„Jeder will als Held sterben…“

Kriegserfahrungen und Männlichkeitskonstruktionen von österreichisch- ungarischen Soldaten im Ersten Weltkrieg

Masterarbeit eingereicht an der Philosophisch-Historischen Fakultät der Leopold-Franzens- Universität Innsbruck zur Erlangung des akademischen Grades

Master of Arts

von

Kofler Sabine Viktoria

(Matrikelnummer 00918160 – Studienkennzahl C 066 803)

betreut durch ao. Univ.-Prof. Dr. Gunda Barth-Scalmani Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie

Innsbruck, Juni 2018

Widmung

Für ihre liebevolle und fortwährende Unterstützung während meines Studiums sei an dieser Stelle meinen Eltern Susanna Berta Weiss und Franz Kofler gedankt.

Inhalt

1. Einführung 5 1.1. Forschungsthema und Fragestellungen 5 1.2. Forschungsstand 6 1.3. Methodik und Aufbau 11 1.4. Die Quellen 13 2. Die Kriegserfahrungen von Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg 19 2.1. Kriegserfahrungen als historische Analysekategorie 19 2.2. Die „Offiziersgeschichtsschreibung“ in der Nachkriegszeit 21 2.3. Kriegserinnerungen von österreichischen Soldaten 25 3. Ein Krieg der Nerven 28 3.1. Der Krieg und die Neurastheniker 28 3.2. „Kriegsneurosen“, „Kriegshysteriker“ und deren Behandlung 31 3.3. Nervöse Soldaten oder Nervenkrieger? 38 4. Die moderne Kriegsführung 42 4.1. Die Schrecken der Artillerie 42 4.2. Die neuen Waffen des Krieges 50 4.2.1. Die technischen Entwicklungen im Krieg 50 4.2.2. Der Gaskrieg 53 4.2.3. Der Luftkrieg 58 5. Die Kriegsfronten 66 5.1. Der Krieg im Osten 1914 66 5.1.1. Frontängste: Spione, Kosaken und Seuchen 70 5.1.2. Bewegungs-, Stellungskrieg und der Schützengraben 74 5.1.3. Rumänien – Die vergessene Front 77 5.2. Die Südfront – Der Krieg gegen Italien 80 5.2.1. Der italienische Kriegseintritt 80 5.2.2. Die Alpenfront und der Mythos Gebirgskrieg 85 5.2.3. Die Isonzofront und der Karstkrieg 95 6. Die soldatischen Tugenden 103 6.1. Militärische Männlichkeiten 103 6.2. Die Untugenden eines Soldaten 111 6.2.1. Desertion und Strafen 111

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6.2.2. Feigheit und Kameradschaft 119 6.2.3. Todesängste, Gewalt und das Töten 130 7. Fazit 138 8. Bibliographie und Quellenverzeichnis 141 8.1. Quellen 141 8.2. Bibliographie 141 8.3. Internetquellen 152

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1. Einführung

1.1. Forschungsthema und Fragestellungen

2018 wird das letzte Jahr der Gedenkjahre 1914-1918 zum Zentenarium des Ersten Weltkrieges sein. Eine Reihe von Veranstaltungen, Gedenkfeiern und Publikationen haben den Ersten Weltkrieg wieder in den Vordergrund der allgemeinen Aufmerksamkeit und öffentlichen Interesses gedrängt. Institute und Archive konnten durch die Aufarbeitung des umfangreichen Quellenmaterials wertvolle historische Dokumente aus dieser bewegenden europäischen Zeitphase präsentieren.1 Zahlreiche Organisationen in verschiedenen Staaten haben sich den Auftrag gestellt, mithilfe interaktiver Medien, den Ersten Weltkrieg der heutigen Bevölkerung näher zu bringen. Ein besonderes Anliegen dieser Organisationen ist es, dieses Ereignis, das spürbare Auswirkungen in der Welt hinterlassen hatte, nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.2 Unzählige Fachliteratur hat sich in diesen Gedenkjahren den verschiedensten Themen des Ersten Weltkrieges gewidmet und steht Interessierten zur Auswahl. Eine Fülle von Dokumentarfilmen, Fotoausstellungen und sogar Romanen sollen die Schicksale der Menschen aus dieser Zeit zugänglicher machen.3 Die Bearbeitung und Publikation von persönlichen Tagebüchern, Biographien und Erinnerungen bilden dabei einen Schwerpunkt des Interesses, denn Zeitzeugen und Kriegsteilnehmer vermitteln den Lesern des 21. Jahrhunderts einen konkreten und oftmals intimeren Einblick in die Gedanken und Erfahrungswelt der Menschen von damals. Kriegstagebücher erlebten einen erkennbaren Aufschwung in der jüngsten Publikationswelle, ermöglichten diese schriftlichen Aufzeichnungen doch einen wertvollen Einblick in den Alltag, die Lebensumstände und Erfahrungen der Soldaten. Aus diesem gegebenen Anlass stellt sich auch diese Masterarbeit in die Reihe von wissenschaftlichen Arbeiten, die sich mit den Kriegserfahrungen von Soldaten im Ersten Weltkrieg befassen. Das Hauptaugenmerk wird hierbei auf die Erfahrungswelt der österreichisch-ungarischen Soldaten anhand ihrer schriftlichen Hinterlassenschaften, die sie während des Krieges und teils in einigem zeitlichen Abstand festgehalten haben, gelenkt. In

1 Beispielsweise das Österreichisches Staatsarchiv, 1914-2014 100 Jahre Erster Weltkrieg, o. D., [http://wk1.staatsarchiv.at], eingesehen 16.05.18; Das Bundesarchiv, 100 Jahre Erster Weltkrieg 1914-1918, o.D., [https://www.ersterweltkrieg.bundesarchiv.de], eingesehen 16.05.18. 2 WW1. Dentro la Grande Guerra, o.D., [http://www.grandeguerra100.it], eingesehen 18.05.2018; Centenary, o. D., [http://ww1centenary.oucs.ox.ac.uk/], eingesehen 18.05.2018; Mission Centenaire 14-18, o. D., [http://centenaire.org/fr], eingesehen 18.05.2018. 3 Eine Auflistung unterschiedlicher Medien findet sich unter: 2014-2018. Hundert Jahre Erster Weltkrieg. Gegen das Vergessen, o. D., [http://www.100-jahre-erster-weltkrieg.eu/literatur-medien.html], eingesehen 18.05.2018. 5

diesem Sinne wird untersucht, inwiefern sich das Soldaten- und Männlichkeitsbild während des Krieges verändert und entwickelt hat. Bei der Lektüre der Quellen fiel die Wahl auf vier zentrale Faktoren, die für diesen Prozess ausschlaggebend waren und für eine Analyse der Kriegserfahrungen von besonderen historischen Interesse sind. Die Auswirkungen des Krieges auf die Nerven und deren Widerstandskraft wurde in allen Quellen angesprochen, weshalb es naheliegt den zeitgenössischen Diskurs näher zu betrachten und zu untersuchen inwieweit dieser Krieg viele Männer bis an die Grenzen ihrer psychischen Belastungskraft brachte. Ein weiterer wichtiger Punkt, der in den Quellen oft angeführt wird, waren die neuen Waffen und Technologien dieses Krieges. Die Tagebuchschreiber waren aufmerksame Zeugen ihrer Zeit und beobachteten intensiv, wie sich durch den Einsatz moderner Kriegswaffen der Krieg und seine Soldaten veränderten. So wie die Waffen dem Krieg nachhaltig einen anderen Charakter gaben, unterschieden sich auch die verschiedenen Fronten und die Kriegsführung von den vorherigen Kriegen in Europa. Ein Soldat an der galizischen Ostfront erlebte nicht denselben Krieg als der Soldat im friulanischen Karstgebiet. Ein letzter wesentlicher Punkt in der unterschiedlichen Wahrnehmung der Soldaten liegt in den militärischen Fähigkeiten, welche im Krieg und in der Nachkriegszeit propagiert wurden. Dabei ist es interessant herauszuarbeiten, welche besonderen militärisch-männlichen Tugenden und Untugenden diese Männer verkörperten und an anderen beobachteten. Damit ist ein weiteres spannendes Thema angesprochen, dem sich diese Arbeit widmen wird. In Berücksichtigung einer inklusiven und interdisziplinären Forschung, versteht sich diese Arbeit auch als ein Beitrag zur Geschlechtergeschichte des Ersten Weltkrieges mit dem Fokus auf die Konstruktion bzw. Dekonstruktion von militärischen Männlichkeitskonzepten im Krieg.

1.2. Forschungsstand

Die Geschichtsschreibung zum Ersten Weltkrieg begann schon während des Krieges erste Formen anzunehmen. Dabei war der Hauptzweck dieser Tätigkeit, maßgeblich auf das Sammeln und Dokumentieren für eine spätere historische Aufarbeitung angelegt.4 Privatpersonen, Vereine, Museen, Archive und diverse staatlichen Einrichtungen sammelten systematisch Objekte und Dokumente, die mit dem Krieg in Verbindung standen. In Österreich

4 Gerd Krumreich/Gerhard Hirschfeld, Die Geschichtsschreibung zum Ersten Weltkrieg, in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn 2014, S. 304–315, hier S. 304. 6

fanden sich bis zu 91 solcher Kriegssammlungen.5 Die Sammler wollten in dieser historischen Umbruchsphase für die nachkommenden Historiker erste Vorarbeiten leisten. Die frühen kriegsgeschichtlichen Abhandlungen standen ganz unter der Leitung von Militärhistorikern und ehemaligen Offizieren, den „Generalstabshistorikern“, dessen Fokus zunächst auf den Darstellungen des Kriegsverlaufes lagen.6 Im Vordergrund standen deshalb in den Nachkriegsjahren die Untersuchungen der militärischen Pläne und Befehlshaber des Krieges. International spielte auch die Frage und Forschung nach den Ursachen und den Verantwortlichen des Krieges eine wesentliche Rolle. Deutschland, geprägt von den Versailler Verträgen, hielt lange Zeit an der These fest, das Deutsche Reich sei nicht allein am Ausbruch des Krieges schuldig.7 Zur Untermauerung der eigenen Thesen veröffentlichten die Archive Deutschlands, Österreichs, Frankreichs, Englands und der Sowjetunion Chroniken und Quelleneditionen von politischen Dokumenten aus der unmittelbaren Vorkriegszeit.8 Untersuchungen zu den wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Krieges wie jene der international angelegten Carnegie Stiftung blieben jedoch ohne große Nachahmer.9 Die Kriegsschuldfrage und die Handlungen der Akteure, die Geschichte der „großen Männer“ blieb für lange Zeit im Vordergrund der historischen Forschung. Erst die Thesen von Fritz Fischer (1908–1999) lösten 1961 in der deutschen Historikerzunft den ersten Historikerstreit nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges aus und entfachten, auch international beachtet, von Neuem die Debatte über die Kriegsschuldfrage Deutschlands. In einem Aufsatz von 1959 und seinem späteren Buch „Griff nach der Weltmacht“ widersprach Fischer dem vorherrschenden Forschungskonsens und argumentierte anhand offizieller Regierungsdokumente, das Deutsche Reich hätte bewusst einen europäischen Krieg heraufbeschwört, um die eigenen territorial-politischen Ansprüche durchzusetzen.10 Die Thesen Fischers trafen auf hartnäckigen Widerstand seiner Historikerkollegen, insbesondere von Gerhard Ritter (1888–1967) und sogar Politiker schalteten sich in die Diskussion ein.11 Einen neuen Anstoß in der Debatte über die Kriegsschuldfrage Deutschlands hat jüngst das Werk von Christopher Clark „Die Schlafwandler“ gebracht. Clark zeigt durch sein

5 Aibe-Marlene Gerdes, Sammeln. Dokumentieren. Erinnern? Die österreichischen Kriegssammlungen des Ersten Weltkrieges, in: Frontwechsel. Österreich-Ungarns „Großer Krieg“ im Vergleich, hrsg. v. Wolfram Dornik/Julia Walleczek-Fritz/Stefan Wedrac, Wien-Köln-Weimar 2014, S. 139–162, hier S. 139 f. 6 Krumreich/Hirschfeld, Geschichtsschreibung, S. 305. 7 Wolfgang J. Mommsen, Der große Krieg und die Historiker. Neue Wege der Geschichtsschreibung über den Ersten Weltkrieg (Stuttgarter Vorträge zur Zeitgeschichte 6), Essen 2002, S. 7. 8 Krumreich/Hirschfeld, Geschichtsschreibung, S. 307. 9 Mommsen, Krieg, S. 8. 10 Vgl. Fritz Fischer, Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschlands 1914/18, Düsseldorf 1961. 11 Krumreich/Hirschfeld, Geschichtsschreibung, S. 309. 7

umfangreiches Quellenstudium die äußerst komplexe Situation der europäischen Staaten in der Vorkriegszeit auf und kommt zu dem Schluss, alle beteiligten Großmächte waren bis zu einem Grad mitverantwortlich am Ausbruch.12 Die Fischer-Debatte führte letztendlich auch zu einer Umorientierung der bisherigen Methode, wonach vor allem politik- und diplomatiegeschichtliche Ansätze im Vordergrund standen. In den 1970er Jahren wandten sich deutsche Historiker, darunter auch Schüler von Fischer, vermehrt zu sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Fragestellungen des Ersten Weltkrieges.13 Die Kritik, dass bei diesen Ansätzen und Methoden die Lebenswelten der Menschen übersehen wurden, führte hin zum cultural turn der 1980er Jahre, wobei die Alltags- und Mentalitätsgeschichte sich nunmehr auf die Erlebnisse der Soldaten und Menschen im Krieg konzentrierten. Die Quellen für diese Ansätze bildeten die Tagebücher, Feldpostbriefe, Fotografien und Zeitungen der Soldaten.14 In Österreich kritisierte Fritz Fellner zu dieser Zeit, dass sich die Historiographie mit den Tagebüchern und Feldpostbriefen der Soldaten noch nicht ausreichend wissenschaftlich auseinandergesetzt hatte. Behandelt wurden entweder die Tagesberichte der militärischen Einheiten oder Tagebücher berühmter Männer in Politik und Gesellschaft.15 Die persönlichen Aufzeichnungen und Briefe von Soldaten an der Front blieben lange Zeit als Quelle für die Geschichtsschreibung unbeachtet. Für eine „Militärgeschichte von unten“ sind jedoch gerade diese Dokumente ein wichtiges Zeugnis für die Erforschung der „Kriegserfahrungen“ und des „Kriegsalltages“ der Soldaten. Die Verwendung und Analyse von unterschiedlichen Quellengattungen zur Erforschung einer „Alltagsgeschichte“ des Krieges verwies auf die historiographische Tradition der Annales-Schule aus den 1920er Jahren.16 Daran anschließend fand in den 1990er Jahren schließlich in einer „Kulturgeschichte“ des Krieges die Zusammenführung der Konzepte von Mentalitäten, Erfahrungen, Propaganda, Ideologien und Geschlechtergeschichte statt.17 Die Militärgeschichtsschreibung wurde auch nach 1945 noch getrennt von der Allgemeinen universitären Geschichtsschreibung erforscht. Der neue Begriff „Militärgeschichte“ ersetzte in den 1950er Jahren die bis dahin übliche Bezeichnung „Kriegsgeschichte“. Erstere übernahm

12 Vgl. Christopher Clark, Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog, München 2013; Jost Dülffer, Rezension zu: Christopher Clark, Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog, München 2013, Christopher Clark, The Sleepwalkers. How Europe went to war in 1914, London 2012, [https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-21416], eingesehen 24.05.2018. 13 Krumreich/Hirschfeld, Geschichtsschreibung, S. 310. 14 Ebd., S. 310 f. 15 Fritz Fellner, Der Krieg in Tagebüchern und Briefen. Überlegungen zu einer wenig genützten Quellenart, in: Österreich und der Große Krieg 1914–1918. Die andere Seite der Geschichte, hrsg. v. Klaus Amann/Hubert Lengauer, Wien 1989, S. 205–213, hier S. 205 f. 16 Krumreich/Hirschfeld, Geschichtsschreibung, S. 311. 17 Ebd., S. 312. 8

nach und nach die Methoden und Standards der Universitätshistorie, letztere verfolgte hingegen das Ziel, aus den vergangenen Kriegen Lehren und Theorien für zukünftige Kriege zu erörtern.18 In den 1970er Jahren verstand die Militärgeschichte ihre Arbeit zusehends auch als einen Beitrag zur Historischen Friedensforschung in Deutschland und wandte somit ihren Forschungsblick auf die Vermeidung künftiger Kriege. Die Impulse und Entwicklungen aus der allgemeinen Geschichtsforschung aufnehmend, wurden in der Militärgeschichte nun auch sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Fragestellungen, sowie die „Alltagsgeschichte“ der Soldaten untersucht. In den 1990er Jahren löste sich nunmehr die vielseits kritisierte Trennung zwischen Militärgeschichte und universitärer Geschichtsforschung auf.19 Eine neue „Renaissance der Militärgeschichte“ und die methodische Vielfalt in den Zugängen verstärkten die Bemühungen eine moderne neue Militärgeschichte zu schaffen.20 Die Militärgeschichte hat in den letzten Jahren diesen Wandel zu einer „erfahrungsgeschichtlichen“ Perspektive vollzogen und konnte damit wertvolle neue Forschungsergebnisse präsentieren.21 Die Universität Tübingen hatte beispielsweise hierzu seit 1999 einen Sonderforschungsbereich zur Thematik Kriegserfahrungen, Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit eingerichtet, der bis 2008 eine Fülle von Publikationen hervorbrachte.22 Seit ihrer Entstehung hat sich die Frauen- und Geschlechtergeschichte aus politischen Gründen vor allem mit Frauen in der Geschichte befasst, die so lange nicht im Blickpunkt der Historiographie gewesen waren. Aber schon 1976 wies Natalie Zemon Davies darauf hin, dass eine Geschlechtergeschichte die Geschichte beider Geschlechter, also Männer und Frauen in der Geschichte betrachten soll: „But it seems to me that we should be interested in the history of both women and men, that we should not be working only on the subjected sex any more than an historian of class can focus exclusively on peasants. Our goal is to understand the significance of the sexes, of gender groups in the historical past. Our goal is to discover the range in sex roles

18 Thomas Kühne/Benjamin Ziemann, Militärgeschichte in der Erweiterung. Konjunkturen, Interpretationen, Konzepte, in: Was ist Militärgeschichte?, hrsg. v. Thomas Kühne/Benjamin Ziemann (Krieg in der Geschichte 6), Paderborn 2000, S. 9–46, hier S. 11–13. 19 Ebd., S. 13–18. 20 Stig Förster, „Vom Kriege“. Überlegungen zu einer modernen Militärgeschichte, in: Was ist Militärgeschichte? (Krieg in der Geschichte 6), hrsg. v. Thomas Kühne/Benjamin Ziemann, Paderborn 2000, S. 265–281, hier S. 265 f. 21 Nikolaus Buschmann/Horst Carl, Zugänge zur Erfahrungsgeschichte des Krieges. Forschung, Theorie, Fragestellung, in: Die Erfahrung des Krieges. Erfahrungsgeschichtliche Perspektiven von der Französischen Revolution bis zum Zweiten Weltkrieg, hrsg. v. Nikolaus Buschmann/Horst Carl (Krieg in der Geschichte 9), Paderborn 2001, S. 11–26. 22 Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Sonderforschungsbereich 437 Kriegserfahrungen. Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit, aktualisiert am 17.01.2005, [http://www.sfb437.uni-tuebingen.de/F.htm], eingesehen 25.05.2018. 9

and in sexual symbolism in different societies and periods, to find out what meaning they had and how they functioned to maintain the social order or to promote its change.“23

In Deutschland äußerte Ute Frevert ihre Kritik daran, dass die Geschlechtergeschichte zum Frauenthema geworden war, Geschlechtergeschichte sollte jedoch auch Untersuchungen von „Weiblichkeiten“ und „Männlichkeiten“ in einem historischen Kontext beinhalten.24 Die ersten „Men`s Studies“ entstanden im angelsächsischen Raum, teilweise angeregt durch die Neue Frauenbewegung der 70er Jahre. Joseph Pleck und Jack Sawyer waren unter den Ersten, die sich mit einer „Geschichte der Männlichkeit“ auseinandersetzten.25 Die Men`s Studies lassen sich grob in zwei Phasen unterteilen. Von der Mitte der 70er bis zu den 90er Jahren konzentrierten sich die Forscher auf die Suche nach Vorläufen und Vorbildern. Es gab Studien, die Aspekte von Männlichkeiten thematisierten und theoretische Entwürfe zur Orientierung boten. Allerdings blieben die Fragestellungen auf die Lebenswelten von Männern aus der weißen Mittelschicht begrenzt. In der zweiten Phase, die bis heute andauert, entwickelte sich unter dem Label der „newer Men`s Studies“ und mit Einflüssen aus der Frauen- und Geschlechterforschung nun differenzierte Sichtweisen. Kategorien wie Rasse (race), Klasse, Sexualität, Religion, Alter usw. wurden integriert und der Wandel zum Plural „Männlichkeiten“ wurde betont.26 Das Forschungsfeld erweiterte sich damit um ein Vielfaches und war auch interdisziplinär angelegt. Eine kritische Männerforschung, die stark politisch und selbstreflexiv ist, entstand im deutschsprachigen Raum erst relativ spät. Die wichtigsten Untersuchungsfelder in der Männerforschung bilden dabei die Homosexualität, Militär, Sozialisation, Gewalt, Arbeit, Gesundheit und Vaterschaft.27 Als eines der frühesten und richtungsweisenden Werke ist hier „Männerphantasien“ von Klaus Theweleits zu nennen, der über das Verhältnis von Geschlecht, Sexualität und Faschismus schrieb.28 Ab den 90er Jahren begannen sich mehr Historiker und Historikerinnen mit dem Thema „Männlichkeit(en)“ in der Geschichte auseinanderzusetzen.

23 Natalie Zemon Davis, „Women’s History“ in Transition. The European Case, in: Feminist Studies 3 (1976), Nummer 3/4, S. 83–103, hier S. 90. 24 Jürgen Martschukat/Olaf Stieglitz, Geschichte der Männlichkeiten (Historische Einführung 5), Frankfurt a. M. 2008, S. 29 f. 25 Vgl. Joseph Pleck/Jack Sawyer, Men and Masculinity, Englewood Cliffs 1974. 26 Martschukat/Stieglitz, Geschichte, S. 35–37. 27 Ebd., S. 38. 28 Vgl. Klaus Theweleit, Männerphantasien, Frankfurt a. M. 1978. 10

Wertvolle Beiträge bilden etwa die Arbeiten von Thomas Kühne29, Ute Frevert30, Karen Hagemann31 und Martin Dinges.32 Christa Hämmerle plädierte zur Jahrtausendwende für eine Öffnung der neuen Militärgeschichte hin zu geschlechtsspezifischen Themen, im Sinne von einer „Symbiose von Militär- und Geschlechtergeschichte“.33 Für die Erforschung von Männlichkeiten im Ersten Weltkrieg kann deshalb auf eine Reihe von wertvollen Beiträgen zurückgegriffen werden. Christa Hämmerle ist dabei wohl eine der bekanntesten österreichischen Geschlechterforscherinnen, die sich mit einer Geschlechtergeschichte des Ersten Weltkrieges befasst hat.34 Einen weiteren wertvollen Beitrag hat der Historiker Ernst Hanisch hat mit seinen Arbeiten zu einer Geschichte der Männlichkeit(en) in Österreich geleistet.35 Monika Szczepaniak hingegen behandelt in ihrer Monographie ausführlich die unterschiedlichen militärischen Männlichkeiten in Deutschland und Österreich-Ungarn während des Ersten Weltkrieges.36

1.3. Methodik und Aufbau

Für diese Arbeit wurden verschiedene Kriegstagebücher aus unterschiedlichen Zeiträumen herangezogen. Damit soll ein möglichst breites Spektrum von Kriegserfahrungen gesammelt, verglichen und analysiert werden. Nach einer Einführung der historischen Analysekategorie „Kriegserfahrung“ wird zunächst ein Blick auf die österreichische Kriegsgeschichtsschreibung unmittelbar nach Kriegsende geworfen. Hier trug die sogenannte „Offiziersgeschichtsschreibung“ wesentlich zur kollektiven

29 Thomas Kühne (Hrsg.), Männergeschichte-Geschlechtergeschichte. Männlichkeiten im Wandel der Moderne (Geschichte und Geschlechter 14), Frankfurt a. M. 1996. 30 Vgl. Ute Frevert, „Mann und Weib, und Weib und Mann“. Geschlechter-Differenzen in der Moderne, München 1995. 31 Vgl. Karen Hagemann/Ralf Pröve (Hrsg.), Landsknechte, Soldatenfrauen und Nationalkrieger. Militär, Krieg und Geschlechterordnung im historischen Wandel, Frankfurt a. M. 1998. 32 Martin Dinges (Hrsg.), Männer-Macht-Körper. Hegemoniale Männlichkeiten vom Mittelalter bis heute (Geschichte und Geschlechter 49), Frankfurt a. M. 2005. 33 Christa Hämmerle, Von den Geschlechtern der Kriege und des Militärs. Forschungseinblicke und Bemerkungen zu einer neuen Debatte, in: Militärgeschichte in der Erweiterung. Konjunkturen, Interpretationen, Konzepte, in: Was ist Militärgeschichte?, hrsg. v. Thomas Kühne/Benjamin Ziemann (Krieg in der Geschichte 6), Paderborn 2000, S. 229–262, hier S. 262. 34 Christa Hämmerle, Heimat/Front. Geschlechtergeschichte/n des Ersten Weltkriegs in Österreich-Ungarn, Wien-Köln-Weimar 2014. 35 Ernst Hanisch, Die Männlichkeit des Kriegers. Das österreichische Militärstrafrecht im Ersten Weltkrieg, in: Geschichte und Recht. Festschrift für Gerhard Stourzh zum 70. Geburtstag, hrsg. v. Thomas Angerer/Brigitta Bader-Zaar/Margarete Grandner, Wien 1999, S. 313–338; Ders., Männlichkeiten. Eine andere Geschichte des 20. Jahrhunderts, Wien 2005. 36 Monika Szczepaniak, Militärische Männlichkeiten in Deutschland und Österreich im Umfeld des Großen Krieges. Konstruktionen und Dekonstruktionen, Würzburg 2011. 11

Kriegserinnerung der Nachkriegszeit bei. Populäre Kriegsromane und publizierte Kriegstagebücher bzw. Kriegserinnerungen von österreichischen Soldaten taten ihr Übriges, um der Leserschaft, ein bestimmtes Kriegsbild in schriftlicher Form näher zu bringen. Das nächste Kapitel wird sich mit den Nerven und dem zeitgenössischen medizinischen Nervendiskurs befassen. Es zeigte sich bald, dass dieser moderne Krieg die psychischen Kräfte vieler Soldaten überstrapazierte. „Nervenleiden“ traten vermehrt in Erscheinung und die Ärzte versuchten mit unterschiedlichen Methoden die kranken Soldaten wieder kriegsfähig zu machen. „Kriegszitterer“, „Kriegshysteriker“ und „nervöse“ Soldaten untergruben und schwächten das Bild vom „männlichen Krieger“. Neue „nervenstarke“ Männlichkeitskonstruktionen mussten gebildet werden, um dieser „Krise der Männlichkeit“ entgegenzuwirken. Vor allem die modernen Waffen und Kriegstechnologien, wie das stundenlange Trommelfeuer der Artillerie, der Gas- und Luftkrieg zehrten an den Nerven der Soldaten, weshalb im nächsten Kapitel die neuartigen Waffengattungen und technologischen Entwicklungen des Krieges im Fokus stehen werden. Daran anknüpfend hat sich auch das Selbstbild der Soldaten tiefgreifend verändert, die nun nicht mehr in Reih und Glied vorwärts marschierten, sondern sich im Stellungskrieg tief in ihre Schützengräben verkrochen und ihren Feind meist nicht mehr zu Gesicht bekamen. Die neuen Kriegswaffen und Strategien eines Stellungskrieges verwandelten und zerstörten ganze Landschaften und gaben jeder Front ihren kriegsimmanenten Charakter. Das fünfte Kapitel widmet sich daher zunächst eingehend dem östlichen Kriegsschauplatz und den dortigen Verhältnissen. Ob Spione, Kosaken oder epidemische Seuchen: diesen Frontängsten mussten sich die Männer im Herbst und Winter 1914 stellen. Ein kurzer Krieg, der nur bis Weihnachten 1914 dauerte, blieb eine Illusion, von der sich viele Soldaten nach den schweren und verlustreichen Kämpfen in Galizien verabschiedeten. Der Stellungskrieg gab diesem Krieg seinen Charakter und hinterließ bei vielen Soldaten Resignation und Enttäuschung. In diesem Abschnitt der Arbeit wird sodann die Aufmerksamkeit auf den rumänischen Kriegsabschnitt gelenkt, eine in der westlichen Weltkriegsforschung lange Zeit vernachlässigten Front. In einem nächsten Schritt wird der Krieg gegen Italien untersucht werden. Der Großteil der Autoren verbrachte einen Teil des Krieges an der neu eröffneten Südfront, weshalb in erster Linie ein detaillierter Blick auf die italienische Innen- und Außenpolitik geworfen wird, die den Intervento und den Bruch mit den ehemaligen Bündnispartnern zur Folge hatte. Eine Herausforderung für die Armee bildete die Gebirgsfront in den südlichen Alpen. Hier musste nicht nur gegen den zahlenmäßig überlegenen Feind, sondern auch gegen die Naturgewalten

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gekämpft werden. Neue Kampfmethoden, wie der Minenkrieg im Gebirge, erreichten hier schrecklichere Dimensionen und Ausmaße als an anderen Fronten. Stellungen aus Fels und Eis mussten mühsam erbaut, Nachschubwege in das unzugängliche Gebiet angelegt werden und Stollen wurden in den Berg hineingetrieben und dann gesprengt. Dies alles und die Berglandschaft trug jedoch im Nachhinein zu einer Romantisierung des Gebirgskrieges bei. Der Mythos des „Gebirgskrieger“, wiederum mit männlichen Kriegstugenden assoziiert, fand hier seinen Ursprung und seine Weitertradierung in der Zwischenkriegszeit. Der Krieg am Isonzo und im Karstgebirge entwickelte hingegen eine andere Dynamik, die wiederum einen neuen „Kriegertypus“ hervorbrachte. Der Abnützungskrieg, die Materialschlachten und die verstörenden Anblicke des Krieges, veränderten nachhaltig das Soldaten- und Kriegerbild. In einem letzten Kapitel werden deshalb die militärischen Soldatentugenden, die Verhaltensweisen und auch Untugenden der Männer näher betrachtet. Dabei ist hervorzuheben, welche Soldateneigenschaften die Autoren in ihren schriftlichen Beobachtungen von sich selbst und anderen Männern besonders wertschätzten oder ablehnten.

1.4. Die Quellen

Die ausgewählten Quellen für diese Arbeit sind private Tagebücher und Kriegserinnerungen von deutschsprachigen Soldaten der k.u.k. Armee. Private Aufzeichnungen, wie Briefe und Tagebücher geben einen besonders wertvollen Einblick in das Soldatenleben. Erst in den 1980er Jahren wurde diese Quellengattung auch im deutschsprachigen Raum vermehrt herangezogen. Vor allem für die Erforschung des „Kriegsalltags“ und um der offiziösen Geschichtsschreibung eine Perspektive „von unten“ entgegenzusetzen, dienten Selbstzeugnisse der Soldaten als Quellen.37 Besonders in Umbruchzeiten, wie es etwa der Erste Weltkrieg war, verarbeiteten viele Männer und Frauen ihre Erlebnisse in Tagebüchern. Ein Großteil der verfassten Erinnerungen war lediglich für den privaten Gebrauch gedacht, ein kleinerer wurde für eine spätere Publikation geschrieben.38 Bei der Arbeit mit Kriegstagebüchern stellen sich von vornherein Fragen nach der Intention und Funktion der Tagebücher für die Verfasser. Für manche Autoren, wie Erich Mayr, war das

37 Mommsen, Krieg, S. 25 f. 38 Michael Epkenhans/Stig Förster/Karen Hagemann, Einführung. Biographien und Selbstzeugnisse in der Militärgeschichte – Möglichkeiten und Grenzen, in: Militärische Erinnerungskultur. Soldaten im Spiegel von Biographien, Memoiren und Selbstzeugnissen, hrsg. v. Michael Epkenhans/Stig Förster/Karen Hagemann (Krieg in der Geschichte 29), Paderborn 2006, S. IX–XVI, hier S. XII f. 13

Tagebuchschreiben hauptsächlich ein Hilfsmittel, seine Gedanken jemanden anzuvertrauen: „Heute, liebes Büchlein, kommt mir so recht zum Bewusstsein, was für ein guter Freund du mir bist. Habe ich doch sonst niemand, dem ich mein Weh klagen kann, als dich.“39 Einen anderen Grund fand hingegen Constantin Schneider, den er am Schluss seiner Aufzeichnungen niederschrieb: „Und damit ich die Erinnerungen nicht als Ballast in mein neues Leben mitnehme, zeichnete ich sie auf.“40 Gänzlich anders formulierte Josef Pölzleitner seine Schreibabsichten für sein erstes publiziertes Kriegsbuch: „Den Krieg soll es schildern, wie ihn der Frontsoldat sah und fühlte, erzählen soll es, wie er im Schützengraben lebte und im Hochgebirge gegen Feind und Witterung kämpfte, wie er im feuchten Unterstande von der Heimat träumte und in den Greueln des Trommelfeuers alle Menschenqual erdulden musste.“41

Die Autoren, ob sie nun nur für sich oder ein größeres Publikum schrieben, waren beim Schreiben immer von verschiedenen Faktoren und Einflüssen umgeben, die sich in der Themenwahl und gelegentlichen (Selbst)Zensur niederschlugen.42 Die Tagebücher, die erst nach dem Krieg niedergeschrieben wurden, litten dabei besonders unter Streichungen oder Überarbeitungen und können somit kein vollständiges Bild mehr abgeben. Ebenso waren die Tagebücher geprägt von dem sozialen Umfeld und persönlichen Erfahrungswelt der Autoren.43 Zwar ist jedes Kriegstagebuch, und damit das individuelle Kriegserlebnis, als Einzelstück zu betrachten,44 doch können durch einen Vergleich von mehreren Kriegserinnerungen historisch wertvolle Aussagen hinsichtlich der „Kriegserfahrungen“ von Soldaten im Ersten Weltkrieg getätigt werden. Die hier untersuchten Quellen sollen dabei eine Zusammenstellung von privaten Tagebüchern und veröffentlichten Kriegsbüchern der Zwischenkriegszeit sein. In der Fachliteratur wurden bereits die Kriegserinnerungen von Constantin Schneider mehrmals zitiert. Seine Schriften zeichnen dabei das Bild eines Berufsoffiziers, der den Krieg von Beginn bis zum Ende, mithilfe seiner militärischen Kenntnisse, genau beobachtete und zahlreiche

39 Isabelle Brandauer, „Der Krieg kennt kein Erbarmen.“ Die Tagebücher des Kaiserschützen Erich Mayr (1913 – 1920), hrsg. v. Gunda Barth-Scalmani/Hermann Kuprian/Brigitte Mazohl (Schriftenreihe des Zentrums für Erinnerungskultur und Geschichtsforschung 2), Innsbruck 2013, S. 104. 40 Constantin Schneider, Die Kriegserinnerungen 1914-1919, eingeleitet, kommentiert und herausgegeben von Oskar Dohle (Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs 95), Wien-Köln-Weimar 2003, S. 641 41 Josef Pölzleitner, Landsturm im Hochgebirge. Das österreichische Landsturm-Infanteriebataillon Nr. 165 an der italienischen Front, Salzburg 1929, S. 3. 42 Bernhard Mertelseder/Sigrid Wisthaler, Soldat und Offizier in ihren Erinnerungen. Methodische Überlegungen zu österreichischen Kriegstagebüchern, in: Ein Krieg – zwei Schützengräben. Österreich – Italien und der Erste Weltkrieg in den Dolomiten 1915–1918, hrsg. v. Brigitte Mazohl-Wallnig/Herman Kuprian/Gunda Barth- Scalmani, Bozen 2005, S. 63–86, hier S. 68. 43 Ebd., S. 69. 44 Isabelle Brandauer, Kriegserfahrungen. Soldaten im Gebirgskrieg, in: Katastrophenjahre. Der Erste Weltkrieg und Tirol, hrsg. v. Hermann J. W. Kuprian/Oswald Überegger, Innsbruck 2014, S. 385–400, hier S. 396. 14

Selbstreflexionen für sich und die Armee anstellte. Von Oskar Dohle wurden die handschriftlich verfassten Papierbögen 2003 in einer Edition kommentiert und herausgegeben.45 Als Sohn eines Offiziers schlug Constantin Schneider (1889–1945) die Laufbahn eines Berufsoffiziers der k.u.k. Armee ein. Am 1. Mai 1914 wurde er zum Oberleutnant befördert und bei Kriegsausbruch im Sommer an die Ostfront stationiert. Nach der Kriegserklärung Italiens wurde Schneider mit seinem Regiment an die neue Front im Süden verlegt. Mit kurzen Unterbrechungen verblieb er als Generalstabsoffizier bis Kriegsende an der Südfront, wo er die Gefechte am Isonzo und Piave miterlebte. Nach dem Waffenstillstand im November 1918 geriet Schneider in italienische Kriegsgefangenschaft, die er bis 1919 in einem Lager bei Monte Cassino verbrachte.46 Schneider führte wohl während des Krieges ein Tagebuch, das er als Grundlage für seine in der Kriegsgefangenschaft begonnenen Aufzeichnungen verwendete. Einige Tagebuchfragmente sind noch erhalten geblieben.47 Eine Edition von Erich Mayrs Tagebüchern präsentierte 2013 die Historikerin Isabelle Brandauer. In vier handgeschriebenen Notizbüchern, in Kurrent- und Gabelsberger Kurzschrift verfasst, hielt Mayr seine Kriegserlebnisse, beginnend mit seinem Wehrdienst 1913 und bis zur Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft 1920, in regelmäßigen Einträgen fest.48 Erich Mayr (1890–1965) stammte aus einer kinderreichen und armen Familie aus Brixen.49 Nach dem frühen Tod seiner Eltern konnte sich sein Wunsch nach einer künstlerischen Ausbildung nicht erfüllen und auf Druck seiner Familie wurde er Staatsbeamter. Sein Einjährig-Freiwilligenjahr absolvierte er 1913 und nach nur acht Wochen Ausbildung wurde er in das Ersatzheer überstellt.50 Bei Kriegsbeginn wurde Mayr zu seinem Regiment eingezogen, gelangte allerdings erst im Februar 1915 nach Galizien. Im Juli 1915 wurde er an die Südwestfront versetzt, dort verletzt und versah seinen Kriegsdienst bis Juli 1918 in einer Kanzlei in Krems. Erst kurz vor Kriegsende wurde er mit dem Kommando einer Granatwerferabteilung im Raum Levico betraut und geriet am 1. November 1918 in Asiago in französische Gefangenschaft. Am 7. Januar 1920 kehrte er, gesundheitlich schwer angeschlagen, in die Heimat zurück.51 2015 wurden die Kriegserinnerungen des Violinisten Fritz Kreislers aus dem englischen Original „Four Weeks in the Trenches – The War Story of a Violinist“ (1915) für das

45 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 9 f. 46 Ebd., S. 11–13. 47 Ebd., S. 15 f. 48 Mayr, Tagebücher, S. 21. 49 Ebd., S. 11. 50 Ebd., S. 13–17. 51 Ebd., S. 32–35. 15

deutschsprachige Publikum übersetzt und kommentiert.52 Der international erfolgreiche und berühmte jüdische Wiener Violinist und Komponist Fritz Kreisler (1875–1962) verbrachte von allen hier untersuchten Quellen die kürzeste Zeit im Kriegseinsatz. 1914 rückte der Reserveoffizier der Infanterie Kreisler, der mit seiner Frau auf einer Kur in der Schweiz weilte, freiwillig zu seinem steirischen Landesschützenregiment ein und wurde an die Ostfront nach Galizien versetzt.53 Hier verblieb er bis zu seiner Verwundung im September 1914 nahe Komarno (heutige Westukraine) und wurde als „kriegsinvalid“ aus dem aktiven Dienst entlassen.54 Noch im selben Jahr übersiedelten Kreisler und seine Frau Harriet nach New York. Nach einem Gespräch mit dem amerikanischen Verleger Ferris Lowell Greenslet (1875–1959) und auf dessen Drängen, verfasste Kreisler 1915 seine Erinnerungen an den Krieg im Osten.55 Nach dem Krieg begab sich Kreisler weiterhin auf Konzerte rund um die Welt, musste 1938 als jüdischer Künstler aus Österreich emigrieren und nahm die französische Staatsbürgerschaft an.56 1940 wanderte er endgültig in die USA aus, bekam 1943 die amerikanische Staatsbürgerschaft verliehen und konvertierte 1947 zum Katholizismus. 1960 wurde er für seine künstlerischen Leistungen von der Stadt Wien mit dem Karl-Renner Preis ausgezeichnet.57 In seinen Erinnerungen schilderte Kreisler die ersten Kriegstage, Feindkontakte und Gefechte im Sommer/Herbst 1914 am östlichen Kriegsschauplatz aus Sicht eines städtischen Künstlers. Seine ersten Kriegserinnerungen publizierte Josef Pölzleitner (1880–1961) im Selbstverlag 1929. Dieses Buch beschrieb, in der Art der Regimentstagebücher, hauptsächlich die Kriegseinsätze des Landsturmbataillons, dem Pölzleitner als Offizier angehörte. Mehrere Berichte stammten, von Pölzleitner nacherzählt, von seinen Kameraden im Krieg. Der Autor trat in diesem Kriegsbuch stark in den Hintergrund. In seinem zweiten Buch hingegen beschrieb Pölzleitner, von Beruf Lehrer, zwar die gleichen Handlungen wie im ersten Buch, dafür aber detaillierter und persönlicher in seinen Gedanken und Erlebnissen.58 Otto Gallian (1896–1944?) beschäftigte sich ebenso nach dem Krieg eingehend mit dem Verfassen von Kriegsbüchern. Seine Kriegserinnerungen „Monte Asolone 1918“ von 1933

52 Hellsberg, Clemens/Oliver Rathkolb (Hrsg,), Fritz Kreisler, Trotz des Tosens der Kanone. Frontbericht eines Virtuosen, Wien 2015. 53 Oliver Rathkolb, Friedrich „Fritz“ Max Kreisler. Vom Reserveoffizier zum Chronisten des Totalen Krieges 1914, in: Fritz Kreisler, Trotz des Tosens der Kanone. Frontbericht eines Virtuosen, hrsg. v. Clemens Hellsberg/Oliver Rathkolb, Wien 2015, S. 20–27, hier S. 22 f. 54 Ebd., S. 23. 55 Ferris Greenslet, Vorwort, in: Fritz Kreisler, Trotz des Tosens der Kanone. Frontbericht eines Virtuosen, hrsg. v. Clemens Hellsberg/Oliver Rathkolb, Wien 2015, S. 30–31. 56 Thomas M. Langner, Kreisler, Fritz, in: Neue Deutsche Biographie 12 (1979), S. 738 f. Onlinefassung [https://www.deutsche-biographie.de/pnd119069261.html], eingesehen 28.05.2018. 57 Rathkolb, Friedrich „Fritz“ Max Kreisler, S. 26 f. 58 Josef Pölzleitner, Berge wurden Burgen. Erzählungen eines Frontkämpfers, Salzburg 1934. 16

erhielt dabei besondere Aufmerksamkeit und wurde in mehreren Auflagen veröffentlicht.59 In diesem Buch verarbeitete Gallian seine Kriegserlebnisse vom Dezember 1917 bis zum Ende des Krieges, der italienischen Kriegsgefangenschaft, seiner Flucht und Heimkehr im August 1919. Bei Kriegsausbruch trat er freiwillig in die Armee ein, war zuerst an der östlichen Front und dann an der Südfront stationiert. Sein Einsatzgebiet bildete dabei das Grappa-Massiv in den südlichen Dolomiten. Seine Aufzeichnungen vermitteln die ungeheuerlichen Anstrengungen, welche die Soldaten im letzten Kriegsjahr ausgesetzt waren. Berichten zufolge wurde Leutnant Otto Gallian im Zweiten Weltkrieg in den Ardennen getötet.60 Ein Manuskript, das 1916 von dem steirischen Unterjäger Hans Pölzer geschrieben wurde, erschien 1993 im Österreichischen Milizverlag. Auf knapp 30 Seiten schilderte der 1894 geborene Pölzer drei ereignisreiche Tage, die er in der vierten Isonzoschlacht an der Südfront verbrachte. Eindrucksvoll und rücksichtslos ehrlich berichtete Pölzer von den Schrecken des Krieges an dieser Front. Bei Kriegsausbruch meldete er sich freiwillig und hielt seine Erlebnisse als Rekrut und Frontkämpfer in Russland und Italien schriftlich in mehreren Tagebüchern fest. Pölzer hatte ein musikalisches und schriftstellerisches Talent, konnte seine künstlerischen Pläne und Vorhaben, darunter die Vertonung einer selbstverfassten Oper, allerdings nicht mehr verwirklichen. Er verstarb Ende 1917 in der zwölften Isonzoschlacht.61 Der Österreichische Milizverlag publizierte noch weitere Kriegstagebücher, darunter jenes von Josef Wegl, welches von Maria Schiffinger bearbeitet wurde.62 Josef Wegl (1873–1953), stammend aus Dittersdorf (Niederösterreich), war von Beruf Lehrer und versah seinen Kriegsdienst als Rechnungsunteroffizier bei verschiedenen Arbeiterkompanien. Seine Aufzeichnungen bestehen aus sechs Bänden, wovon in dieser Edition die ersten fünf den Zeitraum von Mai 1915 bis September 1916 umfassen. Der sechste Teil, den er 1917 in Rumänien verfasste, ist bislang noch nicht veröffentlicht worden.63 Sein Kriegseinsatz brachte ihn während des Krieges gegen Italien nach Trient und Südtirol. In seinen Tagebüchern ist vor allem die südliche Dolomitenfront ein zentraler Gegenstand seiner Aufzeichnungen. Von Harald Gredler wurde 2014 das Kriegstagebuch des Salzburgers Josef Werner im Österreichischen Milizverlag herausgegeben.64 Über das Leben des Autors ist nicht viel

59 Otto Gallian, Monte Asolone 1918, Graz 31934. 60 Otto Gallian, Elegia del Grappa. Il Monte Asolone Battaglia per un monte – diario di un combattente austriaco, hrsg. v. Ignazio Marchioro, Bassano del Grappa 1994, S. 11. 61 Hans Pölzer, Drei Tage am Isonzo, Salzburg 1993, S. 36. 62 Maria Schiffinger (Hrsg.), Das Kriegstagebuch des Josef Wegl. Ein Niederösterreicher an der Dolomitenfront 1915/16, Salzburg 2015. 63 Ebd., S. 9–11. 64 Harald Gredler (Hrsg.), Kriegstagebuch. Ein Salzburger im 1. Weltkrieg 1916–1918 von J. R. Werner, Salzburg 2014. 17

bekannt. Als junger Einjährig-Freiwilliger wurde er zuerst an die Ostfront nach Rumänien versetzt und später an die Südfront am Piave eingesetzt. Seine privaten Tagebucheinträge umfassen den Zeitraum von 10. Mai 1916 – 15. November 1918. Im Oktober 1971 kehrte er im Urlaub mit seiner Familie an die früheren Kriegsschauplätze im Süden zurück. Dabei konnte er feststellen, dass die Zeit zwar viele Narben in der Landschaft verblassen ließ, jedoch nicht alle: „Die Wunden sind verheilt und vergessen – nicht für die, die das 'Damals' erleben mussten!“65 In der Zwischenkriegszeit gab es eine Phase, in der Kriegserinnerungen von Soldaten veröffentlicht wurden, in dem Versuch ihre persönlichen Erfahrungen einem breiteren Publikum darzustellen.66 Eine wissenschaftliche Aufarbeitung dieser Kriegserinnerungen begann sich erst in den 1990er Jahren zu entwickeln, womit die Historiographie zum Ersten Weltkrieg um eine weitere Quellengattung erweitert werden konnte.

65 Ebd., S. 162. 66 Jay Winter/Antoine Prost, The Great War in History. Debates and Controversies, 1914 to the Present, Cambridge 2005, S. 85. 18

2. Die Kriegserfahrungen von Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg

2.1. Kriegserfahrungen als historische Analysekategorie

Lange Zeit blieb der Blick der deutschsprachigen Militärhistoriographie auf die „großen Männer“ des Krieges, den Generälen, Befehlshabern und Politikern beschränkt. Die Forscher beschäftigten sich vorwiegend mit der Rolle der Führungsschicht, der Politik und der Kriegsführung des Ersten Weltkrieges. Die Perspektive „von oben“ dominierte in dieser Weltkriegsforschung.67 Die Kriegserlebnisse von Soldaten niederer Militärränge oder gar einfacher Mannschaftssoldaten waren für die Militärgeschichte lange Zeit kein Thema. Das änderte sich erst in den frühen 1980er Jahren mit dem allgemeinen Paradigmenwechsel der Geschichtswissenschaft hin zu einer Alltags- und Mentalitätsgeschichte. Nicht mehr das Handeln von Herrschern, Generälen und Politikern, sondern das Leben und die Erfahrungen der einfachen „kleinen Männer“ waren von Interesse. Auch die Militärgeschichte wurde von diesem Trend erfasst und richtete ihren Forschungsfokus auf die Masse der Soldaten aus. Eine neue Militärgeschichte „von unten“ soll allerdings, um es mit den Worten von Wolfram Wette auszudrücken, nicht eine Geschichte „von oben“ ersetzen, sondern in einer Synthese beider Sichtweisen zu einem komplexeren und vollständigeren Bild des Krieges vom Standpunkt der Soldaten jeglichen Dienstgrades beitragen.68 Eine Kriegsgeschichte mit dem Blick „von unten“ eröffneten mit neuen Quellengattungen auch neue Fragestellungen. Die Erforschung der „Kriegserfahrungen“ von Einzelnen stand von nun an stark im Vordergrund.69 Die Pioniere einer solchen Kriegsgeschichte mit Bezugnahme auf die Kriegserfahrungen waren die Arbeiten von Trevor Wilson und Jay Winter, die sich mit den Kriegserlebnissen britischer Soldaten auseinandersetzten.70 Für den deutschsprachigen Raum übernahmen hier die Arbeiten von Gerd Krumeich und Gerhard Hirschfeld die Voreiterrolle. In dem Sammelband von 1993 „Keiner fühlt sich hier mehr als Mensch…“ weist Hirschfeld darauf hin, dass die erfahrungsgeschichtliche Perspektive von Soldaten und Zivilisten im Krieg lange Zeit außer Acht gelassen wurde. Obwohl eine Vielzahl von Erlebnis- und Memoirenliteratur

67 Wolfram Wette, Militärgeschichte von unten. Die Perspektive des „kleinen Mannes“, in: Der Krieg des kleinen Mannes. Eine Militärgeschichte von unten, hrsg. v. Wolfram Wette, München 1992, S. 9–47, hier S. 11 f. 68 Ebd., S. 14. 69 Anselm Doering-Manteuffel, Die Erfahrungsgeschichte des Krieges und neue Herausforderungen. Thesen zur Verschränkung von Zeitgeschehen und historischer Problemwahrnehmung, in: Kriegserfahrungen. Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit. Neue Horizonte der Forschung, hrsg. v. Georg Schild/Anton Schindling (Krieg in der Geschichte 55), Paderborn 2009, S. 273–288, hier S. 275. 70 Vgl. Trevor Wilson, The Myriad Faces of War. Britain and the Great War, 1914–1918, Cambridge 1986; Vgl. Jay M. Winter, The Great War and the British People, London 1986. 19

aus dem Krieg überliefert ist, mangelte es an einer grundlegenden Erforschung der Kriegserfahrungen von Frontsoldaten.71 Einen Schritt weiter ging der Tübinger Sonderforschungsbereich „Kriegserfahrungen – Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit“, der einen wissenssoziologischen Ansatz des Erfahrungsbegriffes entwickelte, um ihn „zu einer analytischen Kategorie der kulturhistorisch orientierten Geschichtswissenschaft auszubauen“.72 Der Begriff „Erfahrung“ wurde in der Alltagsgeschichte der frühen Jahre meist unreflektiert übernommen und es mangelte stets an einer konkreten und theoretisch fundierten Definition. Ein wissenssoziologischer Zugang ermögliche es erstens auf einem konstruktivistischen Theorieverständnis aufzubauen, welches die „Wirklichkeit als ein Produkt eines permanenten sozialen Kommunikationsprozesses“ begreift. Zweitens wird auch die Wandelbarkeit von Erfahrungen miteinbezogen, denn der Ansatz beschäftigt sich mit der „zeitlichen Struktur von Erfahrung im Spannungsfeld zwischen 'Erfahrungsraum' und 'Erfahrungshorizont'.“73 Diese Wandelbarkeit ist hauptsächlich bei Veränderungen von Deutungsmustern relevant, denn in der Nachkriegszeit formten vor allem die Kriegsfolgen die Kriegserinnerungen. Aus dem Kriegserlebnis wurden die Kriegserinnerungen. Die Erinnerungen an den Krieg können demnach verdrängt, vergessen, verändert oder glorifiziert werden.74 Drittens schafft der wissenssoziologische Ansatz die Voraussetzung nach „dem praxeologischen Bezug von Sinn- und Bedeutungszuschreibungen (und umgekehrt) zu fragen“.75 Damit wurde die Erfahrung als ein historischer und analysierbarer Prozess sichtbar gemacht und konnte als analytische Kategorie innerhalb der Geschichtswissenschaft dienen.76 Die Frage stellt sich deshalb nicht danach, „wie es eigentlich gewesen ist“, sondern wie „aus bestimmten Perspektiven, von bestimmten Personen und Gruppen der Krieg wahrgenommen und zu Erfahrungen verarbeitet worden ist, wie sie weitergegeben wurden, welche Deutungsinstitutionen daran beteiligt waren, und immer auch: wie sich diese Wahrnehmungen und Erfahrungen verändert haben [...]“.77

71 Gerhard Hirschfeld, Vorwort, in: „Keiner fühlt sich hier mehr als Mensch…“ Erlebnis und Wirkung des Ersten Weltkriegs, hrsg. v. Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina Renz (Schriften der Bibliothek für Zeitgeschichte – Neue Folge 1), Essen 1993, S. 7–9, hier S. 7. 72 Doering-Manteuffel, Erfahrungsgeschichte, S. 279. 73 Buschmann/Carl, Zugänge, S. 18. 74 Reinhart Koselleck, Der Einfluß der beiden Weltkriege auf das soziale Bewußtsein, in: Der Krieg des kleinen Mannes. Eine Militärgeschichte von unten, hrsg. v. Wolfram Wette, München 1992, S. 324–343, hier S. 331. 75 Buschmann/Carl, Zugänge, S. 18. 76 Doering-Manteuffel, Erfahrungsgeschichte, S. 279. 77 Dieter Langewiesche, Nation, Imperium und Kriegserfahrungen, in: Kriegserfahrungen. Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit. Neue Horizonte der Forschung, hrsg. v. Georg Schild/Anton Schindling (Krieg in der Geschichte 55), Paderborn 2009, S. 213–230, hier S. 229. 20

Seit ihrer Entstehung 1998 wurde in der Schriftenreihe „Krieg in der Geschichte“ eine beachtliche Zahl von Beiträgen in Anwendung dieses wissenssoziologischen Erfahrungsbegriffs verfasst. Bis 2009 erschienen mehr als 50 Bände in dieser Reihe, womit die Nutzbarkeit und die ertragreichen Erkenntnisse aus dieser erfahrungsperspektivischen Forschung deutlich werden.78 Die Quellen für eine erfahrungsgeschichtliche Forschungsperspektive bilden die Selbstzeugnisse von Soldaten aus dem Krieg. Memoiren, Kriegstagebücher und Erlebnisberichte hatten für die frühe Militärhistoriographie, solange sie nicht von den höchsten Trägern der Offiziersklasse stammten, einen geringen historischen Wert. Das lag in erster Linie an den Offiziers- und Militärhistorikern mit ihrer tendenziösen apologetischen Geschichtsschreibung, sowie der unmittelbaren gesellschaftspolitischen Nachkriegsordnung.

