GESCHICHTE Von der Theorie zum Fach Die Allgemeine Relativitätstheorie etablierte sich von 1915 bis 1990 nur langsam als eigene Disziplin. Hubert Goenner

Die Allgemeine Relativitätstheorie (ART) war zwar nach der Bestäti- gung der gravitativen Lichtablen- kung im Jahr 1919 in aller Munde, prägte aber die physikalische For- Lucien Aigner / Corbis Aigner Lucien schung im Gegensatz zur aufkom- menden Quantenmechanik kaum. Zwar befassten sich immer wieder einzelne Physiker mit Fragen der ART, aber eine Institutionalisierung Der Schwerpunkt im Lehr- und Forschungsbetrieb der Forschung auf fand im deutschen Sprachraum dem Gebiet der erst deutlich nach dem Zweiten Allgemeinen Rela- Weltkrieg statt. tivitätstheorie lag in den 1920er- und 1930er-Jahren vor it der Aufstellung der allem bei Albert M Feldgleichungen für seine Einstein und sei- relativis­tische Gravitationstheorie nen Mitarbeitern. vollendete im No- vember 1915 in Berlin seine jahre- spezielle und die allgemeine Relati- den 1920er-Jahren ergoss sich eine langen Bemühungen. Zu dieser Zeit vitätstheorie, gemeinverständlich“. Flut von Schriften und Broschüren waren viele deutsche und österrei- Auch Philosophen wie Moritz über die interessierte Bevölkerung, chische Naturwissenschaftler und Schlick richteten schon 1917 ihr darunter etliche von Kritikern mit Mathematiker wegen des Ersten erkenntnistheoretisches Interesse oder ohne ausreichende Fachkennt- Weltkriegs zum Militär eingezo- auf Einsteins Gravitationstheorie. nisse. In Berlin spannte ein auf dem gen worden. Schon im Dezember Einstein korrespondierte mit prak- rechten Parteienflügel agierender 1915 schickte der Astronom Karl tisch allen, die über Allgemeine Re- Ingenieur, Paul Weyland, den in Schwarzschild von der russischen lativitätstheorie forschten oder sich der Optik ausgewiesenen Experi- Front aus eine exakte Lösung für dazu kritisch äußerten. Die von mentalphysiker Ernst Gehrcke ein, einen kugelsymmetrischen Stern ihm vertretene physikalische Be- um in einem öffentlichen Vortrag (Innen- und Außenraum) an Ein- deutung der allgemeinen Kovarianz in der Philharmonie gegen Einstein stein, die fünfzig Jahre später der seiner Theorie stellte Erich Kretsch- und seine Theorien zu polemisie- Prototyp für ein „Schwarzes Loch“ mann 1917 in Frage. Die Fachwelt ren. Danach schrieb Einstein an werden sollte. Jeder, der sich mit hatte also bereits vor dem Ende Grossmann: „Gegenwärtig debat- partiellen Differentialgleichungen des Ers­ten Weltkriegs wesentliche tiert jeder Kutscher und jeder Kell- auskannte, konnte sofort etwas zur Eigenschaften der ART beschrieben ner darüber, ob die Relativitätstheo- neuen Theorie beitragen. Daher und Folgerungen aus ihr gezogen rie richtig sei.“ waren wichtige exakte Lösungen (kosmologische Modelle, Gravita- Nach 1920 publizierten auch der Einsteinschen Feldgleichungen tionswellen). Forscher in England und Frankreich wie etwa die Reissner-Nordström Dem allgemeinen Publikum war zur Einsteinschen Theorie, obgleich und – für die Feldgleichungen mit Einstein jedoch völlig unbekannt. besonders in England die Skepsis kosmologischer Konstante – die Das änderte sich 1919 schlagartig, groß war. Nur ein kleiner Kreis de-Sitter-Lösung schon bis 1917 nachdem zwei englische Sonnen- theoretischer Physiker forschte über gefunden. finsternis-Expeditionen die vorher- Allgemeine Relativitätstheorie. Die Die an Physik interessierte Öf- gesagte gravitative Lichtablenkung wichtigste Entdeckung von 1922/23, fentlichkeit wies 1916 ein Büchlein nachweisen konnten. Ein Teil der nämlich zeitlich expandierende, Prof. Dr. Hubert des