BADISCHE HEIMAT Mein Heimatland Zäbringer Städte 50. Jg., Heft 1, Juni 1970 M 1459 F

Der neue Bertoldsbrunnen

Landesverein Badische Heimat e.V., Freiburg i. Br. BADISCHE HEIMAT INHALT

MEIN HEIMATLAND 50. Jahrgang / Heft 1, Juni 1970

Herausgegeben im Auftrag des V o rw o rt. Von Franz Laubenberger, Freiburg .... l Landesvereins ßadisdie Heimat e. V. für Heimatkunde und Heimatpflege, Freiburg im ßreisgau. Von Franz Laubenberger, Freiburg 2 Natur- und Denkmalschutz, Volkskunde und Volkskunst, Familienforschung Schriftleitung: Ernst Bozenhardt Die Burg Zähringen. Von C. A. Müller, Basel .... 22 Frei bürg i. Br., Tel. 7 37 24 Haus Bad. Heimat, Hansjakobstr. 12 Mitglieder des Redaktionsaus­ . Von Hans Strahm, B e r n ...... 36 schusses: W. Bickel, ßretten, Dr. L. Döbele, Säckingen, Dr. R. Feger, Freiburg, W. Hensle, Lahr, Dr. E. Strobel, Karlsruhe, Dr. A. Traut­ Freiburg im Uechtland mann, Walldürn (Müllheim) Von Alfred A. Schmid, FreiburgjUechtland ...... 55

Diese Zeitschrift erscheint viertel­ jährlich. Der Verkaufspreis ist durch M urten. Von Pascal Ladner, Freiburg/Uechtland . . . 74 den Mitgliedsbeitrag abgegolten. Jahrespreis durch den Buchhandel mit Ekkhart-Jahrbuch DM 16.— ohne Ekkhart-Jahrbuch DM 14.— G ra sb u rg . Von Gottfried Boesch, Gelfingen /Schweiz . . 85 Jahresbeitrag für Einzelmitglieder. . DM 12.— für Körperschaften . . DM 15.— Laupen. Von Gottfried Boesch, Gelfingen/Schweiz . . . 87

Einbanddecken zu DM 3.- für die Jahrgänge 1962, 1963, 1964, 1965, G üm m enen. Von Gottfried Boesch, Gelfingen/Schweiz . . 93 1966, 1967,1968,1969sind vorrätig. Alle Rechte der Vervielfältigung und Verbreitung behält sich der Verlag vor. O ltig e n . Von Gottfried Boesch, Gelfingen/Schweiz . . . 97 Alle Sendungen für die Zeitschrift sind an den Landesverein Badische H ei m a t, Fre ib u rg i. Br., Hansjakobstr. 12, zu richten. Für un­ Offenburg. Von Otto Kähni, O ffenburg ...... 99 verlangte Manuskripte und ße- sprechungsstückewird keineHaftung übernom m en Enstehung und Entwicklung der Stadt Villingen. Zahlstellen des Landesvereins Postscheckkonto Karlsruhe 16468 Von Josef Fuchs, V illin g en ...... 113 Bankhaus I. A. Krebs, Freiburg i. Br. 873 Deutsche Bank Freiburg i. Br. 370437 Stadt. Spark. Freiburg, Girokto. 2003201

Neuenburg. Von Konstantin Schäfer, Neuenburg . . . 123 Gesamtherstellung und Anzeigen Verwaltung Verlag G. Braun, 7500 Karlsruhe 1 Karl-Friedrich-Str. 14-18 Tel.*26951 Telex 07826904 vg b d BADISCHE HEIMAT M ein Heimatland Zähringer Städte 50. Jahrg. 1970, Heft 1

Vorwort

Anstelle dieses Vorworts hat unser hochverdientes ehemaliges Mitglied, Heimatfreund und Altmeister der geschichtlichen Landeskunde, Prof. Dr. Friedrich Metz, Freiburg i. Br., eine ausführliche Einleitung schreiben wollen. Sein unerwartetes, von uns allen schmerzlich betrauertes Hinscheiden am 24. 12. 1969 hat ihm dies verwehrt. Er war es, der die Anregung gegeben hat, zum 850jährigen Gründungsjubiläum der Zähringerstadt Freiburg im Breisgau nicht nur diese Stadt allein, sondern auch alle anderen Zähringergründungen in kurz gefaßten Abhandlungen zu würdigen und diese in einem Sammelband zu ver­ einen. Dem Leser sollte somit die Möglichkeit geboten werden, einmal die historische und wirtschaftspolitische Bedeutung jenes Dynastengeschlechts der Herzöge von Zähringen kennenzulernen, die als Städtegründer im deutschen Südwesten des mittelalterlichen Rei­ ches das Landschafts- und Siedlungsbild zwischen Schwarzwald, Jura und den Alpen mitgeprägt und Bleibendes geschaffen haben. Zum ändern aber sollte auch aus heutiger Schau eine nicht minder interessante Übersicht darüber gegeben werden, wie sich die ein­ stigen Zähringergründungen in unseren Tagen darstellen. Die Tatsache, daß sie alle noch als Gemeinwesen fortbestehen, spricht für den sicheren Instinkt ihrer Gründer ebenso wie für die solide wirtschaftliche Basis, auf der sie entstanden sind. Freilich hat die unterschied­ liche historische Entwicklung im Laufe der wechselvollen Jahrhunderte sie nicht alle in gleicher Größe und Bedeutung erhalten, doch liegt gerade auch in der Differenziertheit dieser Zähringerstädte der besondere Anreiz, sie in Vergangenheit und Gegenwart zu betrachten. Leider haben auch unter den Autoren Krankheit und Tod verhindert, daß diese Überschau den Anspruch auf Vollständigkeit erheben könnte. So ist es insbesondere zu bedauern, daß Städte wie Thun und Rheinfelden im Kranz der Zähringergründungen fehlen. Trotz­ dem hoffen wir, mit dieser Publikation eine anregende und vielseitige Lektüre bieten zu können. Dr. Franz Laubenberger

1 Badische Heimat 1970 l Freiburg im ßreisgau

Von Franz Laubenberger Es gehört sicherlich zu den reizvollsten Fuß tiefe Bauplätze (Hofstätten) überlassen Erlebnissen eines Stadtrundganges in Frei­ wurden. Wo immer her auch andere auswär­ burg, den Wochenmarkt auf dem Münster­ tige Kaufleute den Freiburger Markt besu­ platz aufzusuchen, der sich dort so malerisch chen wollten, es war ihnen „Friede und um das Münster herum gruppiert. Entlang Sicherheit des Weges“ garantiert solange sie der Bänke und Stände sieht man sich nicht sich auf zähringischem Territorium befanden. nur einem täglich neuen Angebot der Ver­ Falls sie in der Stadt ansässig werden wollten, käufer gegenüber, sondern man erlebt auch waren ihnen die gleichen Rechte und Frei­ unmittelbar die für Freiburg so charak­ heiten zugesichert, wie sie die eingesessenen teristische Atmosphäre einer Stadt, die noch Kaufleute kraft der geltenden Satzungen in enger Verbundenheit mit ihrer ländlichen schon besaßen. Diese in den achtzig Artikeln Umgebung lebt. Da stehen heute noch wie der Gründungsurkunde festgelegten Rechte ehedem die Bauersleute aus dem Dreisam-, und Pflichten stellen zugleich die erste Stadt­ Glotter- und Elztal, die Winzer und Obst­ verfassung dar, die Herzog Konrad von züchter aus dem Markgräflerland und vom Zähringen bestätigt hat. Der Schultheiß und Kaiserstuhl gleichberechtigt neben dem die 24 Marktgeschworenen vereinigten in städtischen Kaufmann und bieten ihre Wa­ ihrer Hand das gesamte Gemeinwesen, Justiz, ren und Erzeugnisse dem Käufer zur Schau Verwaltung und Polizei. Sie durften selbst und zur Wahl. Steuer und Zoll für die Stadt festsetzen und Wohl kaum ein Marktbesucher ist sich da­ die in der Stadt allein gültigen Maße und bei der Tatsache bewußt, daß dieser Markt, Gewichte bestimmen. Aus ihrer Mitte wähl­ der für die Lebensmittelversorgung einer ten sie die 24 Ratsmannen, den Schultheiß modernen Großstadt eine höchst nützliche und den Fronwäger, der auf der öffentlichen und notwendige öffentliche Einrichtung ist, Waage im Kaufhaus den Marktzoll er­ zu jenen typischen Merkmalen gehört, die mittelte. im Mittelalter einer Stadt erst diesen Rang Es ist hier nicht der Ort, das älteste Frei­ verschafften und sie dadurch vor den ande­ ren dörflichen Gemeinwesen unterschieden burger Stadtrecht zu interpretieren, schon deshalb nicht, weil diese älteste Handfeste und auszeichneten. Das gilt ganz besonders im Original leider nicht mehr existiert, son­ auch für die Stadt Freiburg im Breisgau, dern nur in späteren Abschriften, im soge­ denn als eine ausgesprochen Markt- und nannten Stadtrodel von 1220 sowie in der Flandelsstadt sollte sie nach dem Willen ihrer Gründer, der Herzöge Konrad und Fassung des Tennenbacher Berains von 1341 Bertold von Zähringen, emporwachsen und und des um 1260 entstandenen Rechts der emporblühen. Es ist daher schon in der Stadt Bremgarten erhalten ist. Der äußerst Gründungsurkunde von 1120 diese Absicht schwierigen Aufgabe, aus diesen wenigen klar formuliert und die wirtschaftliche Ziel­ Quellen das älteste Freiburger Stadtrecht setzung Freiburgs durch großzügige Privi­ wieder herauszupräparieren und es neu zu legien gesichert. Den hervorragendsten Stand deuten, hat sich Professor Walter Schlesinger der freien Bürger bildeten die Kaufleute (Marburg) verschrieben, der seine verdienst­ (mercatores personati), denen gegen einen vollen Forschungen vor kurzem publiziert geringfügigen Zins 50 Fuß breite und 100 hat1). 2 Freiburg i. Br., Merian-Stich (um 1620)

(Es kann wohl auch angenommen werden, Der Freiburger Silberpfennig, Brisker ge­ daß W. Schlesingers jüngste Zusammenfas­ nannt, wie überhaupt Freiburger „Gemünz sung seiner wissenschaftlichen Erkenntnisse, und Gewäg“ blieben das ganze Mittelalter die er in einem Vortrag über die Gründungs­ hindurch bis in die Neuzeit hinein in hohem vorgänge und -phasen darlegte, in abseh­ Ansehen. barer Zeit publiziert wird.) Um 1200 begannen die wohlhabend gewor­ Dem raschen Aufschwung Freiburgs kamen denen Bürger den Bau des Münsters, in dessen indes mehrere Gegebenheiten zugute2). Der ältestem, romanischen Teil 1218 der letzte wirtschaftliche Weitblick der Zähringer für Zähringer, Herzog Bertold V., beigesetzt die verkehrsgünstige Lage der jungen Stadt wurde, während seine Vorgänger in dem am schon bestehenden ostwestlichen Han­ Hauskloster der Zähringer zu St. Peter im delsweg von Schwaben nach dem Elsaß und Schwarzwald ihre Grablege genommen hat­ nach Burgund hat sich sehr bald bestätigt. ten. Aber auch die reichhaltigen Silber- und Unter den Erbnachfolgern der Zähringer, Erzvorkommen im Breisgau, vor allem am den Grafen von Urach, die sich seit der Schauinsland, im benachbarten Münstertal, Übersiedlung von Hohen-Urach nach dem im Elz- und Glottertal förderten das Gedei­ Schloßberg oberhalb der Stadt als Grafen hen und die Entfaltung einer einträglichen von Freiburg bezeichneten, erfuhr die Stadt Marktwirtschaft. Schon 1258 sicherte sich weiteres Wachstum und Gedeihen. Die För­ die Stadt die Stabilität ihrer Silberwährung: derung des Münsterbaues und die Gründung Alles Silber, das im Münstertal gewonnen mehrerer Klöster war ihnen besonderes An­ wurde, mußte samt und sonders in die Frei­ liegen. Die verfassungsmäßige Erweiterung burger Münze abgeliefert werden und durfte der Stadtverwaltung um die alljährlich nicht an andere städtische Präganstalten, wechselnden „Nachgehenden Vierundzwan­ etwa an die Basler Münze, verkauft werden. zig“ Ratsmitglieder war jedoch kennzeich­

i 3 nend für die zunehmende Macht selbstbe­ hanni gewählte Bürgermeister. Bürgermeister wußten Bürgertums. Diese erreichte während und Rat bildeten zusammen die Stadtobrig­ der Herrschaft des Grafen Egino II. (1272 keit. — 1316) ihren Höhepunkt, als dieser 1275 Durch seine Fehden erheblich verschuldet, eine neue Stadtverfassung anerkennen muß­ suchte Graf Egino II. bei der Bürgerschaft te, welche die Rechte der Geschlechter und finanzielle Hilfe, erst durch Bitten, dann den Einfluß der Bürger erheblich erweiterte. durch Drohen. Aus der Zwietracht entstand Stolz auf ihre ansehnliche, mit Mauern und Feindschaft. Der Graf belagerte die eigene Türmen bewehrte Stadt, folgten die Frei­ Stadt und die Bürger zerstörten ihm das burger willig ihrem Herrn auf mehreren untere Schloß. Bei Betzenhausen kam es zum Kriegszügen, die Graf Egino II. als Partei­ offenen Kampf. An der Spitze seiner Hilfs­ gänger Ottokars von Böhmen gegen den truppen wurde Eginos Schwager, der Straß­ deutschen König Rudolf I. von Habsburg burger Bischof Konrad von Fichtenberg, von unternahm. Während König Rudolf in Böh­ dem Freiburger Metzger Hauri tödlich ver­ men den Entscheidungskampf führte, zer­ wundet. Dadurch war der Kampf zugunsten störten ihm die Freiburger die Reichsburg der Freiburger entschieden. Seitdem bean­ Zähringen. Vergebens belagerten des Königs sprucht die Metzgerzunft den Vortritt vor Söhne 1279 die Stadt; erst nach der dritten den anderen Zünften bei der Freiburger Belagerung durch den König selbst waren Fronleichnamsprozession. Das Bischofskreuz die Freiburger zum Friedensschluß bereit. und der Name Bischofslinde erinnern noch Graf Egino mußte das usurpierte Reichs­ an den Tod Konrads im Jahre 1299. gut wieder herausgeben, die Bürger gelobten neben der Zahlung eines Sühnegeldes den Zu einem dauernden Frieden kam es aber Wiederaufbau der Burg Zähringen und des auch unter den späteren Grafen von Freiburg zerstörten Klosters Adelhausen. Dafür ge­ nicht. Sowohl Konrad II. als auch Friedrich währte der König der Stadt die gleichen mußten es hinnehmen, daß die Freiburger Rechte, Gnaden und Freiheiten, wie sie Kol- Kriegsbündnisse mit anderen Städten schlos­ mar und andere Städte des Reiches schon sen, u. a. mit Straßburg, Basel, Mainz, besaßen. Worms, Speyer, Konstanz, Findau, Zürich und Bern, so daß sie von den immer tiefer Damit war die Macht der Grafen von in Schulden geratenen Grafen, das Münz­ Freiburg zum Sinken verurteilt. Das Bür­ regal und schließlich völlig freies Bündnis­ gertum und vor allem der in den Einun­ recht erhielten. Aus dieser Zeit des mächtig gen und Berufsgenossenschaften organisierte aufstrebenden Bürgertums stammen auch die Handwerkerstand nahm die Gunst der Stun­ vielen wohltätigen Stiftungen und die Pfrün­ de wahr: Die neue Stadtverfassung von 1293 den im Münster, vor allem die bis heute be­ bestätigte die 18 Zünfte unter ihren Zunft­ stehende Heilig-Geist-Spital-Stiftung (1318). meistern und dem Obristzunftmeister. Mit Freiburgs Bürgermeister, der Ritter Johann acht Vertretern zogen sie in den Rat der Snewli, genannt der Gresser, stiftete 1346 Stadt ein. Auch von den neun Mitgliedern das Karthäuserkloster am Johannesberg. des Gerichtes gehörten nunmehr zwei dem Die große Pest vom Jahre 1348 hielt auch Handwerkerstand an, während der Schult­ in Freiburg reiche Ernte. Die Angst und heiß als Vorsitzender im Gericht bis ins die Ohnmacht vor dem „Schwarzen Tod“ 18. Jahrhundert hinein meist ein Adliger lösten — wie auch in anderen Städten — in war. An der Spitze des Gemeinwesens stand Freiburg erstmals eine große allgemeine Ju­ in Krieg und Frieden der jährlich an Jo­ denverfolgung aus. 4 Ältestes Fachwerkhaus Freihurgs um 1450 mit dem 1807 errichteten Bertoldsbrunnen, (1944 zerstört)

5 Die wirtschaftliche Blüte der Stadt zu Be­ Seelen umfassende Gesamteinwohnerschaft ginn der zweiten Hälfte des 14. Jahrhun­ bildeten. derts, ihre damit verbundene Unabhängig­ Im Kampf gegen die territorialen Aus­ keit in politischer und rechtlicher Hinsicht dehnungsversuche der Eidgenossenschaft — und die Wehrhaftigkeit der Bürger führten um deren Verbindung mit dem schwäbischen zwangsläufig zum offenen Zerwürfnis mit Städtebund zu hindern — fiel Herzog Leo­ dem Stadtherrn, Graf Egino III. (1358 — pold III. in der unglücklichen Schlacht bei 1368) von Freiburg. Die Freiburger zerstör­ Sempach am 9. Juli 1386. Mit ihm blieb ten die Grafenburg auf dem Schloßberg die Blüte des Freiburger und Breisgauer (1367), erlagen aber trotz Kriegshilfe der Adels auf dem Kampffeld, darunter auch Städte Basel, Breisach, Neuenburg und Ken- der Bannerträger Freiburgs, Ritter Martin zingen dem Heer des Grafen und seiner Ver­ Malterer. Gegen die bei Sempach geschwäch­ bündeten in dem blutigen und verlustrei­ ten adligen Geschlechter revoltierten nun die chen Kampf bei Endingen am Kaiserstuhl. Zünfte: An die Spitze des Gemeinwesens Mit der Summe von 15 000 Mark Silber stellten sie 1388 einen bürgerlichen „Am- und der Verpflichtung, Graf Egino III. die meister“, nahmen von den 30 Sitzen im Herrschaft Badenweiler zu kaufen, sagte Stadtrat selbst 18 ein und überließen dem sich die Stadt 1368 von ihm los und begab Adel nur noch 12 Sitze. Herzog Leopold IV. sich freiwillig unter den Schutz des Hauses (1386 — 1411) schränkte zwar die zunft­ Habsburg. freundliche Stadtverfassung wieder ein und Zunächst von den Herzögen Albrecht III. schaffte das Amt des Ammeisters wieder ab, und Leopold III. gemeinsam regiert, gehör­ aber es blieb bei der vorwiegend bürgerli­ ten Freiburg und der Breisgau nach der chen Besetzung des Rats: 12 Adlige, 12 Länderteilung zwischen den beiden Brüdern Kaufherren, 18 Zunftmeister und 6 Zünf­ im Jahre 1379 zu den Gebieten, die Herzog tige. Als ein weiteres Zeichen aufstrebender Leopold III. zugesprochen bekam, und die Macht und Blüte der Stadt ist der Beitritt mit Schwaben, Thurgau, Aargau, Schwarz­ Freiburgs zum sogenannten Rappenmünz­ wald, Elsaß und Sundgau die späteren öster­ bund der oberrheinischen Städte (1404) zu reichischen Vorlande bildeten. König Wenzel erwähnen sowie die Tatsache, daß um die verlieh der Stadt zwei gefreite Jahrmärkte. Jahrhundertwende über 30 Städte und Orte Die schutzzöllnerische Gewerbe- und Han­ in ihrer Rechtsprechung Freiburg als Ober­ delspolitik des Rats unter weitgehender bür­ hof anerkannten und ihren Rechtszug nach gerlicher Selbstverwaltung trug ihre Früchte: Freiburg nahmen. Die Stadt kaufte 1381 das Dorf Betzen­ Weniger kriegerisch, aber nicht minder er­ hausen. Aus dieser Zeit stammt auch die erste eignisreich wirkte sich die Herrschaft Herzog Nachricht über die Freiburger Edelstein­ Friedrichs IV., „mit der leeren Tasche“, schleiferei, die im 15. und 16. Jahrhundert (1411 — 1415; 1427 — 1439), auf das ihre höchste Blüte erlebte. Schicksal der Stadt aus. Weil er die Flucht Noch vor der Wende zum 15. Jahrhun­ des von den Konstanzer Konzilsvätern ab­ dert zählte man innerhalb der Stadt 57 ade­ gesetzten Papstes Johannes XXIII. aus der lige Herren, 42 Kaufherren, 77 Weltgeist­ Konzilsstadt begünstigt und ihm in seiner liche, 20 Klöster und Klosterhöfe, 13 Juden Stadt Freiburg Aufenthalt und bei den Pre­ und 1561 zünftige Bürger, die mit ihren digern Asyl verschafft hatte, kam er in Acht Familienangehörigen, Knechten, Mägden und und Bann. Freiburg, das den Papst mit allen sonstigem Dienstpersonal eine etwa 9000 Ehren empfangen und willkommen geheißen 6 hatte, wurde dafür auf zwölf Jahre Reichs­ Die steten Kriegshändel des verschuldeten, stadt. durch die Eidgenossen bedrängten Herzogs Herzog Albrecht VI. (1450 — 1458) war Sigismund (1458 — 1490) und schließlich der einzige Landesfürst, der auch in Frei­ die beabsichtigte Verpfändung der gesamten burg residierte. Von seinen Bemühungen, die österreichischen Vorlande an Bayern, veran- Stadt zu einem geistigen und kulturellen laßten das Familienoberhaupt, König Maxi­ Zentrum innerhalb des habsburgischen Ter­ milian I. (1493 — 1519), zum Eingreifen. ritoriums am Oberrhein zu machen, zeugt Er nahm die Regierung der Vorlande selbst die Stiftung der Freiburger Universität im in die Hand, und seine Vorliebe für die Jahre 1457. Doktor Matthäus Hummel aus „Hauptstadt des Breisgaus“ ist unverkenn­ Villingen, der erste Rektor, hielt am 26. April bar. Mehrfach weilte er als Kaiser in ihren 1460 im Münster die Einweihungsrede. Von Mauern und nahm seine Wohnung bei den den Vogesen bis Tirol immatrikulierten sich Dominikanern im Kaiserbau. Dort wohnte 214 Studenten an dieser neuen Hochschule er auch mit seiner Gemahlin Bianka Maria im deutschen Südwesten, der zweiten — nach Sforza während der glanzvollen Tage des Wien — im habsburgischen Raum. Freiburger Reichstages von 1498. Diesem einmaligen Ereignis verdankt das (1944 zer­ Die Beteiligung der Stadt an den großen störte) spätgotische Kornhaus seine Entste­ handelspolitischen Bündnissen im 13. und hung, das als Mehrzweckbau im Erdgeschoß 14. Jahrhundert, ganz besonders aber ihre Raum für den Kornmarkt bot und im Ober­ merkantile Verbindung zu den Nachbar­ geschoß den neuen Fest- und Tanzsaal ent­ städten Breisach, Neuenburg, Basel, Straß­ hielt. Das Recht, eigene Goldmünzen zu burg und Rotweil sowie eine beachtliche prägen und alljährlich einen dritten Jahr­ eigene Produktion der Tuchwalken, Stein­ markt abzuhalten, sind nur einige der vielen schleifen, Lohstampfen und Gerbereien spre­ Gunstbeweise, womit der kaiserliche Herr chen dafür, daß Freiburg das ganze Mittel­ die Stadt auszeichnete. Der Wissenschaft zu­ alter hindurch zentrale Umschlagstelle eines getan, regte er die Neufassung des Frei­ starken Handelsverkehrs gewesen ist. Noch burger Stadtrechts durch den Stadtschreiber heute erinnert die Salzstraße an den weit­ und Universitätslehrer Dr. Ulrich Zasius an. reichenden Salzhandel. Mittelpunkt des städ­ Ihn, wie auch seinen Nachfolger im Stadt­ tischen Wirtschafts- und Finanzwesens war schreiberamt, Dr. Jakob Mennel, ernannte