2.2. Die „Offiziersgeschichtsschreibung“ in der Nachkriegszeit

Die Vorbereitung für ein umfangreiches Geschichtswerk über den Weltkrieg begann in Österreich erstaunlich früh. Nach Ausbruch des Krieges wurden nicht nur Angriffspläne geschmiedet, sondern auch Vorbereitungen für die Veröffentlichung von Schriften über die Tätigkeiten der k.u.k. Armee und deren Offiziere im Krieg getroffen. Die Geschichte des Krieges sollte von vornherein von ehemaligen oder noch aktiven Offizieren der Armee diktiert und geschrieben werden. „Ziel war die Veröffentlichung einer militäroffiziösen, bewusst selektiven Darstellung des Krieges unter der Mitwirkung an den Operationen beteiligt gewesener Offiziere.“79 Nach dem verlorenen Krieg lag dessen Aufarbeitung weiterhin maßgeblich in den Händen des Militärs, da die Kriegsarchive nur einem kleinen ausgewählten Kreis von Historikern zugänglich waren und somit keine größere wissenschaftlich-kritische Aufarbeitung des Krieges möglich war.80 Eine Kriegsgeschichtsschreibung, die von ehemaligen Offizieren dominiert war, verfolgte dementsprechend eigene Interessen, die sich im Wesentlichen darauf konzentrierten, die eigenen Handlungen und Taten im Krieg zu legitimieren und den Krieg maßgeblich als „Verteidigungskrieg“ darzustellen. Die „Kriegsschuldfrage“ und die „Dolchstoßlegende“

78 Doering-Manteuffel, Erfahrungsgeschichte, S. 283. 79 Oswald Überegger, Vom militärischen Paradigma zur „Kulturgeschichte des Krieges“? Entwicklungslinien der österreichischen Weltkriegsgeschichtsschreibung im Spannungsfeld militärisch-politischer Instrumentalisierung und universitärer Verwissenschaftlichung, in: Zwischen Nation und Region. Weltkriegsforschung im interregionalen Vergleich. Ergebnisse und Perspektiven, hrsg. v. Oswald Überegger (Tirol im Ersten Weltkrieg – Politik, Wirtschaft und Gesellschaft 4), Innsbruck 2004, S. 63–122, hier S. 67. 80 Ebd., S. 73. 21

nahmen dabei einen Großteil der geschichtlichen Aufarbeitung ein. Diese tendenziöse militärische Geschichtsschreibung sollte in der Zwischenkriegszeit entscheidend für das Geschichtsbild des Ersten Weltkrieges werden. Unmittelbar nach Kriegsende nahm das Ansehen des österreichischen Offizierskorps großen Schaden. Es mehrten sich zahlreiche Vorwürfe und Anschuldigungen gegen die allem Anschein nach Verantwortlichen der Niederlage. Heimkehrende Offiziere sahen sich dem Spott, der Verachtung und dem Undank der eigenen Bevölkerung ausgesetzt, vereinzelt kam es auch zu gewaltsamen Übergriffen.81 Dieser Eindruck sollte sich noch lange im Bewusstsein der ehemaligen Offiziere halten. So schrieb der junge Leutnant Otto Gallian nach seiner abenteuerlichen Flucht aus italienischer Gefangenschaft, wie die Heimat ihn empfangen hatte: „Der Empfang im 'dankbaren Vaterland' wirkt wie eine kalte Dusche.“82 Mittellos und verletzt wollte sich offenbar keine offizielle militärische Stelle des heimkehrenden und kriegsversehrten Soldaten Gallian annehmen und dieser musste vorerst den Schock durch die veränderten Verhältnisse in der Heimat überwinden: „Diese Heimat wiederzusehen, war für uns die furchtbarste und bitterste Enttäuschung des Lebens.“83 Der Untergang der Monarchie bedeutete für zahlreiche höhere Armeeangehörige auch den eigenen beruflichen und sozialen Abstieg. Mit dem Vertrag von St. Germain wurde das Heer der jungen Republik drastisch reduziert und das Korps der Berufsoffiziere durfte die Zahl von 1.500 nicht überschreiten. Die neue Regierung unter Führung der Sozialdemokraten realisierte die Demobilisierung der Armee durch massenweise Zwangspensionierungen und Entlassungen. Wohl auch durch politische Kalkulation wollten die Sozialdemokraten monarchische und habsburgertreue Generäle und Offiziere von ihren Stellen entfernen.84 Damit verloren viele Offiziere ihren erlernten Beruf und somit auch ihre Existenzgrundlage. Nicht wenige standen sogar vor dem finanziellen Ruin, da viele ihre Ersparnisse in Kriegsanleihen – eine Ehrenfrage unter Offizieren – angelegt hatten. Daher war das Verhältnis vieler ehemaliger Offiziere zu der neuen Republik Österreich auf Dauer belastet.85 In dieser neuen Welt fanden sich viele ehemalige Angehörige der k.u.k. Armee nicht mehr zurecht. Erst in der „Phase konservativer Restauration“86 kam es unter veränderten politischen Vorzeichen zu einer Renaissance altösterreichischer Traditionspflege. Für die

81 Wolfgang Doppelbauer, Zum Elend noch die Schande. Das altösterreichische Offizierskorps am Beginn der Republik (Militärgeschichtliche Dissertationen österreichischer Universitäten 9), Wien 1988, S. 17–19. 82 Gallian, Monte Asolone, S. 288. 83 Ebd., S. 291. 84 Doppelbauer, Elend, S. 23–26. 85 Ebd., S. 70–72. 86 Überegger, Paradigma, S. 77. 22

Geschichtsschreibung und Geschichtsschreiber des Ersten Weltkrieges hatte dies dauerhafte Auswirkungen, denn: „Je länger die Monarchie zurücklag, umso glänzender schien sie zu werden.“87 Das Wiener Kriegsarchiv, vormals dem Militär angehörig, wurde 1920 in ein ziviles Institut umgewandelt und der Personalstand erheblich abgebaut.88 Obwohl viele Offiziersarchivare im Dienst blieben, wurden vorerst jegliche kriegsgeschichtlichen Forschungen und Publikationen, die der nostalgischen Erinnerung an die k.u.k. Armee dienten, untersagt.89 Erst ab Mitte der 20er Jahre vollzog sich ein Wechsel. 1925 übernahm Generalstabsoffizier Edmund Glaise von Horstenau (1882–1947) das Direktorat des Kriegsarchives. Glaise war schon 1913 Mitarbeiter des Wiener Kriegsarchives gewesen und wurde im Juli 1915 in das Armeeoberkommando versetzt. Hier war er teilnehmender Beobachter der wichtigsten militärischen Entscheidungen der Mittelmächte. Nach der Demobilisierung der Armee, nahm Glaise seine frühere Beschäftigung im Archiv wieder auf, nachdem seine anfänglichen politischen Bestrebungen in der neuen Republik ins Leere liefen.90 1925 wurde auch die „Kriegsgeschichtliche Abteilung“ im Kriegsarchiv unter der Leitung von Oberstleutnant Rudolf Kiszling (1882–1976), wieder errichtet.91 Unter der Ägide dieser beiden Männer wurde das große Generalstabswerk „Österreich-Ungarns letzter Krieg 1914–1918“ in fünfzehn Bänden zwischen 1930 und 1938 veröffentlicht.92 Kiszling, der ab dem zweiten Band die Leitung und Bearbeitung der Beiträge übernahm, schrieb fast ein Viertel aller Texte selber.93 Insgesamt verfassten siebzehn ehemalige oder noch aktive Offiziere der Armee die Beiträge zu diesem Werk und schrieben somit auch die offizielle Geschichte des Krieges.94 Thematisch behandelt das Werk die einzelnen Kriegsjahre und die operationsgeschichtliche Darstellung der wichtigsten Kämpfe im Ersten Weltkrieg. Fragen nach der Verantwortung der militärischen Führung, der Situation im Hinterland, wirtschaftliche, soziale und politische Aspekte, welche für die Autoren keine – im militärischen Verständnis – Bedeutung hatten, wurden ausgelassen.

87 Doppelbauer, Elend, S. 77. 88 Michael Hochedlinger, Doppeladler oder Hakenkreuz? Das Heeresarchiv Wien 1938–1945, in: Österreichs Archive unter dem Hakenkreuz, hrsg. v. Sabine Bohmann, Innsbruck-Wien 2010, S. 221–284, hier S. 223 f. 89 Ebd., S. 226. 90 Peter Broucek, Ein General im Zwielicht. Die Erinnerungen Edmund Glaises von Horstenau Band 1 K.u.k Generalstabsoffizier und Historiker (Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs 67), Wien-Köln-Graz 1980, S. 8 f. 91 Peter Broucek/Kurt Peball, Geschichte der österreichischen Militärhistoriographie, Köln-Weimar-Wien 2000, S. 93. 92 Ebd., S. 94. 93 Ebd. 94 Holger H. Herwig, Von Menschen und Mythen. Gebrauch und Mißbrauch der Geschichte des Ersten Weltkrieges, in: Der Erste Weltkrieg und das 20. Jahrhundert, hrsg. v. Jay Winter/Geoffrey Parker/Mary R. Habeck, Hamburg 2002, S. 298–329, hier S. 309. 23

Insgesamt bemühten sich die Beteiligten um eine „Kontinuität der Traditionspflege“ und einer gewissen „Wahrung militärischen Prestiges“.95 Dieses Generalstabswerk trug in großem Maße seinen Beitrag zur „Ehrenrettung“ der alten Armee bei.96 Als Leiter des Kriegsarchives kontrollierten diese Offiziere auf lange Zeit die Militärhistoriographie in Österreich und dessen apologetisch-legitimatorischen Schriften. Akten und Dokumente blieben fest in militärischen Händen und eventuell belastendes Material wurde von Kiszling und seinen loyalen Angestellten „geordnet oder gesäubert“.97 Auch außerhalb der offiziellen Militärhistoriographie gab es einen regelrechten Boom von literarischen Kriegswerken. Zahlreiche Offiziers- und Soldatenbiographien erschienen, daneben auch die populären Kriegsromane.98 Zu den frühesten Publikationen von Kriegsbiographien gehören die fünfbändigen Memoiren des k.u.k. Generalstabschef Franz Conrad von Hötzendorf „Aus meiner Dienstzeit. 1906–1918“, die zwischen 1921–1925 mit großzügiger Unterstützung des Kriegsarchives, veröffentlicht wurden.99 In diesen Kriegsgeschichten spielte vor allem die retrospektive Rechtfertigung von Personen und einen betont glorifizierenden-mythischen Rückblick auf den Krieg, insbesondere auf die kaiserliche Armee, eine Rolle.100 Auch Gallian machte dies in seinem Kriegsbuch deutlich: „Die Ehre der österreichisch-ungarischen Armee […] kann durch diesen politischen Zusammenbruch nicht berührt werden.“101 Der Erfolg kriegsgeschichtlicher Memoirenliteratur und ihre verbreitete Lektüre unter ehemaligen Offizieren der Armee werden in dem zitierten Kriegstagebuch von Gallian noch deutlicher. Das Geleitwort von Gallians Kriegserinnerungen verfasste Ernst v. Horsetzky von Hornthal (1865–1943), k.u.k. General der Infanterie.102 In seinen eigenen Schilderungen um den Kampf am Monte Asolone zitierte Gallian ausschnittsweise auch aus Horsetzkys eigenen Kriegserinnerungen103, der übrigens auch an „Österreich-Ungarns letzter Krieg“ mitgearbeitet hatte.104 Darüber hinaus zog Gallian auch das zehnbändige Generalstabswerk des preußischen Generalleutnants Max Schwarte „Der große Krieg 1914–1918“ als Quelle für sein Buch

95 Überegger, Paradigma, S. 78 f. 96 Hochedlinger, Doppeladler, S. 227. 97 Herwig, Menschen, S. 310. 98 Überegger, Paradigma, S. 79. 99 Hochedlinger, Doppeladler, S. 226 f. 100 Überegger, Paradigma, S. 79. 101 Gallian, Monte Asolone, S. 225. 102 Ernst Horsetzky von Hornthal, Geleitwort, Monte Asolone, V–VII. 103 Gallian, Monte Asolone, S. 146. 104 Horsetzky von Hornthal Ernst, in: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, Bd. 2, Graz-Wien 1959, Sp. 427–428, Onlinefassung [http://www.biographien.ac.at/oebl?frames=yes], eingesehen 01.06.2018. 24

heran.105 Diese militärisch geprägte Geschichtsschreibung beeinflusste also durchaus die Kriegserinnerungen von ehemaligen Offizieren in der Nachkriegszeit.

2.3. Kriegserinnerungen von österreichischen Soldaten

Nicht nur die „großen Männer“ schrieben ihre Kriegserinnerungen nach dem Krieg nieder. Auch Offiziere niederen Ranges der k.u.k. Armee und einige Mannschaftssoldaten hatten ein Bedürfnis, ihre Erlebnisse aus dem Krieg aufzuzeichnen und falls möglich einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Da es die persönliche finanzielle Situation nur einem begrenzten Kreis erlaubte, Kriegstagebücher in Druck zu bringen, blieben einige vorerst nur als Manuskripte erhalten. In manchen Fällen wurden die Kriegsaufzeichnungen als Serien in einschlägigen Zeitungen und Zeitschriften publiziert.106 In der Zwischenkriegszeit trat in der Kriegsliteratur das Genre des militärischen Kriegsromans seinen Siegeszug an. Die meisten dieser „Tatsachenberichte“ waren eine Mischung aus Roman und persönlichen Kriegserinnerungen. Kriegsromane waren schon während des Krieges auf beiden Seiten der Fronten geschrieben und gedruckt worden. Für die französische Kriegsliteratur ist hier Henri Barbusses (1873–1935) „Le Feu“ von 1916 bezeichnend. Der Roman schildert eindrucksvoll ehrlich die Schrecken des modernen Krieges aus der Perspektive der Soldaten an der Front. Das Buch wurde zum Bestseller und schon bald auch in andere Sprachen übersetzt. Eine deutsche Ausgabe bekam auch Constantin Schneider 1918 in die Hände und notierte dazu: „Ich lese das spannendste Werk der Kriegsliteratur: ‚Das Feuer’ von H. Barbusse.“107 In Deutschland gelang Ernst Jünger (1895–1998) mit seinen Kriegsaufzeichnungen „In Stahlgewittern“ der Durchbruch in der Literaturwelt. Nach dem Krieg ließ die Publikation von Romanen aus der Kriegszeit jedoch nach, bis Erich Maria Remarques (1898–1970) „Im Westen nichts Neues“ 1929 zu einer weltweiten Sensation wurde und bis heute zu den Klassikern der Weltkriegsliteratur gehört. Remarques Werk löste eine zweite, auch international rezipierte Welle von persönlichen Büchern über den Krieg aus.108 In Österreich gibt es mit Fritz Weber (1895–1972) und Luis Trenker (1892–1990) zwei Vertreter der äußerst populären Kriegsromane. Trenker und Weber, der z. T. auch Verfasser

105 Gallian, Monte Asolone, S. 126 f. Er zitiert dabei aus dem fünften Band „Der österreichisch-ungarische Krieg“, Leipzig 1922. 106 Broucek, General, S. 17. 107 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 568. 108 Winter/Prost, War, S. 86. 25

von Trenkers Romanen war, schafften es durch ihre Kriegsbücher und die späteren Verfilmungen ein spezielles Bild des Gebirgskrieges in der Zwischenkriegszeit und darüber hinaus zu prägen.109 Die zahlreichen Werke von Weber machten ihn zu keinem „österreichischen Remarque“, sondern, wie Christa Hämmerle in einer Untersuchung und Interpretation seiner Kriegsbücher zeigt, vielmehr zu einem österreichischen Ernst Jünger.110 Die Beliebtheit solcher Kriegserinnerungen schlug sich in den zahlreichen Veröffentlichungen ehemaliger österreichischer Soldaten in den 30er Jahren nieder. Leutnant Josef Pölzleitner veröffentlichte 1929 sein erstes Kriegsbuch „Landsturm im Hochgebirge“. Der Titel wurde nach eigenen Aussagen des Autors ein solcher Erfolg, dass er 1934 das Buch nochmals neu schrieb und „nicht so sehr die großen Kriegsgeschehnisse schildern […]“, sondern vielmehr persönlichere Erfahrungen und trivialere Gegenstände des Krieges beinhalten sollte.111 Im gleichen Jahr konnte Otto Gallian sein Werk „Monte Asolone 1918“ in dritter Auflage veröffentlichen. Gallian verfasste u. a. noch weitere Kriegsbücher mit konstant hohen Auflagen.112 Diese populären Kriegsgeschichten und Kriegsromane ehemaliger Soldaten bildeten in gewisser Weise auch ein Gegengewicht zur etablierten Militärhistoriographie des Krieges, wenn auch nicht immer neue kritische Betrachtungen zum Krieg selbst die Folge davon waren.113 Die Offiziersgeschichtsschreibung, sowie viele Kriegserinnerungen prägten die Erinnerungskultur des Ersten Weltkrieges in der Zwischenkriegszeit. Gewisse Erzählmotive, wie die „Dolchstoßlegende“, „Im-Felde-unbesiegt“ oder die Notwendigkeit eines „Verteidigungskrieges“ entsprachen u. a. auch den Ansichten und Erklärungsmodellen der Nationalsozialisten. Besonders durch das Wiederaufleben männlich-soldatischer Werte in den 30er Jahren übernahmen einige Autoren die nationalsozialistische Sichtweise des Krieges oder wurden von diesen instrumentalisiert.114 Kriegserinnerungen von ehemaligen Offizieren blieben in großem Ausmaß auf ein bestimmtes Kriegsbild und aus der Nachkriegszeit stammende Motive der militärischen Erinnerungskultur, sowie deren selektiven Rezeption, beschränkt. Mit diesem Verständnis und mit Hinblick auf

109 Oswald Überegger, Geschichtsschreibung und Erinnerung, in: Katastrophenjahre. Der Erste Weltkrieg und Tirol, hrsg. v. Hermann J.W. Kuprian/Oswald Überegger, Innsbruck 2014, S. 547–563, hier S. 551. 110 Christa Hämmerle, Heimat/Front. Geschlechtergeschichte/n des Ersten Weltkriegs in Österreich-Ungarn, Wien-Köln-Weimar 2014, S. 179. 111 Pölzleitner, Berge, S., I. Erst 2015 wurde „Berge wurden Burgen“ vom Österreichischen Milizverlag neu herausgegeben. 112 Vgl., Der österreichische Soldat im Weltkrieg. Die Legende vom „Bruder Schnürschuh (1933), Opfergang bei Luck. Kriegserlebnis (1936), Der österreichische Deutsche im Weltkrieg. 1914-1918 (1938). 1999 wurde „Monte Asolone“ vom Österreichischen Milizverlag neu gedruckt und 1994 sogar ins Italienische übersetzt. 113 Kurt Möser, Kriegsgeschichte und Kriegsliteratur. Formen der Verarbeitung des Ersten Weltkrieges, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 40 (1986), Heft 2, S. 39–51, hier S. 44–46. 114 Überegger, Geschichtsschreibung, S. 552. 26

den zeitlichen Entstehungskontext müssen diese Kriegstagebücher gelesen und interpretiert werden.

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3. Ein Krieg der Nerven

3.1. Der Krieg und die Neurastheniker

In fast allen Kriegserinnerungen und Tagebüchern von Soldaten, die hier untersucht wurden, werden die nervlichen Belastungen, die der Krieg verursachte, angesprochen. Sie stellen somit ein zentrales Thema in den Kriegserfahrungen dar und waren in der zeitgenössischen Wahrnehmung sehr präsent. Die Beziehung zwischen Krieg und Nerven begann jedoch nicht erst mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Bereits vor dem Krieg haben sich deutsche Ärzte mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Männer des „nervösen Zeitalters“ überhaupt für einen Krieg gerüstet waren. Die starke Zunahme von Nervenerkrankungen und die Überfüllung von öffentlichen und privaten Irrenanstalten in den Jahren vor Kriegsausbruch, ließen bei vielen Zweifel aufkommen, ob die Bevölkerung den brutalen Ansprüchen eines modernen Krieges überhaupt standhalten konnte.115 In den ersten Kriegsmonaten an der Ostfront und nach den größeren Schlachten wurde diese Annahme dann auch bestätigt, als sich die Fälle von nervlichen Erkrankungen unter den Soldaten häuften und die Spitäler bald überfüllt waren.116 Dabei hätte es sich jedoch, nach Meinung der Ärzte, ausschließlich um Männer gehandelt, die schon vor dem Krieg eine für nervöse Krankheiten anfällige geistige Konstitution gehabt hätten.117 So schrieb beispielsweise die Wiener Medizinische Wochenschrift in einem kurzen Beitrag über Kriegspsychosen 1915: „Die meisten Geisteskranken, die zur Beobachtung gelangten, waren bereits von Haus aus krank.“118 Eine Verbindung zwischen Krieg und Ausbruch einer Psychose wurde demnach noch angezweifelt.119 Zu Beginn des Krieges war unter Ärzten sogar noch von einem Rückgang der Psychosen die Rede.120 Die Ärzte im Ersten Weltkrieg waren darüber hinaus noch fest in den Vorstellungen des vorherigen Jahrhunderts über „neurasthenische“ und „nervöse“ Erkrankungen verhaftet.121 Das Leiden der Nerven fand schon im 19. Jahrhundert Eingang in die Alltagssprache und in der „Neurose“ ihre bekannteste Ausprägung. Ab 1880 hatte sich auch das Krankheitsbild der

115 Paul Lerner, „Ein Sieg deutschen Willens“. Wille und Gemeinschaft in der deutschen Kriegspsychatrie, in: Die Medizin und der Erste Weltkrieg, hrsg. v. Wolfgang U. Eckart/Christoph Gradmann (Neuere Medizin- und Wissenschaftsgeschichte. Quellen und Studien 3), Pfaffenweiler 1996, S. 85–107, hier S. 88. 116 Brigitte Biwald, Von Helden und Krüppeln. Das österreichisch-ungarische Militärsanitätswesen im Ersten Weltkrieg, Teil 2, Wien 2002, S. 585. 117 Bernd Ulrich, Nerven und Krieg. Skizzierung einer Beziehung, in: Geschichte und Psychologie. Annäherungsversuche, hrsg. v. Bedrich Loewenstein (Geschichte und Psychologie 4), Pfaffenweiler 1992, S. 163–192, hier S. 165. 118 Wiener Medizinische Wochenschrift 22 (1915), S. 871. 119 Ebd. 120 Biwald, Helden, S. 580. 121 Ebd., S. 582. 28

„Neurasthenie“, also der schwachen, kraftlosen Nerven, in ganz Europa rasch verbreitet.122 Zu deren zahlreichen Ursachen zählten etwa körperliche Überanstrengungen, Sorgen, Ehrgeiz, übermäßiger Tabak- oder Kaffeegenuss, sexuelle und alkoholische Ausschweifungen. Hinzu kamen erstmals auch die veränderten Lebens- und Arbeitsbedingungen in den Städten und Fabriken, sowie die Beschleunigung in Handel und Verkehr, die als Auslöser für nervöse oder hysterische Anfälle galten. Die sich ausbreitende „Nervosität“ war somit die Schattenseite des sozialen und industriellen Fortschritts. Die Neurasthenie wurde insbesondere zur Modekrankheit der Bildungs- und Oberschicht.123 Überdies wurde die „Nervosität“ zum Schlagwort für eine Krankheit und Kulturzustand eines Landes und seiner Bewohner.124 Die Androhung eines Kriegseinsatzes auf solche „nervenschwache“ Menschen zeigt sich in den Tagebucheinträgen von Erich Mayr. Am 23. Oktober 1914 notierte er, als Offiziersdiener über seinen Vorgesetzten, der aufgrund seiner bevorstehenden Einberufung an die Front völlig die Nerven verlor und seinen Wutanfall an Mayr ausließ, folgendes: „Mir hat der Herr erbarmt. So sind aber die modernen Menschen mit ihren Nerven.“125 Über sich selbst konnte Mayr hingegen selbstbewusst berichten: „Gott Lob und Dank, dass ich nicht so zarte Nerven habe wie manche! Mit solchen wäre es freilich hart, ins Feld zu kommen.“126 Schon vor dem Krieg und während der ersten Kriegswochen vertraten eine Anzahl deutscher Nervenärzte die Meinung, ein Krieg wäre die „ideale Lösung“ für so manche Nervenleiden. Der Aufenthalt an der frischen Luft und in der freien Natur, sowie das Feldleben hätten heilende Einflüsse auf Geist und Körper.127 Diese Gedanken teilte auch Fritz Kreisler, einer dieser „modernen Menschen“, die in den Krieg zogen. Kreisler, erfolgreicher Wiener Violinist und Komponist, ging als Infanterieoffizier der Reserve zu Kriegsbeginn an die Ostfront und erlebte dort bis zu seiner Verwundung im September die ersten Kämpfe mit. Nach seiner Genesung wurde er aufgrund „chronischer Neurasthenie“ als kriegsuntauglich eingestuft128, aus der Armee entlassen und übersiedelte am 24. November 1914 nach Amerika.129 Dort verfasste er

122 Joachim Radkau, Das Zeitalter der Nervosität. Deutschland zwischen Bismarck und Hitler, München-Wien 1998, S. 11. 123 Ulrich, Nerven, S. 172 f; Hannes Leidinger/Verena Moritz, Nervenschlacht. „Hysterie“, „Trauma“ und „Neurosen“ am Beispiel der Ostfront 1914-1918, in: Jenseits des Schützengrabens. Der Erste Weltkrieg im Osten: Erfahrung – Wahrnehmung – Kontext, hrsg. v. Bernhard Bachinger/Wolfram Dornik (Veröffentlichung des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung Sonderband 14), Innsbruck 2013, S. 157–177, hier S. 159. 124 Radkau, Zeitalter, S. 13. 125 Mayr, Tagebücher, S. 93. 126 Ebd. 127 Lerner, Wille, S. 89. 128 Rathkolb, Friedrich „Fritz“ Max Kreisler, S. 23. 129 Langner, Kreisler, [https://www.deutsche-biographie.de/%20pnd119069261.html#ndbcontent]. 29

auf Bitten des amerikanischen Verlegers und Autors Ferris Greenslet 1915 während einer Konzerttournee durch die USA seine Kriegserlebnisse.130 Die ersten Kriegstage, die von mühsamen, kilometerlangen Märschen an die Front geprägt waren, hinderten Kreisler nicht daran, die Landschaft und das Feldleben an sich zu bewundern. Am nächtlichen Lagerfeuer, noch den Eindrücken des Tages nachhängend, fügten sich für ihn die Umgebung und Erlebnisse „zu einer unvergesslichen Szene von tiefer Romantik und Schönheit“ zusammen. Sich von den Strapazen des Marsches ausruhend lag er „neben der glosenden Asche des Lagerfeuers ausgestreckt, mein Umhang diente als Decke, meine Seele war voller Entzücken und Glückseligkeit über die Schönheit, die mich umgab“.131 Das „einfache Feldleben“ schien Kreisler in der Tat körperlich nicht zu schaden, im Gegenteil, wie er berichtete, linderten sich sogar einige seiner Beschwerden. Sein Sehvermögen und seine Muskelkraft verbesserten sich und auch nervliche Leiden schienen ihn nicht mehr zu behindern: „Im Feld scheinen alle neurotischen Symptome wie durch Zauberhand verschwunden, das ganze System ist mit Energie und Vitalität geladen.“132 Diesen Heileffekt entdeckte Kreisler hauptsächlich im „Leben an der freien Luft mit seinen simplen Regeln, befreit von all den komplexen Anforderungen, welche die Gesetze der Gesellschaft stellen […]“.133 Damit übernahm Kreisler die Haltung einiger Ärzte, die von der Annahme ausgingen, „dass der Krieg die Verwirrungen und Kompliziertheiten, also die psychisch schadenden Eigenschaften des modernen Lebens, vereinfache“.134 Einen etwas anderen Blick auf die frühen Tage des Krieges hatte der Berufssoldat und Offizier Constantin Schneider. Er erlebte die ersten nervlichen Zusammenbrüche von Soldaten nach deren „Feuertaufe“ an der Ostfront. Die ersten Kämpfe in den August- und Septemberwochen in Galizien forderten nicht nur ernste Verluste an Menschen und Material, sondern zeigten auch unerwartete Folgen: „Mancher Kommandant, der im Frieden als sehr tüchtig galt, hatte sich im Kampfe als unfähig erwiesen, hatte einfach seine Nerven beim ersten Schuß verloren, mußte die Front verlassen. Die ersten Schüsse raubten überhaupt vielen die Besinnung, selbst unter den Jungen gingen viele herum, denen die Todesangst entstellend in die Gesichtszüge gegraben war.“135

130 Greenslet, Vorwort, S. 30. 131 Kreisler, Tosens, S. 44. 132 Ebd., S. 77. 133 Ebd., S. 77 f. 134 Lerner, Wille, S. 89. 135 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 79. 30

Auch Kreisler verfiel bald nach den ersten Kampfhandlungen in einen geistigen Erschöpfungszustand an der Ostfront und den schrecklichen Eindrücken, die stundenlanges Artilleriefeuer und die Abwehr des Feindes bei ihm hinterlassen hatten: „Ich fühlte mich schwach und todtraurig und der Ohnmacht nahe. Einige Zeit lag ich auf der Erde, ohne zu empfinden, was um mich herum vor sich ging, in einer Art Benommenheit, vollkommen niedergedrückt von den Schrecken um mich herum.“136 Erst ein Offizier und dessen ruhige und unerschütterliche Beherrschung, angesichts des gerade erlebten Schreckens, konnten Kreisler wieder langsam zur Besinnung bringen und „zum vielleicht ersten Mal in meinem Leben bereute ich es, dass meine künstlerische Ausbildung mein Nervensystem übermäßig geschärft und übererregbar gemacht hatte […]“.137 Diese Einstellung, dass gewisse Berufsklassen, wie Künstler oder soziale Oberschichten schon eine gewisse „neurotische Veranlagung“ in Friedenszeiten besaßen, teilten auch die Ärzte im Krieg. Deshalb galt es, diese Personen, bei einem nervösen Anfall, rasch von der Front weg zu bringen, um eine „Ansteckungsgefahr“ auf die restliche Mannschaft zu verhindern.138 Die Diagnosen und Therapiemethoden zu den nervlichen Erkrankungen unterschieden sich im Habsburgerreich erheblich. Es herrschte keine allgemein gültige Erkenntnislage zu den psychischen Krankheitsbildern, die der Krieg den Soldaten auferlegte. Die Ärzte in der k.u.k. Monarchie, sowie in anderen kriegführenden Ländern waren bald mit dem Massenphänomen von psychischen Erkrankungen konfrontiert, auf die sie mit den verschiedensten Heilpraktiken und Therapien, zum Teil mit unterschiedlichem Erfolg, reagierten.139

3.2. „Kriegsneurosen“, „Kriegshysteriker“ und deren Behandlung

Schätzungen zufolge galten während des Ersten Weltkrieges 800.000 bis zu einer Million Soldaten in allen kriegführenden Ländern als „psychisch versehrt“. Für Österreich-Ungarn ergibt sich dabei eine Zahl von ca. 200.000 Soldaten, wenn nicht sogar mehr, bei denen die Diagnose „Kriegsneurose“ oder „Kriegshysterie“ lautete.140

136 Kreisler, Tosens, S. 72. 137 Ebd., S. 73. 138 Leidinger/Moritz, Nervenschlacht, S. 162 f. 139 Hans-Georg Hofer, Was waren „Kriegsneurosen“? Zur Kulturgeschichte psychischer Erkrankungen im Ersten Weltkrieg, in: Der Erste Weltkrieg im Alpenraum. Erfahrung, Deutung, Erinnerung – La Grande Guerra nell’arco alpino. Esperienze e memoria, hrsg. v. Hermann J.W. Kuprian/Oswald Überegger (Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs 23), Innsbruck 2006, S. 309–321, hier S. 314 f. 140 Susanne Michl/Jan Plamper, Soldatische Angst im Ersten Weltkrieg. Die Karriere eines Gefühls in der Kriegspsychatrie Deutschlands, Frankreichs und Russlands, in: Geschichte und Gesellschaft 35 (2009), Heft 2, S. 209–248, hier S. 213. 31

Der Begriff „Kriegsneurose“ fand zwar schon vor 1914 Eingang in medizinische Fachaufsätze, verbreitete sich aber erst während des Krieges in großem Umfang. Dabei blieb er allerdings in seiner Definition äußerst vage formuliert und eignete sich wahrscheinlich deshalb als nützlich für einen Sammelbegriff für „kriegsbedingte, nichtorganische Krankheiten der Psyche und des Nervensystems“.141 Die Begriffe „Kriegsneurose“ und „Kriegshysterie“ wurden im medizinischen Diskurs oft auch synonym verwendet.142 Unterschiedliche Bezeichnungen gab es ebenso in den anderen kriegführenden Ländern, so lautete in der britischen Armee oftmals für dieselbe Erkrankung die Diagnose „Shell-shock“, in der französischen „Hysterie“, in der deutschen Medizin war die Rede von „traumatischer Neurose“ und in Österreich-Ungarn bildete die „Kriegsneurose“ ein sich schnell ausbreitendes Bild in den Kriegsspitälern.143 Geschlechtsspezifische Aspekte und Vorurteile fanden auch Eingang in die Diagnosen der Ärzte. So war zwar die „Neurasthenie“ vor dem Krieg hauptsächlich eine Erscheinung unter Männern der Bildungs- und Oberschicht, die „Hysterie“ wurde jedoch fast ausnahmslos als eine „weibliche“ Krankheit verstanden.144 Aus gegebenem Anlass wurde auch den Gegnern „weibliche Attribute und Schwäche“ zugewiesen, so herrschte unter einigen deutschen und österreichischen Ärzten die Vorstellung, es gäbe nur französische „hysterische Männer“.145 Lehnten einige Ärzte die Diagnose einer „männlichen“ Hysterie während des Krieges für die deutschen Männer konsequent ab, kam bei anderen das Krankheitsbild der „Hysteria virilis“ seit Kriegsausbruch vermehrt vor.146 Die Frage nach den Auslösern und Ursachen für die Kriegsneurosen wurde ebenfalls diskutiert. Den Krieg als alleinigen Auslöser für nervliche Zusammenbrüche von Soldaten konnten oder wollten einige Ärzte nicht miteinander in Verbindung bringen, denn das hätte für die Betroffenen einen Anspruch auf eine Kriegsinvalidenrente bedeutet.147 Das Schlagwort der „Rentenhysteriker“, also arbeits- und kriegsunwillige Männer, denen der „Wille“ und die Bereitschaft für die Heilung fehlten, fand auch schon bald Eingang in die Gerichts- und Militärmedizin.148 Die Psychiater betonten häufig, dass zur vollständigen Genesung der Wille, der übrigens selten klar von den Ärzten definiert wurde, des Patienten ausschlaggebend war.149

141 Hofer, „Kriegsneurosen“, S. 310. 142 Elisabeth Malleier, Formen männlicher Hysterie. Die Kriegsneurosen im Ersten Weltkrieg, in: Körper – Geschlecht – Geschichte. Historische und aktuelle Debatten in der Medizin, hrsg. v. Elisabeth Mixa u.a, Innsbruck-Wien 1996, S. 147–163, hier S. 150. 143 Hofer, „Kriegsneurosen“, S. 315. 144 Leidinger/Moritz, Nervenschlacht, S. 159; Lerner, Wille, S. 93. 145 Hans-Georg Hofer, Nervenschwäche und Krieg. Modernitätskritik und Krisenbewältigung in der österreichischen Psychiatrie (1880–1920), Wien–Köln–Weimar 2004, S. 229. 146 Lerner, Wille, S. 93 f. 147 Malleier, Formen, S. 151; Biwald, Helden, S. 582. 148 Ulrich, Nerven, S. 176. 149 Lerner, Wille, S. 87. 32

Im Rückschluss entstand daher die Auffassung ein „willensschwacher“ Mann neigte im Krieg eher zu hysterischen Anfällen.150 Einmal abgesehen vom „Willen“ des erkrankten Soldaten, hatten die Ärzte zwei wesentliche Aufgaben im Krieg: Erstens, mögliche Rentenansprüche der Kranken abwehren oder beschränken und zweitens, die Kranken entweder heilen oder als Simulanten entlarven. Auf jeden Fall sollten die Soldaten wenn möglich für die Front oder den Kriegsdienst im Hinterland „wiederverwendungsfähig“ gemacht werden.151 War es in den ersten Kriegsmonaten noch üblich, die Erkrankten vom Dienst freizustellen und sie mit einer Invalidenrente zu entschädigen, änderte sich das im Kriegsverlauf mit der massiven Zunahme von nervlich erkrankten Soldaten.152 Für die Donaumonarchie galt: „Im dritten Kriegsjahr wurden 'Kriegsneurotiker' nicht mehr als dauerhaft verletzt eingestuft und mit einer Invalidenrente aus dem Kriegsdienst ausgeschieden, sondern als hysterische Männer mit 'schwachem Willen' angesehen, die prinzipiell wieder dienstfähig werden konnten.“153

Wegen des dringenden „Interesse des Mannschaftsersatzes“ an der Front und um keine Nachahmer zu fördern, sollten deshalb an Neurosen erkrankte Soldaten wieder fronttauglich gemacht werden.154 Für die Soldaten selbst bedeutete dies, bei keiner schnellen Genesung von Klinik zu Klinik geschickt zu werden und oftmals die schmerzhaftesten Behandlungsmethoden durchleben zu müssen. Diagnosen, Theorien über die Entstehung und Maßnahmen zur Heilung von Kriegsneurosen gab es so viele wie es Ärzte in der Monarchie gab. Das führte zu einem regen, auch von Kontroversen geprägten Austausch verschiedener Ärzte auf Tagungen und in medizinischen Fachzeitschriften.155 Die bekanntesten Symptome einer Kriegsneurose waren jene der Bewegungsstörungen. Darunter fielen zum einen die „Kriegszitterer“, deren Anblick zur „Ikonologie des Krieges“156 wurde und am nachhaltigsten als Mahnung für die vom Krieg seelisch gebrochenen Soldaten wirkte. Gehstörungen, teilweise oder vollständige Lähmungen fielen auch in diese Kategorie. Der Mutismus, der „psychogene Stimmverlust“, trat ebenso häufig auf. Der sogenannte „Granatschock“ warf seinerzeit unter Ärzten viele Fragen auf, denn der traumatisierte Soldat

150 Lerner, Wille, S. 99. 151 Ulrich, Nerven, S. 178. 152 Lerner, Wille, S. 93. 153 Hofer, „Kriegsneurosen“, S. 313. 154 Dr. August Richter, Neurosenbehandlung im Feldspital, in: Wiener Medizinische Wochenschrift 43 (1919), S. 2100. 155 Malleier, Formen, S. 150 f. 156 Hofer, „Kriegsneurosen“, S. 318. 33

blieb äußerlich meist unverletzt und so bildeten sich unterschiedliche Meinungen, ob der Auslöser dafür eine physische Verletzung, ein psychisches Trauma oder beides war.157 Angstanfälle, Depressionen oder unkontrollierte Gewaltausbrüche bezeichnete der Wiener Stabsarzt und Psychiater Erwin Stransky (1877–1962) als „Kriegsknall“.158 Weitere Symptome der „Kriegshysterie“ waren ein zeitlich mehr oder weniger begrenzter Gedächtnis- und Sprachverlust und ein als „Gansersyndrom“ bekannter sonderbarer Dämmerzustand des Soldaten, welche bei vielen Ärzten als besonders simulationsverdächtig galten.159 Kreisler erlebte persönlich im Schützengraben wie kurz vor einem bevorstehenden Angriff einer der Männer „plötzlich verrückt“ wurde: „Er sprang aus dem Schützengraben, tanzte wild herum und entledigte sich dabei jeden Fetzens Kleidung.“160 Kreisler berichtete weiter, dass dieser Soldat von der Front zur Reserve versetzt wurde, wo es ihm nach ein paar Tagen besser ging.161 Tagelange mangelnde Verpflegung, körperliche Anstrengungen, die unzureichenden Unterkünfte und das nervenaufreibende Warten auf den Angriff in den Schützengräben definierte Stransky als „Erschöpfungsneurasthenie“.162 Die erste Maßnahme bei solchen „Erschöpfungsneurosen“ war es, die Soldaten aus dem direkten Frontbereich zu entfernen und sie mit möglichst viel Bettruhe, reichlich Ernährung und genügend Schlaf zu versorgen. In den meisten Fällen reichten diese Mittel und eine Beurlaubung für eine Verbesserung des Zustandes aus.163 Nach über zwei Jahren im Krieg und einem Jahr als Stabsoffizier ununterbrochen an der Front, hatte auch Schneider unter der stets „nervenzerrüttenden Beschäftigung“164 zu leiden. Er fühlte sich apathisch, chronisch übermüdet und sein Gedächtnis begann unter dem ständigen Druck zu leiden. Wie er selbst sagte, hätte ihn „eine Woche vollständigster Ruhe“ vielleicht geheilt, doch war ihm kein Urlaub zu diesem Zeitpunkt möglich. Bevor es zum völligen Zusammenbruch kam, meldete er sich schließlich krank, aus seiner Sicht „meine einzige Rettung!“165 Ohne längeren Zwischenaufenthalt in den Feldspitälern kam Schneider schließlich für vier Wochen in seine Heimat, in der er „bald vollständige Erholung“166 fand. Als Oberleutnant erhielt Schneider eine privilegiertere Behandlung, als die meisten k.u.k.

157 Biwald, Helden, S. 583; Malleier, Formen, S. 151 f. 158 Malleier, Formen, S. 152. 159 Malleier, Formen, S. 152 f; Biwald, Helden, S. 583. 160 Kreisler, Tosens, S. 89. 161 Ebd. 162 Leidinger/Moritz, Nervenschlacht, S. 164. 163 Richter, Neurosebehandlung, WMW, S. 2098 f. 164 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 435. 165 Ebd. 166 Ebd., S. 436. 34

Mannschaftssoldaten. Offiziere erhielten größtenteils nicht nur eine „sanftere“ Behandlung, selbst ihre Symptome wurden von den Ärzten anders bezeichnet. Die Neurasthenie oder die Erschöpfungszustände wurden deshalb nicht zufälligerweise bei ihnen am häufigsten diagnostiziert.167 Interessanterweise berichtete der Arzt August Richter von seinen Behandlungsmethoden im Feldspital, dass auf keinen Dokumenten, welche die Patienten einsehen konnten, die Diagnose „Schock, traumatische Neurose ect.“ verzeichnet war, ja überhaupt waren diese Ausdrücke verpönt.168 Stattdessen standen in den meisten Krankenakten folgende Umschreibungen wie „Folgezustand nach Verschüttung“ oder „Herzbeschwerden“.169 Das zeigt wie schon allein die Begrifflichkeiten und deren Konnotationen eine differenzierte Sichtweise des jeweiligen Arztes auf die Diagnose und Behandlung der Soldaten bestimmte, wenn sogar der österreichische Arzt Emil Redlich (1866–1930) davor warnte, den Begriff „traumatische Neurose“ zu benutzen, da dieser, so seine Meinung, eine gewisse „Schwere, selbst Unheilbarkeit des Leidens“170 impliziere. Josef Pölzleitner, der die schweren Kämpfe um den Col di Lana 1916 miterlebte, war durch das oft stundenlange Trommelfeuer und die andauernden Angriffe der Italiener mit seinen geistigen Kräften bald am Ende: „Meine Nerven aber zeigten sich diesen Anforderungen nicht mehr gewachsen.“171 Die Folge davon war, dass Pölzleitner unter einem beständigen Brechreiz litt, sodass er teilweise nur mehr von Zuckerwasser im Schützengraben lebte. Die Aufforderung eines Arztes, sich doch krank zu melden, lehnte Pölzleitner mehrmals ab.172 Als sich sein Zustand nicht besserte, obwohl er mit seinem Bataillon in der Zwischenzeit ins Hinterland auf Retablierung geschickt wurde, ließ er sich schließlich ärztlich untersuchen. Der Regimentsarzt Dr. Singer, „gleichmäßig gefürchtet bei Gesunden, Kranken und Tachinierern“, schickte ihn aufgrund eines lang anhaltenden Fiebers als „typhusverdächtig“ in das Offiziersspital nach Bruneck.173 Obwohl Pölzleitner sich durch den Aufenthalt und das Nachlassen seines Brechreizes schon bald wieder als einigermaßen gesund betrachtete, wurde er trotzdem weiter ins Spital nach Innsbruck und schlussendlich ins Allgemeine Krankenhaus nach Linz verlegt. Das Leben abseits der Front schien für Pölzleitner das beste Heilmittel zu sein: „In der Ruhe des Hinterlandes fand ich meine volle Gesundheit wieder.“174 Auch wenn Pölzleitner oder die

167 Lerner, Wille, S. 106. 168 Richter, Neurosebehandlung, WMW, S. 2099. 169 Richter, Neurosebehandlung, WMW, S. 2099; Biwald, Helden, S. 587. 170 Wiener Medizinische Wochenschrift 25 (1916), S. 944. 171 Pölzleitner, Berge, S. 140. 172 Ebd. 173 Ebd., S. 161. 174 Ebd., S. 162. 35

Ärzte nicht explizit von seiner Krankheit als eine Folge des Krieges sprachen, kann zumindest aus der Behandlung, längeren Aufenthalten in Spitälern in der Heimat und ausreichend Ruhe, geschlossen werden, dass der Einsatz an der Front und die nervenaufreibenden Erlebnisse einen großen Anteil an seiner geistigen sowie körperlichen Gesundheit hatten. Die leichteren Fälle von nervenerkrankten Soldaten wurden zumeist mit viel Bettruhe, Diäten, Bädern und Beruhigungsmitteln erfolgreich geheilt.175 Für die härteren Fälle wurde die „disziplinäre Heilmethode“ angewandt, die mit Zwang, Einschüchterung oder Abschreckung arbeitete.176 Dabei entwickelten die Ärzte bisweilen schon an die Folter grenzende Praktiken. Eine Methode zur Heilung des Mutismus war dem Patienten eine kleine Metallkugel an den Kehlkopf zu setzen, der bei ihm einen Angstschrei vor dem Ersticken auslösen sollte.177 Eine der bekanntesten und brutalsten Methoden entwickelte der deutsche Arzt Fritz Kaufmann (1875–1941), bald als die Kaufmann`sche oder Kaufmann-Methode bekannt. In einer Verbindung von verbalen Suggestionen und elektrischen Stößen sollte die Heilung des Patienten in nur einer einzigen, manchmal stundenlangen Sitzung erzwungen werden.178 Die Überlegung hinter dieser Therapie war es, die verbrauchten Nervenenergien der Soldaten mithilfe der Stromstöße wieder aufzuladen.179 In Österreich-Ungarn übernahm die Wiener psychiatrische Klinik von Julius Wagner-Jauregg (1857–1940) enthusiastisch diese Methode für diejenigen Soldaten, die auch nach den gemäßigten Heilmethoden noch keine Verbesserung ihres Zustandes aufwiesen. In der Habsburgermonarchie wurde diese Methode, im Vergleich etwa zu Deutschland, in größerem Ausmaß angewandt.180 Ausführlich schilderte Richter die Anwendung der „Elektrotherapie“ bei Kriegsneurotikern: „Nach entsprechender Verbalsuggestion und autoritativer Zusicherung der Heilung wurde er [der Patient] auf einem Behandlungstisch mit breiten Gurten leicht festgeschnallt und dann (nach einem Vorschlage Wagners) die indifferente Stelle der Dorsalfläche der Zehen mit dem faradischen Pinsel kurz und kräftig elektrisiert und unter weiterer Verbalsuggestion […] die Behandlung in einer Sitzung bis zur Behebung der Symptome fortgesetzt. Wir haben, als einmal die Abteilung im Gang war, selten mehr als einige Minuten zur Erzielung des therapeutischen Effektes gebraucht.“181

175 Biwald, Helden, S. 583. 176 Malleier, Formen, S. 155. 177 Biwald, Helden, S. 582. 178 Malleier, Formen, S. 156. 179 Hofer, Nervenschwäche, S. 384. 180 Michl/Plamper, Soldatische Angst, S. 245. 181 Richter, Neurosenbehandlung, WMW, S. 2099 f. 36

Pölzleitner war Zeuge, als sein ungarischer Bettnachbar in Linz, der an einem „schweren Nervenschock“ litt, dieser Heilmethode ausgesetzt wurde. Dem Ungarn, der kaum Deutsch konnte, wurde das Bein zuerst kräftig massiert und dann elektrisiert: „Schmerzlich stöhnte der Arme auf.“ Wie sich später herausstellte, war die Behandlung nicht für ihn, sondern für einen anderen Patienten bestimmt gewesen.182 Berichteten die Vertreter der „disziplinären“ Methoden noch zu Kriegsbeginn von einer hundertprozentigen Heilungschance der Kriegsneurosen, änderte sich das im Verlauf des Krieges, nicht zuletzt auch aufgrund „eines wachsenden Widerstandes seitens des Publikums“183 gegen die rigorosen elektrischen Behandlungen. Obwohl von einigen Ärzten die schnellen Erfolge der Kaufmann-Methode gelobt und vielerorts nachgeahmt wurden, gab es auch Meldungen über Todesfälle von Patienten im Zuge dieser Behandlungen.184 Als nach mehrmaliger schmerzhafter elektrischer Behandlung in der neurologischen Abteilung des Kriegsspitals Grinzing, unter der Leitung von Martin Pappenheim (1881–1943), ein Soldat 1917 Selbstmord beging und einer seiner Kameraden aus der Nervenanstalt flüchtete, gelangte die Sache an die Öffentlichkeit. Es formierte sich von den Angehörigen und Opfern, sowie von sozialdemokratischen Abgeordneten Widerstand gegen die Anwendung der Kaufmann- Methode.185 Als Konsequenz wurde eine Kommission zur Erhebung militärischer Pflichtverletzungen gegen Julius Wagner-Jauregg im Jahr 1920 ernannt.186 Auch in Medizinerkreisen fand in den letzten beiden Kriegsjahren ein Umdenken statt und sogar die Heeresverwaltung setzte wieder vermehrt auf „mildere Therapien“.187 Die noch junge Disziplin der Psychoanalyse und ihre Vertreter widmeten sich ebenso den Kriegsneurosen. Mithilfe einer „hypnotischen Suggestivbehandlung“ berichteten Ärzte von deren großen Heilungschancen unter Kriegshysterikern.188 Ernst Simmel (1882–1947), der ab 1916 ein Lazarett für Kriegsneurotiker in Posen leitete, meldete die erfolgreiche Behandlung von Kriegsneurosen durch die psycho-analytische Methode.189 Für Simmel und andere Psychoanalytiker waren Kriegsneurosen das Produkt eines im Krieg erlebten psychischen Traumas. Mittels Traumdeutung und Hypnose ließ Simmel die Patienten ihre im Unterbewusstsein festsitzenden Traumata noch einmal in hypnotisierten Zustand durchleben