jungen Potsdamer Astronomen Presse glorifizierte Einstein als auf die Dynamik des Kosmos an- Goenner, Institut für Erwin Freundlich auf die neue neuen Archimedes, Kopernikus wendbare Lösungen des russischen theoretische Physik, Theorie hin. 1917 legte Einstein und Newton in einer Person; auch Physikers Alexander Friedman [1], Universität Göttin- gen, Friedrich-Hund- eine eigene Darstellung für einen Fachgenossen wie Max Planck lehnte Einstein ab, der aus erkennt- Platz 1, 37077 Göttin- größeren Leserkreis vor: „Über die hielten sich nicht mehr zurück. In nistheoretischen Gründen einen gen

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bzw. wie Schrödinger noch gewan- über Relativitätstheorie nicht mehr nen. Daher verwundert es nicht, behindert; bei der Besetzung von dass Theoretiker in Wien wie Lud- Lehrstühlen, z. B. in der „Reichs- wig Flamm, Friedrich Kottler, Hans universität“ Straßburg, spielte die Thirring oder Guido Beck von der wissenschaftlichen Qualität wieder Gravitationsforschung abkamen. eine entscheidende Rolle. Aufgrund Der Schwerpunkt der Forschung der Kriegsanstrengungen und Zer- lag nach wie vor bei Einstein und störungen fiel die Forschung zur seinen Mitarbeitern. Er konnte die- ART in den 1940er-Jahren jedoch se nicht allein über die Preußische in einen Winterschlaf. Akademie der Wissenschaften Anders in den USA: Dort forsch- finanzieren bzw. durch das für ihn te neben dem nun am Institute for gegründete Kaiser-Wilhelm-Institut Advanced Study in Princeton wir- für Physik, sondern brauchte auch kenden Einstein etwa Richard C. Mittel von der „Notgemeinschaft Tolman über die Anwendung der der deutschen Wissenschaft“ und ART auf Sterne und den Kosmos Karl Schwarzschild (1873 – 1916) gehörte zu den ersten Physikern, die sich mit All- der amerikanischen „Rockefeller unter Einbeziehung der Thermody- gemeiner Relativitätstheorie befassten. Foundation“. Einige Jahre nach der namik. Oder Robert Oppenheimer Eröffnung „seines“ Instituts verlor mit seinen Mitarbeitern Hartland statischen Kosmos forderte. Erst Einstein das Interesse daran; es Snyder und George M. Volkoff über in den 1930er-Jahren, nach Edwin spielte dann keine Rolle mehr für Sternkollaps: 1939 identifizierten Hubbles Entdeckung der Rotver- die Gravitationsforschung. sie die „Schwarzschild-Horizont“ schiebung der Galaxien und unter genannte Fläche in der Schwarz- dem Einfluss von Arthur Edding- schild-Lösung als semi­permeable ton, änderte er seine Meinung. Die Situation ab 1933 Membran [3, 4], die Wolfgang Rind- Auch in der Lehre bekam die ler in den 1950er-Jahren „Ereignis- neue Gravitationstheorie ihren Besonders schwierig wurde es für horizont“ taufte. Der Zweite Welt- Platz an vielen Universitäten. Nach die Allgemeine Relativitätstheo­ krieg dünnte die ART-Forschung der Entdeckung und Ausgestaltung rie nach der Machtübernahme dann auch in den USA aus. Nach der Quantenmechanik ab 1925 durch die Nationalsozialisten im ihrer Arbeit für die Atombombe durch Werner Heisenberg, Max Jahr 1933. Einstein hatte nach ei- wandten sich führende Theore- Born, und Paul A. gener Bekundung zeitlebens nur tiker mit Ausnahme von John M. Dirac sowie der Wellenmecha- jüdische Mitarbeiter. Diese und Archibald Wheeler in Princeton nik durch Erwin Schrödinger fand andere Kollegen wie Kottler und der Quantenfeldtheorie zu. Nach eine Mehrzahl von Theoretikern Heinrich Reissner mussten wegen seiner Assistenten-Zeit bei Einstein dieses Feld mit seinen zahlreichen ihrer jüdischen Abstammung das beschäftigte sich Anwendungen in der Atom- und Land verlassen. Thirring in Wien mit der