Die Kulturedikte der Kaiserin Maria The­ nehmen, erfolgte nach einem weiteren Ab­ resia und die tiefgreifenden Verwaltungsre­ kommen die Übergabe des Breisgaus und der formen ihres Nachfolgers, Kaiser Josephs II., Ortenau an den Vertreter des Herzogs, den suchten der allgemeinen Verarmung zu steu­ österreichischen Erzherzog Ferdinand. Frei­ ern und den wirtschaftlichen Tiefstand zu burg wurde Sitz der breisgauisch-ortenau- heben. Immerhin gestaltete die Stadt den ischen Landesregierung unter ihrem Regie­ Aufenthalt der Kaisertochter Marie Antoi­ rungspräsidenten, dem Freiherrn Hermann nette, die im Mai 1777 auf ihrer Brautreise von Greiffenegg. Erzherzog Ferdinand re­ zur Vermählung mit dem französischen gierte als modenischer Landesfürst den Breis­ Dauphin in Freiburg weilte, zu glanzvollen gau von Wiener-Neustadt aus. Festtagen. Als Kaiser Joseph II. vom Besuch Nach dem Preßburger Frieden (1806) wur­ seiner Schwester am französischen Flof zu­ den Freiburg und der Breisgau mitsamt der rückkehrte, wohnte er im Gasthaus „Zum Ortenau auf Napoleons Betreiben an den Storchen“, das sich fortan „Römischer Kai­ Kurfürsten von Baden, Großherzog Karl ser“ nannte, was den Freiburger Magistrat Friedrich (1806 — 1811), abgetreten. Zur zur Umbenennung der „langen Gass“ in Erinnerung an diese Rückkehr der Stadt un­ „Kaiserstraße“ bewog (1777). ter einen Nachkommen des Hauses Zährin­ Während der Französischen Revolution gen errichtete man an der Stelle des alten flüchteten viele französische Adlige, darun­ Fischbrunnens im Zentrum der Stadt den ter Graf Boniface Mirabeau, der Bruder des Bertoldsbrunnen. Der damalige Bürgermei­ berühmten Redners, nach Freiburg. Manche ster, Johan Joseph Adrians (1806—1824), blieben, so auch MIRABEAU-TONNEAU, führte nach der Neuorganisation des Stadt­ der sein — heute noch erhaltenes — Grab rates (1807) erstmals den Titel eines Ober­ auf dem Alten Friedhof fand. Die franzö­ bürgermeisters; Großherzog Karl Friedrich sischen Revolutionstruppen rückten über den eines Rector Magnifizentissimus der Breisach gegen Freiburg vor, besetzten es Freiburger Universität. 1796 trotz der tapferen Gegenwehr des neu- Die badische Ära in der Freiburger Stadt­ dem den Doppelnamen „Alberto-Ludovi- geschichte war durch eine umfassende Neu­ gegründeten Bürgermilitärkorps. Sie mußten gliederung der allgemeinen Verwaltung ge­ aber wieder bis zum Rhein zurückweichen, prägt. Freiburg wurde zur „Hauptstadt“ des nachdem Erzherzog Karl durch erfolgreiche Dreisamkreises bestimmt mit Sitz des Drei- Kämpfe die Räumung des Breisgaus erzwang samdirektoriums, zweier Landämter, eines und, stürmisch umjubelt, in Freiburg ein­ Stadtamtes und einer Stadtdirektion. Der zog. Stadtmagistrat bestand aus dem Oberbürger­ Im Frieden von Campo Formio (1798) meister, acht Räten und dem Ratschreiber. zwischen Österreich und Frankreich wurde Die breisgauischen Landstände, Stifter und dem Herzog Hercules III. von Modena der Klöster waren 1806 aufgehoben worden. Breisgau als Entschädigung für die Abtre­ Die napoleonischen Kriege forderten von tung seines Landes an die Cisalpinische Re­ der Stadt Freiburg schwere Opfer. Fast stän­ publik zugesprochen. Da sich Hercules III. dig war die Stadt mit Truppen belegt, denn nach dem Frieden von Luneville (1801) im­ Baden war ein mit Napoleon verbündeter mer noch weigerte, den Breisgau allein als Staat. Eine allgemeine Stagnation in der Ersatz für das Herzogtum Modena anzu­ Gesamtentwicklung der Stadt war die un- 12 Kollegiengebäude II und I mittelbare Folge, die sich noch bis weit in Die Hoffnung vieler Bürger, Freiburg und die Mitte des 19. Jahrhunderts auswirkte. der Breisgau würden nach dem Wiener Kon­ Unter Großherzog Karl (1811 — 1818) er­ greß wieder zu Österreich zurückkehren, er­ lebte Freiburg die Befreiungskriege. Über füllte sich nicht. Freiburg blieb zunächst eine halbe Million Soldaten der verbünde­ eine kleine badische Landstadt, deren Uni­ ten Armeen zogen durch die Stadt, wofür versität zu einer unbedeutenden Provinzan­ abermals hohe Kosten für die Bürgerschaft stalt mit nur wenigen Studenten abgesunken entstanden. Vom Dezember 1813 bis Januar war, so daß ihre Aufhebung von der groß­ 1814 nahmen die verbündeten Monarchen, herzoglichen Regierung in Karlsruhe ernst­ Kaiser Alexander I. von Rußland, Kaiser haft erwogen wurde. Den vereinigten Be­ Franz II. von Österreich und König Fried­ mühungen von Stadtverwaltung und Senat rich Wilhelm III. von Preußen — in Be­ der Universität, insbesondere dem mutigen gleitung Prinz Wilhelms, des späteren Deut­ Eintreten des Freiburger Universitätsprofes- schen Kaisers Wilhelm I. — ihren Aufent­ halt in Freiburg. Seite 14, 15 Freiburg i. Br. Luftbild 13

Freiburg i. Br. um 1852 Kolorierter Stadtplan von Josef Wilhelm Lerch sors Carl von Rotteck, ist die Erhaltung der men. Nach langen und schwierigen Verhand­ Hochschule zu verdanken: lungen fand im Oktober 1827 die Inthroni­ 1820 garantierte der Landesfürst, Groß­ sation des früheren Münsterpfarrers Dr. herzog Ludwig (1818 — 1830), das Weiter­ Bernhard Boll als erstem Erzbischof des neu­ bestehen der Freiburger Universität, die seit­ gegründeten Erzbistums Freiburg statt. dem den Doppelnamen „Alberto-Ludovi- Großherzog Leopold (1830—1852) gab in ciana“ führt. Die Auflösung des alten Bis­ der neuen badischen Gemeindeordnung von tums Konstanz und die Neubildung der 1832 den Städten weitgehende Selbstverwal­ oberrheinischen Kirchenprovinz, als deren tung, doch die Wahl des Freiburger Uni­ Metropole Freiburg ausersehen war, ließen versitätsprofessors und liberalen Abgeord­ der Stadt wieder mehr Bedeutung zukom­ neten der zweiten badischen Kammer, Carl 16 von Rotteck, zum Oberbürgermeister der 18. Jahrhunderts heraus entstanden war und Stadt (1833) wurde von der badischen Regie­ als gemeinnützige Bürgervereinigung noch rung nicht bestätigt. Die starken liberalen bis ins 20. Jahrhundert hinein höchst segens­ Strömungen in Baden fanden schließlich in reich für die Stadt und ihre öffentlichen Ein­ den revolutionären Bewegungen der Jahre richtungen gewirkt hat. 1848/49 sichtbarsten Ausdruck. General Sigel Nach der Reichsgründung am Ende des besetzte mit bewaffneten Aufständischen die deutsch-französischen Krieges von 1870/71 Stadt, wurde aber nach zwei Tagen durch war durch die Rückkehr des Elsasses zum Bundestruppen wieder vertrieben. Nochmals Reich, Baden nicht mehr Grenzland. Zum verteidigten sich die Freischärler im Frühjahr Andenken an die in diesem Kriege unter 1849 in heftigen Straßenkämpfen gegen die General Werder kämpfenden Truppen der unter Prinz Wilhelm anrückenden preußi­ Heimatgarnison des 5. badischen (= 113.) schen Bundestruppen, die schließlich Sieger Infanterieregiments und zum Gedächtnis blieben. Max Dortu und noch zwei Anhän­ seiner gefallenen Soldaten wurde aus einer ger der badischen Freiheitsbewegung wurden Stiftung aller badischen Städte das soge­ auf dem Friedhof in der Wiehre standrecht­ nannte Siegesdenkmal errichtet (1876). lich erschossen. Dortus Grab wird durch eine Stiftung seiner Eltern heute noch erhalten. Die relativ lange Friedensepoche bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges, vor allem der War schon die Eröffnung der Eisenbahn­ nach 1871 einsetzende, mitunter stürmische linie Offenburg—Freiburg (1845) und ihre wirtschaftliche Aufschwung der Gründer­ Fortführung bis Schliengen (1847) Anzeichen jahre, prägten mehr und mehr das Gesicht beginnender Technisierung und moderner der „Schwarzwaldhauptstadt Freiburg“. wirtschaftlicher Entwicklung, so ging in der Erbgroßherzog Friedrich und Erbgroßher- zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das zogin Hilda nahmen nach ihrer Vermählung kontinuierliche Wachstum der Stadt weiter. (1885) ihren Aufenthalt in der ehemaligen Der steigenden Einwohnerzahl entsprach die Deutschordens-Commende in der Salzstraße. räumliche Ausdehnung über die seit Vaubans Aus allen Teilen des Reiches kamen Studen­ Zeiten festgelegte Gürtellinie hinaus. Auf ten und Professoren an die Universität, die den eingeebneten Festungswällen und -grä- in ihrer Frequenz um diese Zeit das erste ben erhoben sich Villen und repräsentative Tausend überschritt. Gartenanlagen, so das Colombischlößle in­ mitten des Roggenbachschen Gartens. In den Die Eingemeindung der Vororte Günters­ 50er und 60er Jahren bildete sich ein neues tal und Haslach (1890), Zähringen (1906), Stadtviertel im Norden anstelle der mittel­ Betzenhausen (1908) und Littenweiler (1914) alterlichen Neuburgvorstadt. Die Albert- erweiterten das Stadtgebiet nunmehr bis auf straße mit den Klinikbauten sowie die Eisen­ die Höhen des Schauinslands. bahnstraße zum neuerbauten Freiburger Die hoffnungsvolle Aufwärtsentwicklung Bahnhof entstanden in dieser Zeit. Leider geriet durch den Ausbruch des Ersten Welt­ mußten auch fast alle erhalten gebliebenen krieges im August 1914 ins Stocken. Wenn Teile der alten Stadtmauer und einige schöne auch verhältnismäßig wenig Fliegerschäden alte Stadttore dem Bauwillen der Einwoh­ und Personenverluste durch Bombenabwürfe nerschaft weichen. Große Verdienste um die auf die Stadt zu verzeichnen waren, so hatte Stadterweiterung und -Verschönerung erwarb doch Freiburg über dreitausend gefallene und sich die Bürgerliche Beurbarungsgesellschaft, in der Kriegsgefangenschaft verstorbene Bür­ die aus den Notzeiten des vorangegangenen ger zu beklagen. Die Ausrufung der Repu-

2 Badische Heimat 1970 17 blik in Deutschland und die Bildung des des Rathauses gehißt wurde, gegen den Wil­ Freistaates Baden waren die ersten Aus­ len und unter Protest des amtierenden Ober­ wirkungen des verlorenen Krieges von 1914 bürgermeisters Dr. Bender, brach für die bis 1918. Die Nachkriegszeit mit ihren Be­ Stadt die Zeit des nationalsozialistischen Ge­ gleiterscheinungen, insbesondere die Inflation waltregimes an, das mit der Ernennung Hit­ und die allgemeine wirtschaftliche Depres­ lers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 sion ließen zum erstenmal ein und dieselbe in Berlin begonnen hatte. Bürgergeneration erkennen, wie rasch wirt­ Nach der Volkszählung vom Juni 1933 schaftlicher Blüte ernsthafte Krisenzeiten fol­ hatte die Stadt erstmals die Hunderttausend­ gen können. Die Berufung zweier Freiburger grenze an Einwohnern überschritten und war Bürger, des Rechtsanwalts und Stadtrats somit Großstadt geworden. Durch die Ein­ Konstantin Fehrenbach zum Reichskanzler gemeindung von St. Georgen im April 1938 und des Professors Dr. Joseph Wirth zum wuchsen Stadtgebiet und Einwohnerzahl badischen, später zum Reichsfinanzminister, abermals an. Die städtische Selbstverwaltung waren hoffnungsvolle Lichtblicke in politisch war aber nur noch ein Schein, und die schwerer Zeit. Wenngleich die Grenznahe zu Träger der öffentlichen Gewalt fungierten Frankreich keine größeren Industrieansied- nur noch als Trabanten des dirigistischen lungen zuließ, gab es dennoch Ansätze, die Zentralismus von Partei- und Reichsbehör­ wirtschaftliche Stagnation zu überwinden. den in Berlin. Der Brand und die Nieder­ Die Eröffnung der Deutschen Rhodiaceta AG legung der Synagoge in der sogenannten im Jahre 1928 durfte zuversichtlich stim­ „Kristallnacht“ vom 10./11. November 1938 men, und Freiburgs erster Weinmarkt im machten das erschreckend klar. Immerhin Frühjahr 1930 — heute längst zur Tradition haben zwei Drittel der Freiburger Juden geworden — ließ die Stadt deutlich als Mit­ durch Ausreise, Ausweisung oder Flucht ins telpunkt und Umschlagplatz der südbadi­ Ausland ihr Leben retten können. Das rest­ schen Weinbaugebiete, des Kaiserstuhls und liche Drittel ist der sogenannten „End­ des Markgräflerlandes, in Erscheinung treten. lösung“ zum Opfer gefallen. Die zahlreichen Rentner und Pensionäre, Der Angriff auf Polen am 1. September die neben den Beamten, dem mittleren und 1939 löste den Zweiten Weltkrieg aus und kleinen Gewerbe und dem Handel in der brachte Freiburg in den unmittelbaren Feuer­ Stadt lebten, bildeten bei aller sozialen Dif­ bereich französischer Geschütze. Die Zer­ ferenzierung doch eine einheitliche bürger­ störungen und die Toten, die Freiburgs Zivil­ liche Gesellschaft. Trotz zunehmender poli­ bevölkerung in diesem Kriege zu beklagen tischer Agitation, gesteigert durch die Er­ hatte, sind fast ausschließlich auf einen ein­ scheinungen der Weltwirtschaftskrise der zigen Großangriff feindlicher Bombenflug­ 30er Jahre, ließen sich die 8000 Arbeitslosen zeuge am Abend des 27. November 1944 in der Stadt nicht zu würdelosem Radika­ zurückzuführen. Innerhalb von 20 Minuten lismus verführen. Selbst der erste und zu­ wurden das alte historische Freiburg, neun gleich letzte Besuch des Parteiführers Adolf Zehntel des alten Stadtkerns, Teile vom Hitler im Juli 1932 war wegen der deut­ Stühlinger, der Wiehre und von Herdern, lichen oppositionellen Haltung der Freibur­ das Opfer der Bomben und der tagelang ger Zuhörerschaft für diesen so enttäuschend, wütenden Brände. Die genaue Zahl der daß er die Stadt auch später als Reichs­ Toten konnte nie ermittelt werden, doch hat kanzler stets gemieden hat. Als am 6. März der Luftkrieg mit Sicherheit 2193 Todes­ 1933 die Hakenkreuzfahne auf dem Balkon opfer innerhalb der Stadt gefordert. Die 18 Der neue Bertoldsbrunnen

