Black Boxes – Versiegelungskontexte Und Öffnungsversuche Materiale Textkulturen
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Black Boxes – Versiegelungskontexte und Öffnungsversuche Materiale Textkulturen Schriftenreihe des Sonderforschungsbereichs 933 Herausgegeben von Ludger Lieb Wissenschaftlicher Beirat: Jan Christian Gertz, Markus Hilgert, Hanna Liss, Bernd Schneidmüller, Melanie Trede und Christian Witschel Band 31 Black Boxes – Versiegelungskontexte und Öffnungsversuche Interdisziplinäre Perspektiven Herausgegeben von Eckhard Geitz, Christian Vater und Silke Zimmer-Merkle ISBN 978-3-11-069979-1 e-ISBN (PDF) 978-3-11-070131-9 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-070140-1 ISSN 2198-6932 Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution-NonCommercial- NoDerivatives 4.0 International Licence. Weitere Informationen finden Sie unter http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/. Library of Congress Control Number: 2020936591 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Eckhard Geitz, Christian Vater und Silke Zimmer-Merkle, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston. Dieses Buch ist als Open-Access-Publikation verfügbar über www.degruyter.com. Einbandabbildung: Ausschnitt aus: W. Ross Ashby, An Introduction to Cybernetics, Chapman & Hall, London, 1956, fig. 6/8/1 (p. 95). Internet (1999): http://pcp.vub.ac.be/books/IntroCyb.pdf – Copyright © 1956, 1999 by The Estate of W. Ross Ashby. Satz: Sonderforschungsbereich 933 (Nicolai Schmitt), Heidelberg Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com Inhalt Einleitung Eckhard Geitz, Christian Vater und Silke Zimmer-Merkle Einleitung: Black Boxes. Bausteine und Werkzeuge zu ihrer Analyse 3 Abschnitt 1: Praktiken des Versiegelns und des Öffnens Florian Arnold Black Box | Steuerungsdispositiv. Cybersyn oder das Design des Gestells 21 Ulrich Blanché Black Box Banksy 41 Daniel Irrgang Vilém Flussers Black Box 53 Verena Kuni Black Box(ing) und/als Critical Making? 71 Mark Fischer Respondenz Abschnitt 1: Praktiken des Versiegelns und Öffnens von Black Boxes 99 Abschnitt 2: Anstalt und Apparat Felix Maschewski und Anna-Verena Nosthoff Tragbare Kontrolle. Die Apple Watch als kybernetische Maschine und Black Box algorithmischer Gouvernementalität 115 Eckhard Geitz Heterotopie und Black Box. Versiegelungskontexte der digitalisierten Psychiatrie 139 VI Inhalt Maike Janssen „Dies ist kein Medizinprodukt“. Analytische Zugänge zu Black-Boxing-Prozessen in der Software-Herstellung 155 Philipp Zeltner Experimentalsysteme im Dispositiv der Biomacht. Vom Öffnen der Black Box des Genome Editing mit CRISPR-Cas9 179 Mathis Nolte Respondenz Abschnitt 2: Super Black Boxes, epistemische Objekte, Grenzobjekte und Heterotopie-Miniaturen. Vier Angebote für produktive Übersetzungen des Black Box-Begriffs 205 Abschnitt 3: Welt – Werkzeug – Wissen Christoph Borbach Epistemologisches Reverse Engineering. Oder: Über Techniktheorie(n), Gilbert Simondon und das Echolot 227 Michael R. Ott Black Box Buchdruck 253 Oliver Schlaudt Zweckentfremdung als Mittelaneignung. Fünf Thesen und eine Schicksalsfrage 267 Silke Zimmer-Merkle Respondenz Abschnitt 3: Geschichte ist (k)ein Dosenöffner 287 Abschnitt 4: Das Computerdispositiv Henning Mayer, Florian Muhle und Indra Bock Whiteboxing MAX. Zur äußeren und inneren Interaktionsarchitektur eines virtuellen Agenten 295 Christian Vater Turings Maschine und Blacks Box – Mechanische Intelligenz nach dem Feedback 323 Inhalt VII Kathrin Eitel Respondenz Abschnitt 4: Don’t paint it black! Zur Reflexivität und (Un-)Sichtbarkeit epistemischer Praktiken im Umfeld Mensch-Maschine 351 Epilog Hans-Peter Schütt „Du lebloses, verdammtes Automat!“. Unser Schicksal vis-à-vis Maschinen und Automaten 381 Vorstellung der Autorinnen und Autoren 411 Index 415 Einleitung Eckhard Geitz, Christian Vater und Silke Zimmer-Merkle Einleitung: Black Boxes Bausteine und Werkzeuge zu ihrer Analyse Es gibt Begriffe, deren Gebrauch viral wird, wurden sie erst einmal in den akade- mischen Diskurs eingeführt. Sie sind griffig und zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort lassen sie sich dazu verwenden, einen bestimmten Typ von Phänomen zu bezeichnen. Black Box ist gegenwärtig im akademischen Gespräch, in Arbeitsgruppen oder auf Fachkonferenzen ein solch allgegenwärtiger Begriff. Gleich- wohl wird der Begriff Black Box an Stellen, wo es zu erwarten wäre, kaum diskutiert: Weder in offiziellen noch in inoffiziellen Repositorien1 finden sich Spuren zur Black Box, die über den metaphorischen Gebrauch des Wortes in Überschriften hinausge- hen. In der British Library, in der Library of Congress oder in der Bibliothèque Natio- nale de France sind Bücher verzeichnet, deren Titel – in