fünfdimensionalen Kaluza- Kernphysik jedoch interessanter. wurde 1938 nach dem „Anschluss“ Klein-Theorie [5] und machte erste Zu dieser Einschätzung trugen Österreichs zwangspensioniert, Schritte in Richtung einer Quanti- Einsteins Arbeiten ab 1925 über die ebenso Schrödinger in Graz. Zwar sierung der Gravitation. Er bildete Verallgemeinerung seiner Gravita- erschienen weiter gelegentlich For- zahlreiche Doktoranden in diesem tionstheorie unter Einbeziehung schungsarbeiten; Max Kohler etwa Gebiet aus. Der in Kanada und den des elektromagnetischen Feldes bei: schrieb seine Dissertation 1933 bei USA arbeitende irische Mathema- Seine „Einheitliche Feldtheorie“ von Laue in Berlin über ein Thema tiker John Lighton Synge war mit ließ jeden Bezug zu messbaren Re- aus der ART, wechselte dann jedoch seiner Arbeit zu geometrischen Me- sultaten vermissen. Junge Theoreti- zu Elektronentheorie der Metalle thoden in der ART zwischen 1930 ker spotteten in Bohrs Institut über und Kristallsymmetrie. Gegner der und 1948 einflussreich. Kurt Gödel „den großen Floh“ des „Königs“. Relativitätstheorie wie der Nobel- publizierte 1949 eine unerwartete Durch die Erfolge der Quanten­ preisträger Philipp Lenard stellten kosmologische Lösung ohne über- physik waren die Aussichten noch sich als üble Antisemiten dar, die all gültige kosmologische Zeit. schlechter geworden, mit Leistun- unter anderem die Neubesetzung Man kann also nicht sagen, dass gen auf dem Gebiet der ART zu von Sommerfelds Lehrstuhl in die ART vernachlässigt worden sei; einer Berufung als ordentlicher München in ihrem Sinne erreich- aber auch in den USA bestand eine Professor zu kommen. Wir sollten ten [2]. 1942 verständigten sich Diskrepanz zwischen dem großen uns daran erinnern, dass Größen Gegner und Befürworter einer Presseecho, das Einsteins Theorie wie Einstein, Max von Laue, Wolf- „Deutschen Physik“ bei den See- seit seinen Besuchen geweckt hatte, gang Pauli oder der Mathematiker felder „Religionsgesprächen“ über und dem kleinen Kreis von For- Hermann Weyl ihr Ansehen durch weltanschauliche Streitpunkte bei schern, der sich ihr zuwandte. Arbeiten außerhalb der Gravita- Relativitätstheorie und Quanten- Nach dem Ende des Krieges war tionsforschung gewonnen hatten mechanik. Danach wurde Lehre die Forschung in Deutschland und

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Österreich in einer miserablen La- ton. Schücking nahm eine Dauer- tivität und Gravitation angesehen. ge. Die Universitäten öffneten ihre stelle in Texas an, Ehlers lehrte und In der Außenwahrnehmung wurde Tore rasch, das Kaiser-Wilhelm-In- forschte dort über mehrere Jahre. die ART nun zum eigenständigen stitut für Physik, nun Max-Planck- Inzwischen waren nämlich die Forschungsbereich. Institut, setzte ab 1946 seine Arbeit USA ein Zentrum der Forschung Neben den Hamburgern forschte in Göttingen fort mit Kernphysik, auf dem Gebiet der ART gewor- in Deutschland Günther Ludwig Quantenfeld- und Elementarteil- den. Neue Objekte der Astrophysik mit seinen Mitarbeitern Claus chentheorie als Schwerpunkten. wie Neutronensterne, Quasare Müller und Kurt Just an der Freien Pascual Jordan musste bis 1947 und kollabierte Sterne, neue und Universität Berlin über projektive warten, um nach seiner Entnazifi- verbesserte Beobachtungs- und Relativitätstheorie und die Jordan- zierung eine Gastprofessur an der Messmethoden ließen Fortschritte sche Theorie. 