentum dem Hohn des Auslands preisgibt. Ich hab so einen Zorn! Blutigster Dilettan- tismus wird da sorgfältig gepflegt. Mit Keulen totschlagen sollte man wenigstens den Titel des Blattes. Haben Sie keine Keule? Besten Gruß! Maria Stona. 347 Anm. 153. 348 Kreuzzeitung, eigentlich Neue Preußische Zeitung. 349 Anm. 344. 350 Szenen – Richard Schaukal: Scenen aus einer Gesellschaft junger Leute (erschienen in: Einer, der seine Frau besucht und andere Scenen. Leipzig 1902).

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99. 10. 1. 1902 an Richard von Schaukal

Strzebowitz 10/1 [19]02

Zur Versöhnung schicke ich Ihnen morgen meine Tochter!! Verzeihen Sie, verehrter Herr Doktor, wenn ich Sie sehr böse mache. Aber ich halte viel von Ihnen u[nd] da ärgert es mich wahnsinnig, wenn Sie mit so unvollendeten Sachen kommen wie jetzt wieder das „Fragment“ es ist mit der brillanten ersten Scene und der zerflatternden Zweiten, bei der man ganz gut merkt, den Dichter haben die guten Geister verlassen – er verlor alle Fäden u[nd] weil er nicht mehr weiter drauf los- schreiben wollte, brach er ab u[nd] sein Werk blieb eben – ein Fragment. Und das giftet mich. So glänzend hätte das Stück werden müssen – prachtvoll sind die Menschen in der ersten Scene hingestellt. Und excellent das spezifisch Österreichische festgehalten. Wer kennt die Typen nicht – der Onkel Pepi – war nicht der alte Türkheim351 genau so? Gejubelt habʼ ich, wie ich das las! Aber zum Teufel, warum versiegt Ihnen denn ewig die Kraft! Ein so feiner Dich- ter wie Sie u[nd] voll Schwächen sich selbst gegenüber. Wenn „sichs ihm nicht will“, schreibt er halt nicht weiter. Ein Zug von Launenhaftigkeit geht durch so viele Ihrer Werke. Herrgott, und Sie könnten Österreich machen! Und da verzetteln und verschleu- dern Sie so Ihr Bestes. Eine Wut hab ich manchmal auf Sie – Jetzt werden Sie sie auf mich haben... Kann mirs denken. Der Brautmorgen352 ist famos – auch die Stimmung brillant festgehalten. Mich geniert nur die Gleichartigkeit der 3 Skizzen. Aber das ist Geschmacksache. Ich liebe Gustav Wieds 4 Satyrpiele.353 Mit besten Grüßen Marie Stona

100. 12. 1. 1902 an Richard von Schaukal

12. Jan[uar] [19]02.

Scene. Marie. Er sagt, er kann nicht stückeln. Helene (mit einem Blick auf die Karte) Er scheint auch keine Briefe schreiben zu kön- 351 Nicht näher bestimmt. 352 Richard Schaukal: Der Brautmorgen (erschienen in: Einer, der seine Frau besucht und andere Scenen. Leipzig 1902). 353 Anm. 210.

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nen. Ach ... Sein Bild! Natürlich Cigarette im Mund, braucht man nix reden ... und rennt! Die Arme kann kaum nachkommen! Aber elegant muß er sein. Marie. Aber wenn er nicht stückeln kann! (sie ist von dem Gedanken besessen). Helene. Er wird wohl nie etwas Ganzes schreiben. (mit sehr altem Ton) Das ist schon schrecklich mit den jetzigen Dichtern. Der Feldegg354 wird auch nie fertig[.] Marie (säufzend) und der Braun auch nie!!!355

101. 12. 2. 1902 an Georg Brandes

Strzebowitz 12 Febr[uar]1902 –

Mein liebster Freund! Die Freude, die ich heute habe, nicht zum Sagen! Ich las im Bloc356 die Stock- holmer Adresse an Sie, einen Theil, und wie man Sie jung und ardent nennt u. s. w. und enorm stolz auf Sie ist u. s. w. Und mitten in meine Befriedigung, die so heftig ist, als hätte ich Sie mindestens erzogen, wenn nicht noch mehr, kommt Helene mit Ihrem Vivanti artikel357 und liest mir meinen eigenen Namen vor. Ich bin einfach selig. Wie soll ich Ihnen danken! Schimpfen Sie nicht, daß ich mich so rasend freue. Ich kann ja nicht dafür. In meinem Herzen liegt eben diese Fähig- keit zu ungeheuerlicher Freude. O wenn Sie wüßten, wie ich jubelte. Als hätte ich mei- nen Namen irgendwo am Himmel unter den Sternen aufleuchten gesehen – so war mirs. Für ewig leb ich nun in Ihrem Buche – und sehen Sie – dafür dank ich Ihnen so herzlich, für diese kleine öffentliche Verbindung. – Wie gut war es, daß wir uns in Berlin sahen, und Sie waren sehr lieb und hatten in den wenigen Tagen so viel Zeit für uns! Nun glänzen Sie in Paris und ich bin untergetaucht in einer Dichtung, die mich plötzlich packte und mich mit Glück und Schönheit umgiebt. Ach – ist das Leben eine Lust! Wir grüßen Sie mit treuen Seelen! Ihre Stona.

354 Ferdinand von Fellner-Feldegg (?) (1855–1936), österreichischer Architekt und Schriftsteller. 355 Die ganze Korrespondenzkarte stellt ein fiktives Theaterspiel über das Thema der Unzuverlässigkeit von E. W. Braun dar. Ähnliche Andeutungen enthält auch Stonas Korrespondenz mit Ludwig Jacobowski. In Brauns Tagebuch finden wir eine Notiz vom 5. Juni 1899: „Mit Feldegg [...] in Strzebowitz bei Frau Stona u[nd] Jacobowski.“ – SZM, Uměleckohistorické oddělení, Edmund Wilhelm Braun, Photographien und Tagebücher. 356 Le Bloc, eine Zeitung, herausgegeben von Georges Clemenceau. 357 Georg Brandes: Annie Vivanti (1902, GBSS 16).

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102. 28. 3. 1902 an Richard von Schaukal

Strzebowitz 28/III [19]02

Verehrter Herr Doktor! Vielen Dank für Pierrot und Colombine.358 Habe mich sehr gefreut. Ich gestehe, daß die mannigfachen Stylarten mich ein wenig verwirren – Watteauʼs Geist, japani- scher Vogeler und – ein kleiner Wilhelm Busch S[eite] 56. 57 – Es ist ein wahres Glück, daß – Richard Schaukal auch dann und wann zu Worte kommt. Besten Gruß! Marie Stona

103. 31. 3. 1902 an Georg Brandes

Strzebowitz 31/III [19]02

Mein lieber verehrter Freund! Nun sehen Sie, wie herrlich Ihr „Schandfleck“ begonnen hat. Sie werden mir Recht geben, daß das Leben ein Baum ist; der Ihre trägt goldene Früchte, darin zeichnet er sich vor allen deutschen sentimentalen Linden und Eichen aus, deren Früchte – bitter schmecken. Ich freu mich von Herzen, daß Ihre Gesundheit Ihnen so wenig Schlaf u[nd] so viel Festreden gestattete. Nun kommt in Kopenhagen die Sintflut der Briefe. Mir gings schlecht in den letzten Wochen. Ich hatte so viele Fatalitäten mit mei- nem Ex-Gatten, dessen Verschwendung sich wohl nie mehr bessern wird. Litterarisch aber geht es mir – unberufen! famos. Kürzlich erschien eine kleine Geschichte von mir in der „Woche.“ „Das verdankt sie alles dem Brandes,“ sagen die Collegen. Ich muß schon sehr bedeutend sein, wenn man anfängt, über mich die Nase zu rümpfen. Helene übersetzte den Artikel im Bloc359 über Sie; ich wollte ihn der N[euen] Fr[eien] Presse schicken; aber dann fiel mir ein, daß ja des „Brüllaffen“360 wegen kein Wort davon aufgenommen würde, denn von Paris darf nur Nordau361 Notizen senden – und ich unterließ es. Als ich Ihren letzten Brief erhielt, entriß ihn mir Helenchen mit den Worten: „Ach – mein Engel!“ Sie sehen, welche verklärte Bedeutung Sie für junge Mädchen haben. 358 Richard Schaukal: Pierrot und Colombine oder das Lied von der Ehe. Leipzig 1902. 359 Anm. 356. 360 Anm. 60. 361 Anm. 60.

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Daß Sie keine Zeitungen sandten u[nd] nicht schrieben, war selbstverständlich – in dem Trubel! Wenn Sie nur jetzt wieder manchmal bischen an uns denken, sind wir glücklich. Ich bin es überhaupt sehr. Mit herzlichsten Grüßen Ihre Marie Stona.

104. 19. 4. 1902 an Richard von Schaukal

Strzebowitz 19/IV [19]02

Verehrter Herr Schaukal, Ihre liebe Sendung hat mir Freude und Kummer bereitet. Für die Freude danke ich Ihnen herzlich, die betrifft den Akt in Versen. Bei den Prosastückchen faßte mich heimliches Erschrecken, als ich darin blätterte! „Ist er denn mit dem Ausräumen seiner Laden noch nicht fertig!“ fragte ich mich. Solcher Notizchen und Skizzen haben wir alle zu Tausenden liegen – vielleicht um sie gelegentlich irgendwo einzufügen, oder auch nicht... aber warum veröffentlichen Sie sie? Ich bleibe dabei: Ihrer Kunst fehlt jetzt ein großer Inhalt – weil er Ihrem Leben fehlt. Und nun schimpfen Sie über mich so viel Sie wollen. Ich kann Österreichs Kraft nicht ruhig so – ersticken seh[e]n. Mit besten Grüßen Maria Stona

105. 21. 4. 1902 an Georg Brandes

Strzebowitz 21/4 [19]02

Mein lieber Freund! In diesem Augenblicke sehne ich mich so sehr nach Ihnen – ach schon tagelang! Ich sehe so oft Ihr liebes Bild an, es ist so wundervoll und die ganze Klarheit Ihres Geistes leuchtet aus Ihren Augen und die tiefe Melancholie. – O wie sehr Recht hatten Sie damit, daß man die Menschen verachten müsse. Und ihnen nur dann die Wahrheit sagen sollte, wenn man – ihre Feindschaft ertragen könnte. Die Menschen sind so klein und niedrig. Ich sehne mich nach Ihnen, weil Sie groß und herrlich sind. Ich muß Ihnen erzählen, was mir eben begegnet ist. Richard Schaukal, den Sie hier so treffend – bei Seite legten mit seinen „Intérieurs aus dem Leben der 20jährigen,“362

362 Anm. 269.

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sandte mir vor wenigen Tagen zwei miserable neue Bücher. Unter aller Kritik schlecht. Noch zerrissener und anekdotenhafter als die Intérieurs. Ich schrieb ihm ehrlich (? o ich Gans!) meine Meinung, meinen Schmerz, daß ich „Österreichs Kraft so ersticken sehe“363 – und bekomme eben 20 Seiten von ihm voll der gröbsten Beschimpfungen. Was thut man da? Er giebt mir vor allem die Liste seiner Literar[ischen] Freunde, die viel von ihm halten, Arno Holz364 u. s. w. Ich kann nur schweigen u[nd] nie mehr ihm eine Zeile senden. In letzter Zeit hab ich viel Ärger und Sorge erlebt, aber auch viel wundervolle Freude. Die schlimmen Sachen gehen nun zu Ende, am 23. findet beim Concourse meines geschiedenen Mannes der Ausgleich statt u[nd] ich kriege 60 %. Mehr als ich je gehofft. Helene modelliert in Berlin und ist selig. Auch ich bin selig in meiner Kunst. Kunst und Leben haben sich mir zu einer wundervollen Einheit verwoben. O Sie werden staunen, wie viel ich von Swinburne365 lernte! Um wie viel gereifter und größer meine Kunst geworden ist. Am 5. Mai ist es ein Jahr, daß Sie kamen. Wann kommen Sie wieder???! Der Brüllaffe366 nannte Sie in seinem Feuilleton. Ich schicke es Ihnen. Und ich bin Ihre treue Freundin Maria. Ach bitte bitte – wieder einmal die – Politiken!

106. 12. 5. 1902 an Georg Brandes

Strzeb[owitz] 12/V [19]02.

Mein verehrter Freund! Ich bin sehr ärgerlich auf Helene. Wie kann sie so kopflos sein. Sie wohnt bei Frau Feldmann, Potsdamerstr[aße] 83 C III[.] Ich sandte ihr sogleich die Schleife, die Sie beilegten. Seien Sie ihr nicht böse! Das Mädel lernt tapfer; ihre Lehrer beloben sie. Sie ist ganz Feuer und Fleiß. Edith wünsche ich baldigste völlige Erholung! Nun muß sie sich lange sehr schonen. In der N[euen] F[reien] Presse las ich gestern von Ihrer neuen Professorenwür- de. Habe mich so innig gefreut. Denn wenn es auch Ihnen gleichgiltig ist – mir nicht. Herzlichsten Glückwunsch. 363 Vgl. Brief Nr. 104. 364 Arno Holz (1863–1929), deutscher Schriftsteller. 365 Anm. 218. 366 Anm. 60.

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Wenn Sie einmal dazu kommen – bitte, bitte um Ihre Politiken Artikel! Einzelne wenigstens. In Wien sah ich Klingers Beethoven.367 Welche Enttäuschung! Das soll nach der N[euen] Fr[eien] Presse das Kunstwerk sein, das den Inhalt unserer Zeit ausschöpft u[nd] in sich vereinigt. Der Zeus des Phidias368 u. s. w. Du lieber Gott! Vor lauter Gedanken sieht man den Beethoven369 nicht. Um den Sessel herum- winden soll man sich, an allerlei geschraubten Einfällen vorbei, um dann den halbnack- ten Beethoven von widersinnigen Engelsköpfen umgeben zu sehen. Ihr Ausspruch fiel mir ein: „er ist ein Genie – aber er kann nichts.“ Ich bin selig in meiner Kunst u[nd] Mitarbeiterin der ersten Blätter u[nd] grüße Sie tausendmal! Ihre M[aria] St[ona]

107. 26. 5. 1902 an Georg Brandes

Strzebowitz 26. 5. [19]02

Sehr verehrter Freund! Heute sandte ich Ihnen mit tausend Dank Ihre Artikel zurück bis auf 4, die ich noch gern für Helene behalten würde. Sie kommt Anfang Juni. Ich weiß, wie froh sie wäre, wenn sie gerade diese lesen könnte. Es sind: 1. Franske Slotte og Huse370 2. Bølger af Liv.371 3. das famose feurige Gedicht von Rørdam. 4. Verdens gang372 (mit dem Artikel über Sie.) Wenn Sie also nicht „Nein“ sagen, folgen diese 4 Blätter erst nach Helenchens Rückkehr. Sie ist enorm fleißig, voll Eifer und Freude an ihrer Kunst. Ich bin sehr froh, daß sie nicht herumsitzt wie die andern Mädel, auf einen Mann wartet und hysterisch wird. Voriges Jahr zeigte ich Ihnen die Tochter des hiesigen Verwalters, die in jedem Frühling geistig gestört war. Sie sagten so einfach: „warum kriegt Sie keinen Liebha- ber?“ Nun ist das arme Kind vor 2 Wochen in der Irrenanstalt gestorben. Nur an der Moral unserer Gesellschaft.

367 Max Klinger – Beethoven-Statue, präsentiert im Secessionsgebäude in Wien 1902. 368 Anm. 179. 369 Ludwig van Beethoven (1770–1827), deutscher Komponist. 370 Französische Schlösser und Herrenhäuser (dän.). – Georg Brandes: Franske Slotte og Huse (1902, GBSS 16). 371 Lebenswellen (dän.). – Georg Brandes: Bølger af Liv (1902, GBSS 16). 372 Lauf der Welt (dän.) – Periodikum.

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Ihre Studien habe ich mit wahrer Freude gelesen; sie haben mir ein Bild von Paris gegeben u[nd] seinen zahlreichen Fremdenkolonien. Eine Weltstadt ist eigentlich eine Zusammensetzung von zahlreichen Provinzstädten. Was sagen Sie zu Clemençeaus [!] Zeitschrift „Le Bloc“373 – hat einfach zu er- scheinen aufgehört, bis auf unbestimmte Zeit, weil Mr. Clem[enceau] deputé geworden ist, wie den Abonnenten mitgeteilt wird. Ich finde das unglaublich. Man sollte ihnen wenigstens das Geld zurückgeben. Da sieht man, wie Clem[enceau] die Bande seiner Leser verachtet. Mir geht es gut, ich arbeite viel und habe Sie sehr lieb. Und friere etwas weniger. Herzliche Grüße! Ihre M[aria] St[ona]

108. 17. 6. 1902 an Georg Brandes

Strzebo[witz] 17/6 [19]02.

Mein lieber verehrter Freund! Sie werden uns schön ausgelacht haben. Aber es war meine Schuld, oder die meiner Jungfer. Die Bücher lagen in Helenens Zimmer und erwarteten dort friedlich, von mir unbemerkt, ihre Rückkehr. Nun elektrisierte uns alle das Wort auf Ihrer Karte, daß Sie einen lille374 Artikel über Strzebowitz geschrieben. Und ein Suchen hob an. Und ein Finden beglückte! Wahrhaftig – wir haben eine rasende Freude – oder, da Sie das Maßvolle lieben,: eine warme herzliche Freude darüber, daß Sie mit starken Armen Strzebowitz, das alte graue kellerkühle Schloß der Vergessenheit entrissen – ein umgekehrter Simson. Nun leben wir für ewig in Ihren Werken – wie wohl das thut, wie wenn ein schlummermüdes Haupt in weiche Kissen sinkt. Ihre Artikel reisen morgen zu Ihnen zurück. Der melancholische Dichter in Ih- nen hat Livet375 geschrieben – ich liebe es sehr. Seine Wehmut ist so fein, sein Ausblick so groß. So hab ich Ihnen in jedem Briefe zu danken. Ich lebe sehr zurückgezogen, ganz meiner Kunst. O Sie werden staunen, wie ich mich entwickle. Klein machen uns nur die kleinen Menschen. Wenn wir die erst abge- schüttelt haben, beginnen ungeachtete Kräfte in uns sich zu entfalten. Ich habe Sie sehr lieb! Ihre M[aria] St[ona]

373 Anm. 356. 374 Klein (dän.). 375 Leben (dän.).

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109. 20. 6. 1902 an Georg Brandes

20/6 [19]02.

M[ein] v[erehrter] F[reund]! Vielen Dank für die gestrigen Zeitungen. Alles mit Freude gelesen, auch das lusti- ge „Kvinder.“376 – Von Grete Meisel-Hess377 habe ich nie gehört. Ich liebe sehr Ihre Trylle- magt.378 Schade, daß man das bei uns übersetzt nicht wird bringen dürfen. Heute erschien in der N[euen] F[reien] Pr[esse] Ihre Gerechtigkeit u[nd] Schicksal, schlecht übersetzt,379 d. h. unschön, wie verworren. Ihr Livet380 wär prachtvoll – aber vielleicht schadet ihm ge- rade dies. Tausend Dank noch für alle Zeitungen, die heute folgen u[nd] herzl[iche] Grüße Ihre M[aria] St[ona]

110. 28. 7. 1902 an Georg Brandes

Strzebo[witz] 28/7 [19]02.

Mein lieber guter Freund! Ihr heutiger herzlicher Brief hat Helene in die freudigste Aufregung gestürzt. Sie trug ihn den ganzen Tag in ihrer Bluse versteckt und hat ihn nun abends zu wiederhol- ten Malen mit Andacht gebetet. Ich danke Ihnen sehr für jedes liebe Wort, das mir gilt. Es bewegt mich so wehmütig und so warm, daß Sie wieder in Karlsbad sind, wieder in Belvedere mit Ihrem Freunde, u[nd] ich glaube, es war gestern, daß ich mit Helene im Haus Meran wohnte. So nahe steht alles vor mir! Unser Abend bei den Zigeunern – in Festtoilette – unser Frühstück beim Elefant – ach alles! Und wie viel hat sich in der Zeit, die uns von damals trennt, ereignet, wie viel Frohes und Schlimmes für uns Beide. Wie viel Unerwartetes, wie wenig vom Ersehnten. Sie verachten das Leben – ich bete es an, obwohl es mir hundertfache Einsamkeit bringt (und Ihnen tausendfachen Genuß.) Und wie sonderbar! Denken Sie, ich komme nächste Woche in die Nähe von Dänemark; ich gehe für einige Wochen an die Ostsee in irgend ein Nest. Will ganz ausruhen. Ich wünsche Ihnen sehr sehr gute Kur und grüße Sie mit treuer Herzlichkeit. Ihre M[aria] St[ona]

376 Frauen (dän.); Die Erwähnung kann verschiedene Texte von Brandes betreffen (vielleicht Kvinder, 1889, GBSS 15). 377 Grete Meisel-Hess (1879–1922), österreichische Schriftstellerin. 378 Zaubermacht (dän.). – Georg Brandes: Tryllemagt (1902, GBSS 15). 379 Georg Brandes: Gerechtigkeit und Schicksal, Neue Freie Presse 20. 6. 1902, S. 1–2 (Original Retfærdighed og Skæbne, 1902, GBSS 16). 380 Georg Brandes: Livet (1902, GBSS 15).

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111. 4. 9. 1902 an die J. G. Cottaʼsche Buchhandlung (Verlag)

Schloß Strzebowitz Öster[reichisch] Schlesien 4 Sept[ember] 1902.

Hochgeehrter Herr! In der Hoffnung, Ihnen nicht ganz unbekannt zu sein, erlaube ich mir die erge- bene Anfrage, ob ich die Aussicht haben könnte, Aufnahme in Ihrem hochgeschätzten Verlag zu finden. Ich gestehe Ihnen ganz offen, daß ich eben im Begriffe stehe, mir ein reichsdeutsches Heim zu suchen, und da ist es wohl selbstverständlich, daß ich bei dem edelsten und vornehmsten ganz bescheiden zuerst anklopfe. Meinen Weg werde ich machen; dessen bin ich mir mit ruhiger Zuversicht bewußt. Noch vor Weihnachten möchte ich gern einen Band Gedichte – etwa 120 bis 130 Seiten – in sorgfältigster Auswahl geordnet, – herausbringen, im Frühling n[ächsten] J[ahres] eine nach dem Urteil strenger Kritiker gute und originelle lyrisch epische Dichtung, in knapper Fassung; im Sommer einen Roman u. s. w. Mit der lebhaften Bitte um einen baldigen gütigen Bescheid bin ich in vorzügli- cher Hochachtung, sehr verehrter Herr, Ihre ergebene Maria Stona.

NB. Zur freundlichen Orientirung gestatten Sie mir zu bemerken, daß meine Lyrik u[nd] Prosa bisher bei Konegen381 in Wien erschienen ist; ein Bändchen Skizzen bei Schottlaender.382 Die Lyrik hatte 3 und 2 Auflagen. M[aria] St[ona]

112. 5. 9. 1902 an Georg Brandes

5/9 [19]02.

Mein liebster verehrter Freund! Mir war es eine solche Freude, Sie in Berlin zu finden! So wohl hat mir die Stun- de gethan – wie ein Aufatmen war es. Ich war so müde erst, so nervös, so abgehetzt, aber das alles verflog bald und dann fühlte ich es wie eine weiche, warme, wohltuende Luft, und mir war so weh, als ich Ihnen auf der Straße Lebewohl sagte. Ihr liebes Ver-

381 Anm. 41. 382 Ein Breslauer Verlag.

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sprechen, daß Sie wieder kommen wollen, hat mich tief und innig erfreut. Ich wollte, Sie hielten bald Wort! Wie ist wohl Ihre Büste ausgefallen?383 Sind sie „stylisiert“ worden? Hoffentlich nicht. Herzlichst danke ich Ihnen für die Zeitungen. Ihr Artikel über den Nachruhm ist wundervoll. Über dem Ganzen wieder die sanfte herbstmüde Stimmung. Auch Ihr Essay über dʼAnnunzio384 interessierte mich sehr. Ihr Unwille über sein ewiges Dekla- mieren bricht doch am Schlusse durch. Ich habe rasend viel zu thun – Aufträge, literarische, von allen Seiten. Und ich bin zufrieden. Mit herzlichen warmen Grüßen Ihre M[aria] St[ona]

113. 13. 9. 1902 an die J. G. Cottaʼsche Buchhandlung (Verlag)

Strzebowitz Österr[eichisch] Schlesien 13 Sept[ember] 1902.

Hochverehrter Herr! Besten Dank für Ihren gütigen Brief. Ich habe eine große Freude darüber, daß Sie mir gestatten, Ihnen mein Manuskript zu senden und habe es heute gleich abge- schickt. Die Gedichte sind sorgfältig ausgewählt und geordnet. Es ist keine Marktware und keine Modethorheit. Jedes einzelne ist einem tiefen echten Gefühl entsprungen. Nur wenige sind bisher veröffentlicht. Drei Sonette der Sammlung erscheinen am 1. Oktober in Westermanns Monatsheften385 in vornehmer Ausstattung. Gestatten Sie mir noch zu erwähnen – ehe die Prüfung des Buches Sie selbst darauf führt – daß in den einzelnen Gruppen der Gedichte alle Phasen der Liebe geschildert werden, von der keuschen Sehnsucht über assyrische Lust bis zur heiligsten Frauenliebe. Doch ebenso reichhaltig sind die Lieder an die Natur und die sozialen Bilder. Wie glücklich ich wäre, wenn Sie uns aufnehmen wollten, mich und meine Lie- der – ich kann es gar nicht sagen. Natürlich würde ich mich Ihren Bestimmungen über den Zeitpunkt, das Erscheinen des Buches betreffend, schweigend fügen. Weihnachten wäre wohl darum angezeigt, weil meine lyrisch epische Dichtung zum Frühjahr flügge werden will. Doch das alles liegt in Ihrer Entscheidung! Vor dieser Entscheidung bangt – und nach ihr sehnt sich Ihre, sehr geehrter Herr, verehrungsvoll ergebene Maria Stona. 383 Brandes-Büste von Max Klinger. 384 Georg Brandes: Gabrielle dʼAnnunzio (1902, GBSS 16). 385 Westermanns Monatshefte, deutsche Kulturzeitschrift.

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114. 17. 9. 1902 an Georg Brandes

Strz[ebowitz] 17/9 [19]02

Hochverehrter Freund! Herzlichen Dank für die Zeitung. Es ist unerhört, wie Gerüchte entstehen. Und nach 32. Jahren wirken wollen! Würde Lüge nach Schwefel riechen, lägen wir alle tot. Helene ist so selig über Ihre gütige Karte. Sie reist am 20. ab. Jetzt haben wir eine wahre Sturm- und Jubelwoche. Alle ihre Verehrer kommen sich von ihr verabschie- den. Auch die beiden Bräute, die verflossenen, von den beiden Herren, die Sie bei uns trafen,386 sind hier. Reizende frische Mädel. Herzlichste Grüße! M[aria] St[ona]

115. 26. 9. 1902 an Georg Brandes

Strz[ebowitz] 26/9 [19]02.

Mein hochverehrter Freund! Ich habe eine Große Freude. Helene schreibt mir, daß Klinger387 so sehr liebens- würdig war, ihr seine Arbeiten zeigte – sie ist entzückt und selig. Leider war Ihre Büs- te388 schon abgeschickt. Ich kann Ihnen nicht genug danken für die Freude, die Sie Helene durch die warme und gütige Empfehlung bereitet haben. Helene war auch in Dresden und ist durch das Wiedersehen mit vielen Bekannten sehr enttäuscht. Die Klei- ne wundert sich darüber. Sie hat sich eben in den 3 Jahren entwickelt, – die andern sind zumeist stehen geblieben, was ja die Mehrzahl der Idioten von ihrem 18. Jahr an thut. Eine immerwährende innere Veränderung, Erweiterung erlebt nur der Künstler, und der Tod unterbricht blos eine Phase seiner Entwicklung. Ich bin so froh, daß ich Sie kenne, Georg Brandes, auch, daß Helene Sie kennt. Heute las ich mit Genuß und Gewinn Ihren großen Ludwig Holberg Essay.389 Das ist es ja: Sie liest man immer mit Gewinn. Euch Dänen überhaupt. Kürzlich fiel uns ein Buch in die Hände von Karin Michaëlis:390 „Das Kind.“391 Vorzüglich – bis auf den Brief am Schluß, der leicht hätte vermieden werden können. Es ist so viel feine echte Kunst, ein solcher Formsinn in allem.

386 Gemeint sind wohl Braun und Slonecki. – Vgl. Brief Nr. 52. 387 Anm. 332. 388 Anm. 383. 389 Georg Brandes: Ludvig Holberg (1887, GBSS 1887). 390 Karin Michaëlis (1872–1950), dänische Journalistin und Schriftstellerin. 391 Karin Michaëlis: Das Kind. Berlin 1902.

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Von dem haben die Deutschen wenig Begriff. Da las ich kürzlich einen „Ro- man“, der in Florenz, Berlin, Wien, auf dem Rigi392 u[nd] weiß Gott wo spielt. Aber außer den Namen der Orte giebt der Autor nichts, kein einziges Bild. Uns geht es gut und wir grüßen Sie, besonders herzlich Ihre M[aria] St[ona]

116. 1. 10. 1902 an Georg Brandes

1/10 [19]02.

Verehrter Freund! Bin so erschüttert durch den Tod Z[ola]ʼs!393 Welch ein Verhängnis. Und das dum- me Weib bleibt am Leben! – Bitte, achten Sie auf Ihren Kamin!394 – Das Litter[arische] Echo bringt Ihren Artikel über Bourget;395 in voriger Nummer wurden einem Frager im Briefkasten sämmtliche (?) über Sie erschienene Schriften mitgeteilt. Herzliche Grüße! Die Zeitungen folgen mit Dank zurück. M[aria] St[ona]

117. 12. 10. 1902 an die J. G. Cottaʼsche Buchhandlung (Verlag)

Schloß Strzebowitz 12 Okt[ober] 1902.

Hochgeehrter Herr! Eben bin ich aus Wien zurückgekehrt und finde Ihre Sendung mit dem freundli- chen Briefe vor. Als ich Ihr erstes Schreiben erhielt, war meine Freude so groß, daß ich mir sagte: „wenn sie auch das Buch nicht nehmen – die Freude selbst nimmt mir doch nichts mehr weg!“ So will ich mich denn mit Ihrem gütigen Urteil bescheiden und auf eine unge- trübtere Zukunft hoffen. Gern stimme ich Ihrem verehrten Beirat zu. Allein ich habe die Gedichte mit Willen nicht auf Einer Linie gelassen sondern ihnen eine gewisse Mannigfaltigkeit der Töne und Schwingungen zu geben versucht. 392 Bergmassiv in der Schweiz. 393 Emile Zola (1840–1902), französischer Schriftsteller. 394 Andeutung auf Zolas Tod. 395 Georg Brandes: Paul Bourget (1901–1902, GBSS 16).

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Ich bitte Sie, die Versicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung entgegen zu nehmen. Ihre, sehr verehrter Herr, ganz ergebene Maria Stona.

118. 18. 10. 1902 an Georg Brandes

Strzebo[witz] 18. 10. [19]02.

Mein verehrter Freund! Herzlichsten Dank für die Zeitungen; sie kamen so erwünscht und ersehnt! Ich überflog schon Ihre hinreißende Tale396 an die Studenten. Eben war ich 8 Tage lang in Wien, wo ich die entzückende Charlotte Wiehe397 bewunderte in La main u[nd] Ab- schiedssouper. Welche Grazie – wundervoll tanzt sie. „Dänische Kunst“ das sollte die Marke für das Geistvollste in der Feinheit u[nd] Feinste im Geistvollen sein. Ich hoffe Sie wohl! Herzliche Grüße! M[aria] St[ona]

119. 1. 11. 1902 an Georg Brandes

Strz[ebowitz] 1 Nov[ember] [19]02.

Hochverehrter Freund! Herzlichen Dank für die beiden Artikel! Alles folgt in zwei Tagen zurück. Ich kann Ihnen nicht genug danken für Ihre Freundlichkeit gegen Helene; sie war selig, liebt sehr Fr[äu]l[ein] Edith398 u[nd] berichtete auch von den Austern, ihren ersten Aus- tern vermutlich. „Großartig waren sie,“ schrieb sie u[nd] ich glaubte, sie meinte Sie alle zusammen. Eben schreibe ich das letzte Kapitel meines Romans – ein Hochgefühl! Tausend Grüße! Ihre ergebene M[aria] St[ona] Heute Ihre Dänische Litteratur in der N[euen] Fr[eien] Presse.399 396 Rede, Vortrag (dän.). 397 Marie Charlotte Wiehe-Berény (1865–1947), dänische Schauspielerin, Tänzerin und Sängerin. 398 Anm. 196. 399 Georg Brandes: Die dänische Literatur nach 1870, Neue Freie Presse 1. 11. 1902, S. 33–36 (Original Den danske Literatur efter 1870, 1901, GBSS 15).

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120. 19. 12. 1902 an Georg Brandes

19. 12. [19]02.

Mein hochverehrter Freund! Ihre liebe Sendung erhielt ich in Wien, habe noch nicht alles gelesen, da ich mit- ten im Weihnachtssturm stehe, auch hatten wir große Jagd (ich schoß 3 Fasanen u[nd] 2 Hasen)[.] Übermorgen, Sonntag kommt endlich Helene nach Hause. Sie wird sich über Gyldholm400 sehr freuen. Ich habʼ das Buch schon. Einen sehr guten Artikel von Clemenceau401 sandte ich Ihnen. Wir hatten 16º – R, jagten bei 12º – R.402 Herzlichsten Dank für Ihre Zeitungen, werde alles mit Wonne lesen! Viel Schönes und Liebes u[nd] beste Weihnachtsgrüße! Ihre M[aria] St[ona]

121. 18. 1. 1903 an Georg Brandes

Strz[ebowitz] 18. 1. [19]03.

Mein lieber verehrter Freund! Mit herzlichem Danke sandte ich Ihnen die Zeitungen zurück und die übrigen Blätter bis auf die Rede über Christian Richardt403 – die kriegen Sie nicht wieder! Die muß ich mir behalten. Sie hat mich so hingerissen – zu Thränen. Und aus Ihren Worten über die Verse hab ich so viel gelernt. Die Gedichte müssen sehr schön sein – ich will sie mir gleich bestellen. Ihre Verskunst ist viel feiner als die unsere; wir übersehen über dem Inhalt oft die Klangwirkung. Unsere Dichter sind keine Künstler und unsere Verskünstler sind häufig – keine Dichter. Wie reizend, das adagio, allegro, presto der Sprache! Ja sehen Sie, davon haben die Deutschen wenig Ahnung. Mit Staunen lese ich eben in einem berühmten Gedichtband, (4. Aufl[age] mit dem Bilde der Dichterin) unerhört geschmacklose Verse, Reime wie „Händʼ“ auf „brennt“ u. s. w. Sie haben die dänische Kunst besser erzogen. Der „berühmte“ Dehmel404 hat auch keinen Geschmack. Er begeht Todsünden wider die reine Schönheit der Kunst. An der Art, auf wie viele ich jetzt herabblicke, erkenne ich, um wie viel freier und höher ich jetzt denke. 400 Johan Skjoldborg: Gyldholm. København 1902. 401 Georg Brandes: Georges Clemenceau (1903?, GBSS 16). 402 16 ºR = 19,2 ºC, 12 ºR = 14,4 ºC. 403 Christian Richardt (1831–1892), dänischer Schriftsteller. 404 Richard Dehmel (1863–1920), deutscher Schriftsteller.

