Die Grosse Oper
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RAMMSTEIN DIE GROSSE OPER Keine Show ist perfekter, keine deutsche Band ist international erfolgreicher, keine hat aber auch so viele Missverständnisse, Ängste und heftige Reaktionen provoziert. Jetzt füllt die Rammstein- Maschine mit einer Tour zum Best-of-Album „Made In Germany“ wieder die Hallen der Republik und der Welt. Zeit für eine Bestandsaufnahme. Interviews von Torsten Groß & Rainer Schmidt • Fotos von Olaf Heine rennende Männer, eine Explosion, ein bisschen Die Band reagierte verhalten und Feuer, ein Beinahetod, das mag doch jeder.“ manchmal hilflos auf die teilweise hys- So entspannt, wie es wohl nur ein Amerikaner terischen Vorwürfe, 2001 gaben sie mit dem Song „Links 2 3 4“ eine pro- kann, kommentierte Tuvia Tenenbom, Grün- grammatische Antwort: „Sie wollen der und Leiter des Jewish Theatre of New mein Herz am rechten Fleck/ Doch York, den Auftritt von Rammstein im aus- sehe ich nach unten weg/ Da schlägt verkauften Madison Square Garden im De- es links.“ Der linke slowenische Theo- retiker Slavoj Žižek attestierte der zember vergangenen Jahres. Das Münchener Gruppe, sie würde autoritäre Ideo- Kreisverwaltungsreferat reagierte kürzlich logien mit dem Mittel der Imitation auf Rammstein nicht ganz so lässig und verbot ein für den Totensonntag entlarven – also praktisch wie einst B geplantes Konzert in der bayerischen Landeshauptstadt. Der Auftritt Charlie Chaplin in „Der große Dik- musste verlegt werden. Das letzte Verbot davor hatte das autokratische tator“. Heute ist die Nazi-Diskussi- on weitestgehend abgehakt, aber in Weißrussland verhängt: Ein Konzert im März 2010 in Minsk wurde un- Deutschland bleibt die martialische tersagt, weil die Zensoren befürchteten, die sechs Deutschen könnten Show vielen suspekt. unter anderem „die weißrussische Staatsordnung zerstören“. So viel Und so gelingt Rammstein ein dia- Kraft hätten der zeitgenössischen Rock- und Popmusik wohl nur noch lektischer Kniff, an dem sich die Leute heute noch abarbeiten können: Kei- wenige zugetraut. Aber Rammstein war schon immer eine Ausnahme. ne Formation wirkt vorgeblich deut- Als die Band Mitte der 90er-Jah- den Soundtrack für die schwär- scher, keine aber ist internationaler. re auftauchte, löste sie mehr als nur zesten Albträume zu liefern. Es war Sie benutzen und bedienen Codes aus Unbehagen aus. Die rassistischen nicht die Zeit eines Spiels mit Zi- dem Pop-Arsenal, die weltweit im- Pogrome von Hoyerswerda und Ros- taten und Zeichen, nicht die Zeit de- mer schon leichter dechiffriert und tock-Lichtenhagen und die Mord- monstrativer Männlich- und Körper- verstanden wurden als in ihrem Hei- anschläge von Mölln und Solingen lichkeit. Die einst linken Ostpunks matland. Nichts an Rammstein wirkt hatten die wiedervereinigte Repu- standen praktisch sofort unter Nazi- authentisch im Sinne konservativer SCHALL UND RAUCH blik erschüttert. Die bösen Riffs, die Verdacht. Als sie 1998 zu ihrem De- Rockansprüche, es gibt keine Kom- Sänger Till Lindemann harten Rhythmen, die verführerisch peche-Mode-Cover „Stripped“ auch munikation mit dem Publikum, keine während eines Konzerts eingängigen Melodien, das dunkle noch Leni-Riefenstahl-Bilder der Identität von Bühnen- und Lebens- HEINE in Berlin 2004 F Textgeraune und das im tiefsten In- Olympiade von 1936 in einem Video welt, keinen engagierten Liederrei- LA O nern des Sängerkörpers gerollte „R“ verwendeten, schien das der Beweis gen mit praktischen Ratschlägen für FOTO: schienen vor diesem Hintergrund sein: Haben wir es doch gewusst. die Realität nach dem Auftritt – auch 96 | Rolling Stone | Dezember 2011 Rolling Stone | Dezember 2011 | 97 RAMMSTEIN wenn das Familienministerium das griffen und weitergespielt. Denn wie s gibt also viel zu besprechen im ersten größeren und Spiel. Das ging mit zwei Fontänen los, etwa bei „Liebe ist für alle da“ anders keine andere Gruppe sind Rammstein zugleich exklusiven ROLLING STONE-Interview mit die mir mal ein Kumpel gegeben hat- sah und das Album vorübergehend mit ihrer bewussten oder zufälligen te. Später haben wir zusätzlich Benzin Rammstein. Die Band versteht sich als Kollektiv von indizierte. Rammstein, das ist heu- Ambivalenz immer auch schon eine in den Saal gegossen, das wir mit den te mehr denn je ein perfekt chore- Projektionsfläche für eigene Ängste Gleichberechtigten, Gruppeninterviews lehnt sie ab, weil Fontänen entzündeten, sodass der gan- ografiertes Kunstprojekt, die große und Vorurteile gewesen, die reflex- einige weniger zu Wort kommen könnten als andere. ze Boden brannte. Das hat sich über die Oper gewissermaßen, auch wenn viele haft abgerufen werden können und EWir führen drei Gespräche mit insgesamt vier Bandmitgliedern. Jahre immer weiterentwickelt. Elemente in ihrer grotesken Überin- die keinen Raum lassen