Werner Hegemann 2008-1-010
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Sammelrez: Werner Hegemann 2008-1-010 Sammelrez: Werner Hegemann 1909 für ein Jahr in die USA, um nach ver- Flick, Caroline: Werner Hegemann (1881-1936). schiedenen kurzen Stationen noch im sel- Stadtplanung, Architektur, Politik - ein Arbeits- ben Jahr Mitorganisator der weit in die Zu- leben in Europa und den USA. München: K.G. kunft geplanten Städtebauausstellung „Bos- Saur 2006. ISBN: 3-598-23228-4; 1262 S. ton 1915“ zu werden. Unmittelbar darauf, und wiederum mit erheblicher Protektion Crasemann Collins, Christiane: Werner Hege- Marchs, avancierte Hegemann zum Gene- mann and the Search for Universal Urbanism. ralsekretär der Berliner Städtebauausstellung New York: W.W. Norton & Company 2005. von 1910. In Boston und dann in Berlin ISBN: 0-393-73156-1; 417 S. durchlief Hegemann so einen „Crashkurs“ in den neuesten Entwicklungen des Urbanis- Rezensiert von: Martin Kohlrausch, Deut- mus, traf die entscheidenden Akteure (u.a. sches Historisches Institut Warschau Raymond Unwin, Theodor Goecke, Hermann Muthesius) und erhielt Zugang zu aktuellem Werner Hegemann ist heute fast nur noch Ex- statistischen Material. perten bekannt. Dabei galt Hegemann wäh- Beide Darstellungen betonen die Neuartig- rend der Weimarer Republik – auch inter- keit von Hegemanns Arbeitsweise. Er ver- national – als einer der führenden Archi- stand es, die Stadt als mehr als nur die Summe tekturkritiker und Städtebautheoretiker und ihrer Funktionen zu präsentieren und städ- war zudem erfolgreicher Autor historischer tebauliche Aussagen historisch und ökono- Belletristik. Zwei umfangreiche, nach langem misch abzusichern. Konsequenterweise setzte ‚Schweigen’ fast zeitgleich erschienene Bio- er dabei auf das ‚Soziale’ als große Klammer graphien zu Hegemann leuchten nun ein au- diverser Diskurse der Zeit. Dabei scheute He- ßerordentlich facettenreiches Leben aus und gemann nicht vor populistischen Forderun- geben dabei auch eine Teilantwort auf sein gen und kreativer Interpretation von Statisti- erstaunliches Verschwinden aus dem öffentli- ken zurück, immer wohl auch mit dem Ge- chen Bewusstsein. Christiane Crasemann Col- danken im Hinterkopf, seine eigene Stellung lins „Werner Hegemann and the Search for als Experte des Urbanen zu befördern. Es ge- Universal Urbanism“ konzentriert sich auf lang ihm, die internationale Berliner Ausstel- den Urbanisten Hegemann, vor allem auf des- lung durch entsprechende Veröffentlichun- sen vielfältige Bezüge zu den USA. Caroline gen als Meilenstein zu vermarkten, indem er Flicks monumentale zweibändige Studie un- unter offensiver Verwendung von Superlati- ter dem „Titel Stadtplanung, Architektur, Po- ven und in pathetischer, medial gut verwert- litik“ folgt stärker den biographischen Zäsu- barer Sprache die Zukunftschancen der Stadt ren und interpretiert Hegemann als Bildungs- beschwor. In der professionellen Pressearbeit bürger. und im fortschrittlichen Einsatz von Bildma- Im Jahr 1881 in eine wohlhabende, bürgerli- terial, das zeigt vor allem die Darstellung von che Familie geboren, knüpfte Hegemann früh Collins, kamen Hegemann seine amerikani- – seine erste Reise unternahm er mit 16 Jahren schen Erfahrungen zugute. – Kontakte in den USA, die für seine späte- Im Anschluss an die Berliner Städtebau- re Karriere entscheidend werden sollten. He- ausstellung wurde Hegemann zu einer der gemanns wichtigster Tätigkeitsort wurde je- zentralen Figuren in der Lobbyarbeit für doch zunächst ab 1910 Berlin, wo ihm bereits Groß-Berlin im Rahmen des „Propaganda- während seines Studiums sein Onkel, der Ar- Ausschusses“, einer Interessenorganisation, chitekt und Stadtplaner Otto March, in je- die es sich um Ziel gesetzt hatte, den Kern der Hinsicht förderte. Hegemann absolvier- Berlins und die ehemaligen Vorortgemeinden te ein breites – allerdings nicht Architektur in einer administrativen Einheit zusammen- und Städtebau umfassendes – Studium in Ber- zufassen. Hier bot sich ihm ein organisatori- lin, Paris, Philadelphia, Straßburg und pro- scher und administrativer Rahmen, neue Me- movierte schließlich in Nationalökonomie bei thoden in der Erfassung urbanistischer Daten Lujo Brentano in München. und ihrer Präsentation zu erproben und dies Mit Marchs Empfehlungen ging Hegemann mit der nicht gänzlich uneigennützigen For- © H-Net, Clio-online, and the author, all rights reserved. derung zu verbinden, der unabhängigen Ex- ten Feld war es vergleichsweise leicht, persön- pertise stärker Gehör in der Planung Groß- liche Kontakte, schnelle Auffassungsgabe und Berlins zu verschaffen. Mit Otto March, Her- erhebliches Selbstvermarktungstalent – auch mann Muthesius, Paul Schultze-Naumburg, ohne eine formale Qualifikation – in breit ak- Bernhard Dernburg und Albert Südekum ver- zeptierte Autorität