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Es geht mir gut; jeder Tag ist mir Offenbarung und Genuß. Man verlangt jetzt so viele biographische Skizzen von mir, Beiträge etc, daß ich auch mit meinen Erfolgen zufrieden bin. Helene bleibt bis Mitte Februar zu Hause, tanzend. Ich hab so eine Freude an ihr. Sie ist ein ganzer Kerl, schrecklich fétirt. Wir beide lieben Sie um die Wette. Ihr Artikel über Clemen[ceau]405 ist vorzüglich. Den ganzen Mann stellten Sie hin. Nochmals Dank für alles. Und tausend liebe Wünsche und Grüße! Immer Ihre M[aria] St[ona]

122. 27. 3. 1903 an Georg Brandes

27/III [19]03.

Liebster hochverehrter Freund! Heute erst komme ich dazu, Ihnen innig für Ihren herrlichen Brief zu danken. Ich hab so gelacht über die Vierge offenssée. Leider hat mich keine Reise am Schreiben verhindert sondern ein häusliches Fest mit 32 Gästen. Der Namenstag meines Vaters. Der raubte mir 8 Tage Kunst, und heute noch träume ich, wenn ich die Augen schließe, daß von allen Seiten Verwandte auf mich eindrängen – Das reine Alpdrücken. Aber Vater war zufrieden und das Fest soll sehr lustig gewesen sein. Mit tausend Dank schicke ich die Zeitungen zurück. War wieder so ein Genuß, besonders Davos und die Freiheit der Schweiz.406 Ja, wir sollten das lebendige Beispiel der Schweiz besser auf uns wirken lassen. Was Sie sagen, ist einzig richtig: Österreichs Zukunft ist die monarchische Schweiz. Aber bis es dazu kommt, gehen wir noch ein bischen mehr zu Grunde. Die Zeitung von gestern – Kuß dafür! – folgt in einigen Tagen. Ich freu mich schrecklich über Ihre europäischen Ruhmesreisen. Edith407 ist gewiß schon ganz blasirt durch Ihre und ihre Erfolge. Wenn Sie nach Rußland reisen, – ach bitte bitte! Kommen Sie zu uns!! Wir liegen ja fast an der russischen Grenze. Wir gehören ja schon zu den wilden Stämmen, die Sauerkraut essen und Kartoffel mit Zwiebeln. Von Helene habe ich beste Nachrichten, sie arbeitet tüchtig. Und heut bekam ich den letzten Correcturbogen meines neuen Gedichtbuches – ich bin einfach selig! – Schnitzler kriegte den Bauernfeldpreis 2 000 Kr. für seine 4 Einakter „Lebendige Stunden.“ Darüber wird enorm geschimpft. Ich wünsche Ihnen alles Herrlichste und habe Sie furchtbar lieb. Ihre Marie.

405 Georg Brandes, Clemenceau (1903, GBSS 16). 406 Georg Brandes: Davos (1903, GBSS 17), Schweiz, Frihed og Fremskridt (1903, GBSS 17). 407 Anm. 196.

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123. 9. 4. 1903 an Georg Brandes

9. IV 1903.

Mein hochverehrter lieber Freund! Herzlichen Dank für Ihren Brief, – ich bin so froh, daß ich Ihr Dänisch so gut verstehe. Was Sie schreiben, ist sehr lieb. Auch für die Zeitungen danke ich sehr; die sollen meine Osterfreude sein, – da will ich sie alle auf einmal lesen. Ihre Tale408 liebe ich ganz besonders, weil sie von wunderbarer Lebendigkeit sind, je toter der Mensch ist, dem sie gelten. Wir hatten heute ein wundervolles Fest im Dorfe: ein Doppelbegräbnis eines 17jährigen Mädchens und eines 19jähr[igen] Jünglings. Beide starben an Lungen- schwindsucht. In ein so armes slawisches Dorf bringt der Tod eine weiche Schönheit. Nie ver- gesse ich den Ausdruck von zärtlichem Stolz und Ehrfurcht, mit dem der Arbeiter ges- tern sein totes Kind ansah, das alles in seine Hütte gebracht, was sie noch nie gesehen, Silberspitzen und Blumen und Goldleisten und – bleiche ruhende Hände. Das war ein Augenblick so schlichter, ergreifender Schönheit, den ich nie vergesse. – In 14 Tagen schicke ich Ihnen mein Buch! – Für Ostern und Paris tausend liebe Wünsche. Freu mich so sehr, Sie im Sommer zu sehen! Und habe Sie sehr lieb. M[aria] St[ona]

124. 4. 5. 1903 an Georg Brandes

Strz[ebowitz] 4 Mai 1903.

Mein hochverehrter liebster Freund! Vorgestern konnte ich Ihnen endlich mein kleines Buch senden – mit einer gro- ßen Photographie. Bitte schön, beides lieb aufzunehmen! Ich bin so gespannt, was Sie zu meinen Gedichten sagen werden, wenn Sie spä- ter einmal, in Kopenhagen, Zeit finden, sie zu durchblättern. Verzeihen Sie, daß ich sie Ihnen nach Paris schickte, – ich konntʼ es aber nicht erwarten, sie in Ihrer Hand zu wissen.

408 Anm. 396.

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Wirklich, meine ganze Seele liegt in dem Buch. Und es ist keine kleine Vogerl- seele mehr. Ich fühlʼ das ganz genau, daß ich gereift bin in diesen Jahren; ich lächle nicht mehr zu den Dingen empor, – ich lächle auf sie nieder. Enorm viel gelernt hab ich durch Brandes und Swinburne,409 auch in der strengen Form, und ich danke Euch beiden an jedem Tage! Jetzt lebe ich wieder selig in meinem Roman. Jeder Tag bringt mir Schönheit. Ich könnte bald sagen wie ein alter Pfarrer in einem Stück von Anzengruber:410 „Die Welt läuft so nebenher und ich merke nichts davon...“411 Sie leben dagegen wohl in diesen Festtagen in Paris in solchem Sturm, daß Sie kaum wissen, wie viel Einsamkeit es in der Welt giebt, wie viele Träume... Die hübsche Cousine Martha sendet Ihnen herzliche Grüße. Sie ist noch immer unglücklich. Ich habe Sie lieb und sende Ihnen viele liebe Wünsche! Ihre M[aria] St[ona]

125. 3. 6. 1903 an Ricarda Huch

Strzebowitz öster[reichisch] Schlesien 3/Juni 1903

Liebe Ricarda! Oft suchten Dich meine Gedanken! Und lächelnd denke ich meiner vielfachen Überfälle, mit denen ich Dich heimsuchte. Erst das plötzliche „Du,“ dann mein Besuch bei Dir mit Bertha Diener412 – ja und nun kommt der dritte: mein Buch! Bitte, lieb aufnehmen. Deine Schicksale kenne ich – die äußern – und ich freue mich schrecklich, daß es Dir gut geht. Siehst Du, heiraten muß man und Kinder haben – denn man muß doch leben! Ich glaube, so ähnlich sprachen wir, als wir zusammen über den Graben413 gingen... Kommst nicht wieder einmal nach Wien, große Ricarda? In herzlicher Ergebenheit und mit tausend Grüßen Deine Maria Stona

409 Anm. 218. 410 Ludwig Anzengruber (1839–1889), österreichischer Schriftsteller. 411 Richtig: „[...] und im übrigen läuft die Welt so nebenher, ohne daß wir ihrer achten“. 412 Bertha Eckstein-Diener, Pseud. Sir Galahad (1874–1948), österreichische Schriftstellerin und Journalistin. 413 In Wien.

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126. 9. 6. 1903 an Georg Brandes

Strz[ebowitz] 9/Juni 1903

Hochverehrter lieber Freund! Unsere Briefe haben sich gekreuzt; ich danke Ihnen herzlichst für Ihre lieben Worte. Nun will ich Ihnen schon wochenlang schreiben; erst war ich in Wien, wo mich die Menschen schon heftig langweilen, dann hatte ich einen dummen Katarrh, der aber fast unterhaltender war als die Wiener Gesellschaft, und endlich gab mir das Verschi- cken meines Buches nebst aller laufenden Arbeit (Roman, Gedichte, Feuilletons,) so viel zu tun, daß ich Tag um Tag den Brief hinausschob. Nun bin ich in selig glücklicher Stimmung! Wie würde ich mich freuen, Sie bald zu sehen! Hätte Ihnen so viel zu erzählen. Aber noch lieber zuzuhören. – Denken Sie, mein Buch hat einen prächtigen Erfolg. Habe schon sehr gute Rezensionen u[nd] sogar lange Artikel werden darüber erscheinen. Ich will aber jetzt etwas den Deutschen zeigen, was sie bisher nicht allzu häufig hatten: die Vokalkunst der Lieder, das Berau- schende, das im Wechsel der Rhythmen liegt. Die deutschen Dichter sind Meister des Gefühls – aber im Ausdruck stehen sie noch weit zurück. Ich spür das ganz genau, daß man hier der Sprache noch unerhörte Reiche erschließen kann, bis sie eben eine Vokalkunst wird. Über Helene große Freude. Sie lernt enorm; ihr Bildhauer sagte ihr: „Von Ihnen erwarte ich Besseres als von Tilgner...“414 Sobald ich Sie in Kopenhagen weiß, sende ich Ihre Zeitungen zurück. Mir ist schon furchtbar bange nach Ihren Artikeln, den neuen. Ich habe Sie sehr lieb. Ihre M[aria] St[ona]

127. 28. 6. 1903 an Georg Brandes

Str[ebowitz] 28/6 1903

Hochverehrter lieber Freund! Hab ich mich doch herzlichst gefreut, als ich die vielen vielen Zeitungen sah! Tausend innigen Dank. Mehr als die Hälfte las ich schon; der Schluß kommt heute daran. Ergriffen hat mich En historisk Lov415 in seinen letzten Absätzen. Das ist so wahr

414 Viktor Oskar Tilgner (1844–1896), österreichischer Bildhauer. 415 Georg Brandes: En historisk Lov (1903, GBSS 16).

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und so fein! Und so traurig. Ich mag aber gar nicht Ihren geistvollen Dialog über die Vergänglichkeit. Was ist das für ein schwarzer Pessimismus! Jeder Augenblick trägt den Keim des Todes, aber auch Milliarden Keime des Lebens. Und ich bin mehr für die letztern eingenommen. Im Vergänglichen die Schönheit aufzuspüren, – den Duft der Sterne zu trinken meinen – das ziehe ich bei weitem dem – Erdgeruch des Grabes vor. Und zum Schluß – lieber will ich den Tod umarmen – als mich von ihm niederdrücken lassen. Sie kennen zu viele Menschen, denn alle drängen sich an Sie heran, und das giebt einen widerlichen Geschmack vom Leben. Je älter man wird, um so abgeschlos- sener sollte man sein, um so tiefer sich in die Natur versenken. Mein alter Vater fühlt heute alle Freuden des Sommers. Aber das ist alles Quatsch, was ich Ihnen schreibe... Doch – jetzt weiß ichs! Sie haben das Leben von 2 000 Menschen gelebt, daher diese Stimmung! – Ach ich war in dieser Woche selig! Am 24. um 4 Uhr 15 Min[uten] vollendete ich die letzte Correctur meines Romans, an dem ich 3 ½ Jahre gearbeitet! Mit tausend Grüßen Ihre M[aria] St[ona]

128. 18. 7. 1903 an Georg Brandes

Strz[ebowitz] 18 Juli 1903.

Mein hochverehrter Freund! Es scheint, daß ich heute sehr viel Unglück habe. Nach einer Menge Briefen, die nichts als Schlimmes brachten, öffne ich den Ihren, in herzlicher Freude, wie man in einen Rosengarten tritt, nachdem die Füße sich an den Steinen der Straße blutig geris- sen – und ich bin nun sehr traurig. Vor allem darüber, daß Sie am 1. Aug[ust] kommen wollten. Meine Reise könnt ich ja sehr leicht aufschieben – aber Sie wissen, es war schon einmal so, als Sie bei Fitger416 waren – ich flüchte im August stets vor den alten Tanten, die herkommen u[nd] diesmal überdies vor der schlechten Sumpfluft, den Mil- liarden Mücken, die den Aufenthalt im Garten unerträglich machen.417 Wie schön wäre es, wenn Sie Anfang Septemb[e]r – am 1 Sept[ember] kommen könnten! Ich verstehe nichts von dem, was Sie über mein zu stark betontes Selbstgefühl sagen. An dem Lorbeerkranz bei der Lyra auf dem Titelblatt bin ich unschuldig;418 der Verleger behielt trotz meiner Entgegenung, die Zeichnung, weil mein Buch nur eine Sammlung lyrischer Gedichte einleitet, die alle unter gleicher Lyra erscheinen werden.

416 Arthur Fitger (?) (1840–1909), Maler und Dichter. 417 Infolge einer katastrophalen Überschwemmung, die die Region im Jahre 1903 heimsuchte. 418 Umschlag von Stonas Gedichtsammlung Klingende Tiefen.

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Ich habe so viel Unglück erlebt in meinem Leben, daß es wirklich nur Stärke ist, wenn ich mich für selig halte – und Selbsttäuschung – und meine Kunst ist die Insel meines Glückes. Heute liege ich krank zu Bett und ich schreibe diesen Brief unter kindischen Weibertränen. Viele herzliche Grüße und hoffentlich auf Wiedersehen im September! Ihre M[aria] St[ona]

129. 20. 7. 1903 an Ricarda Huch

Strzebowitz 20 Juli 1903.

Geehrte Frau, das Dusagen ist selbstverständlich nicht meine Specialität. Wenn ich Ihnen sei- nerzeit in meiner weltunkundigen, jugendlich-künstlerischen Empfindung das „Du“ an- trug, so bedaure ich dies nach Empfang Ihres taktlosen Briefes ebenso sehr, als ich nicht begreifen kann, wie Sie eine derartig beleidigende Zuschrift an mich richten konnten! Indem ich Sie ersuche, meine Gedichte zurückzusenden zeichne ich Maria Stona

130. 13. 9. 1903 an Georg Brandes

Strz[ebowitz] 13/9 [19]03

Mein hochverehrter Freund! Wenn Sie wüßten, wie bange es uns nach Ihnen ist; wie sehr und wie schwer wir Sie vermissen! Ihr Besuch war uns eine Wohltat. „Er war wie ein Hort“, sagt Helene, Hort heißt Schutz. Damit deutet sie unbewußt an, – was ihr fehlt. Ich danke Ihnen von Herzen dafür, daß Sie gekommen sind. Möchten Sie bald wiederkommen!! Gestern um ½ 6 Uhr, 6 Stunden nach Ihrer Abreise, kamen drei Freunde vor das Haus; eine junge Dame von wunderbarer Schönheit, eine ältere Frau und ein junger Mann. Sie fragten nach Ihnen. Als sie hörten, daß Sie abgereist seien, waren sie wie vernichtet. Die junge Dame brach in Thränen aus. Man rief mich. Ich sah sogleich, daß sie in andern Umständen sei. „Ich wollte Herrn Brandes wegen eines Manuskriptes419 fragen...“ begann sie

419 Emanuel Reizes: Aus einem Leben (aus dem Nachlass hrsg. von Melanie Klein-Reizes und Irma

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weinend. „Wir kommen aus Ungarn; wir sind den ganzen Tag gereist, um ihn zu tref- fen..“ „Es handelt sich um das Manuskript Ihres Bruders? – ich weiß davon“, sagte ich u[nd] beruhigte sie. Da erfuhr ich von Mutter u[nd] Gatten, die sie begleiteten, Folgendes. Das arme unglückliche Wesen lebte seit 5 Monaten in der fieberhaften Erwar- tung eines Briefes von Ihnen; sie erhielt nun am 10. Ihren von hier ihr gesandten Brief, wurde von Weinkrämpfen befallen, da sie ihre Hoffnung vernichtet sah, daß Sie das gewisse Manuskript lesen, – die Nacht brachte sie in Verzweiflung zu u[nd] Mutter wie Gatte sahen keinen Ausweg als die Frau trotz ärztlichen Verbotes die weite Reise hieher machen zu lassen. Wir waren hier alle so ergriffen von dem Schmerz der drei Menschen! Sie schei- nen sehr reich zu sein; die Frauen waren kostbar gekleidet. Der Mann macht den besten Eindruck; er hat eigentlich das Manuskript seines Schwagers geheiratet, denn seine Freu ist heute mit dem Manuskr[ipt] identisch. Sie hat nur eine Sehnsucht: daß Sie es lesen! Das betrachtet sie als das Vermächtnis ihres geliebten Bruders, den sie im De- zember v[origen] J[ahres] plötzlich in Genua verlor. Sie erfleht nichts sonst, keine Mühe wegen eines Verlegers, nichts – gar nichts, nur das Bewußtsein, daß Sie gelesen haben, was er – in seiner Anbetung für Sie – geschrieben!! Sonst mag sie gar nicht leben. Die Hochzeit wurde verschoben, weil sie den Roman sichtete und abschrieb; seitdem sie ihn abgeschickt hat, zittert sie von Tag zu Tag Ihrer Nachricht entgegen. Sie brach fast vor mir zusammen! Ich bitte Sie, was wird aus dem Kinde, das in 3 Monaten erscheinen soll!420 Wir stärkten sie mit Wein; ich ver- sprach, Ihnen sofort zu schreiben u[nd] Sie zu beschwören, das unselige Manuskript zu lesen u[nd] der Dame Frau Doktor Arthur Klein421 Direktorsgattin in B[ad] Rosenberg i[n]/Ungarn422 zu antworten. Helene blieb bei den Freunden, (unbekümmert um unsere fade Generalin mit ihren Töchtern.) Sie gingen spazieren, scheinen viel Gefallen an einander gefunden zu haben; Helene ist einfach weg von der Schönheit u[nd] Intelligenz der jungen Frau u[nd] mußte versprechen, sie nächstes Jahr zu besuchen. Diese Ungarin hat ein Gesicht wie Cléo de Merode,423 große blaue Augen, klassische Züge, von schwarzem Haar um- rahmt. Der Gatte hat die Distinktion eines Mannes, der viel im Ausland lebte. Er war lang in Brüssel u[nd] giebt Helene Adressen. Die Mutter ist noch sehr hübsch u[nd]

Schneider-Schönfeld). Wien 1906. – Brandes hat tatsächlich auf Stonas Intervention hin ein Vorwort zu dem Buch geschrieben. 420 Melitta Klein wurde am 19. Januar 1904 in Rosenberg (Ungarn) geboren. – Melitta Schmideberg- Klein (1904–1983), Ärztin und Psychiaterin. 421 Melanie Klein (1882–1960), österreichisch-britische Psychoanalytikerin. 422 Ružomberok, Ungarn (Slowakei). 423 Cléo de Merode (1875–1966), französische Tänzerin und „Schönheitskönigin“.

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weiß nicht, wen sie mehr beweinen soll – den Sohn oder die Tochter. Mit dem Zuge um 8 Uhr fuhren sie nach Oderberg,424 wo sie übernachteten, um heute die Rückreise nach Ungarn anzutreten. Der Besuch hatte etwas Erschütterndes; die Trauer der armen Menschen, um 6 Stunden zu spät gekommen zu sein, läßt sich gar nicht schildern. Nicht wahr, Sie haben die Güte, der jungen Frau gleich ein par gute Worte zu schreiben? – wir alle flehen Sie darum an, das Manuskr[ipt] zu lesen – (ein bischen zu durchblättern! –) Zwei Leben hängen davon ab! Wie schade, daß Sie die Damen versäumten! Ich schreibe diesen Brief unter heftigem Kopfschmerz. – Sind Sie gut angekommen? Mit viel tausend warmen innig treuen Grüßen von Helene u[nd] mir Ihre M[aria] St[ona]

131. 27. 9. 1903 an Georg Brandes

Strzebo[witz] 27/9 1903

Mein liebster verehrter Freund! Wie herzlich danke ich Ihnen für alle Güte. Die beiden Artikel werde ich heute lesen – das ist meine einsame Sonntagsfreude. Ich wollte, Sie und Helene wären noch hier! Nun wütet der Eine in Kopenhagen in Manuskripten – die andere fährt über den Rhein und ist wenigstens glücklich dabei. Selige Karten und Briefe schreibt sie; von Nürnberg ist sie entzückt und der Hotelier nannte sie „Frau Baronin“. Daher hat auch er einen unauslöschlichen Eindruck auf sie gemacht. Mit Melanie Klein hat sie sich innig befreundet. Diese Dame ist einfach selig über Ihr Telegramm und Ihre Karten. Es war die höchste Zeit, daß Rettung kam – der kleine Weltbürger rüstete sich schon zur Flucht – und der verzweifelte Gatte hätte daran Ihnen die Schuld gegeben. Ein ganz neuer Fall, – die ... umgekehrte Schuld. Diese Woche war ich in Ungarn; die dümmsten Slowaken fand ich aufgehetzt, „revolutionsbereit“, „zum Weltkrieg“ wie ein Gastwirt mir sagte. Wir Österreicher ju- beln über den Armeebefehl vom Kaiser. Nun kommt der Zar... die Neue Freie Presse nennt ihn – „ein Rätsel.“ Reizend gesagt – und so vielfach zu deuten! Mit treuer Herzlichkeit grüßt Sie, liebster Freund, Ihre unwandelbare ergebene Marie St[ona] (Pardon für Papier – ausgegangen.)

424 Anm. 86.

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132. 1. 10. 1903 an Georg Brandes

1 Okt[ober] [19]03

Mein hochverehrter lieber Freund. Herzlichsten Dank für Ihren Brief, den ich eben bekam. Ich freue mich auf den Artikel, werde ihn abends lesen. In Wien sind sie toll vor Freude über die Ankunft des „Rätselgastes“ – Gasträtsels – Unser armer Kaiser425 muß jagen, während die Ungarn schon fast Jagd auf ihn machen u[nd] er selbst das gehetzteste Wild ist in Österreich. Paff bin ich über die Wirkung des Manuskriptes.426 Das muß ja eine widerliche Arbeit sein – u[nd] diese Qual, das zu lesen – diese Wut, die man dabei kriegt. Von der Schwester Melanie Klein427 wundert mich nicht die völlige Verkennung des Wertes, – aber Mamrot!428 Goldmann!429 Dieser letztere besonders posirt den gebildeten Kritiker mit Vorliebe. Gestern sandte ich Ihnen Ihre trefflichen Renan Artikel430 dänisch und deutsch. Dabei kann ich eine Bemerkung nicht unterdrücken: Sie dürfen sich eine so miserable Übersetzung nicht gefallen lassen! Das ist ja ein hölzerner uralter Styl! Geben Sie Frau Pr.431 eine monatliche Unterstützung von 10 Kronen u[nd] kaufen Sie sich los von ihr! Die frohe Leichtigkeit und die Anmut Ihres Styls, ja sogar den Geist Ihrer Gedanken hat sie in diesem Artikel gemordet. Sie giebt sich auch gar keine Mühe. Schleuderhaft übersetzt sie. Das kann nicht so fortgehen! Sie müssen eine junge moderne, sprachfreudige Übersetzerin haben. In Deutschland glauben 80%, Sie schreiben die Artikel deutsch nieder. Eine Dame aus Dresden schreibt begeistert von Ihrem „Olympierkopf“ in der Austellung. Doch wünscht sie Ihnen einen Vollbart. Helene selig in Brüssel, ganz berauscht von Freude. Ich grüße Sie aus treuem Herzen! Ihre M[aria] St[ona]

425 Franz Joseph I. (1830–1916), Kaiser von Österreich. 426 Anm. 419. 427 Anm. 421. 428 Richtig Mamroth. – Anm. 10. 429 Anm. 7. 430 Georg Brandes: Ernest Renans Statue i Tréguier (?) (1903, GBSS 16). 431 Auch als Braga erwähnt, die Übersetzerin von Georg Brandes.

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133. 3. 10. 1903 an Georg Brandes

3/10 1903

Mein liebster Freund! Ich hab so eine Freude über einen Brief von Helene, daß ich Ihnen gleich davon schreiben muß. Helene war bei Van der Stappen,432 der nimmt nur 3 Schüler und ist entsetzlich teuer. Schon wollte sie traurig fortgehen, da bat Frau van der Stappen ihren Mann, Helene doch ja aufzunehmen u[nd] erbot sich, sie bei sich in Kost zu behalten. Nun wohnt Helene überglücklich bei dem alten Ehepaar u[nd] alles ist so billig, daß ich es erschwingen kann! Wie sehr wertvoll ist für Helene dieser so nahe Umgang mit vornehmen Künstlern! Die „Blattlaus“433 habe ich mit Entzücken gelesen. Herzlichen Dank! Sie folgt mit einigen Notizen zurück über die Tätigkeit der Monarchen. (Blattlaus im Separat- couvert.) Ich habe Sie lieb u[nd] bin in treuer Ergebenheit Ihre M[aria] St[ona]

134. 22. 10. 1903 an Georg Brandes

Strzeb[owitz] 22. 10. 1903

Mein hochverehrter lieber Freund! Nur ein par Worte, weil ich Sehnsucht habe, von Ihnen zu hören und Ihnen von Helene zu erzählen. Van der Stappenʼs434 sind beide wie „Eltern“ zu ihr; Madame stellt sie ihren Gästen als ihre Tochter vor. Alles ist herrlich und Helene fühlt sich wie im Himmel. Großartiges Atelier, in dem sie mit 2 Schülern arbeitet, und Monsieur hat sie schon belobt! Und Verhaeren435 lernte sie kennen; ist weg von seinen Gedichten. So selige Freude hab ich an Helene! Frau Melanie Klein436 schreibt und wartet in Geduld auf ihr baby und Ihr Urteil. Die Wahrheit würde 2 Leben jetzt töten. Bei einem [!] – Umschreibung, d. h. Belobung des Werkes437 riskiren Sie die gelegentliche Veröffentlichung des Briefes, als Vorwort zum Beispiel.

432 Charles van der Stappen (1843–1910), belgischer Bildhauer. 433 Nicht näher bestimmt. 434 Charles van der Stappen mit seiner Ehefrau. – Anm. 432. 435 Emile Verhaeren (1855–1916), belgischer Schriftsteller. 436 Anm. 421. 437 Anm. 419.

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Ich war eben in Steiermark bei Carneri.438 Der blinde, gelähmte, 84jährige – wie rührend er sich freute! Wie heiß er meine Hände küßte, wie er mich segnete! Wunder- volle Stunden waren das! Sein Geist ist klar und groß. (Er glaubte, Sie zählten auch schon 80 Jahre) Bitte schön um Ihre neuen Artikel! Wir sind noch immer in Krisen, in politi- schen. Und kalt ist es! Und herzlich lieb hat Sie Ihre M[aria] St[ona]

135. 18. 11. 1903 an Georg Brandes

Strz[ebowitz] 18/11 1903

Mein hochverehrter lieber Freund! Gestern schickte ich die Zeitungen Ihnen zurück. Herzlichsten Dank! Mich hat lang nichts so gepackt wie Ihre Schilderung des Buches Lasse Månsson;439 ich bestelle das Buch sofort; ließ mir aus Ihrem Artikel vieles abschreiben. Im Sommer entwarf ich ein Buch: „Tagebuch der Natur“[.] Drin will ich meine Naturstudien in künstlerischer Form veröffentlichen – nun bin ich ganz frappirt, daß Rist440 mir zuvorkam u[nd] den Vogel abschoß. Von Helene die besten Nachrichten – unberufen! So edel sind Van der Stappens;441 sie schreibt: ihre Tage sind wie ein Rosenkranz. Ich habe in den letzten Wochen hier geschäftlich wie eine Löwin gekämpft u[nd] wir stehen dem Siege nahe. Hoffentlich kann ich Ihnen im nächsten Brief die gewonne- nen Schlachten melden. Es ist eine prachtvolle Lust, alle Not und Gefahr und doch auch den jubelnden Opfermut eines solchen Feldzugs an eigener Seele zu spüren. Tausend frohe, herzliche Grüße! Ich bitte um neue Zeitungen. Ihre treue M[aria] St[ona]

438 Anm. 1. 439 Peter Frederik Rist: Lasse Månsson fra Skaane. København 1903. 440 Peter Frederik Rist (1844–1926), dänischer Schriftsteller. 441 Anm. 432.

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136. 5. 12. 1903 an Georg Brandes

5 Dez[ember] 1903

Mein lieber verehrter Freund! Ich kann Ihnen nicht genug danken dafür, daß Sie mir die Artikel geschickt ha- ben, – ich habe sie mit immer steigernder und flammender Begeisterung gelesen. Erst machten mich die Gräuel von Makedonien ganz krank – das ist ja unerhört – und das duldet Europa! Und in den Parlamenten nennen sie sich „Spitzbuben“ und „Verräther“ und streiten in Berlin, ob der Abgeordnete Singer442 auszuschließen sei oder nicht, – in Österreich, ob man böhmisch oder deutsch zu Grunde gehen soll. Und dabei werden die Freiheitskämpfer geschlachtet. Dann las ich als zweites Ihren Essay über den dänischen Roman Gyldholm,443 den ich mir sogleich kommen lasse. Und bei Ihren trefflichen Worten, die ich mir morgen abschreibe, fiel mir ein, wie wenig objektiv das Epos der Delle Grazie „Robespierre“444 gehalten ist, in dem ich kürzlich las, mit welchem Pathos und welcher Leidenschaft die Dichterin selbst spricht, wie das stört. Kunst ist Klarheit. Kunst muß Haltung haben – wie ein König. Immer glaub ich, ich höre Sie sprechen. Auch als ich Ihre Worte über das viele Morden in der Litteratur las u[nd] endlich die flammende Schilderung von Salambo,445 das ich gleich bestelle. O ich danke Ihnen, danke Ihnen von ganzem Herzen, schicke alles zurück und bitte um Neues! Montag fahre ich für ein paar Tage nach Wien, I Hotel Höller. Herzl446 hat Ur- laub, ist krank. Heute war Martha hier, die hübsche Cousine, die Sie kennen, fragte mich, ob sie sich scheiden lassen soll, weil ihr Mann sie mit dem – Stubenmädchen hinterging. Er ist ganz Reue und sie triumphierende Tugend. Ich rate Versöhnung. Tausend herzliche Grüße und einen schönen an Edith!447 Kommen Sie doch Bei- de her! Im Frühling, ja? Herzlich Ihre dankbare M[aria] St[ona]

442 Paul Singer (1844–1911), deutscher Politiker. 443 Anm. 400. 444 Anm. 23. 445 Es ist wohl die Novelle von Gustav Flaubert gemeint. 446 Anm. 50. 447 Anm. 196.

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137. 10. 1. 1904 an Georg Brandes

Str[ebowitz] 10. 1. 1904

Mein hochverehrter lieber Freund! Helene hat Ihnen für mich geschrieben. Sie ist so glücklich über Ihre Briefe und selig, wenn sie Ihnen schreiben kann. Sie sind ihre große Liebe; ihre kleine, die sehr gefährlich war, da sie in eine dumme Ehe hätte führen können, hat sie Gott sei Dank in Brüssel vergessen. Nun ist sie wieder abgereist, rosig, dick, heiter wie sie gekommen war. Es ist ein Segen, daß sie bei Van der Stappens448 ankam, die so edel und gut zu ihr sind und sie wie eine Tochter lieben. – Sie haben keine Ahnung, liebster Freund, wie Sie Frau Melanie Klein449 in Ro- senberg450 mit der Zusage eines Vorworts beglückten. Was sind Sie doch für ein guter Mensch! Schimpfen Sie nicht, daß ich so etwas sage; es hört sich langweilig an, aber es ist unendlich wohltuend. Die armen Leute teilen die Menschen nur in gute und böse ein, und eigentlich sind wir alle – arme Leute. Kürzlich451 hat die Gemeinde Strzebowitz mich zur Ehrenbürgerin ernannt, für meine Hilfsaktion im Sommer.452 Das hat mich sehr gerührt. Geschäftlich habe ich viel erreicht – aber noch nicht alles. Die Siegesfanfaren kann ich noch nicht anstimmen. Aus Ihren Artikeln, für die ich tausendmal danke und die ich wiederholt las, – einzelne – habe ich viel Genuß und Gewinn gesogen; sie folgen morgen zurück, – ich lasse mir nur einiges herausschreiben. In den Briefplagen des Victor Hugo453 erkannte ich Sie freudig. Ich bitte herzlich um Neues! – „Nord und Süd“454 hat eine lange Novelle von mir angenommen, – ich versinke jetzt wieder in Arbeit. Alle guten Wünsche für Sie zum neuen Jahre! Bleiben Sie mir ein wenig gut. Mit herzlichstem Gruß Ihre M[aria] St[ona]

Deckblatt. In Wien entsetzte ich mich an der Klimtausstellung.455 Haarsträubend war sie. So viel Geschmacklosigkeit und so viel Begabung.

448 Anm. 432. 449 Anm. 421. 450 Anm. 422. 451 Am 26. 10. 1903. 452 Stonas Hilfe beim Hochwasser. 453 Victor Hugo (1802–1885), französischer Schriftsteller. 454 Nord und Süd, deutsche Zeitschrift. 455 Gustav Klimt (1862–1918), österreichischer Maler.