Paraphrase – „das Öffnen der Black Box eines wichtigen Gegenwartsproblems“ versprechen, die „die Black Box einer menschlichen Eigenschaft erklären“ wollen oder die ganz technisch maschinel- les Lernen oder informatische Modellbildung vermitteln. Wenig Beschäftigung findet hingegen mit dem theoretischen Konzept, den materiellen Artefakten oder ihrer Sys- tematik und Geschichte statt.2 Auch in der ansonsten detaillierten, technikfreund- lichen und vierteljährlich aktualisierten Stanford Encyclopedia of Philosophy3 findet sich kein eigenes Lemma. Im deutschsprachigen Raum scheint zwar die Metapher vom „Öffnen der Black Box“ häufig in kritischer Absicht verwendet zu werden – etwa mit Blick auf unzugänglich wirkende soziale Systeme oder (informations-)technische Artefakte –, gleichzeitig findet sich aber in der Deutschen Nationalbibliothek kaum et- was jenseits metaphorischer Referenzen.4 Der Mittelstraß’schen Enzyklopädie Philo- sophie und Wissenschaftstheorie reichen 16 griffige Zeilen, die Peter Janich5 formuliert hat, und die sich zwischen der ersten Ausgabe des Bandes 1 (noch A–G) 1984 und der aktuellen zweiten Ausgabe des Bandes 1 (nun A–B) 2005 nicht verändert haben. Der 1 Vgl. philpapers.org, monoskop.org, academia.eu, jstor.org, auch gen.lib.rus.ec. 2 Gleichwohl gibt es Ausnahmen, wie zum Beispiel einen 1960 deklassifizierten Bericht des National Defence Committee von 1946 zum zeitaktuellen Stand der Radarstörungs-Technologie. 3 Die ersten Lemmata, die hier online gestellt wurden, datieren bezeichnenderweise beide auf den 14. September 1995: „Gottlob Frege“ und „Turing Maschines“ – hier könnte man einen „Black Box“- Artikel erwarten. 4 Von Hilgers 2010 spricht auf Seite 139 von 12.000 Treffern in der Google-Suche – diese quantitative Tiefenlotung über einen beliebigen Datenraum scheint im Vergleich zu einem kuratierten Datenraum aber irrelevant zu sein. Es finden sich nur wenige semantisch (also fachlich) einschlägige Arbeiten, der Unterschied zur Fundzahl metaphorischer (auch rhetorisch-werblicher) Verwendungen der Zeichen- kette „Black Box“ ist bemerkenswert. 5 Janich (2005 [1984]). Open Access. © 2020 Eckhard Geitz, Christian Vater und Silke Zimmer-Merkle, publiziert von De Gruy ter. Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 4.0 Lizenz. https://doi.org/10.1515/9783110701319-001 4 Eckhard Geitz, Christian Vater und Silke Zimmer-Merkle Black-Box-Artikel bleibt auf das Wesentliche reduziert, er verweist auf die Lemmata ‚Kybernetik‘ und ‚Modell‘ und führt keine Literaturangaben an: Eine Black Box, ein Schwarzer Kasten, sei ein in Kybernetik und Regeltechnik ausgearbeitetes Verfahren, das unbekannte Teile eines Systems über deren Input und Output erschließen würde, und es sei als solches sowohl in der Technik als auch in ingenieurs- und naturwissen- schaftlichen Fächern im Gebrauch. Darüber hinaus eigne es sich für die Analyse und Konstruktion technischer Artefakte. Andererseits könne es auch heuristisch verwen- det werden, um mittels „erklärender konstruktiv planender Hypothesen“6 zur Modell- bildung beizutragen. Relevant erscheinen außerdem vier einschlägige Veröffentlichungen, die typi- scherweise zitiert werden, zu denen sich diskursive Spuren finden oder denen wir eine zukünftige Wirkmacht unterstellen wollen: Ein grundlegender nicht-technischer Text, der als genuiner Beitrag zur Black Box-Theorie gelesen werden kann, ist Bruno Latours On Technical Mediation – Philosophy, Sociology, Genealogy von 1994.7 Ziel Latours ist es, die Rolle materieller Dinge für unser Handeln zu klären und Grund- sätzliches zur Technik- und Konzeptgeschichte zu schreiben. Ein Baustein ist hier- bei eine epistemische Operation, mittels derer er die Suche nach Black Boxes auf die uns umgebende Alltags- und Arbeitswelt ausdehnt. Er konstatiert, dass wir von Black Boxes umgeben seien, die, wenn wir sie öffnen würden, Teile enthielten, die selbst wieder Black Boxes einzelner Teile seien.8 Jede dieser Black Boxes habe wieder eine Geschichte und eine Binnenstruktur. Der für ihn relevante Sprung liegt jedoch darin, diese Black Boxes als ‚geworden‘ aufzufassen – genauer: als ‚gemacht‘. Diesen Pro- zess des Black Box-Werdens und des Herstellens von Black Boxes benennt er mit dem Verb black boxing und stellt detailliert und visualisiert ein siebenstufiges Genesemo- dell zur Verfügung – vom Aufkommen des Interesses an der Vermittlung verschiede- ner Elemente bis zum Vergessen der Tatsache, dass ein nun komplexes System ‚ein- geboxt‘ wurde. Die fertige Black Box bei Latour ist die ‚vergessene‘ Black Box – ein Motiv, das immer wieder auftauchen wird. Dieser Konstruktionsprozess sei aber auch reversibel. Zwar verwendet Latour die Begriffe nicht, doch man könnte von einer frü- hen Theorie des prozessualen