Gesellschaft KÖVESDI „Derrick“-Darsteller Weisgerber, Tappert in der letzten Folge: „Ich habe Deine Drehbücher nicht immer gut gefunden“

FERNSEHEN In Wahrheit ein Prediger Derrick hört auf, und der Kult um ihn geht richtig los. Wer den Anstoß zum Ende der Serie gegeben hat, darüber sind sich Autor und Darsteller uneins.

n der letzten Folge, endlich, darf Der- heraus mit verschiedenen Dancefloor- rick das tun, was er eigentlich immer Versionen der Titelmusik. Wie nur hat Ischon wollte: als guter Mensch von es ausgerechnet ein solcher Bravbürger München der Welt das Böse erklären. Do- geschafft, zum Hipster der Nation zu zent Derrick hält eine Abschiedsrede vor werden? den Mitarbeitern seiner Mordkommission, Das „kann man nicht analysieren“, denn er – so will es das Drehbuch – geht meint Tappert, der soeben seine Memoiren nach Brüssel zu Europol. unter dem schizoiden Doppeltitel „Der- Am kommenden Freitag verschwindet rick und Ich. Meine zwei Leben“ veröf- Derrick aus der Fernsehwelt – für immer. fentlicht hat*. „Welche Aura ein Schau- Doch vieles, vor allem der Trubel der spieler persönlich oder auf dem Bildschirm vergangenen Wochen spricht dafür: Der ausstrahlt, bleibt unberechenbar – eben ein Kult um den Oberinspektor geht jetzt erst Geheimnis“, fährt Tappert fort. richtig los. Von Samstag auf Sonntag zeigt An anderer Stelle müht er sich doch, das ZDF fünf alte Derrick-Folgen, davor und zwar seitenweise, um die Ergründung gibt es auch noch die „Good bye, Derrick“- des rätselhaften Derrick-Erfolgs: „Mit Höf- Party, eine Groß-Hommage, moderiert von lichkeit und Anteilnahme sorgt Derrick … Thomas Gottschalk – einem berühmten für eine Atmosphäre des Vertrauens.“ Deutschen, der in der Welt aber längst Menschen seien versessen darauf, daß ih- nicht so bekannt ist wie Derrick-Darsteller nen jemand richtig zuhöre, denn: „Sie Horst Tappert. Den kennen Bewohner von erleben es so selten.“ Wahrlich: „Wie ein 102 Ländern. erfahrener Therapeut wurde er, der Psy-

Vor kurzem brachte die Plattenfirma AKG „eastwest records“ die – technoblau und Tappert, Wepper (1974) * Horst Tappert: „Derrick und Ich. Meine zwei Leben“. orange gefärbte – CD „Derrick 1998“ Ein erfahrener Therapeut Heyne Verlag, München; 272 Seiten; 39,80 Mark.