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Ich besuchte die Ebner-Eschenbach, klug und fein und kühl ist sie, und hundert Uhren umticken sie. Alle 5 Minuten schlägt eine. Was muß die Frau für gute Nerven haben! In Deutschl[and] kämpft der „Herr“456 für die alte Kunst. Maler Dettmann457 in Königsberg458 wurde angewiesen, seine Directorstelle an der Akademie niederzulegen – oder sich eine andere Malweise anzugewöhnen!!! –

138. 18. 1. 1904459 an Georg Brandes

18. Jan[uar]

Mein lieber, guter Freund! Herzlichen Dank für Ihren Brief. Ich habe mich so sehr über ihn gefreut. Über die sommerliche Verwandlung sprechen wir noch einmal mündlich. Ich danke Ihnen dafür, daß Sie sie so edel aufgenommen haben und mir Ihre Freundschaft nicht ent- zogen. So ist jetzt alles gut und soll es bleiben. – Das kränkt mich zu hören, daß Ihre Tochter sich nicht so lebensfroh und glücklich fühlt, wie wir immer wünschen, daß unsere Töchter sich fühlen. Aber das ist so, wenn man einen Charmeur zum Vater hat.. Würden Sie sich in irgend einen dieser tölpelhaften Männer verlieben? Gewiß nicht. Ich auch nicht. Und Ihre Tochter ist so gescheit wie wir beide. Aber bis sie älter wird, kommt sie ein bischen zu Dummheit und wird heiraten. Dann kriegt sie Kinder und alles ist gut. Ich glaube, es ist sehr wichtig für ein Mädel, daß sie eine Mutter mit Furor hat. Das überglänzt das Leben. Sonderbar, wie der Haß gegen Sie in Bücher schießt! Das spricht doch nur für Ihre ungeheuere Bedeutung für das Land. Bei uns muß man 70 Jahre alt werden, um als Genie gefeiert zu werden, oft genügt das Alter ganz allein dazu. Die Verehrung der Völker wächst mit den Jahren ihrer Söhne. Sie sind eben noch zu jung. Oder herrscht in Dänemark die entgegengesetzte Methode, – man wird mit 20 Jahren als Genie gekrönt und mit 50 abgesetzt von der Brust des Vaterlandes. Mein Roman ist noch nicht verkauft. Ich mache mir nichts daraus. Vielleicht eignet er sich nicht für eine Zeitschrift – dann erscheint er im Sommer als Buch. Meine Ehrenbürgerschaft460 haben so viele Zeitungen nachgedruckt, daß ich in

456 Wilhelm II. (1859–1941), deutscher Kaiser. 457 Ludwig Dettmann (1865–1944), deutscher Maler. 458 Kaliningrad (Russische Föderation). 459 Die Datierung ist dank der Erwähnung der Ehrenbürgerschaft von Strzebowitz möglich, die Stona im Jahre 1903 erteilt wurde. Auf das Jahr 1904 oder 1905 weist auch die Erwähnung des nicht herausgegebenen Romans von Stona hin. 460 Anm. 451.

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ganz Österreich zur „bekannten Schriftstellerin“ geworden bin, denn jede Notiz hatte diesen Zusatz. So hat mich der Strzebowitzer Bürgermeister berühmt gemacht. Auf Ihre Artikel freue ich mich sehr! Besten Dank. Ich habe sie erhalten. Die Wöchnerin461 hat uns noch immer nicht erlöst. Ich fürchte, sie bringt ein Manuskript zur Welt, das müssen dann Sie über die Taufe halten. Ich schrieb heute so viel – es tat so wohl, zu Ihnen zu sprechen! Alle guten und allerbesten Wünsche für Sie! Und immer bleibt Ihnen treu erge- ben Ihre M[aria] St[ona] Einen herzlichen Gruß! Ich habe Sie lieb.

139. 13. 4. 1904 an Georg Brandes

Strz[ebowitz] 13. 4. 1904

Mein hochverehrter lieber Freund! Ich mache mir Vorwürfe, daß ich so lange Ihnen nicht schrieb, mich von Ihnen vergessen lasse! Doch Helene schreibt mir von Ihnen, sie ist glücklich über Ihre Bilder. Und so weiß ich auch, daß Sie eben irgendwo herrlich reisen. Nicht müde lächeln über das Wort „herrlich“ – Reisen ist immer herrlich. Es multipliziert das Leben. Vor allem herzlichen Dank für Ihre Artikel; ich habe Sehnsucht nach neuen. So wie Sie jetzt ganz versenkt waren in die Tage von Valdemar und Tove462 – so bin ich versenkt in die französische bedeutend jüngere Geschichte. Ich bereite mich vor auf meine Fahrt zu Helene u[nd] mit Helene nach Paris. Mein Kopf kommt mir wie ein Koffer vor, in den ich alles mögliche hineinstopfe, von dem ich glaube, daß ich es auf der Reise werde brauchen können. Mit Entzücken las ich auch vieles wieder von dem, was Sie in Hauptströmungen463 über Frankreich sagen. Ich stopfte es auch in den Koffer. Nächste Woche will ich abreisen. Hier ist soweit alles in Ordnung, wenn auch die Aktion noch immer nicht durchgeführt ist. Und Tante Ida hatte 2 mal schwere Lun- genentzündung, Adele464 überstand eine schwere Operation in Wien – Vater ist unberu- fen der frischeste von ihnen. Die Essays folgen mit herzlichem Dank zurück, vielfach abgeschrieben. Ihre Gestalten und Gedanken465 besitze ich mit Stolz! Doch nun adieu. Ich habe Sie von ganzem Herzen lieb! Ihre M[aria] St[ona] 461 Gemeint ist wohl Melanie Klein. 462 Georg Brandes: Valdemar og Tove (in: Danmarks historiske folkeviser, 1904, GBSS 15). 463 Anm. 140. 464 Anm. 178. 465 Georg Brandes: Gestalten und Gedanken. Essays. München 1903.

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140. 3. 6. 1904 an Georg Brandes

Strz[ebowitz] 3 Juni 1904

Mein hochverehrter lieber Freund, Bin so erfreut über die liebe Sendung – tausend Dank! Freue mich besonders auf Ihre italienischen Reisebriefe. Das war schon ein Pech, daß wir Ihr Hôtel in Paris nicht fanden. Ich hoffe nur, daß Sie nicht zugleich mit uns dort waren, ich würde mich sonst zu sehr über Helene ärgern, die Ihre Adresse vergaß. Sonst aber hatte ich reiche Freude an ihr. Die Fortschritte, die sie macht, sind erstaunlich. Van der Stappens466 sind voll Güte, überaus lieb und herzlich und sie ist bei ihnen aufgehoben wie bei einem Elternpaar. Unsere Reise war wundervoll! Es geht nichts über Frankreich – über die fran- zösische Cultur. Barbaren sind wir alle. Dort ist Leben und Geist und – der feinste Geschmack. Daß ich nicht längst dort gewesen bin! Künstler sein zu wollen ohne die französische Cultur zu kennen! Das heißt messen wollen ohne ein Maß zu kennen. Auch in Belgien haben wir viel gelernt, in der Gotik unsere Herzen erhoben und zu Memling467 und Quentin Massys468 gebetet. So herrlich schön war alles! Die schönste Reise meines Lebens. Eine wunderbare Freude leuchtet noch jetzt in mir wieder. Helene kommt in 4 Wochen. Mir war das so traulich, in ihrem Zimmer Ihre Bil- der zu finden. Mit Rodin469 sprachen wir von Ihnen. Er sagte, er müsse sich Ihre Bücher kaufen! Wüßte gar nicht, daß sie ins Französische übersetzt sind. Wissen Sie – was für ein Idiot muß man sein, um aus Paris so blöde Briefe u[nd] Berichte zu schreiben wie der gewisse Brüllaffe470 sie in der N[euen] Fr[eien] Presse veröffentlicht! Hier alles in schönstem Gang – unberufen. Wie gefiel Edith471 Amerika? In treuer Herzlichkeit mit Riesengrüßen Ihre M[aria] St[ona] die Sie sehr lieb hat.

466 Anm. 432. 467 Hans Memling (cca 1430–1494), Maler deutscher Herkunft. 468 Quentin Massys / Matsys (1466–1529), flämischer Maler. 469 Auguste Rodin (1840–1917), französischer Bildhauer. 470 Anm. 60. 471 Anm. 196.

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141. 10. 7. 1904 an Georg Brandes

10 Juli 1904

Helene liest noch Ihre Artikel! Mein liebster bester Freund! Ganz glücklich bin ich – Helene ist hier, – Sie müssen bald kommen, bitte bitte! Wir freuen uns schrecklich auf Sie. Unsere beiden letzten Briefe haben sich gekreuzt. Inzwischen wissen Sie schon, daß meine Wintertrauer vorbei ist – Gott sei Dank, und ich wieder lerchenfroh juble. Innigen Dank für Ihre glänzenden Artikel – ich mag sie alle bis auf den, der in der N[euen] Fr[eien] Presse erschien, das Resultat der langweili- gen Reise. Es ist mir ein Rätsel, weshalb die Zeitung gerade diesen brachte, dem man, so pikant u[nd] geistreich und graziös er auch ist, ein leichtes Gähnen anmerkt. Ihr Besuch bei M[ada]me Curie472 ist hochinteressant. Eine Reise in Gesellschaft Vieler muß entsetzlich sein. Sobald sich die Unbedeu- tendheit der Vielen multipliziert, wirkt sie geradezu überwältigend. Es bleibt einmal so: das Wichtigste sagt uns immer die Einsamkeit. Helene ist voll Frische und zielbewußter Kraft. Heute wars köstlich. Wir lagen im Garten unter einem Baum, bloßfüßig, und sprachen über die Kunst. Da ruft sie: „Siehst du, das ist der moderne Stil!“ und während sie das sagt, lache ich auf, denn eben hat sie unbewußt das nackte Bein gehoben als wäre das der moderne Stil. Vor 8 Tagen war ich in Wien. Der Tod Herzls473 hat mich sehr bewegt. Im De- zember sah ich ihn zum letzten Mal. Da ging er mir noch nach, um mir zu sagen, daß er keinerlei Groll mehr gegen Sie habe. Ich erwähnte es nicht, denn es war Ihnen gleich- giltig – aber heut sag ichs – wie ein Vermächtnis. Kommen Sie bald. Ja? Wir erwarten Sie! Helene bleibt nur bis 1. September. Ihre Zimmer sind kühl, Sie brauchen den Juli u[nd] August nicht zu fürchten. Sehr sehr lieb haben wir Sie! Tausend Grüße! Ihre Marie

472 Georg Brandes: Fru Curie (1904, GBSS 16). 473 Am 3. 7. 1904.

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142. 18. 7. 1904 an Eugen Guglia Strzebowitz 18 Juli [19]04

Hochverehrter Herr Regierungsrat! Meinen schönsten Briefbogen nehme ich,474 um Ihre Verzeihung zu erbitten. Sie haben dem kleinen Märchen meiner Tochter475 einen so liebenswürdigen Begleitbrief beigefügt und ich wollte sogleich danken. Dann aber verreiste ich – o es war wunder- schön in Brügge und Paris! – und nach meiner Rückkehr versank ich in Arbeit. Um mich von Ihnen nicht vergessen zu lassen, erlaubte ich mir heute, ein paar Gedichte an Ihr treffliches Blatt zu senden. Ich würde mich freuen, wenn sie Ihnen ge- fielen. Mit dem Märchen hatten Sie, hochverehrter Herr, vollkommen recht. Es war nix für die Abendpost.476 Bitte, meinen Misgriff verzeihen! Fröhliche Sommertage wünscht mit herzlichen Grüßen Ihre ergebene Maria Stona

143. 5. 8. 1904 an Georg Brandes

Str[zebowitz] 5/8 [19]04

Mein liebster Freund! Sie in Karlsbad zu wissen und nicht hinkommen zu können u[nd] keine Aussicht zu haben, daß Sie herkommen, ist hart. Ich danke Ihnen herzlich für Ihren lieben Brief und wünsche, daß die ernsten Professoren sich geirrt haben mögen, wie das den erns- testen am häufigsten begegnet. Ich möchte gern noch ein paar ewige Wahrheiten sagen wie auch heiße Wünsche für eine gute Kur, aber darüber lächeln Sie nur. So beschränke ich mich darauf, sie zu denken u[nd] zu fühlen. Clemenceau477 hält wohl die Curie478 in Frankreich zurück. M[ada]me Curie wär mir schon lieber. Wie Sie merken, bin ich eben blitzdumm – es ist jetzt ½ 7 abends und ich arbeite mit wenig Unterbrechungen seit ½ 6 Uhr früh. Das kann man nur im Garten tun – im Zimmer hielte man es nicht aus. Ich bin mit ganzer Seele bei einem Buch, das im Oktober erscheinen soll und übervollende es eben. Ein Hochgenuß ist das. 474 Der Brief wurde auf einem Kopf-Briefpapier mit Wasserzeichen und goldgeprägtem Monogramm „MS“ geschrieben. 475 Wahrscheinlich in der Wiener Zeitung (Wiener Abendpost), wo Guglia als Chefredakteur tätig war. Helene Scholz publizierte „das Märchen“ auch in der Grazer Morgenpost 25. 12. 1904. – AMO, Fotoalben, Kart. 1, Inv. Nr. 2, Album von Helene Zelezny-Scholz, I. Band, 1901–1923. 476 Wiener Abendpost, Anhang der Wiener Zeitung, redigiert von Eugen Guglia. 477 Anm. 180. 478 Marie Curie-Skłodowska (1867–1934), Wissenschaftlerin polnischer Herkunft.

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Für Ihre mir so gütig geschickten Zeitungen herzlichsten Dank. In 14 Tagen lese ich sie alle mit Freuden – nun liest sie Helene. Ich lese über- haupt nichts in diesen letzten Wehen meines Buches. Heute sandte ich Ihnen ein Heft mit einer Novelle von mir, vor 2 Jahren ge- schrieben. Nun hab ich seither wieder ein bischen mehr gelernt, so hoffe ich. Mein Gott, wenn Sie doch kommen könnten! Auf 14 Tage zur Nachkur! Braun,479 der Troppauer Museumsdirektor hat eine hübsche kleine ganz arme Jüdin480 geheiratet. Mir kommt sie auch dumm vor – das ist fast zu viel des Guten. Ich habe Sie lieb u[nd] grüße Sie! Ihre M[aria] St[ona]

144. 6. 8. 1904 an Eugen Guglia

Strzebowitz 6 Aug[ust] 1904

Hochverehrter Herr Regierungsrat! Herzlichen Dank, daß Sie so schnell meine Verse ans Licht riefen!481 Ich habe mich sehr gefreut. Heute erlaube ich mir, zwei sorgfältig durchstudierte Aufsätze über Charles van der Stappen482 und Fernand Khnopff483 (mit kurzer Einleitung über belgische Kunstentwi[c]klung) zu überreichen. Ich bin in Brüssel beiden so verschieden gearteten Künstlern nahe getreten und in den beiden Artikeln habe ich auch in meinem Stil ihre Eigenart gekennzeichnet. Je- ner über V[an] d[er] Stappen ist einfach und natürlich geschrieben, für den „Tempel der weißen Träume“484 wählte ich die Form des Ästheten. Als Dichter werden sie mir die Freude am Stoff nachfühlen – bei dieser letztern Studie. Ich würde mich schrecklich freuen, wenn ich ein bald vernehmliches gütiges Ja bekäme. Mit herzlichen Grüßen bin ich, hochverehrter Herr Regierungsrat, Ihre ergebene Maria Stona 479 Anm. 78. 480 Elsa Eibuschitz. An ihrer vermeintlichen „Armut“ kann man zweifeln. Ihr Vater war der Rechtsanwalt Salomon Eibuschitz, der den Neuvermählten eine Wohnung im Haus in der Teschener Straße in Troppau schenkte. – Šopák (2008): 51. 481 Maria Stona: Der Sommer; Durch den dämmernden Eichenwald... Wiener Abendpost. Beilage zur Wiener Zeitung 23. 7. 1904, S. 5. 482 Anm. 432. 483 Fernand Khnopff (1858–1921), belgischer Maler. 484 Maria Stona: Im Tempel der weißen Träume. Ein Besuch bei Fernand Khnopff, Wiener Abendpost. Beilage zur Wiener Zeitung 21. 9. 1904, S. 15–17.

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145. 7. 8. 1904 an Georg Brandes

Strz[ebowitz] 7/8 [19]04

Liebster, Hochverehrter! Ihr Eintreten für Finnland485 macht das höchste Aufsehen. Es ist wunderbar, daß er mit der Ermordung Plehwes486 zusammenfällt. Ich war so erschüttert als ich diese kurze Notiz las. Das Morgenrot der Neuen Zeit! Immer Ihre M[aria] St[ona]

146. 8. 8. 1904 an Georg Brandes

Strz[ebowitz] 8 Aug[ust] 1904

Liebster hochverehrter Freund! Eben erhalte ich Ihren Brief. Ich bin tief ergriffen durch den Tod Ihres Vaters. Wie schrecklich traf Sie die Nachricht! Und nun die lange schwere Reise zu einem ar- men schweigenden Toten, der Ihnen einst das Heiligste gab: den Funken seines Lebens. Ich fühle heiß mit Ihnen, weil auch ich meinen Vater von ganzer Seele liebe. Möchte nur Ihre Gesundheit nicht leiden durch die Hast und die Hitze der Fahrt – und den Schmerz! – Was Sie über Helene schreiben, beglückt mich so sehr wie das, was Sie von meiner Novelle sagen. Ihre Anmerkung ist für mich einfach das höchste. Mehr giebts nicht zu erreichen. Daß Sie nicht kommen können, sehe ich mit tiefer Trauer ein. Sie wissen, wie wir an Ihnen hängen. Alle. Wir lieben Sie und sehnen uns nach Ihnen. Lassen Sie mich herzlich aus ganzer Seele Ihre lieben Hände drücken. Immer Ihre M[aria] St[ona]

485 Im Anhang befindet sich ein Ausschnitt des Artikels Ein Aufruf für Finnland aus der Neuen Freien Presse 6. 8. 1904. 486 Wjatcheslaw Konstantinowitsch von Plehwe (1846–1904), russischer Minister des Innern.

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147. 23. 10. 1904 an Georg Brandes

Str[zebowitz] 23. 10. 1904

Mein edler hochverehrter Freund! Ich schwebe in der Luft, weil ich so lange nichts von Ihnen hörte, so lange nichts Dänisches von Ihnen las. Ich weiß gar nicht, was in der Welt vorgeht, denn Sie sind eigentlich für mich der Spiegel der Welt. Bitte, bitte um Zeitungen! Morgen früh folgen alle, die ich von Ihnen habe bis auf „Korfu.“487 Davon kann ich mich nicht trennen, das lieb ich zu sehr. Zwischen den Zeilen lese so viel, ich sehe Ihre bewegte Seele – ein Odysseus sind Sie selber – die Überlegenheit des Mannes ist Odysseus – u[nd] bei wem kommt die besser zum Ausdruck als bei Ihnen? Ich lese auch viel zwischen den Zeilen von der armen irregeleiteten Frau, die sich mit Schönheit zu umgeben wünschte – viel- leicht für Schönheit hielt, was ihr die Berliner schickten... Und diese Unkenntnis in tiefster Seele, die Achilleon nannte, was nur Odysseon genannt werden durfte! Das ist alles herrlich und ich schlürfe das nach mit dürstendem Herzen. Die Deutschen haben eben keinen Geschmack. Ich las eben einen Roman von der jetzt vielgerühmten Viebig; 518 Seiten; ein Gestrüpp, ein lärmendes Dorf.488 Dane- ben treiben Hyperartisten ihr Unwesen und ersticken die Sprache in Bildern. Jacobsen489 bis zur Unmöglichkeit übertrieben. Wir Österreicher haben eine literarische Jugend mit Greisenmasken und verwelkten Stimmen. Ich las eben den Novellenband eines jungen Dichters, er hat mich ganz krank gemacht; so viel Schwäche geht gegen die Natur. Ein Kellner, der eine Gräfin liebt u[nd] sich vor die Lokomotiv[e] wirft, die sie wegführt, ist der Held einer der „Novellen.“ Zum Glück vollendet sich dieses Schicksal in 7 Seiten. Reiche Freude habe ich (unberufen) an Helene. In ihr ist Frische und Kraft. Mei- nen Buben hab ich endlich nach Wien geführt an die Universität – hoffentlich entwi- ckelt er sich jetzt besser. Vorige Woche hab ich den Carneri490 besucht. Welche Frische hat dieser gelähmte Blinde! Mit 84 Jahren. Wie jubelte er über mein Kommen! Doch nun adieu – auf Wiedersehen! Möchte es Ihnen so gut gehen, wie ich es ersehne! Immer, in unwandelbarer Ergebenheit Ihre M[aria] St[ona] Ich habe Sie lieb! Vergessen Sie das nie!

487 Georg Brandes: Korfu (1904, GBSS 16). 488 Clara Viebig: Das schlafende Heer. Berlin 1904. 489 Anm. 101. 490 Anm. 1.

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148. 2. 11. 1904 an Arthur Schnitzler

Strzebowitz 2/11 1904

Sehr verehrter Herr Doktor, Besten Dank für Ihre freundlichen Worte! Ich freue mich, wieder einmal direkt von Ihnen zu hören. Die Novelle habe ich Ihnen geschickt, weil ich bei unserer ersten Begegnung Ihnen das Thema erzählte. Also eine Art „Zur freundl[ichen] Erinnerung“, wie es auf Stammbuchblättern heißt. „Schwüle Nächte“491 kenne ich nicht; werde sie mir verschaffen. An meiner No- velle hatte ich eine große – rasende Freude: daß sie Brandes überaus rühmend nannte; er findet sie „außerordentlich, vollkommen gelungen, wahr, originell.“ Sie meinen, ich hätte den Knaben leben lassen sollen. Das ging schwer; eine faule Frucht muß vom Baume fallen. Denken Sie, meine Tochter ist in Brüssel, eine der begabtesten Schülerinnen Van der Stappens.492 Sie stellt im Sommer in Wien aus. Ich grüße Sie vielmals, verehrter Herr Doktor! Maria Stona

149. 29. 1. 1905 an Georg Brandes

Strz[ebowitz] 29. 1. 1905

Mein lieber edler Freund! Heute steht in der Presse Ihr Artikel über Frauenbücher;493 – und Frau Melanie Klein,494 die Ungarin schreibt und klagt, daß sich kein Verleger für das Buch ihres Bru- ders finden will; – und in der Deutschen Rundschau495 lese ich Ihre Kinderzeit;496 in der „Stimmung der Gothik“ von einem Herrn Roessler497 finde ich Sie auf jeder 3. Seite ungefähr genannt oder citiert; und 10 mal an jedem Tage denke ich an Sie, – so, das alles sagt Ihnen, wie Sie mein Leben treu mitleben, mögen Sie es wollen oder nicht. Das ist die Treue wider Willen.

491 Nicht näher bestimmt. 492 Anm. 432. 493 Georg Brandes: Frauenbücher, Neue Freie Presse 29. 1. 1905, S. 32–33 (Original Kvindebøger 1904, GBSS 16). 494 Anm. 421. 495 Deutsche literarische und wissenschaftliche Zeitschrift. 496 Nicht bestimmt. 497 Arthur Roessler (1877–1955), österreichischer Kunstkritiker und Kunstschriftsteller.

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An Ihren Zeitungen hatte ich viele Freude. Innigen Dank. Den wundervollen Artikel über Maupassants498 Liebesbriefe kriegen Sie nicht zurück, den behalt ich mir; nur die übrigen folgen und ich bitte innig um neue Sendung. Gott, wenn Sie nur in diesem Jahre herkommen könnten! Wir wären ja glückse- lig. Es täte so wohl in all dem Kummer umher. Die arme Helene hat eine große Sorge u[nd] sie ahnt nicht, wie schwer die noch werden wird. Ihr Papa – mein geschiedener Mann – ist unheilbar leberleidend. Er befindet sich jetzt in Karlsbad, von frohen Hoff- nungen beseelt – gebe der Himmel – wie man so gläubig sagt, – Besserung! Ich habe maßlos gelitten an der Mitteilung der Ärzte: „Rettungslos verloren!“ Da fühlt man auf einmal, daß doch die Ehe nie geschieden war, daß da etwas in ihr ist, das festhält bis in den Tod. Jetzt klammere ich mich an die Hoffnung einer Besserung, die ich mir einrede, um nicht so leiden zu müssen. Zugleich ist mein einziger Bruder an einem ebenso schweren Leber- und Herz- leiden erkrankt. Bei beiden im gleichen Alter offenbar Folgen des Alkohols. Mein guter Vater ist unberufen von einer wunderbaren Frische; er versöhnt mit dem Alter von 80 Jahren und läßt es sogar verlockend erscheinen. So ein ehrfurchtge- bietender Stamm ist er. Und endlich ist auch die große finanzielle Operation geglückt, zu unser aller grenzenloser Freude. Vor 3 Tagen erst. Mein Vater hat Sie sehr lieb und fragt immer, wann Sie kommen? Das fragen nun 3 Generationen in dem alten Rabenschloß. Letzthin in der Berliner „Woche“499 sah ich Sie und Edith500 bei Rodin.501 Das Bild war sehr gut, Edith verführerisch; Sie ein wenig resignirt, wie ein Fremdenführer Ihrer Tochter. Man ist auch nicht in Paris, um sich Vater zu fühlen. Wie beneide ich Anatole France502 um die Stunden mit Ihnen! Für den Essay über ihn ganz besondern Dank. Und nun einen herzlichen Kuß – darf ich? Ich habe Sie immer gleich lieb! Ihre M[aria] St[ona]

150. 9. 5. 1905 an Georg Brandes

9 Mai 1905

Mein liebster, verehrter Freund! Meinen Herzensdank für Ihren so guten Brief und eine Herzensfreude ist es mir, Ihnen sogleich zu schreiben. In diesen letzten Tagen habe ich intensiv an Sie gedacht, 498 Guy de Maupassant (1850–1893), französischer Schriftsteller. 499 Die Woche, deutsche illustrierte Zeitschrift. 500 Anm. 196. 501 Anm. 469. 502 Anatole France (1844–1924), französischer Schriftsteller.

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denn ich war immer in bester Gesellschaft: ich las Keats,503 Byron,504 Swinburne505 und ich genoß wieder einmal, was Sie über Byron im 4. Band Ihrer Hauptströmungen506 sagen. Man muß nur das beste lesen – und darum werde ich fortan nur Sie lesen und die Unsterblichen – Sie als Heerführer der Unsterblichen, ihr Feldherr, ihr Napoleon! Mein Gott, wie viel hab ich Ihnen heute zu erzählen, – ich weiß nicht, womit ich beginnen soll, mit der Glückseligkeit der Frau Melanie Klein507 aus Rosenberg,508 die endlich einen Verleger – Seemann in Leipzig – für das Werk ihres Bruders gefun- den hat;509 oder mit der Klage über meinem armen Roman, der noch keinen Verleger gefunden hat, für die Familienzeitschriften Deutschlands, diese Sammelkästen der Ge- schmacklosigkeit, sich absolut nicht eignet und jetzt eben wieder bei einem Stuttgarter Verleger „geprüft“ wird. Nun, ich lasse mir nicht bange machen. Meine Novelle „Sein erster Sieg“ wurde mir 5 mal zurückgeschickt und erreichte dann endlich den höchsten Sieg, den es überhaupt für mich giebt: – Ihr Lob. Nein; ich will Ihnen zuerst sagen, daß die Schmerzenstage entsetzlich waren, die wir durchlebten bei dem Tode des armen Scholz.510 Sie sagen das rechte Wort: daß ich rückblickend mein Leben überschaute. Der Schmerz warf mich in einen Zustand von trance, und wie sich mir jedes Erlebnis zur Kunst verklärt, so schrieb ich in 5 Tagen mir 50 Gedichte von der Seele, und ich denke, es sind 5 gute darunter. Und die übrigen werden noch immer in deutschen Blättern passiren. Ach diese Zeitschriften! Ich habe eine symbolische Dichtung, so feine Kunst – weiß nicht, wohin mit ihr! Sie ist in Prosa und wo das Gefühl sich zum höchsten Schwung erhebt, in Versen. Und der Inhalt: ein welkes Kind, unter Greisen aufgewach- sen, kommt in das Land der Jugend und weiß nicht, was Spiele und Küsse und Liebe und Sehnsucht sind, und erstarkt dann an der Jugend und reißt sie vom gedankenlosen Tändeln fort durch den milden Ernst, den es im Land der Greise erworben, und wächst zum Mann empor und wird Herr der Jugend.... Und jetzt lebe ich in einer wunderbaren lyrisch epischen Dichtung: König Eri.511 Und kaum habe ich drei Tage in Poesie geschwelgt, da muß ich eine Geschäftsreise machen und über Spiritus reden. Das zerreißt mir die schönsten Stimmungen und ich brauche alle Energie und alle leidenschaftliche Liebe zur Kunst, um immer wieder mich selbst zu finden. Sie haben so sehr Recht: wie viele Mädchen schleppen ihr blühendes Leben verdrossen wie eine wehe Last. Helene giebt ihrem Tage reiche Fülle und darum ist sie glücklich. Wer wenig in seine Tage legt, kann nur wenig aus ihnen schöpfen, denn eigentlich giebt uns das Leben nur, was wir selbst ihm geben.

503 John Keats (1795–1821), englischer Dichter. 504 George Gordon Byron (1788–1824), englischer Dichter. 505 Anm. 218. 506 Anm. 140. 507 Anm. 421. 508 Anm. 422. 509 Das Buch ist schließlich im Wiener-Verlag in Wien erschienen. 510 Albert Scholz, Ehemann von Maria Stona. 511 Maria Stona: König Eri. Wien 1907.

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In Einem hat Helene Unrecht: in der blinden Schwäche für ihren Bruder. Da sag- te sie mir letzthin, als ich in gerechtem Zorn über ihn war, ein sehr hartes böses Wort, das ich wohl nie vergessen werde, wenn ichs auch tausendmal verzeihe. „Jetzt sind wir für eine Zeit miteinander fertig...“ Das sagte sie mir, ruhig und kühl, sie, für die ich tausendmal mein Leben geopfert hätte. Sie, die die herrliche Entwicklung ihres Wesens in erster Linie mir zu danken hat. Ich wollte, Sie würden Sie [!] einmal bei Gelegenheit darauf aufmerksam machen. Aber es ist nicht nötig, sie fühlt es vielleicht selbst – und doch bin ich ihr nichts und der leichtsinnige, genußsüchtige Bruder ist ihr alles. Wir sollen unsere Kinder nicht so heiß lieben, es ist Torheit. Und nun will ich Ihnen etwas gestehen, was viel Glück in mein Leben bringt. Ich habe die Absicht mich wieder zu verheiraten, mit einem ganz ausgezeichneten, edlen Menschen von vornehmer Gesinnung, Journalist, einer der angesehensten in Ös- terreich, zugleich in Staatsdiensten. Helene weiß es schon lange, freut sich riesig, hält sehr viel von dem sehr gereiften Mann512 und hofft, daß er ihren Bruder auf gute Wege bringt, da Albertl ihm sehr zugetan ist und beide jetzt in Wien sind. Meine kommende Ehe ist noch ein Geheimnis; mein Vater weiß noch nichts von ihr. Am 5. Mai waren es 3 Jahre, daß Sie zu uns kamen.513 Mein herrlicher Freund! Ich habe große warme Sehnsucht nach Ihnen und ich muß Sie in diesem Jahre finden und solltʼ ich Sie in Kopenhagen suchen müssen! Noch hoffe ich, daß Sie herkommen! Ein Segen wärs für uns alle, die wir Sie lieben. Und bringen Sie Edith514 mit, bitte bitte! Ich war zu lang bei Ihnen heute – aber ich mußt[e] Ihnen so viel erzählen, und das alles sagt noch nicht die Hauptsache: wie innig teuer Sie mir sind. Ich bin hungrig nach Ihrem Geiste. Was Sie über die französische Literatur des XVIII Jahrh[underts] schreiben werden, wird ein Fest sein für Ihre Maria Stona

151. 30. 6. 1905 an Elisabeth Förster-Nietzsche

Würzburg 30/VI [19]05

[Frau Maria Stona]515 erlaubt sich, Ihnen, hochverehrte Frau, nochmals herzlich zu danken für die unvergeß- lich schöne Stunde! Schloß Strzebowitz. Öster[reichisch] Schlesien 512 Karl Erasmus Kleinert. – Vgl. Anm. 518. 513 Stona hat sich um ein Jahr verrechnet, es ging um das vierte Jubiläum. 514 Anm. 196. 515 Geschrieben auf einer Visitenkarte.

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152. 8. 8. 1905 an Georg Brandes

Strzeb[owitz] 8 Aug[ust] 1905

Mein großer Freund! Ein Brief von Ihnen ist ein Fest für mich; das Herz geht mir auf, wenn ich Ihre liebe Schrift sehe. Ich danke Ihnen vielemale für den gestrigen Gruß. Bin glücklich, daß Sie sich meiner in Karlsbad erinnern – ich weiß alles so genau, als wär es heute gewe- sen – wie wir auf der alten Wiese saßen nach meiner Ankunft u[nd] Sie so lieb u[nd] warm sagten: „Ich bin doch froh, daß Sie hier sind..“ Der Augenblick lebt so frisch in mir wie jener, da wir beide in Schönbrunn516 auf dem Bahnhof waren u[nd] Sie den Vers sagten vom „Herzliebster Prinz Alexander“ und dann, nach Abbazia517 reisend, aus dem Coupéfenster blickten, weich und sehnsuchtsvoll... In solche Erinnerungen blickt man wie in sonnenbeleuchtete Winkel und ein wunderbares Leben regt sich in ihnen... Wir haben solche Sehnsucht nach Ihnen, Helene und ich, u[nd] wir telegraphir- ten Ihnen heute und bitten Sie, wenn es Ihnen irgend möglich, doch zur Nachkur aus Karlsbad zu uns zu kommen! Ihre Zimmer erwarten Sie. Und so viel Stille im Garten. Und so viel laute Freude in uns! Kommen Sie! Für Ihren Glückwunsch innigen Dank. Der wirklich treffliche Mann, mit dem ich mich in etwa einem Jahre verbinden werde – früher ist es unmöglich, da er katholisch u[nd] gerichtlich geschieden ist, also erst die ungarische Scheidung durchführen muß – heißt Karl Erasmus Kleinert,518 ist 47 Jahre alt, Beamter im Ministerratspräsidium, zugeteilt derzeit der Redaktion der Wiener Zeitung.519 Helene sagt, so eine Liebe wie die seine giebts auf der ganzen Welt nicht mehr, und Helene muß es wissen. Sie ist jetzt noch Beobachterin des Lebens, steht noch nicht drin. Ein prachtvoller Kerl ist sie u[nd] ich bin glücklich, daß ich sie für ein paar Wochen hier habe. Und wenn einmal sie und Albertl verheiratet sein werden, steh ich nicht allein da und hoffe, fröhlich zu sein. Vor 4 Wochen war ich 8 Tage lang in Weimar, – dem Zauber Goethes ergeben. Weimar ist Goethe – aber Goethe war mehr – als Weimar. Mein armer Roman hatte nun endlich einen guten Verlag gefunden, – aber der gute Verleger fragte doch noch zur Vorsicht seine gute Frau um Rat. Diese prüfte meine Arbeit an einem Tage, an welchem sie gerade keine Wäsche hatte, und fand ihn – für den Gatten unmöglich. Ein Roman, – ich bitte Sie! – der eine unglückliche Ehe demora- lisierend nennt und für die Scheidung eintritt – nein nein – apage – Satanas –520 Nun rät mir der Verleger, es mit Österreich zu versuchen, in Nord Deutschland fänd ich keine Leser – der Leihbibliot[h]eken natürlich, denn auf diese kommt es ja doch an. Es geht 516 Anm. 5. 517 Anm. 183. 518 Karl Erasmus Kleinert (1857–1933), österreichischer Redakteur und Schriftsteller. 519 Wiener Zeitung, österreichische „offizielle“ Tageszeitung. 520 Maria Stona: Der Rabenschrei: Roman einer Scheidung. Berlin – Leipzig 1907.