182 Pölzleitner, Berge, S. 164. 183 Artur Schüller, Zur Behandlung der Kriegsneurosen, in: Wiener Medizinische Wochenschrift 20 (1919), S. 977. 184 Malleier, Formen, S. 156; Hofer, Nervenschwäche, S. 384. 185 Leidinger/Moritz, Nervenschlacht, S. 172. 186 Hofer, Nervenschwäche, S. 384. 187 Leidinger/Moritz, Nervenschlacht, S. 173. 188 Schüller, Kriegsneurosen, WMW, S. 977. 189 Malleier, Formen, S. 156. 37

und infolgedessen sie vollkommen geheilt waren.190 Diese Heilmethoden beruhten allerdings auf der Grundlage gemeinsamer Sprache und Verständigung. Hier hinderte die Vielsprachigkeit des Habsburgerreiches viele Ärzte daran eine Hypnose erfolgreich durchzuführen.191

3.3. Nervöse Soldaten oder Nervenkrieger?

„Während des Urlaubes meines Majors Szabo vertritt Hptm. König, der dringend Urlaub benötigen würde. Er macht den Eindruck, als wenn er eine Nervenzerrüttung hätte, ist aber nicht zum Arzt zu bringen – will nur auf Urlaub.“192 Dieser Tagebucheintrag des Einjährig-Freiwilligen Josef Robert Werner vom 25. Juli 1918 lässt erahnen, dass nicht alle Soldaten die Möglichkeit genossen, sich durch Krankmeldung, wie Schneider und Pölzleitner, oder Urlaub von den Kriegsstrapazen zu erholen. Die Masse der Soldaten sah sich den körperlichen und seelischen Belastungen des Krieges ausgesetzt und musste sich durch andere verfügbare Mittel helfen. Alkohol- und Tabakkonsum waren im Krieg die Hauptnarkotika, die eigenen Ängste abzumildern und die Nerven zu beruhigen. Wie Niall Ferguson meinte: „Ohne Alkohol und Tabak hätte der Erste Weltkrieg nicht ausgefochten werden können.“193 Tatsächlich finden sich zahlreiche Beispiele und Erwähnungen in den Kriegstagebüchern und Erinnerungen von Soldaten, welche an der Front den andauernden lebensbedrohenden Stress nur mit diesen Mitteln einigermaßen bewältigen konnten. Der oben genannte Fähnrich Werner war 1918 an der italienischen Front stationiert und erlebte dort die Schlachten am Piave mit, die ihn und die anderen Soldaten die letzten Kräfte kosteten: „Ich komme nicht mehr zu einem zusammenhängenden Schlaf – wir fassen draußen doppelte Portionen an Wein, Rum – rauchen sehr viel.“194 Auch Otto Gallian, an der italienischen Front, war von den Erlebnissen im Krieg erschüttert. Der Anblick der Skelette von zerschossenen Tragtieren, Granattrümmern und Leichen war „ein unheimlicher Eindruck, der auch dem alten Frontsoldaten an den Nerven zerrt“.195 Die fast unerträglichen Lebensumstände an der Front ließen sich für Gallian mithilfe des Nikotins bewältigen, denn er „zünde eine Zigarette an der andern an“196 und musste er wieder in die

190 Schüller, Kriegsneurosen, WMW, S. 977. 191 Malleier, Formen, S. 157. 192 Werner, Kriegstagebuch, S. 133. 193 Niall Ferguson, Der falsche Krieg. Der Erste Weltkrieg und das 20. Jahrhundert, Stuttgart 1999, S. 322. 194 Werner, Kriegstagebuch, S. 102. 195 Gallian, Monte Asolone, S. 58. 196 Ebd. 38

Gefechtslinie, schrieb er: „Noch einen Kräftigungsschluck, eine Schachtel Zigaretten […] Dann bin ich wieder draußen im Trommelfeuer.“197 Die Militärführung bemühte sich die Todesangst und Paniken von Soldaten bewusst mit Alkohol zu betäuben.198 Die sich endlos hinziehenden Stunden in einem Schützengraben im Stellungskrieg waren für die Soldaten in gleichem Maße nervenaufreibend. Pölzleitner beschrieb diese Situation, in der ihn dieses „Zuwarten mit doppelter Wucht“199 traf. „Die Kameraden verqualmten eine Zigarette nach der anderen in endloser Kette, als Stimulanz. Und die Mannschaft rauchte ihre Pfeifen.“200 Pölzleitner war Nichtraucher und auch der Alkohol konnte ihm nicht „als Betäubungsmittel dienen“.201 Seinen Kameraden hingegen schien allein der Griff zur Flasche Wein über die „furchtbaren Stunden hinweg“ zu helfen.202 Auch Werner half nach einem Granatenbeschuss ein „Schluck Rum, mit dem ich meinen Schock rasch überwinde“.203 Der Krieg und seine Schrecken machten Pölzleitner schlussendlich doch noch zum Raucher. Als er auf die Ablösung seines Bataillons wartete und diese nicht pünktlich eintraf, griff er zur Beruhigung seiner Nerven zum Tabak: „Aus Nervosität verpaffte ich eine Zigarette nach der anderen.“204 Auch der Alkohol hatte im Leben eines Soldaten seinen festen Platz. So meinte etwa Wegl: „Rum (ohne h) habe ich ganz erschrecklich viel konsumiert, Ruhm (mit h) aber noch wenig erworben.“205 Der sich ausbreitende Alkoholkonsums unter den Soldaten sprach Gallian in seinen Erinnerungen an: „Es heißt, wir 'saufen' zuviel. Das ist eine schwere Sache. Wenn man so draußen beisammensitzt und es fängt einer an, irgend ein Lied von daheim zu singen, man kramt einen Brief heraus, den man schon zum zehnten- oder zwanzigstenmal gelesen hat – man ist doch jung und wenn man daran denkt, daß da irgendwo ein nettes Mädel sitzt, das man lieber hat als die andern, daß es doch recht fraglich ist, ob es da ein Wiedersehen gibt – ja, ist es da ein Wunder, wenn einer auf den Tisch haut und ein wüstes Trinken beginnt, daß man sich besauft, um nur an all das nicht mehr denken zu müssen…“206

Hier spricht Gallian auch schon an, dass meist nur die Flucht in den Alkohol half, das Erlebte zu vergessen. Pölzleitner war Zeuge eines Militärgerichts, das einen ruthenischen Soldaten wegen Desertion zum Tode verurteilte. Am Abend saß er mit seinen Kameraden zusammen

197 Ebd., S. 113. 198 Hanisch, Männlichkeiten, S. 33. 199 Pölzleitner, Berge, S. 133. 200 Ebd. 201 Ebd. 202 Ebd. 203 Werner, Kriegstagebuch, S. 60. 204 Pölzleitner, Berge, S. 269. 205 Wegl, Kriegstagebuch, S. 96. 206 Gallian, Monte Asolone, S. 99 f. 39

und „der Alkohol schwemmte den trüben Eindruck des vorhergegangenen Schauspiels hinweg“.207 Alkohol und Zigaretten konnten die schrecklichen Eindrücke und Erlebnisse bei so manchen aber nur für kurze Zeit unterdrücken. In den kritischen Momenten bei feindlichem Beschuss ließen auch die stärksten Nerven nach. So notierte Werner in seinem Tagebuch, als die Eingänge seines Beobachtungsstandes vom gegnerischen Granatfeuer zerschossen wurden und er stundenlang warten musste, bis er ausgegraben wurde, dass er zwar „ein[en] Nervenschock [hat], sonst ist alles wie durch ein Wunder heil.“208 In diesem Krieg spielten die Nerven, als zentrales Merkmal eines soldatischen Mannes eine besondere Rolle. Der hysterische „Kriegszitterer“, der seinen Körper aus Angst nicht mehr unter Kontrolle hatte, bildete in den Augen des Militärs und einiger Ärzte das extreme Gegenteil eines männlichen Soldaten und löste eine „Krise der Männlichkeit“ aus. Das traditionelle Verhältnis von Männlichkeit und Krieg wurde somit zerstört, da in diesem modernen industrialisierten Krieg die körperlichen Kräfte eines Mannes allein nicht mehr ausreichten. Die Nervenkraft eines Soldaten wurde somit auch Teil eines neuen militärischen Männlichkeitsbildes, das um 1915 konstruiert wurde. Die Kriegspsychatrie konzentrierte sich bei der Figur des „Nervenkriegers“ deutlich auf die psychisch-mentalen Fähigkeiten. Dieser Kriegertypus musste den körperlichen sowie den seelischen Belastungen des Krieges standhalten.209 Es galt von nun an keine Angst mehr zu zeigen, denn das ließe sich mit den soldatischen Idealen von Tapferkeit und Männlichkeit nicht vereinbaren. Kriegsneurotiker hatten zudem mit dem Vorwurf zu kämpfen, Schwächlinge, Feiglinge und ganz allgemein nicht patriotisch genug zu sein, um dem Krieg standhalten zu können. Angst und Furcht zu zeigen galt als unehrenhaft und zersetzend für die Moral und Disziplin.210 Fritz Kreisler erkannte das schon 1914, als er seinen Oberst beschrieb: „Das war ein echter Mann, der nicht wegen nervöser Bedenken oder übermäßiger Empfindsamkeit verzagte.“211 Kreisler bedauerte es, selbst nicht die Schrecken des Krieges so „tapfer und männlich“ zu ertragen, wie es dieser Offizier imstande war.212 Bei den meisten Soldaten jedoch, die um einiges länger als Kreisler im Krieg waren, hielt dieses heroische Männlichkeitsbild der Kriegsrealität nicht stand. Hans Pölzer, der die 4. Isonzoschlacht miterlebte, schreibt ohne Beschönigungen von dem grausamen Kriegsalltag und

207 Pölzleitner, Berge, S. 292. 208 Werner, Kriegstagebuch, S. 105. 209 Hofer, „Kriegsneurosen“, S. 318 f. 210 Michl/Plampler, Soldatische Angst, S. 241. 211 Kreisler, Tosens, S. 73. 212 Ebd. 40

dem „nervenzerfetzende[n] Gebrüll jener zwei Jäger über mir, denen ein Granatstück die Gedärme zerrissen hatte“.213 Diesen Gräueln des Krieges ausgesetzt, fühlte Pölzer seine „Seele mürbe werden oder – wie man sagen will – meine Nerven nachlassen“.214 Die neuen Waffen des Krieges hatten einen tiefgreifenden Effekt auf die Nerven der Soldaten. Dazu meinte stellvertretend Werner: „Tag und Nacht Artilleriefeuer und leider ständige Verluste durch schwere Minen – An diese intensive Gefechtstätigkeit ist schwer die Nerven zu 'gewöhnen'“.215 Dem ständigen Feindfeuer ausgesetzt merkte Pölzleitner an: „Ich bewunderte meine Leute, ihren leuchtenden Opfersinn, ihren beispiellosen Mut. Und ihre unverbrauchten Nerven!“216 Die neuartigen Waffen und ihre Auswirkungen in diesem Krieg bildeten auch für die Soldaten einen zentralen Punkt in ihren Erinnerungen. Deshalb werden im nächsten Abschnitt die Beziehungen, die Akzeptanz oder Ablehnung zu den neuen Kriegsmaschinen durch die Soldaten genauer untersucht werden.

213 Pölzer, Isonzo, S. 15. 214 Ebd., S. 20. 215 Werner, Kriegstagebuch, S. 101. 216 Pölzleitner, Berge, S. 41. 41

4. Die moderne Kriegsführung

Der Erste Weltkrieg stellte eine wichtige Zäsur in der modernen Kriegsführung dar. Die vorangegangenen Kriege im 19. Jahrhundert in Europa blieben relativ kurze Feldzüge mit einer kriegsentscheidenden Schlacht. Das Hinterland und die Zivilbevölkerung waren davon vergleichsweise wenig betroffen. Der russisch-japanische Krieg und die Balkankriege waren für aufmerksame Beobachter jedoch schon eine Warnung an zukünftige Kriege zwischen Großmächten und den Konsequenzen eines „industriellen“ Krieges gewesen.217 Der polnisch- jüdische Unternehmer, Publizist und Pazifist Ivan Bloch218 (1836–1902) sah schon in seinem Hauptwerk von 1898 „Der zukünftige Krieg in seiner technischen, volkswirtschaftlichen und politischen Bedeutung“ voraus,219 dass sich der Charakter des Krieges, aufgrund des Rüstungsniveaus der europäischen Nationen und der technischen Vernichtungskraft moderner Kriegswaffen komplett verändert habe. Ein Krieg zwischen industrialisierten Staaten würde zu einer reinen Materialschlacht verkommen, die einen nie zuvor gekannten Aufwand an menschlichen und materiellen Ressourcen verschlingen würde, welche kein Staat lange auszuhalten imstande wäre. In seinem Buch prophezeite Bloch rund zwei Jahrzehnte vor der russischen Revolution, dass die wirtschaftlichen und innenpolitischen Belastungen, die ein solcher Krieg zweifellos nach sich ziehen würde, zum Zusammenbruch der Monarchie und Volkswirtschaften führen würde.220 Blochs erstaunlich präzise Prognose über den Massenvernichtungskrieg und seine Auswirkungen sollten sich in den Schützengräben und Materialschlachten des Ersten Weltkrieges bewahrheiten.

4.1. Die Schrecken der Artillerie

Zwei neue Waffen prägten das kollektive Kriegserlebnis der Soldaten im Ersten Weltkrieg: Das Maschinengewehr und die Artillerie. Die k.u.k. Armee hatte es in den Vorkriegsjahren versäumt, ihre Artilleriewaffen auf den neuesten Stand der Technik zu bringen und war in

217 Herbert Matis, Wirtschaft, Technik und Rüstung als kriegsentscheidende Faktoren, in: Wirtschaft, Technik und das Militär 1914–1918. Österreich-Ungarn im Ersten Weltkrieg, hrsg. v. Herbert Matis/Juliane Mikoletzky/Wolfgang Reiter (: Forschung und Wissenschaft. Geschichte 11), Wien- 2014, S. 11– 50, hier S. 11–13. 218 Im deutschen und polnischen auch als Jan/Johann von Bloch bekannt, nicht zu verwechseln mit dem deutschen Arzt und Sexualforscher Iwan Bloch (1872–1922). 219 Erschien ein Jahr später in deutscher und französischer Übersetzung. 220 Manfred Sapper, Den Krieg überwinden. Jan Bloch: Unternehmer, Publizist, Pazifist, in: Osteuropa 58 (2008), 8-10, S. 303–311, hier S. 309 f. 42

quantitativer Hinsicht der russischen Artilleriekraft weit unterlegen. Einige Militärs hofften diese materielle Überlegenheit des Gegners durch eine bessere Ausbildung und Schulung des Artilleriekorps sowie einer effektiveren Schießtaktik auf dem Schlachtfeld auszugleichen. Diese Überlegungen erwiesen sich jedoch in den ersten Kriegsmonaten an der Ostfront, als es aufgrund der mangelnden Artillerieunterstützung der eigenen Infanterietruppen zu großen Verlusten kam, als vollkommen unrealistisch.221 Bei Kriegsausbruch besaß die k.u.k. Armee 1.734 moderne Feldkanonen. Außerdem waren Teile der Armee noch mit 420 leichten und 112 schweren Feldhaubitzen der Modelle aus dem Jahr 1899 ausgerüstet, die noch keine moderne Rohrrücklaufvorrichtung222 besaßen und eine Reichweite von nur 6 Kilometern hatten.223 Im Vergleich dazu war die russische Armee zu Kriegsbeginn mit 6.278 Kanonen und 676 Haubitzen ausgerüstet.224 Zu dieser technischen und zahlenmäßigen Unterlegenheit kam noch der entscheidende Faktor hinzu, dass die k.u.k. Armee bei ihren Geschützen noch vermehrt auf Rohre aus „Stahlbronze“ setzten und nur über eine Stahlrohrfabrik, den Škoda-Werken in Pilsen, verfügte.225 In den ersten zwei Kriegsjahren kam es dann zur Nachrüstung der Artillerie mit der 10-cm- Feldhaubitze, der 10,4-cm-Kanone und der schweren 15-cm-Feldhaubitze. Während des Krieges wurde auch der Ausbau der schwerkalibrigen Artilleriewaffen – die eine Rohrweite über 10 cm hatten – forciert. Somit hatte nun auch die österreichisch-ungarische Armee leistungsfähige und hochmoderne Geschütze in ihren Reihen aufzuweisen. Zahlenmäßig konnte jedoch den gesamten Krieg hindurch der Produktionsstand der benötigten Geschütze nie vollständig erreicht werden.226 Wie keine andere Waffe sollte sich die Artillerie zu einem entscheidenden Faktor im Kriegsgeschehen entwickeln. Ihre Hauptaufgabe bestand darin, den Weg für die eigenen Infanterieangriffe freizumachen und feindliche Stellungen auszuschalten. Genauso lag es an ihr feindliche Infanterietruppen abzuwehren.227 Konnte durch diese Vorbereitung kein entscheidender Durchbruch der eigenen Truppen gelingen, war die übliche Devise, den artilleristischen Aufwand beim nächsten Angriff zu steigern. Dadurch verwandelte sich das

221 Christian M. Ortner, Zwischen Innovation und Stagnation. Die technische Entwicklung der österreichisch- ungarischen Artillerie 1914–1918, in: Wirtschaft, Technik und das Militär 1914–1918. Österreich-Ungarn im Ersten Weltkrieg, hrsg. v. Herbert Matis/Juliane Mikoletzky/Wolfgang Reiter (Austria: Forschung und Wissenschaft. Geschichte 11), Wien-Berlin 2014, S. 119–155, hier S. 120. 222 System, das mit der Kraft des eigenen Rückstoßes des Rohres wieder in die ursprüngliche Stellung gelangte und dadurch die Feuergeschwindigkeit erheblich verbesserte, siehe Lutz Unterseher, Der Erste Weltkrieg. Trauma des 20. Jahrhunderts, Wiesbaden 2014, S. 55. 223 Dieter Storz, Artillerie, in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn 2014, S. 344–349, hier 346. 224 Matis, Wirtschaft, S. 34. 225 Ortner, Innovation, S. 121. 226 Storz, Artillerie, S. 346. 227 Ebd., S. 344-348. 43

Kampfgeschehen an den Fronten bald zu den großen „Materialschlachten“ des Krieges. Ein Überraschungseffekt solcher Kampftaktiken blieb dabei hingegen aus, denn in der Regel kündigte längerer Artilleriebeschuss einen folgenden Infanterieangriff an, wodurch Reserven herangeschafft und nötige Abwehrvorrichtungen geschaffen werden konnten.228 So wusste auch Pölzleitner, der tagelang einem solchen Beschuss ausgesetzt war, dass demnächst etwas auf feindlicher Seite passieren würde, denn „die gewaltige Artillerievorbereitung ließ ja einen baldigen Infanterieangriff vermuten“.229 Die Wirkung eines solchen Beschusses hochmoderner Geschütze auf eine Stellung, in diesem Falle das österreichische Sperrwerk Tre Sassi, erlebte Pölzleitner aus nächster Nähe mit: „Erde und Steine und Eisenstücke fliegen um mich. Bei jedem Einschlag presse ich meinen Körper an den steinigen Boden, bin furchtbar erschüttert.“ Die Eindrücke, welche diese moderne Kriegsmaschinerie auf ihn hinterließ, drückte er sogleich darauf aus: „Ein Höllenlärm. Splitter pfauchen durch die Luft. Ich fühle mich unsäglich verlassen und armselig. Und das ist nur der Anfang, für mich hinter dem Steinblock ein gefahrloses Vorspiel. Wie wird das noch werden?“230 Die Antwort auf diese Frage bekam Pölzleitner schon bald, als sein Schützengraben 1916 am Kleinen Lagazuoi von italienischen Geschützen unter Beschuss genommen wurde. Granateneinschläge im Gebirge erreichten hier eine ganz andere Dimension, als etwa auf den Schlachtfeldern der West- und Ostfront. Pölzleitner beschrieb auch hier eindrucksvoll die Auswirkungen eines solchen Granatenfeuers in den Felswänden, die durch die Steinsplitter noch verheerender waren: „Eine ungeheure Felswand schien niederzubrechen, überschüttete uns mit allen Schauern des Grauens. Wie wenn die Erde geborsten wäre. Splitter schwirrten über uns hinweg. Ich saß zusammengekauert hinter dem Felsblock. Da rückte die zweite Einundzwanzig- Zentimeter-Granate an. Die Erde erzitterte wieder. Ein Getöse ohnegleichen, vom Echo noch verstärkt. […] Und so gings nun Schlag auf Schlag. Mit bleichen Wangen warteten wir und warteten. So hatte ich mir in angstvollen Stunden den Krieg vorgestellt. Felsblöcke verschwanden, wurden von der furchtbaren Kraft zermalmt, Splitter surrten, kamen von vorne und hinten, von links und rechts, gellten mit schaurigem Gepfeife durch die Luft.“231

An der Karstfront wusste Hans Pölzer ebenso von dem entsetzlichen Beschuss in den Felswänden zu erzählen:

228 Ebd., S. 347. 229 Pölzleitner, Landsturm, S. 25. 230 Pölzleitner, Berge, S. 35. 231 Ebd., S. 38. 44

„Das war kein Krach wie ein einzelner Schlag, das klang wie eine Salve von tausend Geschützen. Dann folgten die ersten Steinlawinen, die sich loslösten. Achthundert Meter von der Einschlagstelle einer solchen Riesenbombe weg kamen noch schwere Verwundungen durch Steinschlag vor!“232

Die Schutzvorrichtungen gegen diese Art von Geschosse waren kaum vorhanden oder hielten ihnen nicht lange stand, wie Pölzleitner berichtete: „Nirgends Sicherheit vor den Splittern. Die Steinmauern, von denen wir uns so viel versprochen hatten, brachen zusammen wie Kartenhäuser.“233 Auch Gallian, der von den schweren italienischen 30-cm-Geschützen, „Dreißiger“ genannt, im Grappa Massiv beschossen wurde, erfuhr die Hilflosigkeit gegenüber eines solchen Granaten- und Steinhagels: „Nun scheint die Hölle losgelassen. Ich liege gedeckt hinter einem Busch, um wenigstens einigermaßen gegen Steinschlag geschützt zu sein […].“234 Gegen heftiges Artilleriefeuer ließ sich in einem Schützengraben schwer Schutz finden. So kritisierte Pölzer die Nachlässigkeit der „Herren Offiziere“ bei der Planung einer Gefechtsstellung, die dem italienischen Artilleriefeuer standhalten sollte: „Wie sollen Bretter und Dachpappe einem wochenlangen Granathagel widerstehen?“235 Zugleich stellte das oft stunden- oder tagelang anhaltende „Trommelfeuer“ für viele Soldaten eine starke nervliche Belastung dar.236 Pölzleitner schilderte in seinen Kriegserinnerungen sein erstes Trommelfeuer mit all seinen Schrecken: „Herr im Himmel! Solch Feuer hatte ich noch nie erlebt. In jeder Sekunde einige Einschläge. Die einzelnen Explosionen waren nicht mehr zu unterscheiden, nur die ganz schweren konnten sich noch bemerkbar machen. Es war ein ununterbrochenes Rollen und Krachen, Pfeifen und Wimmern. Und wir saßen mitten drin, mit bleichen Wangen, stieren Augen, zitternden Händen. Dieses furchtbare Zuwarten! Wahnsinnig könnte man werden!“237

Das dichte Artilleriefeuer, das sich gleich einer Feuerwalze über die Front bewegte, das sogenannte Sperrfeuer, erlebte auch Josef Werner an der italienischen Front mit. Als inmitten seiner Gruppe eine Granate einschlug, notierte er: „Noch unter dem Eindruck der fürchterlichen Feuerwalze, die über uns hinweg gegangen, vermag ich noch keine Worte zu finden, mein Entsetzen zu schildern.“238 Auch bei Gallian waren die Nerven während eines Granatenbeschusses „zum Reißen gespannt“.239 Für Fritz Kreisler, der die ersten stundenlangen

232 Pölzer, Isonzo, S. 32. 233 Pölzleitner, Berge, S. 39. 234 Gallian, Monte Asolone, S. 13. 235 Pölzer, Isonzo, S. 5. 236 Unterseher, Weltkrieg, S. 94. 237 Pölzleitner, Berge, S. 134. 238 Werner, Kriegstagebuch, S. 112. 239 Gallian, Monte Asolone, S. 13. 45

Artillerieduelle des Krieges an der Ostfront miterlebte, war „das unaufhörliche Grollen, Krachen und Bersten der Granaten beinahe unerträglich für unsere Nerven geworden“.240 Viele Soldaten versuchten in ihren Erinnerungen die Wirkung eines solchen „Stahlgewitters“ auch sprachlich zu erfassen. Dabei wird vielmals von einem „ununterbrochenen Geprassel, Gekrache, Geheule“ und einem „wahnsinnigen Brüllen“ gesprochen.241 Mary Habeck formulierte in ihrer Untersuchung ausgewählter Kriegserinnerungen von Soldaten an der Westfront drei Kategorien von Metaphern, welche die Männer für die Kriegstechnik benutzten. Die Waffen wurden entweder als übermenschlich oder übernatürlich, als nichtmenschlich oder als menschlich bzw. mit Begriffen, die mit der menschlichen Welt verbunden waren, betrachtet. Die als übernatürlich empfundene Vernichtungskraft von Artillerie und Granaten, bekamen in den Soldatenaufzeichnungen „teuflische“ und „dämonische“ Züge.242 Das fand auch Pölzer, der die Geräusche der herannahenden Geschosse ähnlich dem „Heulen und Sausen von hunderttausend Teufeln“ wahrnahm.243 Geschützfeuer, das „wie irrsinnig zu trommeln“ begann, ließ bei Gallian die apokalyptische Vorstellung entstehen „als wäre das Jüngste Gericht herangebrochen“.244 Vielfach wurden auch Vergleiche und Metaphern zu Naturgewalten hergestellt, um die Eindrücke von diesem „Lärm, wie man sich ihn nie denken könnte“245, festzuhalten. Das sei, laut Habeck, ein Mittel gewesen diese nichtmenschliche Technik, die von den Soldaten oft als unkontrollierbar empfunden wurde, doch irgendwie in den Griff zu bekommen.246 Indem die Soldaten die Waffen und Geschosse mit Dingen aus ihrem normalen Vorkriegsleben verglichen, konnten sie das Fremde und Bedrohliche vertrauter machen und damit besser umgehen. Häufig wurden die Geräusche der großkalibrigen Granaten mit dem Lärm von Zügen verglichen.247 Bei Pölzer etwa klang eine herannahende Granate „wie das vielfach verstärkte Rollen einer langsam fahrenden Tramway“.248 Die feindliche Artillerie und Granatgeschosse wurden oftmals auch mit Tieren und Naturphänomenen gleichgesetzt. Gallian sprach etwa von einem „Sausen und Heulen, das sich gleich einer ungeheuren Sturzflut nähert“ und von einem „orkanartigen Trommelfeuer“.249 Pölzleitner beschrieb das „Heulen vorüberbrausender Eisen-

240 Kreisler, Tosens, S. 68. 241 Pölzer, Isonzo, S. 11. 242 Mary R. Habeck, Die Technik im Ersten Weltkrieg – von unten gesehen, in: Der Erste Weltkrieg und das 20. Jahrhundert, hrsg. von Jay Winter/Geoffrey Parker/Mary R. Habeck, Hamburg 2002, S. 101–132, hier S. 105. 243 Pölzer, Isonzo, S. 33. 244 Gallian, Monte Asolone, S. 14. 245 Pölzleitner, Berge, S. 41. 246 Habeck, Technik, S. 106. 247 Ebd., S. 114. 248 Pölzer, Isonzo, S. 32. 249 Gallian, Monte Asolone, S. 12. 46

und Steinsplitter und das Prasseln des Steinregens“250 und eine schwerkalibrige Granate wurde zu einem ungeheuren „Tier mit rießigen Schwingen“.251 Wegl, der bei Serrada in Trient stationiert war, beschrieb einen Granatbeschuss mit folgenden Worten: „Ein dumpfer Knall, ein Zischen in der Luft, dem ein klagender Ton folgt, wie das Heulen eines Hundes.“252 Bei Schneider wurde selbst die eigene Artillerie zu einem „Untier“, das auf die Gegner „losgelassen“ wurde und dabei „brüllt und heult“.253 Nicht alle Soldaten empfanden diese Technik jedoch zu jeder Zeit als lebensbedrohlich. So schrieb Erich Mayr, als er 1915 in Galizien war: „Die Schrapnells pfiffen schon wieder recht lustig über unseren Köpfen vorüber.“254 Eine allzu menschliche Sprache verlieh Mayr auch den Kugeln, die „pfiffen und sangen“ und als er mitten im Kugelregen stand „sang es in allen Tonarten vorüber“.255 Als die russische Artilleriefeuerkraft allerdings „ihr grausliches Handwerk“ steigerte, herrschte auch bei Mayr „ein unbeschreibliches Heulen und Sausen in der Luft und der Lärm ist betäubend“.256 Es gab auch einen wesentlichen Unterschied bei der Bewertung der eigenen und der feindlichen Artillerie in den Kriegserinnerungen der Soldaten. So hielt etwa Kreisler das Auftauchen der eigenen Geschütze an der Front als äußerst aufbauend für die Moral der Soldaten, denn er hätte „noch nie ein willkommeneres Geräusch gehört als das tiefe Grollen und Krachen“.257 Zudem half seiner Meinung nach, der Eintritt der eigenen Artillerie in das Kampfgeschehen „die Nervosität zu zerstreuen“ und die „Selbstbeherrschung und Zuversicht wiederherzustellen“.258 Dieselbe Erfahrung machte auch Werner an der rumänischen Front kurz vor einem Angriff: „Da hört man endlich unseren Mörser, dessen jauchzender Abschuss auch uns Entspannung bringt.“259 Durchaus positive Erfahrungen mit der eigenen Waffentechnik hatte auch Pölzer, der sich die Verhältnisse an der Ostfront in Erinnerung zurückrief: „Artillerie hatten wir massenhaft hinter uns – kein Wunder also, wenn wir uns schon ganz sicher und wohlgeborgen in unseren Erdhütten fühlten.“260 Sobald sich Pölzer selbst nicht in der Schusslinie befand, konnte er den eigenen Geschossen durchwegs auch wohlwollende Gefühle entgegenbringen: „Wenn draußen am Dnjestr unsere schwersten Mörser über unsere Köpfe hinweg den Russen

250 Pölzleitner, Berge, S. 41. 251 Ebd., S. 134. 252 Wegl, Kriegstagebuch, S. 20. 253 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 372. 254 Mayr, Tagebücher, S. 137. 255 Ebd., S. 138. 256 Ebd., S. 139 f. 257 Kreisler, Tosens, S. 48. 258 Ebd., S. 48 f. 259 Werner, Kriegstagebuch, S. 32. 260 Pölzer, Isonzo, S. 4. 47

die Hölle heiß machten, so lauschten wir jedesmal mit andächtiger Befriedigung dieser Geräusche.“261 Bisweilen wurden diese todbringenden Waffen auch personifiziert und mit menschlichen Zügen versehen.262 Wegl berichtete über einen 30,5 cm Mörser, der sogar einen eigenen Namen bei der Truppe erhielt: „'Nikita' ist heute wieder gesprächig und plaudert fleißig auf die Welschen hinüber.“263 Ganz anders jedoch stellte sich das Verhältnis bei den Soldaten zur Waffentechnik dar, wenn sie durch Fehlschüsse von der eigenen Artillerie getroffen wurden. Schneider berichtete im August 1914 von einem solchen Fall: „Schmach und Schande über die Artillerie, sie hatte in die eigenen Leute hineingeschossen und dieser Kunstfehler hatte vielen das Leben gekostet.“264 Insgesamt erzeugte diese Feuer- und Vernichtungskraft der Artillerie bei den Soldaten jedoch das Gefühl, der modernen Kriegstechnik vollständig ausgeliefert zu sein. Der nicht vorhersehbare und unkontrollierbare Tod hatte eine demoralisierende und bedrückende Wirkung auf die Soldaten. Eindrucksvoll schilderte dies Pölzleitner nach seinem ersten Kontakt mit dem italienischen Geschützfeuer: „Ich litt unsäglich unter diesen ersten Beschießungen, fürchtete aber nicht so sehr den Tod. Doch das hilflose, qualvolle Ausharren, dies zermürbende Gefühl grenzenloser Verlassenheit griff ins Herz, brachte mich fast zur Verzweiflung.“265 Die Soldaten, deren Leben und Tod durch gesichtslose und unpersönliche Technik so unberechenbar und zufällig geworden war, fanden unterschiedliche Methoden damit umzugehen. Der tiefreligiöse Mayr beispielsweise suchte in der Religion sein Heil: „Und so empfehle ich mich denn wieder dem Schutze Gottes und seiner heiligsten Mutter. Sie, die mich bisher führten, mögen mich weiterhin führen und beschützen.“266 Auch Josef Werner beobachtete Soldaten, welche angesichts der Gefahr um göttlichen Schutz baten: „Viele Soldaten tragen Heiligen-Bilder in den Kappen eingenäht, zu denen sie bei Artilleriefeuer vor dem Angriff beten.“267 Solche Heiligenbilder, Amulette oder sonstige Talismane waren unter den Soldaten weit verbreitet, da sie sich damit wohl erhofften, dem Tod im Krieg seine Zufälligkeit zu nehmen.268 Schneider merkte in seinen Erinnerungen an, dass einen das „Gefühl, dem Schicksal unterworfen zu sein“ entweder zur Religion, dem Fatalismus oder zum Aberglauben führte: „Da ließ man die kleine Fliege oder den plumpen Käfer leben, nur weil man glaubte, daß von

261 Ebd., S. 32. 262 Habeck, Technik, S. 117. 263 Wegl, Kriegstagebuch, S. 43. 264 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 52. 265 Pölzleitner, Berge, S. 41. 266 Mayr, Tagebücher, S. 143. 267 Werner, Kriegstagebuch, S. 22. 268 Habeck, Technik, S. 131. 48

ihrem Bestehen das eigene Leben abhing.“269 Auch Pölzleitner wusste von einigen „merkwürdigen Zufällen“ im Krieg zu berichten, bei denen die Soldaten nur knapp dem Tode entkamen. Oft entschieden daher Glück, Zufall oder eine höhere Gewalt über das Weiterleben und das machte laut Pölzleitner einen Soldaten entweder „fatalistisch und abergläubisch oder verstärkten seine religiösen Gefühle“.270 Pölzleitner selbst vertraute im Krieg auf einen solchen Talisman: „Bei Kriegsbeginn hatte mir eine Dame ein Silberkettlein mit einem geweihten Medaillon um den Hals gelegt. Ich mußte zusagen, es nie abzulegen, – und hielt das Versprechen. Ich dachte, ohne Amulett sei ich verloren.“271 Auch Gallian erlebte diesen soldatischen Aberglauben an der Front, als er mit einer Gruppe Soldaten in einer Kaverne Schutz suchte und „irgend ein Unglücksrabe entdeckt, daß wir ausgerechnet dreizehn beisammen sind, was wieder zu allerhand abergläubischen Betrachtungen Anlaß gibt. Langsam fange ich schon selbst an, den Unsinn zu glauben…“.272 Von einem fatalistischen Zuge geprägt, waren hingegen die Gedanken Pölzers zu seinen eigenen Überlebenschancen im Krieg. „'Pfüat di Gott, mein junges Leben', dachte sich da jeder. Ich sprach es sogar laut aus.“273 Die Waffentechnik des Ersten Weltkrieges wirkte größtenteils demoralisierend auf die Soldaten, die sie hautnah erlebten, besonders wenn die technische und materielle Überlegenheit des Gegners erkennbar war. Diese Materialschlachten stützten sich in großem Maße auf die Produktionskraft der kriegführenden Nationen, wie Ivan Bloch schon vorausgesehen hatte. Im Kriegsjahr 1917 sank die Wirtschaftsleistung der Habsburgermonarchie aufgrund der Rohstoffkrise soweit, dass die Waffen- und Munitionsherstellung nicht mehr gewährleistet werden konnte.274 Die Verwendung der abgenutzten Artilleriegeschütze bekamen auch die Soldaten zu spüren, die gegen Kriegsende kaum mehr auf ausreichende artilleristische Unterstützung hoffen konnten. So schrieb Pölzleitner im Jahr 1918: „Unsere Batterien aber schweigen, sie müssen sich die wenigen Geschosse für das Sperrfeuer aufsparen und müssen ihre ausgeleierten und ausgebrannten Rohre schonen, die schon längst die vorgesehene Schußzahl überschritten haben und kein zielsicheres Schießen mehr zulassen. Auch ihre Munition ist miserabel geworden.“275

Aufgrund des Verschleißes der Geschütze kam es nicht selten auch irrtümlich zum Beschuss der eigenen Truppen, sodass die Moral der Soldaten und der Glaube an die eigene militärische

269 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 255. 270 Pölzleitner, Berge, S. 175. 271 Ebd. 272 Gallian, Monte Asolone, S. 31. 273 Pölzer, Isonzo, S. 28. 274 Matis, Wirtschaft, S. 35. 275 Pölzleitner, Berge, S. 267. 49

Kraft weiter schwanden. So berichtete Gallian, dass eine Kompanie sehr unter „Kurzschüssen der eigenen Artillerie zu leiden“ hatte. Nach Meldung über einen Abbruch der Beschießung an das zuständige Kommando bekam Gallian eine abweisende Antwort und war zutiefst empört über diese Maßnahme: „Daß unsere Kameraden von der Artillerie bei dem elenden Material des fünften Kriegsjahres persönlich schuldlos sind, ist gewiß, aber daß man uns auf die Meldung von Kurzschüssen einfach sagt, 'das sei ausgeschlossen', ist doch etwas stark.“276 Bis zum Frühjahr 1918 verfügte die k.u.k. Armee über 5.550 Feld- und Gebirgsgeschütze, davon 1.616 schwere moderne Artillerie.277 Die wirkungsvolle und zerstörerische Schlagkraft der Artillerie, sei es physischer oder psychischer Natur, rechtfertigte für das Armeeoberkommando einen stetigen Ausbau dieser Waffengattung, solange die Wirtschaftskraft der Monarchie dies zuließ. So sorgte nicht zuletzt auch das Artilleriefeuer im unbeweglichen Stellungskrieg des Ersten Weltkrieges für die meisten Todesopfer.278

4.2. Die neuen Waffen des Krieges

4.2.1. Die technischen Entwicklungen im Krieg

Schneider merkte im Frühjahr 1916 an, welches Ausmaß an moderner Kriegstechnik sich auf einem Platz versammeln konnte. Er beobachtete einen Fesselballon, einen Panzerzug, eine Radiostation, Flieger und Scheinwerferabteilungen, kurzum: „Alles was moderne Kriegstechnik ersonnen hatte, ist in diesem weiten, vielgestaltigen Reich vorhanden. Man wollte hier wirklich der modernen Kriegsführung Rechnung tragen und möglichst viele Maschinen anstelle der Menschen setzen.“279 Im Ersten Weltkrieg wurde eine Reihe von neuen Technologien erstmals auch für den Krieg nutzbar gemacht. Dabei war der Krieg nicht immer der „Vater aller Dinge“, sondern kam es vielmehr im Verlauf des Krieges zur Weiterentwicklung und Umsetzung von bereits bestehenden Technologien oder Ideen. Vor allem die Waffen, Maschinengewehre und Geschütze, wurden während des Krieges technisch immer weiter verbessert, während neue Errungenschaften wie das Flugzeug im Krieg einen regelrechten „Innovationsschub“ erhielten.280 Diese neuen Kriegswaffen und deren Einsatz zogen weitere militärisch relevante Erfindungen nach sich, wie etwa den Fallschirm, Gasmasken, Tunnelbohrmaschinen und Scheinwerfer. Während des Krieges absolvierte Mayr einen Scheinwerferkurs und wurde an

276 Gallian, Monte Asolone, S. 149. 277 Storz, Artillerie, S. 346. 278 Ebd., S. 349. 279 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 400. 280 Matis, Wirtschaft, S. 27. 50

der Ostfront 1915 einer Scheinwerferabteilung zugeteilt, wo er nächtelang die gefährdeten Frontabschnitte beleuchten musste. Diese Arbeit war nicht ganz ungefährlich, da der Gegner die Beleuchtung vor einem Angriff möglichst auszuschalten versuchte. So schrieb Mayr: „Gegen 2h früh machten die Russen Sturmangriffe. Wir leuchteten das ganze Terrain ab. Es sang und pfiff wohl recht warm um unseren Apparat, aber Treffer gab`s [sic!] gottlob keine.“281 Auch das Kommunikationsnetz wurde um die Telegrafen- und Telefontechnik im Krieg erweitert. Diese Technik war in Österreich-Ungarn vor dem Krieg im zivilen Leben schon relativ weit ausgebaut, wurde aber erst im Krieg auch militärisch in größerem Maße eingesetzt.282 Diesen technologischen Wandel erlebte auch Schneider mit, der noch zu Pferd als Nachrichtenoffizier wichtige Mitteilungen an die militärischen Stellen, meist mitten im Kampfgeschehen, überbringen musste. Er erkannte bald, dass sich die Situation an der Front schneller veränderte, als neue Befehle ausgegeben werden konnten: „Die Ereignisse liefen einfach zu schnell ab, um vom Pferde aus beherrscht werden zu können. Damit begann das Telefon seine unbeschränkte Herrschaft.“283 Die k.u.k. Armee setzte bei ihrer Nachrichtenverbindung moderne Telefon- und Funktechnik, die sogenannte „Radiotelegraphie“, d.h. die drahtlose Nachrichtenübermittlung, ein.284 Von der Nützlichkeit einer Telefonverbindung zwischen den Truppenteilen wurde auch Schneider überzeugt, der Dank Übermittelung wichtiger Informationen den Gegner erfolgreich einkesseln konnte und dazu anmerkte: „Ein Beispiel für den Wert des Telefons.“285 Eine völlig neue Erscheinung auf den Schlachtfeldern hingegen war der Tank. Die Idee eines gepanzerten Fahrzeuges mit einem Geschütz gab es schon 1911. In Wiener Neustadt wurde sogar schon 1905 ein Prototyp eines gepanzerten Kraftwagens von Austro-Daimler vorgestellt.286 Aber erst die Briten entschlossen sich 1916 ihren Mark I in Massenproduktion herzustellen und auf die Schlachtfelder zu schicken.287 Als deutsche Soldaten an der Westfront sich plötzlich mit diesen Ungetümen aus Stahl konfrontiert sahen, konnten sie ihnen nichts Wirkungsvolles entgegensetzen.288 Folglich löste das Erscheinen alliierter Tanks bei den Soldaten Panik und Furcht über diese gepanzerten und bewaffneten Fahrzeuge aus. So beschrieb auch Werner an der Piavefront das Auftauchen eines Tanks: „Vor Gradenigo wird

281 Mayr, Tagebücher, S. 164. 282 Franz Pichler, Fernmelde- und Funktechnik im Ersten Weltkrieg, in: Wirtschaft, Technik und das Militär 1914–1918. Österreich-Ungarn im Ersten Weltkrieg, hrsg. v. Herbert Matis/Juliane Mikoletzky/Wolfgang Reiter (Austria: Forschung und Wissenschaft. Geschichte 11), Wien-Berlin 2014, S. 201–225, hier S. 201. 283 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 76. 284 Pichler, Fernmelde- und Funktechnik, S. 206-209. 285 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 333. 286 Matis, Wirtschaft, S. 33. 287 Gerhard P. Gross, Tank, in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn 2014, S. 917–919, hier S. 917. 288 Habeck, Technik, S. 113. 51

ein Tank gesichtet, der eine Panik verursacht. Die Italiener fühlen sich der moralischen Wirkung so sicher, dass der Tank mit offenen Türen heranrollt.“289 Angst und Schrecken verbreitete auch eine neue Waffe im Nahkampf: der Flammenwerfer. Mit der Entwicklung dieser Waffe wurde in Deutschland schon kurz vor Kriegsausbruch begonnen. Ihren ersten Einsatz hatte sie am 26. Februar 1916 vor Verdun, als die Franzosen erschüttert aus ihren Stellungen vor diesem Flammenangriff flohen. Schon bald hatten auch die alliierten Streitkräfte vergleichbare Modelle vorzuweisen. Der Flammenwerfer stellte sich als eine gefürchtete und wirksame Waffe im Grabenkampf heraus. Verbrennungen und Demoralisierung unter den Soldaten sorgten für einen schnellen Zusammenbruch des Widerstandes gegen diese neuartige Waffe.290 Gallian befand sich gerade unter italienischem Maschinengewehrbeschuss, als ihm diese Waffe zu Hilfe kam: „Hauptmann Kühnel hat unsere verzweifelte Lage bemerkt und ist mit den Flammenwerfern die italienischen Nester angegangen!“291 Die Wirkung dieser Waffe, als sie auf die eigenen Soldaten losgelassen wurde, bekam er allerdings auch mit, denn „die Leute sind noch ganz benommen von der Flammenwerfergeschichte, nervös“.292 Auch Schneider wusste von dieser Waffe und ihren Auswirkungen zu berichten: „Grausam haben damals besonders die italienischen Flammenwerfer gewütet und ganze Abteilungen verbrannt.“293 Pölzleitner und Mayr bekamen in einem Fortbildungskurs Gelegenheit diese Nahkampfwaffen aus nächster Nähe zu beobachten. Mayr machte gegen Ende des Krieges eine Ausbildung zum Flammenwerfer in Krems: „Der ganze Plunder wäre in einigen Stunden gelernt. […] Täglich vor- und nachmittags sind wir in den Donauauen, wo wir die teure Brennflüssigkeit hektoliterweise verspritzen.“294 Pölzleitner erhielt im Juni 1918 einen „Sturmkurs“ über die Verwendung der neuesten Nahkampfmittel und deren Wirkung: „Wir sahen manch Neues, am allermeisten interessierte uns die Aufrollung feindlicher Schützengräben. Mit bewundernswerter minutiöser Sicherheit arbeiteten Minenwerfer und Maschinengewehre, Handgranaten und Flammenwerfer zusammen. Auch in dunkler Nacht wurde uns eine derartige Übung gezeigt; da gab es prachtvolle Beleuchtungseffekte.“295

289 Werner, Kriegstagebuch, S. 115. 290 Gerhard P. Gross, Flammenwerfer, in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn 2014, S. 488–489, hier S. 489. 291 Gallian, Monte Asolone, S. 16. 292 Ebd., S. 113 f. 293 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 408. 294 Mayr, Tagebücher, S. 326. 295 Pölzleitner, Berge, S. 292. 52

Auch das Bild des Soldaten begann sich unter dem Einfluss der neuen Waffentechnologie zu verändern. Um sich an der Front ausreichend zu tarnen wurden in der k.u.k. Armee nach deutschem Vorbild 1915 feldgraue Uniformen für die Soldaten eingeführt.296 Der Stahlhelm symbolisierte wie kein anderes Objekt, dass sich das Gesicht des Krieges unweigerlich verändert hatte. Durch den Stellungskrieg kam es vermehrt zu schweren Kopfverletzungen, wonach ab 1915 Stahlhelme in den europäischen Heeren entwickelt wurden.297 Im Frühjahr 1916 erreichten diese Helme auch Schneiders Abteilungen an der Front: „[…] Stahlhelme wurden den Truppen gegeben, sie gaben einen hinreichenden Schutz gegen die Splitterwirkung.“298 Die k.u.k. Armee rüstete ihre Soldaten insgesamt mit 486.000 Stahlhelmen aus. Nach dem Krieg wurde der Stahlhelm zum Symbol des Frontkämpfers stilisiert.299 Ein heldenhafter Kampf Mann-gegen-Mann war in diesem Krieg kaum mehr möglich. Vielmehr herrschte ein Kampf Mensch gegen Maschine. Soldaten, die sich einer solchen technischen Übermacht gegenübersahen, wobei sie den Gegner, den sie töteten und von dem sie getötet wurden, nicht einmal mehr sahen, empfanden oftmals ein Gefühl der Hilflosigkeit. Gallian fasste den modernen Krieg den diese Soldaten zu führen hatten, passend zusammen: „[…] Und darunter Hunderte, ja Tausende, die der Krieg gebrochen oder vernichtet, ehe sie den Feind zu Angesicht bekommen, die oft Monate hindurch gleichsam nicht gegen ebenbürtige Menschen, vielmehr gegen ein unfaßbares, in irrsinniger Zerstörungswut hereinbrechendes Element ankämpfen, gegen niedersausende Granaten und Schrapnelle, über die Landschaft hinwegpeitschende Maschinengewehr-Garben, die feurige Pest von Flammenwerfern und träge dahinziehenden Gasschwaden, denen sie hilflos und ohnmächtig gegenüberstehen.“300

Beispielhaft für diese Ohnmacht gegenüber den modernen Kriegswaffen war der Gaskrieg, der im Ersten Weltkrieg geführt wurde.