für unsubtile Zunächst sind der Keyboarder Flake Lorenz und Till Lindemann Sie haben sich später extra zum Py- szenierung mehr Züge von Kabarett Formen des Humors, für die Komik rotechniker ausbilden lassen. tragen als die von Wagner. Und es ist der Übertreibung und den Reiz voll- an der Reihe. Der Rammstein-Sänger äußert sich ungern öffentlich Lindemann: Ja, den Schein kann man nur konsequent, dass selbst Vertre- kommener Künstlichkeit. und hat in den vergangenen Jahren kaum Interviews gegeben, für in drei Monaten machen. Alle fünf Jah- ter der sogenannten Hochkultur wie Fassungslos über den weltweiten den ROLLING STONE macht er eine Ausnahme. re muss man das wiederholen, also im- die Bayreuther Festivalchefin Katha- Erfolg der Musikarbeiter aus den neu- mer am Ball bleiben. rine Wagner sich als Fans bekennen en Bundesländern schimpft der „Spie- Wie erinnern Sie sich an das aller- ben. Den Zuschauern fiel die Kinnla- Wie groß ist heute die Gefahr, dass GEWALTIG Das US-Publikum liebt oder die Dresdner Sinfoniker für ihre gel“ vor einiger Zeit noch verbittert erste Rammstein-Konzert? de runter. die Musik zu sehr in den Schatten die Inszenierung Rammstein-Interpretationen („Mein über die Band als die „ästhetische Ra- Flake Lorenz: Das erste richtige Kon- Till Lindemann: Ich habe selten so der Show tritt? Herz brennt“) ausgezeichnet wurden. che Ostdeutschlands am Westen“, die zert war in der naTo in Leipzig, als Vor- entgeisterte Menschen gesehen. Lorenz: Darüber denke ich schon Natürlich wurden Rammstein auch „Frankfurter Allgemeine Sonntagszei- band meines Bruders. Der hatte so eine Woher kam der Gedanke, genau so manchmal nach, aber nur kurz. Als und gerade durch die scharfe Kritik in tung“ dagegen lobt sie als die „ameri- Combo, die englische Lieder wie „Like aufzutreten? Zuschauer fände ich das ja auch gut, den Feuilletons erst überlebensgroß. kanischste Band Deutschlands“. A Virgin“ in „Wie ein Würstchen“ um- Lindemann: Ich habe mich auf der dieses ganze Brimborium. Bei ande- Es war lange eine liebevoll gepflegte Rammstein werden es auch weiter- gedichtet hat. Es gab keinen Ort, wo Bühne nicht wohlgefühlt. Ich trug ei- ren Bands muss man schon ein sehr Wie die Amerikaner Hass-Beziehung, die beide Seiten – so hin schaffen, umstritten zu bleiben, wir weniger hingepasst hätten. ne Sonnenbrille, weil ich die Blicke fanatischer Fan sein, wenn man sich wirkte es oft – zu Höchstleistungen eventuell allerdings nur hierzulande. Waren Rammstein-Sound und -Auf- nicht ertragen konnte. Ich hatte Büh- zwei Stunden damit zufriedengibt, anstachelte. Jede Verarbeitung von Denn, so fasst es Tuvia Tenenbom, treten damals schon so klar? nenangst und dachte, was mache ich mitzuerleben, wie ein paar Typen in Rammstein sehen tagesaktuellen Ereignissen in Liedern der Leiter des Jewish Theatre, zu- Lorenz: Ja, ganz klar. Ich finde so- hier überhaupt? Vorher war ich Schlag- Jeans und Hemdchen ihr Programm – vom Rotenburger Menschenfresser sammen: „Man kann über die Deut- gar, wir waren damals noch böser als zeuger, da hatte ich immer was zu runterspielen. („Mein Teil“) bis hin zur Amstettener schen sagen, was man will, aber sie jetzt. Wir standen ganz stumpf auf der tun. Jetzt stand ich da vorne, und alle Lindemann: Die Band ist in dieser Inzest-Geschichte („Wiener Blut“) – wissen, wie man eine Show aufzieht.“ Bühne, haben unser Zeug gespielt, kei- glotzten mich an. Das war mir unan- Frage gespalten. Für einige ist es zu Von DAVID FRICKE man könnte auch sagen: jede platte Oder, um es mit Rammstein zu sagen: ner hat gelacht oder sich bewegt. Das genehm, und ich wollte das irgendwie viel Zirkus, die würden lieber die Musik Provokation, wurde lustvoll aufge- „Fürchtet euch nicht.“ RAS muss ziemlich bedrohlich gewirkt ha- kompensieren. So kam das Feuer ins mehr wirken lassen. Dann gibt es Leute wie mich, die sehr auf diese Showele- n einem Abend im Februar 1984 stand Wagner-Oper versetzt. Zum Ende des Jahrzehnts, in mente setzen, auf dieses Gefunkel und ich vor der Bühne des längst geschlos- dem der vermeintliche „Modern Rock“ schlimmer war Geglitzer, die Action und das Feuer. senen New Yorker Clubs Dancete- als der Mainstream, waren Rammstein ein erfrischend Flake, während der Shows der letz- ria und war wie hypnotisiert von der unterhaltsamer Frontalangriff. Im Lärm und Feuer- ten Jahre lassen Sie sich in einem rohen mechanischen Gewalt der Ein- zauber ihres Auftritts konnte man aber durchaus ihre Schlauchboot von den Massen über Astürzenden Neubauten. Es war der erste Auftritt der Vorbilder erkennen. Ich stellte mir vor, dass Vega wie- den Köpfen tragen. Das ist einmal Berliner Band in den USA – und der radikale Erfin- der hinter mir stand, zusammen mit Bargeld, Killing richtig schiefgegangen ... dungsgeist ihrer Avant-Rock-Kollisionen hinterließ bei Joke, Al Jourgenson