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nichts über – moralische Verleger. Ich suche nun einen unmoralischen. Lassen Sie uns hoffen, daß Sie kommen; schreiben Sie, bitte, ein par Worte und werden Sie sehr gesund! Und grüßen Sie Clemenceau!521 Helene und ich umarmen Sie Ihre M[aria] St[ona]

153. 11. 9. 1905 an Elisabeth Förster-Nietzsche

Maria Stona Schloss Strzebowitz Österr[eichisch]-Schlesien 11. 9. 1905

Hochgeehrte Frau! Erlauben Sie mir, – die eine Stunde lang das Glück hatte, dem Zauber Ihres Geis- tes zu begegnen, – Ihnen zu sagen, wie warm und lebhaft ich für Ihre gerechte Sache Teil nehme und wie sehr mich entzückt hat Ihre treffliche Berichtigung der schwanken- den Gedanken des H[ermann] B[ahr]. Ich las Ihren glänzenden Aufsatz gestern in der N[euen] Freien Presse mit innigem Vergnügen! In aufrichtiger Verehrung begrüßt Sie, gnädige Frau, Maria Stona

154. 11. 9. 1905 an Marie von Ebner-Eschenbach

Strzebowitz 11. Sept[ember] 1905

Hochgeehrte Meisterin, Ihnen Glück zu wünschen? Ach nein – uns haben wir Glück zu wünschen, weil Ihr klarer Geist uns leuchtet. Das liebe Bild, das Sie die Güte hatten, mir aus Rom auf einer Postkarte zu sen- den, ist mir ein kleines Heiligtum und ich hätte längst gedankt, wenn nicht dies Jahr mir der Schmerzen und Sorgen allzuviele gebracht haben würde.522

521 Anm. 180. 522 Am 7. 2. 1905 starb Stonas Bruder Gustav in Wien, am 24. 4. 1905 starb Albert Scholz, Ehemann von Maria Stona (deren Ehe wurde geschieden).

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Behüte Sie, gnädigste Baronin, der Himmel und schenke Ihnen die herrlichste Gabe sonniger Arbeit! In Verehrung Maria Stona

155. 1. 10. 1905 an Georg Brandes

Strzeb[owitz] 1. 10. 1905.

Mein hochverehrter, so lieber Freund, Sie sind nicht gekommen, das war Helene u[nd] mir ein Schmerz, denn wir hätten Sie so gern genossen, wie man eine deliciöse Welt genießt. Sie aber hatten keine Zeit, diese Welt zu uns zu tragen. Soeben schreibt man mir aus Dresden, einfacher gesagt: schreibt mir meine alte Gouvernante,523 daß Sie in Dresden in der liter[arischen] Gesell- schaft über Voltaire524 reden werden; die Früchte Ihres Studiums des 18. Jahrh[underts] sind also schon in goldigster Reife. Was mich sehr amüsirt, ist, daß die gute Valeska schreibt: „Wir freuen uns riesig auf Brandes; nach seiner Büste von Klinger525 muß er etwas Titanenhaftes haben –“ Die guten Dresdner glauben, daß der Titane des Geistes durch kolossale Gliedmassen wirkt. Wenn ich nur nach Dresden kommen könnte, solange Sie dort sind! Vielleicht finde ich Sie im Laufe des Herbstes oder Winters irgendwo in Deutschland. Ich werde Ihnen nachreisen. Innig danke ich Ihnen für Ihren guten, herzlichen Brief vom 19. Aug[ust]. Eine große Freude habe ich Ihnen zu schreiben: Mein Roman ist endlich an das rechte Ziel gekommen u[nd] beginnt Anfang Januar in einem der ersten Blätter Deutschlands zu erscheinen! Ich war halb verrückt vor Freude, als ich das Telegramm des Redakteurs erhielt mit dem Anbot von 1 200 Mark Honorar!! Obwohl nun alles perfekt abgeschlos- sen ist, wage ich den Namen des Blattes nicht niederzuschreiben, aus Angst, daß der Brief verloren gehen u[nd] irgend ein Zufall gegen mich intriguiren könnte. Nun wird das mühevoll geborene Werk auch bald als Buch erscheinen. Glückselig bin ich! In der N[euen] Freien Presse las ich vor 2 Tagen Ihren warmen Nachruf an Edel- felt.526 Ich sandte ihn Helene. Auf Ihre Bücher freue ich mich, werde sie mir gleich bestellen. Ein gutes Frauenbuch ist erschienen: „Tagebuch einer Verlorenen“.*527 Das Ta- gebuch einer Dirne – aber welch einer Dirne! Das Buch schlägt an Kraft und Adel 20 Männerromane tot. 523 Valeska Schliephacke. 524 François-Marie Arouet (1694–1778), französischer Schriftsteller. 525 Anm. 332. 526 Albert Edelfelt (1854–1905), finnlandschwedischer Maler und Graphiker. 527 Margarethe Böhme: Tagebuch einer Verlorenen. Berlin 1905.

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Ich grüße Sie von ganzer Seele! Und stehe mitten im Kampf des Lebens und bin still und fröhlich – und habe Sie unendlich lieb! M[aria] St[ona] * Berlin. Fontane.

156. 7. 11. 1905 an Georg Brandes

Strzeb[owitz] 7. 11. [19]05

Mein verehrter großer Freund! Schimpfen Sie nicht über die Beilage. Der junge Schriftsteller, der das furchtbar langweilige Buch über Strachwitz schrieb,528 das Sie einmal hier sahen, möchte sehr gern ein gutes Werk über den Dichter leisten. Und er erlaubt sich, bei Ihnen anzufragen. Ich befürworte gar nichts – überreiche Ihnen nur seinen Brief. Wenn es Ihnen nur gut ginge, – ich weiß schon so lange nichts von Ihnen! Ein paar gedruckte Zeilen – bitte bitte! Kann mir denken, wie Sie von allen Seiten überlaufen werden. Hab doch schon ich unter den Belästigungen aus der Leserwelt zu leiden. Bald bittet ein Schriftsteller, der zu seiner Empfehlung sagt, daß er eben aus dem Irrenhause entlassen wurde, um eine Unterstützung; bald sehnt sich ein Verehrer meiner Verse danach, jetzt im Novem- berwetter einen Nachmittag lang mit mir „unter den Linden“ zu sitzen oder ein Studen- tenverein bittet ehrfurchtsvoll um meine Werke, – kostenlos. Unberufen geht es mir herrlich! In Geschäften wie in Kunst. Habe 3 neue tüch- tige Beamte engagirt und Schwung in den alten Schlendrian gebracht. (unsere Buch- halterin Adele529 hat eben geheiratet – einen Jugendfreund – da sieht man, wozu die Jugend nützlich sein kann!) Mein Roman erscheint Anfang Ja[e]nner – ich habe eben ein Schauspiel vollendet, das ich in 5 Tagen in einem unbeschreiblichen Rausch nie- derschrieb, wie in einer Hypnose; – eine große Dichtung, – lyrisch episch – ist fast vollendet und ebenso ein humoristischer Roman. Morgen fahre ich für 14 Tage nach Wien, um auszuruhen nach dieser arbeitsvol- len Zeit. Ich sehne mich nach Ihnen und habe Sie lieb. Einen Kuß von Ihrer St[ona]

528 Curt Mickoleit (?) (1874–1911), deutscher Schriftsteller und Autor des Buches Die Dichtung des Grafen Moritz von Strachwitz. Ein Beitrag zur deutschen Literaturgeschichte. 529 Nicht näher bestimmt.

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157. 24. 12. 1905 an Georg Brandes

Strzebo[witz] 24. 12. 1905

Mein hochverehrter Freund, Ein Brief von Ihnen! Das ist wirklich eine echte Weihnachtsfreude und ich dan- ke Ihnen von ganzem Herzen. Bin so allein dies Jahr, Helene blieb in Brüssel, Albert erlaubte ich keine Rückkehr. Er faßt das Leben als einen Bummel auf, das kommt von dem [!] verdammten Unterrichtsmethoden in Österreich. In den Jahren, in denen andere feste Männer sind – steht er im 2. Jahr Jus, das heißt so viel als: bummelt der ersten Staatsprüfung entgegen. Von Dresden bekam ich begeisterte Briefe über Ihren glänzenden Vortrag. Meine alte Gouvernante530 schickte mir eine Dankeskarte, die ich Ihnen senden sollte, in der sie Sie einen Sauerteig nennt nach geschmackvoller deutscher Weise. Ich habe diese Karte unterschlagen, um Sie nicht mit ihr anzuöden. Man war dort allgemein, was ja selbstverständlich ist, entzückt von Ihnen. Dresden hat doch etwas mehr Cultur als Elberfeld. Etwas dümmeres als ein paar Damen aus Elberfeld, die ich im Harz kennen lernte, habe ich nie gefunden. Dagegen traf ich letzthin im Coupé von Moskau fliehend eine wunderbar schöne, geistvolle Russin, eine Tänzerin, wie ich vermute, eine Schwester des kleinen Cellovir- tuosen Davidoff.531 Sie erzählte mir, daß sie ihre 2 Häuser mit allem Mobiliar in Stich gelassen u[nd] gewärtig sei, sie nie wiederzusehen. Rußland stände erst am Beginn der Revolution. Daß der schwache, schon halbtote Czar ganz tot gemacht und mit seiner ganzen Familie massakrirt werden würde, sei ihnen allen in Rußland klar. Er wäre ja eigentlich schon in der Gefangenschaft seiner Regimenter... Zu meinem reichen Vetter in Wolhynien kamen vor 8 Tagen 40 Bauern und for- derten ihn auf, ihnen seinen größten Meierhof zu verkaufen, sonst würden sie ihn „neh- men“. Der Vetter schickt eben seine Familie nach Deutschland und schickt sich an, seinen Besitz mit meinem alten Onkel aus Amerika zu verteidigen, dessen Ideal es stets war “to die in the boots.ˮ Wie eine ungeheure Bestie erscheint mir Rußland, die sich aus tausendjährigem Schlaf erhebt. Auf ihren Rücken hatte man einen Thron gestellt und auf dem Thron sitzt irgend etwas mit dünner Stimme – eine Regung des Riesenkörpers und es bleibt nur noch von Interesse, auf welche Seite der Thron herabkollert... Die N[eue] Fr[eie] Pr[esse] verliert immer mehr Ansehen und Abonnenten; die „Zeit“532 überflügelt sie. Ich sende Ihnen eine Nummer der letztern mit ein paar guten Worten über Sie. In der N[euen] F[reien] Pr[esse] herrscht – Nordau533 mehr denn je. Er und sein Anhang. Nun begreifen Sie alles. Das mildert natürlich nicht das Urteil über die unver- 530 Anm. 523. 531 Alexei Dawidow (?) (1867–1940), russischer Virtuose, Komponist und Unternehmer. 532 Anm. 22. 533 Anm. 60.

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antwortliche Rücksichtslosigkeit gegen Ihre Arbeiten, aber es erklärt sie. In Österreich giebt es ein Buch von einem Juden „Geschlecht und Charakter“ (von Dr. Weininger,534 Wien, Braumüller.)535 Die Presse schlägt es tot – mit Schweigen, trotzdem hat es schon 15 Aufl[agen]. Der geniale Verfasser erschoß sich mit 24 Jahren, „weil er der Welt nichts mehr zu sagen hatte.“ Dieses Buch – falls Sie es noch nicht sahen, empfehle ich Ihnen dringend. Es enthält ein Kapitel über das Judentum, das hochbedeutend ist und entweder vor [!] Europa – also nur von Ihnen – bestätigt oder widerlegt werden müßte. – Und nun alle guten Wünsche für das kommende Jahr. Helene liebt Sie mit der freudigen Leidenschaft der Jugend, – Mütter lieben mit allem süßen Glanz der Erinne- rung – Mein Vater fühlt sich unberufen jünger und gesunder als vor 50 Jahren, wie er sagt. Werden Sie so, wie er es ist. Dazu haben Sie noch 22 Jahre Zeit. Viel Liebes u[nd] viel Liebe für Edith! Immer Ihre Stona

158. 8. 4. 1906 an Georg Brandes

Strzeb[owitz] 8. 4. [19]06

Mein liebster verehrter Freund! Wochenlang – sogar durch Monate schon quält mich die Sehnsucht, Ihnen zu schreiben, wieder Ihre Nähe zu fühlen, Ihre Augen ruhen zu spüren auf ein paar dum- men kleinen Schriftzeichen, an denen meine Hand vorbeigeglitten ist. Und da bin ich. Mit einem ganzen Korb voll Nachrichten, Fragen, Wünschen. Wissen Sie, es ist doch ein riesiger Schaden, den Sie der unterrichteten Mensch- heit zugefügt, daß Sie das Buch über Michel Angelo536 nicht schrieben. Wie hab ich das in Rom so deutlich gefühlt! Was Grimm537 leistete,538 ist dürr wie eine Streusandbüchse; das ist eine deutsche Professorenarbeit; schlecht aneinandergereiht stehen die Tatsa- chen – vieles wirr – und wo das künstlerische Ingenium einsetzten soll, wo das Genie erraten werden soll – da tappt er mit schwerfälliger Hand ins Finstere. Nein nein, dieses

534 Otto Weininger (1880–1903), österreichischer Philosoph und Schriftsteller. 535 Otto Weininger: Geschlecht und Charakter. Eine prinzipielle Untersuchung. Wien 1903. 536 Anm. 38. 537 Herman Grimm (1828–1901), deutscher Kulturhistoriker und Publizist. 538 Herman Grimm: Leben Michelangeloʼs. Hannover 1860–1863.

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Buch ist völlig unzulänglich. Sowie Burckhardtʼs539 Cultur der Renaissance540 als Kunst- werk unzulänglich ist u[nd] nur als Register Bedeutung verdient. Wie hab ich Italien genossen! Die Fresken der Sistina – die Peterskirche, die Fresken des Fra Angelico541 in Florenz – – Raffael542 – Lionardo543 – in Welten träumte ich. Jede Stunde eine neue Offenbarung. Es war die herrlichste Zeit meines Lebens. Und ich reiste allein. Aber ich reiste durch die Renaissance! Und heute könnt ich weinen. Wie fern jene heiligen Stunden – wie viel Sorgen umher! Nach meiner Rückkehr erkrankte mein Vater – ein leichter Schlaganfall – und auf meinen zwei armseligen Schultern lasten die Fabriken und der ganze schwerfälli- ge Wirtschaftsapparat. Und Vater wird kaum mehr die alte Kraft erreichen. Plötzlich versagt ein Räderchen umʼs andere seiner bisher so unverwüstlich erscheinenden Le- bensmaschine. Helene ist selig in ihren Fortschritten. Ich lächle, wenn ich an sie denke. Mein Sohn dagegen – ach! Er galoppirt in ein Lumpentum. Einer völligen Ener- gielosigkeit verfallen, lebt er in Liebschaften u[nd] lernt gar nichts. Rettet ihn nicht das Militärjahr, das im Oktober beginnt, dann schicke ich ihn nach Amerika. – Ich habe Sie sehr lieb u[nd] bin mit vielen innigen Grüßen Ihre M[aria] St[ona]

159. 15. 8. 1906 an Georg Brandes

15 Aug[ust] [19]06

Es geht nicht, es geht wirklich nicht, mein stürmischer Prinz und verehrter Freund. Ich weiß auch noch gar nicht, wann ich auf die paar lumpigen Tage wegkomme und weit weg kannʼs nicht sein, denn das Gericht hält mich jetzt mit Vorladungen fest. Aber es ist lieb von Ihnen, daran zu denken u[nd] dafür dankʼ ich Ihnen herzlich. Aber es macht mich traurig, daß Sie nur an Eines denken. Sie sind noch schreck- lich jung, Dr. Georg Brandes, und ich bin genau um 5 Jahrhunderte älter als Sie. Ich wollte, Sie wären – doch wozu sollen Sie wissen, was ich möchte? Heute war ich wieder einmal in der Kirche während einer Messe, obwohl ich Protestantin bin. Und habʼ an Sie gedacht und Ihren Ausspruch über Kasernen u[nd] Gefängnisse und die Ehe u. s. w. über die Gefühle für die Massen u[nd] die Einrichtun- gen für die Massen. Das wird immer so bleiben müssen. Wie ich da so oben im Oratorium saß und auf die vielen Köpfe herabblickte, 539 Jacob Burckhardt (1818–1897), Schweizer Kulturhistoriker. 540 Jacob Burckhardt: Die Kultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel 1860. 541 Fra Angelico (cca 1395–1455), italienischer Maler. 542 Raffael Santi (1483–1520), italienischer Maler. 543 Leonardo da Vinci (1452–1519), italienischer Künstler und Gelehrter.

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fühlte ich es wie eine Atmosphäre von Frömmigkeit über ihnen, – die war das beste an den Leuten u[nd] die schöpfte der Priester ab mit dem großen Rahmlöffel u[nd] was üb- rig blieb, war Kleinheit u[nd] Niedrigkeit. Und dafür, daß er ihnen so vieles nahm, ging der Klingelbeutel spazieren... Hier wird das Entrée während der Vorstellung gezahlt. Wirklich, die ganze Weihe u[nd] die ganze Schmach – den Schluß lieber selbst denken. Nicht leise sein! Ich bin es auch nicht mehr. Von ganzem Herzen mit tausend Grüßen Ihre M[aria] St[ona]

160. 18. 8. 1906 an Georg Brandes

18 Aug[ust] 1906

Mein liebster Freund! Mit Helene spreche ich so viel von Ihnen, wir sagen uns beide, was wir Ihnen zu danken haben. Mit ein paar Worten gaben Sie uns Richtung und formten oft mehr an unserer Entwicklung als andre in jahrelangen Mühen. Das ist der Funke, der aus Ihnen spricht und Leben weckt. Diese Funken haben hunderttausende in sich aufgenommen und dürftige oder lodernde Flammen aus den Strohbänden ihres Hirnes gezeugt. Was Sie als Erwecker zu bedeuten haben, hat Jeder im eigenen Blute gespürt, der einer Kunst nahe steht. Helene und ich sehnen uns rasend nach Ihnen. Und nun haben wir beide einen olympischen Zorn über diese kläffende Wut, mit der Sie von aller Meute angefallen werden wegen der Ibsenbriefe.544 Sie werden über diese Verfolgung nur lachen und sind längst mit neuen Problemen beschäftigt. Es ist doch so furchtbar gleichgiltig, – so lächerlich gleichgiltig, was ein Staats- minister sich denkt. Und ob etwas 2 Monate oder 20 Jahre nach dem Tode erscheint, ist ebenso gleichgiltig. Auf das Liebesleben seiner Großen hat das Volk gewisse Rechte; sie sind ihm dessen Enthüllung schuldig, weil sie ihre Entwicklung bedeutet. Ich wünsche Ihrem Buche den großen verdienten Erfolg. Wie klein sind die Frauen der großen Dichter, wenn sie sich nicht über neue quellende Herzensregungen an ihren Männern zu freuen vermögen. Christiana von Goethe545 wäre weniger korrekt, aber entschieden toleranter gewesen. – Helene hat 2 Statuen in Gent ausgestellt – ihr erster Erfolg. Wegen meines Romanverlags bin ich noch immer in Unterhandlung. Ich wollte, mein Brief fände Sie in guter Gesundheit. Hoffentlich kann ich Ihnen nächstens die gute Nachricht schreiben, daß mein Vater – Strzebowitz verkauft hat. Es

544 Georg Brandes: Henrik Ibsen (1906, GBSS 18). 545 Christiane von Goethe (1765–1816), Ehefrau von Johann Wolfgang Goethe.

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ist mir gelungen, ihn zu einem Einwilligen in den Verkauf zu bewegen. Die Zeit ist jetzt überaus günstig und 100 Gründe sprechen dafür. Maßlos gelitten hab ich in den letzten Monaten – Jahren – unter dem ewigen Zwang, meine ganzen Fähigkeiten in den Dienst der Geschäfte stellen zu müssen. Helene will heiraten – ich will heiraten – Los von Strzebowitz ist unsere Devise. Wenn Sie noch ein letztes mal im September kommen könnten zu unsern alten Bäumen – herrlich wär das! Wir grüßen Sie aus treuen zärtlichen Herzen u[nd] in warmer Dankbarkeit! Kommen Sie! Ihre M[aria] St[ona]

161. 24. 8. 1906 an Georg Brandes

Strz[ebowitz] 24. 8. [19]06

Mein liebster verehrter Freund! Ich drücke herzlich Ihre beiden Hände für Ihren guten warmen Brief. Ja, das ist wirklich mehr als eigen – es ist bezeichnend für die menschliche Niedrigkeit und Feigheit, daß, obwohl kein oder fast kein deutscher Schriftsteller es versäumt, Sie sei- ner Verehrung zu versichern in den 4 Wänden eines Briefes, in der Öffentlichkeit doch keiner den Mut findet, sich gegen die Angriffe aufzulehnen, die Ihnen von so vielen Seiten reichlich zu Teil werden. Als ich diese Stelle in Ihrem Briefe las, fiel es mir schwer aufs Herz, daß auch ich zu diesen öffentlich Schweigenden gehöre, und ich be- schloß, nun endlich einen langgehegten Vorsatz auszuführen und einen Artikel über Sie zu schreiben, zu dem ich seit Jahren die Notizen vorbereitet habe. Ich wollte Sie schon oft um Erlaubnis bitten und tue das heute. Ein paar Wochen werden schon noch darü- ber hingehen, denn wir sind mitten in Verhandlungen. Da will ich dann auch von den Briefen Ibsens sprechen an die Wiener Dame.546 Ich habe das Buch547 Helene geschenkt; sie ist starr über die Harmlosigkeit der Briefe und sagt, daß jene Van der Stappens548 an sie weit zärtlicher sind und gar jene von Brandes, – mit denen kann es Ibsen gar nicht aufnehmen. Widerlich ist dies Aufbauschen. Und dies beleidigte Eheglück einer alten Megäre! Dieser in seinen heiligsten Gefühlen verletzte Sohn! Voll Ekel wendet man sich von so viel Heuchelei ab. Helene schrieb Ihnen gestern über ihren Zukünftigen. Bei einer so starken Natur wie der ihren ist es schon ungeheuer viel, wenn sie es erreicht, einen Mann zu kriegen, der sie nicht stört. Mehr verlangt sie sich gar nicht. Ihr Erwählter ist sehr witzig, toll-

546 Emilie Bardach. 547 Anm. 544. 548 Anm. 432.

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kühn im Sport u[nd] sonst farblos. Ich denke nicht im Traume daran, daß sie sich für ewig bindet. Es wird eine 3–5 jährige Ehe, glaub ich. Eine Scheidung ist heute längst kein Skandal mehr, sondern die natürliche Folge einer Heirat. Ich danke Ihnen für die lieben Worte über mein geliebtes Strzebowitz. Das Fort- gehen wird mir furchtbar wehtun, – aber das Hierbleiben täte noch weher. Und wenn man Brandes jahrelang nicht als Gast sieht – für wen hält man Schloß und Park? Ich wünsche von Herzen, daß Karlsbad Ihnen sehr gut getan haben möge und bitte Sie, M[onsieu]r Clemenceau549 vielmals von mir zu grüßen. Helene hat eben die Briefe Ibsens zu Ende gelesen – das Buch kam erst heute Mittag – und erklärt es für zu blöd, über sie auch nur ein Wort der Entrüstung zu ver- lieren. Wir beide umarmen Sie in treuer Dankbarkeit. Ihre Stona

162. 4. 10. 1906 an die J. G. Cottaʼsche Buchhandlung (Verlag)

Strzebowitz, 4. 10. 1906.

Sehr geehrter Herr! Erlauben Sie mir die höfliche Anfrage, ob ich Ihnen zu gefälliger Durchsicht eine Dichtung anbieten dürfte, die ich soeben vollendet habe, und die in der heutigen Lyrik, wie ich ruhig zu behaupten wage, wohl einzig dastehen dürfte. Sie trägt den Titel: „König Eri. Ein Lied der Liebe.“550 und behandelt in zwölf kurzen Gesängen eine spannende Liebesgeschichte, die sowohl romantisch als modern ist und das Wesen des Weibes wie der Liebe mit neuen Lichtern beleuchtet. Es wäre mir sehr wertvoll, wenn ich meine reifste Dichtung in den Dienst eines Verlages von der Bedeutung des Ihrigen stellen könnte. Einen freundlichen Bescheid erbittend, zeichnet hochachtungsvoll Maria Stona

P. S. Das Manuskript ist mit Maschinenschrift geschrieben.

549 Anm. 180. 550 Anm. 511.

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163. 25. 10. 1906 an die J. G. Cottaʼsche Buchhandlung (Verlag)

Hochgeehrter Herr! Der heutigen Post habe ich mein Manuskript „König Eri Ein Lied der Liebe“551 anvertraut. Ich bitte Sie, es gütig aufzunehmen und durchzusehen. Es ist eine ernste Dichtung, wenn auch viel Fröhlichkeit – die Fröhlichkeit des Glückes – sie zu umklin- gen scheint. Um sie gestalten zu können, bedurfte es drei Dinge: das Erlebnis, die Fülle des Empfindens und dieTechnik , – bedurfte es Reife und Jugend. Ich wollte, meine Fee gewänne Ihr Herz! Ihrer gütigen Entscheidung sieht in Verehrung entgegen Ihre ergebene Maria Stona

Schloß Strzebowitz Oesterr[eichisch] Schlesien 25. Okt[ober] 1906

164. 8. 1. 1907 an Georg Brandes

8. 1. [19]07

Mein hochverehrter Freund! Innigen Dank für die liebe Karte und tausend gute Wünsche für Edith und Sie. Die Operation wird hoffentlich ganz glücken – die Liebe vertieft sie sicher – wie jede Gefahr. Island will sich losreissen. Das kommt mir vor, wie wenn ein gewisses Insekt mit einem male seinem Herrn die Freundschaft kündigte. Daß dieser nur nicht sagt: „Spring zu!“ Frankreich hochinteressant, – wenn das gelänge, was Clemenceau552 fertig im Geiste sieht – dann steht er groß da wie Napoleon.553 Am 10. fahre ich nach Berlin, Pension Daheim, Potsdamerstrasse 125 – falls Sie Ihr Weg und mein Glück zufällig in den nächsten 8 Tagen hinführt. Helene ist wieder nach Brüssel gefahren, „wenn ich ihn nur heuer sehen könn- te!“ sagte sie. „Er“ sind natürlich Sie. Mein Vater erwiedert Ihren Gruß mit frischem Jugendgefühl. Nun zählt er 83 – und fühlt sich 38. So ist das Leben schön – Mit treuen Grüßen von ganzem Herzen Ihre Stona

551 Anm. 511. 552 Anm. 180. 553 Napoleon Bonaparte (1769–1821), französischer General, Staatsmann und Kaiser.

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165. 7. 3. 1907 an Georg Brandes

Strzebowitz 7. März [19]07

Mein hochverehrter Freund! Das ist doch ein wahres Verhängnis! Heute kehre ich nach 8 wöchentlicher Ab- wesenheit heim u[nd] erfahre hier durch eine ungarische Zeitung, daß Sie in Budapest sind! So rächt sich meine Versäumnis. So häufig wollte ich Ihnen schreiben u[nd] ver- schob es immer wieder, meine Vorlesungen – wenn ich so sagen kann – in Berlin, Leip- zig und Wien nahmen mich mit allen gesellschaftlichen Folgen so sehr in Anspruch. Vielleicht waren wir zu gleicher Zeit in Berlin – und wie leicht hätte ich jetzt nach Budapest kommen können – es ist zum Haarausraufen! Ich bitte Sie innigst, wenn es Ihnen irgend möglich, wenn Sie Strzebowitz nahe kommen, besuchen Sie uns! Herzlichst bitte ich Sie darum. Gott, wär das eine Freude! Auf irgend eine Weise müssen Sie ja wieder nach dem Norden gelangen – ach kämen Sie doch zu uns! Mit tausend Grüßen[,] Sorgen und Wünschen Ihre unwandelbare M[aria] St[ona]

166. 22. 8. 1907 an Moritz Necker

Strzebowitz 22. 8. [19]07

Hochgeehrter Herr! Ihre gütige Mitteilung hat mich überaus interessiert. Unserer flüchtigen Begeg- nung bei Dr[.] Herzl554 entsinne ich mich sehr wohl. Wie glücklich wäre ich gewesen, wenn damals ein längerer Artikel über mich erschienen sein würde! Nun erfreue ich mich an der Möglichkeit, daß es Ihnen, hochgeehrt[e]r Herr Doktor, die vielseitige Arbeit doch gestatten könnte, mein Buch zu lesen. So leben wir ja oft – von Hoffnung zu Hoffnung – Mit verehrungsvollen Grüßen Ihre ergebene Maria Stona

554 Anm. 50.

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167. 2. 11. 1907 an Georg Brandes

Strz[ebowitz] 2. 11. [19]07

Mein hochverehrter Freund, Heute sandte ich Ihnen meinen „König Eri.“555 Mir ist es ein Genuß, zu denken, daß Sie diese Verse lesen werden, in denen alle Kunst liegt, die ich Ihnen zu danken habe. O Sie werden – besser als ich – jede Schönheit verstehen u[nd] vieles zu tadeln finden, dessen Mängel mir noch verborgen sind. Trotz solcher Fehler glaube ich, daß diese Dichtung mir keine Frau in Deutschland so bald nachdichtet. Verzeihen Sie diese liebende Schwäche einer Mutter, die ihr Kind in den Händen hält! Seien Sie gut mit ihm – und seien Sie meinem König – Pathe! Wenn Sie etwas über ihn schreiben wollten – glückselig wärʼ ich! Das wissen Sie. Seit 5 ½ Jahren schwebt mir dieser Traum vor, daß Sie über König Eri etwas öffentlich sagen werden, daß er Ihrer Worte würdig sei und daß Sie mir diese Liebe tun werden. Ich neige mein Haupt vor dem Meister und bitte um den Ritterschlag! Ihre Stona

168. 19. 11. 1907 an Hermann Bahr

Strzebowitz Oesterr[eichisch] Schlesien 19. 11. [19]07

Hochverehrter Herr Bahr, Nun habe ich Ihnen meine beiden Bücher zuschicken lassen, einen Roman „Der Rabenschrei“556 und eine Dichtung „König Eri“.557 Sie werden keine Zeit für mich haben, ich weiß das schon, aber wenn Sie sie hätten, wenn Sie meinen Büchern ein paar Worte mitgeben wollten in die ach! immer so kleine Welt der Leser – wie wollt ichs Ihnen danken! Wie würden Sie mir aufhelfen können, und manchem Zweifelnden erklären, was ich suche und wer ich bin.

555 Anm. 511. 556 Anm. 520. 557 Anm. 511.

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Wollen Sie gut sein mit mir – wie Sie es einst gewesen, als Ihre Anerkennung bei einer kleinen Novelle mir einen Sturm von Entzücken schenkte... In Verehrung begrüßt Sie, den feinsten Aestheten, Ihre ergebene Maria Stona

169. 1. 1. 1908 an Eugen Guglia

Berlin 1. 1. [19]08

Hochgeehrter Herr Regierungsrat, H[err] Kleinert sandte mir die Weihnachtsnummer der W[iener] Abendpost,558 u[nd] ich habe sie gestern auf der Reise gelesen und bin so entzückt von dem feinen, echt künstlerischen, hochliterarischen – ich möchte fast sagen antiken Ton der ganzen Nummer – und ganz besonders entzückt von Ihrer wunderbaren Studie: Studenten. Ich habs ja immer gewußt, daß sie ein großer Dichter sind, und nun möcht’ ich Ihnen sagen: werfen Sie doch so viel als möglich den schnöden Redaktions- und Lehr- kram fort und leben Sie Ihrer eigenen, künstlerisch so hochfliegenden Natur nach und schenken Sie uns all die Werke, die sicherlich ein heimliches Sehnen in Ihrem Geiste führen u[nd] uns köstliche Gaben bedeuten werden. So brillant sind viele Ihrer Worte, so die Tiefen der Seelen beleuchtend und dann wieder alle Oberfläche klar überschauend. Wie schön ist das gesagt von Jenen, die im Februar schon den Frühling ahnen; dann der köstliche Begleiter; – die Ahnung der Schmerzen, die noch in der Zukunft lagen… Die ausgezeichnet gesehene Vorlesung des Kahlkopfs – „dies leise Murmeln u[nd] Raunen, das allein übrig geblieben war von so viel Leben und Blut...“ Die unheimlichen Gewalten, die dunkle Schicksale brauen – und wunderbar groß dies Empfinden von dem Erbteil im Blute. Das ist einen ganzen Roman wert. Sie sollten eine Reihe solcher Typen in ein Buch fassen. Das darf nicht in so kleinem Rahmen bleiben, in einer einzigen 4 Seitennummer! Ich habe diese treffliche Studie, über der es wie ein grauer Hauch von Melancholie liegt, wirklich genossen, mich an jedem Satz gefreut, denn jeder ist mit künstlerischem Bewußtsein gebaut u[nd] hingestellt. So wohl tut solch ein Werk echter Kunst, die sich Zeit läßt, weil sie Größe hat! Das mußt ich Ihnen alles schnell sagen. Ich verehre den Dichter Guglia! Ihre ergebene Stona

558 Anm. 476.

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170. 24. 2. 1908 an Eugen Guglia

Strzebowitz 24. 11. [19]08

Hochverehrter Herr Regierungsrat, Es ist immer etwas Bedeutsames, einem so feinen Lyrikkenner, wie Sie es sind, ein paar Gedichte vorzubreiten – man ist von Bangen und Freude erfüllt. Von Freude – weil doch jeder Vers eine Höhenstimmung bedeutet, – von Bangen in der Unsicherheit, ob die prüfende Seele mitschwingen werde? Von Herzen danke ich Ihnen für die gütige Aufforderung, Ihnen einen Beitrag für die Weihnachtsnummer einzusenden und wäre glücklich, wenn Sie, hochverehrter Herr Regierungsrat, in der Beilage etwas Geeignetes fänden. Eben bin ich aus Berlin zurückgekehrt und plane einen Ausflug nach Wien. Nach der Stadt der brodelnden Arbeit die Stätte heiterer Schönheit... Und zwischen beiden eine grüblerische Einsamkeit aus der Ihnen tausend Grüße zuruft Ihre unwandelbar ergebene Maria Stona

171. 18. 3. 1909 an Bertha von Suttner

Strzebowitz Oesterr[eichisch] Schlesien 18. III [19]09

Meine hochverehrte Suttner, In diesen schweren Sorgen, da das Land schon die ersten Schauer des Krieges über den Rücken rieseln fühlt, drängt es mich, für ein paar Sekunden zu Dir zu flüchten, an die ich so oft denke. Gestern in Mähr[isch] Ostrau559 sah ich einen jungen Mann, der seit 5 Wochen verheiratet ist, Abschied nehmen, um an die montenegrinische Grenze abgeschoben zu werden. Es war furchtbar. Heute sind 5 junge Leute aus Strzebowitz einberufen worden... „Die Mächte – die Mächte –“ ach, das sind lauter Ohnmächte – vier große Ohnmächte. Die Mächte mischen sich nie ein, wenns im Kessel brodelt und überschäumt. Sie durchwühlen ja doch nur den erkalteten Bodensatz! Ist der Krieg krank – ist es der Friede? Was Du leidest, fühle ich mit. Aber einst wird kommen der Tag – anderer Mächte. Von Herzen und immer Deine egebene Maria Stona

559 Anm. 116.

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172. 9. 10. 1909 an Georg Brandes

Strzeb[owitz] 9. 10. [19]09

Hochverehrter Freund! Ich habe ein sehr peinliches Gefühl. Mir ist, als lägen zwischen uns Welten und Meere, und was ich Welten und Meere nennen möchte, ist – ein bischen Leben. In diese weite Ferne, die ich nicht sehe, die ich nur schmerzlich empfinde, sandte ich Ihnen heu- te mein Buch, wie man einen einsamen Schiffer hinausschickt auf ein nebelüberhange- nes Meer. Wird er den Weg zu Ihnen finden? Werden Sie ihm die Hand reichen? Oder lassen Sie ihn weiter ziehen – ungesehen und ungehört wie so viele andere... Was Ihr Urteil für mich bedeutet, wissen Sie – ich wage nicht darum zu bitten – aber Sie können nicht verhindern, daß ich es erhoffe und ersehne! An Helene hätten Sie Freude; sie ist nun ein reifes Weib geworden, von einer wundervollen Selbständigket, eine echte Künstlerin, ganz apart im Äußern, von einer Art, die Bildhauer und Maler inspirirt. Van der Stappen560 hat ihren Kopf für seine Sci- ence modellirt und soll eine grandiose Büste von ihr gemacht haben. Ich freue mich, daß sie ein ganzer Mensch ist. Es fehlt mir so sehr, von Ihnen zu hören! Seien Sie gut u[nd] schreiben Sie mir ein paar Worte! Mit innigen Wünschen und Grüßen Ihre Stona

173. 28. 10. 1909 an Hermann Bahr

Strzebowitz, Oesterr[eichisch] Schlesien 28. 10. [19]09

Hochgeehrter Herr! Habe mir erlaubt, Ihnen meine „Rahel“561 zu senden. Sie wissen, wie ich Sie hochschätze – Sie wissen aber nicht, daß ich Ihre letzten Romane mit Freuden las. Vielleicht lesen Sie auch mich, – ich bin nicht von Heute – aber ich bin immer noch – so hoffʼ ichs – und so will ichʼs – von Morgen. Darum habʼ ich ein gewisses Recht auf Ihre Kritik.