19 kampflose Besetzung der Stadt erfolgte kurz winden helfen, die der Krieg und das völ­ vor Kriegsende am 23. April 1945. lige Erliegen des deutschen Wirtschaftslebens Hart und entbehrungsvoll waren die während der ersten Nachkriegsjahre im Ge­ ersten Nachkriegsjahre, vor allem die drei folge hatten. Besser und eher als es je vor­ Winter 1945/46, 1946/47 und 1947/48. Erst auszusehen war, ist die tiefe Wunde geheilt, nach der Währungsreform im Sommer 1948 die der Krieg der Stadt geschlagen hatte. Mit brachte die neue Deutsche Mark den Wieder­ seinem herrlichen Münster, den alten Tor­ aufbau in Gang. Von 1947 bis zur Errich­ türmen, dem flutenden Verkehr auf den tung des Bundeslandes Baden-Württemberg Straßen, den belebten Gassen und stillen im Jahre 1952 war das Colombischlößle Sitz Winkeln, dem romantisch verträumten der südbadischen Landesregierung und ihres „Alten Friedhof“, den schönen Gärten und Ministerpräsidenten Leo Wohieb. Grünanlagen bietet sich heute die „Schwarz­ waldhauptstadt“ neu und anmutig dem Be­ Mit dem äußeren Wiederaufbau der Breis­ trachter dar. gaustadt, der heute als nahezu abgeschlossen gelten darf, war das Wiederaufblühen des Ein eigenes Industriegebiet mit vorwie­ kulturellen und wirtschaftlichen Lebens eng gend „sauberer“ Industrie entstand im verbunden. Schon im Mai 1946 trat die nun­ Westen der Stadt. Die einheimische Möbel-, mehr staatliche Freiburger Musikhochschule Textil- und Papierproduktion, Elektro- und als städtisches Institut ins Leben, um die Feinmechanik-Großunternehmen sowie Che­ Tradition des Freiburger Musikkonserva­ miefaserwerke und Großbrauereien beschäf­ toriums weiterzuführen. Der Grundstein zum tigen auch zahlreiche „Pendler“ aus der neuen Kollegiengebäude II der Freiburger näheren und weiteren Umgebung, ja sogar Universität wurde während der festlichen aus dem Elsaß. Das bodenständige Hand­ Tage im Sommer 1957 gelegt, da die Alma werk, mit einem Viertel aller Betriebe in der Mater ihr 500jähriges Bestehen feierte. Rund Altstadt konzentriert, nimmt im Wirtschafts­ 12 000 Studenten und Professoren aller leben der Stadt eine beachtliche Rolle ein. Nationen, Rassen und Konfessionen doku­ Die bewußte Konzentration von Waren- und mentieren heute in den Hörsälen, Instituten Kaufhäusern an der Kaiser-Joseph-Straße und Laboratorien den anerkannten, welt­ und die ausgewogene Mischung weiterer Ge­ weiten Ruf der Freiburger Universität. Mit schäftsbauten und Spezialgeschäfte in den dem Großen Haus und dem Kammerspiel­ übrigen Teilen der Stadt haben Freiburg theater sind die Städtischen Bühnen aus dem zum Einkaufszentrum eines weiten Einzugs­ fast völligen Ruin wiedererstanden und üben gebietes werden lassen, das sich bis ins eine weit über die Stadtgrenzen hinaus­ benachbarte Elsaß und in die Schweiz hin­ reichende Anziehungskraft auf ein ständig ein erstreckt. Daß sich FreihV'jrp auc1 tu wachsendes Publikum aus. einer beliebten und bekannten Erholungs-, Nur der unermüdliche Fleiß und die Tat­ Fremden- und Kongreßstadt entwickelt hat, kraft von Arbeitern, Angestellten und Un­ verdankt es seiner idealen Lage am Fuße ternehmern, der Fachverbände, Kammern, der Schwarzwaldberge wie auch am inter­ Verwaltungs- und Regierungsstellen haben nationalen Verkehrsstrom von Nord nach im Verein mit großzügigen Kredit- und Süd und von Ost nach West. Finanzierungsmaßnahmen der Freiburger Als Mittelpunkt seiner Landschaft und Geldinstitute die fast unlösbar scheinenden als vielfältiges Strahlungszentrum religiöser, Probleme und die katastrophale Lage über­ geistiger, wissenschaftlicher und wirtschaft­ 20 licher Kräfte, als Bischofsstadt und Sitz des ringerstadt auch heute noch. Sie darf diese oberrheinischen Kirchenmetropoliten, als Sitz Wesenszüge auch in Zukunft nicht verlieren des südbadischen Regierungspräsidiums und vieler anderer hoher Landes- und Bundes­ ') W. Schlesinger, Das älteste Freiburger Stadt­ behörden ist die führende Stellung der Stadt recht, Überlieferung und Inhalt, Zt. d. Savigny- im deutschen Südwesten heute unbestritten Stiftg. f. Rechtsgeschichte (Germ. Abt. 83, 1966). Aber selbst mit ihren nunmehr 164 000 Ein­ 2) B. Schwineköper, Die Vorstädte von Frei­ burg im Breisgau während des Mittelalters, Ver­ wohnern hat die immer noch stetig wach öffentlichungen d. Kommission f. geschichtl. Lan­ sende und sich dehnende Großstadt ein altes, deskunde in Baden-Württ., Reihe B, Forschungen, ehrwürdiges Erbe zu pflegen und zu bewah­ 51. Bd., Stadterweiterung und Vorstadt, 1969. ren: den historischen zähringischen Stadt­ Die übrige Literatur über Freiburg i. Br. ist im wesentlichen bei L. A. Ricker, „Freiburg, aus der kern. Ihm verdankt sie den ihr eigentüm­ Geschichte einer Stadt“, 2. Auflage, Karlsruhe lichen Charakter, der sich in der glücklichen 1966, zusammengestellt. Synthese von Stadt und einbezogener Land­ schaft offenbart. Eben diese anheimelnde Die Vorlagen zu den Abbildungen auf S. 10, 11, 14/15 sind mit freundlicher Genehmigung des Mischung städtischer Eleganz und ländlicher Verlags Pombach u. Co., Freiburg, aus dem Bild­ Biederkeit, die von Freiburgs Bewohnern band „Freiburg im Breisgau, Impressionen einer und Gästen so sehr geschätzt wird, begrün­ Stadt“ entnommen. Für die Vorlage zu Abb. auf S. 13 bin ich Herrn den den liebenswerten Charme und den Prof. Wolfgang Müller und dem Freiburger anziehenden Reiz der 850 Jahre alten Zäh­ Rotteckgymnasium zu Dank verpflichtet.

21 Die Burg Zähringen

Von C. A. Müller, Basel 1. Die Burganlage seltsam erscheinen machte, daß sich ein solch Am Nordrand der sich rasch ausdehnen­ bedeutendes Geschlecht nach ihr benannte, den Stadt Freiburg im Breisgau schaut ein wie es die von 1100 an als Herzoge von Burgturm von einem der dunkeln Wald­ Zähringen bezeichnete Familie war. Frühere berge herab. Dieser alte Wehrbau darf mit und bisherige Besucher des Burgberges sahen Stolz über das Häusermeer zu Füßen blicken, offenbar immer nur die heute noch deutlich überragt er doch in Alter und Würde alles, sichtbar dem Boden entsteigenden Mauern was die jüngste Zeit in der Breisgauer Ebene vor sich, welche sich etwa in der Mitte des geschaffen. Er ist und bleibt — gemeinsam Bergplateaus als Felsstock aus dem Gelände mit dem Münsterturm der alten Stadt — das erheben und in ihrem südlichen Ende den Wahrzeichen für eine viele Jahrhunderte runden Turm tragen, der als einziger eini­ umspannende Wirklichkeit, die wir kurz­ germaßen erhaltener Bau unsere Blicke auf lebigen Menschen in ihrer Gesamtheit nicht sich zieht. zu erfassen vermögen. Daß wir hier nur den Mittelpunkt einer riesigen Anlage vor uns sehen, scheint bis­ Es ist eigentlich verwunderlich, daß ein her manchen Burgenfreunden entgangen zu 250 m über dem Mooswald aufstrebender sein. Wer nämlich von Süden her am klei­ Bergstock für die Anlage einer Burg aus­ nen Gasthaus vorbei, das nahe beim Auf­ gewählt wurde. Sicher wäre zwischen den stieg von Zähringen her am Rand einer Ausmündungen des Elz- und des Dreisam- kleinen Waldwiese steht, zum Zähringer tales manche den Siedelungen näher ge­ Turme hinstrebt, oder wer von Wildtal den legene Anhöhe für diesen Zweck zu finden Fußweg heraufsteigt, muß an einer be­ gewesen. Aber es hatte seinen besonderen stimmten Stelle einen großen Graben über­ Grund, daß die Burg Zähringen dort oben schreiten, der den breiten Scheitel des Ber­ entstand, wo heute noch deren Turm zu ges in der Höhe von ca. 430 bis 450 m erblicken ist. Höhe fast an der ganzen, umlaufenden Ältere Darstellungen der Burg Zähringen, Halde rings umfaßt. Dieser mächtige Gra­ etwa aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts, ben kann als großartiges Bauwerk bezeich­ haben stets übersehen, daß der runde und net werden, das in vielem interessanter er­ eigentlich bescheidene Turm, der über die scheint, als alles übrige, was an Mauerwerk, Waldwipfel herausragt, nicht die Spitze den bestehenden Turm mit eingeschlossen, eines Bergkegels krönt, sondern auf einer zu sehen ist. ziemlich breiten Hochfläche steht, die auch Auf der topographischen Karte 1: 25 000 von unten her als solche erkennbar ist. Blatt 7913 Waldkirch sowohl wie noch bes­ Diese letztere muß die Ursache dafür sein, ser auf der Grundkarte 1:5000 finden wir weshalb hier seit urdenklicher Zeit eine dieses Wunderwerk unbekannter Tiefbau­ Burg bestand. Wie an vielen anderen Orten meister eingetragen. Auch wer den amt­ ist auch hier eine mittelalterliche Feste in lichen Stadtplan von Freiburg im Maßstab eine Wehranlage älterer Epochen eingebaut 1 : 12 500 zur Hand nimmt, kann seine Ein­ worden. tragung nicht übersehen. In einem gewal­ Bisher war immer nur von der „beschei­ tigen Bogen umzieht es die ganze Nord- denen“ Burg Zähringen die Rede, die es und Westseite des Burgberges und führt bis 22 Burg Zähringen Tuschzeichnung von M. King gegen das Gasthaus an der Südseite, wohin die alte Burg, deren Ursprung wir wohl nur sogar noch ein zweiter Graben hinzielt, der dann ausfindig machen können, wenn wir der Westseite vorgelagert ist. An der Süd- genaue Grabungen vornehmen, ein Unter­ und Südostseite, wo der Burgberg durch fangen, das viel Zeit, Mühe und Geld einen kleinen Sattel mit dem höher anstei­ kosten, sich aber sicher lohnen wird. Da es genden Bergmassiv des Uhlbergs verbunden bei dem Maß jeder Wehranlage auf ihren ist, zeigen sich weitere Spuren dieses Gra­ äußersten Graben und Wall ankommt, so bensystems und es läßt sich leicht erkennen, gehört die Burg von Zähringen zu den aus­ daß hier eine sorgfältig gesicherte Tor­ gedehntesten in ganz Südwestdeutschland. anlage, also der alte Zugang, bestanden hat. Die Ausdehnung vom nördlichen Graben­ Die Grabenform muß einstmals weit tiefer rund bis hin zu den Toranlagen an der Süd­ und mit steileren Böschungen ausgestattet spitze des Burgberges beträgt nämlich gegen gewesen sein; viel Grund und Boden ist 450 m, während die Breite von West nach nachgerutscht, und auch die Wälle davor Ost — gemessen von Graben zu Graben — haben im Laufe der Jahrhunderte viel von mindestens mit 300 m oder 350 m anzu­ ihrer ursprünglichen Form verloren. Für geben ist. Die damit umfaßte Fläche über­ ein geübtes Auge ist immerhin noch ge­ trifft jene der Burg Hachberg bei Emmen­ nügend sichtbar geblieben. dingen, die bisher als die größte im Breisgau In diesem weiten, vom riesigen Bogen galt, bei weitem, besonders wenn man be­ des Grabens umgebenen Gelände nun lag denkt, daß bei Hachberg auch die Bastionen 23 des 16. und 17. Jahrhunderts mitgerechnet solches an der ganzen Ostseite des Burg­ werden, während bei Zähringen das Mittel­ kerns und ebenfalls recht deutlich an alter allein die Größe bestimmte. der Nordspitze, wo ein Mauergeviert be­ Auf den aus der Hochfläche aufsteigen­ sonders in die Augen fällt. Bis hierher muß den Burgstock, der die am besten sichtbaren einmal die eigentliche, im Mittelalter aus­ Trümmer des Wehrbaues trägt, beschränkt gebaute Burg gereicht haben. In Spuren sich auch der Grundriß, den die Bearbeiter — Bodenerhebungen und Eintiefungen — der Kunstdenkmäler des Großherzogtums lassen sich vor allem an der Südostecke des Baden für ihren Band Landkreis Freiburg Berges eine Reihe von ehemaligen Bauten i. Br. (Tübingen 1904, auf S. 369) aufnah- erkennen. Hier wie an der Westseite, wo men. Seither scheint keine weitere Vermes­ die Hochfläche sich stattlich ausdehnt, müs­ sung des Bestandes vorgenommen worden sen Vorhöfe der Burg, vermutlich sogar ein zu sein. Als man im Jahre 1830 starke Ver­ kleines Städtchen, gestanden haben. An der änderungen am Mauerwerk und den Zu­ Südseite muß der Schutz des Burgeingangs gangswegen ausführte, fand es niemand für ausgeklügelt angelegt worden sein. Das be­ nötig, den bisherigen Bestand festzuhalten. weisen die Vertiefungen und der Damm, Und als in jüngerer Zeit, so um 1902, in der an dessen Nordende wir das eigentliche Nähe des Burgstockes einige Funde zum Haupttor zu suchen haben. Im großen Vorschein kamen, die heute im Augustiner- äußeren Grabenbering, der einen Teil des Museum zu sehen sind, so rief das keines­ mächtigen uralten Grabens darstellt, stehen wegs nach einer umfassenden Untersuchung heute die kleinen „Schloßhäuser“, die sicher des Geländes. einmal aus Steinen der mächtigen Burg­ So wissen wir nicht, wie weit der Kern anlage erbaut worden sind. der Burg aus gewachsenem Felsen besteht Es ist wohl schon die Vermutung aus­ und wie weit er durch Menschenhand ge­ gesprochen worden, der mächtige Graben formt und mit Mauern versehen wurde. gehöre einem Befestigungssystem an, wie es Die ganze nördliche Spitze der Plattform, im Dreißigjährigen Krieg oder im 18. Jahr­ an welcher der Fußweg vom Wildtal herauf­ hundert da und dort im badischen Land, steigt, hält ihre großen Geheimnisse ver­ vor allem auf den Höhen des Schwarz­ borgen. Auch die Längs-Seiten des Burg­ waldes angelegt wurde. Wer aber die letzte­ stockes liegen unter Schutt verborgen, der ren kennt, weiß, daß diese stets in geome­ von den oberen Mauerteilen über die unte­ trischer Form angelegt worden sind (wie ren hinabgestürzt ist; davor ist an der etwa auf dem „Hau“ zwischen dem Großen Westseite ein innerer Graben erkennbar, und dem Kleinen Wiesental) und auch sonst der mit dem engen, in den Fels eingespreng­ ganz anders aussehen, als der riesige Rund­ ten Halsgraben an der Südseite in Verbin­ graben, der nur einer frühgeschichtlichen dung stand. Dieser Halsgraben trennt den Anlage zugehören kann. südlichen Teil des ca. 100 m langen, aus dem Wenn wir uns dies vor Augen halten, Waldboden heraustretenden Felskamm von wissen wir plötzlich, weshalb ein Geschlecht, der wohl 1830 künstlich eingeebneten Platt­ das im Lande eine wichtige Rolle spielte, form ab, welche den gewöhnlichen Be­ sich um das Jahr 1100 den Namen der Burg suchern als „die Burg“ vorkommt. von Zähringen zulegte. Denn diese war Während dieser südliche Teil, in den ein damals am Oberrhein nicht nur als die Kriegerdenkmal hineingestellt wurde, kaum größte, sondern auch als die bedeutendste Spuren von Mauerwerk trägt, zeigt sich Wehranlage bekannt. 24 Burg Zähringen Aquatintablatt von Folienweider-Nilson 1820 2. Zähringen und der Breisgau M ooswald vergabte. In dieser Urkunde, von bis zum Jahre 1100 der sich nur noch eine Abschrift erhalten hat Erst reichlich spät erfahren wir vom Be­ (im bischöflich-baslerischen Archiv zu Prunt- stehen der Ortschaften. Die ältesten im Breis­ rut), werden zahlreiche Ortschaften auf­ gau schriftlich festgehaltenen Namen von gezählt, welche damals am Rande des großen Orten sind Tarodunum, mit welchem das Forstes lagen. Der letztere reichte im Süd­ spätere Zarten gemeint ist, das aus einer kel­ osten demnach bis nach Adelhausen und tischen Wehranlage entstand, und Brisiacum, Wiehre (Adelenhusun und Worin). Nord­ das die sichere Lage Breisachs als Ort von wärts von diesen Ortschaften geben die Dör­ Bedeutung nachweist. Das sind die einzigen fer Herdern, Zähringen und Gundelfingen Ortsbezeichnungen, die vor die Völkerwan­ die Grenze des verschenkten Wildbannes an. derung zurückreichen. Auf diese Weise taucht also erstmals der Das wichtigste Dokument, das erstmals Name Zähringen auf. Mit diesem ist wohl nähere Auskunft über den mittleren Breisgau kaum die Burg, sondern der darunter ge­ gibt, ist jene schriftliche Bestätigung, die legene Ort gemeint. Doch hat die Wehr­ Kaiser Heinrich II. im Jahre 1008 zu Trier anlage über ihm mindestens so lange bestan­ ausstellte und wonach er dem Bischof Adal­ den wie das Dorf und diente der Bevölke­ bero von Basel den Wildbann über den rung der umliegenden Orte als notwendiger 25 Schutz in unsicherer Zeit. Daß die Burg nie mutlich bereits durch Erbschaft innegehabt eine eigene Bezeichnung trug, ist ein Beweis haben. Andere Güter, die wohl als Eigentum für ihr hohes Alter. Ein Beispiel hierfür mag von Mutterseite her an Berthold gefallen, die Burg Rütteln im Wiesental bieten, die lagen im Neckargebiet zwischen der Schwä­ den Namen des benachbarten Kirchspieles bischen Alb und dem Schurwald, was zu der übernahm, eines Ortes, der schon in frän­ Vermutung Anlaß gab, daß dort die Heimat kischer Zeit so hieß. des Geschlechts gelegen habe. Eher aber war Und wenn die Burg Zähringen später stets das Geschlecht zuvor in der Bertholds-Baar, als Reichslehen genannt wird, dann ist dies also am Ostrand des Schwarzwaldes, daheim eine weitere Bestätigung dafür, daß sie nicht und gelangte von dort in den Breisgau her­ erst am Ende des 11. Jahrhunderts errichtet über. worden ist, sondern daß sie von den Kaisern Welche kriegerischen Geschehnisse sich nun des altdeutschen Reiches bereits aus der frän­ am Oberrhein abspielten, berichtet uns kein kischen, ja vielleicht von noch früherer Zeit einziges Schriftstück; die Chronisten jener her übernommen worden ist. Hat es sich Zeit lebten in Sachsen und anderswo, nur doch schon oft erwiesen, daß die Karolinger nicht in Alemannien. Daß aber die Burg und vor ihnen die Merowinger königlichen Zähringen mit in die Kämpfe hineingerissen Besitz antraten, dort wo zuvor Güter des wurde, ist gewiß. Alle Bischöfe des süd­ römischen Staates und seiner Vorgänger westdeutschen Raumes standen auf der Seite lagen. Es darf daher als sicher angenommen Heinrichs, der am Hoftag zu Ulm im Früh­ werden, daß die Burg über Zähringen der jahr 1077 Gericht über seine Feinde hielt. Mittelpunkt einer alten Gaugrafschaft war. Seinen Gegner, Graf Rudolf von Rheinfel- Zum Grafenamt im Breisgau wird wohl den, sprach er des Todes schuldig und ent­ immer die Burg über Zähringen gehört kleidete ihn und seine Anhänger aller Wür­ haben. Hier war der Sitz der Verwaltung den und Lehen. So verlor Herzog Berthold und mochten auch bedeutende Tagungen auch die Burg Zähringen, die Reichslehen und Gerichtsverhandlungen stattgefunden war. Doch ist nicht anzunehmen, daß er haben, auch wenn sie in keiner Chronik oder diese kampflos preisgab. Das Grafenamt im Urkunde erwähnt sind. Breisgau übertrug Kaiser Heinrich dem ihm Erst als die Witwe Kaiser Heinrichs III., getreuen Bischof von Straßburg, Werner von Agnes von Poitou, im Jahre 1061 als Regen­ Achalm, der wahrscheinlich die Feste Zäh­ tin für ihren unmündigen Sohn Heinrich IV. ringen eroberte und längere Zeit besetzt einem Edelmann vom Oberrhein, der Bert- hielt. hold hieß, die Herzogswürde von Kärnten Der alternde und durch die Ereignisse verlieh — als Ersatz für die ihm entgangene schwer gebeugte Herzog Berthold war ge­ gleiche Würde in Schwaben —, hebt sich ein zwungen, sich auf die Besitzungen seiner erstes Glied aus einer Familie heraus, die im Familie im Neckargau zurückzuziehen; dort Breisgau wegen ihrer Güter und Ämter schon ist Berthold am 5. oder 6. November 1078 bisher eine wichtige Rolle gespielt haben in seiner Feste verstorben. Da das von ihm muß. Erst von diesem Herzog von Kärnten gestiftete Klösterlein im nahen Weilheim an stellen sich die nachfolgenden Generatio­ nicht als Grablege benutzt werden konnte, nen immer deutlicher ins Lichte der Ge­ da es zerstört war, brachten die Seinigen den schichte. Dieser Berthold, als Erster Herzog Leichnam nach dem Kloster Hirsau, mit wel­ von Kärnten und deshalb Berthold I. ge­ chem Berthold und seine Parteigänger aufs nannt, muß das Grafenamt im Breisgau ver­ engste verbunden waren. 26 Burgruine .Zsfypngen . Gru«ln(}-.SI

1 . K e r n b u r c j. I. bare Mjoerfeif« 3 . Krieycrdcnkrnil von 2X. H. Rm ygrabcn vn.dk/ 3 ll. 5 . 2uAeÜtr 6rdben uadk^ll. 6. Spuren, von Utberbjuunq frf.. GtityiusGctjäf-t Ungcfotyre 6roßc % Wi»g r\2itj dem Dorf j& fyrinjen . 10. We^t wild h l . J II ------10OI------nt . We^ nattyclan Roßkopf.