1961 ging Just an die Universität Hamburg wahrnehmen erwarten, etwa auf dem Gebiet der Universität von Arizona in Tucson; zu können. Seit 1944 hatte er eine Gravitationswellen-Astronomie. die Gravitationsforschung dieser Gravitationstheorie untersucht, in J. A. Wheeler prägte Begriffe Gruppe endete um 1963 mit der der eine skalare Funktion an die wie Schwarzes Loch, Geon oder Berufung von Ludwig an die Uni- Stelle der Gravitationskonstante Quantenschaum. In populären versität Marburg. Forschung über in der Einsteinschen Theorie trat. Darstellungen liest man von einer relativistische Gravitationstheorien Nachdem er 1953/54 ordentlicher „Renaissance“ des Fachs in den betrieben weitere kleinen Gruppen Professor in Hamburg geworden 1960er-Jahren nach einer schwa- um Max Kohler in Braunschweig war, gründete Jordan mit dem Di- chen Periode []. Aber weder war ab Mitte der 1950er-Jahre und in rektor der Sternwarte in Bergedorf, die ART in früheren Jahren „unge- Freiburg um Helmut Hönl. Für Otto Heckmann, ein Seminar über heuer einflussreich“, noch fehlten beide, Kohler und Hönl, war Gra- Relativität und Gravitation. In sei- in den 1930er- und 40er-Jahren vitation zunächst eher ein Schau- nem Buch „Schwerkraft und Welt- physikalisch bedeutende For- platz neben Transporttheorie in all, Grundlagen der theoretischen schungsergebnisse (vgl. oben). Was Festkörpern bzw. Beugungsoptik. Kosmologie‘‘ von 1952 fasste er die sich ereignete, war eine gewaltige Nach seiner Berufung nach Göt- Forschungen zur heute sogenann- Expansion der Forschung auf dem tingen verfolgte Kohler auch dort ten „Jordan-Brans-Dicke-Theorie“ Gebiet der ART in Theorie, Expe- beiden Themen, während Hönl der Gravitation zusammen []. riment und Beobachtung. Das lag sich vornehmlich der Einsteinschen Heckmanns Assistent Engelbert durchaus im Rahmen der allgemein Gravitationstheo rie zuwandte: Mit Schücking arbeitete seit 1952 über in der Physik zu beobachtenden Heinz Dehnen untersuchte er etwa Lösungen der Newtonschen Kos- Vermehrung der „manpower“, ihrer die Rolle des Machschen Prinzips mologie und der Jordanschen finanzieller Unterstützung und dem in dieser Theorie und mit Konra- Theorie. Dann kamen Studenten Anwachsen internationaler wissen- din Westpfahl die Bewegungsglei- zu Jordan wie Jürgen Ehlers, Wolf- schaftlicher Tagungen nach dem chungen für Punktteilchen. Die gang Kundt und einige Jahre später Zweiten Weltkrieg. Als Startschuss einzige Berufung zum ordentlichen Manfred Trümper, durch die der dieser Entwicklung wird eine 1955 Professor auf dem Gebiet der rela- Schwerpunkt der Forschung und im Todesjahr von Einstein abgehal- tivistischen Gravitationsphysik in des Seminars auf die mathema- tene Konferenz in Bern über Rela- der Bundesrepublik (BRD) nach tische Untersuchung der ART hin verschoben wurde, etwa die Ent- wicklung koordinatenfreier Metho- den und die Anwendung auf Strah- lung und ideale Materie. Durch sein internationales Prestige hatte Jordan keine Mühe, Beziehungen zu Kollegen in den USA herzustel- len: Zu nennen sind unter anderem 2002, S. 73 November Journal, Physik , Peter Bergmann und sein früherer Student Joshua Goldberg. Dieser war zwischen 1956 und 1963 für Forschungsfinan- zierung durch die „United States Air Force“ auf dem Gebiet der Gravitationstheorie verantwortlich, durch die auch die Hamburger Gruppe unterstützt wurde. Es gab Wolfgang Pauli (rechts) schrieb 1921 mit hörte wie Günther Ludwig (Mitte) zu den einen regen Austausch zwischen nur 21 Jahren einen Handbuchartikel zur Theoretikern, die sich nach dem Zweiten Post-Doktoranden von Jordan und Relativitätstheorie, der bis heute gelesen Weltkrieg intensiver mit der Allgemeinen solchen aus Syracuse und Prince- und zitiert wird. Pascual Jordan (links) ge- Relativitätstheorie beschäftigten.