560 Anm. 432. 561 Maria Stona: Rahel. Roman einer Mischehe. Dresden 1909.

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Wissen Sie, was mir jüngst die größte Freude machte? Daß die genialste Künst- lerin, die ich kenne, die Unvergleichliche, die dämonische Naturgewalt der Musik, ihr Leben mit dem Ihren verbunden hat. Von Herzen Gruß und Glückwunsch! Maria Stona

174. 23. 11. 1909 an Marie von Ebner-Eschenbach

Hochverehrte Baronin, Wollen Sie mir gütigst gestatten, Ihnen meinen neuen Roman „Rahel“562 zu über- reichen und zugleich Euer Excellenz herzlich zu beglückwünschen zum großen Erfolg des vorzüglichen jüngsten Altweibersommers.563 Wir alle in Oesterreich sind stolz auf unsere große Dichterin, der jede von uns irgend ein Wort, einen Gedanken zu danken hat, der tief in ihre Seele fiel wie der Keim in das hungrige Erdreich, – und so manches Bäumerl, das da grünt, gehört im Grunde der lieben Gärtnerin Ebner-Eschenbach.... Euer Excellenz in bestem Wohlsein hoffend, nenne ich mich in Verehrung erge- bene Maria Stona

Schloss Strzebowitz Oesterr[eichisch] Schlesien 23. XI [19]09

175. 31. 12. 1910 an Georg Brandes

Strzebowitz 31. 12. [19]10564

Hochverehrter Freund! Von Herzen danke ich Ihnen für das erhebende Wort der Teilnahme, daß Sie von meinem Vater die Erinnerung einer schönen starken Männlichkeit behalten haben. Das hat mir so wohl getan. Er hat sein reiches Leben voll genossen und ist so sanft entschla- fen, als wollte er schon am nächsten Morgen erwachen.

562 Anm. 561. 563 Marie von Ebner-Eschenbach: Altweibersommer. Berlin 1909. 564 Briefpapier mit Trauerrand.

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Schreckliches habe ich erlebt, doch nun verebben die Wellen der Hochflut und allmählich kommen die zerrissenen Nerven zur Ruhe. Ich habe nun mit dem wirtschaft- lichen Umschwung viel zu tun, werde im Frühjahr ein großes Atelier für Helene im Garten bauen, erwarte neue Beamte und genieße alle Lasten und alle Freuden des „Re- gierens.“ Helene war im Dezember nach Brüssel berufen worden, um mitzuhelfen an der Vollendung des letzten Werkes von V[an] d[er] St[appen]. Sie erkannte jedoch die Mängel der Arbeit u[nd] setzte es mit Hilfe der ersten Künstler Belgiens durch, daß von der Vollendung u[nd] Aufstellung Abstand genommen wird. Das ist ein riesiger Sieg, den sie mit ungeheurer Energie durchfocht u[nd] zu dem sie alle dort beglückwünsch- ten. Sie ging jetzt nach Paris, wo sie bis zum Sommer bleibt. Sobald ich ihre Adresse weiß, sende ich sie Ihnen, in der Hoffnung, daß Sie Helene im Frühjahr aufsuchen. Alles Gute zum Neuen Jahr! Bleiben Sie um Gottes willen gesund! Das schon ist viel des Guten – wenn man Kranke sah, weiß man es genau. Nochmals innigen Dank und treue Grüße! Ihre Stona

176. 16. 1. 1911 an Georg Brandes

Strz[ebowitz] 16. 1. [19]11

Hochverehrter Freund! Helene ist in Paris, Rue Vavin 54 – es wäre wundervoll, wenn Sie dort mit ihr zusammenträfen. Sie arbeitet und ist zufrieden. Auch hier wird es allmählich hell für mich. – Karin Michaelis565 hat in Wien gelesen, im größten Saal, im Sophiensaal. Man verstand sie schlecht, u[nd] die sie ver- standen, räusperten sich heftig – wie die N[eue] Fr[eie] Pr[esse] erzählt. Die schönsten Grüße! Ihre ergebene St[ona]

565 Anm. 390.

Maria Stona_vnitr str.indd 233 16.12.2014 10:32:54 234 Maria Stona und ihr Salon in Strzebowitz

177. 20. 1. 1912 an Georg Brandes

Strzebowitz 20. 1. [19]12

Mein hochverehrter Freund! Die Wege, die man nicht betritt, verwachsen mit Gras – – Ich habe das Gefühl, daß ich einen ganzen Urwald niederschlagen muß, der zwischen uns aufgewachsen ist in den letzten Jahren und ich stehe mutig da mit Axt und Säge – und Beil und rufe in das schwarze Dickicht: „Halloh – Georg Brandes! Halloooh!!!“ Wird eine Stimme mir entgegen tönen? Oder klingt mein Ruf von so vielen Lip- pen wieder, daß Georg Brandes die meinen nicht mehr erkennt?? Ich war glücklich von Helene so viel Liebes über ihre Begegnungen mit Ihnen zu hören. Wie erquickend ist Paris! Wie wohl tun Sie, Paris für die Seele, Karlsbad für den Körper alljährlich aufzusuchen. Und sicherlich erwarten Sie überall neue Erlebnisse. Männer wie Sie erleben niemals das Ende ihrer Erlebnisse. Letzthin las ich in Ihren Hauptströmungen.566 Herrgott, was ist das für ein Rie- senkerl! dachte ich mir. Eigentlich haben Sie die Strömungen geleitet, Kanäle gebaut, Leuchttürme angesteckt, Meere trocken gelegt und Täler überflutet. Mein Sohn Albert ist für ein paar Monate heimgekehrt u[nd] erzählt Wunder von seinem Schweigen und seinen Taten. Er war anfänglich entsetzt über unsere Gesprä- chigkeit. Unberufen – er ist ein Prachtkerl. Amerika formt den Mann. Anfang Februar – vom 7. – 16. bin ich in Berlin. Das wäre herrlich, wenn Sie auch dort sein würden!! Ich grüße Sie von ganzem Herzen – von jenem Herzen, das Sie kennen. Ihre St[ona] Von Helene alles Liebe!

178. 4. 3. 1912 an Georg Brandes

Strz[ebowitz] 4. 3. [19]12

Lieber – hochverehrter Freund! Ihre liebe Karte aus Paris hat mich unendlich erfreut. Ich danke Ihnen innig. Erschrocken bin ich darüber, daß Sie so krank gewesen sind; in einem langweiligen Artikel über Ihren Geburtstag hab ich das auch gelesen. Ich finde es so geschmacklos, daß man sich um die Jahre der Menschen kümmert – fast so geschmacklos, wie wenn man nach ihrem Sexualleben fragt oder nach ihrer Verdauung. Alle drei Dinge gehen

566 Anm. 140.

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uns doch schließlich nur allein an. – Darum gratulire ich Ihnen auch gar nicht – fällt mir nicht ein. Helene schrieb Ihnen selbst; sie traute sich sicherlich nicht, Sie um einige Sit- zungen zu bitten. Sie zu modelliren reizt jeden Künstler. Ich werde Sie auch modelliren – als Skizze – aber schriftlich. Albert war hier; seine alten Eigenschaften hat er alle behalten, sie haben sich ins Amerikanische vergrößert – zum Glück bekam er ein paar gute neue dazu – und darauf kommt es an, daß man die kriegt. – Nun habe ich 14 Tage lang in Berlin gelesen, nirgends fand ich von Haß gegen Sie auch nur eine Spur! Der Deutsche ist in der Regel nicht undankbar – Ich werde trachten, Ihre Bücher, ins Französische übersetzt, zu erhalten – oder nein – ich kann doch dänisch! Helene ist in Florenz. Am 17. lese ich in Berlin meine Arbeitergedichte vor Tausenden. In Kopenhagen finden Sie mein neues Buch – meine neue Seele. Ich wünsche Ihnen alles Liebe u[nd] mir ein bischen davon. Ihre St[ona]

179. 28. 5. 1912 an Wilhelm Börner

Strzebowitz, 28. Mai, [19]12.

Sehr geehrter Herr! Indem ich Ihnen für Ihren freundlichen Brief vom 26. d[ieses Monats] bestens danke, teile ich Ihnen mit, daß ich gerne bereit bin, Sie bei Abfassung der Biographie meines verstorbenen Freundes B[artholomäus] v[on] Carneri567 zu unterstützen. Ich tre- te heute eine kurze Reise nach Italien an und werde nach meiner Rückkehr auf Ihre w[erte] Zuschrift zurückkommen. Mit vorzüglicher Hochachtung Maria Stona

567 Anm. 1.

Maria Stona_vnitr str.indd 235 16.12.2014 10:32:54 236 Maria Stona und ihr Salon in Strzebowitz

180. 20. 6. 1912 an Wilhelm Börner

20. 6. [19]12

Sehr geehrter Herr! In den nächsten Tagen komme ich nach Wien und möchte dann gern persönlich mit Ihnen sprechen. Ich besitze zahllose Briefe von Carneri568 und seine sämmtlichen Schriften, da er Wert darauf legte, sie in einer Hand zu wissen. Mit freundl[ichen] Grü- ßen hochachtungsvoll Maria Stona

181. 27. 11. 1912 an Georg Brandes

Maria Stona Schloß Strzebowitz österr[eichisch] Schles[ien]

27. 11. [19]12

Mein lieber edler Freund! Vorgestern mit Ihnen und heute im Joch der Wirtschaft – mit Schafferin und Adjunkten sprechend. Schrecklich ist der Kontrast und er zaust an den Nerven – aber ich ließe mich gerne zausen, wenn ich Sie immer in Wien fände! Es tat mir so wohl, mit Ihnen zu sein. Gregori569 staunte über Ihr Aussehen. Die Männer der Wissenschaft sehen in Oesterreich schon mit 45 Jahren – traurig aus. Im Wiener Journal570 von gestern sind Sie unzutreffend geschildert. Sie haben weder ein wirres Haar noch eine „gedrungene Gestalt“ – sondern beides klar und ge- ordnet. Helenes Haar ist fast schon ganz gesund. Georg Brandes, ich grüße Sie von Herzen und möchte gern Sie bald wiederse- hen! Ihre Stona

568 Anm. 1. 569 Ferdinand Gregori (1870–1928), deutscher Schauspieler und Schriftsteller. 570 Neues Wiener Journal, österreichische Zeitung.

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182. 29. 11. 1912 an Wilhelm Börner

Maria Stona Schloß Strzebowitz österr[eichisch] Schles[ien]

29. 11. [19]12

Sehr geehrter Herr Börner! Hier haben Sie endlich die Briefe u[nd] die Kriegsfurie. Entsetzlich, daß wir vielleicht ähnlichem Erleben entgegen gehen! Es tat mir sehr leid, Sie nicht zu sehen – ganz flüchtig traf ich Baronin Basso571 u[nd] hörte, daß Sie sich bei Frau Hainisch572 trafen. Wie froh bin ich über die Nachrichten, die sie Ihnen geben konnte! Nun beste Wünsche u[nd] Grüße und Frieden uns allen! Ihre aufrichtige Stona Alles Herzliche von m[einem] Mann u[nd] Helene.

183. 24. 1. 1913 an Georg Brandes

Strz[ebowitz] 24. 1. 1913

Liebster und verehrter Freund – der unter vielen andern auch das Problem gelöst hat, wie die scheußliche Män- nerkleidung in reizvoller Weise individualisiren kann. Auch die Vögel unterscheiden sich unter einander durch Westen – siehe Rotkehlchen, Schwarzmeisen u. s. w. warum sind die Männer dümmer als die Vögel? Helenes Adresse in Tunis: Fra[u?] Capellano 15 Rue de lʼAllemagne. Helene ist von Tunis entzückt, arbeitet bereits; ich freue mich sehr, daß Sie ein paar Wochen mit ihr in Tunis sein werden. Nehmen Sie von Palermo bestimmt ein Schiff des Nordd[eutschen] Lloyd. He- lene litt furchtbar an der Seekrankheit auf einem ital[ienischen] Dampfer, den sie aller- dings von Livorno aus benützte. Denken Sie, ich werde jetzt in Wien u[nd] München viel vorgelesen. Das freut mich sehr.

571 Eine Verwandte (Ehefrau?) von Richard Freiherr Basso von Gödel-Lannoy (?). 572 Marianne Hainisch.

Maria Stona_vnitr str.indd 237 16.12.2014 10:32:54 238 Maria Stona und ihr Salon in Strzebowitz

Alles Herzliche und Gute Ihnen. Ich habe Sie sehr lieb und bin Ihnen inniglich ergeben Ihre Maria Stona

184. 27. 1. 1913 an Wilhelm Börner Strzebowitz 27. 1. [19]13

Sehr geehrter Herr Börner! War sehr erkältet, reise Mittwoch nach dem Süden573 – gleich nach meiner Rück- kehr sollen Sie Napoleon erhalten. Helene ist in Tunis. Mit freundlichsten Grüßen Maria Stona

185. 31. 7. 1913 an Peter Rosegger

31. 7. 1913 Schloß Strzebowitz österr[eichisch] Schlesien

Hochverehrter! Heute erlaubte ich mir, Ihnen zu telegraphiren:

Rose und Egge, trägst beide im Wappen, Träte doch Jeder in Deine Stappen, – Dichter, die singen, hats viele gegeben, Ein Dichter, der hilft, der soll ewig leben!

Weiß Gott wie die Depesche ausgefallen ist. Heil Rosegger! In treuer Verehrung Ihre Stona

573 Die Erwähnung der Abreise am Mittwoch (29. 1. 1913) betrifft die Reise von Maria Stona nach Ägypten, wo sie sich mit dem englischen Ägyptologen Flinders Petrie getroffen hat. Ihre Tochter war zu dieser Zeit in Tunis.

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186. 27. 7. 1913 an Georg Brandes

Strzebowitz 27. 7. [19]13

Mein hochverehrter Freund! Seit Monaten will ich Ihnen schreiben – Sie sehen, das Couvert ist schon ganz schäbig geworden vor lauter Warten! Aber es giebt Gott sei Dank eine Funkentelegra- phie und jeder Mensch nimmt die für ihn bestimmten Depeschen selber auf – also hoffe ich Sie im Besitz aller frohen, herzlichen, freundlichen Gedanken, die ich Ihnen sandte. Mit Schrecken hörte ich von Helene, daß Sie wieder liegen müssen. Das ist üb- rigens eine Sache, an die man sich gewöhnt, daß Einem das Gehen dann wieder lästig fallen soll. Hauptsache: den Kopf und den Atem frei behalten und die Hand. Mit Helene hatte ich rechte Sorge. Sie hat sich entschieden überarbeitet, konnte nichts essen, leidet noch jetzt oft an Schwindel aus Blutarmut. Reden Sie ihr zu, daß sie sich sehr schont, noch ein paar Wochen nichts arbeite, viel ruhe, die volle Kräftigung abwarte. Nun sieht sie schon viel besser aus, ißt mit Appetit, – ich fürchte nur, sie fängt dann wieder an, mit ihrer wilden Kraft zu arbeiten u[nd] verdirbt sich gründlich! Ich habe Freude an den Statuetten, die sie von Ihnen machte. Kolossal sind ihre spätere[n] Völkerterrakotten. Wenn Sie wieder gesund sind, liebster Brandes, kommen Sie doch endlich wieder einmal zu uns! Ist die Komödie auf dem Balkan nicht lächerlich? Ich wollte Sie darüber reden hören. Wo ist ein neuer Stier, der Europa entführe? mit den 6 alten strickenden Tanten darauf, die ruhig zuschauen, wie die Neffen sich totschlagen. Ich grüße Sie, Georg Brandes – aus der Fülle meiner frohen Arbeit heraus! Von Herzen immer Ihre Stona

187. 25. 3. 1915 an Georg Brandes

Strze[bowitz] 25. III [19]15

Mein lieber hochverehrter Freund! Soeben las ich Ihren offenen Brief – die Antwort an Clemenceau,574 Ich stim- me so ganz mit Ihnen überein. Einen furchtbaren Rückschritt bedeutet diese Zeit. Wie oft denke ich daran, wie Sie in Karlsbad mit Clemenceau darüber sprachen, daß die Menschheit keine Fortschritte macht. Ich freue mich, daß ich wenigstens von Zeit zu

574 Anm. 180.

Maria Stona_vnitr str.indd 239 16.12.2014 10:32:54 240 Maria Stona und ihr Salon in Strzebowitz

Zeit in Zeitungen lese, was Sie denken! Was wir denken, wissen Sie. Wir sind jetzt verzweifelt über den Fall von Przemysl.575 Alles ist entsetzt – nur Przemysl war es nicht. Wie viele Freude hat man verloren – und nicht durch den Tod verloren.... Ich weiß nicht, ob Sie wissen, daß Helene sehr schöne Aufträge hat, viel arbeitet und Gott sei Dank gut aussieht. Unsere Möbel sind in Wien – seit September – vor den Russen geflüchtet. Wie sehr wünschte ich, dieser Brief träfe Sie bei bestem Wohlsein – so schrieb man vor 100 Jahren – und ich wollte, man schriebe 1815! Von ganzer Seele grüße ich Sie, Lieber, Hochverehrter! Ihre Stona576

188. 1. 10. 1915 an Marie von Ebner-Eschenbach

Maria Stona Schloß Strzebowitz österr[eichisch] Schles[ien]

Hochverehrte Baronin, nicht um Ihren Geburtstag zu feiern – sondern um Sie, gnädigste Frau, meiner innigsten Verehrung zu versichern, bin ich so kühn, mich dem Schlußreigen jener an- zuschließen, die Ihnen in diesen Tagen gratuliren durften. – Eine unendliche Ferne taucht vor mir auf – ein Sommertag, den ich in Zdislawic577 verleben durfte,578 Frühling und Lieder im Herzen. Wie ist das alles so weltenfern – und doch kehren Frühling und Lieder immer wieder. Das ist das Wunderschöne im Leben, daß vor dem höchsten Ge- nießen – nichts entschwindet. Mein Vater war 85 Jahre alt, als er uns allen eine Fülle weiser Gedanken gab. Die wahrhaft Starken gleichen den Bäumen, die mit den Jahren nur reicher werden. Wollen Sie, gnädigste Baronin, diesen verehrungsvollen Gruß gütig aufnehmen, den aus schwerer Zeit Ihnen zu senden sich erlaubt Ihre ergebenste Maria Stona

1. Okt[ober] 1915

575 Przemyśl (Prömsel), Galizien (Polen). 576 Im Anhang befindet sich die Abschrift des Zeitungsartikels über Brandes mit der Notiz: „Helene u[nd] ich haben so gelacht über diese Räubergeschichte!“. 577 Zdislavice, Mähren (Tschechische Republik). 578 Nicht näher datiert; es scheint, dass es sich um einen einmaligen Besuch von Maria Stona auf dem Schloss von Marie von Ebner-Eschenbach in Zdislawitz gehandelt hat.

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189. 17. 3. 1916 an Viktor Graf Dubsky von Trebomyslic (d. J.)

Maria Stona Schloß Strzebowitz österr[eichisch] Schles[ien]

17. März 1916

Hochgeehrter Graf, Wollen Sie meiner innigsten Teilnahme versichert sein an dem schmerzensrei- chen schweren Verlust, der Sie durch den Tod der großen Dichterin579 Ihrer Familie getroffen hat, die zugleich die allverehrte Heilige Ihres Hauses gewesen ist. In unvergessener Erinnerung an längstvergangene Sommertage von Prerau580 und Chropin581 begrüßt Sie wärmstens, sehr verehrter Graf, Maria Stona

190. 5. 8. 1917 an Georg Brandes

Strzebowitz 5. 8. [19]17

Mein hochverehrter Freund! Mich packt oft eine so heftige Sehnsucht nach Ihnen – aber zumeist muß ich sie unterdrücken, denn irgendeine wilde Arbeit zwingt mich in eine fremde Linie. Heute aber folge ich dieser Sehnsucht und sende Ihnen zehn582 – Sie schimpfen sonst über tausend – Sommergrüße und fasse Ihre lieben Hände und halte sie lange – lange – Ich freute mich so sehr über Ihre Karte. Natürlich werde ich Ihre Bücher dänisch lesen, und ich lese mich schnell ein. Ich halte es aber für selbstverständlich, daß sie bald deutsch erscheinen werden. Warum sollten wir vor einem so feinen Geiste – dem däni- schen Genius die Ohren verschließen? Haben wir ihm nicht Klinger583 und Nietzsche584 zu danken? – Und Maria Stona und Hellene Scholz? Und tausend andere? Es ist doch etwas Wundervolles in Ihnen, dieses Lebenweckende, Geisteraufrüttelnde... Carneri585

579 Marie von Ebner-Eschenbach. 580 Přerov, Mähren (Tschechische Republik). 581 Chropyně, Mähren (Tschechische Republik). Verwiesen wird wahrscheinlich auf ein Treffen aus den 1880er Jahren, als Maria Stona mit ihrem Ehegatten in Chropin lebte. 582 Tausend gestrichen. 583 Anm. 332. 584 Anm. 213. 585 Anm. 1.

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war meine Volksschule, Jacobowski586 mein Gymnasium, Brandes meine Universität – das sage ich immer wieder. Zwei wichtige Dinge habe ich Ihnen zu erzählen, Georg Brandes. 1. Daß ich meine Ökonomien verpachtet habe, Gott sei Dank, zu glänzenden Bedingungen. Das macht mich frei u[nd] stark. 2. Daß Hellene im Mai den Major Zelezny587 geheiratet hat. Ich bin froh darüber, denn er ist ein feiner vornehmer Geist, etwas feminin. Sie hat jetzt unsere Kaiserin588 und den Kronprinzen589 modelliert. Das ist eine große Auszeichnung für sie. Aber ihre besten Arbeiten sind – die von Tunis. Und sie hat Heimweh nach Tunis. Der Krieg, diese europäische Scheußlichkeit, nähert sich dem Ende. Gott, wird der Frieden ein Aufjauchzen bringen! Aber an eine neue Zeit glaube ich so wenig wie an eine neue Menschheit. Es wird immer die Alte bleiben. So – nun lasse ich Ihre Hand los – u[nd] sende Ihnen meinen Hauch – Ihre Maria Stona

191. 3. 3. 1918 an Georg Brandes

Maria Stona Schloß Strzebowitz österr[eichisch] Schles[ien]

3. 3. [19]18

Mein hochverehrter Freund! Sie haben ein herrliches Gedächtnis und ich kann Ihnen nichts vorplauschen. Sie wissen genau, daß ich Ihnen zu danken habe für liebe Worte. In Gedanken tat ichs längst. Und hundertmal. Aber was man sagen möchte, muß man ja verschweigen, logos ist verstummt. Ich bin so glücklich, daß Sie öfter an Hellene schreiben. Das giebt ihr Freude und sie braucht Freude. Sie hatte jetzt großen Kummer, ihr Mann hatte eine schwere Regenbogenhautentzündung, ich glaube die dritte. Wäre nicht der Krieg gekommen, hätte sie nicht geheiratet. So zählt sie auch zu den – Helden des Krieges. In dieser Zeit, die von so vielen als die „große“ gepriesen wurde, muß man jetzt mit – Zündhölzchen sparen. Im Grand Hotel in Wien wird ein Stück per Tag per Kopf bewilligt. Eine Frau wollte ein Zündhölzchen haben, da sagte das Stubenmädchen: „Der Herr Gemahl hat schon eines behoben.“ 586 Anm. 54. 587 Johann Zelezny (1879?–1957), österreichisch-ungarischer Offizier. 588 Zita (1892–1989), Kaiserin von Österreich. 589 Otto von Habsburg (1912–2011).

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Letzthin war ich in Budapest, wo man herrlich lebt zwischen allen Idealen der Gegenwart: Mehl, Butter, Zucker, Fleisch – – auf dem Wege hielt ich mich in Trencsin- Teplitz590 auf bei Roda-Roda591 u[nd] sandte Ihnen von dort eine Zeitung mit Ihrem un- terhaltenden Artikel über die letzten Worte... Manchen würde man sie wünschen. Dann kämʼ es vielleicht zum Frieden. Armes Menschenblut. In Galizien hat man jetzt gute Ernten. „Alles wächst doppelt so üppig dort, wo die Schützegräben lagen“, erzählte mir kürzlich ein glücklicher Gutsbesitzer aus der Gegend bei Przemysl.592 Ich bin so glücklich, daß ich die Landwirtschaft verpachtet habe, lieber guter Freund – nun genieße ich wieder jeden Tag mit neuer Lust. Nicht einmal die „große Zeit“ darf mir die Welt verekeln. Heute nacht kommt Hellene aus Wien für ein paar Wochen. Ach, daß wir Sie hier hätten! Innigste Grüße! Und alle guten Wünsche! Ihre Maria Stona

192. 20. 6. 1918 an Georg Brandes

Strzebowitz Oesterr[eichisch] Schlesien 20. 6. [19]18

Mein hochverehrter Freund! Meinen Brief haben Sie sicher nie erhalten, ich setze jetzt meine ganze Sehnsucht u[nd] Liebe auf diese Karte, mit der sich ja nicht spielen läßt. Ich wollte, ich könnte wie der Reisende der N[eue] Fr[eie] Presse Sie besuchen. Er hätte den ganzen Artikel Ihnen widmen müssen – kann mir vorstellen, wie sehr er Sie störte. – Hellene hat einen sehr schönen Orden bekommen, weiß mit Silber, u[nd] ist jetzt in Karlsbad mit dem Major Zelezny,593 „ihrem Mann“ wäre einfacher zu sagen. Ich grüße Sie herzlich! Ihre Maria Stona

590 Trenčianske Teplice, Ungarn (Slowakei). 591 Alexander Roda Roda (1872–1945), österreichisch-ungarischer Schriftsteller. 592 Anm. 575. 593 Anm. 587.

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193. 8. 11. 1918 an Rudolf Jeremias Kreutz594

Maria Stona Schloß Strzebowitz, österr[eichisch] Schles[ien] 8. 11. 1918

Sehr verehrter Herr Kreuz und guter lieber Freund von Einst! Mit Freuden habe ich Ihren ausführlichen Brief empfangen. Vor Allem gratulie- re ich Ihnen, dass es Ihnen geglückt ist, Ihren Roman,595 von dessen Niederschrift wir alle wussten, glücklich aus Sibirien hinaus zu bringen.596 Dass er schon solche Erfolge aufzuweisen hat, freut mich ausserordentlich. Hoffentlich bekommen wir ihn bald zu lesen. Sie wissen, dass ich immer Ihrer Kunst mit dem grössten Interesse und mit abso- luter Ueberzeugung in Ihre wachsende Kraft gefolgt bin. Den Plan, den Sie nun haben, finde ich glänzend. Rufen Sie uns, ich bin sicher, dass wir alle uns begeistert um Sie scharen werden. Ich bringe Ihnen überdies eine der begabtesten Schriftstellerinnen in Deutschland Frau Annemarie von Nathusius597 mit zu Ihrer Fahne, die sich mit allen ihren Arbeiten ohnehin ganz zu Ihren Farben bekennt. Es müsste das alles gut organi- siert werden, und dann kann die gute Wirkung, die erzieherische auf das Volk, auf die Jugend und die Trottel der Gegenwart nicht ausbleiben. Sobald ich nach Wien komme, werde ich Sie sofort davon verständigen, und mit lebhafter Begeisterung alles Nähere von Ihnen hören, und mich Ihnen mit allen mei- nen Kräften zum Beginn der guten Sache zur Verfügung stellen, oder zur Fortführung derselben. Sie haben durch Ihre reichen Erlebnisse und Erfahrungen in Sibirien das Zeug dazu, Führer zu sein. Sie haben auch den Idealismus und den nötigen Hass. Also vor- wärts in die neue Arena. Mit wärmsten Grüssen und allen guten Wünschen Ihre Maria Stona

594 Maschinenschrift. 595 Rudolf Jeremias Kreutz: Die große Phrase. Zürich 1919. 596 Kreutz war ab November 1914 in russischer Kriegsgefangenschaft in Sibirien, aus der er im Jahre 1918 flüchtete. 597 Annemarie von Nathusius (1874–1926), deutsche Schriftstellerin.

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194. 24. 1. 1919 an Georg Brandes

Strzebowitz 24. 1. [19]19

Hochverehrter Freund! Sehr freute ich mich über die persische Übersetzung, die ich Hellene nach- schickte. Darin fand ich das wundervolle zitirte Wort: Willst du ein Leben – raube dirʼs. Und so hab ich mir nun ein eigenes Leben geraubt. Sie sollen mehr davon hören. – Wir haben im neuen tschechoslowakischen Staate unberufen große Ordnung. Welche Wandlung! In Ostrau598 wimmelt es von französ[ischen] u[nd] amerik[anischen] Offi- zieren. Ein kleines Buch schicke ich Ihnen – ein Intermezzo. Bitte in lieber Erinnerung annehmen. Schreiben Sie öfter an Hellene, ich bitte Sie darum. Sie braucht es. Einen herzlichen Gruß! Maria Stona Es ist so ergötzlich, wie viele sich jetzt als Republikaner gebarden [!], die ehe- mals wilde Monarchisten waren. Na überhaupt – diese Menschheit! Da kann man nur Einzelne lieben – die aber schon sehr. Alle guten Wünsche für Sie!599

195. 31. 12. 1919 an Georg Brandes

Strzebowitz 31 Dez[ember] 1919

Mein lieber hochverehrter Freund – Ja ja – Freund – denn ich habe nie aufgehört, Ihre Freundin zu sein! –

Giebt es etwas Schöneres, als einem Freunde in der Neujahrsnacht zu schreiben? Gewiß, werden Sie sagen – und allerlei Amüsantes denken. Aber in dieser Er- satzzeit ist man schon mit einseitigen Briefen zufrieden, mit Monologen ohne Antwort, – (Sie antworten ja nie!) Max Nordau600 pflegte am Schluß des Jahres Betrachtungen von unermeßlicher Langeweile in der Neuen Freien Presse zu veröffentlichen. Diese Betrachtungen haben aufgehört, vielleicht weil zu viel geschieht oder weil Max Nor- dau nichts mehr einfällt. Aber da könnte ja Paul Goldmann601 sein geistiger Erbe sein. Nun muß also jeder von uns sein eigenes Jahr betrachten. Ich bin sehr zufrieden. Ich weiß Hellene den elenden Wiener Hausfrauensorgen entrückt im sonnigen Florenz; ich

598 Ostrava, Mähren/Schlesien (Tschechische Republik). 599 Zu Ende geschrieben auf der anderen Seite der Karte. 600 Anm. 60. 601 Anm. 7.

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habe einen sehr eigenartigen Roman „Muscha“602 geschrieben, der in der Ukraine spielt (noch nicht erschienen) und vieles andere; ich habe geschäftlich sehr glückliche Sachen durchgeführt und ich habe vor allem meinen Mann gut verheiratet,603 was mir die größte Freude macht. Zum blendenden Vorleser hatte ich ihn längst gemacht, dabei hat auch Hellene geholfen. Entthronte Könige giebt es ja sehr viele – aber nicht alle sind gute Vorleser. Wie geht es dem nie entthronten König Brandes? Er könnte seiner gehorsamen Untertanin doch wieder einmal ein paar Worte senden! Die so herzlich an ihn denkt und ihn innig grüßt! Wer ist es wohl? Maria Stona604

196. 11. 7. 1920 an Leopold Wolfgang Rochowanski

Strzebowitz 11. 7. [19]20

Sehr geehrter Herr! So sehr ich mich freute, von Ihnen zu hören, so betrübt bin ich, Ihren Wunsch nicht erfüllen zu können. Ich habe das ganze Haus bis auf das letzte Zimmer gefüllt, sogar tschechische Offiziere wohnen neben meinen aus Amerika heimgekehrten An- gehörigen u. s. w. u. s. w. Ein Onkel aus Rußland weicht überhaupt nicht mehr. Es tut mir herzlich leid, Ihnen u[nd] Ihrer lieben Frau diesen so begreiflichen Wunsch nicht erfüllen zu können. Hätt’ es gern getan, denn ich verstehe die Qual des Wiener Auf- enthaltes. In der „Tägl[ichen] Rundschau“605 in Berlin habe ich kürzlich „Das Märchen von Wien“606 erscheinen lassen. Das erblühende Verlagsleben habe ich dort letzthin mit Freude bemerkt. Lassen Sie mir Ihr Buch zuschicken, bitte! Von mir erscheint nächs- tens ein Roman. Annonciren Sie vielleicht in der Deutschen Post607 eine Stütze – ohne Gehalt – es ist freilich zu fürchten, daß Ihre arme Frau dann zu viel stützen muß. Aber es wird schon irgendwie gehen. Singvögel sind immer frohgemut – Gott sei Dank! Alle guten Wünsche für Ihre liebe Frau u[nd] wärmste Grüße Ihnen beiden! Maria Stona

602 Der Roman ist letztendlich unter dem Titel Die wilde Wolhynierin erschienen – Vgl. Anm. 624. 603 Gemeint ist hier die Trauung von Karl Erasmus Kleinert und seiner letzten Ehefrau. 604 Die Unterschrift ist geschrieben als Rätsellösung „mit dem Kopf nach unten“. 605 Tägliche Rundschau, deutsche Tageszeitung. 606 Nicht gefunden. 607 Die ehemalige Troppauer Zeitung (?).