27 Zähringen aus bewerkstelligen, da diese alle von Westen nach St. Peter aufsteigenden Wege überblicken konnte. Noch sichtbarer wurde es, wie sehr Bert- hold und seine Familie sich auf der größten Burg im Breisgau daheim fühlten und wel­ che Bedeutung sie ihr zumaßen, als sie sich um das Jahr 1100 einen bestimmten Ge­ schlechtsnamen zulegten. Für die Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert ist es bezeichnend, Burg Zähringen, Burggraben und Wall, Nord­ daß allenthalben den bisherigen Taufnamen ecke von O Photo C. A. Müller als genauere Bezeichnung ein Herkunftsort angefügt wurde. Wer dies veranlaßt hat, kann nicht gesagt werden. Der Vorgang er­ Am 18. Mai 1090 starb Berthold von griff jedenfalls rasch alle Adelsgeschlechter; Rheinfelden, der von seinem Vater, dem Ge­ doch behielten diese anfänglich nicht immer genkönig Rudolf, im Jahre 1079 zum Herzog den selben Ortsnamen bei; es konnte der von Schwaben ernannt worden war. Im Ge­ gleiche Mann mit mehreren Zunamen auf­ gensatz dazu hatte Kaiser Heinrich den tauchen oder Brüder anders heißen. So ge­ jungen Friedrich von Staufen in dieses Amt schah es bei den Grafen von Montbeliard eingesetzt. Durch den Tod des jungen Bert- und von Pfirt. hold fiel dessen Erbe zum größten Teil an Mit dem Jahre 1100 taucht erstmals in seinen Schwager Herzog Bertold II. von Urkunden die Bezeichnung „de Zeringen“ Kärnten. Dessen Interessengebiet erweiterte oder „dux de Zaringen“ auf. Der Chronist sich in der Folge auf die burgundischen Län­ Otto von Freising betont in einer seiner dereien südlich des Rheines, was sich auch Schriften ausdrücklich, daß dieser Name von auf die Burg Zähringen auswirkte. der Burg Zähringen herrühre („nomen de Doch zeigte es sich bald, daß Bertholds castro Zaringen“), also nicht das Dorf dieses Bestrebungen ihren Mittelpunkt noch immer Namens meint. Und so wie nun Herzog im Breisgau und an den Übergängen über Berthold fortan sich weniger mehr Herzog den Schwarzwald besaßen. Die Burg Zäh­ von Kärnten, sondern weit häufiger Herzog ringen überbot in jenen Jahrzehnten, was von Zähringen nennt, so folgen ihm hierin Sicherheit und Größe betraf, alle übrigen auch die Kanzlisten am Hof des Königs wie festen Sitze des Geschlechtes. So war es das auch die Chronisten und anderen Schreiber, Gegebene, daß der Herzog an einem bedeut­ wenn sie ihn oder seinen längst verstorbe­ samen Knotenpunkt wichtiger Paßwege im nen Vater (Berthold I., f 1078) anführten. mittleren Schwarzwald jene zu Weilheim Gegen diese Namengebung nach der Burg verlorengegangene Klostergründung ersetzte. Zähringen scheint der Kaiser nichts einge­ Zum Zeichen seiner päpstlichen Gesinnung wendet zu haben, obgleich er es hätte be­ gab er der geistlichen Stiftung den Namen anstanden können, da doch die Feste als St. Peter; am 1. August 1093 fand die Weihe Reichslehen galt. Aber eben in diesen Jah­ durch Bischof Gebhard von Konstanz, den ren, da ein Ausgleich mit dem Herrscher zu­ Bruder Bertholds, statt. Mönche von Hirsau standegekommen war, konnte Berthold ohne besiedelten die Neugründung. Der Schutz Schwierigkeit die Burg als die seine betrach­ des Klosters ließ sich leicht von der Burg ten, so daß sie seinem Geschlecht auf die 28 Dauer verblieb. Das Ansehen, das die ur­ entschieden anders: Sie wählten den Gegner alte Gauburg im Volke genoß, mochte sich des Verstorbenen, den Sachsenherzog Lothar nun auf die Herren übertragen, das sich von Supplinburg zum Haupt des Reiches. nach ihr benannte. Der Übergangene, Friedrich von Staufen, Seltsam war dabei, daß es nun Herzoge erkannte nach einigem Zögern die Wahl von Zähringen gab, aber kein auf diese Wei­ Lothars an. Er blieb somit Herzog von se genanntes Herzogtum. Unter dem großen Schwaben. Auch Konrad von Zähringen Zwiespalt im Reiche war es im 11. Jahr­ zeigte sich auf der Seite des neuen Königs; hundert dazu gekommen, daß sich in Schwa­ doch gebot ihm seine Stellung, Zurückhal­ ben zwei Herzoge um die Ausübung von tung zu üben, denn sein Herzogstitel wurde Rechten und Pflichten stritten. Nachdem nicht von allen Fürsten anerkannt. Aber endlich ein Ausgleich zwischen Friedrich von König Lothar suchte offenbar seine Gefolg­ Staufen, dem von Kaiser Heinrich V. einge­ schaft, wußte er doch von der Spannung setzten Herzog, und Berthold „von Kärn­ zwischen den beiden in Schwaben erkorenen ten“, dem von den Gegnern als Schwaben­ Herzogen. Aus diesem Grunde bestätigte herzog bezeichneten Fürsten, zustandege­ der neue König dem Kloster St. Blasien die kommen war, wußte man ihm keinen eige­ freie Wahl des Vogtes, welches Amt nun den nen Namen zu verschaffen. Da Berthold die Zähringern zufiel. Auf diese Weise gelang Reichsvogtei über Zürich zukam, ihm ferner es dem Geschlecht, seine Gebiete im Schwarz­ die Gebiete in Hochburgund von seinem wald mit jenen durch Erbschaft gewonnenen Schwager erblich zugefallen waren, hätte Ländereien südlich des Rheines in Hochbur­ man ihn vielleicht Herzog von Alemannien gund besser zu verbinden. oder von Burgund nennen können; aber der Nach wir vor scheint die Burg Zähringen Kaiser wollte offenbar nichts derartiges. eine bedeutsame Rolle gespielt zu haben. Am 23. März 1128 stellte Herzog Konrad 3. Das Schicksal der Burg daselbst eine Urkunde aus; dieses Schrift­ unter den Zähringern stück ist das erste, aus dem wir das Bestehen Über die Geschehnisse, die der Gründung der Burg erstmals nachweisen können. Nie Freiburgs im Jahre 1120 folgten, wissen vor­ zuvor war sie schriftlich erwähnt worden. handene Schriftstücke nur spärlich zu berich­ Nur das Aussehen ihrer Überreste beweist, ten. Auch was mit Herzog Berthold III. ge­ daß sie bereits Jahrhunderte zuvor bestan­ schah, der in einer Fehde drüben im Elsaß den haben muß. 1122 ums Leben kam, wurde nur sehr lük- Die Blüte, welche der jungen Stadtgrün­ kenhaft festgehalten. Nach der Übernahme dung von Freiburg beschieden war, machte der Herzogswürde wird sein Bruder Konrad dem Zähringer klar, welchen Weg er zu von Zähringen vor allem die Marktsiede- gehen hatte, wenn er seinen Besitz sowohl lung von Freiburg zu fördern gesucht haben. im Schwarzwald wie im weiterentfernten Nach dem unerwarteten Tode Kaiser Hein­ burgundischen Lande auf die Dauer sichern richs V. im Mai 1125 hatten sich im Reich wollte. Nicht mehr der Bau von Burgen und erneut schwere Erschütterungen ergeben. Mit die Kolonisierung durch Klöster verhalfen dem zu Grabe getragenen Herrscher war die zu wirtschaftlichem Aufschwung; fortan salische Dynastie erloschen. Heinrich selber führte die Anlage von Städten zu dem ge­ hatte den Sohn seiner Schwester, Friedrich wünschten Ziel. Herzog Konrad sicherte sich von Schwaben aus dem Geschlecht der Stau­ auf diese Weise die Pässe über den Schwarz­ fer als Nachfolger bezeichnet. Aber die zur wald, indem er die Städte Villingen und Königswahl zusammengetretenen Fürsten Offenburg ins Leben rief. 29 Frappant wirkt nun die Feststellung, daß ten einverleiben wollte. Daß ihm an der überall dort, wo Burgen neben diesen Zäh­ letzteren gelegen war, beweist, daß sie noch ringerstädten bestanden, diese in erster Linie immer eine gewisse Bedeutung besaß. Der einen wuchtigen, rechteckigen Wohnturm be­ Kaiser ließ sie aber von seinen Dienstman­ saßen. Wir können dies sowohl in Freiburg nen besetzen und behielt sie in der Hand, im Breisgau auf dem Schloßberg, in Burg­ solange er konnte, auch in den Wirren, die dorf über der Emme, in Grasburg in der sein Sohn Heinrich ihm in Deutschland ver­ Schlinge der Sense, in Thun auf dem Flügel ursachte. am Ausfluß der aus dem Thunersee, Im Sommer 1248 konnte die Burg Zäh­ ja auch in Freiburg im Uechtland und gar in ringen durch den Grafen von Urach-Frei­ Moudon im Waadtland dank dem heute noch burg erobert werden. Eine Zerstörung der erhaltenen Bestand erkennen. Sollte hierfür Wehrbauten folgte, da sich die Stadt Frei­ die Burg im Breisgau, welche dem Geschlecht burg sowohl wie ihre Grafen von hier aus der Städtebauer schon den Namen gegeben bedroht gefühlt hatten. Damit scheint der hat, als Vorbild gedient haben? Erbe Bertholds endgültig darauf verzichtet zu haben, sich den Namen Zähringen und 4. Niedergang und Ruinendasein seit 1218 den Titel eines Herzogs zuzulegen. Er be­ Mit dem Tode Bertholds V. am 18. Fe­ gnügte sich mit der Burg über Freiburg, nach bruar 1218 sanken auch Name und Titel der er und seine Nachkommen sich fortan eines Fierzogs von Zähringen ins Grab. Die nannten. Doch schon bald gerieten die Gra­ Burg, einst die mächtigste im Breisgau und fen in Streit mit den Bürgern der Stadt. In daher zur Namengebung für das stolze Ge­ der Zeit der Hohenstaufen war das Gemein­ schlecht wie geschaffen, verlor ihre bisherige wesen mächtig erstarkt und hatte seinen Stellung im Lande. Umfang auf das Mehrfache gebracht. Wie weit Herzog Berthold vor seinem Weil die Urach-Freiburger auch die zur Tode den Nachlaß regelte, ist unbekannt. Burg Zähringen gehörigen Reichslehen be­ Nach seiner Bestattung im Münster zu Frei­ anspruchten, brach eine Fehde zwischen ih­ burg brachen bald Streitigkeiten um das nen und den Markgrafen von Baden-Hach- Erbe aus. Graf Egeno von Urach, der Ge­ berg aus, die bisher das Grafenamt im Breis­ mahl der einen Schwester Bertholds, erhielt gau ausübten. Sie konnte 1265 durch ein im Großen und Ganzen die Gebiete nördlich Abkommen beigelegt werden, bei dem sich des Rheines, während Graf Ulrich von Ky- der Rat der Stadt beteiligte. Auch Graf Ru­ burg, der die andere Schwester geheiratet dolf von Habsburg, der in der Limburg am hatte, die südlich des Stroms gelegenen Kaiserstuhl das Licht der Welt erblickt ha­ Eigengüter der Zähringer übernahm. Die ben soll, wußte sich bei diesen Streitigkeiten Lehengüter, vor allem die vom Reich ab­ einzuschalten. hängigen, hatten an den Kaiser und andere Am 29. September 1273 zum König ge­ Eigentümer zurückzufallen. Darunter befand wählt, begann er mit großem Geschick, den sich auch die Burg Zähringen. Kaiser Fried­ Besitz der Krone neu zu sammeln und alles, rich II. machte seine Rechte geltend und ver­ was in den Wirren der letzten Jahrzehnte langte alle Reichsgüter zurück, die im Laufe dem Reich verloren gegangen war, zurück­ der Zeit an die Zähringer gelangt waren. zuverlangen. Auch die Burg Zähringen muß Dadurch stieß er vor allem mit dem Grafen noch zu Kaiser Friedrichs II. Lebzeiten dem Egeno von Urach zusammen, der sowohl Landgrafen Albrecht von Thüringen, dem die Städte Neuenburg am Rhein und Offen­ Gemahl von Friedrichs Tochter Margarethe, burg wie die Burg Zähringen seinen Gebie­ übergeben worden sein. Von da gingen die 30 Burg Zähringen Stich v. Frommei, 1847 Güter in weitere Hände über. König Rudolf deren Sicherung das meiste der Anlage auf betrachtete aber alle diese neuen Inhaber nur der Hochebene um sie her eingeebnet. Viele als Lehenträger, forderte den „Hof Zährin­ frühere Bewohner der großen Vorburg wa­ gen“ und die Burg ans Reich zurück und ren ohnehin bereits in die Stadt Freiburg stellte die vernachlässigten Bauwerke wieder hinabgezogen. her. Sparsam wie er war, hat er in der Burg Doch auch dieser bescheidene Ausbau der nur das Nötigste veranlaßt, sich wohl mit Burg Zähringen war den Grafen von Urach- dem Ausbau der Kernburg begnügt und zu Freiburg ein Dorn im Auge. Sie vereinbar­ 31 ten mit den Bürgern einen Auszug nach der die einst mit dem Habsburger verfeindet nahen Anhöhe und bemächtigten sich durch waren. So kam Adolf rasch mit den Grafen Handstreich der Feste. Doch König Rudolf von Freiburg in Verbindung. Durch deren ließ sich diese Besetzung nicht gefallen. Ende Vermittlung mögen die mit den Freiburgern August 1275 kam er mit Kriegsmacht von verwandten Grafen von Spitzenberg aus der Basel her vor die Stadt Freiburg, die sich Schwäbischen Alb die Burg Zähringen zu nur eine Woche gegen ihn hielt. Graf Egeno Lehen bekommen haben. Schon im August erstattete die Burg Zähringen zurück. Kaum 1296 übernahm sodann Graf Egeno II. von aber hatte der König sich mit seinen Trup­ Freiburg, der Neffe des letzten Spitzenber­ pen wegbegeben, rückten der Graf und die gers, die Pfandschaft über Zähringen. Bürger von Freiburg im Herbst 1278 aufs Auch nach dem Sieg Albrechts von Habs­ neue aus. Diesmal brachen sie die Feste über burg über König Adolf verblieb Zähringen Zähringen, um von ihr befreit zu sein. in der Hand der Freiburger Grafen, die sich Es bildete sich ein richtiger Bund gegen nach der Ermordung Albrechts nicht scheu­ den habsburgischen König. Dieser war ge­ ten, einen Teil des zugehörigen Gutes nach zwungen, anfangs Oktober 1281 mit großer dem ändern ihrem Gutdünken entsprechend Heeresmacht vor die Stadt Freiburg zu zie­ weiterzugeben, manches unter dem Vorbe­ hen und sie zu belagern. Nach wenigen Wo­ halt des Rückkaufsrechtes. Am 30. Mai 1327 chen zwang er den Grafen und die Bürger­ veräußerte Graf Konrad von Freiburg, um schaft zur Unterwerfung. Die eroberten Gü­ der steten Geldnot zu entkommen, gemein­ ter mußten zurückerstattet und die zerstörte sam mit seinem Sohn Friedrich die Burg Burg neu aufgebaut werden, „also gut oder Zähringen mit allem Zubehör, wozu das bessir, alse si was, do sie nu zerbrochin Dorf Zähringen sowie weitere Dörfer und wart“. Durch diese Verpflichtung, die vom Täler „ze Gundelfingen, ze Holdendal, ze Markgrafen von Hachberg als Grafen im Wilptal und ze Ruti vnder der bürg ze Ze- Breisgau überwacht wurde, entstand nun ringen“ zählten, an den Ritter Konrad Sne- wohl jene kleine Burg auf dem Felsgrat in­ welin Bernlap, Schultheiß zu Freiburg, um mitten der einst mächtigen Wehranlage, de­ 303 Mark Silber Freiburger Gewichts, mit ren Rundturm bis heute besteht. Von der dem ausdrücklichen Verzicht auf einen Wie­ Wiedererrichtung im alten Umfang sah Kö­ derkauf, der nur in dem Falle stattfinden nig Rudolf wohl selber ab und verlangte von sollte, wenn die Grafen vom Reiche dazu den Freiburgern bloß, daß sie dafür die genötigt würden. Es zeigte sich später, daß hohe Summe von 800 Mark Silber zahlen über die Burg frei verfügt wurde; von einem sollten, damit an einer ändern Stelle eine Lehen des Reichs ist nicht mehr die Rede, weitere Burg gebaut werde. Ob diese neue weder vor noch nach dem Jahre 1368, in Feste dann entstand und wo, ist nirgends welchem die Stadt Freiburg in den Besitz festgehalten. Habsburg-Österreichs überging. So zählte nun Zähringen wieder unter Die Burg Zähringen blieb nun während die Reichsburgen, die nach der von König Jahrhunderten im Besitz der Familie Snewe- Rudolf verbesserten Reichsburgen-Verfas­ lin, trotzdem im Jahre 1415 König Sigmund sung verwaltet wurden. Als dann im Jahre die Feste als Reichsburg zurückforderte. Bis 1291 nach Rudolfs Tod nicht dessen Sohn dahin hatten bereits Erbteilungen stattge­ Albrecht, sondern Graf Adolf von Nassau, funden, so daß Konrad Snewelin dem Mark­ zum Nachfolger gewählt wurde, mußte der grafen von Baden-Hachberg als eingesetz­ Letztere alle jene zu Freunden gewinnen, tem Treuhänder des Reichs nur seinen Vier­ 32 Burg Zähringen 1964 phot. Rob. Böhm tel zurückerstatten konnte, ohne daß berich­ ren Felssporn. Die steten Erbteilungen verhal- tet wird, wem die übrigen drei Viertel ge­ fen dazu, daß der Wert und die Bedeutung hörten. des Bauwerks ständig mehr sank und keiner Mit dem baulichen Zustand der Burg muß der Teilhaber an den zugehörigen Gütern es in diesen Jahren nicht zum besten gestan­ mehr für die Sicherung der Gebäude auf- den haben. Es handelte sich ohnehin nur kommen wollte. Längst ging es nicht mehr noch um den Rest der einst gewaltigen Burg­ um die Burg, sondern nur noch um die Wal­ anlage, nämlich um jenen Teil auf dem enge­ dungen; das zeigt sich daraus, daß die Stadt

3 Badische Heimat 1970 33 Freiburg als Mitbesitzerin in einem Teil der sen Turm allein kreisten die Gedanken aller Burg einen Forstbeamten wohnen ließ. älteren Forscher; Daniel Schöpflin (1694 bis So fand die einst so mächtige und durch 1771) hat ihn bekanntlich eingehend in sei­ den Namen des Herzogsgeschlechts berühmte nem großen Geschichtswerk abgebildet. Der Burg ein unrühmliches Ende, als im Jahre Zeit der Romantik war dieses Bauwerk be­ 1525 die Bauern im Breisgau gegen ihre Her­ sonders wertvoll. Das zeigen die Stiche aus ren aufstanden und sengend und brennend dem Beginn des 19. Jahrhunderts. vor Freiburg zogen, das ihnen am 23. Mai Im Jahre 1830 müssen einschneidende Ver­ die Tore öffnen mußte, ohne Widerstand änderungen an der Burgruine geschehen sein. leisten zu können. Auch die Burg Zähringen Als der damalige Großherzog Leopold den muß nicht verteidigt worden sein, sonst Wunsch äußerte, der Burg seiner Vorfahren hätte sich ein Bericht darüber erhalten. Als einen Besuch abzustatten, gingen die zustän­ der berühmte Geograph Sebastian Münster digen Beamten eifrig daran, das umliegende im Jahre 1544 zu Basel seine Cosmographie Gelände, den Zugang und die Burgreste in und Beschreibung aller Länder des Erdbo­ einen ordentlichen Zustand zu versetzen. dens herausgab, fand er es immerhin der Sie waren es wohl, welche größere Uneben­ Mühe wert, die in Trümmern liegende Burg heiten des Bodens ausglichen, trümmerhaft zu erwähnen: „Ein halb meil under Fryburg aussehende Mauerteile gänzlich abtrugen und ligt auf einem berg ein zerbrochen schloß, mit den Steinen anderswo Vertiefungen auf­ daz hat Zaeringen geheißen, von dem auch füllten. Dadurch erhielt der oberste Teil der die herzogen von Zaeringen vor Zeiten ihren alten Burg jene Form, die sich heute als namen haben gehabt“. Plattform darstellt; auf dieser fügte sich der Turm nun so ein, daß er den Augen der Romantiker am badischen Hofe gefiel. Der Für das Gemäuer der Burg Zähringen obere Abschluß wurde mit Zinnen versehen, interessierte man sich seit dem 16. Jahrhun­ die durch eine Treppe bestiegen werden dert nur noch, wenn die Steine zum Bau konnten. Am 17. September 1830 fand der von Häusern im Tal benützt werden konn­ Besuch des Landesherrn und seiner Gemah­ ten. Die Güter zu Wildtal, auf deren Boden lin mit Gefolge statt. die Ruine stand, ging von der Familie Schne- Daß im Burgareal noch viel Interessantes welin in die Hände verschiedener Erben. verborgen liegt, beweisen die Funde von Durch einen am 28. August 1815 vorgenom- Ofenkacheln und dergleichen, die in der menen Tausch gelangten die Trümmer der Zeitschrift „Schauins-Land“ vom Jahre 1883 alten Burg Zähringen an die Krone Baden, beschrieben und abgebildet sind. Diese künst­ deren Ahnen selber zum Stamme jener Für­ lerisch wertvollen Keramikstücke gehören sten gehörten, welche sich den Namen der der Zeit der Spätgotik an. Somit war die gewaltigen Breisgauer Landesfeste zugelegt obere Burg, der innere Kern, bis zum Bau­ hatten. ernkrieg vom Jahre 1525 bewohnt. Leider Als die großherzogliche Regierung am ist nirgends die Fundstelle angemerkt. 19. März 1816 den Burgberg von Zähringen Was mag bei genauen und systematisch übernahm, wurde festgehalten, daß nur noch durchgeführten Grabungen noch alles ans „der doppelte Graben“, ferner „ein Teil der Tageslicht kommen? Es müßte nicht nur die Umfassungsmauer sowie der runde Turm aus Kernburg, sondern auch das Gelände bis hin der Zeit Rudolfs von Habsburg“ sichtbar zum mächtigen Ringgraben und dieser selbst war, welches Bauwerk „auch jetzt allein untersucht werden, damit der Beweis fest­ noch standhaft in die Lüfte ragt“. Um die­ steht, daß auf diesem Waldberg über der 34 breisgauischen Ebene ein Zentrum vergange­ Er munterte mich dazu auf, der Angelegen­ nen Lebens bestand, das weit und breit nicht heit genauer nachzugehen. So entstand eine seinesgleichen hatte. ausführliche Denkschrift, welche die Bedeu­ tung der riesigen Burganlage von Zähringen im Zusammenhang mit der Geschichte des Schlußwort Breisgaues und des Herzogsgeschlechts, das Als ich im März 1966 erstmals den Burg­ ihren Namen annahm, darzustellen versucht. berg von Zähringen bestieg und dabei auf In verdankenswerter Weise hat die „Badi­ den gewaltigen Ringwall stieß, den ich in sche Heimat“ einen gedrängten Auszug dar­ seinem ganzen Umfang abschritt, berichtete aus übernommen. Allen, die an diesen Stu­ ich dies am gleichen Abend Herrn Prof. Dr. dien und Forschungen mitgeholfen haben, sei Friedrich Metz, meinem väterlichen Freund. der beste Dank ausgesprochen.