4.2.2. Der Gaskrieg

Artikel 23a der Haager Landkriegsordnung von 1907 untersagte die „Verwendung von Gift oder vergifteten Waffen“ im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung.301 Das hinderte die

296 Jürgen Kraus, Uniform, in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn 2014, S. 936–937, hier S. 936. 297 Gerhard P. Gross, Stahlhelm, in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn 2014, S. 863–864, hier S. 863. 298 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 440. 299 Gross, Stahlhelm, S. 863–864. 300 Gallian, Monte Asolone, S. 65. 301 Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs [Haager Landkriegsordnung], 18. Oktober 1907, Onlinedokument [http://www.1000dokumente.de/index.html?c=dokument_de&dokument=0201_haa&object=translation&st=23& l=de], eingesehen 09.06.2017. 53

kriegführenden Länder im Ersten Weltkrieg allerdings nicht daran, verschiedene Giftgase gegen den Gegner einzusetzen. Die deutschen Truppen verwendeten als erste am 22. April 1915 bei Yypern in Westflandern massenhaft Chlorgas gegen französische und britische Stellungen.302 Damit bekam auch der Krieg ein neues Gesicht: Es war die Geburt der Massenvernichtungswaffen. Schon vor dem Krieg wurde jedoch, trotz Haager Landkriegsordnung, in Frankreich sowie in Deutschland mit chemischen Stoffen und Gasen als Kampfmittel experimentiert. In Frankreich wurde eine Art Tränengas, die cartouches suffocantes, schon vor 1914 von der Polizei eingesetzt. Im März 1915 bekam das französische Militär Handgranaten mit einer Füllung aus Chloraceton, die grenades suffocantes, die gegen deutsche Truppen in den Argonnen eingesetzt wurden.303 Der Einsatz von Gasen, welche in erster Linie lediglich die Schleimhäute reizten, aber sonst keine lebensbedrohlichen Folgen hatten, wurde vom deutschen Militär schon am 27. Oktober 1914 in Neuve-Chapelle genehmigt.304 Von diesen Reizgasen gab es eine Reihe von chemischen Mischungen und Verbindungen, welche den Armeen zur Verfügung standen. Österreich- Ungarn verwendete beispielsweise Bromaceton, auch B-Stoff genannt, Xylylbromid, Dimethylsulfat oder D-Stoff, und Diphenylchlorarsin, eine Mischung die nur von den Mittelmächten eingesetzt wurde und unter dem Namen Blaukreuz oder Clark 1 bekannt war. Die Symptome dieser Gase reichten von Reizungen der Augen, der Atemwege und Schleimhäute, Juckreiz, Hustenanfälle, starker Tränenfluss, Erbrechen bis zu allgemeinen Beklemmungs- und Schwächezuständen.305 Schneider berichtete von einem solchen Beschuss mit Gasgranaten an der italienischen Front, „die Übelkeit und Brennen in den Augen hervorriefen“.306 Diese Reizgase sollten in erster Linie die Kampfkraft der Gegner mindern, sowie sie durch das Aufsetzen der Gasmasken in ihrer Handlungsfreiheit stark einschränken.307 Die Benützung der ungewohnten Schutzmittel beschrieb auch Pölzleitner: „Da der Gegner uns oftmals auch mit Gasgranaten beschoß, mußten entsprechende Vorsorgen getroffen, vor allem Gasalarme geübt werden. Dadurch wurden die Leute an ihre Obliegenheiten und an das lästige Tragen der Masken gewöhnt. Es fiel zu Anfang recht schwer, mit der angelegten Maske zu gehen, zu steigen und gar erst zu arbeiten.“308

302 Ferguson, Krieg, S. 278. 303 Dieter Martinez, Der Gaskrieg 1914/18. Entwicklung, Herstellung und Einsatz chemischer Kampfstoffe, Bonn 1996, S. 9. 304 Rolf-Dieter Müller, Gaskrieg, in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn 2014, S. 519–522, hier S. 519. 305 Wolfgang Zecha, „Unter die Masken!“ Giftgas auf den Kriegsschauplätzen Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg (Militärgeschichtliche Dissertationen österreichischer Universitäten 13), Wien 2002, S. 49–52. 306 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 381. 307 Zecha, Giftgas, S. 49. 308 Pölzleitner, Berge, S. 207. 54

Die geringfügige Wirkung dieser Reizgase beförderte schlussendlich die Entwicklung hin zu tödlicheren Kampfstoffen. Fritz Haber (1868-1934), Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physikalische Chemie und Elektrochemie, war maßgeblich an der Entwicklung des Blasverfahrens beteiligt, bei der mithilfe von Luftdruckzylindern eine Gaswolke auf die gegnerischen Stellungen abgelassen werden konnte. Dieses Verfahren wurde mit dem tödlichen Chlorgas am 22. April 1915 in Ypern erprobt. Die deutsche Militärführung war angesichts der Panik der französischen Soldaten, die vor dieser Giftwolke aus ihren Stellungen flohen, vollkommen überrascht. Heutige Schätzungen gehen von 1.200 Toten und ca. 3.000 Verwundeten bei diesem Angriff aus.309 Am 31. Mai 1915 erfolgte auch der erste Chlorgaseinsatz von deutscher Seite auf russische Stellungen an der Ostfront.310 Die Alliierten, aufgeschreckt angesichts dieses groben Verstoßes der Haager Landkriegsordnung, reagierten ihrerseits mit der Herstellung von eigenen chemischen Kampfstoffen, sowie der Entwicklung von brauchbaren Schutzmitteln gegen Gasangriffe. Als „Vergeltungsmaßnahme“ griff das britische Militär am 25. September 1915 mit einer Chlorgaswolke bei Loos deutsche Stellungen an, welche den Briten 3.000 deutsche Gefangene einbrachte.311 Die Blastechnik war stark von den Wetterverhältnissen an der Front abhängig, wobei eine abdriftende Gaswolke auch Gefahr für die eigenen Soldaten bedeuten konnte. In diesem Falle waren die alliierten Mächte an der Westfront klar im Vorteil, was Wind und Wetter anbelangte. Deshalb wurde vermehrt auf den Einsatz von Gasgeschossen, mittels Artillerie und Granatenwerfer, zurückgegriffen, welche es ermöglichte, bestimmte Positionen in einer Gaswolke „einzuhüllen“. Vorreiter bei dieser Entwicklung waren die Briten, welche im Juli 1916 bei der Schlacht von Pozières, Projektile gefüllt mit reinem Phosgen aus einem Granatwerfer verschoss. Die Deutschen konnten erst im Jahr 1917 vergleichbare Geräte herstellen. Diese Kampftechnik revolutionierte den Gaskrieg. Es gab kaum wirksame Verteidigungsmaßnahmen gegen diese Art von Gasangriffen.312 Eine rechtzeitige Alarmierung vor Gasgranaten war kaum möglich und oftmals verstrich wertvolle Zeit bis die Gasmasken aufgesetzt wurden. Schneider berichtete „von der Anwendung tückischer Giftgase, die völlig geruchlos waren, und den Menschen in wenigen Stunden dahinrafften, ohne daß man anfänglich die Todesursache wußte“.313

309 Müller, Gaskrieg, S. 520. 310 Martinez, Gaskrieg, S. 26. 311 Müller, Gaskrieg, S. 520. 312 Ebd., S. 521. 313 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 439. 55

Einen nächtlichen Gasangriff durch Granaten erlebte auch Gallian auf seine Stellung: „Plötzlich Geschrei, Lärm, Hilferufe, Granaten sausen, ich ringe nach Atem…'Gas! Gas!' […] Nun fange ich selbst erbärmlich zu husten an, ringe nach Luft – bin nahe daran, zu erbrechen, will schon die Maske herunterreißen – der sichere Tod;“314 In der aufkeimenden Panik erinnerte sich Gallian an die Vorschriften und musste sich dazu zwingen „mit dem Aufwand aller Willenskraft, ruhig zu atmen; die Lunge droht zu zerspringen, ich kämpfe verzweifelt mit dem lebensgefährlichen Hustenreiz – aber es geht.“315 Eine Gasmaske erwies sich in diesem Falle als lebensnotwendige Ausrüstung eines jeden Soldaten. Der Vorschlag von Fritz Haber, einen getränkten Putzwollbausch gegen die Gase zu benutzen, hielt der Realität des Gaskrieges nicht lange stand. Bevorzugt wurde die Entwicklung leichter gummierter Gesichtsmasken mit einem auswechselbaren Filter, der die giftigen Stoffe absorbierte und den heutigen Gasmasken schon recht ähnlich war. Menschen, sowie Pferde und Hunde wurden mit solchen Gasmasken an der Front ausgerüstet.316 Josef Werner erlebte selbst den Schutz einer solchen Maske bei einem Gasangriff am Piave: „Wir bekommen 2 Stunden lang 18 cm Gasgranaten auf die Stellung. Gasmasken bewähren sich vorzüglich, obwohl die Treffer leider sehr gut sind und das Feuer so dicht ist, dass wir nicht 10 Schritte sehen können.“317 Die Gasmasken, rechtzeitig angelegt, reichten größtenteils aus um sich vor den durch die Luft aufgenommenen Gasen zu schützen. Deshalb wurde intensiv nach einer Gasmischung geforscht, die auch durch die Haut aufgenommen werden konnte. Einen solchen Stoff entwickelten die deutschen Forscher W. Lommel (1878-?) und Wilhelm Steinkopf (1878-1949) aus Dichlordiäthylsulfid. Haber bezeichnete dieses Gas als Lost, aus den Nachnamen der beiden Forscher zusammengesetzt, besser bekannt ist es jedoch aufgrund seines Geruches als Senfgas.318 Seinen ersten Einsatz bekam dieses Gas am 13. Juli 1917, wiederum in der Nähe von Ypern, als britische Stellungen mit 50.000 solcher Gasgranaten beschossen wurden. Das verheerende Ausmaß und die Wirkung dieses Giftgases stellte sich erst Stunden später ein, da es lange Zeit unbemerkt blieb. Die Soldaten erlitten Verletzungen an der Haut und Augen sowie innere Verätzungen. In den ersten drei Wochen nach dem Beschuss stieg die Anzahl der Verletzten auf 14.200, davon 489 Tote.319

314 Gallian, Monte Asolone, S. 22 f. 315 Ebd., S. 23. 316 Rolf-Dieter Müller, Gasmaske, in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn 2014, S. 522. 317 Werner, Kriegstagebuch, S. 128. 318 Müller, Gaskrieg, S. 521; Martinez, Gaskrieg, S. 80. 319 Müller, Gaskrieg, S. 521. 56

Kaiser Franz-Joseph hatte stets eine ablehnende Haltung gegenüber dem Einsatz von Giftgas. Das militärische Oberkommando plante jedoch, nach den ersten deutschen Gasangriffen an der Westfront, ebenso auf solche Kampfmittel umzurüsten. Der Monarch konnte nur einen „Vergeltungsschlag“ billigen, solange die Gegner die ersten waren, die einen tödlichen Gasangriff einleiteten. Ein Bericht wurde darum von den militärischen Stellen 1916, laut Wolfgang Zecha, derart manipuliert, dass ein italienisches Defensivmanöver mit Gasgranaten mit den vergleichbaren harmloseren Reizgasen, als ein Gasbombenangriff auf österreichische Truppen umgedeutet wurde. Damit gab nun auch Kaiser Franz-Joseph seine Zustimmung zum Eintritt in den totalen Gaskrieg.320 Die Maßnahmen, welche vor einem Gasangriff getroffen wurden, erlebte auch Schneider mit: „Aus Wien kamen auch Fachleute, Gasprofessoren genannt, welche vom meteorologischen und geologischen Standpunkt aus die ganze Karstfront abliefen, bis sie beim Korpskommando mit geheimnisvoller Miene erklärten, es werde auch bei uns die Zeit zu einer gewissen Aktion kommen.“321

Für den wohl verlustreichsten Gasangriff zeichnete sich Österreich-Ungarn verantwortlich, als am 29. Juni 1916 5.000-8.000 italienische Soldaten bei St. Michele del Carso auf der Hochfläche von Doberdo vergast wurden.322 Zum militärischen Wert dieses Angriffes meinte Schneider: „[…] er hat zwar, wie sich später herausstellt, dem Feind viele Tausende von Opfern gekostet, aber strategisch war nicht das geringste gewonnen.“323 Die tödlichen Folgen von Gas auf Mensch und Tier sah Gallian mit eigenen Augen: „Das Lager bildete ein grausiges Bild: Tragtiere liegen, im Kreise gekoppelt, auf dem Boden – gelbgrüne Schaumblasen vor dem Maul […] Am ganzen Abstieg nach Cismon liegen Leute, die vom Gasüberfall überrascht wurden und den Tod gefunden haben, blaß, gelbgrüne Schaumblasen vor dem Mund…“324

Gallian selbst sorgte sich angesichts der erschreckenden Wirkung dieser Kriegswaffe: „Wenn ich mir da oben eine Phosgenvergiftung geholt habe, bin ich in achtundvierzig Stunden weg…“325 Phosgen, achtmal so giftig wie Chlor, war eines der am meisten eingesetzten Kampfstoffe im Gaskrieg. Über einen längeren Zeitraum eingeatmet, wurde die tödliche Wirkung von Phosgen meist erst nach mehreren Stunden bemerkbar.326

320 Zecha, Giftgas, S. 71–73. 321 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 381. 322 Martinez, Gaskrieg, S. 28. 323 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 409. 324 Gallian, Monte Asolone, S. 24. 325 Ebd. 326 Zecha, Giftgas, S. 56. 57

Dieser meist unsichtbare und schleichende Tod setzte den meisten Soldaten auch psychisch zu. So schrieb Werner in seinem Kriegstagebuch: „In der Batterie noch immer panischer Schrecken wegen der Vergasung.“327 Der psychologische Effekt eines Gasangriffes kann dabei nicht unterschätzt werden. So notierte Gallian in Erwartung eines italienischen Gasangriffes: „Die Aussicht auf einen Gaswerferangriff, vor dem es eine Rettung nicht gibt, ist scheußlich. Das endlose Warten! Wenn es nur schon losginge! Einmal wissen, woran man ist, sei es nun so oder so! Nur nicht diese an den Nerven zehrende Ungewissheit.“328 In den späteren Kriegsjahren diente der Beschuss der Gegner mit Gasgranaten größtenteils zur Demoralisierung der Gegner.329 Durch Gasangriffe allein ließen sich keine entscheidenden Schlachten gewinnen, sodass nun nicht mehr die Tötung der Gegner im Vordergrund stand. Skeptisch gegenüber den Gasangriffen auf die Italiener zeigte sich auch Schneider, die seiner Erfahrung nach vor einer Offensive keinen wirkungsvollen Nutzen hatten: „Das Gasgeschoß war jedenfalls ein Betrug, denn von einer Wirkung war überhaupt nichts zu bemerken. Man behauptete daß der Stoff bereits zersetzt war.“330 Durch tagelangen Beschuss mit den giftigen Gasen sollten die Kampf- und Lebensbedingungen der Soldaten soweit erschwert werden, dass auch ihre seelischen Kräfte aufgezehrt wurden.331 Von Berichten über tödliche Gasangriffe meinte Schneider deshalb: „Solche Nachrichten waren natürlich dazu angetan, das Ausbrechen von Paniken zu beschleunigen.“332 Die Zahl der Soldaten, die im Ersten Weltkrieg durch den Gaskrieg beschädigt wurden, wird auf eine Million geschätzt, davon wurden ca. 70-90.000 getötet. Für Österreich-Ungarn lässt sich dabei eine Zahl von 100.000 Gasvergifteten errechnen, von denen ca. 3.000 starben.333 Hoch oben in der Luft indessen konnten einige ausgewählte Soldaten diesem unsichtbaren Tod an den Fronten entkommen.

4.2.3. Der Luftkrieg

Zu dem massenhaften anonymen Sterben am Boden bildete der Luftkrieg des Ersten Weltkrieges das extreme Gegenteil. Hier bot der Krieg noch die Möglichkeit, als Einzelkämpfer in aufregenden, viel beachteten Luftduellen aus der Masse hervorzustechen. Auch ritterliche

327 Werner, Kriegstagebuch, S. 128. 328 Gallian, Monte Asolone, S. 148. 329 Müller, Gaskrieg, S. 520. 330 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 559. 331 Müller, Gaskrieg, S. 521; Martinez, Gaskrieg, S. 68. 332 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 439. 333 Martinez, Gaskrieg, S. 127 f. 58

Ideale des Kriegers, vor allem durch die Offiziersklasse vertreten, welche den Großteil der Piloten ausmachte, konnten durch sie propagiert werden. Im Gegensatz zum Massensterben von namenlosen Frontsoldaten, hatten die Luftstreitkräfte charismatische Persönlichkeiten, welche die Kriegspropaganda für sich nutzen konnte und mit denen der Krieg seine mythisch- romantisierten Helden zurückbekam.334 Gallian kritisierte in seinen Aufzeichnungen, dass die Medien selten über die Heldentaten der einfachen Infanteristen berichteten, dafür jedoch umso mehr „nur über Flieger und U-Bootleute […]“.335 In der Tat entwickelte sich rund um die Weltkriegsflieger ein wahrer Kult, der auch nach dem Krieg mittels eigener „Fliegerliteratur“ weiter tradiert wurde. Die Namen Manfred von Richthofen, Oswald Boelcke und Max Immelmann haben sich dabei am langlebigsten im Kollektivbewusstsein als die „Ritter der Lüfte“ erhalten. Auch Österreich-Ungarn hatte seine „Fliegerasse“ Godwin Brumowski, Julius Arigi, Frank Linke-Crawford und Josef Kiss. Im Gegensatz zu anderen Ländern, die über ihre Fliegerhelden und deren Abschüsse regelmäßig in den Massenmedien berichteten, lässt sich in der k.u.k. Monarchie zunächst eine geringere Wahrnehmung der Tätigkeit der Luftstreitkräfte in der Bevölkerung feststellen.336 Erst im Krieg gegen Italien setzte die Heldenverehrung verzögert in der heimischen Presse ein und es wurden von einzelnen Heldentaten und Abschusszahlen der Flieger berichtet. Die Seefliegerei wurde dabei besonders hervorgehoben und mit ihr Österreichs erfolgreichster Marineflieger Gottfried Freiherr von Banfield (1890–1986). Bekannt als der „Adler von Triest“ erhielt er als einziger Pilot die höchste Auszeichnung der Monarchie, das Ritterkreuz des Militär-Maria-Theresien Ordens.337 Schneider wusste auch von ihm und der technischen Errungenschaft der Seefliegerei zu berichten: „Schließlich verfügten wir auch noch über Flieger, und zwar Marineflieger, die in Triest unter Kommando des bekannten Fliegers Linienschiffsleutnant Banfield ihren Standort hatten. Ein telefonischer Anruf genügte, um sie bei entsprechendem Wetter in Bewegung zu setzen.“338 Der Kampf in der Luft war zugleich eine Möglichkeit die „Männlichkeit“ des Kriegers hervorzuheben. Der Flieger, der einen „ritterlichen“ Wettkampf in der Luft ausfocht, entsprach

334 Fernando Esposito, „Über keinem Gipfel ist Ruh’“. Helden- und Kriegertum als Topoi medialisierter Kriegserfahrungen deutscher und italienischer Flieger, in: Der Erste Weltkrieg im Alpenraum. Erfahrung, Deutung, Erinnerung – La Grande Guerra nell’arco alpino. Esperienze e memoria, hrsg. v. Hermann J.W. Kuprian/Oswald Überegger (Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs 23), Innsbruck 2006, S. 73–90, hier S. 73–80. 335 Gallian, Monte Asolone, S. 156. 336 Matthias Marschik, Heldenbilder. Kulturgeschichte der österreichischen Aviatik (Publikationen zur österreichischen Kulturforschung 1), Münster-Hamburg-London 2002, S. 132. 337 Walter Blasi/Bernhard Tötschinger, Die k.u.k. Luftfahrtruppen. Zur Geschichte von Österreich-Ungarns „Luftakrobaten“, Schleinbach 2017, S. 36. 338 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 400. 59

vielen männlichen Erwartungen an den Krieg.339 Es entstand eine Fiktion des Einzelkämpfers, der durch persönliche Heldenleistung die neuartige Technik beherrschte und sich ihr nicht vollkommen ausgeliefert fühlen musste.340 Die Fliegerasse wirkten demnach auch dem stetigen Zerfall der Männlichkeitskonstruktionen der Soldaten entgegen, da am Boden nicht mehr die einzelnen „heroischen“ Taten den Ausgang einer Schlacht entschieden, sondern die Quantität und Qualität der Kriegswaffen.341 Die Entwicklung der Kampf-Einsitzer-Flugmaschinen während des Krieges erlaubte es den Kampfpiloten die „heldenhaften“ Mann-gegen-Mann-Kämpfe als aufregende Luftduelle auszutragen. Damit konnte durch das Eingreifen von Einzelnen sichtbare Erfolge im Krieg der Massen erzielt werden.342 Die Fliegerasse stachen somit unmittelbar aus dem großen anonymen Heer der Soldaten heraus. Ein neuer Heldentypus der Soldaten entstand hier, vorwiegend aufgrund ihrer Stellung als Piloten, die im Luftkrieg noch Ansehen und Bewunderung fanden.343 Im Gegensatz zum industrialisierten Massenkrieg und Massensterben am Boden, entwickelte sich um die Flieger ein Mythos, geprägt von Abenteuerlust, Ehre und Freiheit, der auch mittelalterliche Ideale und Tugenden der Adels- und Ritterklasse in die Gegenwart projizierte. Die vielen Jagdmetaphern und persönlichen Wappen bzw. Insignien der Piloten auf ihren Fliegern zeugen von dieser Bereitschaft, sich als die moderne Kriegerelite eines neuen Zeitalters darzustellen.344 Dabei blieb das Flugzeug ein Symbol des technisierten Krieges. Schneider schrieb in seinen Erinnerungen davon: „Damals bekam der Krieg überhaupt ein moderneres Aussehen. So wurden die Flieger eine achtungsgebietende Waffe.“345 Zu Beginn des Krieges war die Luftfahrtechnik noch in einem frühen Entwicklungsstadium. Kaum zehn Jahre waren seit dem knapp eine Minute langen Flug der Gebrüder Wright vergangen. Bei Kriegsbeginn gab es noch wenig handfeste Konzepte, wie ein Luftkrieg zu führen und wie Kriegsflugzeuge vielversprechend einsetzbar waren.346 Die österreichisch-

339 Esposito, Helden- und Kriegertum, S. 79. 340 René Schilling, „Kriegshelden“. Deutungsmuster heroischer Männlichkeit in Deutschland 1813–1945 (Krieg in der Geschichte 15), Paderborn 2002, S. 253–255. 341 Omer Bartov, Man and the Mass. Reality and the Heroic Image in War, in: History and Memory 1 (1989), Nummer 2, S. 99–122, hier S. 106, [http://www.jstor.org/stable/25618583], eingesehen 24.06.2017. 342 Stefanie Schüler-Springorum, Vom Fliegen und Töten. Militärische Männlichkeit in der deutschen Fliegerliteratur, 1914–1939, in: Heimat-Front. Militär und Geschlechterverhältnisse im Zeitalter der Weltkriege, hrsg. v. Karen Hagemann/Stefanie Schüler-Springorum (Geschichte und Geschlechter 35), Frankfurt a. M.-New York 2002, S. 208–233, hier S. 208–211. 343 Marschik, Heldenbilder, S. 126 f. 344 Esposito, Helden- und Kriegertum, S. 79–82. 345 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 283. 346 Andreas Resch, Flugzeuge der österreichisch-ungarischen Luftfahrtruppe. Eine junge Technologie im Kriegseinsatz, in: Wirtschaft, Technik und das Militär 1914–1918. Österreich-Ungarn im Ersten Weltkrieg, hrsg. v. Herbert Matis/Juliane Mikoletzky/Wolfgang Reiter (Austria: Forschung und Wissenschaft. Geschichte 11), Wien-Berlin 2014, S. 73–95, hier S. 73–75. 60

ungarische Heeresverwaltung hatte vor dem Krieg eine zögerliche und skeptische Haltung gegenüber der neuen Flugzeugtechnik und konzentrierte sich daher auf den Ausbau ihrer Luftschiff- und Ballontruppe.347 Bei Kriegsausbruch befand sich die k.u.k. Fliegertruppe noch in ihrem Anfangsstadium. Von den geplanten 15 Fliegerkompanien, kurz Flik genannt, waren im Sommer 1914 nur 9 einsatzbereit. Auch technische Mängel bei den Maschinen sorgten für zahlreiche Unfälle.348 Insgesamt kam es im gesamten Krieg durch Flugunfälle zu mehr Verlusten bei den Fliegern als durch gegnerische Abschüsse.349 Trotzdem schritt die Weiterentwicklung der Flugzeuge im Krieg rasch voran, sodass sich eine Reihe verschiedener Flugzeugtypen für ihre jeweiligen Aufgaben, Aufklärer-, Bomber- und Jägerflugzeuge ab 1915 herausbildeten.350 Die Möglichkeit, Flieger für die Aufklärung aus der Luft zu verwenden wurde schon früh erkannt. Zwar setzten einige Kommandeure noch auf die traditionelle Form durch Kavallerie und Reiter, doch zeigte sich bald, wie ungeeignet diese Art der Aufklärung in einem modernen Krieg war.351 Auch zur Leitung des eigenen Artilleriefeuers, genannt „Radioschießen“352, eigneten sich die Flugzeuge bestens. Fritz Kreisler erlebte an der Ostfront das Zusammenwirken von Flugzeug und Artillerie im Krieg: „Es war ein russisches Flugzeug, das wohl den russischen Schützen unser Eintreffen signalisiert hatte, dazu die Entfernung, und jetzt wahrscheinlich ihren Beschuss dirigierte und dessen Auswirkungen genauestens beobachtete […]“.353 Gegen die ungewohnte Gefahr über den eigenen Köpfen konnten die einfachen Soldaten mit ihren Gewehren kaum etwas ausrichten und es war ihnen „verboten, darauf zu schießen, da das äußerst schwierige, beinahe senkrechte Zielen wenig Erfolg versprach, abgesehen von der Gefahr, dass die Kugeln wieder auf uns zurückfallen konnten“.354 Dieselbe Erfahrung musste auch Josef Wegl an der Südfront machen: „Um 9h sind die Flieger da, auch wir ergreifen unsere Flinten u.[nd] pfeffern hinauf, was das Zeug hält, natürlich ohne Erfolg.“355 Die Reaktionen auf die Gefechte in der Luft reichten von Faszination bis zur lähmenden Furcht. Auf jeden Fall waren sie für viele eine willkommene Abwechslung an der Front. So schrieb

347 Tamás Révész, Pioniere der Luftfahrt in Uniform, in: Wirtschaft, Technik und das Militär 1914–1918. Österreich-Ungarn im Ersten Weltkrieg, hrsg. v. Herbert Matis/Juliane Mikoletzky/Wolfgang Reiter (Austria: Forschung und Wissenschaft. Geschichte 11), Wien-Berlin 2014, S. 97–118, hier S. 99 f. 348 Resch, Flugzeuge, S. 84. 349 Matis, Wirtschaft, S. 35. 350 Marschik, Heldenbilder, S. 125. 351 Resch, Flugzeuge, S. 77. 352 Blasi/Tötschinger, Luftfahrtruppen, S. 23. 353 Kreisler, Tosens, S. 48. 354 Ebd. 355 Wegl, Kriegstagebuch, S. 157. 61

Mayr in sein Tagebuch: „Ein Fliegerkampf, der sich oberhalb unseres Wäldchens abspielte, war dann noch das einzig Nennenswerte am heutigen Tage.“356 Der Luftkrieg war zudem ein Ausdruck dafür, dass sich der totale Krieg nun auch in die dritte Dimension ausgebreitet hatte. So schrieb etwa Werner von der italienischen Front am Piave: „Unheimliche ungewohnte Ruhe. Es ist als ob der Kampf in die Luft verlegt wäre. Am Himmel wimmelt es von Fliegern. Ich zähle 42 – mitten aus den feindlichen Staffeln holt unser roter Kampfflieger 2 Gegner herunter.“357 Besonders die Luftkämpfe hatten es den Soldaten angetan. Blieb am Boden der Krieg in den Schützengräben bisweilen monoton, bot sich am Himmel ein weitaus spannender Anblick. Wegl berichtete gleich mehrmals davon: „Heute vorm.[ittag] gab es ein aufregendes Schauspiel. Unser Flieger verfolgte einen feindlichen Äroplan, der schleunigst Reißaus nahm.“358 Die Jagd- und Kampfflieger gaben für die Soldaten am Boden ein fesselndes Erlebnis ab. Wiederum notierte Wegl in seinem Tagebuch: „Vormitt.[ags] gibt es ein interessantes Schauspiel in den Lüften: 4 Flieger kreuzen in der Luft und machen aufeinander Jagd. Sie beschießen sich mit Maschinengewehren.“359 Der Luftkrieg bot den Soldaten an der Front zuweilen Unterhaltung und Ablenkung von den eigenen Nöten im Krieg, wie Wegl anmerkte: „Im Lager geht es eintönig weiter. Nur die Flieger bringen einige Abwechslung.“360 Ebenso beobachtete Pölzleitner in seiner Stellung „aufregende Luftkämpfe“.361 Auch Werner erlebte allerhand Fliegertätigkeit über seiner Stellung und berichtete: „Es gibt viele Luftkämpfe, die sich alle 'sehr hübsch' ansehen, bis einer der Gegner getroffen ist und abstürzt.“362 Selbst die Betrachtung feindlicher Piloten – in Werners Worten „mutige Angreifer“ –, welche die eigenen Beobachtungs- und Fesselballons angriffen und zerstörten, war für ihn „ein aufregender Anblick“.363 Das Bild vom „ritterlichen“ Piloten, der seine Gegner in einem ehrenhaften Duell zur Landung zwang und gefangen nahm, entsprach, besonders ab der zweiten Hälfte des Krieges, nicht mehr der Realität des Luftkrieges.364 Es herrschten auch kaum Duelle zwischen den Jagdfliegern, denn die Angriffstaktik der meisten Kampfpiloten war es, sich dem Gegner, die in der Regel leicht oder gar unbewaffnete Aufklärungs- oder Beobachtungsflugzeuge waren, von hinten

356 Mayr, Tagebücher, S. 203. 357 Werner, Kriegstagebuch, S. 130. 358 Wegl, Kriegstagebuch, S. 111. 359 Ebd., S. 159. 360 Ebd. 361 Pölzleitner, Berge, S. 245. 362 Werner, Kriegstagebuch, S. 141. 363 Ebd., S. 132. 364 Schüler-Springorum, Fliegen, S. 217. 62

unbemerkt zu nähern. Die Hauptaufgabe der Flieger lautete eindeutig feindliche Maschinen und Piloten abzuschießen.365 Die heftigen und brutalen Kämpfe blieben auch den Soldaten am Boden nicht verborgen, wie Mayr im Sommer 1918 bezeugte: „Mittags wurden im Luftkampfe zwei eigene Flieger abgeschossen, die brennend und eine lange Rauchsäule nach sich ziehend aus einer Höhe von 1.500–2.000 m unweit unseres Übungsplatzes in Barcola niederstürzten. Es war ein grausiges Schauspiel, zu sehen wie der Flieger aus dem brennenden Flugzeug sprang u.[nd] dieser [sic!] im Todesflug folgte.“366

Weniger aufregend erlebten diesen Luftkrieg die Soldaten, die ihren Waffen direkt ausgeliefert waren. So schrieb Pölzleitner: „Wir hatten mehrmals Gelegenheit, Bombenabwürfe aus der Nähe anzusehen“.367 Er selbst gelangte auch Mitten in eine Bombardierung: „Da kam es vom Himmel herniedergestürmt. Ich warf mich in den Straßengraben und das Entsetzen drückte mir den Kopf in die seichte Senkung. Dann das gräßliche Krachen! Das Schwirren der Splitter.“368 Von ritterlich-heroischen Duellen war hier keine Rede mehr. Der Luftkrieg wurde selbst zu einem Material- und Massenkrieg. Anstatt als Einzelflieger sein Können unter Beweis zu stellen, flogen ganze Geschwader oder Fliegerstaffeln gegen feindliche Stellungen. Nicht mehr Einzelkämpfe gegen ebenbürtige Gegner, sondern Taktik und Strategie hatten nunmehr Vorrang.369 Das bedeutete auch relativ „wehrlose“ Gruppen von Bodentruppen anzugreifen, wie Pölzleitner schilderte: „Plötzlich hören wir das Motorgeräusch knapp über uns. Die Flieger kommen ganz niedrig von seitwärts heran. Im nächsten Augenblick sind sie schon da. Kaum dreißig Meter ober uns. Ihre Kugeln prasseln nieder, zwischen die arbeitenden Leute hinein. Links und rechts staubt es auf. Wir vernehmen nicht den Maschinengewehrlärm im mächtigen Rattern des Motors und Surren des Propellers. In ein Loch gedrückt, in qualvollster Hilflosigkeit, erwarte ich das Ende, und denke nicht daran, daß ein Gewehr neben mir lehnt. Da ist schon der zweite Flieger über uns, und der dritte. Dann ist die wilde Jagd vorbei.“370

Solche Angriffe aus der Luft wirkten fatal auf die eigene Kampfkraft der Soldaten, besonders die eigene geringe Gegenwehr machte es schwer, sich diesen Waffen wirkungsvoll entgegenzusetzen. Für Pölzleitner, der sich bei einem weiteren Angriff im Schützengraben vor den herankommenden Flugzeugen duckte, war der Eindruck „zu gewaltig, das Gefühl der

365 Schilling, „Kriegshelden“, S. 267. 366 Mayr, Tagebücher, S. 367. 367 Pölzleitner, Berge, S. 244. 368 Ebd., S. 244 f. 369 Esposito, Helden- und Kriegertum, S. 81. 370 Pölzleitner, Berge, S. 296. 63

eigenen Hilflosigkeit lähmend“.371 Versuche, feindliche Flieger vom Boden aus zu bekämpfen, waren selten erfolgreich, wie Wegl berichtete: „Ist wohl ein verteufeltes Kunststück, einen Äroplan abzuschießen. Wir sehen sie fast alle Tage, jedes Mal wird darauf geschossen und keinem ist noch etwas passiert.“372 Den Wettkampf bei der Entwicklung der für den Kriegseinsatz besseren Flugzeugmodelle gewann schlussendlich die Entente, vor allem auch wegen deren überlegenen Ressourcen.373 Im Vergleich zu den anderen kriegführenden Ländern erreichte die k.u.k. Armee während des Krieges nur eine geringe Flugzeugproduktion. Besonders in Italien, mit seinen überlegenen Caproni-Bombern, war die Flugzeugindustrie stark gewachsen. Insgesamt besaß die italienische Armee doppelt so viele Flugzeuge wie die österreichisch-ungarischen Luftstreitkräfte.374 Diese alliierte Überlegenheit der Flieger mussten auch die österreichischen Soldaten anerkennen. So sah Wegl ein, dass „in Punkto Flugwesen sind uns die Katzler375 überlegen, das lässt sich einfach nicht leugnen […]“.376 Für Pölzleitner waren die feindlichen Beobachtungs- und Kampfflugzeuge zwar nicht an „heldischen Geist“ überlegen, dafür aber „unseren eigenen an Zahl und Material […]“.377 Die Unterlegenheit der eigenen Lufttruppe insbesondere auch die Machtlosigkeit gegenüber den verstärkten Fliegerangriffen auf Städte in der Heimat ließ Mayr im August 1918 kritisch fragen: „[…] wo bleiben unsere Fliegerhelden u.[nd] unsere Abwehrmaßnahmen? Vor 1 Woche waren ital[ienische] Flieger oberhalb [von] Wien, vor wenigen Tagen fotografierten sie über den Dächern Innsbrucks.“378 Bereits 1917 erfolgten die ersten italienischen Bombenabwürfe auf Bozen und Innsbruck.379 Im Sommer 1918 erreichten italienische Kampf- und Bombenflugzeuge bereits Städte im österreichischen Hinterland. Eine Flugabwehr musste dort erst mühsam aufgebaut werden. Die Unzulänglichkeiten in der Abwehr feindlicher Flugzeuge bewies der berühmte Flug des „Kriegerdichters“ Gabriele D`Annunzio, der am 9. August 1918 mit einer italienischen Flugstaffel nach Wien flog und dort Propagandazettel auf die Wiener Innenstadt abwarf. D`Annunzio plante mit diesem Flug der Habsburgermonarchie die Luftüberlegenheit der italienischen Armee zu demonstrieren.380 Durch den Material- und Personalmangel im letzten

371 Ebd., S. 299. 372 Wegl, Kriegstagebuch, S. 95. 373 Resch, Flugzeuge, S. 78. 374 Ebd., S. 94. 375 „Katzler“ oder „Katzelmacher“ waren abwertende Bezeichnungen für Italiener. 376 Wegl, Kriegstagebuch, S. 146. 377 Pölzleitner, Berge, S. 245. 378 Mayr, Tagebücher, S. 372. 379 Erwin Pitsch, Italiens Griff über die Alpen. Die Fliegerangriffe auf Wien und Tirol im 1. Weltkrieg, Wien 1995, S. 73 f. 380 Ebd., S. 85–89. 64

Kriegsjahr waren die österreichisch-ungarischen Fliegerkompanien nicht mehr in der Lage, größeren italienischen Fluggeschwadern wirksamen Widerstand entgegenzusetzen.381 Die Auswirkungen dieser eigenen Hilflosigkeit gegenüber Fliegerangriffen bekam auch Schneider in den letzten Kriegstagen zu spüren: „Auf alle Brücken, welche unseren Armeen zum Rückzug dienen, stürzen sie sich jeden Morgen wie Raubvögel und werfen mit Maschinengewehren und Bomben den Tod in die Haufen der ruhelosen, gehetzten Menschen. Bis auf wenige Meter vom Erdboden herab stürzen sie sich auf die wehrlosen Leute und töten mit zielsicheren Mordwerkzeugen.“382

Trotz dieser Entwicklung hin zum Material- und Massenkrieg in der Luft, blieben Mythos und die Verklärung der Fliegerhelden zu „Rittern der Lüfte“ zum Teil bis in die heutige Zeit bestehen.383 Vor allem in der Zwischenkriegszeit wurde das Bild vom ritterlichen Flieger konstruiert und inszeniert.384 Der Soldat am Boden hingegen, vom industrialisierten Massenkrieg desillusioniert, wurde im Kriegsgeschehen zum Objekt, zum „Material“, der nur mehr ein Rädchen in der Kriegsmaschinerie und zum bloßen Arbeiter degradiert wurde.385 Sein Arbeits- und Lebensbereich spielte sich dabei in den Schützengräben an der Front ab.

381 Wolfgang Etschmann, Die Südfront 1915–1918, in: Tirol und der Erste Weltkrieg, hrsg. v. Klaus Eisterer/Rolf Steininger (Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 12), Innsbruck-Wien 1995, S. 27–60, hier S. 46. 382 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 594. 383 Schilling, „Kriegshelden“, S. 267. 384 Marschik, Heldenbilder, S. 150 f. Vgl. dazu die Arbeit von Nicole-Melanie Goll, "… Nobel und ritterlich im Kampf, war er gleich einer Gestalt aus der Zeit des Minnesanges und der Turniere …". Zur Konstruktion des Kriegshelden in der k.u.k. Monarchie am Beispiel von Godwin von Brumowski, Gottfried von Banfield und Egon Lerch, Diss. Graz 2014. 385 Esposito, Helden- und Kriegertum, S. 85. 65

5. Die Kriegsfronten

5.1. Der Krieg im Osten 1914

Die allgemeine Kriegsbegeisterung nach den Kriegserklärungen im Sommer 1914 stellt einen zentralen Erinnerungspunkt zur Geschichte des Ersten Weltkrieges dar. Jubelnde Massen an Bahnhöfen und singende Soldaten, die euphorisch für ihr Vaterland in den Krieg zogen, dominierten das kollektive Gedächtnis zum Kriegsausbruch. Zwar konnten unlängst Forschungen aufzeigen, dass Teile der Bevölkerung, besonders die ländliche, auf den Kriegseintritt ihres Landes deutlich zurückhaltender reagierten.386 Trotzdem meldeten sich in den ersten Kriegswochen bereitwillig Tausende zur Armee und folgten ihrer Einberufung. Einer davon war Fritz Kreisler, der bei Kriegsausbruch in der Schweiz weilte, jedoch sofort nach Wien zurückfuhr und die Stadt in einem veränderten Zustand vorfand. Für ihn schien der Krieg in erster Linie große Einigkeit und Solidarität in der Bevölkerung auszulösen: „Sofort zeigte sich, welch großer Gleichmacher der Krieg ist. Gesellschaftliche Barrieren und Rangunterschiede gab es so gut wie keine mehr. Alle Schranken schienen gefallen; jeder sprach mit jedem.“387 Die nationale Einheit im Vielvölkerstaat wurde in den größeren Städten vielfach gelobt und hervorgehoben. Quer durch alle sozialen Schichten zog sich die Kriegsbegeisterung.388 Auch Schneider erlebte diesen „Taumel der Begeisterung“, der die Bevölkerung ergriffen hatte: „[…] alle Schranken des nationalen Hasses, aller politischer Gegnerschaft schienen mit einem Male durchbrochen.“389 Im Mittelpunkt des allgemeinen Jubels stand, laut Kreisler, die Armee, die „in den Himmel gehoben“ wurde: „Wo immer Truppen marschierten, brachen die Menschen in Hochrufe aus, und jeder Uniformträger stand im Mittelpunkt von Ovationen.“390 Der „Geist von 1914“ schien auch große Teile der österreichisch-ungarischen Bevölkerung erfasst zu haben. Besonders Intellektuelle, Künstler, Schriftsteller und Dichter konnten die Menschen für den Krieg begeistern. Diese Welle erfasste auch bald jene, die anfangs noch zögerlich auf einen Krieg reagiert hatten.391

386 Vgl. Christian Geinitz/Uta Hinz, Das Augusterlebnis in Südbaden. Ambivalente Reaktionen der deutschen Öffentlichkeit auf den Kriegsbeginn 1914, in: Kriegserfahrungen. Studien zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte des Ersten Weltkriegs, hrsg. v. Gerhard Hirschfeld (Schriften der Bibliothek für Zeitgeschichte–Neue Folge 5), Essen 1997, S. 20–35; Oswald Überegger, Illusionierung und Desillusionierung, in: Katastrophenjahre. Der Erste Weltkrieg und Tirol, hrsg. v. Hermann J. W. Kuprian/Oswald Überegger, Innsbruck 2014, S. 41–59, S. 41 f. 387 Kreisler, Tosens, S. 34 f. 388 Manfried Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914–1918, Wien- Köln-Weimar 2013, S. 143. 389 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 23. 390 Kreisler, Tosens, S. 35. 391 Rauchensteiner, Weltkrieg, S. 141. 66

Den Abschied von den Lieben daheim erlebte Mayr beispielsweise als sehr „schmerzvoll“.392 Die Aussicht auf eine baldige Abreise an den östlichen Kriegsschauplatz stimmte ihn in den ersten Augusttagen des Jahres 1914 vielmehr niedergeschlagen: „Wenn ich auf [sic!] den Abschied von den lieben Heimatbergen denke, dann wird mir schwer ums Herz.“393 Obwohl täglich Gerüchte umgingen, dass Mayrs Abteilung bald nach Galizien abkommandiert werden würde, blieb er noch einige Zeit im Hinterland, im Südtiroler Sextental stationiert. Meldungen über die ersten österreichischen Siege in Serbien und die Todesnachricht eines Freundes ließen in Mayr jedoch bald den Wunsch reifen „auch bald ins Feld zu kommen“.394 In Innichen beobachtete der Offiziersdiener Mayr wie täglich Waggons voller Soldaten nach Osten abreisten und empfand dabei Ungeduld und einen gewissen Eifer auf den eigenen Kriegseinsatz: „Wie ergreifend und schön klang doch heute mittags beim Abmarsch oder vielmehr bei der Abfahrt der Truppen das Kaiserlied. Ich glaubte, ich müsse beim Fenster hinaufspringen und mitfahren.“395 Schneider erlebte während seiner Fahrt nach Osten die überschwängliche Kriegsbegeisterung, die in diesen ersten Tagen herrschte: „Die ganze Bahnfahrt war ein förmlicher Triumphzug […].“396 Allerdings gab es nicht immer „nur Jubel und festliche Empfänge, sondern auch ernste, stille Stunden […]“.397 Im Gespräch mit Generalstabsoffizieren des Kriegsministeriums in Wien erhielt er sogar einen ganz anderen Blick auf die russische Kriegserklärung. Dort herrschte eine „gedrückte Stimmung“.398 Die Erwartungen auf einen kurzen Krieg teilten hier die wenigsten. Laut Schneider war ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung der Meinung, dieser Krieg wäre nur von kurzer Dauer und „bis Weihnachten hoffte jeder wieder zu Hause zu sein“.399 In vielen europäischen Staaten bestand im August 1914 dieser Glaube bis Weihnachten sei der Krieg längst vorbei.400 Düstere Voraussagen von Militärexperten, ein Krieg mit Russland und moderner Waffentechnologie würde länger als ein paar Monate dauern, kamen Schneider und seinen Kameraden „ebenso unabsehbar, als gänzlich unwahrscheinlich vor […]“.401

392 Mayr, Tagebücher, S. 61. 393 Ebd., S. 64. 394 Ebd., S. 83. 395 Ebd., S. 82. 396 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 27. 397 Ebd., S. 28. 398 Ebd. 399 Ebd., S. 30. 400 Volker Berghahn, Der Erste Weltkrieg, München 42009, S. 65. 401 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 30. 67

Kreislers erster Feindkontakt mit den russischen Truppen erfolgte an der Ostfront in Galizien nach einem „durch keinen Halt unterbrochenen Gewaltmarsch von 35 Kilometern“.402 Die Nachrichten, der Feind sei auf dem Rückzug und die eigenen Truppen tief in russisches Gebiet vorgedrungen, erwiesen sich bald als falsch. Die Aussicht früher als erwartet in den Kampf zu ziehen, überraschte Kreisler und seine Kameraden dann jedoch sichtlich: „Wir waren wie vom Donner gerührt bei der jähen Erkenntnis, dass die Russen so weit nach Galizien vorgedrungen waren. Die Niedergeschlagenheit, die dieser aufrüttelnden Erkenntnis folgte, wich jedoch rasch der ungeheuren Erregung, so bald auf den Feind zu stoßen.“403 Als die Männer in Kreislers Kompanie von den Neuigkeiten erfuhren, brachen diese sodann in Begeisterungsrufe aus.404 Die Aufmarschpläne des österreichischen Generalstabschefs Franz Conrad von Hötzendorf (1852–1925) für die nordöstliche Front in Polen und Galizien sahen ein offensives Vorgehen der zahlenmäßig unterlegenen österreichischen Armeen gegen die russischen Streitkräfte vor. Dort standen ca. 1,2 Millionen österreichische Soldaten 1,8 Millionen russischen Soldaten gegenüber.405 Durch kühne Vorstöße wollte Conrad die Initiative im Kampf behalten. Die ersten Gefechte an der Front bei Krasńik und Komarów im August/September 1914 verliefen zunächst auch erfolgreich.406 Schneider erlebte in diesen Kämpfen seine Feuertaufe und ersten Siegeserlebnisse: „Es war ein Sieg, ein glänzender Sieg!“407 Auch Mayr vernahm mit Freude die Nachrichten in der Heimat: „Ein schöner Tag. Er brachte die Nachricht eines großen Sieges der Unsrigen bei Krasnick.“408 Was Mayr aus den Meldungen nicht erfuhr, waren die äußerst hohen Verluste dieser Kämpfe. Schneider hingegen erlebte sie an Ort und Stelle: „Viele Kompanien hatten mehr als den halben Stand verloren. Heute am ersten Schlachttag, gab das nicht zu denken? Denn wer glaubte daran, daß der Feldzug mit dem heutigen Tage entschieden sei?“409 Die hohen Ausfälle bei den Truppen waren zum Teil auch dem falschen taktischen Vorgehen in einem modernen Krieg, auf den viele Kommandanten nicht ausreichend vorbereitet waren, zu verschulden.410 Nachdem seine Kompanie einen russischen Angriff abgewehrt hatte, berichtete Kreisler, sichtlich erschüttert vom Anblick der gefallenen und verwundeten Soldaten auf dem Schlachtfeld: „Angesichts dieses fürchterlichen Schauspiels schien die Begeisterung jäh zu

402 Kreisler, Tosens, S. 44. 403 Ebd., S. 45 f. 404 Ebd., S. 46. 405 Rauchensteiner, Weltkrieg, S. 184. 406 Ebd., S. 198. 407 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 65. 408 Mayr, Tagebücher, S. 71. 409 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 55. 410 Rauchensteiner, Weltkrieg, S. 199. 68

schwinden.“411 Bald schon änderten sich die ersten Siegesmeldungen in Verlustnachrichten. Der Durchbruch der Russen in Lemberg und die Einnahme der galizischen Hauptstadt am 2. September 1914 beendete vorerst den ersten österreichisch-ungarischen Angriff.412 „Lemberg in Händen der Russen“, vermerkte Mayr dazu in seinem Tagebuch, „wurde von uns freiwillig geräumt.“413 Schneider erfuhr an der Front über den Fall der Stadt: „Uns hatte man nur bekanntgegeben, daß bei dieser Stadt eine Schlacht im Gange sei. An den Verlust der Stadt wollte niemand glauben, und doch war sie in Wirklichkeit schon seit einer Woche in Feindeshand.“414 Die k.u.k. Armee war nunmehr auf dem Rückmarsch. Am 11. September gab das Armeeoberkommando den Befehl zum allgemeinen Rückzug hinter den Fluss San.415 Vor der russischen Übermacht musste auch Kreisler zurückweichen: „Die Russen waren uns zahlenmäßig furchtbar überlegen, und um unsere Armee freizubekommen und zu verhindern, dass sie umzingelt und abgeschnitten wurde, mussten wir uns ständig zurückziehen;“416 Auch Schneider, der zwar den Befehl kannte, die Stellung „bis zum letzten Mann“ zu halten, war jedoch hilflos angesichts der massenhaft zurückgehenden Soldaten: „Plötzlich sehe ich hinter mir Leute, und immer mehr Leute, wie aus dem Boden gewachsen und von allen Seiten kamen sie, einzeln und in kleinen Abteilungen, alle mit Waffen, unverwundet und alle gehen zurück, verlassen das Kampffeld. Das war der Zusammenbruch!“417 Der Abzug der Truppen gestaltete sich aufgrund der durch Regen und Schlamm unbefahrbaren Straßen und Wegen als äußerst schwierig, wie Kreisler beschrieb: „Die wenigen Straßen in Galizien, die schon im günstigsten Fall in schlechtem Zustand sind, waren durch das ständige Passieren schwerer Artillerie und Karren aller Art, die einander bei andauerndem Regen in endloser Prozession folgten, so gut wie unpassierbar geworden, und der zähe Schlamm bildete ein zusätzliches Hindernis für das Marschieren der Truppen.“418

Schneider und seine Truppen waren in einer ähnlichen Situation: „Hilflos gegen den Regen saß man im Sattel, grundlos wurden die Straßen und Pferde, Wagen, Männer, Reiter, alles wurde langsam vom Lehm braun überzogen, alles war durchnäßt, fror und litt an Hunger und mangelnden Schlaf.“419 Die Soldaten waren von den langen Märschen erschöpft und teils noch

411 Kreisler, Tosens, S. 72. 412 Rauchensteiner, Weltkrieg, S. 249. 413 Mayr, Tagebücher, S. 76. 414 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 90. 415 Rauchensteiner, Weltkrieg, S. 249. 416 Kreisler, Tosens, S. 74. 417 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 92. 418 Kreisler, Tosens, S. 76. 419 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 103. 69

von den Eindrücken der ersten Kämpfe geschockt. Kreislers Erinnerungen an diese Tage des Rückzugs waren „sehr undeutlich, da jeder Tag beinahe gleich verlief wie der vorhergehende – ermüdende Märsche, wenig Rast und vergleichsweise wenig Kampf“.420 Bald machte sich beim Rückzug auch Panik und Chaos vor der heranrückenden russischen Armee breit.421 So erzählte wiederum Schneider: „Die allgemeine Unruhe war noch durch Paniken erhöht, die abends bei einzelnen Trainkolonnen ausbrachen, die plötzlich ins Feuer gekommen waren.“422 Nach der abgebrochenen Schlacht bei Rawa-Ruska-Lemberg – „'Abgebrochen' – das war ein neuer Ausdruck der Kriegsgeschichte!“423 – wurde die Festung Przemyśl am San zum letzten Verteidigungspunkt der k.u.k. Armee. Sie sicherte den Abzug der österreichischen Truppen.424 Ungefähr 130.000 Mann Besatzung wurde bei der ersten Belagerung der Festung eingeschlossen und sich selbst überlassen.425 Ein beträchtlicher Teil der Festung war schon bei Kriegsausbruch veraltet und bot kaum Schutz vor modernen Kriegsgeschützen. Österreichische Kanonen, die noch mit Schwarzpulver schossen, wurden von der russischen Artillerie sogar ignoriert, da man sie für Scheingeschütze hielt.426 Erst zwischen dem 7. und 12. Oktober 1914 konnte die erste Belagerung der Sanfestung aufgehoben werden. Eine weitere zweite Offensive der k.u.k. Truppen in Galizien scheiterte jedoch ebenfalls.427

5.1.1. Frontängste: Spione, Kosaken und Seuchen

An der Ostfront in Galizien machte erstmals auch in großem Umfang die Furcht vor feindlichen Spionen die Runde. Eine regelrechte „Spionagefurcht“ hatte sich bei einigen Militärangehörigen festgesetzt. Vor allem die einheimische Bevölkerung, hauptsächlich die Ruthenen, wurden der Spionage für den Feind verdächtigt.428 Schneider bezeichnete das Phänomen als einer „damals immer mehr um sich greifenden Psychose“.429 Die hohen Verluste bei den Gefechten schienen die Soldaten und ihre Kommandeure bald eher der Arbeit dieser Spione zuzurechnen als dem eigenen Unvermögen: „Unsere Verluste waren schwer, schwerer,

420 Kreisler, Tosens, S. 79. 421 Rauchensteiner, Weltkrieg, S. 249. 422 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 105. 423 Ebd., S. 106. 424 Franz Forstner, Przemyśl. Österreich-Ungarns bedeutendste Festung (Militärgeschichtliche Dissertationen österreichischer Universitäten 7), Wien 1987, S. 161 f. 425 Rauchensteiner, Weltkrieg, S. 254. 426 Rauchensteiner, Weltkrieg, S. 251; Forstner, Przemyśl, S. 147 f. 427 Rauchensteiner, Weltkrieg, S. 255. 428 Helmut Kuzmics/Sabine A. Haring, Emotion, Habitus und Erster Weltkrieg. Soziologische Studien zum militärischen Untergang der Habsburger Monarchie, Göttingen 2013, S. 206. 429 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 71. 70

als es notwendig war – eine Wirkung der Spionage. Darum begann eine wilde Jagd auf Spione. Sie wurde zur Manie, ja sogar zum Wahn.“430 Diese Furcht vor Spionen steigerte sich tagtäglich und es herrschte eine regelrechte Menschenjagd auf echte oder vermeintliche Agenten in der Bevölkerung. Kamen aus einer Ortschaft „verdächtige Schüsse aus den Häusern“, setzte, so Schneider, „ein hartes Strafgericht“ ein: „Eine Gendarmeriepatrouille schoß rücksichtslos alle verdächtigen Leute nieder, und es waren ihrer viele – viel mehr als einzelne Schüsse gefallen waren!“431 Oftmals reichte schon der bloße Verdacht aus, um verhaftet oder erschossen zu werden. Die fast schon paranoide Furcht vor versteckten Spionen endete oftmals in Massakern an der ruthenischen und galizischen Bevölkerung.432 Dazu meinte Schneider: „Sie war ja gegen uns verschworen, und nun wütete das Schwert der Rache unter ihr, die Kugel und der Galgen, unschuldig und schuldig war gleichgültig, nur Opfer wollte man sehen.“433 Welche bizarren, zuweilen komischen Auswüchse diese gesteigerte Furcht vor russischen Spionen annahmen, zeigt ein Vorfall, den Schneider schilderte: „Heute war es z.B. ein Kampf gegen Windmühlen, also ein Abenteuer, würdig Don Quichotes. Wir kamen auf eine kahle Höhe, da drehten sich vor uns die Flügel einer Windmühle, die bisher stille standen. Der Kommandant befahl mir und noch anderen Offizieren, sofort mit gezogenem Säbel gegen die Windmühle zu reiten und die Verräter, welche ihre Bewegungen lenkten, zusammen zu hauen. Aber die Mühle war leer, innen knarrte nur das Räderwerk im Winde und somit war der Vergleich mit dem spanischen Helden nur allzu einladend.“434

Zu dieser Spionagefurcht gesellte sich noch eine weitere Angst der Soldaten an der Ostfront hinzu: Die sogenannte Kosakenfurcht. Kosaken waren eine militärisch organisierte abgeschlossene Kriegerkaste, die als Elite des Zarenheeres angesehen wurde.435 Durch ihren Gehorsam und Loyalität gegenüber dem Zaren sahen sie sich als Stütze der russischen Monarchie, deren Einheiten während des Krieges über 70% der russischen Kavallerie stellten. Ihre militärische Bedeutung wurde zu Kriegsbeginn wohl auf beiden Seiten des Krieges überschätzt, da in Zeiten moderner Kriegstechnologie Angriffe der Kavallerie langsam aber sicher obsolet für den Ausgang einer Schlacht wurden. Für Aufklärungs- und Sicherungsaufgaben waren ihre Einheiten dennoch wertvoll. Im russischen Heer wurden die