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197. 8. 8. 1920 an Rudolf Jeremias Kreutz

Strzeb[owitz] 8. 8. [19]20

Ihr Bild mit Raikal608 ist trefflich. Vielen Dank!

Lieber Freund! Wenn ich lange nicht antworte, geschieht es nur, weil ich wieder einmal von einem Sturm von Sommergästen überwältigt worden bin. Gott sei Dank – er ist vorü- ber – u[nd] ich sitze vergnügt und allein im Garten, den Sie kennen u[nd] betrachte Ihr merkwürdiges Schicksal. Sie werden noch viel erleben und noch aus manche[r] Retorte der Ehe springen, bis Sie wie Ferdinand Knoppff609 in Brüssel (so ähnlich schrieb er sich) an die weißen Marmorwände Ihres Heims in goldenen Buchstaben die Worte hinschreiben: „On nʼa que soi“. Aber es tut nichts – die Etappen sind hübsch. Sonder- bar, wie Sie alle Frauen an sich reissen. Und doch haben Sie mehr vom Faust an sich als vom Don Juan. In unserer Zeit würde übrigens der Don Juan abblitzen. Wir stehen im Zeichen des Faust. Ich habe da in der Muskete610 Ihre grandiose Geschichte „Es“611 gelesen. Gewaltig in der Kühnheit, die immer Kunst bleibt bei Ihnen. Ja – es war sehr schön in jener Zeit. Lassen Sie sich von dem Schweigen612 nicht verwirren. Das ist Ausdruck einer starken Persönlichkeit. Worte schwächen ab. Aber man nimmt Teil an Ihren Erfolgen mit freudiger Genugtuung. Man verliert u[nd] ge- winnt im Leben, ehe man seine Bahn gefunden hat, wenn sie auch nicht die des Lao-Tse ist. Sie und ich bleiben immer gute Freunde. Das tut wohl. Auch Ihnen, in Ihrer Unrast, die Ihre Kunst braucht. Und die Kunst ist uns schließlich doch das höchste! H[elene] ist in Prag, sie hat eine brillante Statuette von mir gemacht. Allerherzlichste Grüße! Maria Stona

608 Baikal? (vielleicht der Hund von Kreutz). 609 Richtig Khnopff, Anm. 483. 610 Die Muskete, österreichische humoristische Zeitschrift. 611 Rudolf Jeremias Kreutz: Es, Die Muskete 29. 7. 1920, S. 138. 612 Gemeint ist wohl das Schweigen von Helene Zelezny-Scholz.

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198. 30. 9. 1920 an Georg Brandes

[Tarascon] le 30 IX [19]20

Bester Meister und Freund! Aus der schönen Provence, die ich eben mit Genuß ohne gleichen bereise, sende ich Ihnen herzlichste Grüße! Maria Stona

199. 22. 12. 1921 an Rudolf Jeremias Kreutz

Strzebowitz 22/XII [19]21

Lieber Freund Kreutz! Ihr Brief macht mir eine große Freude. Von manchen Menschen kommt man Gott sei Dank niemals los, wenn es auch nur die Mütter sind. „Aber wo find ich Sie?“ – wissen Sie, das waren Ihre ersten Worte an Hellene, auf einer Postkarte geschrieben613 u[nd] ich las sie und sagte: „Das wird ein Künstler“. Ich weiß ja nicht, wie alles kam. Daß ich damals das lumpige Geld nicht hatte, war ein Jammer. „Wir wären längst auseinander gegangen“, sagte sie einmal, vor ein paar Jahren – „aber wir hätten schöne Kinder gehabt –“614 Nun hat sie den Weg ganz verschüttet. Darüber mündlich. Wir treffen uns bestimmt, wenn ich das nächste mal in Wien bin. Schicken Sie mir das literar[ische] Echo mit Ihrem Spiegelbild. Und seien Sie froh, daß Sie in einem Winkel des Herzens sich ein Stück Sehnsucht bewahrt ha- ben. Die ist ja doch das Schönste vom Leben – das sagt nicht nur Narziß – Ihre übrigen Stimmungen kenne ich. Das Kompromiß ist natürlich ein Unsinn. Künstler sollen nicht heiraten, das ist die Weisheit. Die Liebe drängt nie zur Ehe – so wenig wie die Ehe zur Liebe. Die beiden haben eigentlich mit einander gar nichts zu tun. Daß die Liebe Ausschließlichkeit bedingt, ist selbstverständlich – und dann kann man „meinetwegen“

613 Eine Ansichtskarte, die Kreutz, damals mit der Garnison von Jägerndorf, an Helene Zelezny-Scholz nach ihrem ersten Ball geschickt hat. Stonas Tochter zitiert den Satz in leicht veränderter Form: „Aber wo sehe ich Sie wieder?“ – WBR, HS, Nachlass Rudolf Jeremias Kreutz, ZPH 1248/7, Sign. 2.1.1.253, Helene Zelezny-Scholz an Rudolf Jeremias Kreutz, Bronxville 2. 1. 1948. 614 Eines der Anzeichen des entstehenden Verhältnisses zwischen Helene Scholz und Rudolf Jeremias Kreutz. Anspielungen auf deren enge Beziehung erschienen nach 1945 auch in den Briefen von Helene Zelezny-Scholz an Rudolf Jeremias Kreutz. – WBR, HS, Nachlass Rudolf Jeremias Kreutz, ZPH 1248/7, Sign. 2.1.1.253, Helene Zelezny-Scholz an Rudolf Jeremias Kreutz, an Bord der „Caronia“ 15. 6. 1949.

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zwei so durch Liebe verbundene Menschen verheiratet nennen. Nur in ganz seltenen Fällen ist die Ehe kein Störenfried der Liebenden. Sie wird die Ehe immer stören u[nd] Sie werden den seidenen Faden immer um den Hals gelegt fühlen, schupsen Sie ihn dann auf den kleinen Finger, nennen Sie das ein Kompromiß – aber ein Schlingerl bleibt es doch... Jetzt – im Jan[uar] oder Febr[uar] erscheinen zwei Bücher von mir615 – Gottlob, die Korrekturbogen fliegen schon. Und dann werden die Bücher, die alle fast fertig sind, einander jagen. Dies Jahr jagte ich meine Spiritusjuden[.] Im Januar komme ich wohl – u[nd] dann sprechen wir lange – lange – Sie616 ist in Florenz u[nd] arbeitet toll. Ich wünsche Ihnen frohe Arbeit u[nd] seligen Erfolg. Das ist gute Weihnacht. Mit tausend Grüssen Ihre Stona

200. 17. 1. 1922 an Georg Brandes

Strzebowitz 17 Januar 1922

Hochverehrter, Lieber, Böser! oder Rätselvoller? Am Ende dieses Briefes sollen Sie das Rätsel hören. Zuerst will ich Ihnen sagen, daß ich heiße, herzliche Wünsche für Sie habe und oft und treu Ihrer gedenke. Ihren Goethe,617 der in Deutschland erschienen sein soll, habe ich bestellt – aber noch nicht erhalten. Ich freue mich auf das Buch ganz besonders. Merkwürdig, um wie viel leben- diger Goethe wirkt als Schiller.618 Sollte das nicht mit Eckermanns619 Verdienst sein? Oder das hohe Alter, das Goethe erreichte, hinter dem Schiller so weit zurückblieb. Ich freu mich auf Ihr Buch!! In wenigen Wochen erscheinen 2 Bücher von mir; ich will sie Ihnen schicken. Man glaubt ja immer, daß die letzten die besten sind. Kürzlich fuhr ich mit einem Tuchfabrikanten aus Bielitz.620 „In einem Buche von Georg Brandes fand ich Ihr Strzebowitz“ – sagte er mir. 10 Tage später – so lange dauert jede Bestellung – las ich – Ihr Strzebowitz. Und ich freute mich rasend, als ich es so zu den Sternen erhoben sah, vor Europa leuchtend – und ward doch sehr betrübt.

615 Wahrscheinlich der im Jahre 1922 herausgegebene Reisebericht Von Prag in die Provence über Strassburg, Verdun-Reims und der Roman Die wilde Wolhynierin. 616 Helene Zelezny-Scholz. 617 Georg Brandes: Goethe. Berlin 1922. 618 Friedrich Schiller (1759–1805), deutscher Schriftsteller und Philosoph. 619 Johann Peter Eckermann (1792–1854), deutscher Dichter und enger Freund Goethes. 620 Bielsko, Österreichisch-Schlesien (Polen).

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Warum haben Sie meinen Namen totgeschwiegen?621 Mußte das sein? Hellene ist we- nigstens im Bilde erwähnt, – ich aber lebe nicht einmal als Schatten...... Das Leben der letzten 14 Monate war für mich ein aufreibender geschäftlicher Kampf – aber ich bin dem Siege nahe u[nd] ich atme auf. – Hellene ist merkwürdig glücklich mit ihrem Mann. Sie veranstaltet Anf[ang] Februar eine kleine Ausstellung in Florenz. Ich grüße Dich, Georg Brandes von ganzer Seele! Marie Stona

201. 7. 2. 1922 an Georg Brandes

Maria Stona Schloß Strzebowitz Tschechisch-Schlesien

7 II [19]22

Geliebter Hochverehrter! Ich schlage die N[eue] Freie Presse vom 7. auf u[nd] ich finde Sie! Beglückt, begeistert, entzückt lese ich das warmblutige Feuilleton über Sie von Felix Salten622 und sende es morgen an Hellene nach Florenz. Wie er Sie den größten, vollendetsten Weltmann nennt, den es heute noch giebt – wie er Ihren Goethe623 hinstellt, nein Sie, das ist vorzüglich! Und ich bin so glücklich. Auch darüber, daß ich einmal – ein weiblicher Eckermann – alle Ihre blendenden Gespräche einfing, denn ich werde sie aufblitzen lassen vor Europa... Seien Sie ohne Sorge – nichts für Sie Verdrießliches wird darin sein. Ich freue mich über Ihre große Feier – die wie ein Freudenfeuer über die Wipfel der Welt hinleuchtet. Ich wollte Sie mit einem Briefe verschonen – aber dies ist mehr als ein Brief. Es ist ein Bekenntnis. Bleiben Sie mir ein bischen gut! Ihre Stona

621 Auf diesen Satz bezieht sich die Bemerkung, die auf der Rückseite des Fotos, das Stona Brandes gewidmet hat, geschrieben ist: „Dem Freunde, dem lieben, der mich verschwiegen, hab ich mich verschrieben. Maria Stona 1922.“ 622 Felix Salten: Georg Brandes (zum 80. Geburtstag), Neue Freie Presse 7. 2. 1922, S. 1–3. 623 Anm. 257.

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202. 15. 5. 1922 an Georg Brandes

Maria Stona Schloß Strzebowitz Tschechisch-Schlesien

15 Mai 1922

Mein hochverehrter Freund! Heute sandte ich Ihnen meine neuen Bücher und bitte Sie, sie lieb anzusehen. Um ein Lesen wage ich gar nicht zu bitten. Der Roman aus der Ukraine ist mein bestes Werk – den wildesten Zweig meiner Familie habʼ ich hier zum Aufblühen gebracht. Hellene ist von dem Buch entzückt u[nd] sie ist mein strengster Richter. In den Zeitun- gen las ich Ihre köstliche Geburtstagsfeier in Athen. Gestern besuchte ich einen 90jährigen. „Mit die Füßʼ gehts noch ziemlich,“ sag- te er, „eine Meile kann ich noch gehen, ohne daß ich ʼwas spürʼ –“ Er gab mir Stoff für 10 Romane. – Ich wünsche Sie gesund u[nd] in tiefer Arbeit. Ihr herrlicher Goethe! Alles Liebe Ihre Maria Stona

203. 27. 5. 1922 an Georg Brandes

Strzebowitz 27 Mai 1922

Mein edler großer Freund! Wenn Sie nur ahnten, wie meine Seele aufjubelte beim Empfang Ihrer Karte. Das habʼ ich ja gar nicht zu hoffen gewagt, daß mein Buch Ihnen einen so starken Ein- druck machen würde. Ich streichle zärtlich und beglückt Ihre Fingerspitzen für jedes liebe, wichtige, wertvolle Wort, das Sie mir schrieben und ich lächle glücklich zu Ihnen auf. Sehen Sie, die Gestalten dieses Romans624 haben meine Kindheit umgeben. Meine Mutter war die Tarnowska, die sich aus Galizien die junge Soscha holte, um durch den mystischen Zauber selbst eine Tochter zu bekommen. Und diese Tochter, die wirklich kam, bin ich. Bei mir ist der prächtige Onkel Grog gestorben... Aber Sie haben recht, ich hätte die Komposition stellenweise straffer führen können und eine Tante weniger wäre mehr gewesen. – Gott, ich bin ja so rasend glücklich über Ihre Anerkennung. Schon daß Sie das Buch lasen, bei der Fülle Ihrer Arbeit und Einläufen an Büchern aus allen Weltteilen, war ein Geschenk für mich. Es kann ja möglich sein, daß Sie einmal

624 Maria Stona: Die wilde Wolhynierin. Wien 1922.

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irgendwo ein paar Bücher besprechen und dann nennen Sie vielleicht auch das meine, meine geliebte Wolhynierin – – Sie sehen, ich träume, als wärʼ ich 16 Jahre alt. Das ist das heilige Erbteil von Vater und Mutter, diese jubelvolle Frohnatur. Ihre Karte sagt wieder mehr als Bände eines andern, die nichtssagend sind. Wie bin ich glücklich darüber, daß Sie in Athen gewesen sind. Nicht der Ehrungen wegen, die eine selbstverständliche Begleiterscheinung Ihres Lebens geworden sind, aber weil Ihre entzückten Blicke auf Attika ruhten, das alte Theater sahen und Ihre Seele alle Schönheit des Griechentums in sich trank. Das freut mich mehr als alles. Ich muß Sie doch wahrhaftig sehr sehr lieb haben. Hellene ist in Stanislau625 bei ihrem Bruder; sie hat eine kleine Nichte bekom- men, die sie Dagmar tauften. So kam ein Stück Dänemark in unsere Familie. – In Kürschners Bücherschatz erschien eben eine kleine Geschichte von mir,626 die ich Ihnen nur als kleine dankende Elfe sende. Ich sehne mich sehr nach Ihnen, Georg Brandes. Kommen Sie nicht nach Karlsbad? Immer Ihre Maria Stona

204. 14. 6. 1922 an Georg Brandes

Strzebowitz Schlesien, Č. S. R. 14 Juni [19]22

Mein hochverehrter Freund! In eine Zeile soll ich Ihnen mein ganzes Herz legen, meine Demut, meine Bitte, meine Sehnsucht, meine Hoffnung. Sie haben für so Viele vieles getan – wollen Sie für die Eine Eines tun? Ich arbeite und habe gearbeitet, – ich strebe und habe gestrebt. Jacobowski627 sagte einmal: „Wenn Brandes Ihren Namen nennt, leuchtet er vor Europa auf..“ Damals war ich noch zu klein dazu – aber nun spüre ich die Reife und Kraft in mir. Aber die „Wilde Wolhynierin“628 wird ungekannt untersinken, wenn keine starke Hand sie hochhebt. Es giebt keine stärkere als die Ihre. Ich weiß, daß ich kühn bin, aber ich weiß auch, daß ich zu einem Könige spreche. Wenn ich fehl gefleht – verzeihen Sie mir. Immer in liebevoller Treue Ihre Maria Stona

625 Ivano-Frankivsk, Galizien (Ukraine). 626 Maria Stona: Der junge Gutsbesitzer. Eine ländliche Geschichte (Kürschners Bücherschatz Bd. 1341). Berlin – Leipzig 1922. 627 Anm. 54. 628 Anm. 624.

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205. 7. 10. 1923 an Georg Brandes

Strzebowitz 7/X [19]23

Hochverehrter Freund und Meister! Wie freute ich mich, daß Hellene Sie sah, da nun ihre Kunst einen starken Zug nimmt. Sehr wichtig war für sie diese wenn auch kurze Zusammenkunft, um die ich sie beneide. – Ich sende Ihnen einen Pester Lloyd mit Ihrem Voltaire.629 Die Zeitung wurde mir eben zugeschickt. Ferdinand Gregori,630 der Voltaire bei mir las, spricht Ihnen Dank und Bewunderung aus. Auch ich. Und ich suche Ihre liebe Hand u[nd] drücke sie. Und ich bin immer die Ihre in Herzlichkeit und Treue Maria Stona

206. 15. 6. 1924 an Franz Servaes

Trzebowitz in Schlesien Č. S. R. 15 Juni [19]24

Sehr verehrter Herr! Darf ich mich Ihnen nach vielen Jahren wieder in Erinnerung bringen? Merk- würdigerweise ist es mir unvergeßlich, daß Sie mir einst ihre Dagmar als kleines Mädel vorstellten – nun ist sie ein großer Stern631 geworden u[nd] ich beglückwünsche Sie herzlich. Und auch meine Tochter hat sich gut als Bildhauerin entwickelt. Sie hat einen sehr hübschen Erfolg in der Frühjahrsaustellung in Venedig, der Messagero632 u. a. ha- ben ihre Broncegruppe glänzend besprochen. Sie lebt im Winter in Rom, im Sommer bei mir. Nun wollte ich Sie herzlich einladen, wenn es Ihnen möglich wäre, mich im Juli oder August für mehrere Wochen zu besuchen. Mir wäre es eine große Freude, Sie als Gast bei mir zu sehen, wie voriges Jahr Ferd[inand] Gregori,633 früher Brandes. Die Künstler sind ganz ungestört – man sieht sich nur bei den Mahlzeiten. Darf ich auf Sie hoffen, verehrter lieber Herr Doktor? Um gütige Antwort bittet Sie Ihre Sie wärmstens grüßende Maria Stona

629 Georg Brandes: Voltaire (1906–1908, GBSS 18). 630 Anm. 569. 631 Dagny (Dagmar) Servaes (1894–1961), Schauspielerin und Tochter von Franz Servaes. 632 Il Messagero, italienische Zeitung. 633 Anm. 569.

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207. 20. 8. 1924 an Franz Servaes

Trzebowitz 20/8 [19]24 in Cech[oslowakisch] Schlesien

Sehr verehrter lieber Herr Doktor! Das ist wirklich für mich ein Verhängnis, für Sie ein doppelter Glücksfall, zu dem ich herzlich gratulire. Ich begreife vollkommen das schmerzliche der Entlobung – aber ein Vorteil, keinen Schwiegersohn zu kriegen – oder ihn zum mindesten hinaus- zuschieben, ist ungeheuer groß. Er bedeutet den Rückgewinn der Tochter. Ihre eigene Verlobung, lieber Herr Doktor, und vor allem die Verliebung ist aber unbedingt ein Glücksfall, zu dem empfangen Sie meine ganz besonders herzliche Gratulation. Bitte, sagen Sie der jungen Braut meine herzlichsten glückwünschenden Grüße. Ich freue mich schon heute darauf, Sie beide nächstes Jahr bei mir zu sehen!! Gewiß verdient der frohsinnige Mensch mehr Liebe als alle. Denn er bereitet Freude. Was eine solche – Mitteilung bei erwachsenen Kindern bedeutet, fühle ich Ihnen genau nach. Es ist leider so: für erwachsene Kinder bedeuten Eltern den Stand des Unmündigen und das Bevormunden findet kein Ende. Da giebt es nur ein Energisches: Ich bin ich. Sonderbarer Zufall, – auch ich hatte in diesem Sommer die peinlichsten Familiensachen – die Scheidung meines Sohnes von einer entzückenden Schwieger- tochter u[nd] allerlei daraus sich ergebende Konflikte mit meiner übrigen Familie. Aber man muß nur Stand halten – dann siegt man. – Ihre Absage traf mich sehr schmerzlich, lieber Herr Doktor – aber ich verstehe vollkommen, daß Sie zu dem lieben geliebten Wesen eilen müssen! Mit den herzlichsten Grüßen bin ich Ihre sehr ergebene Maria Stona

208. 30. 8. 1924 an Franz Servaes

Trzebowitz in Čech[oslowakisch] Schlesien 30/8 [19]24

Lieber verehrter Herr Doktor! Das ist ja schrecklich, daß mein Expressbrief nicht ankam! Er hätte Sonntag d[en] 24. in Ihren Händen sein müssen, aber weil er 8 Kc Marken aufgepickt hatte u[nd] direkt in den Zug geworfen wurde, hat ein Marder die 8 Kc eingesteckt u[nd] den Brief vernichtet. Ich schrieb Ihnen allerdings, daß ich nach Ihrer Absage eine Dame aus Karlsbad eingeladen hatte, die auch pünktlich sammt [!] großem Sohn am 26. in den Ihnen zugedachten Zimmern ihre Zelte aufschlug. Aber das hätten Sie am 24. früh

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wissen müssen! Es ist mir schrecklich, daß Sie warteten und warteten – hätte ich doch telegraphirt – aber man scheut jetzt immer die großen Kosten beim Auslandsverkehr. Nun wollen wir es nächstes Jahr klüger und besser machen, dafür wird schon die liebe Frau Tilli634 mit der schönen klaren Schrift sorgen. Ich sandte Ihnen eine Karte nach Weidlingau635 nach u[nd] einen Brief nach Frankfurt a/O. Wie Sie es bestimmten. Mir ist es nur ein Trost, daß sie gleich eine Ungehörigkeit der Post vermuteten. Fr[äu]l[ein] Miller vom Universum hat mich heute verlassen, auch ihr tat es furchtbar leid, Sie nicht hier zu erleben. Ihr Katarrh ist hoffentlich schon ganz gut. Nun wünsche ich nur dem liebsten Fräulein baldigste Genesung. Ich schrieb Ihnen, daß Fr[äu]l[ein] Miller in Wildungen636 vor vielen Jahren von schweren Nierenleiden völlig genesen ist. – Dieser Sommer war schrecklich für mich – voll Kampf u[nd] Ärgernissen u[nd] das Licht, das Sie bringen sollten, versagte – Ich grüße Sie herzlich, lieber Herr Doktor, u[nd] bin Ihre ergebene Maria Stona

209. 2. 9. 1924 an Elisabeth Förster-Nietzsche637

Třebowitz, 2. September 1924. Schlesien Č. S. R.

Hochverehrte Gnädigste! Mit besonderer Freude finde ich in der „Neuen Freien Presse“ Ihren ausgezeich- neten Artikel638 über Wagner639 und Nietzsche640 und erlaube mir Ihnen die Zeitung zu übersenden, da dieses Blatt selten Belegexemplare verschickt. Mit voller Lebhaftigkeit stand während des Lesens jener Nachmittag vor mir, den ich vor zwei Jahren bei Ihnen, gnädigste Frau, verleben durfte, wo man im Kreise geistvoller Menschen sich auch wirklich auf Höhen fühlte, die reine Lüfte segnen. – Ich hoffe, dass Sie hochverehrte gnädige Frau sich wohl befinden und erlaube mir, Sie in aufrichtiger Verehrung herzlich zu grüssen als Ihre sehr ergebene Maria Stona

634 Tilly Stiefel, zweite Frau von Franz Servaes. 635 Wien-Weidlingau, Niederösterreich (Österreich). 636 Bad Wildungen (Deutschland). 637 Maschinenschrift. 638 Elisabeth Förster-Nietzsche: Wagner und Nietzsche, Neue Freie Presse 30. 8. 1924, S. 1–3. 639 Richard Wagner (1813–1883), deutscher Komponist. 640 Anm. 213.

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210. 11. 1. 1925 an Georg Brandes

Strzebowitz 11/1 [19]25

Hochverehrter! Mit einem Lachen las ich eben die wundervollen Worte, die Sie hier gesprochen u[nd] die voll Geist sprühen. Ich war Ihr Eckermann, habe alles aufgeschrieben u[nd] möchte eine Auslese veröffentlichen, wenn Sie gestatten. Morgen fahre ich auf 12 Tage nach Deutschland, bin vom 17–25/I in Berlin, Evangelisches Hospiz, – sollten Sie zu der Zeit in Berlin sein, bitte ich, Ihnen Guten Tag sagen zu dürfen! Die Legionen grü- ßen Cäsar! Maria Stona

211. 27. 2. 1925 an Georg Brandes

Strzebowitz 27 Febr[uar] 1925

Hochverehrter Freund, Ihre Karte, auf der Sie mir viel Böses und Liebes sagen, erreichte mich auf Um- wegen. Gewiß mag das ein gräßliches Gefühl sein, daß Jemand unsere Worte vor 20 Jahren aufgefädelt hat. Aber Sie warfen eben diese Perlen zu jeder Stunde vor uns hin. Ich bin wirklich kein Reporter, kein ekelhafter Interviewer, ich wollte auch kein Ge- schäft mit Ihren göttlichen Einfällen machen. Als ich sie, ohne sie zu suchen, letzthin in meinem Tabernakelschrank fand, las ich sie mit Jubel u[nd] meine Frage flog zu Ihnen.… Ein gefiederter Pfeil schnellte zurück – er sitzt schon – und ich schweige und horche und gehorche. Das Buch mit dem „splendiden Erfolg in Deutschland, Armand Carrel“641 habe ich schon bestellt. Cäsar642 ruhte in meinen Armen, Goethe643 habe ich entzückt genos- sen, nach Jesu lange ich eben. Aber alles wird übertönt und überklungen von einer winzigen Notiz, die ich ges- tern in der Neuen Freien Presse las: „Georg Brandes kommt Anfang April nach Wien zu einem Vortrag –“ Herzlichere Freude giebts nicht für mich. Georg Brandes in Wien! Jetzt möchtʼ ich etwas ganz Verrücktes schreiben – aber damit ärgert man Sie ja nur. Und ich möch- te, daß Sie gut sind, gut Ihrer unwandelbaren Maria Stona 641 Georg Brandes: Armand Carrel. Stuttgart 1913. 642 Georg Brandes: Cajus Iulius Caesar. Berlin 1925. 643 Anm. 617.

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212. 1. 3. 1925 an Rudolf Jeremias Kreutz

Trzebowitz 1/III [19]25

Verehrter Freund! Gratulire herzlich zum flammend schönen Aufstieg. Evas Rutschbahn644 u[nd] Außenseiter645 entzückt gelesen, besprochen, – Sie haben eine ganz kolossale Eigenart. Das Schwerflüssige ist das Wahre. Wohin soll ich jetzt mit der Besprechung? Ist die N[eue] F[reie] Pr[esse] schon versorgt, dann nehmʼ ich das W[iener] Tagblatt.646 Am 30. März lese ich in Wien im Schriftsteller Verband u[nd] hoffe sehr, daß Sie zu dieser Zeit in Wien sein werden. Freu mich schon sehr auf Sie. Hellene in Rom, tätig wie stets – Ich war im Januar in Berlin – dort ist Leben, Rausch, Sturm der Arbeit u[nd] der Lust.

Ihre erste Soldatengeschichte im Buch hat einen fabelhaften Schmiß – das macht Ihnen keiner nach... „Aber wo find ich Sie?“647 ...... Herzlichst in warmem Erinnern u[nd] in Freude über Ihren Flug Ihre Maria Stona

213. 28. 4. 1925 an Georg Brandes

Strzebowitz 28 April 1925

Mein hochverehrter Freund! Als ich Ihre feine Schrift sah, jubelte mein Herz auf. Ich danke Ihnen für Ihren Brief innig. So wohl es mir tut, Sie in Wien zu wissen, schmerzt mich die Ursache Ihres Verweilens. Ich war natürlich nicht verletzt, als Sie nicht antworteten, ich sah ja das entsetzliche Gedränge um Ihre Persönlichkeit, das zu durchbrechen keine Möglichkeit war, und das in den Briefen sich noch ärger entwickelt als bei den Menschen. Wenn ich wüßte, daß Sie mich empfangen, käme ich auf einen Tag sofort nach Wien. Aber am Ende sind Sie morgen schon abgereist. Ich habe Sonntag eine Vorlesung auf dem halben Wege nach Wien und könnte Montag d[en] 4. Mai nachmittag bei Ihnen 644 Rudolf Jeremias Kreutz: Evas Rutschbahn. Berlin 1924 645 Rudolf Jeremias Kreutz: Außenseiter des Lebens. Wien 1925. 646 Anm. 224. 647 Vgl. Brief Nr. 199.

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vorsprechen. Was es mir bedeuten würde, darüber will ich keine Worte machen. Um Sie nicht zu belästigen, werde ich Samstag an das Hotel telegraphiren. Ich bin ja so froh, daß Sie nicht vergessen haben, was Sie für mich bedeuten. Wie vornehm und lieb von der Dame Ihrer Begleitung, sich um Sie zu sorgen. Hoffentlich auf Wiedersehen! Mit treuem Grusse Ihre Maria Stona

214. 2. 5. 1925 an Georg Brandes

drahtet ob georg brandes mich montag nachmittag empfaengt – maria stona.648

215. 6. 5. 1925 an Georg Brandes

Strzebowitz 6 Mai [19]25

Mein hochverehrter Freund, Für die nahezu zwei Stunden, die Sie mir geschenkt haben, danke ich Ihnen mit innigem Händedruck und von ganzem Herzen. Sie haben mir viel gegeben. Auf der Stiege fiel es mir ein, daß ich ganz verges- sen hatte, Sie zu bitten, vielleicht doch mit der Dame nach Strzebowitz zu kommen für eine Zeit der Erholung, eine Art Nachkur nach dem Hotel Sacher. Das wollte ich Ihnen gestern früh noch sagen. Aber Sie waren ausgegangen. Ich fand Sie so wohl aussehend mit dem bezaubernden Lächeln der ganz jungen Menschen. Das ist ja ein Heuochse, der das „alt – alt –“ unkte. Ihr Haar ist wie hellgrau- er Atlas, von Ter Borch649 gemalt. Dieser Atlas war nie ganz weiß. In dem Schlafrock sollten Sie sich malen lassen. Ich habe eine ganz wundervolle Erinnerung. So viel Stil ist in dem Bilde. So viel noble Größe. Am 19. Mai lese ich in Wien im Kleinen Rittersaale der Hofburg in einem „Konzert.“650 Verrückte Bezeichnung. Ich fand hier die Aufforderung der „Konzertdi- rektion“ vor. Möchten Sie so gesund und frisch, wie ich Sie sah, immer bleiben, mein junger hochverehrter Georg Brandes! Einen herzlichen Dankesgruß von Ihrer Maria Stona 648 Telegramm, gesendet vom Postamt in Schönbrunn, Schlesien ins Hotel Sacher, Wien. 649 Gerard ter Borch (1617–1681), holländischer Maler und Zeichner. 650 Vgl. Neue Freie Presse 18. 5. 1925, S. 6.

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216. 28. 10. 1925 an Georg Brandes

Strzebowitz Čech[oslowakisch] Schlesien 28/X [19]25

Hochverehrter Freund! Ich hatte Gesellschaft und man sprach von Ihnen. Der junge Redakteur der Mor- genzeitung, Gatte einer reizenden Frau, sprach so begeistert von Ihren Werken, nannte sie alle, diese Heroen – und rief, daß kein zweiter Europäer Ihre Gedächtniskraft habe oder Ihre einfache Natürlichkeit. Alle Ihre Bücher seien so kerngesund. Wie mich dies spontane Aufjubeln der Jugend freut vor Ihrem Namen. Den größten Demokraten von Europa nannte er Sie. Wir stehen vor den Wahlen und unsere Sudetendeutschen bieten wieder einmal das schmälichste Beispiel der Zerrissenheit. Die Tschechen verspotten uns mit Recht u[nd] tschechische Zeitungen schreiben: „Wie gut muß es ihnen gehen, wenn sie solche Mätzchen treiben. Ein Volk in Not schließt sich zusammen.“ Generaldirektor Sonnenschein651 von Witkowitz652 schrieb als Antwort auf die Bitte der Deutschen um Geld für die Wahlen: Keine Einheitsfront – Kein Geld! Sonnenschein – Ich bin so glücklich, daß ich heute von Ihnen hörte und meine heißen Wünsche sind bei Ihnen. Hellene ist Gott sei Dank ohne Mann in Detroit und wird sich dort unberufen künstlerisch sehr entwickeln. Sie ist hingerissen von Amerika. Inzwischen arbeitet Cou- denhove-Calergi653 an einem Pan Europa, während sich die Völker in die Haare fahren. Ich hoffe Sie wohl und grüße Sie von ganzem Herzen. Ihre Maria Stona

651 Adolf Sonnenschein (1862–1939), Generaldirektor der Witkowitzer Eisenwerke. 652 Vítkovice, Mähren (Tschechische Republik). 653 Richard Coudenhove-Kalergi (1894–1972), japanisch-österreichischer Schriftsteller und Gründer der Paneuropa-Bewegung.

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217. 16. 12. 1925 an Rudolf Jeremias Kreutz

16/XII [19]25

Verehrter lieb[e]r Freund! Es tut mir furchtbar leid, aber nichts ist zu machen. Ich danke für Ihre lieben Briefe und vorzüglichen Sammelkritiken. Jänner ist ungünstig. Da tanzen alle Tölpel. Ich bin desperat über diese blöden Absagen – Nicht, daß Sie keine Perlen ausstreuen, tut mir so leid, aber daß Sie nun nicht kommen. Witkowitz654 sagte auch ab, Troppau655 als das dümmste, hat noch gar nicht geantwortet. Aber diese Leute sollen Sie im nächs- ten Jahr kennen lernen! Ärgern Sie sich nicht über mich. Heil-Arm und Beinbruch für Brünn!656 Jägerndorf?657 Natürlich müßte das heran. Aber der Jänner, der Jänner! Da kaufen sich die Frauen seidene Strümpfe, Tanzschuhe u[nd] derlei geistige Elemente mehr – Ich schreibe in rasender Eile – gab in rascher Folge 3 große Festdiners I Landespräsident658 u[nd] Familie u[.] s. w. 21 Personen II Jagd – 22 [Personen] III Tee mit Wilczeks659 u[.] s. w. 7 Personen Nun stürme ich in meine goldene Arbeit zurück. Wäre sehr sehr glücklich, wenn sie meine wilden Ostasiatinnen660 lesen würden – u[nd] des Sträflings661 nicht vergäßen! Mit tausend guten Wünschen für Weihnacht und Neujahr Ihre herzlich ergebene Marie Stona

654 Anm. 652. 655 Anm. 14. 656 Brno, Mähren (Tschechische Republik). 657 Krnov, Österreichisch-Schlesien (Tschechische Republik). 658 Josef Šrámek (1875–1937), Landespräsident von Tschechoslowakisch-Schlesien. 659 Wilczeks, Adelsgeschlecht, Besitzer des benachbarten Großgrundbesitzes Dobroslawitz, Österreichisch-Schlesien (Tschechische Republik). 660 Gemeint ist wohl Stonas Buch Die wilde Wolhynierin. – Anm. 624. 661 Maria Stona: Der Sträfling mit dem Rosenkranz. Wien 1925.