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Jordan bis heute erhielt Dehnen und Akademiereform in der DDR 1970 an die neu gegründete Uni- leitete er ab 1969 das neu gegründe- versität Konstanz. Ab Mitte der te „Zentralinstitut für Astrophysik“, 1960er-Jahre forschte Friedrich in dem verschiedene astronomische Hehl an der TU Clausthal über und astrophysikalische Institute

Spin-Drehimpuls in der ART und MPI für Gravitationsphysik zusammengefasst wurden. Mit der gründete nach seiner Berufung an Leitungsfunktion bekam Treder die Universität zu Köln 1975 dort einen Sitz im Akademie-Präsidium. eine weitere erfolgreiche Gruppe Zuerst hatte es auch in Greifswald mit Forschungen über relativi- und in Leipzig durch Georg Schöpf stische Gravitationstheorien, z. B. bzw. Adolf Kühnel Gravitationsfor- Gravitations-Eichtheorien. Bis in schung gegeben. In den 1970er- und die 1970er-Jahre war die Situation 1980er-Jahren kann man also von in der Bundesrepublik dieselbe wie einer Institutionalisierung der Gra- vor dem Krieg: um einzelne Pro- vitationsforschung in der DDR im fessoren herum existierten meist Jürgen Ehlers (1929 – 2008) prägte ins- Sinne einer stabilen Struktur aus kleine mit Forschung in der ART besondere ab den 1970er-Jahren die zwei miteinander konkurrierenden befasste Gruppen. Eine stabile Lage ART-Forschung in Deutschland. Zentren sprechen. der Gravitationsforschung gab es nicht; finanzielle Unterstützung forschung der Akademie werden. kam außer von Universitäten allein 1957 kam der Falkenhagen-Schüler Der Weg zur Community aus DFG-Einzelanträgen Ernst Schmutzer aus Rostock an die In der Deutschen Demokrati- Universität Jena baute um 1960 mit In der BRD erfolgte ein Schritt zur schen Republik (DDR) bestanden einem Dutzend Diplomanden eine Institutionalisierung der Gravi- zu Beginn ähnliche Verhältnisse. Gruppe zur Gravitationsforschung tationstheorie erst zu Beginn der Die Akademie der Wissenschaften auf. Der Antrag an das Ministerium 70er-Jahre, etwa gleichzeitig mit in Berlin wurde allerdings zu einer in Berlin, in Jena einen Schwer- der Gründung der Internationalen bedeutenden Konkurrenz für die punkt „Relativität und Gravitation“ Gesellschaft für Relativität und Universitäten []. Ein Keim für zu bilden, wurde genehmigt. Die Gravitation 1971 in Kopenhagen. Forschung und Lehre in der ART Jenaer Gruppe erzielte bedeutende Das Hamburger Seminar hatte entstand 1952 mit der Berufung Forschungsergebnisse, etwa auf sich nach der Emeritierung von von Achille Papapetrou an das For- dem Gebiet der exakten Lösungen Pascual Jordan und der Weigerung schungsinstitut für Mathematik der der Einsteinschen Feldgleichungen. der Hamburger Physikfakultät, Deutschen Akademie der Wissen- Auf von Schmutzer veranstalteten einen Nachfolger aus dem Gebiet schaften in Berlin. Er wurde 1957 mehrtägigen Kolloquien in Geor- der Gravitationstheorie zu beru- auch Professor an der Humboldt- genthal konnten sich Forscher aus fen, aufgelöst. Zwar war W. Kundt Universität Berlin. Papapetrou kam Ländern von beiden Seiten des nach Forschungsaufenthalten in aus Manchester als Mitarbeiter von „eisernen Vorhangs“ begegnen. den USA seit 1971 in Hamburg Leon Rosenfeld auf Empfehlung Die Akademie der Wissenschaf- Professor, wechselte jedoch schon durch Einsteins früheren Mitarbei- ten zog nach. Treder war 1963 Pro- 1972 in die Astrophysik nach Bonn. ter E. Freundlich, der nach England fessor für Theoretische Physik an Auch M. Trümper zog es Anfang emigriert war. Einer der ersten der HU Berlin geworden und Di- der 1970er-Jahre nach Texas und Doktoranden Papapetrous war rektor des Instituts für reine Mathe- danach in mehrere Länder auf drei Hans-Jürgen Treder; er sollte das matik der Akademie der Wissen- Kontinenten. Jürgen Ehlers nahm Schwergewicht in der Gravitations- schaften. Im Zuge der 3. Hochschul- 1971 die Einladung zur Führung einer Arbeitsgruppe über Gravitati- onstheorie am Max-Planck-Institut In der DDR ge- für Physik und Astrophysik in hörte Hans-Jürgen München an. Seine Gruppe wurde Treder (1928 – zum ersten Ankerpunkt für Gra- 2006, Mitte) zu den herausragenden vitationsforschung außerhalb der Forschern auf dem Universitätslandschaft. Ein Zeichen Gebiet der ART. zur Bildung einer „Community“ Hier ist er im Ge- setzte das „Kolloquium über relati- spräch mit Chri- vistische Astrophysik“‚ im Obser- stian Møller (links) vatorium „Hoher List“ im Juni 1971 und Peter Lands- berg auf der Ein- unter der Schirmherrschaft der stein-Konferenz DFG, bei dem ein Schwerpunkt- 1979 in Berlin zu programm „Relativistische Astro- sehen. (1995) 1 , F176 Blätter Physikal. physik“ ins Leben gerufen wurde.