3» 35 Bern

Von Hans Strahm, Bern Die Landschaft, in die Bern eingebettet ist, tete. Mit Recht darf man sich fragen, ob es besteht aus einem hügeligen, von Endmorä­ ein bloßer Zufall sei, daß in nächster Nähe nen durchzogenen Plateau, in das sich der des Fundortes dieser Statuette später eine Flußlauf der Aare in breiten, meist steilwan- Stadt gegründet wurde, die den Namen Bern dig begrenzten Windungen eingeschnitten erhielt und die den Bären im Wappen führt. hat. Dieses moränenreiche eiszeitliche Pla­ Noch immer hegt die Stadt Bern im Berner teau ist rings umgeben von bewaldeten Hü­ Bärengraben ihre Bären, als ob sich die Spur gelkuppen aus Süßwasser- und Meeres­ des alten keltischen Gottesdienstes nicht ganz molasse. verloren hätte. Die weitere Umgebung des Stadtgebiets ist Innerhalb einer Flußschleife, ungefähr 3 km durch Buchen- und Fichtenwälder begrenzt, nördlich von Bern, in einer „Enge“ genann­ von denen im NW der Bremgartenwald, der ten Gegend, stand in kelto-römischer Zeit seit der Gründung Eigentum der Stadt war, eine ausgedehnte Siedlung, in der man viel­ und im Westen der ausgedehnte Reichswald, leicht nicht mit Unrecht eines der zwölf von noch heute einfach „Forst“ genannt, in dem Cäsar erwähnten helvetischen Oppida ver­ Bern seit Beginn des 13. Jahrhunderts durch mutet. Es war eine gewerbliche Niederlas­ Privileg König Friedrichs II. die Holznut­ sung, vorwiegend mit Töpfergewerbe, de­ zung besaß, zu den ausgedehntesten und ren Bevölkerung in römischer Zeit einen bestbewirtschafteten Wäldern der Schweiz recht anspruchsvollen Lebensstand erreicht gehören. haben muß. Das beweist vor allem die An­ Die mittlere Meereshöhe des eigentlichen lage eines öffentlichen Bades mit heizbarem Stadtgebietes beträgt 545 m, während die Warmluft- und Heißluftraum und ein im umgebenden Hügelkuppen Höhen zwischen Jahre 1956 aufgedecktes kleines Amphithea­ 650 und 950 m ü. M. aufweisen. ter. Diese Siedlung auf der Engehalbinsel Die Gegend um Bern war schon in vorge­ war vom Beginn unserer Zeitrechnung an bis schichtlicher, insbesondere in keltorömischer ins 4. nachchristliche Jahrhundert ununter­ Zeit verhältnismäßig dicht besiedelt. Auf brochen bewohnt. Sie ist vermutlich kurz vor dem heutigen Kirchhügel von Muri stand in dem Jahre 400 einer Brandkatastrophe zum römischer Zeit eine Kultstätte, in der kel­ Opfer gefallen und nicht wieder aufgebaut tische Gottheiten der Aaregegend verehrt worden. Ein großes Gräberfeld bot auf­ wurden. Zu diesen hier verehrten Gottheiten schlußreiche Kenntnis über den Kulturzu­ gehört eine Bärengöttin, die DEA ARTIO. stand der hier ansässigen Bevölkerung, und Es ist dies eine neben einem Eichbaum sit­ zwei keltische Tempelanlagen, in deren einer zende weibliche Gestalt, die in der rechten eine frühmittelalterliche Kapelle hineinge­ Hand eine Schale trägt; zu ihrer Linken steht baut wurde, bezeugen die kultische Bedeu­ auf einem altarähnlichen Sockel ein Korb mit tung des Ortes, von der sich vielleicht noch Früchten. Den Haupteindruck dieses Götter­ bis ins christliche Mittelalter eine gewisse bildes vermittelt ein großer Bär, der auf die Tradition bewahrt hat. Göttin zuschreitet. Dieser Bär wird als ein Die frühburgundische und fränkische Zeit heiliges Stammestier gedeutet, von dem hat uns in den Gräberfeldern von Bümpliz, wahrscheinlich ein Stamm der damaligen kel­ ungefähr 4 km westlich der Stadt Bern, Zeu­ tischen Bevölkerung seinen Ursprung herlei­ gen einer Kultur hinterlassen, die allerdings 36 hr& Soh SfaStfjfMrii’

,■■■*,£, h XtivirftATM 'im»KUX.

Die Stadt Bern vor der Agglomeration eingebettet in die umgebende Landschaft. Plan des Stadtbezirks von R. J. Bollin vom Jahre 1809. vorwiegend bäuerlicher und kriegerischer Art reits ein fortgeschrittener Kulturzustand ent­ war. gegen, der zweifellos eine lange Entwicklung Im 6./7. Jahrhundert bildete die Aare die hinter sich hatte. In Bümpliz, das uns als Grenze zwischen Burgundern und Aleman­ Ausstellungsort von Urkunden König Ru­ nen, und damals entstand vermutlich auch dolfs III. von Burgund in den Jahren 1019 die Abgrenzung des Bistums Lausanne links und 1025 genannt wird, befand sich ein kö­ der Aare vom späteren Bistum Konstanz niglicher Gutshof, dessen Anfänge sicher in rechts der Aare. die Zeit Karls des Großen zuriickreichen, und Die Zeit bis etwa zum 12. Jahrhundert ist der vielleicht sogar an die Zeit der großen arm an Nachrichten aus unserer Gegend, so­ altburgundischen Gräberfelder anknüpft, die wohl aus Bodenfunden wie auch aus schrift­ sich hier in der Nähe befinden. An der Stelle lichen, urkundlichen Quellen. Daraus ist je­ der vermutlich in hochburgundischer Zeit doch keineswegs zu schließen, daß das Ge­ gegründeten Kirche von Bümpliz stand in rö­ biet in jenen Jahrhunderten eine Einöde ge­ mischer Zeit eine Villa, von der man die wesen wäre. Denn mit dem Auftreten der Reste eines Mosaikbodens aufgedeckt hat. ersten urkundlichen Nachrichten tritt uns be­ Man darf daher mit einigem Recht vermu­ 37 ten, daß hier die Kontinuität der Siedlung men des Ordens verwaltete nunmehr ein pro­ nie ganz unterbrochen war. testantischer Bürger der Stadt Bern den ehe­ Ähnlich war es in Köniz, 4 km südwest­ maligen Ordensbesitz. Er bezog die Ein­ lich der Stadt Bern. Auch hier befand sich ein künfte und rechnete mit dem Orden ab, ob­ römischer Gutshof, von welchem man 1957 wohl das Land und die Köniz unterstellt ge­ neuerdings aufschlußreiche Spuren aufgedeckt wesenen Kirchen zur Reformation und zum hat. Die Kirche von Köniz war die Mutter­ reformierten Glauben übergetreten waren. kirche von Bern. Sie war den Aposteln Petrus Dieser Zustand dauerte bis 1729, bis der Rat und Paulus geweiht und soll im 10. Jahrhun­ von Bern dem Orden alle seine Rechte um dert vom hochburgundischen König Rudolf II. den hohen Betrag von 120 000 Reichstalern gegründet worden sein. Später befand sich abkaufte. Von 1732 bis 1798 war Köniz eine hier ein Stift regulierter Augustinerchorher­ der einträglichsten bernischen Landvogteien. ren, ähnlich wie in St. Maurice, Lausanne, Sehen wir uns weiter in der näheren Um­ Interlaken usw. Dieses Augustinerstift ge­ gebung der Stadt um, so finden wir, daß das hört zu den ältesten Klöstern des bernischen Gebiet östlich der Stadt den edelfreien Her­ Mittellandes. Im Jahre 1226 wurde es von ren von Geristein unterstand, einem einfluß­ Kaiser Friedrich II. und seinem Sohn Hein­ reichen Geschlecht, das zur Zeit der Zährin- rich VII. den hier seit altersher ansässigen gerherzöge zu den vornehmsten unseres Lan­ Chorherren weggenommen und dem Deut­ des gehörte. Das Geschlecht der Herren von schen Ritterorden übertragen. Diese willkür­ Geristein starb in der zweiten Hälfte des liche kaiserliche Verfügung hatte viele Strei­ 13. Jahrhunderts aus, und Bern zerstörte ihre tigkeiten zur Folge, und sie war auch der Stammburg. Die Burg ist seither nie wieder Grund, daß die in Köniz vorhandenen Ur­ aufgebaut worden und bildet heute noch eine kunden, die uns über den früheren Zustand der romantischsten Burgruinen in der nähe­ der Gegend der Stadt Bern hätten Aufschluß ren Umgebung der Stadt. geben können, verloren gingen oder vernich­ Gleichzeitig mit Geristein haben die Berner tet wurden. Der Augustinerpropst soll 1229 auch die Burg Bremgarten, den Sitz der alt­ eine Truhe mit Urkunden mit nach Rom ge­ edelfreien Herren von Bremgarten gebrochen nommen haben, um vor dem Papst seine An­ und das vor der Burg gelegene Städtchen ver­ sprüche gegenüber dem Deutschen Ritterorden brannt. Von diesem ehemaligen Städtchen ist zu beweisen. Seither sind diese Urkunden nur noch die Kirche erhalten geblieben. Alles verschollen. übrige ist spurlos verschwunden. Die Burg Seit 1235 besaßen die Deutschherren unbe­ aber wurde Ende des 18. Jahrhunderts voll­ stritten das Patronatsrecht über die Kirche ständig umgebaut, so daß von ihrem ur­ der Stadt Bern. Durch ansehnliche Schenkun­ sprünglichen Zustand kaum mehr etwas zu gen, dann insbesondere auch durch das Vor­ erkennen ist. recht, Reichsgut einzuziehen, kam der Deut­ Die übrigen Burgen rings um die Stadt, sche Orden in Köniz zu großem Reichtum, neben Bremgarten und Geristein: Ägerten und als in der Reformation, im Jahre 1527, auf dem Gurten, Bubenberg bei Köniz und seine Güter säkularisiert wurden, gelang es Sternenberg westlich von Oberbalm waren dem Orden, seine Besitzrechte so hartnäckig Burgen von Reichsministerialen, und sie hat­ und geschickt zu verfechten, daß ihm die ten wohl schon ihre Blütezeit hinter sich, als Stadt Bern das alte Ordensgut, große Besit­ in Anlehnung an die Reichsburg auf zungen und Reichswälder westlich der Stadt, der Aarehalbinsel die Stadt oder das Burgum 1572 wieder zurückerstatten mußte. Im Na­ von Bern entstand, vielleicht gleichzeitig oder 38 Modernes Flugbild mit den die Altstadt umgebenden seit ca. 1830 gewachsenen Außenquartieren. im Zusammenhang mit der Organisation der fallenden Halden sind noch heute unüber- Reichsverwaltung in Klein- und Aarburgund baut. Die Südhalde ist mit terrassierten Gär­ in der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts. ten besetzt. Das überbaute Areal vom Schei­ Der klare, symmetrisch gegliederte Grund­ telpunkt der Flußschleife bis zum Quergra­ riß der Altstadt von Bern ist zweifellos vor­ ben beim Zeitglockenturm hat eine Länge bestimmt durch die topographische Lage. Das von 800 m und eine Breite von 200—250 m. Gelände der Stadt Bern liegt in einer an­ Die Fläche beträgt 17,56 ha. Die ganze von nähernd genau west-östlich orientierten, nach der Aare umschlossene Halbinsel, einschließ­ Westen offenen Flußschleife der Aare. Die lich der abfallenden, nicht überbauten Steil­ landoffene Seite dieser Flußschleife war ur­ halden ist in der Höhe des Zeitglockenturms sprünglich beim Zeitglockenturm durch einen ungefähr 400 m breit. tief eingeschnittenen natürlichen Quergraben In den heutigen Straßenzügen ist die ur­ abgeschlossen. Dieser Graben ist heute aufge­ sprüngliche Anlage der Stadt überall noch er­ füllt und zum Teil überbaut. halten. Mit Ausnahme des Münsterplatzes Die sogenannte Zähringerstadt bildet den hat man in den west-östlichen Hauptgassen östlichsten Teil einer plateauförmigen, nach bei Ausgrabungen keine alten Grundmauern Osten allmählich und zuletzt steil abfallen­ angeschnitten oder aufgedeckt. Bei allen Auf­ den Landzunge, die sich an ihrer höchsten brüchen stieß man unmittelbar unter dem Stelle beim Zeitglockenturm 43 m über dem Bett der alten Gassen auf ungestörten Boden. Flußspiegel erhebt. Die südlich und nördlich Der ursprüngliche Grundrißplan, d. h. das des so gebildeten Plateaus zum Flußufer ab­ Verhältnis der Straße zu den überbauten 39 oder eingefriedeten Parzellen oder Hofstät­ Im Gegensatz zu dieser klaren Grundriß­ ten blieb überall, durch die Jahrhunderte hin­ gestaltung, die in der leichten Biegung der durch, bewahrt. Man darf daher mit Recht Hauptachse sich der natürlichen Geländelage im heutigen Straßensystem der Stadt Bern und vermutlich auch einem alten Straßenzug noch den ursprünglichen Plan der ältesten, anpaßte, und deren großzügige Planung auf zähringisdien Stadtanlage sehen. Neben der die beste Zeit des europäischen Städtebau­ in enge Schranken gebundenen siedlungs­ stiles schließen läßt, steht am Scheitelpunkt topographischen Lage innerhalb der Fluß­ der Flußschleife das Burgstädtchen Nydegg, schleife verdankt Bern die Erhaltung seines das sich um die bereits vor dem Jahre 1273 ursprünglichen Stadtgrundrisses dem Um­ zerstörte Reichsburg Nydegg gebildet hatte. stand, daß die Stadt in ihrer ganzen Ge­ Von der eigentlichen Stadt, dem „Burgum“ schichte nie von Feindeshand zerstört worden von Bern, war dieses alte Burgstädtchen ist. Stadtbrände, so verheerend sie auch ge­ Nydegg durch einen natürlichen Graben, über wirkt haben mochten, vernichteten bloß den zwei Brücken führten, deutlich abge­ Teile der Stadt. Die Häuser wurden immer grenzt. In diesem Burgstädtchen haben wir wieder auf den alten Grundmauern neu auf­ den ursprünglichen Siedlungskern, den vor­ gebaut, und die überlieferten Eigentumsver­ städtebaulichen Ausgangspunkt der späteren hältnisse, beziehungsweise die gegenseitigen Stadt zu sehen. Der Bautypus der Häuser, Abgrenzungen von öffentlichem Recht über insbesondere das Fehlen der Lauben, deutet die Straße und den privaten Rechten über darauf hin, daß wir es hier auch mit anders den eingefriedeten Wohnraum blieben bis in gearteten Rechtsverhältnissen zu tun haben die neueste Zeit, mit ganz geringen Abwei­ als in der übrigen Stadt. chungen, unverändert. Die Altstadtsiedlung oder die sogenannte Wie bei den Bischofsstädten die Kathe­ Zähringerstadt gliedert sich demnach in zwei drale, bei den Burgstädten die herrschaftliche deutlich zu scheidende Teile: das Burgstädt­ Burg das Stadtbild beherrscht, so wird die chen, das sich in einem Durchmesser von ca. Stadt Bern durch ihre Hauptstraße, die alte 150 m bis zu der 20 m über dem Aareufer „Meritgasse“ (heute und Gerech­ gelegenen Burg Nydegg hinaufzog, dem so­ tigkeitsgasse) mit ihren durchgehenden Lau­ genannten Stalden (mhd. steiler Weg), und ben, in ihrem Bautypus bestimmt. Parallel zu einige Häuser am Aareufer in der Matte um­ dieser axialen Hauptgasse liegen an der süd­ fassend, — und das in seiner Grundrißge­ lich anschließenden Seite des städtischen Bau­ staltung deutlich charakterisierte Burgum geländes die alte Junkern- und Kirchgasse von Bern, das nach einem weiteren, durch und die Hormanns- und Metzgergasse. Auch einen Graben abgesetzten Steilanstieg west­ sie sind, mit Ausnahme des untersten Teils lich anschließend sich über die Halbinsel bis der sonnseits und des untersten zum natürlichen Quergraben beim Zeitglok- Teils der schattseits, ebenfalls mit kenturm erstreckte. durchgehenden Lauben versehen. Im west­ Regelmäßig abgemessene Grundstückein­ lichen Drittel dieser fast geradlinig verlau­ teilung und planmäßige Anlage zeigt allein fenden Grundrißgestaltung, da wo es die na­ das Burgum, und zwar vom unteren Drittel türliche Verbreiterung des Plateaus erlaubt, der an bis hinauf zum schließen sich weniger regelmäßig verlau­ Zeitglockenturm. Es ist offensichtlich, daß fende Nebengassen an: südseits die Herren­ einer so regelmäßigen Anlage ein einheit­ gasse (früher Egerdongasse genannt), nord- licher, klar erkannter und planmäßig voraus­ seits die annähernd halbkreisförmig ausbuch­ bestimmter Bauplan zugrunde liegen muß. tende Brunngasse. Dagegen kann man einen Bauplan beimBurg- 40 Planvedute von Bern von Conrad Meyer 1632/67 mit den Wappen der 60 bernischen Landvogteien. Deutlich sichtbar die aufeinanderfolgenden Bauetappen und die Bollwerkschanzen nach 1622.