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218. 6. 1. 1926 an Marie Eugenie delle Grazie

Trzebowitz Čech[oslowakisch] Schlesien 6/1 [19]26

Meine liebe Jenny! Seit Monaten will ich Dir schreiben, aber der Wirbel des Lebens jagt mich so gewaltig im Kreise, daß ich nicht zu der stillen Minute kam. Vor allem aber ein segensreiches gutes Jahr 1926! Und nun bitte, höre und erhöre! Rittm[eister] Picht aus Stuttgart,662 der mich im Herbst besuchte – brachte mir das Prachtbuch, Steiners Lebensgang. Es ist da so vieles und so Verehrungsvolles von Dir und dem unvergeßlichen großen Geiste an Deiner Seite gesagt, daß das Buch Dir viel Freude brächte. Darf Picht es Dir senden? Ich über- nahm es, Dich darum zu fragen. Verzeihʼ, daß es so spät geschieht. Ich hoffe Dich wohl u[nd] in voller Arbeit. Mir geht es unberufen glänzend. Am 30 Dez[ember] erreichte zum guten Schluß des Jahres mein Ehrenbeleidigungsprozeß gegen die Gemeinde ein für mich fabelhaft gutes Ende. Die 18 Beklagten widerriefen alles, baten um Verzeihung u[nd] zahlen sämmtliche Kosten, auch die meines Anwalts. Das war ein ungeheurer Sieg. Es ha- ben aber auch die von den Gegnern genannten Zeugen glänzend für mich ausgesagt. 8 Monate dauerte der Prozeß – u[nd] es giebt 18 lange Nasen und getäppschte Köpfe im Dorfe. Hellene war 2 Monate in Detroit, hatte große Erfolge, fühlt sich aber von der amerikanischen Jagd nach dem Dollar so abgestoßen, daß sie, obwohl sie gute „Ge- schäfte“ machte, selig wieder in Rom bei ihrem Manne landete. Und Albert arbeitet in Australien – so hat er endlich den Dreiklang einer für mich beglückenden Aliteration gefunden!

Ich grüße Dich innig, Du Liebe, – bitte, schreib mir bald, damit Picht erlöst werde! In Treuen Deine ergebene Maria Stona

662 Nicht näher bestimmt.

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219. 17. 7. 1926 an Elisabeth Förster-Nietzsche

Schloss Trzebowitz Schlesien C. S. R. 17/Juli [19]26

Hochverehrte Gnädigste, Meiner Glückwunschdepesche663 zu Ihrem 80. Geburtstag erlaube ich mir heute einen kl[einen] Artikel664 nachzusenden, den soeben die Neue Freie Presse über meinen ersten Besuch in Ihrem geheiligten Heim veröffentlicht hat. Ich habe damals – vor 21 Jahren – alle Ihre Worte, Gnädigste, und die zauberhaf- te Art Ihrer Rede genau aufgezeichnet und sie nun hervorgeholt – hoffentlich verzeihen Sie mir gütigst die Veröffentlichung der unvergeßlichen Stunde. Gewiß sind Sie überwältigt von Beweisen der Liebe und Bewunderung, die Ih- nen in diesen Tagen zufloß – ich hoffe nur, Sie fühlen sich wohl und ganz auf der Höhe wie stets. Genehmigen Sie, Gnädigste, die Versicherung meiner großen Verehrung und aufrichtigen Ergebenheit. Maria Stona

220. 3. 1. 1927 an Margarete Formes-Königswarter

Trzebowitz in Čech[oslowakisch] Schlesien 3/1 [19]27

Hochverehrte Baronin, Frau von Stockert-Meynert665 teilte mir Ihren liebenswürdigen Wunsch mit u[nd] ich eile, ihn zu erfüllen. Mit gleicher Post sende ich zu gütiger Wahl eine Reihe ver- schiedenartig gestimmter Gedichte. Ich wäre sehr glücklich, wenn einzelne Ihnen so zusagten, daß Sie sie beseelen wollten. Ein Tröpfchen Herzblut braucht jede Lyrik... Wie beklage ich es, Sie nicht hören zu können, gnädigste Baronin. Unser kurzes Zu- sammentreffen bei Frau von Guttmann666 steht mir in glühender Erinnerung.

663 Vom 12. 7. 1926. 664 Maria Stona: Bei Frau Elisabeth Förster-Nietzsche. Ein Besuch in Weimar, Neue Freie Presse 16. 7. 1926, S. 11. 665 Dora von Stockert-Meynert (1870–1947), österreichische Schriftstellerin. 666 Ida von Gutmann-Wodianer (1848–1924), Wiener Salonière.

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Ich danke vielmals für Ihr liebes Gedenken und begrüße Sie, sehr verehrte Baro- nin, mit den wärmsten Neujahrswünschen als Ihre ergebene Maria Stona

221. 30. 1. 1927 an Georg Brandes

Strzebowitz Čech[oslowakisch] Schlesien 30. 1. [19]27

Mein hochverehrter Freund! Mir will ich die Freude machen, Ihnen zu schreiben, auf die Gefahr hin, Sie zu belästigen, denn die Gipfel fragen nicht viel nach Tälern. Und doch ist so viel Sehnsucht im Tale nach den Gipfeln. Ich hoffe Sie so gesund, wie es mein Vater in Ihren Jahren war, der gute Mann, der Ihnen Eier zum Frühstück schicken ließ, womit er den Gast ehren wollte, denn zu Hause bekam Niemand ein Ei. Die Felder, die er erworben, über die er tausende Male hingeschritten u[nd] die mir nun zu einem Dritteil weggenommen, aber gut bezahlt wurden, ermöglichen es mir, eine Villa in Döbling667 bei Wien zu kaufen,668 und ein schönes Auto, und vor allem Hellene reichliche Geldmittel zu senden. So segnet der Fleißige die Nachkommen noch nach Jahrzehnten. Solch ein Vater – aber für Millionen sind [es] auch Sie, Georg Brandes. Ich grüße Sie mit dankbarer Seele! Ihre getreue Maria Stona

667 Wien-Döbling, Niederösterreich (Österreich). 668 Es ist nicht bekannt, ob Stona das Haus in Döbling gekauft hat.

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222. 24. 6. 1927 an Marianne Hainisch

Trzebowitz in Čech[oslowakisch] Schlesien 24/6 [19]27

Hochverehrte Gnädigste – allergnädigste Frau! Als ich Ihre feinen, durchgeistigten Schriftzüge auf dem Couvert sah, erfaßte mich eine große Freude. Mit lebhaftem Interesse habe ich Ihren Aufruf gelesen, dem ich voll zustimme. Lassen Sie mich Ihnen herzlich dafür danken, daß Sie an mich dach- ten. Sehr richtig ist es, daß sich für alle Vereine eine gemeinsame Plattform finden läßt u[nd] ich wollte, die Vereine fänden Sie, durch Ihre trefflichen Worte geleitet. Wir leben im Zeitalter der Maschinen und der Organisation. Der Mensch auch wird zur Maschine und seine Rettung ist die Organisation. Sie giebt der Menge den Geist, der sie zusammenhält und führt. Die Frau hat schon viel gelernt, – aber sie hat noch viel zu lernen. Bei unsern Frauen ist die Entartung der Weiblichkeit in Mannesart nicht zu befürchten, wie meine Tochter sie in Amerika fand. Meine Tochter! Ich habe schon seit Wochen die Absicht, Ihnen, Gnädigste, das Bild ihrer Sizilianerin, (Broncestatuette) zu verehren, die der König von Italien669 kürzlich ankaufte. Hier ist es – ich bitte Sie, es gütig anzunehmen und der treuen unwandelbaren Verehrung versichert zu sein Ihrer tief ergebenen Maria Stona

223. 2. 12. 1927 an Marianne Hainisch

Trzebowitz 2. Dez[ember] [19]27

Hochverehrte gnädigste Frau, Gestatten Sie mir, den Kalender mit meinem Bild und Lebensskizze Ihnen zu überreichen, in der ich Carneris670 gedachte, des Unvergesslichen... Im Neuen Wien[er] Tagblatt671 war am letzten Sonntag ein trefflicher Artikel von meinem Sohne Siegfried Albert Scholz: das Buschleben in Australien.672 – Bleiben Sie uns gesund, unsere Liebe umwuchert Sie! In Ehrfurcht Ihre Maria Stona 669 Viktor Emanuel III. (1869–1947), König von Italien. 670 Anm. 1. 671 Anm. 224. 672 Siegfried Albert Scholz, Buschleben in Australien (Neues Wiener Tagblatt, Sonntags-Beilage, 27. 11. 1927, S. 25–27 = We Hunt the Kangaroo, The Living Age 1. 2. 1928, S. 257–261).

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Meine Tochter, deren Bronce Statuette La Siciliana der König v[on] Italien673 ankaufte.674

224. 12. 3. 1928 an Karl Kraus

Trzebowitz Schlesien C. S. R. 12. III [19]28

Verehrter Herr Karl Kraus, Vor Jahren, vor sehr vielen Jahren hörte ich Sie in Wien lesen, ich glaube, es war im großen Musikvereinssaal. Wie lange es her ist, weiß ich nicht – „man“ trug damals lange weiße Handschuhe – Unter dem gewaltigen Eindruck schrieb ich noch in dersel- ben Nacht die mitfolgenden Sätze nieder, die mir heute in die Hände gefallen sind. Darf ich sie veröffentlichen? Ich begrüße Sie in Hochachtung Maria Stona

Anhang I

Und auf der 2. Gallerie stand immer noch eine Frau und winkte mit zwei langen weißen Handschuhen, als das Wutgeheul, das Jubel bedeutete, Sie umtobte. Diese einsame Frau war ich. Ihre Vorlesung hatte mich erschüttert, überwäl- tigt, hingerissen. Karl Kraus zu lesen, ist viel, – aber Karl Kraus lesen zu hören – ist alles. Man begreift plötzlich die ungeheure Einsamkeit dieses Genies. Man versteht, was Satire ist und erkennt schaudernd, daß der Peitschende noch blutiger leidet als der Gepeitschte. 2 Frauen schliefen neben mir ein, 5 Männer liefen davon – aber je mehr schliefen und liefen, umso herrlicher und befreiter las Karl Kraus. Ich bin sicher, daß er in jener Nacht am herrlichsten und mit dem reinsten Genuß sich selber vorgelesen hat. Ich aber schrieb in jener Nacht die Eindrücke der unvergeßlichen Stunden nie- der. – Maria Stona (Verzeihung für Bleistift – ich schreibe im Coupé)

673 Anm. 669. 674 Bildpostkarte, Porträt von Helene Zelezny-Scholz.

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Anhang II675 Vortrag Karl Kraus.

Das Volk heulte, als wollte es Einen lynchen, und der Eine war er und es lynchte ihn mit seinem Jubel – Oder war es wirklich ein Wutgeheul – das den Andern galt? Sie alle, die da heute wüten, lesen morgen doch die N[eue] F[reie] P[resse] – aber das tut ja nichts, sie selbst ist einer seiner eifrigsten Leser. – Karl Kraus – das war das grösste Schauspiel, das ich je erlebt. Karl Kraus lesen ist viel – aber es ist nichts, mit dem Einzigen verglichen: Karl Kraus lesen hören, die ganze ungeheure Wucht seines Geis- tes, seiner Gewalt, seiner Persönlichkeit mit allen Sinnen wahrzunehmen, das abstrakte Wort plötzlich in einen konreten Wutschrei verwandelt zu erleben, alle Fiebern dieser Persönlichkeit zittern, hasten, arbeiten zu sehen, die elektrischen Schläge zu spüren, die dieser Akkumulator aussendet, – man hat dann das Gefühl, – selbst wenn der Jubel rings erbraust, den Mann also alle verstanden zu haben scheinen, – doch unter Zwergen und Larven zu sitzen, von dem ganz Einzigen beherrscht, der dort irgendwo in der Höl- le oder an der Pforte des Paradieses seine gewaltigen Raketen losschleudert, dass die glühenden Feuer hoch aufzischen gegen die Schwärze des Himmels und in goldenen und blauen Kugeln niedersausen. Das ist das Wunder, dass er den Eindruck eines ganz Einsamen macht und zwar eines einsam lebenden Raubtieres – es wagt sich nur Abends bei Rampenlicht aus sei- ner Höhle. Er ist das grösste Witzblatt Oesterreichs. Er steht ausserhalb aller – er ist nur als Unikum zu verstehen – aber dass Witz eine Rakete ist und Satire die reinigen- de Kraft des Feuers besitzt und aus blutendem Herzen flammt, dass Satire Geisseln schwingt über die Lachenden und doch selber mehr weint als die Gepeitschten – das versteht man. Man begreift, dass es nichts Gewaltigeres gibt, als die Satire, und dass der Satiriker der wahre König der Menschen ist. Karl Kraus ist nur als Kämpfer denkbar, und wenn er keine Feinde hätte, er müsste sie erfinden, um seine ganze wundervolle Kraft sprühen zu lassen. Karl Kraus ist der geniale Zerstörer – er ist Simson mit einer neu erwachenden Kraft, der immer neue Tempel zertrümmert. Karl Kraus ist der Genius der Zerstörung – er trägt ein flammendes Schwert in der Hand –. Jetzt habʼ ichʼs: Karl Kraus ist eine einzigartige Erscheinung – das ist es – eine Erscheinung ist er – ein Zeichen der Zeit – eine Art Komet – Er ist populär wie Themistokles, er ist ein Volksaufwiegler wie Danton. Er ist ein Herrscher der Geister wie – und doch gibt es für ihn keine Vergleichsskala – er ist eben unvergleichlich. Karl Kraus steht in der Mitte seiner Laufbahn – er ist nicht verbraucht, nicht müde, er wiederholt sich nicht, wird immer neu, denn er erzeugt sich selbst durch die Kraft der allgemeinen Dummheit umher. Sie ist es, deren er bedarf, um seine ganze Stärke zu zeigen. Die dümmsten Gesichter kriegten einen geistreichen Zug, wenn sie ihm zuhörten – aber die hübschesten Frauen verloren ihn. Er hat nichts übrig für die

675 Maschinenschrift.

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Frau, und sie spürt das mit ihrem Instinkt, darin dem Hund gleichend, der auch den Hundefreund sofort erkennt. Auf der zweiten Galerie stand immer noch Eine und winkte mit dem langen weissen Handschuh, als das Wutgeheul, das Jubel bedeutete, ihn umtobte. Diese Einsa- me war ich, – die Vorlesung hatte mich erschüttert, überwältigt, hingerissen. Ich begriff plötzlich die ungeheure Einsamkeit dieses Genies – ich verstand, was Satire ist und erkannte schaudernd, dass der Peitschende blutiger leidet als der Gepeitschte. Zwei Herren schliefen neben mir – 5 Männer liefen davon, aber je mehr schliefen und liefen, umso herrlicher, befreiter las Karl Kraus. Ich bin sicher, dass er in jener Nacht mit dem reinsten Genuss sich selber vorgelesen hat. Ich aber schrieb in jener Nacht den Ein- druck der unvergeßlichen Stunden nieder.

Maria Stona

225. 9. 7. 1928 an Rudolf Jeremias Kreutz

Schloss Trzebowitz 9. 7. [19]28

Verehrter Freund! Vor einigen Tagen sandte ich Ihnen meine Neuen Gedichte676 in froher Erinne- rung. Sie kennen Wälder und Wiesen genau, u[nd] den Garten und den Bach und – die Menschen... Ich wollte, daß alles zusammen an Ihr Herz rührte und es zum Schwingen und Klingen brächte! Hellene ist jetzt hier nach erfolgreichem Frühling in Rom. Wir haben schöne, harmonische Tage – unberufen. Sie wissen, wie schnell alles Schöne schwinden kann. Für Ihr mannhaftes Eintreten zu Ehren des guten Geschmacks u[nd] Ihr grau- sames, aber gerechtes Zerzausen eines Sudetenvogels677 gebührt Ihnen der aufrichtige Dank aller ehrlichen Künstler! Bravo! Ich grüße Sie herzlich! Ihre Maria Stona

676 Maria Stona: Neue Gedichte. Berlin 1928. 677 Wahrscheinlich eine Andeutung auf eine der Rezensionen von Kreutz, nicht näher bestimmt.

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226. 18. 1. 1929 an Leopold Wolfgang Rochowanski

Schloss Trzebowitz 18. 1. [19]29

Sehr geehrter Herr Rochowanski, Ein langer Brief, den ich an Sie diktiert hatte, blieb in Folge der Erkrankung meiner Sekretärin lange liegen – heute bringt sie ihn mir – post festum – denn ich habe Ihnen inzwischen die Absendung von Buch u[nd] Bild kurz angezeigt. Es tut mir so herzlich leid, Sie wieder versäumt zu haben. Bitte sehr, mich vor Ihrer nächsten Trop- pauer Sängerfahrt zu verständigen, damit ich Sie rechtzeitig herbitten kann! Hier eine Arbeit meiner Tochter678 – Von Zel.’s [?] Bildern, die ich sehr hübsch finde, hab ich nach Rom, via Margutta 54 nichts berichtet. Vielleicht tun Sie es selbst. Ihre Photographie ist allgemein aufgefallen als besonderes Kunststück! Mit besten Grü- ßen Maria Stona

227. 3. 11. 1930 an Richard von Schaukal

Schloss Trzebowitz Schlesien C. S. R. 3/XI [19]30

Sehr verehrter Herr! Soeben von einer sechswöchentlichen Reise durch das wundervolle Spanien heimgekehrt, finde ich Ihre liebenswürdige Sendung, für die ich Ihnen wärmstens dan- ke. Ich habe die Gedichte „Heilige Nacht“, „Anruf“, „Das Lied von der Mutter“, „Be- such im alten Garten“ und „Auf einer Bank“ gewählt und freue mich auf den guten Erfolg! Die übrigen Abschriften folgen mit vielem Danke zurück. Der Schaukalgesellschaft trete ich selbstverständlich bei. Es begrüßt Sie bestens, sehr geehrter Herr, Ihre ergebene Maria Stona

678 Bildpostkarte Helene Zelezny-Scholz: Sicilianerin. Bronzestatuette angekauft vom König von Italien.

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Quellennachweis

1. WBR, HS, Sammlung Wilhelm Börner, H. I. N. 178 897. 2. WBR, HS, Nachlass Werner Röttinger, H. I. N. 211 753. 3. UNOG, RRAU, Bertha von Suttner Papers, BvS/28/368-3. 4. WBR, HS, Nachlass Marie Eugenie delle Grazie, H. I. N. 80073. 5. WBR, HS, Nachlass Marie Eugenie delle Grazie, H. I. N. 80074. 6. WBR, HS, Nachlass Marie Eugenie delle Grazie, H. I. N. 80075. 7. UNOG, RRAU, Bertha von Suttner Papers, BvS/28/368-3. 8. ÖTM, Nachlass Hermann Bahr, Sign. A 24176 BaM. 9. SLB, Nachlass Peter Rosegger. 10. UNOG, RRAU, Bertha von Suttner Papers, BvS/28/368-3. 11. KBK, HA, Georg Brandes. 12. KBK, HA, Georg Brandes. 13. KBK, HA, Georg Brandes. 14. KBK, HA, Georg Brandes. 15. KBK, HA, Georg Brandes. 16. KBK, HA, Georg Brandes. 17. WBR, HS, Nachlass Moritz Necker, H. I. N. 144332. 18. WBR, HS, Nachlass Marie Eugenie delle Grazie, H. I. N. 80076. 19. KBK, HA, Georg Brandes. 20. KBK, HA, Georg Brandes. 21. KBK, HA, Georg Brandes. 22. KBK, HA, Georg Brandes. 23. KBK, HA, Georg Brandes. 24. WBR, HS, Nachlass Richard von Schaukal, ZPH 846/11. 25. KBK, HA, Georg Brandes. 26. KBK, HA, Georg Brandes. 27. KBK, HA, Georg Brandes. 28. WBR, HS, Nachlass Marie Eugenie delle Grazie, H. I. N. 80077. 29. KBK, HA, Georg Brandes. 30. KBK, HA, Georg Brandes. 31. KBK, HA, Georg Brandes. 32. KBK, HA, Georg Brandes. 33. KBK, HA, Georg Brandes. 34. KBK, HA, Georg Brandes. 35. KBK, HA, Georg Brandes. 36. WBR, HS, Nachlass Marie Eugenie delle Grazie, H. I. N. 80078. 37. KBK, HA, Georg Brandes. 38. WBR, HS, Nachlass Marie Eugenie delle Grazie, H. I. N. 80079.

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39. KBK, HA, Georg Brandes. 40. KBK, HA, Georg Brandes. 41. WBR, HS, Nachlass Marie Eugenie delle Grazie, H. I. N. 80080. 42. KBK, HA, Georg Brandes. 43. KBK, HA, Georg Brandes. 44. KBK, HA, Georg Brandes. 45. KBK, HA, Georg Brandes. 46. WBR, HS, Nachlass Richard von Schaukal, ZPH 846/11. 47. KBK, HA, Georg Brandes. 48. KBK, HA, Georg Brandes. 49. KBK, HA, Georg Brandes. 50. KBK, HA, Georg Brandes. 51. KBK, HA, Georg Brandes. 52. KBK, HA, Georg Brandes. 53. KBK, HA, Georg Brandes. 54. KBK, HA, Georg Brandes. 55. KBK, HA, Georg Brandes. 56. KBK, HA, Georg Brandes. 57. KBK, HA, Georg Brandes. 58. KBK, HA, Georg Brandes. 59. KBK, HA, Georg Brandes. 60. KBK, HA, Georg Brandes. 61. KBK, HA, Georg Brandes. 62. KBK, HA, Georg Brandes. 63. KBK, HA, Georg Brandes. 64. KBK, HA, Georg Brandes. 65. KBK, HA, Georg Brandes. 66. KBK, HA, Georg Brandes. 67. KBK, HA, Georg Brandes. 68. DLA, HA, Teilnachlass Arthur Schnitzler, Mappe 1273. 69. KBK, HA, Georg Brandes. 70. KBK, HA, Georg Brandes. 71. WBR, HS, Nachlass Richard von Schaukal, ZPH 846/11. 72. DLA, HA, Teilnachlass Arthur Schnitzler, Mappe 1273. 73. DLA, HA, Teilnachlass Arthur Schnitzler, Mappe 1273. 74. KBK, HA, Georg Brandes. 75. WBR, HS, Nachlass Richard von Schaukal, ZPH 846/11. 76. WBR, HS, Nachlass Richard von Schaukal, ZPH 846/11. 77. WBR, HS, Nachlass Richard von Schaukal, ZPH 846/11. 78. WBR, HS, Nachlass Richard von Schaukal, ZPH 846/11. 79. KBK, HA, Georg Brandes. 80. KBK, HA, Georg Brandes.

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81. KBK, HA, Georg Brandes. 82. KBK, HA, Georg Brandes. 83. KBK, HA, Georg Brandes. 84. KBK, HA, Georg Brandes. 85. KBK, HA, Georg Brandes. 86. WBR, HS, Nachlass Richard von Schaukal, ZPH 846/11. 87. KBK, HA, Georg Brandes. 88. WBR, HS, Nachlass Marie Eugenie delle Grazie, H. I. N. 80081. 89. KBK, HA, Georg Brandes. 90. DLA, HA, Teilnachlass Arthur Schnitzler, Mappe 1273. 91. DLA, HA, Teilnachlass Arthur Schnitzler, Mappe 1273. 92. KBK, HA, Georg Brandes. 93. WBR, HS, Nachlass Richard von Schaukal, ZPH 846/11. 94. KBK, HA, Georg Brandes. 95. KBK, HA, Georg Brandes. 96. DLA, HA, Nachlass Wilhelm von Scholz. 97. KBK, HA, Georg Brandes. 98. WBR, HS, Nachlass Richard von Schaukal, ZPH 846/11. 99. WBR, HS, Nachlass Richard von Schaukal, ZPH 846/11. 100. WBR, HS, Nachlass Richard von Schaukal, ZPH 846/11. 101. KBK, HA, Georg Brandes. 102. WBR, HS, Nachlass Richard von Schaukal, ZPH 846/11. 103. KBK, HA, Georg Brandes. 104. WBR, HS, Nachlass Richard von Schaukal, ZPH 846/11. 105. KBK, HA, Georg Brandes. 106. KBK, HA, Georg Brandes. 107. KBK, HA, Georg Brandes. 108. KBK, HA, Georg Brandes. 109. KBK, HA, Georg Brandes. 110. KBK, HA, Georg Brandes. 111. DLA, Cotta Archiv. 112. KBK, HA, Georg Brandes. 113. DLA, Cotta Archiv. 114. KBK, HA, Georg Brandes. 115. KBK, HA, Georg Brandes. 116. KBK, HA, Georg Brandes. 117. DLA, Cotta Archiv. 118. KBK, HA, Georg Brandes. 119. KBK, HA, Georg Brandes. 120. KBK, HA, Georg Brandes. 121. KBK, HA, Georg Brandes. 122. KBK, HA, Georg Brandes.

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123. KBK, HA, Georg Brandes. 124. KBK, HA, Georg Brandes. 125. DLA, HA, Nachlass Ricarda Huch, 68.2104/1. 126. KBK, HA, Georg Brandes. 127. KBK, HA, Georg Brandes. 128. KBK, HA, Georg Brandes. 129. DLA, HA, Nachlass Ricarda Huch, 68.2104/2. 130. KBK, HA, Georg Brandes. 131. KBK, HA, Georg Brandes. 132. KBK, HA, Georg Brandes. 133. KBK, HA, Georg Brandes. 134. KBK, HA, Georg Brandes. 135. KBK, HA, Georg Brandes. 136. KBK, HA, Georg Brandes. 137. KBK, HA, Georg Brandes. 138. KBK, HA, Georg Brandes. 139. KBK, HA, Georg Brandes. 140. KBK, HA, Georg Brandes. 141. KBK, HA, Georg Brandes. 142. WBR, HS, Teilnachlass Eugen Guglia, H. I. N. 220635. 143. KBK, HA, Georg Brandes. 144. WBR, HS, Teilnachlass Eugen Guglia, H. I. N. 220636. 145. KBK, HA, Georg Brandes. 146. KBK, HA, Georg Brandes. 147. KBK, HA, Georg Brandes. 148. DLA, HA, Teilnachlass Arthur Schnitzler, Mappe 1273. 149. KBK, HA, Georg Brandes. 150. KBK, HA, Georg Brandes. 151. GSA, 72/BW 5351. 152. KBK, HA, Georg Brandes. 153. GSA, 72/BW 5351. 154. WBR, HS, Nachlass Marie von Ebner-Eschenbach, H. I. N. 60989. 155. KBK, HA, Georg Brandes. 156. KBK, HA, Georg Brandes. 157. KBK, HA, Georg Brandes. 158. KBK, HA, Georg Brandes. 159. KBK, HA, Georg Brandes. 160. KBK, HA, Georg Brandes. 161. KBK, HA, Georg Brandes. 162. DLA, Cotta Archiv. 163. DLA, Cotta Archiv. 164. KBK, HA, Georg Brandes.

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165. KBK, HA, Georg Brandes. 166. WBR, HS, Nachlass Moritz Necker, H. I. N. 144331. 167. KBK, HA, Georg Brandes. 168. ÖTM, Nachlass Hermann Bahr, Sign. A 24177 BaM. 169. WBR, HS, Teilnachlass Eugen Guglia, H. I. N. 220637. 170. WBR, HS, Teilnachlass Eugen Guglia, H. I. N. 220638. 171. UNOG, RRAU, Bertha von Suttner Papers, BvS/28/368-3. 172. KBK, HA, Georg Brandes. 173. ÖTM, Nachlass Hermann Bahr, Sign. A 24178 BaM. 174. WBR, HS, Nachlass Marie von Ebner-Eschenbach, H. I. N. 58607. 175. KBK, HA, Georg Brandes. 176. KBK, HA, Georg Brandes. 177. KBK, HA, Georg Brandes. 178. KBK, HA, Georg Brandes. 179. WBR, HS, Sammlung Wilhelm Börner, H. I. N. 193290. 180. WBR, HS, Sammlung Wilhelm Börner, H. I. N. 193291. 181. KBK, HA, Georg Brandes. 182. WBR, HS, Sammlung Wilhelm Börner, H. I. N. 179033. 183. KBK, HA, Georg Brandes. 184. WBR, HS, Sammlung Wilhelm Börner, H. I. N. 193292. 185. SLB, Nachlass Peter Rosegger. 186. KBK, HA, Georg Brandes. 187. KBK, HA, Georg Brandes. 188. WBR, HS, Nachlass Marie von Ebner-Eschenbach, H. I. N. 60952. 189. WBR, HS, Nachlass Marie von Ebner-Eschenbach, H. I. N. 61388. 190. KBK, HA, Georg Brandes. 191. KBK, HA, Georg Brandes. 192. KBK, HA, Georg Brandes. 193. WBR, HS, Nachlass Rudolf Jeremias Kreutz, ZPH 1248/8, 2.1.1.271. 194. KBK, HA, Georg Brandes. 195. KBK, HA, Georg Brandes. 196. WBR, HS, Nachlass Leopold Wolfgang Rochowanski, ZPH 347/4, H. I. N. 202586. 197. WBR, HS, Nachlass Rudolf Jeremias Kreutz, ZPH 1248/8, 2.1.1.271. 198. KBK, HA, Georg Brandes. 199. WBR, HS, Nachlass Rudolf Jeremias Kreutz, ZPH 1248/8, 2.1.1.271. 200. KBK, HA, Georg Brandes. 201. KBK, HA, Georg Brandes. 202. KBK, HA, Georg Brandes. 203. KBK, HA, Georg Brandes. 204. KBK, HA, Georg Brandes. 205. KBK, HA, Georg Brandes. 206. ÖNB, Nachlass Franz Servaes, 1256/52-1.

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207. ÖNB, Nachlass Franz Servaes, 1256/52-3. 208. ÖNB, Nachlass Franz Servaes, 1256/52-4. 209. GSA, 72/BW 5351. 210. KBK, HA, Georg Brandes. 211. KBK, HA, Georg Brandes. 212. WBR, HS, Nachlass Rudolf Jeremias Kreutz, ZPH 1248/8, 2.1.1.271. 213. KBK, HA, Georg Brandes. 214. KBK, HA, Georg Brandes. 215. KBK, HA, Georg Brandes. 216. KBK, HA, Georg Brandes. 217. WBR, HS, Nachlass Rudolf Jeremias Kreutz, ZPH 1248/8, 2.1.1.271. 218. WBR, HS, Nachlass Marie Eugenie delle Grazie, H. I. N. 86730. 219. GSA, 72/BW 5351. 220. ÖNB, Nachlass Otto Rub, 190/51-1. 221. KBK, HA, Georg Brandes. 222. WBR, HS, Nachlass Marianne Hainisch, H. I. N. 127126. 223. WBR, HS, Nachlass Marianne Hainisch, H. I. N. 127125. 224. WBR, HS, Teilnachlass Karl Kraus, H. I. N. 138765. 225. WBR, HS, Nachlass Rudolf Jeremias Kreutz, ZPH 1248/8, 2.1.1.271. 226. WBR, HS, Nachlass Leopold Wolfgang Rochowanski, ZPH 347/4, H. I. N. 202587. 227. WBR, HS, Nachlass Richard von Schaukal, ZPH 846/11.

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Abkürzungen

AMO – Archiv města Ostravy AS – Autographensammlung DLA – Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar EHH – Ernst-Haeckel-Haus der Friedrich-Schiller-Universität Jena FP – Fotografické pracoviště GBSS – Georg Brandes, Samlede Skrifter (Gesammelte Schriften) GSA – Goethe- und Schiller-Archiv, Weimar HA – Håndskriftafdelingen / Handschriftenabteilung HS – Handschriftensammlung KBK – Det Kongelige Bibliotek, København MZA – Moravský zemský archiv v Brně ÖBL – Österreichisches biographisches Lexikon ÖNB – Österreichische Nationalbibliothek, Wien ÖTM – Österreichisches Theatermuseum, Wien PPB – Památník Petra Bezruče s. d. – sine dato s. l. – sine loco SLB – Steiermärkische Landesbibliothek, Graz SZM – Slezské zemské muzeum, Opava UB JCS – Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg Frankfurt am Main UhP – Uměleckohistorické pracoviště UNOG RRAU – United Nations Office at Geneva, Registry Records Archives Unit WBR – Wienbibliothek im Rathaus ZAO – Zemský archiv v Opavě

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Quellenverzeichnis

Archiv města Ostravy (Ostrava) Archiv městyse Třebovice Místní národní výbor Třebovice Sbírka pamětí a vlastivědných rukopisů Det Kongelige Bibliotek, Håndskriftafdelingen (København) Nachlass Georg Brandes Deutsches Literaturarchiv (Marbach am Neckar) Nachlass Arthur Schnitzler Nachlass Wilhelm von Scholz Ernst-Haeckel-Haus der Friedrich-Schiller-Universität Jena Nachlass Ernst Haeckel, Korrespondenz Goethe- und Schiller-Archiv (Weimar) Elisabeth Förster-Nietzsche Moravský zemský archiv v Brně (Brno) Sbírka matrik Österreichische Nationalbibliothek (Wien) Nachlass Anton Wildgans Nachlass Franz Servaes Nachlass Karl Schönherr Nachlass Otto Rub Sammlung Otto Frankfurter Inv. Nr. H 20/80, Sign. 977/25-1 Österreichisches Theatermuseum (Wien) Nachlass Hermann Bahr Slezské zemské muzeum, Fotografické pracoviště (Opava) Inv. Nr. FP 14880 Slezské zemské muzeum, Knihovna (Opava) Sign. S 2517 Slezské zemské muzeum, Památník Petra Bezruče (Opava) Marie Stona Slezské zemské muzeum, Uměleckohistorické pracoviště (Opava) Edmund Wilhelm Braun Neroztříděná korespondence z let 1972–1979, Sign. UH 27/72

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Přírůstková kniha 1926–1934 Inv. Nr. U 4497 G Steiermärkische Landesbibliothek (Graz) Nachlass Peter Rosegger United Nations Office at Geneva, Registry Records Archives Unit (Geneva) Bertha von Suttner Papers Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Handschriftenabteilung (Frankfurt am Main) Autographensammlung Wienbibliothek im Rathaus, Hanschriftensammlung (Wien) Nachlass Felix Braun Nachlass Leopold Wolfgang Rochowanski Nachlass Marie Eugenie delle Grazie Nachlass Marie von Ebner-Eschenbach Nachlass Richard von Schaukal Nachlass Rudolf Jeremias Kreutz Sammlung Wilhelm Börner Teilnachlass Eugen Guglia Teilnachlass Franz Theodor Csokor Zemský archiv v Opavě (Opava) František Zíka Krajský soud Opava Sbírka matrik severomoravského kraje Werner Kudlich Zemský archiv v Opavě, pobočka Olomouc (Olomouc) Karel Dostál-Lutinov Ladislav Zamykal

Zeitungen

Neue Freie Presse 1905 Silesia 1890, 1905, 1911 Troppauer Zeitung 1911 Wiener Landwirtschaftliche Zeitung 1904 Wiener Zeitung 1933

Maria Stona_vnitr str.indd 277 16.12.2014 10:32:55 278 Maria Stona und ihr Salon in Strzebowitz

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Maria Stona_vnitr str.indd 283 16.12.2014 10:32:55 284 Maria Stona und ihr Salon in Strzebowitz

Wessely Daniela (1997): Der Verlag von Carl Konegen in Wien unter Berücksichtigung der Verlagslandschaft im ausgehenden 19. Jahrhundert. Diplomarbeit zur Erlan- gung des Magistergrades der Philosophie eingereicht an der Geisteswissenschaft- lichen Fakultät der Universität Wien. Wien. Wildenthal Lora (Hg.) (2005): Else Frobenius. Erinnerungen einer Journalistin zwis- chen Kaiserreich und Zweitem Weltkrieg. Köln – Weimar – Wien. Wülfing Wulf – Bruns Karin – Parr Rolf (Hg.) (1998): Handbuch literarisch-kultu- reller Vereine, Gruppen und Bünde 1825–1933. Stuttgart – Weimar. Zatloukal Pavel (ed.) (2007): Slavné vily Olomouckého kraje. Praha. Zdražil Tomáš (1997): Počátky theosofie a antroposofie v Čechách. Rudolf Steiner – Praha, Opava a Třebovice. Březnice. Zelezny-Scholz Helene (1970): Zelezny. Portrait Sculpture 1917–1970. Roma. Zelezny-Scholz Helene (1972): Helene, Aus der Jugend einer Bildhauerin. Tagebu- chblätter aus den Jahren 1908–1917. Roma. Zlamal Michaela (1997): Die Wiener Salonkultur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhun- derts. Diplomarbeit zur Erlangung des Magistergrades der Philosophie. Geisteswi- ssenschaftliche Fakultät, Universität Wien. Wien. Zweig Stefan (1988): Tagebücher. Frankfurt am Main.