98 der spiegel 42/1998 Gesellschaft chologe der Nation, durch seine Souverä- nität und nie gefährdete Zuverlässigkeit zum Katalysator der geheimen oder be- wußten Sehnsucht nach Verständnis und Gerechtigkeit.“ Derrick auf dem Jangtse Ein Kapitel seiner Memoiren widmet Tappert seinem Verhältnis zu Derrick-Au- Drehbuchautor über den Welterfolg seiner tor Herbert Reinecker. „Ach, Herbert“, lauten die ersten Worte, und der Seufzer Krimi-Serie und den Abschied von ihr gilt dem angeblichen Streit zwischen Hauptdarsteller und Autor. In den vergan- SPIEGEL: Herr Reinecker, hat es den be- Reinecker: Mir ging es um die Fälle und genen Monaten stand immer mal wieder in rühmten Satz „Harry, hol schon mal den Themen. Am Anfang hatte Derrick ja eine den Zeitungen, Tappert habe die Serie ge- Wagen“ je in einem Ihrer Drehbücher Freundin. Aber wir konnten keine gute schmissen, weil ihm Reineckers Dreh- gegeben? Schauspielerin halten, die 20 Jahre zur bücher zu philosophisch wurden. Reinecker: Nein, nie. Verfügung steht, aber kaum etwas zu tun Das war, deckt Oberinspektor Tappert SPIEGEL: Dennoch ist Derricks Befehl ein bekommt. nun auf, natürlich nur eine gemeine geflügeltes Wort, ein Slogan in der Fern- SPIEGEL: Fritz Wepper als Assistent Harry Finte der Medi- sehwerbung. konnte schauspielerisch auch nicht gerade en: „Die Journa- Reinecker: Uns hat es erst weh getan, aber viel zeigen. listen haben es dann haben wir es akzeptiert. Reinecker: Wepper ist tatsächlich zu bedau- wie üblich aufge- SPIEGEL: Derrick ist Kult. ern. Die Rolle war nie groß, aber sie vertrat bauscht.“ Eini- Reinecker: Ich mag das Wort Kult nicht. das Menschliche fast stärker als Derrick. ge Zeilen später Das klingt so nach Anbetung. Und ich sehe SPIEGEL: Tappert hat sich in letzter Zeit steht allerdings im Moment nichts Anbetungswürdiges – über seine Rolle beschwert. Sogar er sah Tapperts Tadel außer Gott natürlich. sich unterfordert. an Reinecker: SPIEGEL: Sie sind der Schöpfergott der Fi- Reinecker: Die Figur Derrick stand da wie „Ich habe Deine gur. Jetzt geht es mit ihr zu Ende. Was ein Denkmal, und das hat ihn oft geärgert. CD-Cover Drehbücher oder fühlen Sie? Ich kann verstehen, daß er nicht zufrieden Teile davon nicht Reinecker: Ein bißchen traurig bin ich war, denn die anderen spielten immer die immer gut gefunden, das weißt Du, und schon, aber nicht sehr. Eine Serie wird ge- großen Rollen. Jeder Schauspieler möchte ich werde erklären warum.“ boren, manche erreichen das Kindesalter lieber einen abgründigen Part haben, als ei- Reinecker sei in Wahrheit ein Prediger, nicht mal; diese wurde sehr alt, zweiein- nen Gütigen darzustellen. der Umwege gehe, Tempo aus dem Spiel halb Jahrzehnte. Die Figur ist eben akzep- SPIEGEL: Wenn Sie an den „Derrick“-Fol- nehme, „um eine kleine Botschaft über tiert worden. gen schrieben, haben Sie da immer an Tap- den Sinn des Lebens und den Unsinn der SPIEGEL: Und das, obwohl Derrick weder pert gedacht? Gewalt anzubringen, durch Derrick oder Kind noch Kegel, Sex oder sonst eine Lei- Reinecker: Das ist ein merkwürdiger Vor- den Hausmeister oder den Mörder“. denschaft hatte. gang: Zunächst war Tappert ein Schau- Er, Tappert, habe Reinecker immer wie- spieler, der etwas spielte, was ich der auf diese „Schwachpunkte“ hingewie- erfunden hatte. Doch dann wuchs sen – doch der wollte nicht hören. Nach er in die Rolle hinein, und auch mehr als zwei Jahrzehnten dann der Bruch: meine Vorstellung veränderte sich. „Man wird sensibler, nimmt Dinge, die ei- Tappert wurde mein Held. nem nicht passen, nicht mehr einfach so SPIEGEL: Sie sind vom Schauspieler hin, wird es müde, das, was man schon tau- enteignet worden? send Mal moniert hat, zum tausendunder- Reinecker: In gewissem Sinne, ja. sten Mal zu erwähnen … Und irgendwann Das führt dann dazu, daß der sagt man dann: Es reicht.“ Also hat doch Schauspieler manchmal glaubt, er der Darsteller die Serie gekippt? habe die Rolle selbst erfunden. Reinecker beharrt darauf, daß er es war, SPIEGEL: Waren Sie neidisch? der den Anstoß gab, Derrick einzustellen. Reinecker: Man fragt sich manch- Er habe Produzent Helmut Ringelmann mal, warum der Schauspieler im- und die Leute vom ZDF schriftlich gebe- mer erwähnt wird, obwohl der Au- ten, neue Autoren zu suchen, weil ihm das tor doch alles geschrieben hat. Ich Drehbuchschreiben durch seine Augen- habe mir dann gesagt, der ist der krankheit immer schwerer werde. Produk- optische Vertreter für uns alle und tionsfirma und Sender seien übereinge- nimmt die Anerkennung entgegen, kommen, daß Reinecker als Vater der Se- die allen gilt. Wissen Sie, man hat rie auch das Ende gestalten, die letzte Fol- hierzulande Schwierigkeiten, ei- ge schreiben dürfe. nem Drehbuchautor literarischen Tapperts abschließende Worte zum er- Rang zuzubilligen. folgreichsten deutschen Fernsehautor sind SPIEGEL: Aber Ihr Welterfolg müß- versöhnlich: „So oder so wird Herbert te Sie doch trösten! Reinecker sich in seiner Arbeit nicht be- Reinecker: Sicher. Gerade habe ich eindrucken lassen. Er wird weiter auf sei- einen Brief bekommen, von einer ne bewährte Art schreiben, und das bis zur Australierin, die auf dem Jangtse letzten Minute. Er ist einer von denen, die mit Chinesen über Derrick gespro- nicht aufhören können. Wie ich.“ chen hat – also so was freut mich

Derrick lebt weiter. So oder so. War TEUTOPRESS schon. Ich merke daran, daß wir doch klar. Autor Reinecker: Griechische Erzählkunst etwas transportieren. Oder neulich

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