430 Ebd. 431 Ebd., S. 72 f. 432 Forstner, Przemyśl, S. 158 f. 433 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 80. 434 Ebd., S. 71. 435 Matthias Uhl, Die Kosaken im Ersten Weltkrieg 1914–1917, in: Die Kosaken im Ersten und Zweiten Weltkrieg, hrsg. v. Harald Stadler/Rolf Steininger/Karl C. Berger, (Archäologisch-militärhistorische Forschungen 3), Innsbruck 2008, S. 69–91, hier S. 69–72. 71

Kosaken in fast allen wichtigen Schlachten eingesetzt und erlangten bei Angriffe auf feindliche Nachschub- und Nachrichtenwege hohe Bedeutung.436 Auf deutscher Seite gab es zahlreiche Berichte und Gerüchte über raubende und wilde Horden von Kosaken, die an der Bevölkerung Gräueltaten verrichteten. Waren die Kosaken für die russische Heldenpropaganda enorm wichtig, fand die deutsche Kriegspropaganda in ihnen hingegen ein überaus stereotypes Feindbild, das mit dem Schreckensruf „Die Kosaken kommen!“ bei der Bevölkerung eine panikartige Flucht auslösen konnte.437 Die Angst vor nächtlichen Überfällen verursachte auch regelmäßig Zwischenfälle und Paniken unter den österreichisch-ungarischen Soldaten. Wie sich solche Vorfälle an der Ostfront zugetragen hatten, berichtete etwa Schneider: „[…] mancher Schuß wird blind in die Luft abgegeben, dann ruft eine Stimme 'Kosaken'. Das Feuer unserer Leute gegen den für uns unsichtbaren Feind steigert sich, wird zu einem Massenfeuer, wie es kaum unter Tags gewesen war. […] Jetzt ließ das Feuer allmählich nach – nur mehr einzelne Schüsse fallen – dann Ruhe. – 'Es war nichts', sagt man. – 'Ein Irrtum, es waren eigene Leute, die ausgeritten waren'. – Also wieder keine Kosaken!“438

Für Kreisler hingegen waren Angriffe und Überfälle der russischen Reiterhorde, die anderswo Angst und Schrecken verursachten, keine Phantome in der Nacht, sondern wurden erfolgreich abgewehrt und „was die Kosaken mit ihren ewigen Scheinangriffen betraf, so waren wir an den Punkt gekommen, sie beinahe zu ignorieren“.439 Für Kreisler endete der Krieg übrigens mit einer Verwundung, die ihm bei einem solchen nächtlichen Überraschungsangriff der Kosaken zugefügt wurde: „Ich hatte kaum Zeit, meinen Säbel zu ziehen, mit der Linken den Revolver zu ergreifen und meinen Männern den Befehl zu erteilen, sie sollten die Bajonette bereithalten, als wir Pferdegetrappel hörten und dunkle Gestalten auf uns niederfahren sahen. Ausnahmsweise führten die Kosaken ihren Angriff auch wirklich aus […].“440

Zu diesen echten und vermeintlichen Attacken der Gegner kam noch eine weitere Gefahr auf die Soldaten zu. Seuchen und Krankheiten hatten sich unter den Truppen sehr schnell ausgebreitet und dezimierte zusätzlich die Kampfkraft der k.u.k. Einheiten. Besonders Cholera und Ruhr wuchsen zu Epidemien an, die vom Militär nur schwer einzudämmen waren.441 Durch die „klassischen Kriegsseuchen“, das wusste das Armeeoberkommando aus früheren Kriegen,

436 Ebd., S. 73 f. 437 Ebd., S. 75–81. 438 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 56. 439 Kreisler, Tosens, S. 80. 440 Ebd., S. 90. 441 Rauchensteiner, Weltkrieg, S. 256. 72

wurden oftmals mehr Soldaten kampfunfähig gemacht, als durch Waffen. Der Osten der Habsburgermonarchie, besonders Galizien, war als Seuchenherd bestimmter Krankheiten bekannt, die im westlichen Teil des Landes kaum mehr auftraten. Die k.u.k. Armee war auf diese massenhaften Krankheitsausbrüche zu Kriegsbeginn nur ungenügend vorbereitet. Große Teile der Armeen hatten noch keine Schutzimpfungen erhalten, es gab erst 1915 Epidemiespitäler im Osten und die Transporte von Erkrankten ins Hinterland waren zum Teil noch mangelhaft organisiert. Dies alles trug zu einer höheren Sterblichkeitsrate der Erkrankten bei.442 Schneider beobachtete auch diesen Rückschlag in der Armee: „Damals hatten Krankheiten Offiziere und Mannschaften ergriffen, immer mehr von ihnen mußten zurückbleiben oder, wenn es möglich war, auf gut Glück mit Fuhrwerken in das Innere des Landes zu kommen zu trachten. Es war die Ruhr, die nun doch ausgebrochen war und ihre Opfer unerbittlich forderte. Unsere Reihen lichtete nun auch die Seuche;“443

Die Ruhr oder Dysenterie, eine schmerzhafte Darmkrankheit trat schon sehr bald nach Kriegsbeginn im Osten auf und verbreitete sich rasend schnell unter den kämpfenden Truppen. Die meisten Todesopfer gab es nach längeren Märschen zu beklagen. Ihren Höhepunkt erreichte die Krankheit in den Herbstmonaten des Jahres 1914.444 Zum Teil sorgten diese Krankheiten, laut Schneider, „für mehr Sensationen als der bloße Kampf sie brachte. [Cholera und Ruhr begannen, seit wir am San angelangt waren, Hunderte starben so]“.445 Mit Cholera und Typhus infizierten sich die Soldaten zum größten Teil durch die unhygienischen Feldküchen und die unkontrollierte Trinkwasserversorgung. Die Cholera forderte besonders viele Todesopfer; im Sommer 1915 verzeichnete die österreich-ungarische Armee über 15.000 Choleratote, 4.000 davon stammten aus Galizien. Zum Teil mitverantwortlich für diese hohe Sterberate waren die viel zu spät erfolgten Impfungen der Truppen.446 Mayr beispielsweise erhielt seine Choleraimpfung an der Südfront erst im September 1918.447

442 Elisabeth Dietrich, Der andere Tod. Seuchen, Volkskrankheiten und Gesundheitswesen im Ersten Weltkrieg, in: Tirol und der Erste Weltkrieg, hrsg. v. Klaus Eisterer/Rolf Steininger (Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 12), Innsbruck 2011, S. 255–275, hier S. 255–257. 443 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 89 f. 444 Dietrich, Tod, S. 258. 445 Der Text in Klammern ist im Originalmanuskript von Schneider gestrichen worden. Schneider, Kriegserinnerungen, S. 166. 446 Dietrich, Tod, S. 259. 447 Mayr, Tagebücher, S. 375. 73

5.1.2. Bewegungs-, Stellungskrieg und der Schützengraben

Letztendlich hatte die k.u.k. Armee große Ausfälle an Mensch und Material in den ersten Kriegswochen zu verzeichnen. Von den 800.000 Soldaten der nordöstlichen Front musste rund die Hälfte als Verlust eingestuft werden, davon gingen nochmals 100.000 Soldaten in russische Kriegsgefangenschaft.448 Nach diesen verlustreichen ersten Kämpfen verblasste bei vielen Soldaten allmählich die Illusion von einem kurzen Krieg.449 Auch bei Schneider hatte nach dem ersten Rückzug der Armee hinter dem San und den folgenden Gefechten gegen die russische Armee ein Umdenken stattgefunden: „Es begann die Not, die sich hinter unserem Rücken, mit furchtbarer Deutlichkeit abzeichnete, und vorne stand der starke Feind, der den Mangel garnicht [sic!] zu kennen schien. Da dehnte sich der Krieg zum ersten Mal ins Ungemessene. Werden wir noch die Kraft für den endgültigen Sieg haben? – Gewiß, aber Zeit werden wir brauchen und Geduld, die Geduld aller, der Kämpfenden und der Nichtkämpfenden daheim.“450

Die ersten Schlachten hatten gezeigt, wie sehr sich der Krieg, im Widerspruch zu den Plänen der militärischen Führungsriege, die vor 1914 mit einem relativ raschen Bewegungskrieg rechneten, verändert hatte.451 Die ersten Gefechten in Belgien und Frankreich, sowie der russische Einmarsch in Ostpreußen hatten noch den Charakter eines Bewegungskrieges. An der Westfront war diese Art der Kriegsführung jedoch schon im November 1914 vorbei. Die starke Vernichtungskraft der modernen Waffen machten Infanterieangriffe auf offenem Felde nutzlos und begünstigten vielmehr die Position der Verteidiger, als die der Angreifer. Auch waren Nachrichten- und Kommunikationsnetzwerke mit den verschiedenen Armeeteilen noch nicht vollständig ausgebaut, sodass keine größeren und schnellen Vormärsche möglich waren.452 Im Gegensatz zur Westfront, wo die Fronten in einem Stellungskrieg erstarrten, gab es an der Ostfront verschiedene Phasen von beweglicher Kampfführung.453 Doch auch dort breiteten sich bald die ersten Schützengräben aus. Schneider beobachtete diesen Wandel in der Kriegsführung: „Und noch ein Befehl wurde gegeben, ein Novum. Die Truppen durften sich schrapnellsichere Deckungen graben. Das war eine gründliche Änderung der bisher

448 Rauchensteiner, Weltkrieg, S. 251. 449 Ebd., S. 252. 450 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 153. 451 Markus Pöhlmann, Stellungskrieg, in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn 2014, S. 864–867, hier S. 864. 452 Markus Pöhlmann, Bewegungskrieg, in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn 2014, S. 385–386, hier S. 386. 453 Ebd. 74

geübten Sturmtaktik. Hatte man doch in den ersten Schlachten geglaubt, des Spatens entraten zu können und hatte sich, im Widerspruch zu allen Exerzierplatzlehren, mit dem Bajonett in der Hand dem Feind entgegengeworfen.“454

Die ersten Schützengräben waren meist nur improvisierte Schutzvorrichtungen, die später zu richtigen Stellungen ausgebaut wurden, zum Teil mit eigenen Verbindungs- und Versorgungsgräben. 1916 besaßen ausgebaute Gräben schon bis zu drei Schützengrabenlinien.455 An der Ostfront wurden zu Kriegsbeginn, wie Kreisler beschrieb „nur ganz flüchtig ausgehobene Gräben“ verwendet.456 Um die eingenommenen Stellungen jedoch wirksam zu verteidigen mussten diese eilig errichteten Gräben oftmals dauerhaft verstärkt werden: „Wir befestigten die Schützengräben, die wir besetzt hatten […].“457 Der Stellungskrieg in den Schützengräben brachte auch eine rasante Veränderung und Erweiterung der Kampfmittel mit sich, wobei die Feuerkraft des Maschinengewehrs eine besonders hohe Bedeutsamkeit erlangte.458 Den Vorteil und die tödliche Wirkungskraft eines befestigten Schützengrabens, der mit Maschinengewehren verteidigt werden konnte, schilderte Kreisler anschaulich während eines russischen Infanterieangriffes: „[…] wir hatten uns wieder in die Sicherheit der Schützengräben zurückgezogen und eröffneten das Feuer auf den heranrückenden Feind, der sich trotz schwerer Verluste stetig vorwärts bewegte, bis er unsere Drahtverhaue erreichte. Dort wurde er von einem tödlichen Feuer aus unseren Maschinengewehren in Empfang genommen. Wie mit einer gigantischen Sense wurden die ersten russischen Reihen niedergemäht, ebenso die Reserven, als sie deren Positionen übernehmen wollten.“459

Kreislers Schilderungen demonstriert eindrucksvoll, dass konventionelle Kriegstaktiken durch das Potenzial moderner Waffen ausgedient hatten. Die Versuche, bewaffnete Schützengräben durch ein Massenaufgebot von Soldaten zu erobern, führten selten zum Erfolg und ließen viele sinnlos geopferten Soldaten auf dem Schlachtfeld zurück. Der Kampf in den Schützengräben ließ auch Werner an der rumänischen Front über den Charakter dieses neuen Krieges nachdenklich werden: „Mir fällt es heute immer wieder ein, wie nah und gleichbedeutend die Worte Graben und Grab sind […].“460

454 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 91. 455 Pöhlmann, Stellungskrieg, S. 866. 456 Kreisler, Tosens, S. 51. 457 Ebd., S. 63. 458 Pöhlmann, Stellungskrieg, S. 866. 459 Kreisler, Tosens, S. 70. 460 Werner, Kriegstagebuch, S. 28. 75

Der Schützengraben wurde zum Symbol des Krieges schlechthin und prägte auch dessen Charakter. Der Alltag der Soldaten in den Gräben war durch wechselnde Phasen längerer Untätigkeit und Langeweile – „das Einerlei des Lebens im Schützengraben“461, wie Kreisler es nannte – und kürzere, lebensbedrohliche Situationen gekennzeichnet.462 Die eigenen Gräben waren zum Teil nur einige hundert Meter weit vom gegnerischen entfernt, von denen aus Angriffe und Gegenangriffe stattfanden, die jedoch kaum nennenswerte Erfolge brachten.463 Bei Kreisler war auch dies der Fall: „Schließlich gelang es der russischen Infanterie, eine Reihe von Schützengräben anzulegen, derjenige uns gegenüber war keine fünfhundert Meter entfernt. […] Wir lagen einander vier Tage lang gegenüber, wobei keine Seite auch nur einen Meter an Boden gewann.“464 Die Zustände in den Schützengräben konnten selten als ideal bezeichnet werden und auch die Kampfkraft und Moral der verteidigenden Soldaten litt darunter, wie Kreisler bestätigte: „Wir befanden uns auf sumpfigen Boden, und das Wasser sickerte ständig vom Boden des Unterstands nach, wir standen manchmal knietief darin und waren gezwungen, es mit unseren Kappen auszuschöpfen. Man kann sich kaum eine schwierigere Lage vorstellen, als vier Tage lang in einem halb mit Sumpfwasser gefüllten, stinkenden Graben ausharren zu müssen, ständig dem zerstörerischen Feuer des Feindes ausgesetzt, vollkommen isoliert und ohne Hoffnung.“465

Dass sich der Krieg, entgegen aller Hoffnungen auf einen schnellen Vorwärtsmarsch und Sieg, verändert hatte, erkannte auch Schneider in einem Rückblick über die ersten Kampfwochen: „Es begann damals jene Form des Krieges, die dem Weltkrieg allmählich die Signatur gab – der Stellungskrieg. Der Krieg verlor die Beweglichkeit seines Anfanges […].“466 Als Gründe für diese Umstellung nannte Schneider, dass „Mensch und Material“ erschöpft worden waren. Der Krieg hatte furchtbare Verluste gekostet und die Reserven, die nicht ausreichend ausgebildet werden konnten, waren bloßes „Material, das zum Schießen da war und zum Erschossen werden“.467 Ähnliche Gedanken kamen auch Pölzleitner, der vom „Menschenmaterial“ sprach, das in diesem Krieg „langsam aber sicher zur Neigung ginge“.468 Eine erstarrte Front beschäftigte auch Josef Wegl, als er 1916 folgendes in sein Tagebuch notierte: „Das monatelange Sitzen im Stellungskrieg ist zum Verzweifeln. Wie ganz anders war

461 Kreisler, Tosens, S. 84. 462 Pöhlmann, Stellungskrieg, S. 867. 463 Bernd Ulrich, Schützengraben, in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn 2014, S. 820–822, hier S. 821. 464 Kreisler, Tosens, S. 81. 465 Ebd., S. 88. 466 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 186. 467 Ebd., S. 187. 468 Pölzleitner, Berge, S. 202. 76

uns zu Mute, als der Vormarsch nach Italien begann! Leider hat die Freude nicht lange gedauert.“469 Die Vorstellung, in diesem Stellungskrieg nur mehr willenloses Material zu sein, in dem einzig die Feuerkraft der Maschinen zählte, bedrückte auch Josef Werner, der 1917 in der Nähe der rumänischen Grenze kämpfte: „Mir kommt dieser Stellungskrieg so unberechtigt und sinnlos vor, weil jeder Kampfgeist fehlt – der Krieg wird immer mehr zur Maschine.“470

5.1.3. Rumänien – Die vergessene Front

Ein in der westlichen Geschichtswissenschaft lange Zeit vernachlässigter, fast schon vergessener Schauplatz des Ersten Weltkrieges, war die südöstliche Front der Doppelmonarchie in Rumänien. Zu Kriegsbeginn hatte das Königreich Rumänien eine Haltung der „abwartenden Neutralität“ eingenommen.471 Es folgte ein diplomatisches Wechselspiel, geprägt von Drohungen und Versprechungen beider Kriegsparteien, Rumänien für die jeweils eigene Seite zu gewinnen, wobei sich letzten Endes die Entente durchsetzen konnte. Die rumänische Regierung, unter Führung von Ion I. C. Brǎtianu (1864–1927), verhoffte sich durch die Kriegserklärung gegen Österreich-Ungarn die Erfüllung der „großrumänischen Einigung“, d.h. die Annektierung jener Teile Siebenbürgens und der Bukowina, wo eine rumänische Minderheit lebte.472 Zugleich hatte auch der Kriegseintritt Bulgariens im Oktober 1915 die Situation für Rumänien verändert. Die militärischen Erfolge der Alliierten im dritten Kriegsjahr sah die rumänische Regierung deshalb als einen günstigen Zeitpunkt für die Erfüllung ihrer territorialen Ziele an.473 Vor allem der Durchbruch der russischen Truppen an der Ostfront im Zuge der Brussilow-Offensive im Sommer 1916 war ausschlaggebend für die Entscheidung Rumäniens in den Krieg zu ziehen. Schneider, der aufgrund dieser Offensive von der Südfront als Verstärkung an die Ostfront versetzt wurde, sah diesen Schritt Rumäniens bereits voraus: „Die Siege von damals scheinen zur Gänze verloren zu sein. […] Dabei droht noch Rumänien. Wird es noch lange unseren militärischen Zusammenbruch mitansehen?“474 Allzu lange ließ Rumänien die Mittelmächte nicht warten. Wie schon zuvor Italien, schloss auch Rumänien am 17. August 1916 mit den Alliierten ein Geheimabkommen, welches im Falle eines Sieges, Gebiete in Siebenbürgen und der Bukowina Rumänien zusprach.475 Die

469 Wegl, Kriegstagebuch, S. 187. 470 Werner, Kriegstagebuch, S. 19. 471 Wolfgang Höpken, Rumänien, in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn 2014, S. 804–807, hier S. 806. 472 Höpken, Rumänien, S. 806; Glenn E. Torrey, The Romanian Battlefront in World War I (Modern War Studies), Kansas 2011, S. 1. 473 Torrey, Battlefront, S. 9 f. 474 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 421. 475 Holger Herwig, The First World War. Germany and Austria-Hungary 1914–1918, London 1997, S. 217. 77

rumänische Kriegserklärung an Österreich-Ungarn erfolgte am 27. August 1916.476 Noch am gleichen Tag überschritten 369.000 rumänische Soldaten die Grenze nach Ungarn und nahmen Kronstadt in Siebenbürgen ein.477 Die Aussicht auf einen weiteren Kriegsgegner trübte auch die Stimmung der Soldaten an den anderen Fronten, wie Josef Wegl berichtete: „Also Rumänien hat uns den Krieg erklärt! Die Leute erzählen bei der Rückkehr von der Arbeit, dass die Katzler in ihren Schützengräben seit heute morgens [sic!] unausgesetzt: Evviva Romania brüllen. Es wird tatsächlich immer verwickelter. Unsere Zuversicht, der Krieg würde im Herbst enden, schwindet von Tag zu Tag.“478

Die rumänische Invasion kam zu diesem Zeitpunkt zwar überraschend, aber nicht unerwartet. Das k.u.k. Armeeoberkommando hatte bereits einige Vorkehrungen an den Grenzen getroffen. Es wurden zwei Divisionen von der russischen Front abgezogen und hauptsächlich mit Reservetruppen ein neuer Heeresverband zusammengestellt.479 Insgesamt jedoch besaß der Kommandant der 1. Armee General Arthur Arz von Straussenburg (1857–1935) lediglich etwas über 30.000 Soldaten um den rumänischen Vormarsch aufzuhalten.480 Dass ihm dies auch gelang, lag zum Teil an der in moderner Kriegsführung noch vergleichsweise unerfahrenen Armee Rumäniens, sowie deren mangelnden Ausrüstung an kriegsnotwendigem Material und Waffen.481 Der rumänische Erfolg in Siebenbürgen und den Karpaten war jedoch nur von kurzer Dauer. Die Mittelmächte reagierten ihrerseits mit einem Gegenangriff von Bulgarien im Süden des Landes mithilfe deutscher Truppen unter Führung von Generalfeldmarschall August von Mackensen (1849–1945).482 An der südlichen Grenze Rumäniens, die der Hauptstadt Bukarest gefährlich nahe war, kamen die rumänischen Truppen und ihre russischen Verbündeten bald in Bedrängnis, sodass ihr Vormarsch in Siebenbürgen gestoppt werden musste. Mit Unterstützung deutscher Truppen von der Westfront, darunter auch das deutsche Alpenkorps, unter dem Kommando des deutschen Generals Erich von Falkenhayn (1861–1922), musste sich die rumänische Armee aus den eroberten Gebieten wieder zurückziehen.483 Unterdessen marschierten die Verbündeten der Habsburgermonarchie im Süden auf die rumänische Hauptstadt vor, die Mackensen am 6. Dezember 1916 einnahm. Durch diesen Erfolg kamen in

476 Michael B. Barrett, Prelude to Blitzkrieg. The 1916 Austro-German Campaign in Romania (Twentieth- century battles), Bloomington 2013, S. 1. 477 Herwig, World War, S. 218. 478 Wegl, Kriegstagebuch, S. 187. 479 Barrett, Prelude, S. 3. 480 Herwig, World War, S. 218. 481 Torrey, Battlefront, S. 15–17. 482 Ebd., S. 61. 483 Ebd., S. 73 f., 91 f., 107. 78

Österreich-Ungarn unter dem neuen Kaiser Karl vermehrt Friedenshoffnungen auf.484 Dazu vermerkte etwa Mayr in seinem Tagebuch: „Bukarest, die Hauptstadt von Rumänien, ist gefallen. Von 12h–1h mittags läuteten aus diesem Anlass alle Glocken im ganzen Reich. Feststimmung herrschte überall und wird [sic!] haben einen großen Schritt näher dem Frieden gemacht.“485 Die Alliierten standen diesem Vormarsch und Sieg über ihren neuen Verbündeten zunächst machtlos gegenüber.486 Überlebende rumänische und russische Truppenteile zogen sich bis in das Grenzland zu Moldawien zurück und ließen Millionen Tonnen wertvolles Öl, Getreide und Rohstoffe als Kriegsbeute zurück, welche die Mittelmächte dringend benötigten.487 Denn Engpässe in fast allen Bereichen und Hunger herrschte 1916 in der Doppelmonarchie. Als Folge des deutschen militärischen Beistandes an der Ostfront wuchsen auch Einfluss und die Führungsrolle des Deutschen Reiches auf die österreichische Kriegsführung, welches weitere innenpolitische Probleme im Vielvölkerstaat nach sich zog.488 Die Hoffnung auf einen baldigen Frieden an der Ostfront zugunsten der Mittelmächte bekam durch die russischen Revolutionen im Jahre 1917 neuen Auftrieb. Obwohl die Hälfte Rumäniens besetzt war, konnte die rumänische Armee durch französische Unterstützung reorganisiert und aufgerüstet werden. Doch nach dem Ausscheiden Russlands aus dem Krieg im November des Jahres 1917 sah sich auch Rumänien nicht mehr in der Lage den Krieg länger fortzusetzen.489 Werner, der sich zu dieser Zeit mit seiner Einheit „bereits auf rumänischem Boden“490 befand, bemerkte wie der Krieg an dieser Front langsam zu Ende ging: „Es wird nicht viel geschossen. Man spricht von einem Waffenstillstand.“491 Dieser wurde Anfang Dezember beschlossen, wie Werner in seinem Tagebuch vermerkte: „Waffenstillstand mit Rumänien – Verbrüderung an der Front mit Rumänen und Russen.“492 Die Verhandlungen zu einem Separatfrieden zogen sich jedoch noch bis in das Frühjahr 1918 hinein. Mayr konnte auf dieses Ereignis nicht ohne Bedenken anmerken: „Ein merkwürdiges Misstrauen genießen all die jetzt umlaufenden Friedensgerüchte und auch ich kann mich diesem Misstrauen nicht verschließen. Ich fürchte sehr, dass ein verfrühtes Hoffen große Enttäuschung bringen wird.“493

484 Rauchensteiner, Weltkrieg, S. 694. 485 Mayr, Tagebücher, S. 305. 486 Herwig, World War, S. 221. 487 Herwig, World War, S. 222; Torrey, Battlefront, S. 151. 488 Manfried Rauchensteiner, Österreich im Ersten Weltkrieg 1914–1918, in: Österreich im 20. Jahrhundert, Bd. 1, hrsg. v. Rolf Steininger/Michael Gehler, Wien–Köln–Weimar 1997, S. 65–98, hier S. 73–75. 489 Höpken, Rumänien, S. 806. 490 Werner, Kriegstagebuch, S. 72. 491 Ebd., S. 73. 492 Ebd., S. 74. 493 Mayr, Tagebücher, S. 331. 79

Deutschland und Österreich-Ungarn drängten auf einen schnellen Abschluss der Friedensverhandlungen und übergaben Rumänien im März 1918 ein Ultimatum.494 Werner meinte dazu: „Im Ablehnungsfalle werden wir morgen angreifen. […] Die letzten Tage werden wir abwechselnd wegen Friedens oder Krieges alarmiert.“495 Die rumänische Regierung stimmte schließlich den harschen Friedensbedingungen, die ihnen auferlegt wurden, am 8. März 1918 zu.496 Als hingegen im Herbst des letzten Kriegsjahres abzusehen war, dass die Mittelmächte den Krieg verlieren würden, trat Rumänien erneut auf Seiten der Alliierten in den Krieg ein, ohne jedoch größere Kampfhandlungen zu bestreiten. In den Pariser Verträgen wurden Rumänien schlussendlich große Gebiete der ehemaligen Habsburgermonarchie zugesprochen, welche das ehemals relativ homogene Königreich Rumänien in einen Vielvölkerstaat mit all seinen innenpolitischen Problemen verwandelte.497 Der Krieg im Osten schien im Frühjahr 1918 zu Ende zu sein, nicht jedoch für Werner, der sich bereits fragte, wohin ihn der Krieg als nächstes bringen würde: „Wir werden hier wohl nicht mehr lange untätig sein und raten fleißig, an welche Front wir kommen werden.“498 Für Österreich-Ungarn lag der Hauptfokus nunmehr auf der Front im Süden der Monarchie, wo der Krieg gegen den „Erbfeind“ Italien ausgefochten wurde, an die schließlich auch Werner geschickt wurde.

5.2. Die Südfront – Der Krieg gegen Italien

5.2.1. Der italienische Kriegseintritt

Weitaus tiefer in der kollektiven österreichischen Soldatenerinnerung als der Feldzug in Rumänien verblieb die italienische Front. Bis auf Fritz Kreisler befanden sich alle Autoren der hier untersuchten Kriegstagebücher in unterschiedlichen Zeiträumen an Kriegsschauplätzen der Südfront, sei es an der Alpenfront, im Isonzogebiet oder im Karstgebirge. Der Krieg gegen Italien erlangte zudem eine tiefgreifend emotionalere Bedeutung für die Soldaten, als etwa der Krieg im Osten. Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit wandte sich nun vermehrt der Südfront zu, sodass die Ostfront fast aus dem Blickfeld der Berichterstattung verschwand.499 Der

494 Torrey, Battlefront, S. 283. 495 Werner, Kriegstagebuch, S. 81. 496 Barrett, Prelude, S. 291. 497 Höpken, Rumänien, S. 807. 498 Werner, Kriegstagebuch, S. 82. 499 Werner Suppanz, Die italienische Front im österreichischen kollektiven Gedächtnis, in: Krieg in den Alpen. Österreich-Ungarn und Italien im Ersten Weltkrieg (1914-1918), hrsg. v. Nicola Labanca/Oswald Überegger, Wien-Köln-Weimar 2015, S. 307–330, hier S. 317. 80

deutschsprachige Teil der Monarchie und somit die Heimat der Autoren befand sich nun unmittelbar näher an dem Frontgeschehen. Die Aussicht, für die Verteidigung der Heimat gegen Italien in den Krieg zu ziehen, gab der Kriegsbegeisterung und -bereitschaft, besonders in Tirol, neuen Aufschwung.500 Tiroler Soldaten, die an der Ostfront stationiert waren, hegten bereits den Wunsch an die neue Front versetzt zu werden, wie etwa Mayr, der Ende Mai 1915 in sein Tagebuch schrieb: „Wäre es mir doch gegönnt, nach meinen geliebten Heimatbergen zu ziehen und dort kämpfend zu siegen oder zu fallen, anstatt auf fremder Erde einem noch so unbestimmten Los entgegenzugehen.“501 Da die neue Front im Süden der Monarchie in vielen Tagebüchern und für den Kriegsalltag der Autoren weitreichende Folgen hatte, lohnt es sich, in diesem Abschnitt einen genaueren Blick auf die innen- und außenpolitischen Vorgänge Italiens zu werfen, die schlussendlich im Intervento des ehemaligen Verbündeten endete. Nach seiner Staatsgründung befand sich Italien in einer außenpolitischen Isolation. Außer dem Deutschen Reich war kein größeres europäisches Land an einer vertraglichen Verbindung mit Italien interessiert. Der Weg zu einem Bündnis konnte jedoch nicht ohne eine Annäherung an den Rivalen Österreich-Ungarn führen.502 Im Frühjahr 1882 wurde der Dreibundvertrag von Otto von Bismarck (1815–1898) und Francesco Crispi (1818–1901) unterzeichnet, ein Defensivbündnis das vor allem gegen Frankreich gerichtet war.503 Der Vertrag, obwohl geheim gehalten, wurde nur ein Jahr danach publik und erntete in Italien, besonders in anti- habsburgischen und irredentistischen Kreisen, viel Kritik. Crispi verteidigte das Bündnis damit, dass es Italien aus seiner Isolation gerettet habe und dies lediglich ein Zweckbündnis defensiver Natur für die Wahrung italienischer Interessen, also eine Art „Vernunftehe“ war.504 Auch wenn das Verhältnis zwischen dem Habsburgerreich und Italien bis zum Ausbruch des Krieges niemals wirklich als freundschaftlich definiert werden konnte, wurde der Dreibundvertrag doch immer wieder erneuert. 1887 wurde der Zusatzartikel 7 dem Bündnis hinzugefügt, der festlegte, dass ohne vorherige Konsultation und Vereinbarung, weder Italien noch Österreich territoriale Erweiterungen auf dem Balkangebiet erwerben konnten. Derjenige,

500 Rauchensteiner, Weltkrieg, S. 399 f. 501 Mayr, Tagebücher, S. 156. 502 Angelo Ara, Italien und Österreich (1861-1918). Eine Erbfeindschaft und eine Vernunftehe, in: Italia- Österreich. Sprache, Literatur, Kultur, hrsg v. Luigi Reitani/Karlheinz Rossbacher/Ulrike Tanzer, Udine 2006, S. 23–34, hier S. 25. 503 Gian Enrico Rusconi, Das Hasardspiel des Jahres 1915. Warum sich Italien für den Eintritt in den Ersten Weltkrieg entschied, in: Der Kriegseintritt Italiens im Mai 1915, hrsg. v. Johannes Hürter/Gian Enrico Rusconi (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Sondernummer), München 2007, S. 13–52, hier S. 20. 504 Ara, Italien, S. 27 f. 81

der sich neue Gebiete aneignete, musste den benachteiligten Partner mit entsprechenden Territorien entschädigen.505 Die Julikrise und der Kriegsausbruch trafen die italienische Regierung, seit März 1914 von Antonio Salandra (1853–1931) geführt, völlig unvorbereitet. Bei den Vorbereitungen zur Übergabe des österreichischen Ultimatums und weiteren Vorgehens gegen Serbien wurde Italien absichtlich von seinen Verbündeten, trotz Konsultationspflicht, im Dunkeln gelassen.506 Der italienische Außenminister Antonino di San Giuliano (1852–1914) fürchtete im Glauben an einen begrenzten Balkankrieg, Österreich-Ungarn würde bei einem Sieg über Serbien das bestehende Gleichgewicht der Mächte verändern und erinnerte an den Zusatzartikel 7 des Dreibundvertrags, wonach Italien, sollte die Habsburgermonarchie Teile Serbiens annektieren, Kompensationen zustanden. Als sich jedoch abzeichnete, dass der Konflikt nach den Kriegserklärungen der Entente an die Mittelmächte kein lokaler Krieg bleiben würde, sah es San Giuliano als seine erste Pflicht an, Italien aus diesem Krieg herauszuhalten und erklärte am 3. August Italiens Neutralität.507 Diese Entscheidung verteidigte San Giuliano damit, dass Italien von der Bündnispflicht, dem casus foederis, befreit sei, da nicht Österreich-Ungarn, sondern Serbien angegriffen wurde. Dank den diplomatischen Fähigkeiten San Giulianos wurde die italienische Neutralität international akzeptiert und für einigermaßen glaubhaft gehalten.508 San Giuliano konnte sich außerdem auf einen großen Rückhalt in der Bevölkerung und dem italienischen Parlament stützen. Die Mehrheit der Italiener war gegen einen Kriegseintritt Italiens. Quer durch alle Parteien und Gesellschaftsschichten war man sich einig wie selten zuvor.509 Lediglich eine kleine Minderheit von Nationalisten forderte den Kriegseintritt, allerdings noch auf Seiten der Mittelmächte.510 Während der Mobilisierungsphase der österreichisch-ungarischen Armee gab es sogar laut Schneider Gerüchte, „daß das mit uns verbündete Italien durch Südtirol und über den Brenner Truppen senden werde, die dem Dreibundvertrage gemäß auf unserer Seite gegen die Russen zu kämpfen hätten“.511 Zwischen italienischen Arbeitern, aus Deutschland kommend und österreichischen Soldaten herrschten auf den Bahnhöfen noch keinerlei Feindseligkeiten, im Gegenteil: „Die Tiroler brüllten 'Hoch

505 William A. Renzi, In the Shadow of the Sword. Italy’s Neutrality and Entrance Into the Great War, 1914- 1915 (American University Studies 9), New York u.a. 1987, S. 5 f. 506 Rauchensteiner, Weltkrieg, S. 371; Rusconi, Hasardspiel, S. 28. 507 Rusconi, Hasardspiel, S. 29. 508 Ebd., S. 29 f. 509 Holger Afflerbach, Vom Bündnispartner zum Kriegsgegner. Ursachen und Folgen des italienischen Kriegseintritts im Mai 1915, in: Der Kriegseintritt Italiens im Mai 1915, hrsg. v. Johannes Hürter/Gian Enrico Rusconi (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Sondernummer), München 2007, S. 53–69, hier S. 63 f; Antonio Gibelli, La Grande Guerra degli Italiani. 1915–1918, Milano 2007, S. 22. 510 Rusconi, Hasardspiel, S. 32. 511 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 22 f. 82

Italien!' Und die Italiener 'Evviva Austria!'.“512 Einen anderen Eindruck erhielt hingegen Pölzleitner, der zu Kriegsbeginn den Bahndienst in Bad Gastein versah und ebenso Züge voller heimkehrender Italiener beobachtete: „In Badgastein war längerer Aufenthalt, doch kein Zuruf ertönte, weder von der einen, noch der andern Seite. Dies machte mir viel zu denken.“513 Bis in den Herbst 1914 hinein, als die militärische Situation für die Mittelmächte noch günstig aussah, blieb die italienische Regierung bei ihrer Haltung einer wohlwollenden Neutralität gegenüber den Verbündeten.514 Nach dem Tod San Giulianos im Oktober 1914 übernahm Sidney Sonnino (1847–1922) das Amt des Außenministeriums, womit um die Jahreswende 1914/15 eine neue Phase der italienischen Neutralität eingeleitet wurde. An der Front sorgten zu diesem Zeitpunkt Gerüchte über einen Wechsel Italiens in das Kriegslager der Alliierten für Besorgnis, wie Schneider berichtete: „Der Krieg mit Italien schien wieder in den Bereich der Möglichkeit gerückt. Die Nachricht von der Kriegserklärung Italiens fand allgemeinen Glauben. Die offiziellen Dementis folgten erst später.“515 Die Regierung Salandra/Sonnino setzte sich nun das Ziel, Italien zu einer europäischen Großmacht zu machen. Dafür war der Ausspruch Salandras des „sacro egoismo“ eines Staates, in der Neuausrichtung der politischen Ziele prägend.516 Von der k.u.k. Monarchie wurden Gebietskompensationen, vor allem das Trentino und Triest, für eine Beibehaltung der Neutralität gefordert. Für eine sofortige Abtretung dieser Gebiete war Österreich-Ungarn hingegen nicht bereit, obwohl das Deutsche Reich die italienischen Forderungen, auch aus Eigeninteresse, unterstützte.517 In Italien selbst spaltete sich bald die öffentliche Meinung. Die Kriegsbefürworter, die Interventionisten, waren im Vergleich zu den Neutralisten zwar in der Minderheit, verfügten aber über weitreichendere Presseorgane und Propagandamittel. Auch die Idee des Irredentismus mit den symbolischen Worten „Trento e Trieste“ wurde in der Öffentlichkeit wieder populär.518 Des Weiteren begann sich in der Bevölkerung eine anti-österreichische Stimmung zu verbreiten, welche die Regierung nicht ignorieren konnte.519 Sowohl das österreichische Armeeoberkommando, als auch die deutsche Militärführung sahen den möglichen Kriegseintritt Italiens auf Seiten der Entente und damit die Eröffnung einer neuen Kriegsfront als eine militärische Katastrophe an.520 Trotzdem zogen sich die Verhandlungen über österreichische Gebietsabtretungen an

512 Ebd., S. 23. 513 Pölzleitner, Berge, S. 8. 514 Afflerbach, Bündnispartner, S. 60. 515 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 182. 516 Rusconi, Hasardspiel, S. 31. 517 Afflerbach, Bündnispartner, S. 60. 518 Rusconi, Hasardspiel, S. 32. 519 Rauchensteiner, Weltkrieg, S. 375. 520 Rauchensteiner, Weltkrieg, S. 381; Afflerbach, Bündnispartner, S. 60. 83

Italien schleppend dahin. Daraufhin nahm Italien im Frühjahr 1915 Gespräche mit der Entente auf, die im Londoner Vertrag vom 26. April 1915 mündeten. Erwartungsgemäß konnten die Alliierten auf Kosten der Habsburgermonarchie Italien weitaus mehr bieten.521 Im Gegenzug für das Trentino, Südtirol, Triest, Gebiete in Albanien und Dalmatien, sowie die Dodekanesischen Inseln,522 verpflichtete sich Italien innerhalb eines Monats nach Vertragsabschluss Österreich-Ungarn den Krieg zu erklären. In den folgenden Wochen verhandelte Italien allerdings weiterhin mit der Habsburgermonarchie, während sich beide Seiten bereits auf den Krieg vorbereiteten.523 Mayr verfolgte an der Ostfront diese Entwicklungen: „Abends kam die Nachricht von einem voraussichtlichen Krieg mit Italien. Das Telegramm wurde mit Freude aufgenommen.“524 Nur einen Tag später, am 20. Mai, notierte Mayr: „Wie man heute hörte, soll Italien vorläufig mit dem Zugeständnisse einiger Ländereien zufrieden gestellt werden und ist verpflichtet, uns hierfür Militär zur Verfügung zu stellen.“ Von diesem Vorschlag hielt Mayr allerdings wenig: „Besser wären dem Gauner Schläge.“525 Schneider andererseits blickte zu diesem Zeitpunkt sorgenvoll auf die „Zeitungsnachrichten über die zweifelhafte Haltung Italiens“.526 Am 3. Mai 1915 kündigte Italien den Dreibund auf. Das italienische Parlament wurde über diese Schritte und das Abkommen mit der Entente jedoch erst im Nachhinein informiert und damit von Salandra und Sonnino vor vollendete Tatsachen gestellt. Es folgte eine innenpolitische Krise. Salandra trat von seinem Amt zurück, jedoch war sein politischer Gegenspieler Giovanni Giolitti (1842–1928) nicht bereit, in dieser Situation die Führung und Verantwortung für das Land zu übernehmen. Sogar König Vittorio Emanuele III. drohte mit seiner Abdankung, sollte der Vertrag von London nicht erfüllt werden.527 Auf den Straßen herrschten indessen bürgerkriegsähnliche Zustände, angeführt von den Interventionisten und einem ihrer bedeutendsten Sprachrohre Gabriele D`Annunzio (1863–1938), die offen zur Gewalt gegen die Neutralisten und ihren Vertreter Giolitti aufriefen.528 In dieser Staatskrise lehnte der König Salandras Rücktrittsgesuch ab und beauftragte ihn mit der Bildung einer neuen Regierung, welche ihm die Vollmachten für einen Kriegseintritt übertrug. Am 23. Mai 1915 schlussendlich erklärte Italien Österreich-Ungarn den Krieg.529

521 Afflerbach, Bündnispartner, S. 61. 522 Berghahn, Weltkrieg, S. 56. 523 Rauchensteiner, Weltkrieg, S. 385. 524 Mayr, Tagebücher, S. 155. 525 Ebd. 526 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 283. 527 Afflerbach, Bündnispartner, S. 66. 528 Afflerbach, Bündnispartner, S. 64; Rauchensteiner, Weltkrieg, S. 391. 529 Rauchensteiner, Weltkrieg, S. 394. 84

Schneider erreichte die Nachricht von der italienischen Kriegserklärung an der Ostfront: „Früher als durch das offizielle Telefon drang die Kunde durch den Feind herüber, der es uns durch Zurufe verkündete.“530 Auch konnte Schneider die Auswirkungen der Kriegserklärung auf die eigenen Soldaten beobachten: „Alle Alpenländler wurden von dem neuen Kriegsschauplatz angezogen.“ Bei ihm selbst wurde der Wunsch wach „nach dem Süden zu kommen“.531 In Erinnerung an eine frühere Italienreise und wohl mit einer hoffnungsvollen Aussicht auf die kommenden Schlachten blickte Schneider auch auf die konfliktreiche Geschichte zwischen den beiden Ländern zurück: „Vom Wagen aus sah ich die Schlachtfelder, auf denen österreichische Truppen geblutet und unvergängliche Siege errungen hatten.“532 In dem Kaisermanifest vom 23. Mai 1915 ist mit dem „Treuebruch, dessen die Geschichte nicht kennt“533 der „Verräter“ Italien für lange Zeit im Kollektivbewusstsein deutscher und österreichischer Soldaten verankert worden. In den Kriegserinnerungen von Pölzleitner ist diese Sichtweise unmissverständlich vertreten: „Der 23. Mai 1915 brachte endlich die große Entspannung, die Kriegserklärung des welschen Bundesgenossen. Mit großem Jubel und siegessicherer Begeisterung empfingen wir diese Nachricht. Die natürliche Freude aller Truppenkörper kennzeichnete so recht dieses verräterische Vorgehen und erzeugte den unwiderstehlichen Drang, für diesen Verrat Rache zu nehmen.“534

Diese Haltung zum ehemaligen Verbündeten wurde von vielen Soldaten geteilt. So war Mayr sicher nicht allein in seinen Gedanken, wenn er von einem „Rachezug“ und einem „Strafgericht am Verrat Italiens“ sprach.535

5.2.2. Die Alpenfront und der Mythos Gebirgskrieg

Der Schwerpunkt der österreichisch-ungarischen Kriegsführung an der Südfront konzentrierte sich auf das Isonzogebiet. Die Alpenfront war damit nur ein Nebenschauplatz des Krieges, obwohl sie in vielen Kriegserinnerungen der Soldaten im Vordergrund standen.536 Geographisch zog sich die Front in den Alpen vom Stilfserjoch im Westen über Südtirol und das Trentino durch die Dolomiten bis in das Isonzotal nach Osten, wo sie in die Isonzofront

530 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 315. 531 Ebd., S. 316. 532 Ebd. 533 Zitiert nach: Rauchensteiner, Weltkrieg, S. 395. 534 Pölzleitner, Landsturm, S. 14. 535 Mayr, Tagebücher, S. 328. 536 Erwin A. Schmidl, Kriegführung. Die österreichisch-ungarische „Südwestfront“, in: Katastrophenjahre. Der Erste Weltkrieg und Tirol, hrsg. v. Hermann J. W. Kuprian/Oswald Überegger, Innsbruck 2014, S. 347–366, hier S. 347. 85

überging. Aus strategischen Gründen wurde die Frontlinie an einigen schwer zu verteidigenden Stellen von den österreichisch-ungarischen Truppen noch vor Beginn der Kampfhandlungen zurückverlegt.537 Die Südfront war im Frühjahr 1915 äußerst schwach besetzt, lediglich Tiroler Landwehr- und Landsturmverbände standen zur Verteidigung zur Verfügung. Erst im August konnten mehrere Verbände von der Ostfront als Verstärkung abgezogen werden, trotzdem waren die k.u.k. Truppen mit 225.000 Mann und 640 Geschützen gegenüber 460.000 italienischen Soldaten und 1.900 Geschützen quantitativ weit unterlegen.538 Die Schwierigkeiten der Kriegsführung im Gebirge waren eine weitere Herausforderung für die Armeen. Dazu kamen die Strapazen in diesem teils unzugänglichen Gebiet, den Witterungen ausgesetzt, zu leben und zu kämpfen. Transportwege und Materialseilbahnen mussten erst mühsam geschaffen werden. In Fels und Eis wurden Kavernen und Stellungen gebohrt und gegraben. Ein wesentlicher Anteil des Alltagslebens der Soldaten bestand in Ausbau- und Verbesserungsarbeiten dieser Stellungen.539 Wegl, der als Rechnungsoffizier einer Arbeiterabteilung zugeteilt wurde, schilderte seinen ersten Einsatz mit seiner Kompanie, eine neue Verteidigungsstellung zu errichten: „Rasch werden Gruben ausgehoben, Eisenpfähle eingeschlagen, Stacheldrähte gezogen. Dahinter werden Schützengräben angelegt. Wir haben 300 m vor uns die letzte Verteidigungslinie, die vom Feinde wütend beschossen wird. Unsere Aufgabe ist, eine zweite Linie zu schaffen, falls die erste fallen sollte.“540

Nicht nur die kämpfenden Soldaten, sondern auch die Mannschaften, welche ihre Schützengräben bauten, waren vom feindlichen Beschuss betroffen: „Hier im Walde wird es immer ungemütlicher. Zahlreiche Geschosse krepieren in nächster Nähe von uns. Wir suchen Deckung hinter den mächtigen Baumstämmen. Granatsplitter von mehreren kg Gewicht fliegen surrend umher.“541 Das Leben und Kämpfen im Hochgebirge war für die Soldaten besonders belastend, denn sogar im Sommer konnten dort Schnee und Regen tage- und nächtelang fallen und die Leistungsfähigkeit der Soldaten vermindern. Das erlebte auch Pölzleitner, der 1915 im Sommer drei Wochen am Lagazuoi ausharren musste: „Im Schneesturm und Regen, in großer Kälte ungeschützt liegend, fortwährend, Tag und Nacht, vom Gegner aus nächster Distanz beschossen, haben wir Unbeschreibliches

537 Schmidl, Kriegführung, S. 357. 538 Schmidl, Kriegführung, S. 349; Etschmann, Südfront, S. 27–30. 539 Brandauer, Kriegserfahrungen, S. 390. 540 Wegl, Kriegstagebuch, S. 25. 541 Ebd. 86

geduldet. Unsere Verluste waren groß. 8 Mann fielen, 20 wurden verwundet und 16 mußten wegen Erfrierungen abgegeben werden.“542

Die unzureichenden Unterkünfte und Ausrüstung zwangen ihn und seine Truppe sogar nachts im Freien zu übernachten, das wiederum Verluste bedeutete: „Viele Leute erkrankten daher an Durchfall, Rheumatismus und Erfrierungserscheinungen und mußten ins Tal abgeschoben werden.“543 Vor allem die nächtliche Kälte im alpinen Raum machte Pölzleitner zu schaffen: „Die Kälte wurde immer lästiger. […] Als ich nach einer Stunde wachgeworden, klebte mein Schnurrbart an dem steifgewordenen Zeltblatt. Hände und Füße waren gefühllos geworden. Verdammt! Sind sie gefroren? Ich schlug mit den Armen, rannte auf und ab – und der Blutkreislauf kam wieder in Ordnung.“544

Wenn schon der Sommer solche Temperaturen bereithielt, waren die winterlichen Bedingungen noch um einiges härter, wie Gallian, der Anfang Dezember 1917 beim Monte Asolone kämpfte, berichtete: „Es ist bitterkalt. Ich bin mächtig verkühlt und habe Fieber, hocke frierend in meinem Mantel gewickelt, und esse – Aspirin.“545 In dieser unwirtlichen Gegend im schneereichen Gebirge zu kämpfen, kostete ihn alle Kräfte: „Nun folgten harte Stunden; der eisige Wind geht bald durch Mark und Bein, Frost und Kälte machen uns das Dasein zu einer wahren Hölle. […] Unmittelbar vor Tagesanbruch wird die Kälte schier unerträglich. Die Gliedmaßen halb erfroren, mit entzundenen [sic!] Augen halten wir uns nur mühsam noch wach. Und in dieser Verfassung sollen wir angreifen…“546

Die extremen Wetterbedingungen im Gebirgskrieg verlangten eine ausreichende Winterausrüstung für die Mannschaften, die jedoch aufgrund des mangelhaften Nachschubes nicht immer vollständig gewährleistet werden konnte. Schwere Erfrierungen konnten daher nicht vermieden werden.547 „Der ständige Sturm“, erinnerte sich Pölzleitner, „und die große Kälte setzten uns arg zu. Ich ließ daher die Posten halbstündig ablösen, trotzdem ließen sich Erfrierungen ernsteren Grades nicht vermeiden.“548 Zu den großen Strapazen, welche die Soldaten in diesen klimatischen Bedingungen zu leiden hatten, kamen noch die winterlichen Naturgefahren, wie Lawinenabgänge, hinzu. Einen frühen Wintereinbruch in den Bergen erlebte Pölzleitner im September 1915 und die dazugehörenden Risiken: „Zugleich nahm die Lawinengefahr bedrohlichen Umfang an. Der Nachschub

542 Pölzleitner, Landsturm, S. 37. 543 Pölzleitner, Berge, S. 55 f. 544 Ebd., S. 54. 545 Gallian, Monte Asolone, S. 9. 546 Ebd., S. 10 f. 547 Brandauer, Kriegserfahrungen, S. 388. 548 Pölzleitner, Berge, S. 87. 87

versagte. Eine einzige Lawine hatte gleich fünfzig Russen samt Begleitmannschaft verschüttet. Man mußte sie aber ihrem Schicksal überlassen und auf jedwede Rettungsarbeit verzichten, da alle Hänge ringsum in Bewegung waren.“549 Gefährdet waren aber nicht nur Transportmannschaften, sondern auch die Winterstellungen der Soldaten, wie Pölzleitner eindrucksvoll schilderte: „Unerhörtes Brausen erfüllte plötzlich die Luft! Der rießige Hang uns gegenüber war in Bewegung gekommen. Unermeßliche Schneemassen drangen in den Wald ein, legten mächtige Bäume wie Grashalme um und stürzten sich mit wütendem Gebrüll auf die Baracken. Krachend und splitternd sanken sie gleich Kartenhäusern in sich zusammen. Und darüber hinweg wälzte sich das weiße Grauen.“550

Die Kriegswinter hindurch erlebte Pölzleitner regelmäßig Lawinenabgänge mit, wurde sogar selbst in der Nacht verschüttet: „Da riß mich plötzlich ein metallisch dumpfer Klang aus dem Schlafe, Die Lawine war da! Schon rumpelte sie mit unheimlicher Wucht und Schnelligkeit über unser Dach. Ein Ächzen und Stöhnen der Balken. Dann Ruhe. Kein Laut drang aus der Außenwelt zu uns.“551 Pölzleitner und seine Kameraden konnten sich glücklicherweise selbst befreien. „Eine Stunde ungefähr“, so der Autor, „hatte das ganze Abenteuer gedauert. Es hätte auch anders enden können.“552 Und das tat es auch, wie etwa Wegl in seinem Tagebuch vermerkte: „Auf der Straße nach Menegoli (Friccastraße), die ich auch schon einmal gefahren bin, ist unlängst eine Lawine niedergegangen, die 4 Soldaten und 6 Pferden das Leben kostete.“553 Opfer durch Lawinenabgänge gab es auf beiden Seiten zu beklagen. Am 13. Dezember 1916 kam es zu einem der schwersten Lawinenunfälle, als 321 Soldaten der k.u.k. Armee verschüttet wurden; nur 51 konnten lebend geborgen werden.554 Ob die Verluste der Truppen durch Naturkatastrophen gleich hoch oder sogar höher waren, als durch die Kampfhandlungen, bleibt fraglich, jedenfalls waren sie hoch genug, besonders auch unter den Trägermannschaften, die zumeist aus kriegsgefangenen Russen bestanden.555 Die Nachschublinien waren daher im Winter öfters unterbrochen und die Truppen im Gebirge von ihrer Verpflegung abgeschnitten, das sich folglich auf die physische und psychische Verfassung der kämpfenden Truppen auswirkte.556 So berichtete Pölzleitner, der keinen Nachschub erhielt nachdem Stürme und Schnee eine Materialseilbahn unbrauchbar gemacht hatten: „Unsere