Städtchen der Nydegg und den unmittelbar evident nachgewiesen werden, wie das in daran anschließenden Teilen der Altstadt Bern der Fall ist. ebensowenig erkennen wie in der westlich Die Hofstätten in Bern waren nach Stadt­ anschließenden Neuenstadt oder sogenannten recht 100 Fuß lang und 60 Fuß breit. Diese „Savoyerstadt“ zwischen Zeitglockenturm alten Area-Maße sind heute noch im Grund­ und Käfigturm, und der ihr vorgelagerten rißplan der Stadt nachzuweisen. „Äußeren Neuenstadt“ zwischen Käfigturm Das Dokument, das uns von den alten und dem ehemaligen . Diese Hofstättenmaßen Kunde gibt, ist die soge­ beiden „Neuenstädte“ lassen jene klare Re­ nannte Berner Handfeste, das Privileg, wel­ gelmäßigkeit vermissen, die wir in der Zäh­ ches König Friedrich II. noch während seiner ringerstadt als städtebauliche Eigenart an- Königszeit den Bernern erteilte. Es ist mit sehen. 15. April 1218 datiert, wogegen die eigent­ Die klare Regelmäßigkeit beruht auf dem liche Ausfertigung wahrscheinlich erst später, Gründungsvorgang selbst und ist die Folge sicher aber vor dem 22. November 1220 er­ einer vorbedachten Aufteilung des Siedlungs­ folgte. Ich möchte mich hier nicht näher auf geländes in Straßen und in Hofstätten (areae) die Frage der Echtheit dieses königlichen Pri­ von genau abgegrenztem Ausmaß. vilegs einlassen, sondern lediglich auf meine Diese Aufteilung des Baugrundes hat Bern diesbezüglichen Publikationen verweisen. Für mit vielen ändern Gründungsstädten des 12. mich steht die Tatsache der Echtheit außer und 13. Jahrhunderts gemein. In keiner än­ Frage. dern Stadt konnte jedoch bisher m. W. der Der Wortlaut der betreffenden Stelle die­ ursprüngliche Aufteilungsplan so klar und ses wichtigen städtischen Freiheitsprivilegs ist wie folgt: „Kund tun wollen Wir euch und schmäleren Seite, also mit den 60 Fuß, an die allen, die inskünftig diese Urkunde ansehen, Straße grenzen müßten. Das hätte Baublöcke dass Wir durch hohe königliche Vollmacht von 100 Fuß, von Gasse zu Gasse gemessen, dieses Burgum von Bern und alle Burger ins­ ergeben müssen. Baublöcke von solcher Tiefe gemein, die sich jetzt dort aufhalten und spä­ sind jedoch im Grundriß der Zähringerstadt ter dahin übersiedeln, in Unsern und des nicht zu finden. Für den Stadtgrundriß von Römischen Reiches Herrschaft und Schutz zu­ Freiburg i. Br. gelang es zwar, eine planmä­ rückgenommen haben, indem Wir euch und ßige Einteilung nach den alten, im Freiburger eure Nachkommen für immer frei machen Stadtrecht festgelegten Hofstättenmaßen von und von allen Dienstleistungen befreien, 100 auf 50 Fuß zu rekonstruieren unter der durch welche ihr bedrückt wäret, mit Aus­ Annahme, daß die Hofstätten mit ihrer nahme des Zinses von euren Häusern und schmäleren Seite von 50 Fuß an die Gasse Hofstätten, nämlich von jeglicher Hofstatt grenzten. Man kam so zu dem zweifellos (area), die 100 Fuss lang und 60 breit ist, richtigen Ergebnis, daß auch in Freiburg i. Br. 12 Pf. üblicher Münze, die jedes Jahr vom die alten Hofstättenmaße noch erkennbar Reichsboden zu entrichten sind. Durch die seien, allerdings dank der Tatsache, daß die Entrichtung dieses Zinses wollen Wir, dass Länge der Freiburger Hofstätten das Dop­ ihr und eure Nachkommen von allen ande­ pelte ihrer Breite beträgt. Läßt man die Hof­ ren Dienstleistungen befreit sein sollet gegen­ stätten aber mit ihren Längsseiten an die über Uns und Unseren künftigen Nachfol­ Straße grenzen, dann kommt man für den gern oder Unseren Stellvertretern; und diese Grundriß der Stadt Bern zu überraschend Freiheit und Immunität bekräftigen Wir euch eindeutigen Ergebnissen. Rechnet man die und euren Nachkommen kraft königlicher Lauben ab, die nicht in die nach ihrer Länge M acht.“ und Breite stadtrechtlich festgesetzten Hof­ König Friedrich II. erklärt mit diesen stätten von 60 mal 100 Fuß einzubeziehen Worten das Burgum von Bern und alle da­ sind, dann erkennt man in den Blockbreiten maligen und inskünftig dahin übersiedelnden zwischen den Hauptgassen zuverlässig, und Burger als reichsunmittelbar. Er befreit sie zwar meistens auf Fußbreite genau die dop­ von allen Dienstleistungen mit Ausnahme pelte Breite, d. h. 2mal 60 oder 120 Fuß. Die eines Hofstättenzinses. Daneben vernehmen im heutigen Stadtgrundriß noch augenfällig wir, daß jede Hofstatt 100 Fuß lang und 60 feststellbare Tatsache gibt uns ein Kriterium breit sein soll, und daß von jeder solchen in die Hand, das nach dem ursprünglichen Hofstatt 12 Pfennig üblicher Münze an das Gründungsplan aufgeteilte Baugelände zu Reich als Zins vom Reichsboden zu entrich­ ermitteln. ten sei. Wenn diese Bestimmung eines Hof­ Parzelliert und gemessen wurde längs der stättenzinses in der Berner Handfeste einmal Straßenfront. Hinterhöfe, die keinen Anteil eine reale Grundlage gehabt hat, dann muß an der Straße hatten, waren unabträglich. das Ausmaß dieser Hofstätten, 100 auf 60 Fuß, als Maßstab für den zu entrichtenden Seite 43 Zins, im Grundrißplan der Stadt noch er­ Bern. Altes Gassenbild von ca. 1870, im Hinter­ kennbar oder feststellbar sein. Das ist nun grund der Zeitglockenturm, der den Abschluß der Zähringerstadt von 1191 bildete. Unter dem Ziffer­ tatsächlich noch der Fall. blatt, getragen von einer Girlande, ein Medaillon Man glaubte zwar früher, einen solchen mit dem Kopf Berchtolds V. v. Zähringen, das heute durch ein Reitersiegel Berchtolds ersetzt ist. Nachweis nicht mehr erbringen zu können, Im Vordergrund der Zähringerbrunnen mit dem ging dabei jedoch von der falschen Voraus­ Bären, der das Banner mit dem Löwen Berch­ setzung aus, daß diese Hofstätten mit der tolds hält. 42 rm Wertvoll war allein die Straßenseite. In ver­ Es wurde bisher übersehen, daß die Grün­ schiedenen waadtländischen Stadtrechten der-Hofstätten mit ihren Längsseiten an die wird überhaupt nur die Straßenfront für den Gassenseiten stoßen, und vor allem: daß es Hofstättenzins berücksichtigt und nur eine ursprünglich überhaupt nur Idealmaßeinhei­ Länge angeführt. Ferner hat man früher nicht ten waren. Man war voreingenommen durch berücksichtigt, daß diese Maße überhaupt nur die Tatsache, daß die Areaparzellen in allen Idealmaß-Einheiten für die Gründungsunter­ Städten ausnahmslos mit der schmäleren Seite nehmen gewesen sein könnten. Nach den Ver­ an die Straße grenzen. Und doch hätte es die hältnissen in Bern ist es so, daß die stadt­ Art der Aufteilung des städtischen Baugrunds rechtliche Normierung der Hofstättenlänge an die ersten Gründungsunternehmer, oder von 100 Fuß bloß die ideale Berechnungsein­ wie es im Stadtrecht von Freiburg heißt, an heit festsetzte, nach welcher der Hofstätten­ die mercatores personatos circumquaque con- zins von 12 Pfennig zu entrichten war. Die vocatos, nahelegen können, daß für diese die einzelnen Bauparzellen selbst waren überall Straßenfront, als das wirtschaftlich einzig viel kleiner. Sie betragen nicht 100 Fuß, son­ abträgliche, von alleiniger Wichtigkeit war. dern einfache Teile dieses stadtrechtlich fest­ Die Tiefe der Hofstätten hatte sozusagen gesetzten Maßes, nämlich 1U, Vs, Vs und Vs keine Bedeutung. von 100 Fuß. Tatsächlich müssen die Bau­ Durch den Areazins trat der Eigentümer parzellen bereits von Anfang an in diesen der Area in ein persönliches, dinglich begrün­ einfachen Teilmaßen von 100 Fuß abgesteckt detes Verhältnis zum Stadtherrn. Der Grund­ worden sein, und zwar Stück um Stück fort­ herr oder der Stadtgründer, der die Area an laufend anreihend, in der Mehrzahl in Teilen die ersten Stadtsiedler in der Form der Grün­ von Vs und '/« von 100, d. h. 20 und 16 Fuß derleihe, perpetuo possidendum, verliehen Straßenfront. Diese einfachen Teile von hatte, überließ sie ihnen zu Eigentum in der 100 Fuß sind heute noch mit katastermäßiger Form der Erbleihe gegen einen bestimmten, Exaktheit im Stadtgrundriß feststellbar. Die wenn auch geringfügigen Anerkennungszins, heutigen Hausmarchen, gemessen an der in­ der ein gewisses Obereigentums- oder Herr­ neren Laubenseite, fallen sozusagen aus­ schaftsrecht, mehr symbolisch als fiskalisch nahmslos, und zwar mit Zentimeter-Ge­ ins Gewicht fallend, ausdrückte. Der Stadt­ nauigkeit, auf solche einfache Teilmaße von herr erhob keinen Anspruch auf eine spätere 100 Fuß. Geringe Abweichungen bleiben Werterhöhung oder Besserung (melioratio), stets innerhalb der Scheidmauern. Sie korri­ welche die Area infolge der Überbauung mit gieren sich wieder, wenn man größere Teil­ mehreren Ertrag abwerfenden Häusern er­ strecken abmißt. So fallen beispielsweise an fuhr. Der erste Besitzer, der die Area als der alten Meritgasse (Gerechtigkeitsgasse) Erbleihe gegen den einmal für immer festge­ 56 Parzellen auf Fünftel-Teile, 18 auf Sech­ setzten Erbleihzins erhalten hatte, konnte sie stel-Teile, 15 auf Achtel-, 5 auf Viertel-Teile nach Belieben überbauen, weiter ausparzel­ von 100 Fuß. Die einzige Normalhofstatt lieren, und die einzelnen ausparzellierten von 100 Fuß ist die ehemalige Bubenberg­ Teile selbst wieder zu Erbleihe ausgeben, ver­ hofstatt beim Bubenbergtor, die Hofstatt des kaufen oder zu jährlicher Rente, nunmehr als Geschlechtes dessen, der nach der Überliefe­ Zinsherr, weitergeben. Gerade das bot einen rung als eigentlicher Gründer oder Baumei­ wesentlichen Anreiz für die ersten Grün­ ster, als Gründungsunternehmer der Stadt dungsunternehmer. Daß dabei die stadtrecht­ gilt. Die Bubenberghofstatt ist bis zum heuti­ lich festgesetzten Areamaße ideale Einheiten gen Tage ungeteilt geblieben. gewesen waren, die als Berechnungsgrund­ 44 Altes Gassenbild von ca. 1870, im Hintergrund der noch stehende Käfigturm, der den Abschluß der sog. Savoyerstadt (um 1250) bildete. läge des dem Stadtherrn zu entrichtenden anlage haben wir den vorstädtebaulichen Areazinses aufgestellt wurden, ist ohne wei­ Siedlungskern der späteren Stadt zu sehen teres naheliegend. Die Grundrißverhältnisse Die Reichsburg Nydegg war der Stützpunkt von Bern liefern dafür den Beweis. einer Flußübergangssiedlung, und es ist nicht Nach Ausweis der Hofstättentiefen von ausgeschlossen, daß das anschließende Sied­ 60 Fuß sind im Baugelände der Altstadt von lungsgelände wegen seiner topographischen Bern, d. h. vom Scheitelpunkt der Fluß­ Lage früher vielleicht einmal der Ort eines schleife bis zum Zeitglockenturm und dem vorgeschichtlichen Refugiums gewesen ist. hier die Halbinsel abteilenden natürlichen Wann die Burg Nydegg erbaut wurde, ist Quergraben, drei deutlich abgrenzbare Bau­ unbekannt. Ihr Bautypus weist sie eher in die etappen zu unterscheiden. zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts. 1. Das Burgstädtchen Nydegg mit der ehe­ 2. Neben diesem kleinen Burgstädtchen, maligen, in den letzten Jahren in ihrem dessen Alter und erste Anfänge wir nicht Grundriß und Mauerring neu aufgedeckten kennen, entstand sodann ebenfalls in der und untersuchten ehemaligen Reichsburg zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts die älte­ Nydegg als Mittelpunkt. Dieses Burgstädt­ ste oder erste planmäßig aufgeteilte Grün­ chen war ursprünglich besonders befestigt dungsstadt oder das älteste Burgum de Berno und von der westlich anschließenden Grün­ Dieses ältere Burgum ist aufgeteilt in eine dungsstadt durch einen doppelt überbrückten Hauptgasse und zwei Seitengassen. Beidseitig breiten Graben geschieden. In dieser Burg­ der Hauptgasse stehen zwei Baublöcke von 45 doppelter Hofstättentiefe. Die einzelnen geräumt, Metzgerlauben zu erbauen und den Hofstätten sind gassenseits begrenzt durch Metzgern zu Zins zu verleihen; gleicherweise die Lauben, hofseits durch den Ehgraben konnten sie über die Lauben der Leder- und (Kloake, der durch das Gesetz bestimmte Pelzwarenhändler verfügen und diese den Abzugsgraben zwischen zwei Häuserreihen). Lederhändlern oder Kürschnern gegen Zins Diese beiden normalbreiten Blöcke zählen vermieten. Es sind also eine Reihe markt­ insgesamt 24 Hofstätten im Idealmaß von wirtschaftlich zweifellos recht einträglicher 100 mal 60 Fuß. Privilegien, über welche die Ratsherren ur­ Es ist vielleicht nicht ganz uninteressant, sprünglich verfügten, die ihnen, ob sie die darauf hinzuweisen, daß in vielen Städten Rechte selbst ausübten oder sie bloß zu Zins die Zahl 12 oder 24 eine verfassungsrecht­ ausgaben, sicher recht erheblichen Gewinn lich wichtige Rolle spielte. Freiburg i. Br. bei­ einbrachten. Es ist methodisch gewiß nicht spielsweise wurde bekanntlich von 24 Merca- unberechtigt, angesichts der weitverbreiteten toren, die von überallher zusammengerufen Gleichförmigkeit und Einheit der Gewohn­ wurden, als eine conjuratio fori gegründet. heitsrechte der Städte des Hochmittelalters Aus diesen 24 Mercatores ist nach Beyerles zu schließen, daß auch da, wo die Stadt­ Untersuchungen später der Rat der 24 Con- rechte nichts besonderes erwähnen, zum min­ sules hervorgegangen. 24 Consules kommen desten ähnliche Rechtsverhältnisse und in vielen Gründungsstädten vor, während Rechtsbräuche Vorgelegen haben. wieder eine Reihe anderer Städte deren 12 Über die ursprüngliche Zahl der Ratsher­ aufweisen. In verschiedenen Stadtrechten der ren in Bern gibt die Handfeste keine Aus­ Zähringer Stadtrechtsfamilie werden die Be­ kunft. Aber in einer Urkunde von 1226 wer­ fugnisse und Aufgaben der 24, resp. 12 Con­ den der Scultetus de Berno cum consulibus sules näher umschrieben. Ihnen unterstand namentlich angeführt. Es sind außer dem die Verwaltung des erbenlosen Gutes, sie Schultheißen Cuno aus dem Reichsministeria- hatten die Aufsicht über Maß und Gewicht, len-Geschlecht der Jegistorf 6 ritterliche und die Aufsicht über die Lebensmittelpolizei und 6 bürgerliche Namen, die auf einen damals die Lebensmittelgesetzgebung. Sodann waren regierenden Rat von 12 schließen lassen. Es ihnen vor allem Rechtsprechung und Gericht ist aber keineswegs ausgeschlossen, daß wir anvertraut. Als besondere Vorrechte genossen es in Bern von Anfang an mit einem Rat von sie Steuerfreiheit, d. h. ihnen war die Ent­ 24 Consules zu tun haben. Die später be­ richtung des Hofstättenzinses erlassen. Fer­ kannte Zahl von 24 Ratsherren bleibt bis ner besaßen sie gewisse marktwirtschaftlich 1798, also bis zum Untergang des alten Bern, wichtige Privilegien, nämlich besondere Vor­ bestehen. rechte an öffentlichen Verkaufslauben oder Ich möchte annehmen, daß die 24 Normal­ Schaalen, wie das aus den Handfesten von hofstätten der Baublöcke im älteren Burgum Freiburg i. Br. und Flumet hervorgeht. In von Bern die ursprünglich geplanten Grün­ Freiburg i. Br. hatte jeder Consul das Recht derhofstätten der ersten 24 conjuratores fori auf eine Verkaufsbank in den Marktlauben oder Gründungsunternehmer gewesen sind, der unteren Metzig, in derjenigen beim Spi­ und daß somit in Bern ein analoger Grün­ tal und in der Brotlaube beim Fischmarkt. dungsplan vorliegt, wie er für Freiburg i. Br. Wer einem Consul im Amt nachfolgte, erhielt überliefert ist. damit auch das Recht auf diese Verkaufs­ 3. Westlich dieser ersten Burgumgründung bänke, die durch Eid bei der ersten Stadt­ schloß sich in einer weiteren Bauetappe das gründung eingesetzt worden waren. Im Recht nach gleicher Planmäßigkeit aufteilbare jün­ von Flumet war den Consules das Recht ein­ gere Burgum an, durch welches das Bauge­ 46 Altes Gassenbild mit Stadtbach, Lauben und Wochenmarkt. Den Abschluß der Gasse bildete der 1346 gebaute, 1865 abgerissene Christoffelturm. lände bis zum Zeitglockenturm und dem Burg und Burgstädtchen Nydegg, — älteres dort befindlichen tiefen Graben erschlossen Burgum de Berno — und die Erweiterung wurde. Beidseitig der Hauptgasse sind es dieses älteren Burgums nach derselben Hof­ hier 10 Idealhofstätten, also in den beiden stätteneinteilung bis zum Zeitglockenturm Hauptblöcken je 20. Ich kann hier darauf oder das jüngere Burgum de Berno. Das nicht näher eingehen, möchte aber betonen, überlieferte Gründungsjahr 1191 für die daß auch im jüngeren Burgum die Maßver­ Gründung der Stadt Bern bezeichnet nicht hältnisse genau nachweisbar sind. Der Grün­ den Beginn, sondern den Abschluß der zäh- der dieses jüngeren Burgum von Bern ist ringischen Bauperiode. Die Gründung des zweifellos Herzog Berchtold V. von Zäh­ älteren Burgums glaube ich in die Mitte des ringen. 12. Jahrhunderts setzen zu können. Es ist Im Grundrißplan der Zähringerstadt sind ganz ausgeschlossen, daß mit einer einzigen demnach 3 topographisch klar ersichtliche Gründung der Siedlungsraum der Stadt so Etappen städtebaulicher Entwicklung abzu­ weit hätte abgesteckt werden können, wäh­ lesen: Vorstädtebaulicher Siedlungskern, d. h. rend die beiden Bauetappen älteres Burgum 47 und jüngeres Burgum jedes für sich den Aus­ worden war. Nach dem Wortlaut der Hand­ maßen bei anderen Neustadtgründungen feste wurde die Stadt Bern in den unmittel­ entsprechen. baren Schutz von König und Reich genom­ Als planmäßige Burgumgründung im An­ men. Sie wurde eine reichsunmittelbare freie schluß an die Burg Nydegg als dem städte­ Stadt und hatte keinen ändern Herrn oder baulichen Siedlungskern darf die Zähringer­ Vogt über sich anzuerkennen als allein den stadt Bern noch heute in ihrem Stadtgrund­ König, den höchsten Herrn des Landes. Es ist riß als ein großartiges Werk hochmittelalter­ dies die weitgehendste Form politischer Selb­ licher Städtebaukunst und als ein vorbild­ ständigkeit und Freiheit, die im mittelalter­ liches Musterbeispiel einer Stadtgründung lichen Reichsverband überhaupt denkbar war. des 12. Jahrhunderts angesehen werden. Nur Außerdem erhielt die Stadt Bern durch die in wenigen Städten kann die ursprüngliche königliche Handfeste das hohe Recht und die Anlage aus dem Grundrißplan mit so augen­ Freiheit, nach dem Beschluß des Rates und fälliger Eindrücklichkeit abgelesen werden. der Gemeinde der Stadtburger neue Gesetze Die Stadt Bern hat nicht nur an der Eigenart aufzustellen und sie ihren bisherigen Satzun­ ihrer mittelalterlichen Lauben zäher und ein­ gen beizufügen, „zu gemeinem Nutzen, zur heitlicher als viele andere Städte festgehalten, Ehre der Stadt und zur Mehrung der Ehre sie besitzt audi im Stadtgrundriß selber ein des Reiches“, Pro communi utilitate et ho- historisches Rechtsdenkmal, gleichsam eine nore civitatis vestre, et honore imperii con- steinerne Urkunde, die, einer schriftlichen servando et augmentando. Das bedeutet durchaus ebenbürtig, uns über den Vorgang nichts Geringeres als die Zusicherung des der Stadtgründung Aufschluß gibt, wenn Rechts der freien Selbstbestimmung innerhalb andere schriftliche Quellen noch schweigen. des mittelalterlichen Staatsverbandes, in dem Bereits zur Zähringerzeit muß Bern ein der König und Kaiser nicht nur die oberste Stadtrecht erhalten haben, und zwar nach Gewalt, sondern auch die höchste Autorität dem Vorbild der 1120 gegründeten Stadt des Rechts, des Friedens und der Sicherheit Freiburg i. Br. Es gewährte ihr weitgehende repräsentierte. Das auf dem fundus imperii, Verwaltungsautonomie, Markt- und Zoll­ dem Reichsboden gegründete Bern war mit freiheit und weitere Markt- und Handels­ dem Privileg Friedrichs II. zu einer freien privilegien sowie freies Niederlassungsrecht Reichsstadt erklärt worden, und zwar zu für Neuzuziehende. Dieses zähringische Ber­ einer der freiesten und höchst privilegierten ner Stadtrecht nach dem Vorbild von Frei­ unter allen freien Reichsstädten diesseits der burg i. Br. enthielt ferner eine große Zahl Alpen. Das Jahr 1218, das Jahr des Ausster­ zivil- und strafrechtlicher Bestimmungen, bens der Zähringer, bedeutete zugleich auch nach denen die Stadt selbst Gericht halten die Geburtsstunde des Staates Bern. Von und Recht sprechen konnte. 1218 an ist die Geschichte der Stadt zugleich Dieses alte zähringische Recht wurde im und immer mehr auch die Geschichte der um­ Jahre 1218 nach dem Aussterben des Zäh­ gebenden Landschaft; denn die Stadt ist nicht ringerstammes mit dem Tode Herzog Berch- zu denken ohne das Land Bern, in das sie als tolds V. aufgezeichnet und in einem Privileg ein Mittelpunkt zwischen Jura und Alpen König Friedrichs II. durch neue Freiheiten eingebettet liegt. erweitert. Dieses Privileg ist die goldene Um die Mitte des 13. Jahrhunderts, zur Handfeste, der Freiheitsbrief und das Grund­ Zeit, da Graf Peter II. von Savoyen im Na­ recht der Stadt Bern, das als ein höchst wert­ men des Reiches über Bern den Königsschutz geschätztes königliches Diplom mit dem gol­ innehatte, gab sich Bern das erste bescheidene denen Königssiegel beglaubigt und bekräftigt äußerlich sichtbare Kennzeichen seiner zu- 48 Die Zähringergedenktafel im Münster aus dem Jahre 1601 mit demBerner Wappen, dem Reichs­ wappen mit Adler und dem Zähringer Löwen mit Herzogshut als Helmzier. Die Inschrift lautet: IN MEMORIAE MONUMENTUM PERPETZJAE BERCHTOLDI V. ZAERINGIAE DUCIS FORTISS. ÜRBIS BERNAE CONDITORIS INCLYTISS: P PATRIAE ILLU­ ST BIS SENATUS BERN: O L Q P- 4 Badische Heimat 1970 49 kunftsfrohen Geschichte: Mit Bewilligung chen, wurden sie jedoch immer wieder neu des Grafen von Savoyen, des königlichen geknüpft. Statthalters, wurde beim untern Tor eine Sein eigenes unmittelbares Herrschaftsge­ Brücke über die Aare geschlagen. Der zährin- biet hat Bern gegen Ende des 13. Jahrhun­ gische Mauergürtel, der beim Zeitglocken­ derts über die östlich an die Stadt angrenzen­ turm das Burgum Bern begrenzte, war zu eng den Kirchgemeinden Muri, Bolligen, Vechi- geworden, und ein neuer Mauerring entstand gen und Stettlen ausgedehnt. Diese wurden beim heutigen Käfigturm, der ein neues, grö­ dem bernischen Stadtrecht unterstellt und hie­ ßeres Stadtgebiet eingrenzte und abschloß, ßen von nun an das Stadtgericht. Die erste nämlich die Neuenstadt oder die sogenannte Hälfte des 14. Jahrhunderts war sodann für „Savoyerstadt“, als vierte Etappe der räum­ Bern eine Zeit größerer äußerer Machtentfal­ lichen Ausdehnung der Stadt. Diese neue Um­ tung. Anlaß dazu gab die Schwäche der mauerung erweiterte das alte zähringische Reichsgewalt. Stadtgebiet um mehr als die Hälfte; denn Die territorialen Interessen Berns gingen in auch Graf Peter II. von Savoyen wollte „Stif­ der Richtung seiner wichtigsten Verkehrsver­ ter und ortfrumer (Gründer) sin der stat von bindungen. So vor allem südlich nach dem Berne“, wie der Berner Chronist Justinger Oberhasli und der Grimsel, von wo aus der berichtet. wichtige Weg ins Oberwallis und über den Gleichzeitig begann die Stadt in die Land­ Griespaß ins Pomat oder über den Nufenen- schaft hineinzuwachsen. Als Hort der Frei­ paß ins Bedretto- und Livinental und mithin heit, des Friedens und der Sicherheit bereitete auf kürzester Route nach Mailand führte. sie sich vor, das Erbe der zerfallenden könig­ Im Jahre 1311 war Münsingen als erstes Ge­ lichen Herrschaft in Kleinburgund anzutre­ biet außerhalb des Stadtgerichtes bernisches ten. Land geworden. Die Stadt Thun, seit 1311 Bereits im Verlauf des 13. Jahrhunderts verbündet, wurde 1323 lehensrechtlich und hatte sich die Stadt durch Bündnisse und 1384 faktisch bernisch. Aus dem Niedergang Verträge einen Hilfs-, Schirm- und Friedens­ der Herren von Weißenburg, den Bern, wenn kreis geschaffen, der von der Grimsel und nicht verursachte, so doch redlich beschleu­ den Walliserbergen bis zum Jura und von nigte, kamen Wimmis, Unterseen und der Genf bis Zofingen reichte. Diese Bündnisse gesamte oberländische Besitz der Herren von und Schirmverträge mit dem uechtländischen Weißenburg unter bernische Schutz- und Freiburg, dem Bischof von Sitten, der Land­ Hilfspflicht, und das seit der zweiten Hälfte schaft Hasle, der Stadt Biel, den Grafen von des 13. Jahrhunderts mit Bern verbündete Savoyen und allen ihren Vasallen, bezweck­ Reichsland Hasli wurde bernisch, indem die ten die Sicherung des Landfriedens, den Stadt durch Loskauf der Reichspfandschaft Schutz von Handel und Wandel. Sie ent­ sich 1334 ganz einfach an Stelle des Reiches hielten in der Regel die Verpflichtung zum setzte und die Reichsrechte zu eigenen Hän­ schiedsrichterlichen Austrag aller Streitigkei­ den einzog. Ähnlich geschah es auch mit dem ten und zeigen vorerst noch deutlich die nach Reichsstädtchen Laupen, der ehemaligen Westen orientierten Interessen Berns. Zwar Reichsvogtei und ersten bernischen Landvog­ bedeuteten diese Bündnisse noch keineswegs tei, wo Bern 1324 ebenfalls durch Bezahlung feste, unverbrüchliche Verbindungen. Sie wa­ einer Pfandsumme die reichsrechtlichen Herr­ ren meist kurz befristet und wandelten sich schaftsbefugnisse erworben hatte, nunmehr je nach der Parteistellung der Beteiligten. In an Stelle des Reiches den Vogt selbst ein­ kriegerischen Verwicklungen öfters unterbro­ setzte und die Reichssteuern und Dienstlei- 50 8 a, b. Gepräge des Berner Batzens. Nach der Reformation in Bern im Jahre 1528 verschwand der Stadtheilige St. Vinzenz von den Münzen. An seiner Stelle wurden bis ca. 1700 Umschriften mit dem Hinweis auf Berchtold V. als Stadtgründer ( -f BERGTOL D ZERINGE FUNDA +) geprägt, und im 16. Jahrhundert erschien auf dem Goldgulden mehrfach auch Friedrich II. als Begründer der Stadtfreiheit (+ FRIDERI II LIBERTA AUTHOR). Die Vorderseite der Münzen trug jeweils den Wappenschild der Stadt.