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Für die weitere Entwicklung geringen Bedeutung herstellen, die of Relativity, Prentice-Hall, Englewood Cliffs, N. J. (1942) erwiesen sich die fachbezogenen dem Fach, besonders in der BRD, [6] P. Jord an , Schwerkraft und Weltall, Tagungen (WEH-Seminare) im zugemessen wurde, und mit der da- Vieweg, Braunschweig (1952) Physikzentrum der Deutschen raus folgenden bescheidenen perso- [7] C. M. Will, The Renaissance of General Physikalischen Gesellschaft in Bad nellen und finanziellen Ausstattung. Relativity, in: C. W. Davies (Hrsg.), The Honnef mit Kollegen aus Öster- New Physics, Cambridge University Press, Cambridge (1989), S. 7 reich und der Schweiz als besonders Danksagung [8] J. Kocka, P. Nötzold und P. Th. Walter, wichtig. Auf einer dieser Tagungen Für Informationen danke ich den Die Berliner Akademien der Wissen- schlug 1984 H. Dehnen die Bildung Kollegen H. Dehnen, E. Schmutzer schaft im geteilten Deutschland 1945 – eines „Fachverbandes Gravitation und D. Hoffmann, Herrn Hehl für 1990, Akademie Verlag, Berlin (2002) und Relativitätstheorie‘‘ vor. Mit einige Korrekturen. Dieser Artikel starker Unterstützung durch die ist im Rahmen eines umfassen- DPG wurde er 1985 gegründet deren Forschungsprojekts unter DER AUTOR mit J. Ehlers als erstem Vorsitzen- Leitung von Jürgen Renn (MPI für den, auf den F. Hehl folgte. Damit Wissenschaftsgeschichte) entstan- Hubert Goenner hat war auch in der BRD eine stabile den. Ihm danke ich besonders für in Tübingen, Göttin- gen, Braunschweig Grundlage der Forschung auf dem viele anregenden Bemerkungen. und Freiburg Physik Gebiet der ART geschaffen. Zum und Mathematik so- Vergleich: die topical group „Gra- Literatur wie Philosophie stu- vitation“ der American Physical [1] A. Friedmann, Z. f. Physik 10, 377 (1922) diert, in Freiburg in Society kam erst 1995 zustande. und Z. f. Physik 21, 326 (1924) Physik promoviert. Er war als Postdoc [2] D. Hoffmann und M. Walker, Physiker Trotz mancher Erfolge der Gravita- in Philadelphia, als Gastwissenschaft- zwischen Autonomie und Anpassung, ler in Canberra, Toronto, Philadelphia tionsforschung in Deutschland sind Wiley-VCH, Weinheim (2006) und Berlin. Von 1978 bis 2002 war er die bedeutendsten Entwicklungen [3] J. R. Oppenheimer und H. Snyder, Phys. Professor für theoretische Physik an auf dem Gebiet der ART zwischen Rev. 56, 455; J. R. Oppenheimer und der Universität Göttingen. Neben G. M. Volkoff, Phys. Rev. 55, 374 (1939) seiner Arbeit über relativis­tische 1945 und 1990 aus anderen Ländern [4] R. C. Tolman, Relativity Thermodyna- Theo­rien der Gravitation forscht er gekommen, vor allem aus den USA, mics and Cosmology, Oxford Univer- als Wissenschaftshistoriker u. a. über England und der UdSSR. Man muss sity Press, Oxford (1934) A. Einstein, F. Klein und B. Riemann. wohl einen Zusammenhang mit der [5] P. Bergmann, Introduction to the Theory

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