549 Ebd., S. 88. 550 Ebd., S. 110. 551 Ebd., S. 183. 552 Ebd., S. 184. 553 Wegl, Kriegstagebuch, S. 105. 554 Etschmann, Südfront, S. 37. 555 Schmidl, Kriegführung, S. 358. 556 Brandauer, Kriegserfahrungen, S. 392. 88

Nachschubquelle war somit versiegt. Mehrere Tage kamen weder Fleisch noch Brot, keine Post und auch kein Heizmaterial.“557 Ebenso erinnerte sich Gallian an die unregelmäßige Verpflegung im Gebirge: „Fast jeden zweiten oder dritten Tag, bei größerer italienischer Feuertätigkeit fast ständig bleibt die abendliche Menage aus, da die Drahtseilbahn auf Bonato dann kaputtgeschossen ist.“558 Lawinentote hatten auch die Italiener zu beklagen, besonders bei den Kämpfen um den Col di Lana, der bei ihnen „Col di Sangue“, Blutberg genannt wurde. Hier erlebte der Gebirgskrieg eine weitaus schrecklichere Dimension als der Gipfel des Berges gezielt gesprengt wurde. Im Januar 1916 begannen die Italiener einen Stollen unter dem Stützpunkt der Österreicher zu bauen.559 Trotz Versuche die Arbeiten möglichst geräuschlos durchzuführen und Sprengungen durch Artillerieangriffe zu verschleiern, bemerkten die Österreicher das italienische Vorhaben und begannen mit dem Bau eines Gegenstollens. Ein nervenzerreibender Wettlauf um die Fertigstellung begann auf beiden Seiten. Am 5. April wurde die Gegenmine gesprengt, welche den italienischen Stollen allerdings kaum beschädigte.560 Am 12. April war der italienische Stollen unter dem Gipfel fertiggestellt. Die Zündung erfolgte in der Nacht vom 17. zum 18. April 1916. Es war dies die erste große Minensprengung im Gebirgskrieg und forderte mehr als hunderte Tote des Tiroler Kaiserjägerregiments Nr. 2.561 Pölzleitner, der zu dieser Zeit in Innichen stationiert war, hörte von dieser Sprengung: „Da flüstert es von Mund zu Mund: 'Der Col-di-Lana-Gipfel wurde von den Italienern gesprengt, unsere Besatzung getötet oder gefangen!' Die Nachricht erfaßt Militär und Zivil, versetzt alles in Bestürzung und Schrecken.“562 Zur Unterstützung und Verteidigung der verbliebenen Stellungen wurden er und sein Bataillon auf den Monte Sief, der durch einen Grat mit dem Col di Lana verbunden ist, versetzt und von dort berichtete Pölzleitner von seinen ersten Eindrücken, als er diesen hart umkämpften Berg sah: „Wie ein Krater dampfte der Gipfel im Rauche der krepierenden Geschosse; schwarz und dräuend hob sich die blankgefegte Spitze aus dem blendendweißen Schnee der Umgebung. Und in diese Hölle mußten wir hinein!“563 Das jahrelange Ringen um den Col di Lana und den Monte Sief erlebte Pölzleitner auch mit. Keiner Seite gelang ein entscheidender Durchbruch und so wurde der Minenkrieg auch auf dem Sief weitergeführt. Von österreichischer Seite wurde seit Jahresbeginn 1917 an einem Stollen

557 Pölzleitner, Berge, S. 184. 558 Gallian, Monte Asolone, S. 95. 559 Robert Striffler, Der Minenkrieg in Ladinien. Col di Lana 1915–1916, (Schriftenreihe zur Zeitgeschichte Tirols 10), Nürnberg 1996, S. 161. 560 Ebd., S. 172. 561 Rauchensteiner, Weltkrieg, S. 530 f. 562 Pölzleitner, Berge, S. 119. 563 Pölzleitner, Landsturm, S. 91. 89

gearbeitet, um „dem italienischen Beispiel vom Col di Lana“ zu folgen, wie Pölzleitner berichtete: „Die Österreicher planten, in den Grat eine tiefe Kluft zu sprengen, die es den Italienern unmöglich machen sollte, zur Siefspitze vorzudringen. Anfangs war still und vorsichtig gearbeitet worden. Die Italiener hatten jedoch den Bohrlärm abgehorcht und einen Gegenstollen angeschlagen, um unsern Stollen abzuknicken und wirkungslos zu machen. Jede Verschleierung war dadurch überflüssig geworden und rücksichtslos wurde nun von beiden Seiten gebohrt.“564

Am 6. März 1917 wurde eine italienische Mine gesprengt, verursachte aber weit weniger Schaden, als jene vom Vorjahr auf dem Col di Lana.565 Pölzleitner, der zu dieser Zeit gerade auf Heimaturlaub war, begutachtete nach seiner Rückkehr die Auswirkungen der Mine: „Die italienische Sprengung hatte im Grate ein tiefes Loch gerissen, unsern Stollen jedoch nicht beschädigt.“566 Folglich wurden die Arbeiten an weiteren Minen auf beiden Seiten weitergeführt. Am 27. September 1917 wurde eine weitere italienische Mine zur Zündung gebracht, wieder nicht mit dem erhofften Erfolg.567 Diesmal war auch Pölzleitner anwesend und berichtete von der Sprengung: „Plötzlich ertönte eine furchtbare Detonation. Dann wieder das Dröhnen der Geschütze. Auf einmal vollständige Stille. – Die Italiener hatten zum zweitenmal versucht, durch eine Sprengung den österreichischen Gratstollen zu vernichten. Es war wieder nicht geglückt, unser Stollen blieb unversehrt […]“568

Als nächstes sprengten die Österreicher am 21. Oktober 1917 ihre Mine am Sief. Diese war mit 45 Tonnen Sprengstoff die zweitgrößte österreichische Mine in den Dolomiten.569 Den gewaltigen Eindruck dieser Sprengung hielt diesmal wiederum Pölzleitner fest: „Am Morgen des 21. Oktober 1917 weckte mich ein elementares Schütteln der Erde, ein furchtbares Beben. – Es war die österreichische Sprengung des Siefgrates! Ungeheure Mengen von Sprengmaterial mußten verwendet worden sein. Man sprach von 44.000 Kilogramm. Viele kopfgroße Gesteinstrümmer wurden in meinem Kompagnierayon geschleudert und etliche Unterstände eingeschlagen. Ober dem Sief stand eine berghohe Rauchwolke, stand stundenlang fest, sich langsam lichtend und ausbreitend.“570

564 Pölzleitner, Berge, S. 187. 565 Robert Striffler, Der Minenkrieg in Ladinien. Monte Sief 1916–1917, (Schriftenreihe zur Zeitgeschichte Tirols 11), Nürnberg 1999, S. 280. 566 Pölzleitner, Berge, S. 188. 567 Striffler, Monte Sief, S. 352. 568 Pölzleitner, Berge, S. 204. 569 Striffler, Monte Sief, S. 366. 570 Pölzleitner, Berge, S. 207 f. 90

Den Erfolg der Sprengung wertete Pölzleitner teils unterschiedlich. In seinem ersten Buch schrieb er zu dieser Aktion folgendes: „44.000 kg Sprengmunition waren geopfert worden, doch das erwartete Resultat blieb aus.“ Zwar war das alte Sprengloch vertieft worden, doch saß der Gegner noch in seinen alten Stellungen fest und „noch immer konnte die Spalte ohne große Schwierigkeiten durchklettert werden“.571 Fünf Jahre später schrieb Pölzleitner hingegen: „In mächtigen Plattenschüssen senkten sich die neuen steilen Wände und bildeten ein schwer zu nehmendes, ernstes Hindernis.“572 Der italienische Gegenstollen hingegen konnte nicht zum Einsturz gebracht werden, da er sich außer Reichweite befand. Zwar gab es Verluste bei der italienischen Infanterie und deren Stellungen, doch auch die eigenen Truppen wurden von der Explosion getroffen und hatten Tote und Verwundete zu beklagen.573 Das folgende Trommelfeuer der italienischen Artillerie fügte weitere Zerstörungen auf der österreichischen Seite zu und verhinderte einen Durchbruch der Infanterie, sodass der Zweck und Erfolg dieser Sprengung fraglich blieb.574 Die wetterbedingten Naturgefahren und das feindliche Feuer ließ das Leben der Soldaten im Hochgebirge manchmal trostlos und unerträglich erscheinen. Trotzdem übte diese Umgebung auch eine besondere Faszination und Reiz für einige Soldaten aus. So unternahmen Wegl, Mayr und Pölzleitner in den wenigen Stunden, in denen sie im Krieg „Freizeit“ hatten Wanderungen und Bergtouren in den Alpen. Wegl schätzte besonders „die wundervolle Bergwelt“575, die sich ihm tagtäglich bot: „Ein Kranz von schneebedeckten Alpengipfeln umsäumt den Horizont. Ich kann mich an dem herrlichen Ausblick nicht sattsehen!“576 Trotz der anstrengenden Wanderungen, die Wegl unternehmen musste, wurde er für seine Mühen mit der ihn umgebenden Landschaft belohnt: „Über herrliche Almen voll der zartesten Alpenblumen geht es zwischen Felswänden u.[nd] Steintrümmern hinauf. Ist mehr als 1 ½ h weit, mehrmals müssen wir rasten. Immer schöner wird die Aussicht und als wir schweißtriefend den Rücken erstiegen haben, sind wir entzückt von der großartigen Gebirgswelt, die sich um uns ausbreitet. Die mächtigen Gipfel der Dolomiten grenzen gegen Osten, die Ortler-Adamellogruppe im Westen das grandiose Gebirgspanorama ab. Nie im Leben habe ich eine solche Fernsicht genossen.“577

571 Pölzleitner, Landsturm, S. 151. 572 Pölzleitner, Berge, S. 208. 573 Striffler, Monte Sief, S. 371. 574 Ebd., S. 378. 575 Wegl, Kriegstagebuch, S. 79. 576 Ebd., S. 155. 577 Ebd., S. 160 f. 91

Mayr, der sich fast nur bei einsamen Streifzügen „in Gottes freier Natur“578 während des Krieges wohl fühlte, war „von der ganzen mich umgebenden herrlichen Pracht der schönen heimatlichen Bergwelt“579 begeistert. Von einem ganztägigen Übungsmarsch im Sextental schrieb er: „Wieder eine herrliche, eindrucksreiche Tour in einem mir fast unbekannten Gebiete.“580 Auch Pölzleitner, der 1915 in die südlichen Alpen versetzt wurde, konnte sich der Schönheit der Berge nicht entziehen: „Der großartige Rundblick! Unzählige Zacken und Türme vor mir, wunderbar bestrahlt. Und alles überragend die Marmolata. Ein weißschimmernder Mantel umhüllte ihre königliche Gestalt. Immer wieder streiften unsre Blicke drüber hin. Damals bin ich auf Lebensdauer dem Dolomitenzauber verfallen.“581 Ungeachtet der Schönheit der Umgebung wurde hier jeder Gipfel hart umkämpft. Zu Beginn wurde der Krieg im Gebirge teilweise noch zu einem „sportlichem Wettkampf“ verharmlost, in welchem alpinistische Höchstleistungen der eigenen Bergführer ausschlaggebend waren.582 In diesem „Krieg der Bergführer“ ging es darum, in gefährlichen und gewagten Operationen den Gegner aus seinen Stellungen zu vertreiben, das zahlreiche Opfer verlangte.583 Auf diesem Kriegsschauplatz benötigte die Kriegspropaganda neue Helden und einer davon war der bekannte Sextner Gastwirt und Bergführer Sepp Innerkofler (1865–1915). Innerkofler wurde zu Kriegsbeginn mit Italien, bereits fünfzigjährig, einer Bergführerpatrouille zugeteilt und bei dem Versuch den Paternkofel zu besteigen, am 4. Juli 1915 getötet.584 Nach seinem „Heldentod“585 begann eine Mythologisierung und Glorifizierung des Bergführers Innerkofler.586 Posthum wurde ihm die Goldene Tapferkeitsmedaille verliehen, verschiedene Versionen seines Todes kursierten auf österreichischer, sowie auf italienischer Seite. Zahlreiche Publikationen und Romane verhalfen Sepp Innerkofler zu einem weiten Bekanntheitsgrad über die Tiroler Grenzen hinaus.587 Die Kriegspropaganda hatte ihren Helden in Innerkofler

578 Mayr, Tagebücher, S. 74. 579 Ebd., S. 76. 580 Ebd., S. 77. 581 Pölzleitner, Berge, S. 23 f. 582 Helmut Alexander, Der Dolomitenkrieg im „Tiroler“ Film, in: Tirol und der Erste Weltkrieg, hrsg. v. Klaus Eisterer/Rolf Steininger (Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 12), Innsbruck-Wien 1995, S. 227–253, hier S. 236. 583 Rauchensteiner, Weltkrieg, S. 419. 584 Hans Heiss/Rudolf Holzer, Sepp Innerkofler. Bergsteiger, Tourismuspionier, Held, Wien-Bozen 2015 (ebook), S. 48, 60. 585 Heiss/Holzer, Innerkofler, S. 63. 586 Markus Wurzer, Der Dolomitenkämpfer Sepp Innerkofler. Zur Dekonstruktion eines Heldenmythos, in: Erster Weltkrieg. Globaler Konflikt – lokale Folgen, Neue Perspektiven, hrsg. v. Stefan Karner/Philipp Lesiak (Veröffentlichungen des Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung 27), Innsbruck 2014, S. 371– 385, hier S. 375. 587 Heiss/Holzer, Innerkofler, S. 70-72. 92

gefunden und machte ihn für die kämpfenden Soldaten an der Dolomitenfront populär. Erich Mayr bekam im Februar 1916 von seiner Schwester eine Postkarte „darstellend unseren 'Bergkönig' Sepp Innerkofler, der im Juli 1915 gefallen ist, hat mir recht warm ums Herz gemacht. Er ist nach einem Gemälde von Defregger588 angefertigt“.589 Selbst Pölzleitner vermerkte in seinen Erinnerungen, als er im Winter 1915 in Sexten war: „Das Hotel Fischleinboden, Sepp Innerkoflers Heim, steht auf einer großen Waldblöße […].“590 Derartige heroischen Darstellungen des Gebirgskrieges entsprachen jedoch nicht der Kriegsrealität, wie viele Soldaten bald herausfanden. Der Schock der zerstörerischen Vernichtungskraft moderner Kriegswaffen, die daraus erfolgten enttäuschten Erwartungen, die viele Männer an den Krieg hegten und eine „Krise der Männlichkeit“ veranlassten das Militär und die Kriegspropaganda neue militärische Wertevorstellungen für einen „männlichen“ Soldaten zu formen, der während des Krieges zu der hegemonialen Männlichkeitskonstruktion in der Habsburgermonarchie wurde.591 Besonders der Gebirgskrieg gegen Italien bot eine Möglichkeit diese neuen heroischen Männlichkeitstugenden auszuleben.592 Laut Hans Georg Hofer entstanden während des Krieges in der k.u.k. Monarchie zwei Kämpfermythen, welche „traditionell-aktive als auch modern- passive Elemente militärischer Männlichkeit mobilisierten“.593 Die geographischen Gegebenheiten und die Anforderungen des Militärs bestimmten diese beiden neuen Kriegertypen, den „Dolomitenkämpfer“ und den „Isonzokrieger“. Folgt man Hofers Ausführungen, war es dem „Dolomitenkämpfer“ möglich, traditionelle Soldatentugenden, die im Grabenkrieg verloren gingen, wieder zurückzuerobern.594 Ausdauer, Tapferkeit und besondere Nervenstärke waren hierbei gefragt, hinzu kamen alpinistische Fähigkeiten und eine gewisse Heimatverbundenheit, um im Hochgebirge unter den widrigsten Bedingungen zu kämpfen.595 Die Beherrschung des Körpers ging einher mit der Beherrschung der Nerven. Ein typischer Bergbewohner, wie Innerkofler, der sich mühelos im Hochgebirge auch unter den schwierigsten Voraussetzungen und Gefahren gegen den Gegner behaupten konnte, stellte das Idealbild von männlichem Soldatentum dar. In den Kriegserinnerungen findet sich dieses Männlichkeitsideal auszugsweise bei Pölzleitner während manchen „tollkühne[n] Klettereien“ um den Feind zurückzuschlagen: „Das war

588 Franz von Defregger (1835–1921). 589 Mayr, Tagebücher, S. 250. 590 Pölzleitner, Berge, S. 99. 591 Szczepaniak, Männlichkeiten, S. 136. 592 Ebd., S. 151. 593 Hofer, Nervenschwäche, S. 274. 594 Ebd., S. 275. 595 Hofer, Nervenschwäche, S. 275; Szczepaniak, Männlichkeiten, S. 151–154. 93

Gebirgskrieg, Kampf von Mann zu Mann, wobei jeder einzelne heroische Heldentaten verrichtete und das Verhalten des Einzelnen entscheidend werden konnte. Dann noch ungeschützt dem Wetter und Sturm preisgegeben!“596 Diese „kriegerische Männlichkeit“ im Gebirgskrieg, in Verbindung auch mit „deutsch-österreichischem Heldentum“ fanden sich bevorzugt in Kriegserinnerungen der Zwischenkriegszeit.597 Bei Gallian konnte ein Kärntner Infanterieregiment durch einen „prachtvollen Ansturm trotz wütender Gegenwehr“ eine Stellung am Monte Asolone einnehmen. Daraus schloss er: „Eine Glanzleistung deutschösterreichischen Soldatentums!“598 Obwohl Gallians Aufzeichnungen zeigen, dass die anfängliche Kriegsbegeisterung nach Jahren im Gefecht schon lange abgeflaut ist und „mit welchem inneren Widerwillen wir immer wieder in dieselbe Stellung gehen“599, war trotzdem noch ein letzter Rest von Pflichtbewusstsein der Soldaten übriggeblieben: „Wir tun unsere Pflicht, aus der inneren Überzeugung heraus, daß es sein muß […].“600 In dem oben zitierten Beispiel von Pölzleitner lässt sich noch ein weiterer wichtiger Punkt herauslesen. Die traditionellen Mann-gegen-Mann Kämpfe, die hier das industrielle Abschlachten des Stellungskrieges ablösten. Der Gebirgskrieg gab die Möglichkeit, sich als Einzelner durch „heroische Heldentaten“ von der anonymen Masse der Soldaten abzuheben.601 Doch wurde auch der Gebirgskrieg zu einem Stellungskrieg, in dem die materielle Überlegenheit für den Ausgang einer Schlacht meist wesentlicher war, als individuelle Heldenleistungen. Ausschlaggebend für die Heroisierung der Gebirgskrieger und Dolomitenkämpfer waren außerdem der neue Raum, in dem Krieg nun stattfand. Genau wie der Luft- und U-Bootkrieg den Krieg in neue Dimensionen brachte und dort die Propaganda ihre passenden Heldenfiguren fand, repräsentierten auch einzelne Soldaten im Gebirge, hier wiederum als Beispiel der Tiroler Standschütze Innerkofler, eine neue Art von Elitekämpfern, die sich durch besondere Soldatentugenden, alpinistische Fähigkeiten, Heimatverbundenheit und soldatisches Pflichtgefühl, auszeichneten.602 Die Tiroler Landesschützen und die Kaiserjäger bekamen in diesem Kontext einen Ruf als alpine Eliteeinheiten, die zuweilen zu mythisch-romantischen Figuren verklärt wurden.603 Die Kombination aus Selbstbehauptung gegen die Naturkräfte und

596 Pölzleitner, Landsturm, S. 34. 597 Suppanz, Front, S. 326. 598 Gallian, Monte Asolone, S. 37. 599 Ebd., S. 97. 600 Ebd., S. 99. 601 Szczepaniak, Männlichkeiten, S. 152 f. 602 Wurzer, Innerkofler, S. 377. 603 Szczepaniak, Männlichkeiten, S. 152. 94

der Wille zum Schutz der Heimat verliehen der Alpenfront und ihren Verteidigern einen weiteren heldenhaften Zug und übten eine Faszination aus.604 Von dieser Haltung war bei Schneider zu Kriegsbeginn jedenfalls nichts zu merken, als er an der Ostfront einer Feldmesse eines Kaiserjägerregiments beiwohnte: „Dann war die Defilierung605 [unter den Klängen des etwas drollig klingenden Andreas- Hofer-Marsches.] Nicht immer zogen schöne Bilder von Männlichkeit an uns vorbei, wenn auch der Gesamteindruck ein guter war. Nicht immer waren es die prächtigen, jungen Gestalten, die man bei diesen Regimentern im Frieden zu sehen gewohnt war.“606

Letztendlich hinterließ diese Vorführung von Männern, „die kaum den Kommandanten ansahen oder sich stramm hielten“, bei Schneider „eine leichte Enttäuschung“ zurück.607 Obwohl diese militärischen Männlichkeitskonstruktionen schon während des Krieges propagiert wurden, spielten die Nachkriegserinnerungen in der Zwischenkriegszeit eine wichtige Rolle in der Überlieferung dieser Soldatenbilder.608 Die Romane und Kriegserinnerungsliteratur etwa von Fritz Weber, Luis Trenker und Bodo Kaltenboeck (1893– 1939) fügten ihres dazu bei, den Gebirgskrieg zu romantisieren und mythisch zu verklären.609 Obwohl in den untersuchten Quellen nur ansatzweise solche Vorstellungen und Heldenkonstruktionen vorhanden sind, prägten sie jedoch in weitem Ausmaß die Erinnerung an den Krieg im Hochgebirge.610 Die Tiroler Front war jedoch nicht die einzige Gebirgsfront der Habsburgermonarchie. An der Isonzofront im Karstgebirge entwickelte sich ein anderes Kriegserlebnis der Soldaten als etwa an der Dolomitenfront.

5.2.3. Die Isonzofront und der Karstkrieg

Die Isonzofront gilt in der Kriegshistoriographie als ein Nebenschauplatz des Weltkrieges, erlebte jedoch die gleichen die Landschaft zerstörenden und opferreichen Materialschlachten

604 Günther Kronenbitter, Die k.u.k. Armee an der Südwestfront, in: Krieg in den Alpen. Österreich-Ungarn und Italien im Ersten Weltkrieg (1914-1918), hrsg. v. Nicola Labanca/Oswald Überegger, Wien-Köln-Weimar 2015, S. 105–127, hier S. 119. 605 Ein parademäßiger Vorbeimarsch. 606 Der Text in Klammern ist im Originalmanuskript von Schneider gestrichen worden, Schneider, Kriegserinnerungen, S. 40. 607 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 40. 608 Hofer, Nervenschwäche, S. 274. 609 Christa Hämmerle, „Es ist immer der Mann, der den Kampf entscheidet, und nicht die Waffe…“ Die Männlichkeit des k.u.k. Gebirgskriegers in der soldatischen Erinnerungskultur, in: Der Erste Weltkrieg im Alpenraum. Erfahrung, Deutung, Erinnerung – La Grande Guerra nell’arco alpino. Esperienze e memoria, hrsg. v. Hermann J.W. Kuprian/Oswald Überegger (Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs 23), Innsbruck 2006, S. 35–60, hier S. 37. 610 Schmidl, Kriegführung, S. 359. 95

eines industriellen Maschinenkrieges wie die Westfront.611 Der Hauptfokus der italienischen Kriegsführung lag in dem Gebiet zwischen der Stadt Görz, Monfalcone und Duino an der Adria, entlang des Isonzoflusses.612 Hier wollte der italienische Generalstabschef Luigi Cadorna (1850–1928) den Vorstoß nach Görz und Triest leiten, ein wichtiges Ziel für die irredenta, und von dort rasch in österreichisches Kerngebiet vordringen.613 Die 5. k.u.k. Armee verhinderte jedoch den Vormarsch der italienischen Streitkräfte und dessen Befehlshaber Svetozar Boroević (1856–1920) wurde in der Folge mit dem Beinamen der „Löwe vom Isonzo“ bedacht.614 Die in ernster Unterzahl, aber kriegserfahrenen Truppen der Habsburgerarmee verließen sich hauptsächlich auf eine starke Verteidigungsposition und ließen die italienischen Soldaten in verlustreichen Offensiven gegen ihre Stellungen anrennen. Schon die erste Isonzoschlacht vom 23. Juni bis 7. Juli 1915 brachte den Italienern nur geringe Gebietsgewinne, dafür aber auf beiden Seiten hohe Verluste, welche sich Schätzungen zufolge auf 30.000 Mann auf italienischer und 20.000 Mann auf österreichischer Seite beliefen.615 Der Bewegungskrieg, den Cadorna vorgesehen hatte, verwandelte sich auch an dieser Front rasch zu einem zähen Stellungskrieg. Die italienischen Angriffe konnten in elf Isonzoschlachten abgewehrt werden, die k.u.k. Armee war allerdings wegen der hohen Verluste, die sie auch an der Nordostfront erlitt, in absehbarer Zeit nicht in der Lage, eine Gegenoffensive zu starten.616 Die besonderen geologischen Bedingungen des Karstplateaus und die daraus entstehende Kriegslandschaft bestimmten das Kriegsgeschehen und die kollektive Kriegserfahrung der Soldaten.617 Das hügelige und steinige Karstgebiet charakterisiert sich vor allem durch spärliche Vegetation, Geröllhalden und Felsformationen. Der Untergrund besteht aus Muschelkalk, das von Furchen und Senkungen, wie etwa Dolinen – trichterförmige Vertiefungen – durchzogen ist. Dadurch versickert in dieser Landschaft das Wasser und fließt unterirdisch ab.618 In diesem öden Steinmeer war der logistische Aufwand für die Verpflegung der Soldaten besonders hoch. Wasser musste von weit her beschafft werden, wie Schneider berichtete: „So wurden kleine Eselkolonnen gebildet, welche das Wasser in die Stellung

611 Lutz Musner, Die verletzte Trommel. Der Krieg im slowenisch-triestinischen Karst 1915–1917, Wien 2014, S. 7. 612 Lutz Musner, Carso Maledetto. Der Isonzokrieg 1915–1917, in: Jenseits des Schützengrabens. Der Erste Weltkrieg im Osten: Erfahrung – Wahrnehmung – Kontext, hrsg. v. Bernhard Bachinger/Wolfram Dornik (Veröffentlichung des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung Sonderband 14), Innsbruck 2013, S. 267–283, hier S. 267. 613 Schmidl, Kriegführung, S. 348. 614 Kronenbitter, Südwestfront, S. 114. 615 Musner, Trommel, S. 29. 616 Ebd., S. 30. 617 Ebd., S. 7. 618 Ebd., S. 32. 96

brachten.“619 Auch Mayr beschrieb die Gegend als „furchtbar öde und leer. Wir sind am Plateaux [!] von Doberdo [!]. Das Wasser müssen wir weit unten vom See heraufholen. Trinkwasser wird in Fässern und Autos nachgeliefert“.620 Das Klima im Karstgebiet zeichnet sich außerdem durch extreme Temperaturschwankungen zwischen Winter und Sommer aus. Der Schirokko-Wind lässt die sommerliche Hitze auf dem Plateau fast unerträglich werden. Durch den Wassermangel litten deshalb viele Soldaten unter extremen Durst.621 Pölzer musste auch diese Erfahrung machen: „Stelle sich nun einer den rasenden Durst vor, den ich leiden mußte. Es war zum Verrücktwerden. […] Noch heute tut mir das Herz weh, wenn ich daran denke, wie meine braven, tapferen, zu Tode verwundeten Kameraden ohne Unterlaß mit heiseren unmenschlich klingenden Lauten 'Wasser! Wasser!' schrien und – da keins zu bekommen war – den mit Blut und zeronnenen Leichen untermischten Schlamm aus den Granatlöchern tranken, bis sie starben.“622

Das Errichten von Unterständen erwies sich wegen des Untergrundes als besonders schwer, weshalb die natürlichen Vertiefungen, die Dolinen und einfache Steinmauern als Deckungen benutzt wurden.623 Bevor Schneider im Herbst 1915 auf das Karstplateau kam, hörte er schon Geschichten über „das Grauenhafte des Karstkrieges“624, erlebte die „nackte Wahrheit über diese Front“625 dann mit eigenen Augen, als diese behelfsmäßigen Stellungen kaum Schutz vor dem Feind boten: „Hinter Steinmauern liegend bargen sich die Leute vor dem unaufhörlichen Feuer. Bei Tag war es die Artillerie, die sie zermürbte, bei Nacht die feindliche Artillerie. Liegend und mühselig kratzten sie mit stumpfen Werkzeugen den Stein auf, um allmählich eine bessere Deckung gegen das feindliche Feuer zu schaffen.“626

Von den elenden Zuständen der Kampfstellungen berichtete auch Pölzer in seinen Aufzeichnungen: „Das sollte eine Stellung sein? Keine Spur einer Brustwehr, wenn man von den Leichenhaufen, die stellenweise in vier- und fünffacher Schichtung daliegen, absah. Die ganze Deckung bestand aus einer Mulde von unzähligen, den Berg hinanlaufenden Granatlöchern, die, eines neben dem anderen, den 'Schützengraben' bildeten. Ganze Teiche waren es oft, wenn man zu einem 28-cm-Loch kam.“627

619 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 365. 620 Mayr, Tagebücher, S. 198. 621 Musner, Trommel, S. 7, 84. 622 Pölzer, Isonzo, S. 14. 623 Musner, Carso, S. 274. 624 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 342. 625 Ebd., S. 364. 626 Ebd., S. 366. 627 Pölzer, Isonzo, S. 7. 97

In dem harten Untergrund konnten die Leichen der toten Soldaten nicht begraben werden, weshalb sie meist unmittelbar vor den Schützengräben und Stellungen verwesten.628 In der Not wurden sie auch für den Bau von Deckungen benutzt, wie Pölzer schilderte: „Wir warfen also alles, was locker war, vor uns auf die Deckung, wie Steine, Leichen, Erde Holz usw. […] bis wir richtig einen ziemlich hohen Schutzwall vor uns aufgetürmt hatten.“629 Dabei bot dieser jedoch einen zweifelhaften Schutz, wie Pölzer bald darauf herausfinden musste: „Bald kamen auch die Granaten. Pfui Teufel, mir wird heute noch schlecht, wenn ich daran denke. Wie sie heulend hereinkrachten in die Leichenhaufen, die unsere Deckung bildeten – premm – und die Fetzen flogen!“630 Berichte von Leichen, welche in Abwehrstellungen mit eingebaut wurden, kannte auch Schneider: „Nun rissen die Granaten die Sandsackbauten und damit die darin verborgenen Leichen wieder auf, und so wurden die Leiden der Überlebenden noch vervielfältigt.“631 Doch auch Steinmauern waren bei feindlichem Beschuss durch die starke Splitterwirkung noch verhängnisvoller, als die Geschosse selbst, wie Schneider wusste: „Wehe, wenn ein Schuß in die Steinmauer fiel, dann wurden auf einer Strecke von 50 Schritten die Leute erschlagen;“632 Da in der österreichisch-ungarischen Armee zu diesem Zeitpunkt noch keine Stahlhelme verwendet wurden, erlitten viele Soldaten schwere Kopfverletzungen durch herumirrende Steinsplitter.633 In der glühenden Sommerhitze brachten die unbestatteten Toten ihren Verwesungsgeruch bis in die Schützengräben der Soldaten. „Noch ärger war der Geruch der Leichen, die überall herumlagen und die niemand begraben konnte“, schrieb etwa Schneider.634 Der Geruch „war so unerträglich, daß man den Kampf gegen ihn aufnehmen mußte“.635 Es gab den Versuch die Leichen zu verbrennen und die Fronttruppen wurden teilweise mit Watte versorgt, um sich die Nase vor dem Geruch zu verstopfen.636 Der Krieg am Isonzo wurde gleichsam zu einer Materialschlacht, in der Menschen in aussichtslosen Angriffen buchstäblich „verheizt“ wurden und der Krieg nur mehr zu einem mathematischen Problem wurde. Die Isonzoschlachten waren zudem keine Schlachten, wie im traditionellen Kriegsverständnis mit einem entscheidenden Ausgang, sondern vielmehr eine Aneinanderreihung von mehrtägigen Kämpfen, die auch nicht zu einem vollständigen Stillstand

628 Musner, Carso, S. 279. 629 Pölzer, Isonzo, S. 9. 630 Ebd., S. 11. 631 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 367. 632 Ebd., S. 366. 633 Rauchensteiner, Weltkrieg, S. 420 634 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 366. 635 Ebd., S. 367. 636 Musner, Carso, S. 279. 98

kamen, sondern in unterschiedlicher Intensität weitergingen. Der Krieg verwandelte sich zu einem Abnützungskrieg von Mensch und Maschine.637 Nach drei erfolglosen italienischen Offensiven geriet Cadorna zusehends unter Druck, trotz steigender Opferzahlen keine größeren Erfolge vorweisen zu können. In der vierten Isonzoschlacht (10.11.1915–14.12.1915) lag der Hauptfokus auf einen italienischen Durchbruch im südwestlichen Abschnitt der Front bei Görz und Doberdò.638 Schon Tage vorher konnte Mayr durch die verstärkte Artillerietätigkeit im Raum um Doberdò einen neuen italienischen Angriffsplan vermuten. Am 9. November 1915 schrieb er in sein Tagebuch: „Die welsche Offensive, es ist die 4te, setzt neuerdings wieder ein. Er schoss heute den ganzen Tag wie verrückt und beschenkte unsere Reservestellung mit kleinen Granaten und Schrapnells. Auch während der Nacht war es unruhig.“639 In den ersten Tagen der Schlacht gab es bereits hohe Verluste, welche die k.u.k. Armee kaum ausgleichen konnte.640 Da kaum Ersatztruppen zur Verfügung standen, mussten die Soldaten tagelang in ihren Stellungen ohne Ruhepausen ausharren. Schneider sah darin auch das Problem, wie die Truppen an dieser Front behandelt wurden: „Menschen wurden nicht anders behandelt als 'Steine'. Steine und Menschen waren einfach zu dem vermischt, was man 'Die Stellung' nannte.“641 Bei heftigem Regen verwandelte sich das Angriffsgebiet zudem in eine wahre Schlammlandschaft, das Verteidigern und Angreifern zusätzlich den Kampf erschwerte.642 Pölzer musste in den Tagen während der Schlacht „bei sintflutähnlichem Gewitter“ mitten in der Nacht seine Stellung beziehen.643 Was es bedeutete in dieser von Schlamm überzogenen Umgebung während eines Kampfes auszuharren, berichtete wiederum Pölzer, der einem verwundeten Kameraden in einem Granatloch zu Hilfe kommen wollte: „Er tauchte völlig im Morast unter. Ich wollte auf und ihn herausziehen, aber der Schlamm war so zähe, daß ich meine von der Kälte und der unnatürlichen Stellung steifen und gefühllosen Glieder erst nach einigen Minuten größter Anstrengung herausbrachte.“644 Seinen Kameraden zu retten blieb jedoch ein vergebliches Unterfangen, wie Pölzer schrieb: „Dann verschlang ihn wieder der hochaufspritzende Unrat. Zu retten war der nimmer.“645

637 Ebd., S. 268, 271. 638 Musner, Trommel, S. 91. 639 Mayr, Tagebücher, S. 217. 640 Musner, Trommel, S. 92. 641 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 375. 642 Musner, Trommel, S. 93. 643 Pölzer, Isonzo, S. 4. 644 Ebd., S. 10. 645 Ebd. 99

Solche Fronterlebnisse ließen eine Reihe von traumatisierten Männern zurück. In diesem Frontabschnitt, in dem die Toten nicht mehr tot blieben, sondern immer wieder aus ihren Gräbern gerissen wurden, mussten sie einen zutiefst verstörenden Eindruck auf die noch lebenden Soldaten hinterlassen. Mayr, der mit seiner Scheinwerferabteilung an der Isonzofront hauptsächlich nachts unterwegs war, kam an einem zerschossenen Feldfriedhof vorbei und notierte bei dem Anblick: „Nein, der Krieg kennt kein Erbarmen, er lässt selbst die Toten, seine blutigen Opfer, nicht in Frieden ruhen. An den herumliegenden Lumpen und Gebeinen gehen wir eilends vorüber; uns graut vor dem Schauspiel und wenn wir auch in der langen Zeit des Krieges schon härter von Gemüt geworden sind, so wirkt doch ein solcher Anblick schaudererregend auf eine fühlende Seele.“646

Schneider berichtete etwa von Leichen, die in den Dolinen beerdigt worden waren, „nur von einer Schicht kleiner Steine bedeckt. Aber eine Granate riß wieder diese Decke auf, zerfetzte die Reste von Leichen und schleuderte sie den Überlebenden ins Gesicht. Ich weiß einen Fall, daß ein Offizier, der dies erlebte, in diesem Augenblick wahnsinnig wurde“.647 Pölzer durchlebte ähnliche Vorfälle, welche ihn nahezu sprachlos zurückließen: „Alle Sprachen der Erde können das Scheußliche nicht schildern, was jetzt kam.“648 Die Bilanz am Ende der vierten Isonzokämpfe beliefen sich auf geringfügige Gebietsgewinne der italienischen Armee, da die österreichisch-ungarische Verteidigungslinie, trotz Unterzahl an Soldaten, gehalten werden konnte. Dafür waren die Opferzahlen, etwa 49.000 italienische und 25.000 österreichisch-ungarische Soldaten, umso größer.649 Die Südfront entwickelte sich zu einem erstarrten Stellungskrieg, der in Umfang und Opferzahlen der Westfront in nichts nachstand.650 Der Karstkrieg formte, laut Hofer, einen eigenen Kriegertypus, den „Isonzokrieger“. Dieser Typus von Soldat schlug die italienischen Armeen durch Geduld, Ausdauer und Selbstbeherrschung am Isonzo zurück. Anders als der „Dolomitenkämpfer“ zeichnete sich der „Isonzokrieger“ nicht durch alpinistische Heldentaten aus, sondern durch seine Fähigkeit in diesen schrecklichen Stellungen unter den unmenschlichsten Bedingungen auszuharren.651 Wie schwer dies allerdings vielen Soldaten fiel, lässt sich in Schneiders Aufzeichnungen nachlesen:

646 Mayr, Tagebücher, S. 221. 647 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 366. 648 Pölzer, Isonzo, S. 11. 649 Alessandro Massignani, Doberdó, in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn 2014, S. 443–444, hier S. 443. 650 Rauchensteiner, Weltkrieg, S. 426. 651 Hofer, Nervenschwäche, S. 267 f. 100

„Kein Mensch hielt es länger als 6 Tage in der vordersten Linie aus. Er war dann mit seiner Kraft am Ende, wenn er überhaupt noch am Leben war.“652 Die Stellungen im Karst boten für viele Soldaten keinen Vergleich zu ihren Erlebnissen an der Ostfront. So schrieb etwa Pölzer: „Was war doch die Dnjestfront für ein Paradies!“653 Als Schneider mit seinen Mannschaften durch die Brussilow-Offensive als Verstärkung an die Ostfront verlegt wurde, war dies für viele Soldaten ein Grund zum Jubeln: „Sie sagten: nirgends auf der Welt kann es uns so schlecht gehen, als es hier im Stein gewesen war, nicht einmal in der Hölle.“654 In der nationalistisch geprägten Weltkriegsliteratur wie etwa Fritz Webers Isonzo-Trilogie von 1933 oder Viktor Winkler-Hermadens Isonzo-Legende von 1924655, wird dieser neue Soldatentypus thematisiert, der im Karstkrieg in einer „Stahlschmiede“ gleich zum standhaften männlichen Isonzokrieger geformt wird und somit lernte alles auszuhalten, was der Feind und die Natur ihnen entgegenbrachten.656 Doch Schneider beschrieb ein anderes Bild von diesen „Helden“: „Dort lagen sie nun, zusammengekauert 6 Tage lang hinter einem Steinhaufen. Hungerten bei Tag, froren in der Nacht; wenn einmal das Essen kam, so war die Luft verpestet von dem Gestank der Leichen und des eigenen Auswurfes. Die da kämpften waren keine Helden, sondern bedauernswerte Geschöpfe, wahre Märtyrer.“657

Auch das „beständige Verhimmeln der Karstkämpfer durch Preßberichte und Zeitungen“ störte Schneider, „denn allzuviel Blut war schon auf dieser allzusehr heroisierten Schlachtfront geflossen“.658 Der Typus des „Isonzokriegers“, wie ihn Hofer definiert, lässt sich zumindest in den persönlichen Kriegserinnerungen der Soldaten kaum vorfinden. Vielmehr blieb er ein Heldenkonstrukt der Nachkriegsliteratur. In diesem Material- und Abnützungskrieg waren nicht mehr die einzelnen Soldaten und ihre Tugenden, wie Mut, Tapferkeit und Selbstaufopferung ausschlaggebend für den Verlauf einer Schlacht, sondern das Leistungsvermögen einer Kriegswirtschaft, welche die Mobilisierung des Hinterlandes und der Wirtschaft eines Landes erfolgreicher voranbrachte. In diesem jahrelangen Stellungskrieg an den Fronten überwogen nicht der Wille und die Taten eines Einzelnen, sondern die Kapazitäten und Mittel, angefangen bei der Waffenlieferung und das

652 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 367. 653 Pölzer, Isonzo, S. 7. 654 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 420. 655 Szczepaniak, Männlichkeiten, S. 183. 656 Musner, Trommel, S. 157 f. 657 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 367. 658 Ebd., S. 443. 101

Ausheben von mehr Soldaten, um diesen Krieg fortzuführen.659 Trotzdem finden sich in den Kriegstagebüchern traditionelle soldatische Tugenden, sowie in einigen Fällen auch Untugenden, welche maßgeblich für das Selbstverständnis und -wahrnehmung vieler Soldaten war. Dies wird im folgenden und abschließenden Kapitel dieser Arbeit besprochen.

659 Rauchensteiner, Weltkrieg, S. 426. 102

6. Die soldatischen Tugenden

6.1. Militärische Männlichkeiten

Der Begriff „Militarismus“ definiert traditionell die Dominanz des Militärs und militärischer Direktiven in Gesellschaften. Eine erweiterte Definition schließt auch die Übertragung von militärischen Verhaltensweisen auf andere gesellschaftliche Lebensbereiche, die von einer politischen Mentalität unterstützt wird, mit ein.660 Seit der Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht in Preußen 1813 und nach dem Krieg von 1870/71 wirkte im Deutschen Reich ein neuer bürgerlich-liberaler Militarismus im langen 19. Jahrhundert. Durch die Umwandlung der fürstlichen stehenden Heere zu einer „Nationalarmee“, welche sich für das aufsteigende Bürgertum öffnete, konnten militärische Werte, wie Disziplin, Patriotismus und Tapferkeit, zum großen Teil nicht nur „von oben“, sondern vom Bürgertum selbst mitgetragen, in die Zivilgesellschaft etabliert und auf alle wehrfähigen Männer des Reiches übertragen werden.661 Ute Frevert hat in diesem Kontext als eine der Ersten das Konzept einer „wehrhaften Männlichkeit“ in der preußisch-deutschen bürgerlichen Gesellschaft seit dem 18. Jahrhundert erforscht.662 Sie konnte nachweisen, dass nach der Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht das Militär zu einer „Schule der Nation und der Männlichkeit“ aufstieg. Junge Männer jeglicher Herkunft sollten nicht nur für den Krieg gerüstet, sondern auch zu guten Staatsbürgern erzogen werden.663 Verschiedene politische und institutionelle Voraussetzungen für die Akzeptanz einer militärisch definierten Männlichkeit wurden dabei im 19. Jahrhundert geschaffen.664 Diese Männlichkeit charakterisierte sich zum einen durch körperliche Ertüchtigung, zum anderen sollten die Männer nach ihrem Wehrdienst aus dieser militärischen „Erziehungsanstalt“ moralisch und charakterlich gestärkt hervorgehen. Disziplin, Ehrgefühl, Pflichtbewusstsein, Mut und Tapferkeit, sowie Selbstbewusstsein stellten die wichtigsten Tugenden dar. Zum patriotischen Vaterlandsverteidiger konnte man(n) mit den richtigen Mitteln erzogen werden.665

660 Christian Jansen, Einleitung. Die Militarisierung der bürgerlichen Gesellschaft im 19. Jahrhundert, in: Der Bürger als Soldat. Die Militarisierung europäischer Gesellschaften im langen 19. Jahrhundert: ein internationaler Vergleich, hrsg. v. Christian Jansen (Frieden und Krieg. Beiträge zur historischen Friedensforschung 3), Essen 2004, S. 9–23, hier S. 11 f. 661 Ebd., S. 10–13. 662 Ute Frevert, Soldaten, Staatsbürger. Überlegungen zur historischen Konstruktion von Männlichkeit, in: Männergeschichte-Geschlechtergeschichte. Männlichkeit im Wandel der Moderne, hrsg. v. Thomas Kühne (Geschichte und Geschlechter 14), Frankfurt a. M.-New York 1996, S. 69–87. 663 Ute Frevert, Das Militär als „Schule der Männlichkeit“. Erwartungen, Angebote, Erfahrungen im 19. Jahrhundert, in: Militär und Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. v. Ute Frevert (Industrielle Welt – Schriftenreihe des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte 58), Stuttgart 1997, S. 145–173, hier S. 145. 664 Ebd., S. 146 665 Ebd., S. 150–166. 103

Den Eintritt in das Militär empfanden viele Männer als männliche Initiation – ein rite de passage –, in welcher sie als Jungen eintraten und nach ihrem Dienst als „Männer“ entlassen wurden.666 Die erlernten Fähigkeiten und Tugenden wurden auch im Zivilleben, beispielsweise von potenziellen Arbeitgebern geschätzt, womit militärisch geprägte Werte und Normen auch Eingang in die Zivilgesellschaft fanden.667 Für einige auserwählte Männer, die Tauglichkeitsraten blieben wegen der hohen Ansprüche stets im niederen Bereich668, ermöglichte sich durch die Zeit beim Militär die Realisierung der propagierten Idee ein wehrhafter Bürger sei auch ein männlicher Bürger.669 Die Habsburgermonarchie ging, aus europäischer Perspektive, einen gesonderten Weg, der auf unterschiedlichen Voraussetzungen, Erwartungshaltungen des Militärs und völkertechnischen Zusammensetzung beruhte. Nach preußischem Vorbild und nach der Niederlage von Königgrätz (1866) wurde in Österreich-Ungarn die Allgemeine Wehrpflicht am 5. Dezember 1868 eingeführt.670 Anders als im Deutschen Reich spielte die k.u.k. Armee in erster Linie als „Schule des Volkes“ für die auszubildenden Männer eine wichtige Rolle. Hier ging es darum, zumindest in Friedenszeiten, junge Männer aus allen Landesteilen zu guten Soldaten und Bürgern zu erziehen.671 Der Anspruch, die Soldaten in einer „Schule der Nation“ zu patriotischen Kämpfern für die Vielvölkermonarchie auszubilden, gestaltete sich schwieriger. Das multiethnische Staatsgebilde spiegelte sich auch in der Armee wieder.672 Einheiten, in denen zwei oder drei verschiedene Nationalitäten und Sprachgruppen dienten, waren kein Einzelfall. In einer Militärstatistik von 1910 setzten sich 100 Mann aus durchschnittlich jeweils 25 Deutschen, 23 Magyaren, 13 Tschechen, 9 Kroaten und Serben, jeweils 8 Polen und Ruthenen, 7 Rumänen, 4 Slowaken, 2 Slowenen und 1 Italiener zusammen.673 Kein Einzelfall zu Kriegszeiten war etwa

666 Ebd., S. 163. 667 Ebd., S. 162. 668 Ute Frevert, Das Militär als Schule der Männlichkeiten, in: Männlichkeiten und Moderne. Geschlecht in den Wissenskulturen um 1900, hrsg. v. Ulrike Brunotte/Rainer Herrn (GenderCodes 3), Bielefeld 2008, S. 57–75, hier S. 63. 669 Frevert, Militär, S. 152. 670 Christa Hämmerle, Die k. (u.) k. Armee als „Schule des Volkes“? Zur Geschichte der Allgemeinen Wehrpflicht in der multinationalen Habsburgermonarchie (1866 – 1914/18), in: Der Bürger als Soldat. Die Militarisierung europäischer Gesellschaften im langen 19. Jahrhundert: ein internationaler Vergleich, hrsg. v. Christian Jansen (Frieden und Krieg. Beiträge zur Historischen Friedensforschung 3), Essen 2004, S. 175–213, hier S. 175–178. 671 Christa Hämmerle, Zur Relevanz des Connell’schen Konzepts hegemonialer Männlichkeit für „Militär und Männlichkeit/en in der Habsburgermonarchie (1868–1914/1918)“, in: Männer – Macht – Körper. Hegemoniale Männlichkeiten vom Mittelalter bis heute, hrsg. v. Martin Dinges (Geschichte und Geschlechter 49), Frankfurt am Main 2005, S. 103–121, hier S. 108 f. 672 Hämmerle, Armee, S. 180. 673 Militär-Statistisches Jahrbuch für das Jahr 1910, Wien 1911, S. 145 f., zitiert nach: István Deák, Der k.(u.) k. Offizier. 1848-1918, Wien-Köln-Weimar 1991, S. 221. 104

Pölzleitners Landsturmbataillon, das durch ständige Ersatzmannschaften sehr heterogen zusammengesetzt war: „Im Baon waren jetzt nur mehr 496 Deutsche, dafür aber 137 Ruthenen, 73 Serbokroaten, 70 Tschechen, 45 Polen, 15 Italiener und 2 Rumänen. In unserem Lager war Österreich!“674 Da der Großteil der Offiziere deutschsprachig war, standen Verständigungsprobleme mit den Mannschaften an der Tagesordnung.675 Sprachprobleme in den Einheiten erschwerten beispielsweise auch Wegl die Arbeit, der einer Arbeiterkompanie zugeteilt wurde, die aus bosnischen Truppen bestand: „Wenn nur die Leute ein wenig deutsch könnten! Sie gehen willig jeden Weg, kommen unverrichteter Dinge zurück, weil sie sich nicht verständigen können.“676 An der Ostfront erlebte auch Schneider solche Verständigungsprobleme zwischen den einzelnen Truppen: „Wie viele wertvolle Nachrichten verloren wir so, und zum ersten Mal wurde mir die Vielsprachigkeit der Monarchie mit allen ihren Nachteilen bewußt.“677 Pölzleitner versuchte durch Fortbildung an der Front die Kommunikation zu verbessern: „Um die Mannschaft noch besser zusammenzuschweißen, richtete ich für die deutschen Chargen slawische Sprachkurse ein.“678 Kurse und Weiterbildungen im Militär erkannte auch Wegl als einen Vorteil für seinen späteren Lebensweg. Als die Möglichkeit bestand, einen dreiwöchigen Kurs in einer Unteroffiziersschule im Hinterland zu absolvieren, notierte er: „Hallih, da tu ich mit, natürlich nicht, um der Langeweile zu entrinnen, sondern in der löblichen Absicht, meine Kenntnisse zu erweitern, […] Wird mir auch im Zivilberuf von Nutzen sein, wenn es in der Qualifikation heißt: als Rechtsg-Unteroffiz. ausgebildet! Damit schlage ich alle Konkurrenten!“679

Tatsächlich waren die Chancen als „gedienter“ Mann Arbeit zu finden höher, da viele Arbeitgeber die Disziplin dieser Männer, welche sie beim Militär erlernten, schätzten.680 Das Militär fungierte in diesem Fall tatsächlich als „Schule“ für das spätere Zivilleben. Die Einführung des Einjährig-Freiwilligensystems im neuen Wehrgesetz, wiederum nach preußischem Vorbild, hatte auch eine soziale Öffnung des Offizierskorps zur Folge. Vor allem für das aufsteigende Bürgertum öffneten sich Zukunftsperspektiven für eine Laufbahn im Militär. Mit einem höheren Schulabschluss konnten sich junge Männer freiwillig für ein Jahr

674 Pölzleitner, Landsturm, S. 125. 675 Hämmerle, Armee, S. 181; Deák, S. 224. 676 Wegl, Kriegstagebuch, S. 54. 677 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 46. 678 Pölzleitner, Berge, S. 287. 679 Wegl, Kriegstagebuch, S. 96. 680 Hämmerle, Relevanz, S. 116. 105