8 c, d. Vorderseite und Rückseite einer Erinnerungsmedaille auf den Stadtgründer mit einem Stadt­ bild von Süden und einer Panzerbüste Berchtolds mit Schwert und Herzogshut. gestochen von J. Dassier (1676—1763). i' 51 stungen für sich bezog. Im Verlauf des 14. 3. In einem Umkreis von 3 Meilen ehr­ Jahrhunderts erwarb Bern mit Thun (1323/ baren Leuten von Reiches wegen Geleitschutz 1384), Laupen (1324), Aarberg (1377/1379), zu geben, ohne Entgelt dafür anzunehmen, Burgdorf (1384), Büren (1388) und Nidau Übeltäter gefangen zu nehmen und nach (1388) alle im Umkreis von 6 Meilen rings Stadtrecht zu richten (1365). um die Stadt gelegenen Städte, gleichsam als 4. Von Kaiser Karl IV. (1365) das Recht, vorgeschobene Bollwerke und Außenposten Gewalt mit Gewalt zu wehren. an allen wichtigen Zufahrts- und Verkehrs­ 5. Von König Wenzel (1378) das Recht, straßen. Reichslehen in ihrem Gebiet im Namen des Die reichsrechtliche Stellung Berns als Herr Reiches weiter zu verleihen. über die Landschaft wurde im Jahre 1415 Nach dem Privileg von König Sigmund durch ein Privileg König Sigmunds legiti­ (1415) war die Stadt ein vom Reich voll­ miert. Der König gewährte Bern das Recht, kommen unabhängiges Staatswesen, ein von allen unter bernischer Gerichtshoheit le­ Stadtstaat, der innerhalb des Reichsverban­ benden und von Bern Friede, Schirm und des volle staatliche Unabhängigkeit besaß. Hilfe genießenden Leuten: 1. eine allgemeine Der zähringische Mauerring von 1191 und Landessteuer zu erheben, 2. sie nach Not­ auch der Mauerring der savoyischen Neustadt durft zum Auszug unter Bernbanner zum um 1250 war zu Anfang des 14. Jahrhun­ Krieg aufzubieten, und 3. über sie die Hohe derts wieder zu eng geworden. Wenige Jahre Gerichtsbarkeit auf dem Landgericht nach nach dem Laupenkrieg von 1339, dem ersten gemeinem Recht auszuüben. entscheidenden Kampf um die Lebensexi­ Wie 1218 die Handfeste die Autonomie stenz, um Sein oder Nicht-Sein der freien der Stadt begründete, so begründete das Pri­ Reichsstadt, den Bern mit Hilfe der verbün­ vileg König Sigmunds von 1415 die landes­ deten Landschaft und der Eidgenossen glor­ fürstliche Souveränität der Stadt über das reich bestand, baute die Bürgerschaft im Landgebiet. Bern war nunmehr von der kö­ Jahre 1346 wieder eine neue Ringmauer mit niglichen reichsunmittelbaren Stadt zu einem stolzen Toren und Stadtgräben. Diese neue souveränen Staatswesen geworden, mit allen Befestigungslinie der „Neuen Neustadt“ Rechten und Freiheiten, derer sich sonst nur wurde abgeschlossen durch zwei mächtige die Fürsten des Reiches erfreuen durften. Tore, dem Christoffelturm, der den westli­ Durch kaiserliche und königliche Privilegien chen Zugang zur Stadt sicherte, sodann durch waren der Stadt im Verlaufe der 200 Jahre das wuchtige Golattenmattgaßtor oder Aar­ von 1218 bis 1415 sämtliche Attribute staat­ bergertor, das den Ausgang nach Nordosten licher Hoheit zugestanden und gewährleistet sicherte. worden, so: Mit diesem letzten Mauerring von 1346 1. Die Richter des Hohen Gerichts über hatte die Stadt Bern für ein halbes Jahrtau­ Leben und Tod selbst einzusetzen (1294), wo­ send ihren städtischen Lebensraum einge­ bei die Bürger von jedem fremden Gericht grenzt. Die nach 1622 entstandenen Schan­ mit Ausnahme des königlichen Hofgerichtes zen und Bollwerke außerhalb dieses Mauer­ (1398) eximiert waren. kreises bildeten bloß die zeitbedingte Kon­ 2. In einem Umkreis von 6 Meilen um die zession der Stadt an die neue Belagerungs­ Stadt, d. h. in einem Umkreis, der sich von und Kriegstechnik, die sich nach der Erfin­ Gwatt am Thunersee bis nach Nidau am dung des Schießpulvers auch hinsichtlich der Bielersee erstreckte, alle Reichspfandschaften Befestigungstechnik weitgehend verändert einzulösen (1365). hatte und der Bern, wenn auch reichlich spät, 52 so doch großzügig und umsichtig endlich renden Seuchen- und Pestzeiten, die von Zeit Rechnung trug. Sie erschlossen der Stadt kein zu Zeit das ganze Land heimsuchten und die neues Siedlungsgelände mehr. Bevölkerung dezimierten. Bis zum Jahre 1628 Erst im 19. Jahrhundert, vor kaum 100 zählt man zehn solcher Pestzüge, die jeweils Jahren, begann die Stadt neuerdings wieder mehr als den vierten Teil der Stadtbevölke­ auf das Land hinauszuwachsen, das sich un­ rung dahinrafften. Als dann im 17. Jahrhun­ terdessen ihrem Herrschaftsanspruch entzo­ dert diese Seuchen erloschen, waren es bald gen hatte und mündig geworden war. einmal die Stadtbürger selbst, die eine Erwei­ Im Jahre 1844 konnte die neue Nydegg- terung der Stadtburgerschaft durch Einlaß brücke, ein zu seiner Zeit viel bestauntes von Neubürgern verhinderten. Wie die herr­ Wunder der Technik, dem Verkehr übergeben schenden Ratsgeschlechter keinen außerhalb werden. 1853 wurde die Tiefenaubrücke, ihres Familienkreises stehenden an den Re­ 1858 die alte Eisenbahnbrücke, 1883 die gierungsgeschäften teilhaben lassen wollten, Kirchenfeldbrücke und 1898 die Kornhaus­ — „salus familiae suprema lex esto“ — so brücke eröffnet, zu denen im Jahre 1930 noch ließen auch die Stadtbürger selbst keinen die Lorrainebrücke und 1941 die neue Eisen­ Fremden mehr in ihre Reihen ein, der sie in bahnbrücke hinzutraten, die so den Charak­ ihren sorgsam behüteten Rechten und Praero- ter Berns als Brückenstadt noch verstärkten gativen geschmälert hätte; denn die ehemals — alles aber auch Etappenpunkte einer vor so schweren Lasten der Stadtburgergemeinde hundert Jahren anhebenden, fast stürmischen waren längst einem friedlichen und gedeih­ baulichen Entwicklung der Außenquartiere. lichen Leben und Leben-Lassen gewichen. Da­ Gegenwärtig erfordert das System der her wurde es im 18. Jahrhundert so überaus Autostraßen neue Überbrückungen, die be­ schwer, Stadtburger in Bern zu werden und reits in ihren Grundlagen geplant sind. den Eintritt in die Stadt zu erlangen. Die Es scheint verwunderlich, daß die Stadt Stadt begnügte sich in ihrem einmal festge­ Bern in einem halben Jahrtausend von 1346 setzten Lebensraum. Sie herrschte über die bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts im Landschaft und wahrte sorgsam alle Rechte gleichen Mauergürtel eingeschlossen bleiben eines bevorzugten stadtburgerlichen Geburts­ konnte, den sie nun in den jüngst vergange­ standes. nen Jahrzehnten so stürmisch überschritten Erst die Freizügigkeit des 19. Jahrhunderts hat. bewirkte da eine grundsätzliche Wandlung. Man muß sich jedoch dabei über zwei Die Stadttore öffneten sich, ja, sie wurden Dinge Rechenschaft geben: Einmal waren die fast symbolhaft niedergerissen und zerstört, politischen Ereignisse in den früheren Jahr­ und der Zug der Stadt, zum bequemen und hunderten für den Bevölkerungszuwachs in­ reichlicheren Verdienst und zum ebenso be­ nerhalb der Stadt selbst ungünstig. Vom 15. quemen und leicht zugänglichen Anteil an bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts ver­ den Kulturgütern, erzeugte, verbunden mit langte die Stadt vom Stadtbürger viel mehr der zunehmenden Industrialisierung, jenen Pflichten und Opfer, als sie Vorteile zu bie­ raschen und weit ausgreifenden Bevölke- ten in der Lage war. Das hemmte fast jeden rungs- und Agglomerationszuwachs, den wir Neuzuzug. Diese Verhältnisse waren natür­ unter dem Schlagwort der „Verstädterung“ lich ganz anders als im 12., 13. und 14. Jahr­ als eine allgemeine Erscheinung der Neuzeit hundert, als die Stadt noch als ein Hort des kennen. Friedens und der Sicherheit für die umge­ Von der gesamten Wohnbevölkerung des bende Landschaft ein Asyl bieten konnte. Kantons Bern, des nach Graubünden größ­ Dann aber waren es später auch die verhee­ ten und nach Zürich volksreichsten Kantons 53 der Schweiz, leben heute (1968) über 166 000 Stadt, der Gründer des jüngeren Burgums, Menschen in der Stadt und rund 91 000 in das durch die Ummauerung beim heutigen den anschließenden Agglomerationsgemein­ Zeitglockenturm begrenzt war. den. In Bern hat man dem Herzog Berchtold V. Die Wahl Berns zur Bundesstadt der stets ein dankbares Andenken bewahrt. Der Schweizerischen Eidgenossenschaft im Jahre Berner Chronist Conrad Justinger nennt ihn 1848 brachte ihr einen Zuwachs von Aufga­ einen mächtigen Herrn, „der arme und rych ben, die ihrer traditionsbewußten Eigenart vor gewalt beschirmte, wan er gar ein not- einen neuen Schwerpunkt aufgepfropft ha­ vester herre was, krieghaft ze dem rechten, ben. Bern wurde Beamtenstadt, und der der nieman vertrug noch ubersach“. An der Name der Stadt Bern wurde nicht selten re­ Kramgasse, unterhalb des Zeitglockenturmes, präsentativ für die eidgenössische Politik erinnert der 1542 errichtete Zähringerbrun­ mißbraucht. nen mit der Inschrift: „Berchtoldus Dux Ze- Bern hat die neue Aufgabe, Bundesstadt ringen Bernam liberam condidit anno 1191“ und Sitz des Parlaments und der eidgenössi­ an den überlieferten Stadtgründer. Das Brun­ schen Verwaltungsbehörden zu sein, über­ nenstandbild ist ein mit Helm und Schwert nommen, ohne seinen angestammten altber- bewehrter Bär mit einem Banner in seiner nischen Charakter verfälschen zu lassen; rechten Tatze, das in Rot den goldenen Lö­ denn noch heute ist die Stadt gestützt und wen, das dem Zähringer traditionell zuge­ getragen von einer vorwiegend bäuerlichen schriebene Wappen, zeigt. Eine Inschrift aus Landschaft. Der Kanton Bern ist nächst Zü­ dem Jahre 1601 feiert sein Andenken als rich der volksreichste Kanton der Schweiz, Stadtgründer in einem barocken Epitaph im und seine Bevölkerung ist noch ganz oder Münster, und 1770 wurde am Zeitglocken­ wenigstens vorwiegend in der bäuerlichen turm die Inschrift angebracht: BERCHTOL- Wesensart verwurzelt. DVS • V • DVX • ZAERING • RECTOR Bern rechnet es sich zur Ehre an, eine Zäh­ BVRGVND • VRBIS CONDITOR • TVR- ringerstadt zu sein. Nach der chronikalischen RIM ET PORTAM FECIT MCXCI, und und volkstümlichen Überlieferung gilt Her­ schließlich wurde ihm noch 1847 auf der zog Berchtold V. als der Gründer der Stadt, Plattform vor dem Münster ein bronzenes und das Jahr 1191 als ihr Gründungsdatum. Standbild errichtet, das heute auf dem Hof Ich glaube, den Nachweis erbracht zu haben, der einstigen Burg Nydegg steht. daß die ersten Anfänge der Stadt, d. h. die Wenn auch die ersten Anfänge des Bur­ Gründung des älteren Burgums von Bern, im gums in die Rektoratszeit Konrads oder Anschluß an die Reichsburg Nydegg, in die Berchtolds IV. von Zähringen zurückverlegt Zeit nach 1150, also in die Zeit Herzog Kon- werden müssen, so gehört doch Bern, das rads oder Herzog Berchtolds IV. von Zäh­ Kleinod in Burgundens Krone, mit zu den ringen zurückverlegt werden muß. Herzog schönsten und vornehmsten der zähringischen Berchtold V. war der zweite Gründer der Stadtgründungen. Freiburg im llechtland