umzumünzen. sammelte Hegemann eine partei- und pro- Zweitens verstärkte sich in diesem Zeit- fessionsübergreifende ‚Modernisierungsfrak- raum der transatlantische Austausch im Rah- tion’ um sich. Antrieb der Gruppe war die men des „progressive movement“ erheb- wirkmächtige Groß-Berlin-Idee, die sich mit lich.1 Während in Europa immer bereitwilli- der Hoffnung verband, in einem Wurf die ger amerikanische Lösungen als vorbildlich drängendsten urbanistischen Fragen, insbe- rezipiert wurden, galten deutsche und insbe- sondere das Wohnungsproblem angehen zu sondere Berliner Lösungen vielen amerikani- können. schen Experten als nachahmens-, zumindest Während Hegemann im argumentativen aber beachtenswert. Insbesondere der inten- Kampf gegen Mietskasernen und Wohnungs- siv geführte Austausch über die städtische not an eine breite und etablierte Reformdis- Rolle von Grünanlagen und die kontroverse kussion anknüpfen konnte, war sein Insis- Hochhausdiskussion wirkten dabei als Kata- tieren auf den demokratischen Voraussetzun- lysatoren transatlantischen Austauschs. gen und Potenzialen der Stadtreform in die- Da Hegemann früh auf die amerikanische ser Konsequenz neu und originell. Die De- Karte gesetzt hatte, konnte er sich einen mit- mokratisierung der Diskussion um die Stadt, unter paradoxen Rollenwechsel zunutze ma- die Mobilisierung ihrer Einwohner und ei- chen und im jeweils anderen Kontinent als eu- ne dynamische Entwicklung mit nachhalti- ropäischer bzw. amerikanischer Experte reüs- gen Veränderungen gehörten für ihn unmit- sieren. Dies zeigt besonders anschaulich eine telbar zusammen. Entgegen der vor dem Ers- Vortragsreise in die USA im Jahr 1913, als He- ten Weltkrieg auch in den USA verbreiteten gemann als „the builder of cities“, „the apost- Auffassung, dass nur ein paternalistisches po- le and prophet of German city planning“ (Col- litisches System wie in Deutschland effekti- lins, S. 106f.) mit zunehmender Berühmtheit ve und erfolgreiche Stadtplanung garantie- von der Ost- an die Westküste reiste, ohne ren könne, betonte Hegemann die Notwen- dass ganz klar war, worin konkret seine ei- digkeit, die Stadtbewohner einzubinden und gentliche Expertise bestand. Planung demokratisch zu legitimieren. „The So sehr Hegemann auf diese Weise von city that is to be“ (Collins, S. 27) musste durch der „ersten Globalisierung“ profitieren konn- Hegemann zwar zunächst propagiert werden, te, so dramatisch war für ihn der Einschnitt konnte dann aber als Vision ungeheure Kräf- des Ersten Weltkriegs. Der Krieg überrasch- te entfalten – auch für den, der sie verkün- te Hegemann auf einem deutschen Passagier- dete. Im kurzen Zeitraum zwischen der Bos- schiff, so dass er das erste Kriegsjahr inter- toner Ausstellung von 1909 und der Berliner niert vor der Küste Mosambiks verbringen Ausstellung von 1910 stieg Hegemann in der musste. Auf abenteuerliche Weise gelangte öffentlichen Wahrnehmung vom Dilettanten Hegemann dann in die USA, wo er bis Kriegs- zu einem der wichtigsten Experten einer sich ende zusammen mit Elbert Peets als Land- etablierenden urbanistischen Szene auf. Flick schaftsplaner in Milwaukee tätig war, das wie Collins bieten hierfür zweierlei Erklärun- Material für den „American Vitruvius“ sam- gen an: melte und erst 1922 in nunmehrige „Groß- Erstens war Hegemann zur richtigen Zeit am richtigen Ort und kannte die richtigen 1 Rogers, Daniel T., Atlantic crossings. Social poli- Leute. Stadtplanung als eigene Profession ent- tics in a progressive age, Cambridge Mass. 1999; Saunier, Pierre-Yves, Transatlantic Connections wickelte sich überhaupt erst seit der Jahr- and Circulations in the 20th Century. The Urban hundertwende. Nun fanden die ersten gro- Variable,in: Informationen zur modernen Stadtge- ßen urbanistischen Ausstellungen statt und schichte (2007), 1, S. 11–24. Online verfügbar unter zeitgleich entstanden die ersten einschlägigen <http://halshs.archives-ouvertes.fr/docs/00/16/83 /09/PDF/transatlantic_connections_IMS_HAL.pdf> Studiengänge. In einem noch nicht fest gefüg- (21.11.2007). © H-Net, Clio-online, and the author, all rights reserved. Sammelrez: Werner Hegemann 2008-1-010 Berlin“ zurückkehrte.2 Hegemann wurde nun Eher zeugen die teils sehr scharf geführten zwar nicht Berliner Stadtbaudirektor, was im- Auseinandersetzungen von einer zunehmen- merhin diskutiert worden war (Flick, S. 457), den Verengung und Radikalisierung der Po- avancierte aber zum Herausgeber der ein- sitionen, aber auch von dem, was Collins un- flussreichen Zeitschrift ‚Wasmuths Monats- ter dem treffenden Titel „pitfalls of Criticism“ hefte’ und des von ihm wiederbegründeten subsumiert (Collins, S. 192). Dies galt umso Journals ‚Der Städtebau’. In Nikolassee eta- mehr als Hegemann sich explizit gegen den blierte sich Hegemann inmitten einer Ge- Heroenkult um die Protagonisten der Moder-