Dienstzeit verpflichten, mussten sich teils die Ausrüstung selbst bezahlen und wurden am Ende ihrer Dienstzeit in das stetig anwachsende Heer der Reserveoffiziere versetzt.681 Mit wenigen Ausnahmen waren die Autoren der hier untersuchten Kriegserinnerungen Einjährig-Freiwillige und wurden bei Kriegsausbruch als Reserveoffiziere eingezogen. Nach den großen Verlusten in den Anfangsschlachten konnte sich die Armee hauptsächlich auf ihre Reserveoffiziere stützen.682 Die Ausweitung des Wehrdienstes und eine Verkürzung der Dienstzeit verankerte die Armee zusätzlich in der Gesellschaft.683 Militärparaden bei besonderen Festtagen, Vereine von Altgedienten und der Kaiser, der sich fast nur mehr in Uniform zeigte, waren Ausdruck einer öffentlichen und selbstbewussten Präsenz des k.u.k. Militärs in der Gesellschaft.684 Dabei bildete die Armee kein supranationales „Bollwerk“ des Staates, denn jüngere Forschungen zeigen vor allem in den einzelnen Regionen der Monarchie deutlich auch gegensätzliche Tendenzen in der Aufnahme und Durchführung eines k.u.k. Militarismus.685 Zu den Befürwortern der Wehrpflicht und des Ausbaus der Armee gesellten sich vereinzelt auch pazifistische Stimmen, wie etwa der Schriftsteller Moritz Adler (1831–1907) und die Friedensbewegung, gegen einen zunehmend nationalistisch-militaristischen Ton in Politik und Gesellschaft.686 Der Militärdienst sollte jungen Männern zu bestimmten Tugenden verhelfen, die nicht nur im Krieg nützlich waren. Dabei wurden sie mit „Tapferkeit“, „Gehorsam“, „Disziplin“, „Sparsamkeit“ und „Ordnungssinn“ nicht nur zu „guten Soldaten“, sondern auch zu „ganzen Männern“ ausgebildet. Eine „Schule des Volkes“ fungierte hiermit zu einem gewissen Grad auch als eine „Schule der Männlichkeit“.687 Dieses Männlichkeitskonstrukt erstreckte sich jedoch nur auf diejenigen Männer, die tatsächlich ihren Wehrdienst absolvierten. Die für tauglich Befundenen machten, ähnlich dem Deutschen Reich, nur einen Bruchteil aller wehrfähigen Männer aus. In den Jahren von 1870-1910 schwankten diese Zahlen zwischen 12,7 und 27,7 Prozent. Unterschiede bei der Stellungspflicht zeigten sich auch zwischen der westlichen und östlichen Reichshälfte.688 Die Mehrheit der männlichen Bevölkerung, sei es

681 Hämmerle, Armee, S. 189 f. 682 Rauchensteiner, Weltkrieg, S. 359. 683 Kuzmics/Haring, Emotion, S. 128. 684 Laurence Cole/Christa Hämmerle/Martin Scheutz, Glanz-Gewalt-Gehorsam. Traditionen und Perspektiven der Militärgeschichtsschreibung zur Habsburgermonarchie, in: Glanz-Gewalt-Gehorsam. Militär und Gesellschaft in der Habsburgermonarchie (1800 bis 1918), hrsg. v. Laurence Cole/Christa Hämmerle/Martin Scheutz (Frieden und Krieg. Beiträge zur Historischen Friedensforschung 18), Essen 2011, S. 13–28, hier S. 16– 21. 685 Ebd., S. 28. 686 Hämmerle, Armee, S. 197. 687 Ebd., S. 192. 688 Ebd., S. 201. 106

durch ihre „Untauglichkeit“ oder bewussten Entziehung des Militärdienstes, nahm an dieser vom Militär propagierten Männlichkeitskonstruktion nicht teil. Inwieweit sich hingegen in der Habsburgermonarchie in der Vorkriegszeit der Militarismus und die Akzeptanz militärischer Wertevorstellungen in der Gesellschaft ausgebreitet haben, bleibt noch ein Forschungsdesiderat.689 Die Wehrpflicht der Männer im ausgehenden 19. Jahrhundert hatte zur Folge, dass sich auch die Geschlechtergrenzen zwischen Männern und Frauen klarer abgrenzten. Das Militär war eine rein männlich dominierte Institution. Zugleich fand auch eine Aufwertung von einem militärisch geprägten Männlichkeitsbild in der Habsburgermonarchie statt, womit sich, in Übereinstimmung mit dem Deutschen Reich, das Konzept verbreitete, nur ein wehrhafter Mann konnte für sich in Anspruch nehmen auch männlich zu sein.690 In welcher Form das Militär als „Schule der Männlichkeit“ agierte wurde von Christa Hämmerle untersucht. In einer Zwischenbilanz und in Anwendung des Connell`schen Männlichkeitskonzepts kommt sie zum Schluss, dass es in Österreich-Ungarn „damals noch keine Hegemonie militarisierter Männlichkeit gab“.691 Erst mit dem Krieg konnte sich ein vorherrschendes Männlichkeitsideal, das stark mit militärischen Werten und Tugenden verknüpft ist, durchsetzen. Ein Mann, der für sein Vaterland und den Kaiser in den Krieg zog, war ein „männlicher“ Mann. Abweichende Männlichkeitsentwürfe wurden von einem militärischen-kriegerischen Männlichkeitskonstrukt abgelöst.692 Vor diesem Hintergrund wird aufgrund der für diese Arbeit ausgewählten Kriegsaufzeichnungen untersucht, ob solche militärischen Männlichkeitsideale und Wertevorstellungen von den Autoren rezipiert wurden oder sogar widersprüchliche Aussagen aufeinandertreffen. Während des Krieges war Pölzleitner bei einer Begräbnisfeier für kürzlich gefallenen Soldaten anwesend. Die Segnungen des Feldkurates für die Toten notierte er in seinen Kriegserinnerungen: „Rührende, herzliche Abschiedsworte hat er dabei gefunden und von Tapferkeit, Heldentum, Heimatliebe und Gottvertrauen gesprochen.“693 Diese vier Eigenschaften sollten wohl als Vorbild für die noch lebenden Soldaten dienen. Besonders in Pölzleitners erstem Kriegsbuch finden sich zahllose Anführungen von tapferen und heldenhaften Mannschaften und Offizieren, die sich im Kampf bewährten. Die Haltung der

689 Ebd., S. 209 f. 690 Hanisch, Männlichkeiten, S. 20. 691 Hämmerle, Relevanz, S. 117. 692 Ebd., S. 118. 693 Pölzleitner, Landsturm, S. 31. 107

Soldaten beschrieb er als durchgehend „musterhaft“694 und „vorbildlich“.695 Im Gefecht zeigten sie sich furchtlos und todesmutig trotz feindlicher Überlegenheit: „Unser kleines Häuflein verteidigte den Heimatboden bis zum letzten Blutstropfen.“696 Dieses Landsturmbataillon hat „durch seine mannhafte Haltung in ernsten Zeiten die Achtung und Liebe der andern Kameraden erworben“697 und „jeder stand wie ein Held“.698 Der militärische Tugendkanon von Pflicht, Gehorsam und Disziplin, der Wille für „Gott, Kaiser und Vaterland“ in den Krieg zu ziehen, zeigte sich durchaus bei den Soldaten der k.u.k. Monarchie. Die Tagebücher und Kriegserinnerungen sprechen hier fast ausnahmslos eine gemeinsame Sprache, wenn es darum geht, die Tapferkeit und heroischen Leistungen der eigenen Armee hervorzuheben. Wegl beschrieb in seinen Aufzeichnungen die heldenhaften Leistungen seines Arbeiterbataillons während feindlichen Beschusses: „Unbekümmert um das Krachen und Sausen arbeiten unsere Leute mit stillem Heldenmut weiter!“699 Seine Arbeit als Rechnungsoffizier, daher zur nicht-kämpfenden Truppe angehörig, empfand er als ebenso verantwortungsvoll und wichtig für den Kriegseinsatz: „Hier liegt eben die ganze Sorge um das leibliche Wohlergehen der Komp.[anie] auf meinen Schultern und da will ich meinen Mann stellen, voll und ganz!“700 Kreisler berichtete von einem gefangenen russischen Offizier, der ihm zu der Tapferkeit der österreichischen Soldaten im Gefecht gratulierte.701 Er selbst fand lobende Worte für den „Eifer und Entschlossenheit“702 seiner Mannschaft: „Noch nie zuvor hatte ich so viel Grund gehabt wie in jener Nacht, die wunderbare Ausdauer und den Stoizismus unserer Soldaten zu bewundern.“703 In Pölzleitners zweitem Kriegsbuch fanden sich genauso mutige und tapfere Soldaten: „Tage des heldenmütigsten Opfermutes; wundersam strahlend in beispielloser Pflichterfüllung und Heimatliebe. Tage, in der unsere Landstürmer reihenweise dahinstarben, im heißen Ringen von Mann zu Mann, im rasenden Wüten des Materials.“704

694 Ebd., S. 26. 695 Ebd., S. 34. 696 Ebd., S. 36. 697 Ebd., S. 76. 698 Ebd., S. 36. 699 Wegl, Kriegstagebuch, S. 28. 700 Ebd., S. 68. 701 Kreisler, Tosens, S. 61. 702 Ebd., S. 68. 703 Ebd., S. 89. 704 Pölzleitner, Berge, S. 119. 108

Schneider wusste ebenfalls von Zeugnissen „ehrfurchtgebietenden Heldentums“705 bei seinen Truppen zu berichten, die sich freiwillig größter Gefahr aussetzten und Geschichten „von den unerhörten Heldentaten“706, welche die Mannschaften leisteten. Für den kriegsmüden Gallian hingegen stand vor allem die Opferbereitschaft der Männer im Vordergrund. Ein Volk von Männern, das „Haus, Hof und Familie der Not der Gesamtheit geopfert [hat] und zu all dem noch Hunderttausende freiwillig in der Stunde der ärgsten Not des Vaterlandes zu den Waffen greifen ließ“.707 Rückblickend schrieb er, wie er zu Kriegsbeginn „verzweifelt von einer Meldestelle zur anderen“ lief und sich mit anderen freiwillig zum Kriegsdienst meldete. In der Eile wollte er sogar auf die Offiziersprüfung verzichten „nur aus Angst, der Krieg könnte zu Ende sein, bevor wir noch 'an die Reihe' kommen.“708 Das Pflichtgefühl eines Soldaten stand für Gallian bis zuletzt an erster Stelle. Als der Krieg sich seinem Ende neigte, erklärte er einem Zugschaffner, der ihn fragte, wieso er aus dem Urlaub an die Front einrückte, wo doch der Kriegsausgang offensichtlich wäre und er sein Leben nur sinnlos wegwerfen würde: „Schließlich erkläre ich ihm, daß ich Soldat bin und – sobald ich Befehl habe, am 17. Oktober einzurücken, eben einrücke, auch dann, wenn ich genau weiß, daß ich am 18. falle und am 19. der Krieg aus ist...Wenn wir aber bis jetzt durchgehalten haben, so ist es ein Verbrechen, im letzten Augenblick auszuspannen und sich dem Feind auszuliefern. Da heißt es die Zähne zusammenbeißen und durchkämpfen, ob`s einem nun gefällt oder nicht.“709

Pölzer dachte ebenfalls nicht ans Aufgeben, wenn auch aus anderen Gründen: „Ich dachte nicht an Not und Tod und Wunden und Gefangenschaft, ich dachte nur an die Schmach, wenn sie dann beim Bataillon erzählten, daß ich es gewesen sei, unter dessen Kommando die Stellung verlorengegangen sei. Nur daß nicht, um Gotteswillen, nur daß nicht! Die Angst davor war ärger wie jedes Todesbangen.“710

Differenzierter stellte sich dieses Narrativ von militärisch-tapferen Heldentum in Erich Mayrs Tagebüchern dar. Mayr setzte die richtungsweisenden Worte „Mit Gott für Kaiser und Vaterland“711 an den Beginn seiner Tagebücher, verließ sich dabei hauptsächlich auf sein tiefgehendes Gottvertrauen, um den eigenen Truppen, die „als treues Opfer“712 für das Vaterland kämpften, beizustehen: „Bald werden die lieben Heimatberge wieder im Glanz ihrer

705 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 313. 706 Ebd., S. 55. 707 Gallian, Monte Asolone, S. 42. 708 Ebd. 709 Ebd., S. 125 f. 710 Pölzer, Isonzo, S. 17. 711 Mayr, Tagebücher, S. 355. 712 Ebd., S. 211. 109

Freiheit strahlen. Gott vergelte es ihnen, die diese Freiheit mit ihrem Blut erkaufen.“713 Er selbst hingegen „danke Gott für das große Glück, hier in der Reservedeckung sitzen zu können, für das große Glück, dass er mich auch heute so treu behütet hat“.714 Die Hervorhebung von soldatischer Tapferkeit, Selbstaufopferung und Heldentum in den Kriegstagebüchern war ein Versuch der Kriegsteilnehmer, dem Massensterben der k.u.k. Soldaten an den Fronten einen höheren Sinn zu verleihen. Besonders in der ersten Zeit nach Kriegsausbruch wurde die Vorstellung eines schnellen, schmerzfreien und schönen Heldentodes – hauptsächlich für die Angehörigen – hochgehoben. Erst in der zweiten Kriegshälfte bröckelten das Bild und die Phrase vom idealisierten heroischen Kämpfer.715 Gegen Ende des Krieges war auch Werner „kalt und gefühllos, wenn vom Krieg und seinem Heldentum in Phrasen oder mit Spott gesprochen wird“.716 Diese Desillusionierung und Ernüchterung drückte sich auch in Pölzers Bericht von seinen Tagen am Isonzo aus: „Mich dünkt, das Gefasel von Mut, Todesverachtung, Zähigkeit und Tapferkeit ist, wenn es für solche Lagen, in welcher wir uns befanden, gebraucht wird, ein arger Blödsinn. Lächerlich als ob der Mensch in solchen Augenblicken Herr seiner selbst wäre. Es ist hier der Drill und der militärische Gehorsam, die zum Instinkt geworden sind und der Zorn, des Menschen beste und höchste Kraft, die ihn aufrechterhalten und zum Handeln veranlassen.“717

Zwar spielte für Pölzer „die individuelle Veranlagung des Einzelnen“718 eine Rolle, vorrangig waren hingegen die militärische Disziplin und damit auch die Ausbildung der Soldaten. Zivilisten mussten sich an den militärischen Drill und ein Leben als Soldat erst gewöhnen. Schneider merkte in seinen Erinnerungen an, dass unter den Soldaten zwar „gewiß brave, und beispiellos geduldige“ Soldaten waren, aber „sie waren nicht so ausgebildet, wie es notwendig gewesen wäre. Manche konnten nicht einmal ordentlich schießen und kannten die Praxis des Stellungskrieges nicht“.719 Den Mangel an ausgebildeten, kriegserfahrenen Ersatzmannschaften bei den Truppen bemerkte auch Pölzleitner, der „verwöhnte, unselbständige Muttersöhnchen“720 an der Front sah. Ähnlich stellte sich diese Situation bei Gallian dar: „Also

713 Ebd., S. 329. 714 Ebd., S. 211. 715 Isabelle Brandauer, „Süss und ehrenvoll ist der Tod fürs Vaterland“. Von Männlichkeit und Heldentum, in: Front – Heimat. Tirol im Ersten Weltkrieg, hrsg. v. Wolfgang Meighörner/Claudia Sporer-Heis, Innsbruck 2015, S. 56–73, hier S. 58–60. 716 Werner, Kriegstagebuch, S. 135. 717 Pölzer, Isonzo, S. 13. 718 Ebd. 719 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 413. 720 Pölzleitner, Landsturm, S. 141. 110

fast die Hälfte der Mannschaft 19jährige Frontrekruten, nur halb ausgebildet, davon ein Großteil physisch dem Frontdienst kaum gewachsen!“721 Männlich-militärische Krieger, wie sie die Autoren oben beschrieben, sahen da ganz anders aus. Für den Berufsoffizier Schneider war der Krieg und das Militär zusammenfassend eine „Schule“, die ihn als Mensch und Mann geformt haben: „Man ist im Kampf zum reifen Mann geworden, der entschlossen ist, alles von sich zu werfen, wenn man es von ihm fordert.“722 Eine andere Lehre hatte Gallian aus dem langen und entbehrungsreichen Krieg gezogen: „[…] von der Schulbank weg ins Feld, die schönste Jugendzeit dahin […].“723 Der Krieg raubte jungen Männern wie ihm, Jahre ihres Lebens und ließ „neunzehnjährige Jungen, körperlich und seelisch gebrochen“724 zurück. Im Großen und Ganzen bestätigen die herangezogenen Quellen, dass besonders das Bürgertum, zu dem hier fast alle genannten Autoren gehörten, den militärischen Wertekanon von Pflichterfüllung, Opferbereitschaft und Tapferkeit im Kampf durchwegs aufgenommen und in ihren Erinnerungen Resonanz gefunden haben. Doch einige Autoren, etwa Pölzer und Werner, durchschauten im Krieg die sinnleeren Phrasen von „heldenmutigen Kriegern“, die in den größten Gefahrenmomenten nicht an ihr eigenes Leben dachten. Zudem findet sich in den persönlichen Aufzeichnungen, die nicht für eine spätere Publikation angefertigt wurden, wesentlich weniger Aufnahmebereitschaft eines Soldatenbildes, das strikt diesen militärischen Normen entsprach. Spezifische militärische Männlichkeitsideale wurden somit erst in der Nachkriegszeit, wie der Mythos von Gebirgskriegern, zum großen Teil von der Kriegsliteratur mitgetragen und konstruiert. Beschrieben die Soldaten in ihren Erinnerungen männlich-militärische Krieger, die mit allen Tugenden ausgestattet waren, stand jedoch auch das komplett gegenteilige Bild vom „Helden“ oftmals im Vordergrund.

6.2. Die Untugenden eines Soldaten

6.2.1. Desertion und Strafen

Um einen Krieg zu gewinnen, waren der Gehorsam und die Disziplin der Truppe für das Armeeoberkommando wesentlich. Befehle mussten, auch wenn sie von den Mannschaften nicht immer verstanden wurden, eingehalten werden. Der Gehorsam der Militärtruppen galt als

721 Gallian, Monte Asolone, S. 132. 722 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 420. 723 Gallian, Monte Asolone, S. 97. 724 Ebd., S. 178. 111

wichtigster Garant und Voraussetzung für das „Funktionieren“ einer Armee.725 Sich unerlaubt von seiner Einheit zu entfernen galt als Desertion, bzw. Fahnenflucht. Viele Armeen sahen in der Desertion eine Bedrohung der Soldatendisziplin und Moral. Daher wurde bei Deserteuren bisweilen die volle Härte des Militärstrafgerichts angewandt.726 Selbst verfängliche Bemerkungen wurden teilweise hart geahndet, wie ein Tagebucheintrag von Wegl beweist: „Ein Jäger wurde erschossen, weil er sich geäußert hatte, er werde sich ergeben. 2 Infant.[eristen] wegen Verweigerung eines Befehles standrechtlich erschossen.“727 In solchen Fällen wurde das Militärstrafgesetz rigoros angewandt. Verbrechen der „Feigheit“ wurden mit harten Disziplinarmaßnahmen, in einigen Fällen sogar mit dem Tod bestraft. Wer sich also der Gefahr im Krieg entzog, weil er um sein Leben fürchtete, konnte dabei durchaus den Tod durch die eigene Armee finden.728 Für Österreich-Ungarn sind die durchgeführten Todesurteile in der Armee nicht lückenlos überliefert, allerdings wurden von den Feldstandgerichten 737 Todesstrafen vollstreckt.729 Einen solchen Fall schilderte Pölzleitner: „Am 27. Juli hatte das Baon die unangenehme Aufgabe, einen Ruthenen zu henken, der im Nachbarabschnitt desertiert und wieder eingebracht worden war. […] Der Deserteur wurde in die Feldwachenlinie gebracht und auf freier Wiese gehenkt. An seinem Halse hing eine Tafel. Auf derselben stand in italienischer Sprache der Grund der Hinrichtung.“730

In seinem zweitem Kriegsbuch erinnert sich Pölzleitner genauer: „Darauf stand in italienischer und slawischer Sprache: 'So straft Österreich seine Verräter.'“731 Die Zurschaustellung des Hingerichteten folgte einem klaren Zweck: „Über eine Woche baumelte die Leiche am Galgen, sie sollte den auf italienischer Seite kämpfenden Überläufern als Abschreckung dienen, zugleich auch unsere Slawen vor ähnlichen Gelüsten bewahren.“732 Für Pölzleitner gehörte dieses Erlebnis „zu den peinlichsten Eindrücken, die wir aus der langen Kriegszeit mit nach Hause nahmen“.733 Einen aufsehenerregenden Fall von Desertion und Verrat hielt wiederum Pölzleitner in seinen Erinnerungen fest. Ein slowenischer Oberleutnant namens Ljudevit Pivko (1880–1937) nahm im Sommer 1917 an der Südfront bei Carzano Kontakt mit den Italienern

725 Cole/Hämmerle/Scheutz, Glanz, S. 26. 726 Christoph Jahr, Desertion in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn 2014, S. 435–437, hier S. 435. 727 Wegl, Kriegstagebuch, S. 16. 728 Hanisch, Männlichkeiten, S. 18. 729 Christoph Jahr, Militärgerichtsbarkeit, in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn 2014, S. 715–716, hier S. 716; Vgl. Hanisch, Militärstrafrecht, S. 313-338. 730 Pölzleitner, Landsturm, S. 199. 731 Pölzleitner, Berge, S. 293. 732 Pölzleitner, Landsturm, S. 200. 733 Ebd. 112

auf und ließ ihnen Pläne für einen Angriff auf die österreichischen Stellungen zukommen.734 Ein tschechischer Mitverschwörer meldete schließlich seinen Vorgesetzten Pivkos Verrat, allerdings genoss dieser einen hervorragenden Ruf und die Sache wurde als zu unglaubwürdig eingestuft, sodass Pivko jeglichen Verdachts freigesprochen wurde.735 Auch Pölzleitner erinnerte sich „daß er bei seinen Vorgesetzten als bester und verläßlichster Baonsoffizier galt“.736 In der Nacht vom 17. auf den 18. September gelang es Pivko und seinen Mitstreitern, die eigene Kompanie mit Opium in den Lebensmitteln zu betäuben und den Italienern den Weg freizumachen. Der italienische Angriff erfolgte jedoch zu zögerlich, stieß auf hartnäckigen Widerstand und schlug schlussendlich fehl.737 Pivko konnte sich in letzter Minute zu den italienischen Linien retten, wurde dort allerdings vom italienischen Militär verdächtigt, es in eine Falle gelockt zu haben und vor ein Kriegsgericht gestellt.738 Pölzleitner hingegen erkannte retrospektiv schon Anzeichen für Pivkos Verrat. So wurde er bei den Truppen wegen seines „schmeichlerischen Wesens und seiner 'Augendienerei' immer unangenehmer“ und Pölzleitner und seine Kameraden „ahnten schon damals seinen inneren Kern […]“.739 Einen „verräterischen“ Charakter bemerkte Pölzleitner rückblickend schon damals: „Pivko wand sich am Sief aalglatt durch den Kreis der Kameraden und trat mit forcierter Höflichkeit und Hilfsbereitschaft an sie heran, blieb uns jedoch immer fremd. […] Als ich zehn Jahre später diese Verrätereien erfahren hatte, da wurde mir manches damals merkwürdig erscheinende Ereignis verständlich und manche überraschende Beschießung erklärlich.“740

In einer Untersuchung der Tiroler Militärgerichtsbarkeit von Oswald Überegger stand die Desertion mit 21,5 % der gesamten Urteile an erster Stelle, gefolgt von Diebstahl (16,2 %), Nichtbefolgung eines militärischen Einberufungsbefehls (9,6 %) und eigenmächtige Entfernung von der Truppe (6,2 %).741 Das stützte auch österreichweite Zahlen, welche die Desertion mit 29 % an erster Stelle setzten.742 Desertion war in der k.u.k. Armee ein Massenphänomen, mit dem sich die Militärführung unaufhörlich konfrontiert sah.743 Die Gründe für das Verlassen der Truppe waren dabei vielschichtiger und meist privater Natur.

734 Richard Georg Plaschka, Avantgarde des Widerstands. Modellfälle militärischer Auflehnung im 19. und 20. Jahrhundert, Bd. 1 (Studien zur Politik und Verwaltung 60), Wien-Köln-Weimar 2000, S. 356–358. 735 Ebd., S. 361. 736 Pölzleitner, Landsturm, S. 116. 737 Plaschka, Avantgarde, S. 362–364. 738 Ebd., S. 364. 739 Pölzleitner, Landsturm, S. 116. 740 Pölzleitner, Berge, S. 155. 741 Oswald Überegger, Militärgerichtsbarkeit, in: Katastrophenjahre. Der Erste Weltkrieg und Tirol, hrsg. v. Hermann J. W. Kuprian/Oswald Überegger, Innsbruck 2014, S. 421–437, hier S. 426. 742 Hanisch, Männlichkeiten, S. 35. 743 Ebd., S. 36. 113

Heimweh und die lange Trennung von Familie, aber auch Unzufriedenheit und Kriegsmüdigkeit waren die größten Beweggründe, wobei die Propaganda der Gegner, welche die Soldaten zum Überlaufen überredete, eine wichtige Rolle spielte. In der Habsburgerarmee sahen sich vor allem die Angehörigen ethnischer Minderheiten aus politischen Gründen mit dem Vorwurf der „Untreue“ konfrontiert, wurden daher auch schärfer beobachtet und bestraft.744 Pölzleitner machte auch diese Beobachtung als drei Mann, „natürlich Ruthenen“745, aus seinem Bataillon desertierten. Dieses Ereignis hatte gleichsam moralische Auswirkungen auf den Rest der Mannschaft, das sie „recht enttäuschte und deprimierte.“746 Zugleich empfand er Verständnis gegenüber den Deserteuren: „Wollte man aber gerecht sein, so mußten wir uns sagen, daß die Galizianer ganz gewiß einen schweren Standpunkt hatten; sie kämpften für ein Land, von dem sie losstrebten, und niemand von den deutschen Chargen und Offizieren verstand ihre Sprache […].“747 Trotz der relativ hohen Anzahl von Deserteuren, wurde das Strafmaß in vielen Fällen abgeschwächt. Die militärische Devise lautete aus pragmatischen Gründen kurze, aber verschärfte Strafen, damit die dringend benötigten Männer nicht zu lange dem Kriegsdienst fernblieben.748 Entgingen so manche Deserteure dem sicheren Tod durch den Strang, mussten sie dafür allerdings harte Strafen erleiden, wie Wegl in seinem Tagebuch festhielt: „Ein Landsturmarbeiter, ein echtes Wiener Früchtl, ist uns vor 14 Tagen entlaufen. Bei der scharfen Kontrolle, die jetzt geübt wird, kam der Strolch nicht weit. Hat eine empfindliche Strafe zu gewärtigen, da er uns schon einmal in Sopramonte durchgebrannt ist. Er wurde damals in Wien aufgegriffen und unter sicherer Bedeckung wieder zur Kompanie gebracht.“749

Doch nicht immer empfand Wegl Nachsicht mit Deserteuren: „Peinlich berührt hat mich die Nachricht, dass heute Nacht 2 Kaiserjäger (Südtiroler) u.[nd] ein Telephonist (Tscheche) zum Feind desertiert sind. Solch erbärmliche Lumpen können durch ihre Aussagen unberechenbaren Schaden anrichten. Derartige Burschen gehören an den Galgen!“750 Überläufer, die dem Feind wertvolle Informationen liefern konnten, waren für Wegl besonders verachtenswert: „Solch ein Schurke ist über alles informiert und kann uns daher riesig [sic!] schaden. Habe ihn selbst

744 Jahr, Desertion, S. 436. 745 Pölzleitner, Landsturm, S. 125. 746 Ebd. 747 Ebd. 748 Überegger, Militärgerichtsbarkeit, S. 428. 749 Wegl, Kriegstagebuch, S. 45. 750 Ebd., S. 108. 114

gekannt und hätte ihm das nie zugetraut. Leider Gottes ist der Schuft ein Deutscher!“751 Der Vorfall bezeugte, dass auch Wegl der vielverbreiteten Vorstellung folgte, die deutschen Truppen wären die verlässlichsten der Armee.752 Dieser Eindruck beruhte auf dem und verstärkte sich durch den großen Anteil von tschechischen und ruthenischen Deserteuren, die sich nicht mit der Vielvölkermonarchie identifizieren konnten und wollten. In diesem Fall spielte die politische Motivation einen zusätzlichen Faktor hinsichtlich der Desertion.753 Identitäts- und Loyalitätskonflikte gab es etwa bei den Polen, Ruthenen (Ukrainern) und Tschechen, die in der k.u.k. Armee dienten.754 Die Alliierten nutzten diese Konflikte für sich und stellten eigene Kampfverbände, sogenannte „Legionstruppen“ aus Überläufern auf. Die größte davon war die Tschechoslowakische Legion, die sich aus 76.832 kriegsgefangenen Soldaten zusammensetzte.755 Tschechen wurden insbesondere verdächtigt, sich dem Feind anzuschließen, da sie nicht nur vereinzelt, sondern wie im April 1915 sogar große Teile des Infanterieregiments Nr. 28, in etwa 1.800 Mann des Prager „Hausregiments“, zu den Russen desertierten.756 Schlechtes Wetter, kaum Versorgung und Nachschub trübten die schon angespannte Stimmung bei dem tschechischen Regiment. Ein russischer Angriff und Feuer von der eigenen Seite brachte Verwirrung in die Reihen der Soldaten, sodass sich viele in einer Flucht nach vorne kampflos den Russen ergaben.757 Als Exempel für andere Truppenverbände wurde das Infanterieregiment Nr. 28 aufgelöst, was sowohl Beifall, als auch Unruhen im Militär- und Zivilbereich auslösten.758 Dieser Vorfall blieb vielen k.u.k. Offizieren, wie Schneider, schmerzlich in Erinnerung: „[…] denn in der vergangenen Winterzeit hatten sich die Desertionen zum Feind mehr gehäuft, ja in den letzten Wochen war ein ganzes tschechisches Infanterieregiment zum Feind übergelaufen.“759 Durch Propaganda sollten weitere tschechische Soldaten aus der Habsburgerarmee zum Überlaufen überzeugt werden.760 Josef Werner gelangte in den Besitz eines italienischen Propagandaflugzettels, der die slawischen Völker zum Seitenwechsel aufrief und meinte dazu:

751 Ebd., S. 112. 752 Rauchensteiner, Weltkrieg, S. 363. 753 Ebd. 754 Wolfram Dornik, Der „überlagerte“ Krieg. Österreichisch-ungarisch Soldaten im „Osten“ 1914–1918 ff., in: Erster Weltkrieg. Globaler Konflikt – lokale Folgen, Neue Perspektiven, hrsg. v. Stefan Karner/Philipp Lesiak (Veröffentlichungen des Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung 27), Innsbruck 2014, S. 95– 104, hier S. 99. 755 Frank Hadler, Tschechoslowakei, in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn 2014, S. 929–930, hier S. 929. 756 Rauchensteiner, Weltkrieg, S. 315. 757 Plaschka, Avantgarde, S. 352. 758 Ebd., S. 354. 759 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 285. 760 Dornik, Krieg, S. 99. 115

„Welch ein schrecklicher Zwiespalt, der hier aufgetan wurde in der Menschen Seele!“761 Dass für Deserteure, die für den Feind kämpften, von österreichischer Seite wenig Gnade zu erwarten war zeigt ein Vorfall, der von Werner festgehalten wurde: „[…] eine ganze Allee behängt mit tschechoslowakischen Legionären, die gefangen genommen worden sind. – Ein scheußlicher Anblick! Viele tragen eine Tafel: tschechoslowakische Legionäre, früher unsere Soldaten. – Einen Teil der Hinrichtungsszene, die ich heute sehen konnte, verschweige ich lieber.“762

Derartige Hinrichtungen von tschechischen Legionären waren keine Einzelfälle.763 In Italien wurden, ähnlich wie in Russland, tschechische Kriegsgefangene und Überläufer in einem tschechoslowakischen Freiwilligenverband unter Führung italienischer Offiziere aufgenommen und 1918 in das italienische Heer integriert.764 Wie mit solchen Legionären, die von der österreichisch-ungarischen Armee aufgegriffen wurden, verfahren wurde, zeigt sich in Werners Tagebuch, als man die Gefangenen in Italiener und Tschechen sortierte. Ein gefangener Offizier verriet sich durch eine unbedachte Äußerung an seinen Diener selbst als Tscheche und „wurde als erster füsiliert“.765 Werner hielt fest: „Mit Abscheu wandten wir uns vor dieser grauenhaften Szene ab – auch hier gilt: nur nicht denken, wenn dies auch schmerzt.“766 Erst nachdem die italienische Seite verlauten ließ, sie würden ihren österreichischen Gefangenen die gleiche Behandlung zukommen lassen, wie den tschechischen Legionären, wurde die „Allee des Grauens durch Beerdigung der Gehenkten beiseite geschafft“.767 Für Werner war sie „unerträglich, obwohl begreiflich“.768 Pölzleitner berichtete, dass er und weitere dienstfreie Offiziere in Trient als Richter und Verteidiger bei einem Feldgericht ausgewählt wurden: „Unsere Kriegserfahrung kam uns sehr zustatten. Manches Urteil konnten wir dadurch mildern.“769 Richter, die wie Pölzleitner selbst an der der Front waren, verringerten das Strafmaß oftmals, da sie die Kriegsrealität und Erlebnisse der Soldaten besser nachvollziehen konnten, als Militärgerichte im Hinterland. Ein Großteil der Verstöße gegen das Militärrecht wurde jedoch disziplinarisch geregelt, ohne Militärrichter.770

761 Werner, Kriegstagebuch, S. 123. 762 Ebd. 763 Plaschka, Avantgarde, S. 179 f. 764 Ebd., S. 286. 765 Werner, Kriegstagebuch, S. 125. 766 Ebd. 767 Ebd. 768 Ebd. 769 Pölzleitner, Landsturm, S. 48. 770 Hanisch, Männlichkeiten, S. 36. 116

Eine der berüchtigtsten Strafen in der k.u.k. Armee bildete dabei das „Anbinden“ der Soldaten. Die Vorderarme des zu bestrafenden Mannes wurden am Rücken gekreuzt, die Handflächen nach oben zeigend und die Arme mit den Unterschenkeln in Spangen angebunden.771 Wegl war mehrmals Zeuge solcher Disziplinarmaßnahmen: „Heute gab es ein widerliches Schauspiel: einer unserer Arbeiter wurde wegen Ungehorsam 2 Stunden angebunden. Die erste Viertelstunde lachte er, dann wurde er ernst und zum Schlusse rannen ihm Tränen über die Backen. Morgen bekommt er dieselbe Portion Strafe, hoffentlich ist er für immer geheilt.“772

Das „Anbinden“ als eine Warnung gegen weitere Verletzungen der Militärordnung, wie etwa Trunkenheit, war für Wegl durchaus legitim: „Der Mann wird an einen Baum gebunden. […] Im nächsten Augenblicke lässt ihn der Kadett wieder abbinden – war nur ein Schreckschuss! Ganz nach meinem Wunsche. Der Mann verspricht, sich nie mehr zu betrinken.“773 Als er selbst ein solches Strafmaß an zweien seiner Leute durchführen musste, sorgte er dafür, „dass die Schelme nicht allzu stramm angehängt wurden. Hoffentlich ists eine heilsame Medizin!“774 Das „Schließen in Spangen“ war ein weiteres schmerzvolles Strafmaß, bei welchem der rechte Vorderarm mit dem linken Unterschenkel in einer Spange angebunden wurde und man in dieser Position bis zu sechs Stunden ausharren musste.775 Wiederum zeigte Wegl, dass solche Bestrafungen oft Verwendung fanden: „Es macht sich seit einiger Zeit ein böser Geist unter den Leuten bemerkbar! 3 Arbeiter gehen in kriegsgerichtliche Untersuchung nach Trient. Hoffentlich wirkt diese Maßregel heilsam auf die andern. Vor allem sind es die Tschechen, die immer wieder durch Trunkenheit und Renitenz Anlass zu Beschwerden geben. Geldstrafen und Lohnreduzierungen fruchten bei dieser Sorte von Leuten nicht viel. Der Arrest ist vollauf besetzt. Als Zubuße erhalten die Burschen 6 Stunden Spangen pro Tag.“776

Für Wegl sollten diese Maßnahmen vor allem zur Abschreckung für andere Soldaten dienen, er war jedoch von der rücksichtslosen Anwendung dieser Strafen, die er bei anderen Offizieren beobachtete, nicht überzeugt: „An den Waldbäumen vor dem Lager sind 2 Bosniaken

771 Christa Hämmerle, „…dort wurden wir dressiert und sekiert und geschlagen…“. Vom Drill, dem Disziplinarstrafrecht und Soldatenmisshandlungen im Heer (1868 bis1914), in: Glanz-Gewalt-Gehorsam. Militär und Gesellschaft in der Habsburgermonarchie (1800 bis 1918), hrsg. v. Laurence Cole/Christa Hämmerle/Martin Scheutz (Frieden und Krieg. Beiträge zur Historischen Friedensforschung 18), Essen 2011, S. 31–54, hier S. 37. 772 Wegl, Kriegstagebuch, S. 51. 773 Ebd., S. 83. 774 Ebd., S. 118. 775 Hämmerle, Drill, S. 37. 776 Wegl, Kriegstagebuch, S. 34 f. 117

angebunden. Mit schmerzverzerrten Gesichtern hängen sie in den Stricken. Unwillkürlich frage ich mich: muss das sein?“777 Das „Anbinden“ oder das Schließen in „Spangen“, beides sehr schmerzhafte Strafen, zogen schon in der Vorkriegszeit immer wieder Kritik auf sich. Im Krieg wurden sie in verhältnismäßig großem Ausmaß und schon bei kleinsten Vergehen angewandt.778 Aber auch gegen vermeintliche Simulanten wurde das „Anbinden“ als Drohung verwendet, wie Wegl berichtete. Da sich wegen chronischer Unterernährung viele Arbeiter krank meldeten, wurden strikte Anweisungen gegeben, denn „wer bei der Visite als dienstfähig erklärt wird, soll 2 Stunden angebunden werden! Das wirkt ein wenig: nächsten Tag sind nur mehr 20 Marode. Einen davon bezeichnet der Arzt als Schwindler. Hilft also nichts, um 6h abends, nach getaner Arbeit, wird er an einen Baum gebunden. Schon nach einem Stündlein hat er genug. Am nächsten Tag nur 8 Marode, die sämtlich als krank anerkannt werden.“779

Verständnis für die Not der eigenen Soldaten zeigte Pölzleitner in seinen Erinnerungen, als ein hungernder Soldat sich unerlaubterweise von der Truppe in der Nacht entfernte, um sich Nahrung zu besorgen: „Das Divisionskommando befahl nun strenge Bestrafung und Strafantragstellung. Ich ließ den Mann frei, denn er machte den besten Eindruck, und beantragte: Zwei Stunden Anbinden.“780 Die Durchführung der Strafe erfolgte dann laut Pölzleitner „nur der Form nach, um dem Befehl zu entsprechen. Ich ließ ihm einen vollen Meter Spielraum“.781 Für Pölzleitner zeigte diese Art der Bestrafung mehr Wirkung: „Nachdem die zwei Stunden vorüber waren, dankte er mit nassen Augen für die milde Behandlung und blieb ein treuer Kamerad.“782 Weniger Nachsicht für das gleiche Verbrechen erlebte Schneider an der Ostfront: „Das strenge Kriegsrecht verurteilte jeden Dieb zum Tode, und damals stahlen die Leute viel, weil sie hungerten. […] Aber der Richter durfte keine mildernden Umstände anerkennen, und so erschoß man sie, auch über die Selbstbeschädiger, deren Zahl ins Unheimliche wuchs, wurde ein furchtbares Strafgericht verhängt.“783

Selbstverstümmelung um der Front zu entgehen, stellte ein weiteres schweres Verbrechen dar und wurde scharf verfolgt784, wie Schneider berichtete: „Jeder Arzt konnte bei einer Wunde

777 Ebd., S. 97. 778 Hämmerle, Drill, S. 38–44. 779 Wegl, Kriegstagebuch, S. 121. 780 Pölzleitner, Berge, S. 294. 781 Ebd. 782 Ebd. 783 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 157. 784 Rauchensteiner, Weltkrieg, S. 280. 118

feststellen, ob der Mann sich selbst angeschossen hatte oder die Verletzung vom Feind herrührte. Wieder wurde zehnfach gemordet!“785 Eine solche maßlose Anwendung des Kriegsrechts waren besonders für die Mannschaftssoldaten schwer zu ertragen, die oftmals nur knapp dem Tod durch einen Offizier entkamen, wie Mayr erlebte: „Nicht viel hätte gefehlt, wäre heute früh ein Kamerad wegen Widersetzlichkeit gegen einen Oberen und Vorgesetzten erschossen worden. Nur auf Bitte des Objg. Waroscheck wird er nach dem Landwehrgericht in Graz eingeliefert.“786 Als Mayr selbst in die Rolle des Offiziers versetzt wurde, der über seine Truppe richten musste, sah er sich „leider schon gezwungen, einen Mann wegen Apfeldiebstahls zum Rapport zu bestimmen. Ich glaube, mir hat es mehr wehgetan als dem Mann selbst, der mich abends nach Befehlausgabe bat, die Bestimmung zurückzunehmen. Ich konnte aber das Gesagte nicht mehr zurücknehmen, wie schwer es mir auch wurde.“787

Bei der chronisch schlechten Verpflegung der Truppen war es auch für Gallian verständlich, dass manche Soldaten sich anderswo Lebensmittel besorgen mussten, auch wenn dies klar gegen die Militärvorschriften verstieß, wie er in einer Episode schilderte: „Erst einige Tage später hat mir mein schneidigster Zugführer unter Zusicherung der Straffreiheit und unter dem Siegel der Verschwiegenheit das Geheimnis anvertraut: Die braven Leute hatten einfach bei der Seilbahnstation einem bosnischen Tragtierführer Roß und Ladung, einige Konservenkisten, für bares Geld – und das gab`s ja oben – abgekauft.“788

Unter diesen Umständen fand Gallian keinen Grund seine Kompanie für ihr Handeln zu verurteilen: „Sind doch verflixte Kerle! Aber brave Soldaten, da läßt sich ein Auge zudrücken.“789 Für andere Verbrechen gegen die Militärordnung, die zum Nachteil der Kameraden und der Truppe reichten, blieben für viele Soldaten hingegen unverständlich.

6.2.2. Feigheit und Kameradschaft

Der Eintritt in das Militär und in den Kriegsdienst verlangte eine soziale Disziplinierung der Männer, die bereit waren für ein höheres Ziel ihr Leben herzugeben. Gehorsam und strengste Disziplin waren Anforderungen, welche die Armee an ihre Angehörige stellten und denen sie

785 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 157. 786 Mayr, Tagebücher, S. 129. 787 Ebd., S. 329. 788 Gallian, Monte Asolone, S. 72. 789 Ebd. 119

unbeirrt folgen mussten, um den Zusammenhalt und die Ordnung der Truppen zu gewährleisten.790 So schrieb auch Schneider: „Doch der Mann gehorchte, weil ihm die Pflicht anerzogen war, weil er den Gehorsam für selbstverständlich hielt.“791 Blinder Gehorsam konnte jedoch auch zu großen Verlusten in den Kämpfen führen: „Nahezu jeder Befehl wurde befolgt, den ein hoher Kommandant von weit rückwärts ausgab […]. Er wurde befohlen und bis zur Grenze der Möglichkeit durchgeführt, und dann hielten die Leute stand, bis nur wenige Überlebende zurückblieben […].“792 Durch den jahrelangen Kriegsdienst für die Schrecken des Krieges schon fast abgestumpft, gab es bei Pölzleitner und seinen Männern noch Zeugnisse von militärischem Gehorsam: „Wir sind zu Maschinen geworden, angetrieben von Disziplin, Pflichtbewußtsein und Selbsterhaltungstrieb. Wo ist die große herrliche Begeisterung, mit der wir 1914 einrückten?“793 Wurde hingegen jemand diesen soldatischen Ansprüchen nicht gerecht fand Pölzleitner klare Worte: „Ein Schuft, der sein erbärmliches Leben über die Heimat stellt! Das war der Geist, der uns damals beseelte!“794 Soldaten, die ihren militärischen Pflichten nicht nachkamen, wurden als Deserteure verfolgt, bestraft und als „Feiglinge“ diffamiert. Doch ein Soldat musste nicht unbedingt von der Front weg- und zum Feind überlaufen, um sich den Vorwurf der Feigheit einzuhandeln. Werner schrieb in seinen Erinnerungen des Öfteren von Soldaten und Offizieren, die dem Frontdienst auswichen: „Ich habe mit Leutnant Schmelz eine Auseinandersetzung, weil er sich vor dem Dienst in der Schwarmlinie drückt.“795 Seine Kameraden und Vorgesetzte zogen sich zuweilen harte Kritik von Werner zu: „Von meiner Einjährigen-Gruppe ist noch keiner zum Offiziersdienst zugelassen, vielleicht sind bei den anderen Batterien weniger Feiglinge, die mich befördert haben, um dem Dienst als Aufklärer zu entgehen.“796 Für einen Leutnant fand er harsche Worte: „Vor dem Dienst in der Schwarmlinie drückt er sich überhaupt und hat diese seit wir hier sind, noch nie gesehen – es sei denn, durch`s [sic!] Binokel.“797 Werner empfand seine Stellung bisweilen als sehr ungerecht, als Erzherzog Joseph Ferdinand (1872–1942) zur Inspektion in seinem Abschnitt kommen sollte: „Statt des Erzherzogs kommt ein rasender Artillerieüberfall. – Ersterer kommt nicht und mein Leutnant geht zurück. So sitze ich allein im Graben. Ich gebe zu, dass ich als Erzherzog oder selbst als Leutnant auch nicht in den Graben ginge bei solchem Feuer,

790 Ulrich Bröckling, Disziplin. Soziologie und Geschichte militärischer Gehorsamsproduktion, München 1997, S. 9 f. 791 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 241. 792 Ebd., S. 240. 793 Pölzleitner, Landsturm, S. 178. 794 Ebd., S. 121. 795 Werner, Kriegstagebuch, S. 29. 796 Ebd., S. 35. 797 Ebd., S. 41. 120

doch ist es nur schwer, gerecht zu sein gegen sie – unmöglich gerecht zu sein gegen das Schicksal.“798

Mayr, der als Offiziersdiener lange Zeit im Hinterland stationiert war berichtete über seinen Vorgesetzten und dessen geringe Bereitschaft ins Feld zu ziehen: „Herr Lt scheint keine besondere Lust zu haben. Vor kurzer Zeit bemerkte er mir gegenüber, er werde sich vor dem Abmarsch einen halben Tag auf den zugigen Abort setzen, damit er noch rechtzeitig ein[en] Blasenkatarrh bekommt. […] Mir scheint solch Reden eine bodenlose Feigheit und eine unverantwortliche Tat, wenn die geäußerte Absicht zur Ausführung gebracht wird.“799

Mayr konnte dies auf keinen Fall gutheißen: „Sehe ich aber, dass die Pläne des Herrn Lt gelingen, so werde ich rechtzeitig um Ablösung bitten. Ich mag nicht mitschuldig werden an einer feigen Furcht vor der Gefahr.“800 In ihren Erinnerungen bemühten sich die Autoren jeglichen Verdacht auf eigene „feigen“ Handlungen von sich zu weisen, wie etwa Pölzleitner während eines feindlichen Artillerieangriffes: „Ich stand im Schützengraben, aufrecht; denn in diesen ersten Kriegstagen galt es noch als Feigheit, sich zu ducken.“801 Selbst wenn die Situation äußerst bedrohlich war, wollte Pölzleitner „nicht feige erscheinen“ und machte sich „an die gefährliche Aufgabe“.802 Pölzer dachte ähnlich, selbst in den schwierigsten Stunden des Krieges: „Die Stellung zu verlassen kam mir nicht in den Sinn. Auskneifen – nein – um den Preis des Lebens auch nicht.“803 Unter Feindfeuer zog es Werner hingegen vor, „Deckung zu nehmen, obwohl gerade Brigadier Oberst Haller und der Divisionär-General bei uns sind. Letzterem wird sehr heiß und so geht er. Haller hält wie immer aus ohne sich zu decken“.804 Schneider sah, dass die Verluste durch die blutigen Kämpfe stetig stiegen und „auch beim Kommando wurde die Zahl der Offiziere täglich kleiner.“ Der größte Grund darin lag in den vielen Krankheitsfällen. Schneider meinte dazu: „Doch selbst die Kränksten sah man nicht mit Neid, sondern eher mit etwas Verachtung weggehen. Ich glaubte, daß der Kranke, solange er sich überhaupt aufrecht halten [sic!] kann, auf seinem Platz bleiben müsse.“805 Dieser Glaube

798 Ebd., S. 46. 799 Mayr, Tagebücher, S. 83. 800 Ebd. 801 Pölzleitner, Berge, S. 26. 802 Ebd., S. 108. 803 Pölzer, Isonzo, S. 33. 804 Werner, Kriegstagebuch, S. 64. 805 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 190. 121

hinderte Schneider später jedoch nicht daran, selbst auch krankgeschrieben zu werden, da er die Kriegsstrapazen nicht mehr aushielt.806 Die Todesnachrichten von vielen Bekannten und Freunden im Krieg ließen hingegen bei Mayr den Neid für die nicht-kämpfenden Männer im Hinterland wachsen: „Andererseits höre ich wieder, wie so mancher meiner Kollegen, die vom Militärdienst befreit sind, sein junges Glück in ein eigenes Heim führt, sich sein Nest baut und dort glücklich ist. Ich gönne es ihnen allen von Herzen, kann mich aber eines bitteren Gefühles nicht erwehren, dass das Schicksal mit mir so hart fährt und mich schmachten lässt in meinem Heimweh und meiner Sehnsucht.“807

Für Soldaten, die sich vom Frontdienst in eine sichere Stellung im Hinterland entheben ließen, verspürte er ebenso Verbitterung und ließ auch antisemitischen Vorurteilen seinen freien Lauf: „Lt Weill unseres Baon soll nächster Tage enthoben werden, als Hilfskraft zum Ernährungsminister. Er ist eben Jude u. hat seine Verbindungen; diese Rasse versteht es sich zu erhalten, um ihre Volksaussaugun[g]spolitik nach dem Kriege fortsetzen zu können. Meine Enthebung wird noch immer als ein Ding der Unmöglichkeit bezeichnet, ich bin eben nicht Israeliter u.[nd] es fehlen mir die gehörigen Verbindungen, dafür bleibt dem ehrlichen Bürger aber das Recht eingeräumt, als Held verbluten und eine trauernde junge Witwe zurücklassen zu dürfen […].“808

In der k.u.k. Armee dienten im Ersten Weltkrieg ca. 300.000 Männer jüdischen Glaubens.809 Im Laufe des Krieges radikalisierten sich zunehmend antisemitische Stereotypen und das Bild von jüdischen Soldaten, die sich vor dem Frontdienst drücken würden, verbreitete sich stetig unter Militärangehörigen, sodass die deutsche Heeresleitung 1916 eine Judenzählung im Heer durchführte.810 Die Erhebung, begleitet von heftigen Protesten jüdischer Vereine, erfasste die Anzahl der Juden im Kriegsdienst, in der Etappe und die Ausgemusterten proportional zur nicht-jüdischen Bevölkerung. Obwohl die Zählung nicht vollständig veröffentlicht wurde, und damit in der Nachkriegszeit antisemitische Vorurteile noch verstärkte, widerlegen Kriegsstatistiken das Bild von den Juden als „Drückebergern“. Der Großteil der jüdischen Soldaten kämpfte im Deutschen Reich an der Front.811 Dass jedoch berühmte jüdische Künstler und Schriftsteller auf sichere Posten im Kriegspressequartier oder im Kriegsarchiv, mithilfe ihrer Stellung und Beziehungen, versetzt wurden, trug nicht dazu bei antijüdische Vorstellungen im Militär abzubauen. Versuche von Seiten der Vereine und Zeitungen,

806 Ebd., S. 435. 807 Mayr, Tagebücher, S. 315 f. 808 Ebd., S. 380. 809 Erwin A. Schmidl, Juden in der k.(u.) k. Armee 1788–1918 (Studia Judaica Austriaca 11), Eisenstadt 1989, S. 5. 810 Ulrich Sieg, Antisemitismus, in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn 2014, S. 335–336, hier S. 335. 811 Ulrich Sieg, Judenzählung, in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn, 2014, S. 599–600. 122

besonders tapfere jüdische Kriegshelden diesen Ressentiments entgegenzusetzen, fiel auf wenig fruchtbaren Boden.812 Mayr, der den größten Teil seiner Kriegszeit im Hinterland verbrachte, wusste hingegen von seinem Glück nicht an der Front kämpfen zu müssen, meinte jedoch: „Freilich ehrenvoller wäre es, im Schützengraben zu kämpfen. Doch hat mich der liebe Herrgott auf diese Stelle versetzt und ich will da mein Bestes tun.“813 Gelegentlich machte er sich jedoch Gedanken, um seinen „Nutzen“ für den gesamten Kriegseinsatz: „Ich möchte nur wissen, für was mich der Kaiser zahlt. […] Ich kann nichts tun fürs liebe Vaterland und verträume hier die Zeit.“814 Bei Siegesmeldungen verspürte er durchaus den Wunsch „wieder mittun zu können“, und „in mir wühlt der Gedanke, mich freiwillig wieder an die Front zu melden“.815 Letztlich hielten ihn jedoch die Sorgen für Familie und Verlobte davon ab diesen Schritt zu gehen. Trotzdem machte er sich gelegentlich Selbstvorwürfe: „Ich schäme mich, unter diesen Umständen im Hinterland herumzutachinern [sic!]. In meiner Heimat und für meine Berge zu kämpfen wäre mir Glück.“816 Schneider, war er aus der direkten Frontlinie heraußen, bedrückte dies ebenso: „Ich schämte mich, noch rückwärts zu sitzen und einen Dienst zu versehen, den auch ein älterer als ich leisten konnte. Ich schämte mich, gut und bequem zu leben, während vorne alles Mangel litt […].“817 Pölzleitner wurde für einige Zeit als Skilehrer nach Innichen abkommandiert und war, ähnlich wie Mayr, mit Schuldgefühlen konfrontiert: „Oft litt ich an Selbstvorwürfen, nicht mit meiner ganzen Person der Heimat zu dienen und fand im Etappendienst keine Befriedigung, hatte nicht das Zeug dazu.“818 Seinen Dienst jedoch aufzugeben, kam für ihn dann doch nicht in Frage, denn er „hätte niemals eigenmächtig um Versetzung gebeten“.819 Die Etappe bezeichnete die Zone hinter der Front, in der die Organisation und der Nachschubdienst für das Kampfgebiet geregelt wurden. Für diesen Dienst wurden in der k.u.k. Armee Soldaten des Landsturms eingesetzt, die nicht vollständig kriegstauglich waren. Da sich die Arbeits- und Lebensbedingungen zwischen Front und Etappe deutlich unterschieden, bildete sich bei den Soldaten im Laufe des Krieges eine immer tiefer gehende Distanzierung zwischen den Militärtruppen.820