Maria Stona_vnitr str.indd 284 16.12.2014 10:32:55 Maria Stona und ihr Salon in Strzebowitz 285

Namensregister

Ins Namensregister werden die Namen der Heiligen, der literarischen, biblischen und legendären Figuren, die Namen aus den Fußnoten und der Bibliographie sowie die Namen der unbekannten Personen, die nur mit Vornamen erwähnt werden, nicht aufgenommen. Des Weiteren werden auch folgende, oft erscheinende Namen nicht aufgenommen: Maria Stona; Helene Zelezny-Scholz; Georg Brandes.

Adel, Kurt 34 Brandes (Vater von Georg Brandes) 210 Alighieri, Dante 110 Brandes, Edith 143, 144, 150, 189, 191, Alt, Franz 14 202, 204, 206, 213, 215, 221, 226 Anzengruber, Ludwig 193 Brandes, Edvard 65 Arnold, Robert Franz 92 Brandes, Ernst 65 Aulard, François-Alphonse 146 Braun, Edmund Wilhelm 11, 12, 22, 31, Babberger, August 73 57–59, 63, 64, 69, 75, 113, 142, 150, Bach, Johann Sebastian 51 152, 161, 168, 173, 178, 209 Bacquehem, Olivier Marquis de 42, 123 Braun, Felix 28, 85 Bahr, Hermann 6, 28, 49, 92, 94, 99, 103, Brecht, Berthold 53 150, 217, 228, 231 Bruckner, Ferdinand 75 Bahr-Mildenburg, Anna 92 Buonarotti, Michelangelo 66, 103, 127, Basso (Baronin) 237 128, 143, 144, 221 Bauernfeld, Eduard von 47 Burckhardt, Jacob 222 Beaconsfield (siehe Disraeli) Busch, Wilhelm 179 Beethoven, Ludwig van 50, 182 Byron, George Gordon 49, 214 Bezruč, Petr 37, 88 Caesar, Gaius Iulius 66 Bienenstein, Karl 100 Čapek, Karel 52 Bismarck, Otto von 68 Carneri, Bartholomäus von 6, 7, 16, 18, Bjørnson, Bjørnstjerne 122, 164 19, 21, 22, 32, 33, 39–46, 63, 64, 67, Blüthgen, Klara 51 68, 71, 96, 97, 110, 119, 123, 125, Blüthgen, Viktor 51 141, 201, 211, 235, 236, 241, 264 Bodenstedt, Friedrich von 166 Carrel, Armand 256 Böcklin, Arnold 11 Castle, Eduard 33 Boelitz, Martin 63, 144 Clemenceau, Georges 6, 50, 69, 79, 140, Börner, Wilhelm 41, 94, 235–238 144, 146, 148, 174, 183, 190, 191, Bolin, Wilhelm 7, 16, 21, 32, 42, 43, 63, 208, 217, 225, 226, 239 64, 70, 94, 96, 107 Clemenceau, Michel 50, 153, 156 Bonaparte, Napoleon 214, 226 Correggio, Antonio da 172 Bornstein, Paul 35 Coudenhove-Calergi, Richard 259 Bourget, Paul 188 Csokor, Franz Theodor 11, 28, 29, 73–76 Braga (Übersetzerin) 171, 199 (?) Czermack, Hans 65

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dʼAnnunzio, Gabrielle 186 Foerster, Josef Bohuslav 33 Danton, Georges 266 Förster-Nietzsche, Elisabeth 51, 94, 215, Darwin, Charles 41, 62 217, 255, 262 Daudet, Alphonse 69 Fontana, Oskar Maurus 92 Dawidow, Alexei 220 Forinyák, Helene, 148–153 (?), 159 (?), Dehmel, Richard 190 169 Dekker, Eduard Douwes 145 Formes-Königswarter, Margarete 94, 262 delle Grazie, Marie Eugenie 6, 7, 19, Fra Angelico 222 22, 44, 45, 52, 53, 61, 68, 94, 99, Fraknói, Vilmos (Wilhelm) 100 100–103, 109, 113, 122, 129, 131, France, Anatole 66, 69, 213 134, 170, 202, 261 Franco, Francisco 85 Demblin (Adelsgeschlecht) 14, 29 Frank, Bruno 35 Desfours-Walderode (Adelsgeschlecht) Franz Joseph I. 198, 199 59, 84 Franzos, Karl Emil 92 Dettmann, Ludwig 204 Friedrich, Hermann 64 Disraeli, Benjamin 66, 147 Frobenius, Else 21, 28–30, 34, 77, 81, Dóczi, Lájos 114 83, 87 Domat, Jean 125 Frobenius, Leo 77 Dostál-Lutinov, Karel 58, 84 Galliny, Florentine 47 Dreyfus, Alfred 66 Giacometti, Alberto 72 Drobik, Alexander 36 Giacometti, Augusto 72, 73 Droste-Hülshoff, Annette von 84 Giorgi-Bonda (Gräfin) 112 Držkovic, Valentin 35 Goethe, Christiana von 223 Dubsky, Viktor Graf von Trebomyslic Goethe, Johann Wolfgang 51, 66, 155, d. J. 48, 94, 241 216, 249–251, 256 Duse, Eleonora 117 Goldmann, Paul 97, 149, 159, 199, 245 Dyck, Anthonis van 153 Goldscheid, Rudolf 45 Ebner-Eschenbach, Marie von 6, 29, 33, Gomperz (Familie) 46 36, 48, 49, 79, 94, 204, 217, 232, 240, Gorki, Maxim 151 241 Goya, Francisco 161 Eckermann, Johann Peter 249 Gregori, Ferdinand 77, 236, 253 Eckstein- Diener, Bertha 193 Grimm, Hermann 149, 221 Edelfelt, Albert 218 Groller, Balduin 40 Eibuschitz, Elsa 209 Grosskurth, Phyllis 71 Eichendorff, Joseph von 77 Grünfeld, Alfred 47 Ettlinger, Josef 64 Guglia, Eugen 94, 208, 209, 229, 230 Ettlinger, Thea 22, 60 Gutmann, Wilhelm 47 Feldmann (Hausherrin von Helene Gutmann-Wodianer, Ida von 47, 48, 262 Scholz in Berlin) 181 Habsburg, Otto von 24, 242 Fellner-Feldegg, Ferdinand von 59, 64, Haeckel, Ernst 6, 32, 40, 42–44, 51–53, 178 62, 68, 92 Fitger, Arthur 195 Hainisch, Marianne 47, 94, 237, 264

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Halbe, Max 52, 134 Jutrzenka, Alexander von 98 Hamerling, Robert 23 Kainz, Josef 172 Hanak, Anton 50 Karl I. (Kaiser von Österreich) 75 Handel-Mazzetti, Enrica von 29 Keats, John 49, 214 Hauptmann, Gerhart 142 (?) Keller, Paul 49, 80 Hauschner, Auguste 33 Kellner, Leon 130 Hauser, Carry 74, 75 Key, Ellen 153 Hauser, Otto 77 Khnopff, Fernand 54, 209, 247 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 41 Kierkegaard, Søren 66 Henlein, Konrad 84 Kirschner, Aloisia (siehe Schubin, Ossip) Herbert, Maria 84 Klafsky, Anton Maria 34 Hermann, Hans 34 Klein (Unternehmerfamilie) 17, 40, 99 Hervieu, Paul 109, 125 Klein, Arthur 70, 197, 198 Herzfeld, Marie 92, 108 Klein, Hugo 99 Herzl, Theodor 6, 28, 40, 45, 79, 82, 92, Klein, Melanie 70, 71, 196–200, 203, 106, 108, 113, 173, 202, 207, 227 205, 212, 214 Hirzel, Hermann 165 Klein, Melitta 70 Hitler, Adolf 29, 82, 85, 86 Kleinert, Josef Edgar 35, 73, 82 Hötzendorf, Franz Conrad von 8, 24 Kleinert, Karl Erasmus 23, 24, 28, 35, Hoffmannsthal, Hugo von 28 72, 73, 86, 215, 216, 229, 246 Holberg, Ludwig 66, 187 Klimešová, Eva 89 Holz, Arno 181 Klimt, Gustav 50, 203 Holzer, Eugen 164 Klinger, Max 50, 173, 182, 187, 218, 241 Homer 42 Knodt, Karl Ernst 92 Hopp (Stonas Freundin in Troppau bzw. Koch, Max 135 ihr Vater) 98 Köck, Josef 64 Howard, Betty 26 Königsbrunn-Schaupp (Franz Xaver Hrabal, Arnošt 36, 52, 58, 84 Joseph von Schaup) 59 Huch, Ricarda 84, 94, 193, 196 Kötschke, Hans 34 Hürden, Erich 36 Kohl, Karl 92 Hugo, Victor 69, 203 Konegen, Carl 104 Hurník, Ilja 21, 28, 29, 57, 58, 77, 81–85 Kornauth, Egon 34 Ibsen, Henrik 66, 141, 223–225 Kotalík, Jiří 89 Jacobowski, Ludwig 9, 19, 22, 31, 34, Kralik, Richard von 28, 92 42, 53, 59–65, 67, 68, 77, 92, 107, 115 Kraus, Karl 6, 74, 78, 79, 94, 265–267 (?), 118, 122, 123, 132, 134–136, 141, Krenek, Ernst 54 148, 165, 167, 173–176, 242, 252 Kreutz, Rudolf Jeremias 7, 24, 25, 30, Jacobsen, Jens Peter 122, 171, 211 76, 95, 244, 247, 248, 257, 260, 267 Janotta, Heinrich 98 Krommer, Helmut 36 Jehlik, Martin (Kapuziner) 143 Kubelík, Jan 171 Jensen, Wilhelm 51 Labsig (Labsik), Johann (Pastor in Johnston, William M. 28 Mährisch-Ostrau) 123

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Lanckoroński-Brzezie, Karl Graf 68 Muroň (Verwaltungsbeamter des Gutes Landsberg, Hans 122, 129 Strzebowitz) 84 Laozi 247 Musil, Robert 28, 42 Lassalle, Ferdinand 66 Mussolini, Benito 82, 85 Leistikow, Walter 142 Muther, Richard 65, 173 Leonardo (siehe Vinci, Leonardo da) Nádherny, Sidonie von Borutin 57 Lermotow, Michail Jurjewitsch 166 Napoleon (siehe Bonaparte) Lessing, Gotthold Ephraim 48 Nathusius, Annemarie von 13, 60, 77, Lichnowsky (Adelsgeschlecht) 78 244 Lichnowsky, Mechtilde 55, 58, 78 Necker, Moritz 95, 113, 227 Liszt, Franz 130 Nero 148 Loos, Lina 11, 75 Nietzsche, Friedrich 48, 51, 52, 66, 147, Ludwig XIV. (französischer König) 122 241, 255 Ludwig XV. (französischer König) 31 Nordau, Max 108, 174, 179, 181, 206, Luther, Martin 51 245 Mahler-Werfel, Alma 46 Palma Vecchio 172 Malurová (Einwohnerin von Strzebo- Paoli, Betty 47 witz) 86 Papsdorf, Felix 59, 86 Mamroth, Fedor 97, 99, 199 Paul VI. (Papst) 8 Mann, Erika 75 Paur, Emil 59 Maria Theresia von Österreich 9 Pawlowa, Anna 54 Masaryk, Tomáš Garrigue 8, 24, 86 Petrie, Hilda 55 Massys, Quentin 206 Petrie, William Flinders 55, 79 Maupassant, Guy de 213 Phidias 139, 182 Mayreder, Rosa 64 Picht (Rittmeister aus Stuttgart) 261 Meisel-Hess, Grete 184 Pick-Morino, Edmund 58 Memling, Hans 206 Plehwe, Wjatcheslaw Konstantinowitsch Merode, Cléo de 70, 197 von 210 Michaëlis, Karin 187, 233 Poisson, Jeanne-Antoinette (Madame Michler, Werner 44 Pompadour) 122 Mickoleit, Curt 219 Pompadour (siehe Poisson) Miethke, Hugo Othmar 49 Potiorek, Rudolf 36 Mildner, Poldi 77 Presber, Rudolf 92 Miller (vom Universum Verlag) 255 Primus, Bernard 14 Miller, Marie (Molly) von Aichholz 47 Prochaska, Karl 32 Morawitz, Lucia 114 Prokop, Alois 23, 83–85 Morgan, Camillo 65 Raffael (siehe Santi) Mosler, Raimund 36 Raida, Fritz 36 Müllner, Laurenz 45, 99, 101, 102, 114, Ratislav, Josef Karl 92 122, 123, 129, 131, 135, 170 Reizes, Emanuel 70, 71, 197, 212, 214 Multatuli (siehe Dekker) Rembrandt (siehe van Rijn)

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Renan, Ernst 27, 69, 199 Scholz, Albert (Ehemann) 17–20, 22, 23, Reuter, Gabriele 52, 134 40, 76, 98, 107, 112, 179, 213, 214 Reuter, Otto 135 Scholz, Alois (Schwiegervater) 17, 18, Richardt, Christian 190 40 Rijn, Rembrandt van 153 Scholz, Dagmar (Enkelin) 27, 252 Rist, Peter Frederik 201 Scholz, Liselotte de Rossmann (Enkelin) Ritter, Anna 63 27 Robespierre, Maximilien de 44, 99, 100, Scholz, Siegfried Albert (Sohn) 18, 202 25–27, 35, 40, 86, 123, 211, 215, 216, Rochowanski, Leopold Wolfgang 11, 37, 220, 222, 234, 235, 252, 261, 264 76, 83, 87, 95, 246, 268 Scholz, Wilhelm von 49, 95, 175 Roda Roda, Alexander 50, 79, 243 Schopenhauer, Arthur 48 Rodin, Auguste 54, 206, 213 Schubert, Franz 77 Roessler, Arthur 212 Schubin, Ossip 33 Rohde, Erwin 150 Schuster (Gast von Bertha von Suttner) Rohrmann, Moritz 72 72 Romaszkan, von (polnische Aristokratin) Schweinburg, Viktor 114 112 Scott, Walter 15 Rørdam, Valdemar 144, 146 Seidl, Ignaz 18 Rosegger, Peter 6, 42, 49, 95, 104, 123, Servaes, Dagny 253 238 Servaes, Franz 26, 61, 95, 253, 254 Rothschild (Adelsgeschlecht) 29 Shakespeare, William 48, 49, 66, 108, Rubens, Peter Paul 153 126–128, 130, 159 Rusinský, Milan 14 Singer, Paul 202 Saar, Ferdinand von 118 Skłodowska-Curie, Marie 207, 208 Sacher-Masoch, Leopold 34 Skram, Amalie 163 Salichová, Helena 36 Slonecki, Julius Ritter von Korab 142 Salten, Felix 250 Sonek (Verwaltungsbeamter des Gutes Santi, Raffael 222 Strzebowitz) 84 Schaukal, Richard von 7, 28, 29, 49, 58, Sonne, Jørgen 151 59, 65, 68, 95, 118, 137, 158, 161, Sonnenschein, Adolf 259 162, 168, 173, 176, 177, 179, 180, 268 Specht (Familie) 64 Schiller, Friedrich 51, 249 Spinoza, Baruch 41 Schlesinger, Gertrude 26 Šrámek, Josef (Landespräsident von Schliephacke, Valeska (Gouvernante) 16, Schlesien) 60, 83, 260 218, 220 Šrámek, Josef (Maler) 36 Schnitzler, Arthur 7, 49, 68, 69, 95, 155, Stappen, Charles van der 24, 54, 78, 200, 158, 159, 170–172, 191, 212 201, 203, 206, 209, 212, 224, 231 Schönfeld, Irma 71 Steiner, Rudolf 6, 33, 43, 44, 52, 53, 61, Schönherr, Karl 79, 92 63, 64, 123, 134, 135, 160, 261 Schönherr, Malvine 79 Stern, Fred Benno 29, 61

Maria Stona_vnitr str.indd 289 16.12.2014 10:32:56 290 Maria Stona und ihr Salon in Strzebowitz

Stiefel, Tilly 255 Vivanti, Anna Emilia (Annie) 66, 105, Stockert-Meynert, Dora von 46, 262 106, 125, 178 Stonawski, Andreas (Verwandter von Voltaire (Arouet, François-Marie) 66, Maria Stona) 18 218, 253 Stonawski, Gustav (Bruder) 14, 18, 20, Wacik, Franz 35 156, 213 Wagner, Richard 51, 170, 255 Stonawski, Josef (Vater) 11, 14, 18–20, Wagnerová (Einwohnerin von Strzebo- 31, 40, 98, 112, 119, 124, 137, 140, witz) 86 191, 195, 205, 213, 215, 221–223, Waldemar (dänischer König) 205 226, 232, 233, 240, 263 Wallis, Melanie von 46 Stonawski, Karl (Bruder) 14 Watteau, Antoine 179 Stonawski, Maria (Mutter) 14, 121, 124, Weininger, Otto 30, 221 251 Weiß, Samuel Ami 109 Strachwitz, Moritz Graf von 219 Wengraf, Richard 34 Strauß und Torney, Lulu von 92 Werfel, Franz 28 Sudermann, Hermann 92 Werner, Richard Maria 32, 63, 135 Suttner, Arthur Gundaccar von 40, 99 Wertheimstein (Familie) 46 Suttner, Bertha von 6, 23, 29, 40, 43–45, Wied, Gustav 146, 177 71–73, 95, 96, 102 (?), 103, 104, 230 Wiehe, Charlotte 189 Svindborg, Bruno 7 Wilczek (Adelsgeschlecht) 29, 60, 260 Svoboda, Josef Marcol 84 Wildgans, Anton 28, 74 Swinburne, Algernon Charles 49, 148, Wilhelm II. 204 150, 151, 163, 181, 193, 214 Willig (Direktor der Zuckerfabrik in Szilagyi, Dezső 100 Chiby) 98 ter Borch, Gerard 258 Zamykal, Ladislav 84 Tersch, Emil Ritter von 18, 40 Zdrazila, Adolf 36, 58 Tersch, Louise von 18, 40 Zelezny, Johann 25, 36, 88, 242, 243 Themistokles 266 Zimmermann, Elsa 135 Tilgner, Viktor Oskar 194 Zita, von Bourbon-Parma (Kaiserin Todesco (Familie) 46 von Österreich) 8, 24, 242 Tolstoi, Lew Nikolajewitsch 127 Zitter, Moritz 64 Tove (Geliebte des dänischen Königs Zola, Emile 69, 188 Waldemar I.) 205 Zuckerkandl-Szeps, Berta 46 Türkheim (?) 177 Zumbusch, Caspar von 47 Ullrich, Josef 12 Zweig, Stefan 6, 8, 78 Velázquez, Diego 153 Verhaeren, Emile 78, 200 Viebig, Clara 52, 68, 134, 211 Viktor Emanuel III. (König von Italien) 264, 265 Ville, Auguste Marquis de 106 Vinci, Leonardo da 222

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Ortsregister

Bei Ortschaften, deren deutsche Bezeichnung nicht allgemein bekannt ist, folgt die aktuelle amtliche Bezeichnung. Das Ortsregister nimmt nicht folgende häufig erscheinende Namen auf: Deutschland; Europa; Österreich; Schlesien; Strzebowitz; Wien.

Abbazia (Opatija) 69, 140, 153, 216 Budapest 115–117, 227, 243 Adriatisches Meer 69 Buenos Aires 27 Ägäisches Meer 55 Chiby (Chybie) 98 Ägypten 36, 55, 56, 58, 79 China 164, 165 Alt-Schmecks (Starý Smokovec) 50, 100 Chropin (Chropyně) 17–19, 48, 96, 241 Amerika (auch Südamerika) 26, 27, 55, Chudwein (Chudobín) 18 83, 206, 220, 222, 234, 246, 259, 264 Cisleithanien 9, 51 Argentinien 26, 27 Csöpöny (Čepeň) 169 Arles 54 Dänemark 106, 184, 204, 252 Athen 251, 252 Davos 191 Attersee 64 Delphi 55 Attika 55, 252 Detroit 259, 261 Australien 26, 261 Dobroslawitz (Dobroslavice) 12, 60 Avignon 54 Döbling 263 Balkan 239 Dresden 34, 51, 54, 111–113, 125, 134, Belgien 54, 78, 206, 233 187, 199, 218, 220 Beni Hasan 55 Eisenach 51 Berlin 11, 24, 26, 34, 39, 51–53, 62, 64, Elberfeld 220 66, 69, 71, 86, 109, 110, 120, 122, Finnland 210 123, 125, 127, 132, 134, 135, 139, Florenz 24, 30, 54, 73, 188, 222, 235, 142–144, 154, 155, 157, 160, 176, 245, 249, 250 178, 181, 185, 188, 202, 219, 226, Frankfurt an der Oder 255 227, 229, 230, 234, 235, 246, 256, 257 Frankreich 54, 143, 145, 205, 206, 208, Bielitz (Bielsko) 9, 249 226 Bodenstadt (Potštát) 59, 84 Freudenthal (Bruntál) 76, 77 Boston 59 Galizien 10, 15, 51, 243, 251 Brasilien 26 Gent 223 Bremen 121 Genua 55, 197 Breslau 11, 34, 52, 63–65, 131, 134, 135, Grätz (Hradec nad Moravicí) 58 155, Griechenland 36, 55 Brügge 54, 208 Großbritanien 27, 55 Brünn 37, 260 Halberstadt 16 Brüssel 24, 54, 78, 197, 199, 203, 209, Hamburg 26 212, 220, 226, 233, 247 Harz 220

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Heidelberg 35 Luxor 55 Helsinki 21, 63, 107 Lyon 54 Holland (siehe Niederlande) Mähren (auch Nordmähren) 7, 17, 37, Horn 64 40, 48, 79, 96, 164 Hradschin (Hradčany) 143 Mährisch-Ostrau (Moravská Ostrava) 10, Hultschin (Hlučín) 20, 77 18, 20, 74–76, 230 Hultschiner Ländchen (Hlučínsko) 10, 83 Mährisch-Schönberg (Šumperk) 18, 40 Innsbruck 9, 55 Mährische Wallachei 77 Interlaken 154 Mailand 55 Island 131, 226 Markt Janowitz (Vrchotovy Janovice) 57 Italien 54, 55, 166, 222, 235 Marseille 55 Jägerndorf (Krnov) 76, 260 Martinau (Martinov) 14, 20, 82 Jena 43, 51, 53 Mazedonien 202 Kairo 55 Mistek (Místek) 59 Karlsbad (Karlovy Vary) 50, 69, 79, 140, Montenegro 230 151, 153, 154, 157, 159, 165, 168, Moskau 220 174, 184, 208, 213, 216, 225, 234, München 237 239, 243, 252, 254 Nancy 54, 106 Karpaten 10 Narbonne 55 Karpatenrussland 37, 51 Neutitschein (Nový Jičín) 12, 77 Karthago 69 Niebory (Nebory) 14 Karwin (Karviná) 11, 29 Niederlande 169 Kaschau (Košice) 76 Nieder-Bludowitz (Dolní Bludovice) 15 Kassel 59 Nieder-Lindewiese (Dolní Lipová) 84 Kattowitz 11 Nieder-Schöbischowitz (Dolní Soběšo- Kiew 169 vice) 14 Königsberg 59, 204 Nîmes 54 Kopenhagen 7, 65, 66, 68, 69, 117, 134, Nürnberg 58, 198 137, 141, 142, 160, 164, 165, 167, Oder (Fluss) 10 179, 192, 194, 198, 215, 235 Oderberg (Bohumín) 11, 52, 116, 135, Korfu 211 198 Krain 73 Olmütz (Olomouc) 37 Krakau (Kraków) 74 Oppa (Opava, Fluss) 10, 13 Kremsier (Kroměříž) 17 Orient 51 Kreuznach 165, 167 Ostrau (Ostrava, siehe auch Mährisch- Kuchelna (Chuchelná) 58, 78 -Ostrau) 10, 23, 29, 37, 75, 88, 245 Kuhländchen 77 Ostrawitza (Ostravice, Fluss) 10 Leipzig 34, 35, 54, 163, 214, 227 Ostsee 184 Lemberg 32, 156, 157 Palermo 237 Livorno 237 Paris 54, 69, 169, 178, 179, 183, 192, London 144 193, 205, 206, 208, 213, 233, 234

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Patras 55 Tatra 157 Peloponnes 55 Teheran 169 Polen 10, 51, 111, 145, 147, 167, 175 Teschen (Cieszyn/Český Těšín, auch Prag 37, 39, 51, 52, 56, 64, 76, 87, 143, Teschener Schlesien/Land) 9, 10, 14, 155, 247 20, 32, 83 Prerau (Přerov) 48, 241 Tetschen-Bodenbach (Děčín-Podmokly) Preßburg (Bratislava) 76 51 Preußen 9, 66, 175 Thessalien 55 Provence 37, 54, 248 Tiflis 169 Przemyśl 240, 243 Tirol 9 Reims 37, 54 Trentschin (Trenčín) 153, 157 Rhein 198 Trentschin-Teplitz (Trenčianske Teplice) Riesengebirge 111 50, 79, 243 Rigi 188 Troppau (Opava) 9, 10, 20, 56, 74–77, Rom 8, 24, 25, 27, 37, 54, 85, 86, 217, 82, 86, 88, 98, 113, 135, 153, 161, 253, 257, 261, 267, 268 209, 260, 268 Rosenau (Rožnov pod Radhoštěm) 77 Trzynietz (Třinec) 14 Rosenberg (Ružomberok) 197, 203, 214 Tschechoslowakei 10, 37, 75, 76, 83, 87, Russland 191, 220, 246 245 Salzburg 64 Tunis 24, 55, 69, 72, 237, 238, 242 Sankt Petersburg 169 Ukraine 246, 251 Scheveningen 32, 54 Ungarn (auch Oberungarn) 14, 73, 100, Schönbrunn (Svinov) 10, 67, 73, 97, 98, 117, 120, 147, 157, 197, 198 116, 135, 137, 216 USA 24, 26, 34, 42, 71, 87 Schweiz 54, 55, 191 Venedig 253 Sedlnitz (Sedlnice) 77 Verdun 37, 54 Sibirien 25, 76, 244 Vorarlberg 9 Slowakei 37, 50, 76 Weidlingau 255 Spanien 37, 55, 85, 268 Weimar 51, 216 Stanislau (Stanislawiw, heute Iwano- Wienerwald 76 -Frankiwsk) 27, 252 Wildungen 255 St. Anton 155 Witkowitz 11, 17, 69, 167, 259, 260 Steiermark 39, 41, 73, 201 Wolhynien 220 Stockholm 178 Würzburg 215 Straßburg 37, 54 Zdislawitz (Zdislavice) 49, 79, 240 Stratford-upon-Avon 130 Zöptau (Sobotín) 17 Stuttgart 54, 214, 261 Zuckmantel (Zlaté Hory) 76, 77 Sudetengebirge 10 Zürich 73 Süßenbrunn 14 Tarascon 54, 248 Tarchan 56

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Zusammenfassung

Der Name Maria Stona taucht in der Korrespondenz, den Tagebüchern und den Memoiren solcher Persönlichkeiten auf wie Theodor Herzl, Bertha von Suttner, Hermann Bahr, Arthur Schnitzler, Marie von Ebner-Eschenbach, Peter Rosegger, Ernst Haeckel, Rudolf Steiner und Georg Brandes. Und trotzdem wissen wir über sie nur wenig. Die vorliegende biographische Skizze und die anschließende Edition beschäftigen sich mit der heute nahezu vergessenen Schriftstellerin Maria Stona und dem untergegangenen Zentrum der Schlosskultur, das sie um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert in Strzebowitz geschaffen hat. Die Literatur und die historische Überlieferung verbinden mit ihrem Schloss eine breite Palette von Persönlichkeiten europäischen Formats, vor allem aus dem Bereich der Kultur und der Intellektuellen (Theodor Herzl, Stefan Zweig, Karl Kraus, Georges Clemenceau u. a.). Deren vermeintliche Besuche in Strzebowitz gehören zu den populären Mythen der (Regional)Geschichte. Die Versuchung, in Maria Stona eine zweite Mechtilde Lichnowsky oder Sidonie Nádherny zu entdecken, war in der Vergangenheit zu stark, der Glanz der berühmten Namen war zu verführerisch, um die tatsächliche personale Zusammensetzung des „Salons“, der sich auf dem Schloss Strzebowitz im ehemaligen Österreichisch-Schlesien gebildet hatte, zu untersuchen. Das vorliegende Buch stellt Maria Stona zum ersten Mal als eine autonome künstlerische und kulturgeschichtliche Persönlichkeit dar. Mehrere Merkmale anderen Zentren der späten Schlosskultur gegenüber deuten auf die Einzigartigkeit von Stonas Strzebowitz hin. Die nicht besonders erfolgreiche, aber geistvolle Schriftstellerin und Dichterin Marie Scholz (Pseud. Maria Stona, 1859–1944) erscheint in diesem Buch als „die personifizierte österreichisch-schlesische Provinz“ mit allen ihren nationalen, konfessionellen und sozialen Widersprüchen. Stona charakterisierte sich einmal selbst als eine „geborene Stonawski [...] polnischen Ursprungs, deutscher Erziehung, österreichischer Anlage“ und somit als eine harmonische Mischung slawischer und germanischer Elemente. Im Gegensatz zur absoluten Mehrheit der österreichischen Staatsbürger war Stona Protestantin − wie so viele Ostschlesier. In sozialer Hinsicht gehörte sie – obwohl sie eine Schlossherrin und somit in den Augen der Dorfbewohner eine Gräfin war – dem gehobenen Bürgertum an. In ihren Büchern präsentiert sie sich aber als eine Aristokratin. So scheint ihre Lebensgeschichte einen begehbaren Weg zum Verständnis der österreichischen Provinz im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert aufzuzeigen. Obwohl die Besuche von Stefan Zweig, Karl Kraus, Theodor Herzl oder Georges Clemenceau in Strzebowitz wahrscheinlich in das Reich der Fiktionen gehören, bleibt der Kreis von Künstlern und Intelektuellen, den Maria Stona um sich versammelte, ein interessantes Forschungsthema. Stona verkehrte in Wien im liberalen Umfeld um den Reichsratsabgeordneten und Philosophen Bartholomäus von Carneri, wo sie u. a.

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den Esoteriker Rudolf Steiner, die erste Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner, den deutschen Biologen Ernst Haeckel, den Begründer des Zionismus Theodor Herzl oder die damals erfolgreiche Schriftstellerin und Dramatikerin Marie Eugenie delle Grazie kennenlernte. Sie besuchte die Salons von Ida von Gutmann oder Dora von Stockert-Meynert und befreundete sich in der Metropole mit zahlreichen bekannten Persönlichkeit wie Arthur Schnitzler, Richard Schaukal, Richard Kralik und Marie von Ebner-Eschenbach. Von zentraler Bedeutung war die Freundschaft mit dem dänischen Polyhistor Georg Brandes. Manche von den genannten Künstlern und Intelektuellen haben sie sogar auf ihrem Schloss Strzebowitz besucht: Rudolf Steiner, Georg Brandes, Bertha von Suttner, des Weiteren auch der deutsch-jüdische Journalist und Schriftsteller Ludwig Jacobowski, der Dramatiker Franz Theodor Csokor, der modernistische Maler Carry Hauser oder die spätere Psychoanalytikerin Melanie Klein. Ein wichtiges Element des kulturellen Strzebowitz war auch Stonas Tochter Helene, die als Bildhauerin persönlich die österreichische Kaisern Zita, den Stabschef der österreichisch-ungarischen Armee Franz Conrad von Hötzendorf, Stefan Zweig, die Bildhauer Auguste Rodin und Max Klinger, den symbolistischen Maler Fernand Khnopff u. a. traf. Weil das Strzebowitzer Schlossarchiv ebenso wie das ganze Strzebowitzer Schloss infolge des Zweiten Weltkriegs vernichtet worden sind, herrschte um Maria Stona lange Zeit ein Informationsvakuum vor. Legenden und Spekulationen fanden einen fruchtbaren Nährboden. Der zweite Teil des vorliegenden Buches, der die ausgewählten Briefe von Maria Stona an verschiedene Adressaten für ein interessiertes Publikum zugänglich macht, versucht der Fachöffentlichkeit eine verlässlichere Erkenntnisquelle zu diesem kulturellen Zentrum in der Peripherie vorzustellen. Dies ermöglicht es auch, diverse, bisher wenig bekannte Kapitel aus dem Leben mehrerer berühmter Persönlichkeiten der mitteleuropäischen Kultur zu schildern. Martin Pelc

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