812 Schmidl, Juden, S. 82. 813 Mayr, Tagebücher, S. 196. 814 Ebd., S. 75. 815 Ebd., S. 270. 816 Ebd., S. 271. 817 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 253. 818 Pölzleitner, Berge, S. 102. 819 Ebd. 820 Bruno Thoss, Etappe, in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn 2014, S. 465. 123

Den eigenen Kriegsdienst fern von der Front zu leisten, stieß bei vielen Frontsoldaten auf Verbitterung und Ablehnung. Gallian etwa fand es unverständlich, „daß andere rückwärts sich gütlich tun, während wir hier seit Jahren im Dreck herumliegen.“821 Zwar verstand er die Notwendigkeit für einen funktionierenden Etappendienst, bei den steigenden Verlusten allerdings schwand das Verständnis bei den Frontsoldaten und machte einer empörten Abneigung Platz.822 Schneider beispielsweise betrachtete die Etappenoffiziere mit kritischem Auge: „Hier gab es zahlreiche Offiziere der Truppe und des Generalstabes, die seit Kriegsbeginn an dieser Stelle saßen, die nie einen Feind gesehen hatten, und auch sie glaubten, ihre Pflicht erfüllt zu haben; niemand dachte an eine Änderung seiner Stellung und dünkte sich für ungeheuer wichtig.“823

Um den Mangel an Ersatztruppen für die Front auszugleichen, wurden auch Soldaten, die, wie Wegl, ihren Kriegsdienst hauptsächlich am Schreibtisch im relativ sicheren Etappengebiet ableisteten, nochmals gemustert. Wegl selbst, obwohl fronttauglich ist „noch darausgeschlüpft“. Für ihn war es jedoch wichtig in seinem Tagebuch klarzustellen: „Nebenbei bemerkt, es liegt mir ganz ferne, mich drücken zu wollen.“824 In Pölzleitners erstem Kriegsbuch waren von Neid und Verbitterung hingegen keine Spur, als Offiziere seines Bataillons aufgrund ihrer Auszeichnungen ins Hinterland versetzt wurden: „Wir alle gönnten dem schneidigen und doch so bescheidenen Kameraden die Ruhezeit.“825 Gegen Ende des Krieges nahmen diese Versetzungen sogar zu, wie Pölzleitner berichtete: „Manche Offiziere gingen auf Studienurlaub oder ins Hinterland auf andere Posten.“826 Ohne jeglichen Groll, dass kurz vor dem Zusammenbruch so viele seiner Kameraden die Front verließen, schrieb er noch: „Die Übernahme eines Hinterlandpostens brachte ihnen nach so langer Frontdienstleistung die wohlverdiente Belohnung und Sicherheit.“827 Weiters schrieb Pölzleitner auch von den „Zuständen im Hinterland“ und vom „Eigendünkel mancher Offiziere der Etappe und des Hinterlandes“, hielt ihnen aber die Frontsoldaten, die „eigentliche Kriegerkaste entgegen, da sie nicht Tinte, sondern Blut für die Heimat opferten“.828

821 Gallian, Monte Asolone, S. 96. 822 Ebd. 823 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 212. 824 Wegl, Kriegstagebuch, S. 76. 825 Pölzleitner, Landsturm, S. 150. 826 Ebd., S. 203. 827 Ebd., S. 204. 828 Ebd., S. 203. 124

Trotzdem meinte er, „Front, Etappe und Hinterland müssen sich ergänzen und zusammenstehen“.829 Schon differenzierter beschrieb Pölzleitner hingegen in seinem späteren Kriegsbuch die Situation im Hinterland: „Voll Selbstbewußtsein schritten wir durch die Straßen und setzten dem Gehabe mancher Hinterlandsoffiziere den Stolz des Frontoffiziers entgegen. In dieser Einstellung bespöttelten wir jene 'Pfaue' und sahen in ihnen nur Soldaten zweiten Grades.“830 Die vielen Freistellungen vom Kriegsdienst sah er nun anders, denn: „Das Etappenheer war ohnedies schon zu bedrohlicher Größe angeschwollen […].“831 Bei dessen Anblick hielt er folgende Meinung fest: „Die meisten Etappenoffiziere zeigen blühendes Aussehen. Mindestens die Hälfte dieser Herren wäre felddiensttauglich und viele davon in der Etappe entbehrlich.“832 Diese Vorstellung teilten so einige seiner Kameraden, denn es wurden Beschwerden bei den Soldaten über die „Unzukömmlichkeiten der Etappe“833 für die Militärführung gesammelt. Das Ergebnis spiegelte die weitverbreitete Unzufriedenheit der Frontsoldaten wieder, nämlich, „daß die Etappe auf Kosten der Fronttruppen besser lebe, als ihr zustände“.834 Dass diese Ansichten einen wahren Hintergrund hatten, bestätigte etwa Mayr, der in Triest stationiert war und dort in den Genuss vieler kleiner Bequemlichkeiten des Hinterlandes kam, welche seinen Kameraden an der Front fehlten: „Nach alldem darf es nicht wundernehmen, wenn ich mir im Unklaren bin, ob ich im Krieg oder auf einer Kur im Süden bin. Entschieden sprechen die bisherigen Erlebnisse und Tatsachen eher für letztere Vermutung.“835 Das Verhältnis zum Hinterland hatte sich in der Kriegszeit, laut Gallian, stark verändert: „Früher, da ging es noch, da hatte man wenigstens ein wenig Anerkennung, da waren wir die 'Helden' – heute lacht man uns aus, daß wir 'noch immer' herausen sind.“836 Diese Entfremdung zwischen Front und Hinterland bekam auch Werner bei seinem Urlaub zu spüren: „Gerade der Spott und andere demoralisierende Propaganda finde ich verstärkt und fühle mich ausgeschlossen von den Ansichten und Absichten der Heimat.“837 Auf Urlaub fühlte sich Pölzleitner, angesichts der Not, die in der Heimat herrschte, fremd: „Ich fühlte mich im Hinterlande nicht mehr wohl. Und meine Gedanken wanderten zu meiner Kompagnie. Das Hinterland aber war ausschließlich mit sich selbst beschäftigt.“838 Schneider, der an der Ostfront

829 Ebd.. 830 Pölzleitner, Berge, S. 91. 831 Ebd., S. 165. 832 Ebd., S. 272 f. 833 Ebd., S. 300. 834 Ebd. 835 Mayr, Tagebücher, S. 192. 836 Gallian, Monte Asolone, S. 96. 837 Werner, Kriegstagebuch, S. 135. 838 Pölzleitner, Berge, S. 290. 125

kurz nach Krakau musste, erlebte die „Andersartigkeit“ des Etappengebietes: „Man fühlte sich wie von einer Zauberhand weit vom Kriege fortgezogen. […] Ein ganz neues, mir gänzlich fremd gewordenes Leben pulste um mich, wie aus einem Traum schien es in die Wirklichkeit versetzt.“839 Selbst unter Kameraden in der Etappe fühlte sich Schneider deplatziert: „Hier konnte ich mich nicht wohl fühlen, auch in meinem Zimmer nicht, denn das Leben war mir so fremd geworden, und ich begriff es nicht, daß das Leben hier ohne jede Änderung weiter gehen konnte. […] Und so fühlte ich mich schließlich wie in diese Stadt verbannt, von meinem gewohnten Milieu losgerissen, mit zerrissenen Kleidern und vom Ungeziefer gemartert.“840

Die Verständnislosigkeit des Hinterlandes und seiner Bevölkerung machte auch Werner zu schaffen, der an der Front eine Karte seiner Schwester bekam: „[…] mit herzlichen Grüßen von einem 'lustigen Tanzstundenabend'! Ich bin darüber sehr verbittert.“841 Im Urlaub konnten viele Soldaten auch den Krieg nicht vergessen, wie Pölzleitner schilderte: „Bei jedem Geräusche, bei jedem Heulen des Windes will ich mich unwillkürlich ducken. Gehe ich an einem Straßengraben vorbei, kommt mir ganz ungewollt der Gedanke, das gäbe ja eine prächtige Deckung. Und jeden Hügel betrachte ich mit den Augen des Frontsoldaten und überlege, ob sein Hang doch steil genug wäre, einem Unterstand ausreichend Schutz zu bieten. Mit all meinen Sinnen bin ich immer auf den Krieg eingestellt.“842

Werner konnte selbst im Urlaub seine Erlebnisse nicht an der Front zurücklassen: „Endlich im Zug sitzen und alles hinter sich vergessen – ja wenn das so leicht wäre – das Schwerste von all dem da draußen werde ich nicht los und es wohnt jetzt so in mir, als ob ich draußen wäre. So ist auch mein Blick verändert.“843 Die Front wurde somit für viele Männer zu einer neuen, zweiten Heimat, da sich die Soldaten dort durch ihre gemeinsamen Erfahrungen und Erlebnisse im Kreise ihrer Kameraden besser verstanden fühlten.844 Werner, der sich nichts sehnlicher wünschte als Urlaub, empfand diese Zerrissenheit: „Ich halte meinen Urlaubsschein in Händen und empfinde plötzlich fast ein Heimweh nach hier, wo ich noch nicht abgereist bin.“845 Pölzleitner fühlte wenig Bedauern am

839 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 211. 840 Ebd., S. 212. 841 Werner, Kriegstagebuch, S. 31. 842 Pölzleitner, Berge, S. 91. 843 Werner, Kriegstagebuch, S. 135. 844 Jason Crouthamel, Deutsche Soldaten und „Männlichkeit“ im Ersten Weltkrieg, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 64 (2014) Heft 16-17, S. 39–45, hier S. 42. 845 Werner, Kriegstagebuch, S. 53. 126

Ende seines Urlaubes: „Urlaubsende! Einrücken zur Front. Es fiel nicht so schwer, denn der Kriegsdienst war mir bereits zum zweiten Berufe geworden, zur Selbstverständlichkeit.“846 Durch die lange Abwesenheit von Frauen und Familie gingen viele Soldaten enge emotionale Bindungen ein, auch als Reaktion auf die Belastungen des Krieges, die somit eine Art „Ersatzfamilie“ für die Männer an der Front bildeten.847 Mayr, generell ein Einzelgänger, versuchte durch den Krieg hindurch einen gleichgesinnten Kameraden im Militär zu finden und war bedrückt, als sein Freund abkommandiert wurde: „Nun habe ich wieder einen Kollegen verloren, der mich verstanden hätte. […] Schwer wurde mir der Abschied von ihm, meinem treuen Kollegen aus der Schwarmlinie.“848 Er selbst hoffte bald wieder jemanden zu treffen, „an dem ich einen guten Kriegskameraden finden kann. Man ist ja hier so froh um eine treue Seele, die einen versteht“.849 Pölzleitner ertrug selbst die schrecklichsten Erlebnisse im Krieg mithilfe seiner Kampfgefährten: „Die Aussprachen mit den Kameraden erleichterten das Herz.“850 War er längere Zeit von seinem Bataillon entfernt schrieb er: „Dann packte mich Sehnsucht nach meinen Kameraden.“851 Werner war froh in der Heimat einen Kameraden, der selbst auf Urlaub war, an seiner Seite zu haben, musste jedoch gegen Schuldgefühle ankämpfen: „Ich habe nun Hugo hier, dem brauche ich nichts zu sagen, alle anderen quälen mich – immer scheint es mir, als hätte ich die draußen im Feld schmählich verlassen.“852Auch Pölzleitner suchte die Nähe von Soldaten in der Heimat: „Den größten Teil meines Urlaubes verbrachte ich im Kreise von Kameraden. Bei ihnen fand ich gleiche Interessen, obwohl sie allen Berufen und Ständen entstammten. Doch sie gehörten der Front.“853 Die gemeinsamen Erfahrungen und Gefahrenmomente konnten unter gleichgestellten Soldaten oftmals soziale und kulturelle Gegenseitigkeiten aufheben.854 So schrieb Kreisler, als er zu seiner Truppe kam, dass die Offiziere einen Umgang pflegten, „ohne Rücksicht oder Bezugnahme auf Rang, Vermögen oder Stand im Privatleben“.855 In Kreislers Aufzeichnungen war besonders in den ersten Kriegstagen unter den Soldaten kaum etwas von militärischer Förmlichkeit zu spüren: „Ein großer Mantel der Brüderlichkeit schien alle und alles zu umhüllen, sogar militärische

846 Pölzleitner, Berge, S. 253 f. 847 Thomas Kühne, „…aus diesem Krieg werden nicht nur harte Männer heimkehren“. Kriegskameradschaft und Männlichkeit im 20. Jahrhundert, in: Männergeschichte – Geschlechtergeschichte. Männlichkeit im Wandel der Moderne, hrsg. v. Thomas Kühne (Geschichte und Geschlechter 14), Frankfurt a. M. 1996, S. 174–192, hier S. 186. 848 Mayr, Tagebücher, S. 150. 849 Ebd. 850 Pölzleitner, Berge, S. 156. 851 Ebd., S. 102. 852 Werner, Kriegstagebuch, S. 54. 853 Pölzleitner, Berge, S. 290. 854 Kühne, Kriegskameradschaft, S. 177 f. 855 Kreisler, Tosens, S. 39. 127

Rangunterschiede waren damals nicht so offenkundig, denn die Offiziere machten ihre Mannschaften zu Freunden und wurden wiederum von ihnen verehrt.“856 Eine solche „Brüderlichkeit“ unter Soldaten jeglichen Ranges lässt sich hingegen in Werners Erinnerungen nicht finden: „Mein Ersuchen an Salei, mich abzulösen, lehnt er mit der Begründung ab, dass er als Fähnrich einen Feuerwerker nicht ablöst. Diese Überheblichkeit leistet er sich, weil er von meiner Beförderung nichts weiß […]. Über Meldung an das Brigade-Kommando muss mich dieser Affe noch in dieser Nacht ablösen und er erscheint mit der Absicht sich durch Arroganz an mir zu rächen. Es ist mir ein besonderes Vergnügen, meine Goldborten aus der Tasche zu ziehen und mich lachend zu entfernen.“857

Eine harmonische allumfassende Frontkameradschaft kann hier nicht nachgewiesen werden. Zwischen den verschiedenen Truppenkörpern war es ebenso schwer einen „wahren Kameradschaftssinn“858 zu entwickeln, wie Pölzleitner berichtete: „Die Artilleristen unseres Abschnittes hatten eben in ihren sicheren Kavernen noch nie so schwere Zeiten erlebt wie wir, doch nur aus letzter Not erhebt sich strahlend der wunderbare kameradschaftliche Geist.“859 In einer hierarchisch streng strukturierten Organisation, wie es das Militär war, nahmen in dieser imaginierten Ersatzfamilie von Frontkameraden die Offiziere meist die Rolle des Vaters und die einfachen Mannschaftssoldaten die der Kinder an.860 Werner beschrieb so etwa einen Oberst: „Sein freundlicher Ernst, der besonders gegenüber der Mannschaft oft väterlich wirkt, schafft ihm überall Freunde – trotz seiner ziemlich unerbittlichen Strenge.“861 Wegl schilderte einen solchen „väterlichen“ Offizier, der sich fürsorglich um seine Truppen kümmerte: „Oberleutnant U. war uns ein humaner Vorgesetzter, der stets bestrebt war, für das Wohl der ihm anvertrauten Leute nach Kräften zu sorgen. Der zu weit gehenden Ausnutzung der Arbeiter setzte er stets kräftigen Widerstand entgegen, selbst auf die Gefahr hin, nach oben hin missliebig zu werden.“862

Von einem jüngeren Vorgesetzten befehligt zu werden, war für ihn indessen eine unangenehme Erfahrung: „Kadett Berger hat mir zwar nichts in den Weg gelegt, aber es ist gewiss nicht angenehm, einem jungen Mann von 19 Jahren untergeordnet zu sein! Das fällt mir schwer und

856 Ebd., S. 40. 857 Werner, Kriegstagebuch, S. 51. 858 Pölzleitner, Berge, S. 291. 859 Ebd. 860 Oswald Überegger, Erinnerungskriege. Der Erste Weltkrieg. Österreich und die Tiroler Kriegserinnerung in der Zwischenkriegszeit (Tirol im Ersten Weltkrieg. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft 9), Innsbruck 2011, S. 100. 861 Werner, Kriegstagebuch, S. 51. 862 Wegl, Kriegstagebuch, S. 93. 128

das wird mir auch nicht mehr in Fleisch und Blut übergehen und sollte der Krieg noch ein Jahr dauern!“863 Eine „vertikale Kameradschaft“, also zwischen höheren Offizieren und einfachen Mannschaftssoldaten entsprach nicht der Kriegsrealität, auch wenn dies in der späteren offiziellen Kriegsgeschichte öfters dargestellt wurde.864 Gallian fühlte diese Distanz und Ausgrenzung zwischen den Rängen besonders in den schweren Stunden des Krieges: „Im stillen [sic!] beneide ich meine Leute. Die haben es doch noch leichter, sind wenigstens immer beisammen wie in einer großen Familie und finden aneinander noch einigen Halt, während der Offizier gerade in kritischen Stunden auf sich allein angewiesen ist. Der militärische Dienstbetrieb, die notwendige Manneszucht setzt da, soll das Gefüge der Armee nicht im entscheidenden Augenblick bersten, gewisse Grenzen, die zu einer Zurückhaltung zwingen, die verflucht schwer werden kann; manchmal tut es doch wohl, sein Herz ausschütten zu können, sich bei anderen anhalten und aufrichten zu können.“865

Die Armee verbot ihren Offizieren ausdrücklich den privaten Umgang mit ihren Mannschaften.866 Die Grenzen zwischen den verschiedenen Diensträngen bekam auch Werner von einem Leutnant zu spüren, mit dem er einen zu privaten Verkehr pflegte: „Er meint es schadet seinem Prestige, wenn ich, sei es auch privat, als Kadettenaspirant mit ihm als 'Leutnant' so spreche.“867 Ein vertrauliches und freundschaftliches Verhältnis zu Untergeordneten war für die Offiziere eine „Verletzung der Ehre“, wobei diese strikte Trennung zwischen den Soldaten während des Krieges ein hohes Aggressionspotenzial in der Armee barg.868 Die Kameradschaft als militärische Soldatentugend wurde vor allem in den Kriegserinnerungen der Nachkriegszeit symbolisch überhöht.869 Auch in Österreich wurde die Frontkameradschaft in der Zwischenkriegszeit als politischer Mythos propagiert.870 Anzeichen dafür finden sich etwa bei Gallian, der angesichts des unvermeidlichen Zusammenbruches der Armee schrieb: „Denn seinen politischen Sinn hat ja dieser letzte Kampf verloren; er gilt nur mehr dem, was wir in den langen Kriegsjahren als Höchstes und Hehrstes schätzen gelernt haben: Der Kameradschaft!“871 Pölzleitner schloss sich dieser Sinndeutung des Krieges an: „Der Krieg brachte entsetzliches Leid. Doch etwas Wunderbares schenkte er uns: Treue Kameradschaft,

863 Ebd., S. 84. 864 Überegger, Erinnerungskriege, S. 101 f. 865 Gallian, Monte Asolone, S. 44. 866 Deák, Offizier, S. 127. 867 Werner, Kriegstagebuch, S. 41. 868 Hanisch, Männlichkeiten, S. 23. 869 Thomas Kühne, Kameradschaft, in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn 2014, S. 602–603, hier S. 603. 870 Überegger, Erinnerungskriege, S. 99. 871 Gallian, Monte Asolone, S. 198. 129

die erst mit dem Tode endet. Eine Kameradschaft, voll des strahlenden, aufopfernden Menschentums, wie sie das Friedensleben nie gewähren könnte.“872 Dieses positiv konnotierte Kriegserlebnis verhalf vielen Soldaten auch negative Erfahrungen in den Hintergrund zu drängen. In den Erinnerungen der Kriegsveteranen bekam die Kameradschaft auch deswegen einen so hohen Stellenwert, da sie eine Reaktion auf die Gegenwartsprobleme der Nachkriegszeit waren.873 Gesellschaftliche, soziale und politische Umbrüche nach 1918 verunsicherten viele Zeitgenossen, dabei hatte dieses Kameradschaftskonstrukt hauptsächlich für das nationale-bürgerliche Milieu eine hohe Ausstrahlungskraft.874 In der Nachkriegszeit wurde diese Idee von der Schützengrabengemeinschaft von den Nationalsozialisten zu einer „harten martialisch- männlichen“ Kameradschaft umgewandelt und in das Zivilleben integriert.875 In den hier untersuchten Quellen ist hingegen weitgehend die Tendenz zu einer „weichen familienähnlichen“ Kameradschaft zwischen Frontsoldaten zu erkennen, wie sie auch von deutschen Soldaten nach dem Zweiten Weltkrieg wahrgenommen und empfunden wurde.876 Gefühlsausbrüche, Gewaltmomente und auch unsoldatische Tugenden, waren ein weiteres wichtiges Spezifikum in den Kriegserinnerungen.

6.2.3. Todessängste, Gewalt und das Töten

Im Angesicht des Todes durften viele Soldaten die eigene Angst nicht zeigen, wie Pölzleitner schrieb: „Nur mit Aufbietung aller Willenskraft schritt ich an der Spitze meiner Kompagnie bergwärts, mußte ihr beispielgebend sein, obwohl mir ganz elendig zumute war.“877 Den eigenen Soldaten als Vorbild dienen, spielte auch für Kreisler im Schützengraben eine wichtige Rolle: „Ich war so nervös, wie alle waren, obwohl ich mein Bestes tat, um unbefangen zu wirken;“878 Schneider fühlte ebenso die Pflicht und Verantwortung für seine Untergebenen ein Vorbild zu sein, besonders unter feindlichem Feuer: „Ich kann weder vor noch rückwärts, denn knapp hinter mir, aber durch eine Welle gedeckt, steht die Batterie, der ich ein Beispiel geben muß, und daher bin ich gezwungen, in dieser Lage auszuharren.“879 Selbst unter den schlimmsten Bedingungen, galt es sich nicht der Todesangst hinzugeben, wie Pölzleitner in

872 Pölzleitner, Berge, S. 175. 873 Überegger, Erinnerungskriege, S. 104. 874 Kühne, Kameradschaft, S. 603. 875 Kühne, Kriegskameradschaft, S. 176 f. 876 Ebd., S. 188. 877 Pölzleitner, Berge, S. 146. 878 Kreisler, Tosens, S. 66. 879 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 296. 130

seinem Kriegsbuch vermerkte: „Es war nur Selbstbeherrschung, Willensanspannung und das Bewußtsein, seiner Umgebung einen gefestigten Eindruck zeigen zu müssen, die darüber hinwegbrachten.“880 Inmitten eines Gasangriffes versuchte auch Gallian seine Angst unter Kontrolle zu halten: „Meine Gedanken jagen wie irrsinnig herum, ich könnte aufheulen, kann mir dabei doch nichts anmerken lassen...“881 Solche Angstmomente und die allgemeine Furcht vor dem Krieg konnten und durften die Männer nicht offen oder vor anderen zeigen, da sie die Soldatenmoral und Disziplin gefährdeten.882 Pölzer, der mit seiner Kompanie nachts stundenlang in einer schlammigen Deckung vor feindlichem Beschuss ausharren musste, beschrieb folgenden bezeichnenden Dialog zwischen seinen Männern: „Neben mir sagt einer: 'Du, Unterjäger, i halts neama aus'. 'I a nit'. Weiter oben einer. 'Halt die Pappn', sag ich ihm, 'du muaßt. I muaß a'. […] Mir ist aber selber schon zum Heulen.“883 Werner, der als Artillerieaufklärer in einer exponierten Stellung war, entkam nur knapp dem sicheren Tod und wurde sich erstmals der eigenen Sterblichkeit bewusst: „Ich kann meine Erregung jetzt noch nicht meistern, als es bereits Nacht ist und ich im Unterstand schreibe. Es ist nicht so sehr die Todesgefahr gewesen, sondern vielmehr mein inneres Entsetzen darüber, dass ich nicht bereit zu sterben war […].“884 Noch viel drastischer schilderte Gallian seine Ängste: „Angst vor dem Tode? Dabei denkt man nur: 'Schluß!, irgend einen Schuß um zurück zu können – oder wenn es schon sein soll, Volltreffer, Kopfschuß. Aus! Weg!' Nur heraus aus dieser Hölle – nur das nicht länger mitmachen müssen…“885 Ängstliche Vorahnungen äußerte auch Mayr in seinen Aufzeichnungen: „Bange Gedanken quälen mich immerfort. Ich kann mir nicht denken, dass ich mit heiler Haut aus diesem Krieg daraus kommen kann. Ich fürchte das Schlimmste.“886 Angst im Krieg konnte selbst der mutigste Soldat empfinden, auch wenn dies mit dem Bild vom tapferen männlichen Helden nicht vereinbar war. Übermächtige Angst wurde vom Militär nicht immer als emotionalen Zustand, sondern mitunter als Charakterschwäche, als Feigheit, angesehen.887 Männliche Tapferkeit war mit einer soldatischen Angst nicht vereinbar und galt

880 Pölzleitner, Landsturm, S. 24. 881 Gallian, Monte Asolone, S. 172. 882 Kuzmics/Haring, Emotion, S. 470. 883 Pölzer, Isonzo, S. 8. 884 Werner, Kriegstagebuch, S. 28. 885 Gallian, Monte Asolone, S. 98. 886 Mayr, Tagebücher, S. 354. 887 Zumindest in der deutschen Kriegspsychatrie und Armee; Differenzierter waren etwa französische und russische Kriegspsychiater, die soldatische Angst in einer Neu-Definition von Heldentum miteinbezogen. Siehe Michl/Plampler, Soldatische Angst, S. 214. 131

bisweilen als unehrenhaft.888 Fern der Heimat und seinen Liebsten vertraute Mayr seinem Tagebuch seine innere Verzweiflung an: „[…] drückend und belastend liegt auf mir das Bewusstsein meiner unmännlichen Willensschwäche, die mir nicht gestattet, mich solch trüber Gedanken zu erwehren.“889 Schwer fiel ihm auch der Abschied von seiner Braut nach dem Kriegsurlaub: „Gut, dass sie nicht hineinsehen konnte in mein Herz, wo eine bange schwarze Ahnung mich völlig um die eiserne Fassung zu bringen drohte.“890 In einem solch „menschenverachtenden“ Krieg hielt auch Gallian fest: „Der Krieg ist ein rauhes [sic!] Handwerk und läßt für Sentimentalitäten keine Zeit.“891 Pölzer hingegen fiel bei der bloßen Erinnerung an die schrecklichen Erlebnisse, die er im Krieg erfahren hatte „das Herz in die Hose. Ich schäme mich nicht darüber. Verurteile mich einer, wenn er mutiger zu sein glaubt“.892 Die Körper der Soldaten waren von diesen Schrecken und Strapazen gezeichnet, wie Pölzleitner berichtete: „Verwittert, lederartig ihr Antlitz, in das Entbehrungen, Todesangst und Ruhelosigkeit ihre tiefen Kerben gezogen hatten.“893 Die langen und harten Kriegsjahre, welche auch seelisch für viele Soldaten schwer auszuhalten waren, brachten selbst Gallian an die Grenze seiner Belastungskraft: „Da oben habe ich einmal geheult, vor ohnmächtiger Wut, Verzweiflung, oder weiß ich was – Dann wird man ruhig, apathisch – und wenn der Gegner anstürmt, verbeißt man sich in ihn, schießt, haut, sticht – ja beißt und würgt wie ein rasend gewordenes Tier…“894 Häufig war eine emotionale Distanzierung vom schrecklichen Geschehen während der Gefechte, die einzige Art zu überleben. Erst in den ruhigen Momenten des Krieges kamen etwa bei Pölzer „auch das Grausen, die Todesangst, die Verzweiflung“895 wieder zurück. Die Gewalt von und an den Soldaten führte teilweise zu einer wahren „Verrohung“ vieler Kriegsteilnehmer, welche nicht mehr mit dem Bild von einem soldatischen Krieger in Einklang stand. In den Kriegserinnerungen war dabei oftmals die Rede von einer „Rückkehr“ zu einem „primitiven Urzustand“ des Menschen im Krieg. Kreisler beschrieb die Gewalt im Krieg als eine Freisetzung „sämtliche[r] in der menschlichen Seele ruhenden, primitiven, urtümlichen Kräfte“ und durch die kräftezehrenden Aufgaben wurde man zum „Vorzeitmensch und nähert sich in unglaublich kurzer Zeit dem Höhlenbewohner“.896 Der tagelange Mangel an Nachschub

888 Michl/Plampler, Soldatische Angst, S 224, 241. 889 Mayr, Tagebücher, S. 316. 890 Ebd., S. 365. 891 Gallian, Monte Asolone, S. 176. 892 Pölzler, Isonzo, S. 14. 893 Pölzleitner, Landsturm, S. 115. 894 Gallian, Monte Asolone, S. 98. 895 Pölzer, Isonzo, S. 31. 896 Kreisler, Tosens, S. 78. 132

und Verpflegung ließ „eine gewisse Wildheit im Menschen“ erwachen, eine „absolute Gleichgültigkeit gegenüber allem in der Welt, außer der Pflicht zu kämpfen“.897 In einem mit modernen Waffen geführten Massenkrieg sah jedoch auch Schneider eine „vorzeitliche Wildheit“ in den Männern zum Vorschein kommen: „[…] es war ein stummer, beispiellos erbitterter Kampf Mann gegen Mann. Ein Kampf also, der in die Urform des Kampfes einer Vorzeit, die mit halbtierischen Menschen bevölkert war, zurücksank.“898 Gewalt wurde jedoch nicht nur gegen den Feind angewandt, sondern erreichte im Ersten Weltkrieg auch eine neue Dimension gegenüber der Zivilbevölkerung. In einer „Entgrenzung des Krieges“ wurden völkerrechtswidrige Kriegsverbrechen verübt.899 Kriegsgreuel wurden dabei als eine über die Maße einer „normalen“ Kriegsführung hinweg ausgeübte Gewalt an Wehrlosen, Zivilisten, Kriegsgefangenen oder Verwundeten angesehen.900 Plünderungen und Verwüstungen von ganzen Landstrichen und Ortschaften gingen besonders auf Kosten der Bevölkerung. In Pölzleitners Kriegsbüchern drückte sich diese „Plünderungssucht und Zerstörungswut“901, welche Soldaten in der italienischen Stadt Belluno nach dem Durchbruch bei Karfreit (ital. Caporetto, slow. Kobarid) im November 1917 ergriffen hatten, aus: „Unbeschreiblich dieser Eindruck. Ausgelöscht jedes Rechtsgefühl. Alle Geschäfte mit Soldaten vollgestopft. […] Eine unwiderstehliche Psychose hat alle ergriffen, gleichgültig, welcher Nation sie angehören.“902 Jegliche soldatische Disziplin schien in diesem Moment aufgelöst zu sein: „Uralte Instinkte regen sich zur Kriegszeit im Menschen. Vernichtungstriebe kommen zum Vorschein, die jahrtausendelang im Innern geschlummert. Aus der grauen Vorzeit stammen sie, da Aufblühen und Gedeihen des einen Vernichtung und Untergang des andern bedeutet hatte.“903

Nach der 12. Isonzoschlacht und dem Rückzug der italienischen Armee zum Tagliamento und Piave, wurden vom k.u.k. Heer, aufgrund der eigenen Versorgungskrise, rigorose Requirierungsmaßnahmen und drastische Plünderungen im italienischen Besatzungsgebiet durchgeführt.904 Die ausgehungerten österreichisch-ungarischen Soldaten fielen regelrecht über

897 Ebd., S. 79. 898 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 336. 899 Oswald Überegger, „Verbrannte Erde“ und „baumelnde Gehenkte“. Zur europäischen Dimension militärischer Normübertretungen im Ersten Weltkrieg, in: Kriegsgreuel. Die Entgrenzung der Gewalt in kriegerischen Konflikten vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, hrsg. v. Sönke Neitzel/Daniel Hohrath (Krieg in der Geschichte 40), Paderborn 2008, S. 241–278, hier S. 247. 900 Alan Kramer, Kriegsgreuel, in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn 2014, S. 647–648, hier S. 647 901 Pölzleitner, Landsturm, S. 165. 902 Pölzleitner, Berge, S. 232. 903 Ebd., S. 232 f. 904 Überegger, Dimension, S. 276. 133

die Lebensmittel und Vorräte der Einheimischen her und durch den kurzzeitigen Überfluss wurde besonders viel vergeudet und verschwendet. Im folgenden Jahr gelang es der österreichischen Besatzungsmacht und Verwaltung nicht, die Versorgungslage für Heer und Bevölkerung ausreichend sicherzustellen.905 Schneider erlebte solche Vorgänge und die Auswirkungen auf die eigene Mannschaft: „Jetzt im Überfluß verlor sie [die Mannschaft] jeden moralischen Halt. In Gruppen lagen die Leute neben der Straße und schliefen ihren Weinrausch aus. […] Hier wurde nichts anderes als nur Beute mitgeschleppt.“906 Empört und entsetzt berichtete Schneider über die von einer „sinnlosen Wut“ überfallenen Soldaten: „Infamste Barbarei waren die letzten Auswüchse der allgemeinen Zerstörungs- und Plünderungswut, welche die Menschen jetzt ergriffen hatte.“907 War die Erbeutung von notwendigen Lebensmitteln noch verständlich, konnte Schneider die Zerstörung von privatem Besitz der Zivilbevölkerung und Kulturgütern nicht begreifen: „Es ist überhaupt nicht zu ermessen und niemals zu ersetzen, was in diesen Wochen an Werten zerstört wurde.“908 Das destruktive Verhalten der eigenen Armee ließ Schneider tief betroffen zurück: „Beispiellose Verbrechen wurden hier begangen. Ich war gezwungen, mich zu fragen: Haben wir überhaupt diesen großen Sieg verdient? Sind wir seiner würdig?“909 Diese Zerstörungswut konnte sich jedoch auch gegen Menschen richten, wie Schneider zusammenfasste: „Etwas Düsteres begann sich in diesen Tagen zu entwickeln. Wie wenn der Überdruß und der Ekel über vergossenes Blut ins Gegenteil umschlagen wollte, begann jetzt eine allgemeine Lust am Morde sich zu zeigen.“910 Und diese „Lust zu morden“ richtete sich gegen „harmlose Zivilisten“.911 Manche Offiziere machten sich einen „besonderen grausamen Spaß“912 daraus, auf feindliche Soldaten zu schießen. Mit „bestialischer Lust“913 etwa schossen Pölzer und seine Männer in die gegnerische Menschenmasse. Töten und Kämpfen gehörten zum Beruf des Soldaten. So gestand der Berufsoffizier Schneider: „[…] ich habe den Krieg immer gewünscht, bewußt gewünscht und bewußt erwartet seit Jahren.“914 Aber die einberufenen Männer, die in ihrem Zivilleben niemals eine Waffe geführt

905 Sandra Sartorelli, Provinz Belluno 1917/18. Besatzung und Militärverwaltung durch Österreich-Ungarn, in: Ein Krieg – Zwei Schützengräben. Österreich-Italien und der Erste Weltkrieg in den Dolomiten 1915-1918, hrsg. v. Brigitte Mazohl-Wallnig/Hermann J. W. Kuprian/ Gunda Barth-Scalmani, Innsbruck 2005, S. 391–405, hier S. 393. 906 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 492. 907 Ebd., S. 498. 908 Ebd. 909 Ebd. 910 Ebd., S. 157. 911 Ebd., S. 255. 912 Ebd., S. 268. 913 Pölzer, Isonzo, S. 18. 914 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 325. 134

haben, mussten sich dieser Tatsache der alltäglichen und kollektiven Gewalt erst stellen. Kreisler erinnerte sich sehr präzise an den ersten Soldaten, den er im Krieg fallen sah: „Ich konnte nicht fassen, dass dies das Ende war […] es schien unglaublich, dass er nun tot hingestreckt dalag.“915 Die Konfrontation mit dem massenhaften Sterben in den eigenen Reihen, der Tod von Kameraden und Freunden spornten einige Soldaten zum Griff nach der Waffe an, um Rache am Feind zu nehmen.916 Pölzer drückte diesen Zorn gegen den Feind in seinen Aufzeichnungen aus: „Ich brannte vor Wut über diese Banditen!“917 Gerade im Gefecht konnte diese Wut für den eigenen Kampfeswillen nützlich sein: „Hier lernte ich zum ersten Male die Gewalt des Zorns kennen.“ Ein „Haß“ und „Zorn“, der mit „solch tierischer Gewalt“ losbrach, ließen Pölzer einen feindlichen Angriff entgegentreten und abwehren.918 Rache und Vergeltung an dem Feind stellten zugleich eine moralische Rechtfertigung für das Töten dar. In diesem Narrativ wurden die „Täter“ selbst zum „Opfer“ und der Feind zum bloßen Objekt enthumanisiert, den es auszuschalten galt.919 Dave Grossmann untersuchte verschiedene Faktoren, welche Männer und Soldaten im Krieg zum Töten animieren konnten. Die moralische Rechtfertigung, wobei die Kriegsschuldfrage eine große Rolle spielte, konnte etwa das Töten erleichtern.920 War der Feind der Aggressor und Kriegstreiber, wurde das eigene Handeln, das Morden und Töten gerechtfertigt. Diese Legitimation ist auch in Pölzleitners Kriegserinnerungen zu lesen, der zwar meinte: „Schrecklich dies Morden […]“, und im nächsten Absatz schrieb: „Und weiter geht das Strafgericht.“921 Der industrialisierte Krieg und seine Massenvernichtungswaffen erzeugten ein „unwirkliches Massensterben“922, in welchem der Gegner meist unsichtbar blieb und aus der Distanz getötet wurde.923 Schneider, der einen russischen Schützengraben besuchte, welcher auf seinem Befehl hin beschossen worden war, sah die Auswirkungen seines Handelns jedoch ganz genau: „Das

915 Kreisler, Tosens, S. 54. 916 Ferguson, Krieg, S. 331; Dave Grossmann, Eine Anatomie des Tötens, in: Massenhaftes Töten. Kriege und Genozide im 20. Jahrhundert, hrsg. v. Peter Gleichmann/Thomas Kühne (Frieden und Krieg. Beiträge zur Historischen Friedensforschung 2), Essen 2004, S. 55–104, hier S. 88. 917 Pölzer, Isonzo, S. 11. 918 Ebd., S. 12. 919 Aribert Reimann, Wenn Soldaten vom Töten schreiben – Zur soldatischen Semantik in Deutschland und England, 1914 – 1918, in: Massenhaftes Töten. Kriege und Genozide im 20. Jahrhundert, hrsg. v. Peter Gleichmann/Thomas Kühne (Frieden und Krieg. Beiträge zur Historischen Friedensforschung 2), Essen 2004, S. 307–319, hier S. 313–315. 920 Grossmann, Anatomie, S. 75 f. 921 Pölzleitner, Berge, S. 80. 922 Werner, Kriegstagebuch, S. 53. 923 Reimann, Soldaten, S. 307. 135

waren meine Opfer – und ein seltsames Gefühl beschlich mich wieder: ich hatte auf sie geschossen, und ich wurde selbst beschossen.“924 Für das Töten des Feindes brauchte es also Rechtfertigungsstrategien, die das eigene Handeln im Krieg erleichterten und der kollektiven Gewalt eine sinnstiftende Wirkung gaben.925 In manchen Situationen jedoch wurde aus einem sanktionierten Töten ein grausames Morden unter den Soldaten, welches definitiv als Kriegsgreuel und Verstoß gegen die Haager Landkriegsordnung einzustufen war. Auf Gefangene und Verwundete zu schießen, war in der Haager Landkriegsordnung Artikel 23 ausdrücklich verboten.926 Aus militärstrategischer Perspektive waren Gefangene bei einem schnellen Vorstoß jedoch hinderlich und die Befehle an die Soldaten machten dies auch klar.927 Werner erlebte einen solchen Fall am Piave mit: „Die Gefahr im Rücken angegriffen zu werden, macht es unmöglich Gefangene zu betreuen – so werden alle getötet ehe noch die Situation zu erfassen ist. Die Tat verdrängt alle Gedanken – traurige Arbeit, die alles vorwärts treibt.“928 Vor einer ähnlichen Situation standen Pölzer und seine Kompanie, als verwundete Italiener vor ihren Gräben lagen: „Retten konnten und durften wir sie nicht.“929 Durch Schüsse hätten sie ihre Stellung verraten, deshalb griffen einige Soldaten zu anderen Methoden: „Der Böhm nahm einen Stein in die Hand und hämmerte damit einem, der am meisten schrie, so lange am Schädel herum, bis er schwieg.“930 Ein kleiner Prozentsatz von Soldaten, so argumentiert Grossmann, hatte eine wesentlich niedrigere Hemmschwelle zum Töten, als andere. Für diese „geborenen Kämpfer“ war der Krieg die perfekte Legitimation ohne Reue und Skrupel zu töten.931 Einen solchen Mann konnte Pölzer im obigen Fall beobachten: „Der Jäger Pichler, in zivil seines Zeichens Schuster und achtmal wegen Gewalttätigkeit, Raufen und dergleichen ähnlicher Delikte vorbestraft, tat sein extra geschliffenes Bajonett vom Gewehr herunter und stach die übrigen tot. Ich mochte nicht hinschauen. Der Kerl war die roheste Bestie, die ich kannte. Schon in den Anfangsschlachten in Galizien tat er sich durch Grausamkeit und Virtuosität im Aufhängen von Verrätern hervor. Als Soldat war er sonst sehr tapfer und äußerst folgsam, als Kamerad riesig [sic!] gutmütig, lustig und treu. Keiner konnte ihm feind sein. Zu seiner grimmigen Freude

924 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 299. 925 Reimann, Soldaten, S. 319. 926 Abkommen, [http://www.1000dokumente.de/index.html?c=dokument_de&dokument=0201_haa&object=translation&st=23& l=de] 927 Überegger, Dimension, S. 258 f. 928 Werner, Kriegstagebuch, S. 109. 929 Pölzer, Isonzo, S. 19. 930 Ebd. 931 Grossmann, Anatomie, S. 89. 136

entdeckte er bei den toten Welschen, die er genau untersuchte, allerhand Schätze. […] Der fühlte keinen Hauch von der Scheußlichkeit des Augenblicks.“932

Einen Fall, wo sich Wut und Zorn auch gegenüber den eigenen Leuten entlud, schilderte wiederum Pölzer, der einen ungarischen Fuhrmann verprügelte, als dieser verwundete Soldaten, die auf seinem Wagen aufsitzen wollten, auspeitschte: „Ich fühlte eine Blutwelle in die Kehle steigen, die mir vor Wut wie zugeschnürt vorkam. Ich bin sonst nie jähzornig gewesen und war immer, wenn ich wirklich einmal wild wurde, sehr besonnen in meinem Zorn. Hier aber verlor ich mich völlig aus meiner Fassung.“ Pölzer steigerte sich regelrecht in einen Wutanfall hinein, denn: „Je mehr ich auf ihn einhieb, desto wütender wurde ich.“933 Als er schließlich von dem ohnmächtig gewordenen Mann abließ, fühlte er keinerlei Bedauern über diese Tat: „Mir ward nicht ein bißchen [sic!] bange vor dem, was ich da getan hatte, im Gegenteil, es kam ein Gefühl grenzenloser Befriedigung über mich.“934 Selbst in der Rückschau würde er genauso verfahren: „Heiße mich keiner, der das liest, einen rohen Menschen. Ein Jammerkerl, der an meiner Stelle anders gehandelt hätte. Noch heute fühle ich die aufrichtige Befriedigung über meine Handlungsweise.“935 Solche persönlichen Berichte über die Schrecken und Grausamkeiten des Krieges dienten, laut Joanna Bourke, als eine Möglichkeit mit der Zufälligkeit und Allgegenwärtigkeit des Todes fertig zu werden. Das Schreiben, in welcher Form auch immer, war somit eine Art der Soldaten, diesen erlebten und gelebten Horror zu verarbeiten und Worte für das Unaussprechliche zu finden.936 In den Kriegserinnerungen wurde diese kollektive Gewalt und die Praxis des Tötens textualisiert und anders als in den vorangegangenen europäischen Kriegen, auch wegen der neuen technologischen Dimension des Ersten Weltkrieges, welche solche hohen Todeszahlen verursachten, wurden sie zu einem gesellschaftlichen Massenthema.937

932 Pölzer, Isonzo, S. 19. 933 Ebd., S. 25. 934 Ebd., S. 26. 935 Ebd. 936 Joanna Bourke, Auge in Auge mit dem Feind. Das Töten von Angesicht zu Angesicht in den Kriegen des 20. Jahrhunderts (1914 – 1975), in: Massenhaftes Töten. Kriege und Genozide im 20. Jahrhundert, hrsg. v. Peter Gleichmann/Thomas Kühne (Frieden und Krieg. Beiträge zur Historischen Friedensforschung 2), Essen 2004, S. 287–306, hier S. 300 f. 937 Reimann, Soldaten, S. 307. 137

7. Fazit

Der Erste Weltkrieg endete für viele Soldaten mit dem Zusammenbruch der habsburgischen Armee im November 1918 oder mit der Rückkehr aus der Gefangenschaft. Die Erlebnisse und Erinnerung daran konnten sie jedoch nicht zurücklassen und hielten diese entweder während des Krieges schriftlich fest oder verarbeiteten sie aus einer zeitlichen Distanz. In dieser Masterarbeit wurde nun anhand der hier untersuchten Kriegstagebücher erstens, die Kriegserfahrungen der Soldaten mithilfe der eingangs vorgestellten Kriterien analysiert und stellenweise, wo dies möglich war, verglichen. Zweitens, wurden die Vorstellungen einer militärischen Männlichkeit im Krieg kritisch hinterfragt. Das Ergebnis der Untersuchung zeigt nun, dass sich das Männlichkeits- und Soldatenbild der Männer im Krieg verändert hat. Durch den Einsatz neuer Waffentechnologien verwandelten sich die Kriegsfronten zu Massenschlachten. Dieser verheerende Vernichtungskrieg gegen Mensch und Maschine setzte nicht nur der Nervenkraft der Soldaten zu, sondern ließ auch die Vorstellung von einem kurzen und leicht zu gewinnenden Krieg verblassen. Viele männliche Erwartungshaltungen an den Krieg wurden nicht erfüllt und ließ die Soldaten bis Ende des Krieges desillusioniert und resigniert zurück. Aus den Kriegsberichten geht fast einstimmig hervor, dass in erster Linie die Nervenkraft für einen „männlichen“ Soldaten in diesem Krieg von ausschlaggebender Bedeutung war. Die psychischen Belastungen und die Bewältigungsstrategien der Autoren nehmen in den Tagebüchern großen Raum ein. Nicht nur die Körper der Männer, sondern auch ihr Geist litt nun unter den Folgen des Krieges. Die moderne Kriegsführung und der Einsatz ständig verbesserter Kriegswaffen waren für die Soldaten ein Schockerlebnis. Artilleriefeuer, Gasbeschuss und Minenkrieg veränderten radikal das Antlitz des Krieges. Auch das äußere Erscheinungsbild der Soldaten, grau-grüne Uniformen, Stahlhelme, Gasmasken usw., verkörperten diesen Umbruch. Auf einige neue technologischen Hilfsmittel reagierten die Soldaten teilweise neugierig, bewundernd oder angsterfüllt. Der Kontakt mit feindlicher Artillerie, Gasbeschuss und Flammenwerfer galten als die schrecklichsten Erfahrungen vieler Soldaten im Krieg, da ihnen schwer Widerstand geleistet werden konnte. Die Telefon- und Funktechnik, wo sie im Einsatz war, erleichterten die Kommunikation zwischen den Stellungen. Scheinwerfer machten nun auch in der Nacht die eigenen sowie gegnerischen Schützengräben angreifbar. Bewunderung hingegen fanden die Flieger und die Einsatzmöglichkeiten der ständig in Weiterentwicklung befindlichen Flugzeuge. Zu den Flugkämpfen und den Fliegerhelden konnten die Soldaten am Boden wortwörtlich aufschauen. Sie personifizierten neue Heldenfiguren mit männlich- 138

soldatischen Eigenschaften und erfüllten noch ansatzweise den Traum vom individuellen Heldentum im Krieg, auch wenn das im industrialisierten Luftkrieg nicht mehr der Realität entsprach. Nichtsdestotrotz galt für viele Soldaten: „Jeder will als Held sterben, in dem Glauben, etwas geleistet zu haben.“938 Doch im Ersten Weltkrieg war jeder Soldat nur mehr ein kleines Rädchen in der Kriegsmaschinerie, meist nur eine Zahl auf dem Papier. Einzelleistungen und heroische Heldentaten wurden zwar besonders von der Propaganda hervorgehoben, stellten jedoch nicht die Kriegsrealität und Kriegserfahrungen dar. Die Kriegsfronten bildeten einen weiteren Einschnitt in vielen Kriegserinnerungen. Entsprach der Bewegungskrieg im Osten 1914 noch vielen Soldaten den Vorstellungen, was einen Krieg ausmachte, kehrte der Stellungskrieg dieses Bild ins Gegenteil um. Kavallerie- und großflächige Infanterieangriffe wichen bald ausgebauten, leicht zu verteidigenden Schützengräben mit Maschinengewehrstellungen. Der Schützengraben wurde zum ständigen Arbeits- und Lebensbereich der Soldaten. Besonders der Krieg im Gebirge, an der Dolomiten- und Karstfront, waren wegen der unbeständigen klimatischen Bedingungen und Naturgefahren eine Herausforderung für Armee und Soldaten. In dieser Umgebung formte sich ein männlich- martialisches Kriegerbild, der heimatverbundene und bergliebende „Dolomitenkämpfer“ und der ausharrende und nervenstarke „Isonzokrieger“. Diese Konstruktionen hoben den besonderen frontimmanenten Charakter der Soldaten, die hier kämpften und starben hervor. Diesbezüglich wurden auch die eigenen Leistungen betont, hier so lange der feindlichen Übermacht standgehalten zu haben. Ein romantisiertes-mythisch verklärtes Bild des Gebirgskrieges und ihren Helden entwickelte sich hingegen erst in den Kriegsbüchern der Zwischenkriegszeit. Den traditionellen Soldatentugenden, „Tapferkeit“, „Pflichterfüllung“ ect., stehen die Untugenden, die militärischen Vergehen, Misshandlungen und Verbrechen, in den Kriegserfahrungen der Soldaten gegenüber. Berichtet wurde von Soldaten, die nicht dem militärischen Idealbild entsprachen, darunter Spione, Deserteure, Verräter und Feiglingen. Die Brutalität des Krieges förderte nun auch die grausamsten Seiten mancher Individuen hervor. Dieses Töten und Abschlachten, und die persönliche Auseinandersetzung mit der Kriegsgewalt vertrauten die Soldaten ihren Kriegserinnerungen an, um diese schrecklichen Szenen zu verarbeiten. Eine militärische Männlichkeit trat zwar im Krieg hervor, jedoch veranschaulichen die Kriegserinnerungen der Soldaten, dass die soldatischen Tugenden sich verändert hatten. Neue

938 Schneider, Kriegserinnerungen, S. 324 139

Fähigkeiten, wie die Nervenstärke gegenüber dem höllischen Artilleriefeuer, wurden hier in den Vordergrund geschoben. Zugleich wurden auch neue Heldenbilder, wie die Fliegerasse oder der Gebirgskrieger Innerkofler als Vorbilder für die Soldaten konstruiert. Nicht mehr einzelne heroische Leistungen oder Heldenmut und Opferwille der Soldaten waren für den Kriegsausgang ausschlaggebend, sondern die Leistungskraft der Kriegswirtschaft der einzelnen Staaten. Hier war Österreich-Ungarn bis Kriegsende der Entente deutlich unterlegen.

140

8. Bibliographie und Quellenverzeichnis

8.1. Quellen

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I universität ffi innsbruck

Eidesstattliche Erklärung

lch erkläre hierrhit an Eides statt durch meine eigenhändige Unterschrift, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittelverwendet habe. Alle Stellen, die wörtlich oder inhaltlich den angegebenen Quellen entnommen wurden, sind als solche kenntlich gemacht.

Die vorliegende Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form noch nicht als Magister- /Master-/Di plomarbeiUDissertation ei ngereicht.

02.06.2018