Von Alfred A.Schmid, Freiburg / Ueditland Wenn die Saane im mittleren Abschnitt Furt oder Fähre, bald schon in Gestalt einer ihres rund 120 km langen Laufes die Land­ festen Brücke, der Vorgängerin der heutigen schaft Greyerz verläßt, schlängelt sie sich in Bernbrücke. Die Straße läßt sich über die vielfachen Windungen nach Norden, tief in Lehne des Stadtbergs gemächlich zur Tal­ die Sandstein- und Mergelschichten des frei­ sohle hernieder, während sie jenseits, am burgischen Hügellandes eingeschnitten. Steile sogenannten Stalden, in schmalem und stei­ Felswände begrenzen das Tal. Der Fluß lem Anstieg den Felsrücken erklimmt, über strömt in flachem Bett hurtig dahin und den sie nach Westen weiterführt: ein be­ lagert in den zahlreichen Schleifen seit un­ schwerliches Wegstück gewiß, aber auf eine denklichen Zeiten sein Geschiebe ab; flache erhebliche Strecke flußauf- und -abwärts die Auen und Matten liegen so am Fuß der Fels­ einzige Stelle, an der das Steilufer über­ abstürze, ständig von Überschwemmungen wunden werden konnte. Hier ging seit alters bedroht, bis der Mensch regulierend eingriff. eine Fernhandelsstraße durch, vom Aaretal Auf den Felsrücken und -riffen jedoch, die her das Uechtland aufwärts; im einen Zweig über den Flußlauf emporragen, war Gebor­ dem Fluß folgend und hernach durchs Tal genheit und Sicherheit: von den Saane Win­ der Veveyse an den Genfer See hinunter dungen geschützt, boten sie schon dem vor­ und, seinem Ufer entlang nach Osten zie­ geschichtlichen Menschen Zuflucht. Auf dem hend, dem Summus Poeninus, dem Großen Sporn von Pont-en-Ogoz, der mit seiner St. Bernhard entgegen; im ändern, viel­ mittelalterlichen Ruine heute als kleine Insel begangenen, über Romont und Lausanne aus dem Stausee von Greyerz auftaucht, westwärts Genf zustrebend. Hier schnitt sich wurde vor der Überflutung eine bronzezeit­ diese Längsachse aber auch mit einer regio­ liche Siedlung ergraben, und wenige Kilo­ nalen Querverbindung, die in westöstlicher meter oberhalb Freiburg, beim Zusammen­ Richtung von der alten Verkehrsader durchs fluß von Glane und Saane, läßt sich noch Broyetal, an der die helvetische Hauptstadt heute ein frühgeschichtliches Refugium, eine Aventicum lag, ins Berner Oberland führte. Fliehburg mit eindrucksvollem Wall und Von hier an endlich war, ein weiterer Vor­ Graben erkennen, die den schmalen Fels­ teil, die Saane schiffbar, obgleich ihre Un­ rücken nach Westen abriegeln. Zahlreiche tiefen und ihre tückischen Wirbel von den Burgen und Burgruinen säumten seit dem Flößern und Schiffsleuten großes Geschick Hochmittelalter die Fluß-Strecke in ähnlich verlangten. Freiburg besaß denn auch seine günstiger Lage. Die Saane durchzieht das Werft und seinen eigenen Hafen, an den heutige Freiburger Kantonsgebiet in seiner noch heute der Name der Rue de la Lenda ganzen Länge, größtenteils von Süden nach im Auquartier erinnert, und bis vor hundert Norden. In einer ihrer Windungen, nach Jahren wurde wenigstens die Holzflößerei Norden und Süden durch Felsen geschützt, flußabwärts betrieben. Dazu führte hier die 595 m über Meereshöhe und rund 50 m über Sprachgrenze zwischen Deutsch und Welsch der Talsohle, entstand die Stadt Freiburg. vorbei, die vom Jurafuß und Murtensee in Der Ort der Gründung war umsichtig südöstlicher Richtung das Uechtland durch­ ausgewählt. Hier bot sich für den von Nord­ quert und bei der Stadt Freiburg vorüber­ osten kommenden Reisenden ein relativ gün­ gehend dem Saanelauf folgt. An dieser Linie stiger Flußübergang, anfänglich vielleicht als war einst die Bewegung der über den Rhein 55 Freiburg i. Ue. von Nordosten: älteste Stadtansicht. Holzschnitt von Heinrich Vogtherr d. Ae. aus der Schweizer Chronik des Johannes Stumpf, Zürich 1548. in südlicher und südwestlicher Richtung vor­ Reichsgewalt und dynastische Ansprüche im dringenden Alemannen zum Stillstand ge­ 12. Jahrhundert lieferten. Es ging um das kommen, und westlich von ihr vermochten alte Königreich Hochburgund, das nach dem sich die gallorömische Bevölkerung und die Aussterben der Rudolfinger ans Reich heim­ rasch romanisierten Burgunder zu behaup­ gefallen war (1033). Die Herzöge von Zäh­ ten. Sie hat, wenn man Ortsnamen wie ringen hatten sich seit dem Ausgang des Wallenried und Barbereche (aus Barbarica) 11. Jahrhunderts im schweizerischen Mittel­ trauen darf, seit dem Früh- und Hochmittel­ land und in der Westschweiz eine starke alter keine größere Verschiebung mehr er­ Stellung aufzubauen vermocht, wobei sie fahren. das Gewicht ihrer Hausmacht nach Süden Die Voraussetzungen der Gründung Frei- verschoben und mit Hilfe ihrer Befugnisse burgs und die mit ihr angestrebten Ziele als Rektoren über Burgund und als Reichs­ sind uns heute einigermaßen deutlich. Die vögte der drei westschweizerischen Bistümer Frühgeschichte der Stadt erscheint als eine geschickt konsolidierten. Ihre Expansion Phase in der machtpolitischen Auseinander­ wurde durch die Heirat Friedrich Barbaros­ setzung im Raum zwischen Jura, Genfer See sas mit Beatrix von Burgund (1156) vor­ und Alpen; sie spiegelt den Kampf, den sich zeitig gebremst. Im Konflikt mit den stau­ 56 Freiburg i. Ue. van Norden. Radierung von Nicolas Perignon und Louis-Joseph Masquelier, aus den ,.Tableaux de la Suisse“ des Barons Zurieben, Paris 1780. Photo B. Käst, Fribourg/Ch fischen Interessen in der Westschweiz und sie sich auf Reichsgut stützen. Die Notwen­ am Oberrhein wurden sie auf den ostburgun- digkeit einer Sicherung dieser vorgeschobe­ dischen Raum im Einzugsgebiet von Saane nen Position lag auf der Hand. Sie erfolgte und Aare und auf das schweizerische Mittel­ durch eine Reihe planmäßiger Städtegrün­ land zurückgedrängt, auf die sich künftig dungen im bernischen Mittelland und in der ihre Territorialpolitik konzentrierte. Es ge­ Westschweiz, während gleichzeitig das Ber­ nügt, einen Blick auf die Karte zu werfen, ner Oberland und die Zentralschweiz durch um über die Leitlinien dieser Politik Klar­ eine intensive Innenkolonisation mit Öff­ heit zu gewinnen. nung neuer und Förderung bestehender Ver­ Im Vergleich mit Barbarossa hatte Berch­ kehrswege erschlossen wurden. Diese ein­ told IV. 1156 auf die Rektoratsgewalt in drucksvolle Leistung wurde in der Haupt­ Niederburgund verzichtet und dafür die sache noch von Berchtold IV. erbracht; die Reichsvogtei mit dem Recht der Regalien­ Anlage von Freiburg, Bern, Burgdorf, Mur­ verleihung in den drei Bistümern Genf, Lau­ ten und Thun verrät eine einheitliche, klare sanne und Sitten zurückgewonnen. Die und zielbewußt verwirklichte Konzeption. Rechte über Genf und Sitten gingen nach Alle diese Städte liegen an verkehrspoli­ wenigen Jahren bereits an die Grafen von tisch wie strategisch gleich wichtigen Punk­ Genf und von Savoyen verloren. Auch in ten. Freiburg beherrscht den Übergang über der Waadt, im Herrschaftsgebiet des Bi­ die Saane und damit das Einfallstor ins schofs von Lausanne, verfügten die Zährin­ Welschland, Bern, das Herz des zähringi- ger weder über Eigenbesitz, noch konnten schen Städtesystems im Alpenvorland, den 57 Übergang über die Aare, und Burgdorf, in 180 m gegenüber, was schwach einem Drittel nordöstlicher Richtung an derselben Straße des in Bern vorhandenen Areals entspricht. gelegen, den Übergang über die Emme. Thun Die Anlage blieb demzufolge auf zwei sichert einen weiteren Aareübergang und Längsgassen beschränkt. Die südliche, die die Straße ins Berner Oberland, Murten den Grand’rue oder Reichengasse, war die Haupt­ Anmarschweg vom mittleren Aarelauf und straße der Stadt, an der die burgenses maio- vom Jurafuß her in die Westschweiz und res, die politisch einflußreichen Geschlechter Moudon, bei dem die Zähringer vielleicht saßen. Sie entspricht der bernischen Jun- auf eine bereits bestehende Gründung zu­ kerngasse. Hier, im vicus fori, wie sie in den rückgriffen, den Broyeübergang und damit ältesten Quellen heißt, wurde (und wird die südliche Schlüsselstellung zu jener Haupt­ teilweise noch heute) der Wochenmarkt ab­ straße, die von der Römerzeit bis heute als gehalten. Wie in ändern Zähringerstädten Hauptverbindung zwischen Ost- und West­ floß hier ehedem ein offener Stadtbach schweiz im Bogen durch das schweizerische durch, dessen Rinne selbst im heutigen Gas­ Mittelland führt. Zur Sicherung der Verbin­ senprofil noch schwach zu erkennen ist. Mit­ dungen wurden dazwischen eine Reihe fester ten in der nördlichen Gasse, also seitab wie Plätze eingerichtet: Grasburg, Laupen, Güm- regelmäßig bei den Zähringergründungen, menen und Oltingen verstärkten das Kraft­ erheben sich die Pfarrkirche mit dem Fried­ feld der größeren Stützpunkte, in deren hof und östlich davon das älteste Rats- und Disposition der Kern eines zähringischen Gerichtshaus. Auf dem nach Osten trapez­ Territorialstaates sichtbar wird. förmig sich verengernden Plateau fanden Die Analogien unter den zähringischen eine periphere, umlaufende Häuserreihe und Neumarktsiedlungen sind frappant, und vor im Innern zwei weitere Zeilen Platz. Eine allem Bern und Freiburg gleichen sich wie Quergasse zerlegte das Ganze in vier Vier­ zwei Schwestern. Beide zeigen dieselbe topo­ tel, und östlich wie westlich waren die bei­ graphische Situation, beide sind, mit recht den Straßenzüge je durch ein weiteres Gäß- geringfügigen Unterschieden, nach demsel­ chen untereinander verbunden. Das in der ben Schema erbaut, und selbstverständlich sogenannten Handfeste von 1249 überlie­ gehören sie zusammen mit den ändern Zäh­ ferte älteste Stadtrecht teilt den Siedlungs­ ringergründungen auch derselben Stadtrechts­ grund in Hofstätten von 100 Fuß Länge familie an. Bei beiden Städten läßt sich der und 60 Fuß Breite auf, was für den Anfang Bauplan noch heute mühelos ablesen. Frei­ Raum für rund 40 Hofstätten ergab. Seit burgs Gründung kann mit an Sicherheit Anbeginn wurde sicherlich eine kontinuier­ grenzender Wahrscheinlichkeit ins Jahr 1157 liche Überbauung erstrebt, so daß auf die angesetzt werden; zwanzig Jahre später wird einzelnen Hofstätten mehrere Häuser zu die Stadt als bestehend und im weltlichen stehen kamen, die Traufseiten, wie bei Zäh­ wie kirchlichen Bereich voll organisiert er­ wähnt. Bern ist vermutlich im gleichen Jahr­ ringerstädten üblich, längs der Straße. Lau­ zehnt entstanden. Das traditionelle Grün­ ben, wie wir sie von Bern, Burgdorf, Thun, dungsdatum von 1191 bezieht sich sicherlich Murten, aber auch von Avenches und Esta- nicht auf das ältere Burgum am Nydeggstal- vayer her kennen, scheint es hingegen in den, sondern auf den Abschluß der Stadt- Freiburg nur vereinzelt gegeben zu haben, werdung. In Freiburg war der Felsrücken obschon die Handfeste den Bürgern das bedeutend schmaler und kürzer, der verfüg­ Recht darauf einräumte. Einige wenige blie­ bare Platz entsprechend knapper: einer Ge­ ben im untersten Teil der Reichengasse bis samtlänge von 340 m stand eine Breite von heute erhalten. 58 Die Altstadt in der Saaneschleife, mit den Flußübergängen: von links nach rechts die Mittlere Brücke (1720), die hölzerne Bernbrücke (1653), die Zähringerbrücke (1924 voll., anstelle einer Hängebrücke von 1834). In der Bildmitte die Kathedrale, quer darunter mit romanischem Turm die Liebfrauenkirche, davor das Franziskanerkloster. Unten rechts das Ratze-Palais (1581—1584) mit seiner dreigeschossigen Renaissancegalerie (heute kantonales Museum), links davon ein Rest der dritten, zwischen 1277 und 1290 errichteten Stadtmauer. Photo B. Rast, Fribourg/Ch 59 Hier also lag das eigentliche Burgum, le steht. Zwischen 1280 und 1330 erweitert sich bourg libre, das der Stadt den Namen gab; die Oberstadt nach Nordwesten, die dritte Fribor wird sie in der Urkunde von 1177 Stadtmauer umzieht den Bisee-Hügel, auf genannt, und dieser Kern der Stadt heißt dem später das Kollegium errichtet wurde, noch heute das Burgquartier. Gegen Nord­ die Lausanne- und einen Teil der Murten­ westen war es durch einen natürlichen, aber gasse. Neustadt, Matten und Bisenberg, als wohl künstlich vertieften Halsgraben abge­ Vorstädte längst bestehend, werden 1392 zur schlossen, den sogenannten Grabensaal. Am Stadt geschlagen. Die mit diesem Zuwachs Westende erhob sich, anstelle des heutigen verbundene durchgehende Neubefestigung Rathauses, ein wahrscheinlich ungefähr der Stadt zwischen 1380 und 1414 greift gleichzeitig erbautes Castrum des Stadtherrn. nach allen Richtungen aus, am stärksten im Es handelte sich um einen festen Turm, einen Westen, wo sich entlang den Straßen nach Donjon, der durch den heute noch feststell­ Romont und Bulle, nach Payerne und Mur­ baren Großen und Kleinen Graben und ein ten weitere Vorstädte gebildet hatten. Drei eigenes, in Resten erhaltenes Befestigungs­ stattliche neue Tore sind so entstanden, das system vor Angriffen geschützt war. Er Murtentor, das Weihertor und das Romont- wurde 1463 abgetragen, der Grabensaal in tor. den folgenden Jahren zugeschüttet, nachdem Damit hatte der mittelalterliche Befesti­ beide für die Verteidigung der Stadt längst gungsring seine größte Ausdehnung erreicht. entbehrlich geworden waren, und damit Die Anlage war zu großzügig entworfen, wurden in der Stadtmitte, wo vorher dafür die Stadt vermochte das damit abgesteckte kein Raum erübrigt werden konnte, erst­ beträchtliche Areal nicht mehr zu überbauen; mals zwei Plätze geschaffen: der Liebfrauen- sie hielt sich bis ins 19. Jahrhundert inner­ und der nachmalige Rathausplatz. halb der spätmittelalterlichen Mauern, und Freiburg scheint sich erfreulich entwickelt noch heute führen die gerade deshalb in zu haben. Bereits 1224 kommt es zu einer weiten Abschnitten erhaltenen Verteidigungs­ kleinen Erweiterung im Norden, indem die werke streckenweise über freies Feld. Das Mauer um die vor dem Tor gelegene Lieb­ bedeutet, selbst wenn sich der erschlossene frauenkirche und die um sie gescharten Häu­ Boden nicht allgemein zur Anlage neuer ser herumgeführt wird. Im Laufe von knapp Quartiere eignete, dennoch ein Zurückblei­ zwei Jahrhunderten werden hernach die ben hinter den selbstgesetzten Zielen. Die Grenzen nicht weniger als viermal hinaus­ Entwicklung des Gemeinwesens geriet offen­ gerückt. sichtlich ins Stocken, und für diese Stagna­ Zuerst ergreift die Stadt von den Nie­ tion heißt es nach Gründen suchen. derlassungen Besitz, die sich beidseits des Nach dem Erlöschen der zähringischen Flusses in der Talsohle entwickelt haben. Dynastie war Freiburg 1218 durch Erbgang 1253 wird das Auviertel am Fuß des Stal­ an die Grafen von Kyburg gekommen; die dens inkorporiert, in dem sicher mit Recht kyburgische Erbin Anna und ihr Gemahl die älteste Ansiedlung am Flußübergang er­ Eberhard von Habsburg-Laufenburg ver- blickt wird; Freiburg war ja sicher so wenig wie die ändern Zähringerstädte ins Leere Seite 61 hinein gegründet worden. Schon im Jahr Die rechtsufrige Stadtbefestigung (um 1253) mit darauf, 1254, greift man über die Saane dem Berntor (zweite Hälfte 13. Jh.), dem Katzen­ turm (1384) und dem Roten Turm. (Mitte 13. Jh.). hinweg nach dem Brückenkopf am jenseiti­ Im Hintergrund rechts die alte, 1960 durch einen gen Ufer. Die Schmiedgasse wird mit einer Neubau ersetzte Hängebrücke über das Galterntal Befestigung geschützt, das erste Berntor ent­ (1840). Photo B. Rast, Fribourg/Ch 60

kauften 1277 die Stadt um 3040 Mark Sil­ derten nach der Gründung beide Städte noch ber an die Söhne König Rudolfs von Habs­ durchaus offen, so senkten sich die Gewichte burg, Rudolf, Albrecht und Hartmann. Frei­ im 15. Jahrhundert endgültig auf die Seite burg blieb während nahezu zwei Jahrhun­ Berns, das politisch unleugbar geschickter derten habsburgisch; es bildete im habsbur­ vorging und in seinen Allianzen eine glück­ gischen Urbar (1303—1308) ein eigenes Amt, lichere Hand bewies. Der ungünstig ver­ „Das amt ze Friburg in Oechtelanden“, und laufene Krieg von 1447, der Stadt von Bern noch der Landbrief von 1449 bezeichnete es und Savoyen aufgezwungen, brachte die als „Herrschaft und stat Freyburg“. Wende. Freiburg mußte, von Österreich im Für Habsburg, dessen Schwergewicht sich Stich gelassen, unter drückenden Bedingun­ im 14. Jahrhundert von den Vorlanden mehr gen Frieden schließen. 1452 kündigte es in und mehr in den Osten Europas verlagerte, einer wirtschaftlichen und politischen Not­ bedeutete Freiburg einen nicht leicht zu lage den Habsburgern den Gehorsam und schützenden Außenposten. Die großen macht­ unterstellte sich der Oberhoheit seines bis­ politischen Konflikte im Raum zwischen herigen Hauptgegners, des Herzogs von Sa­ Oberrhein, Jura und Alpen, die eidgenös­ voyen. Die Bewährungsprobe der Burgun­ sischen Freiheitskriege von Laupen bis Sem­ derkriege sah Freiburg auf Seiten Berns und pach und Näfels sahen die Stadt auf der der Eidgenossen, während die savoyische falschen, auf der unterliegenden Seite. Öster­ Waadt für Karl den Kühnen als Aufmarsch­ reich ging aus diesen Kämpfen geschwächt basis diente. Der Sieg der großen oberdeut­ hervor und vermochte seinem im Westen schen Koalition über das burgundisdie Heer von Savoyen, im Norden und Osten von hatte als unmittelbare Konsequenzen 1477 Bern bedrängten Stützpunkt im Uechtland die Loslösung von Savoyen, 1478 die Er­ keine wirksame Hilfe zu leisten. Von einer langung der Reichsunmittelbarkeit und 1481 weit ausgreifenden, konsequenten und er­ die Aufnahme in den eidgenössischen Bund folgreichen Territorialpolitik zur Sicherung zur Folge. seiner Verbindungen, wie sie der bernische An der sich anschließenden, 1536 vollen­ Nachbar betrieb, konnte für Freiburg unter deten Eroberung der Waadt beteiligte sich solchen Bedingungen keine Rede sein. Zur Freiburg nach seinem Vermögen; die Kräfte Zeit der Entstehung der eidgenössischen reichten nicht aus, um mit der bernischen Stadtstaaten, während Luzern, Zürich und Expansion Schritt zu halten. Immerhin wur­ vor allem das mächtige Bern im schweizeri­ de das freiburgische Hoheitsgebiet in diesem schen Mittelland zielbewußt ihr Hoheitsge­ Halbjahrhundert durch Zuwachs im Süden biet aufbauten und die Innern Orte in Ver­ und Westen annähernd verdoppelt. Dazu folgung ihrer ennetbirgischen Politik mit kamen erst noch die vier mit Bern gemein­ Waffengewalt nach der Südseite des Gott­ sam regierten Vogteien Murten, Grandson, hards griffen, brachte es auf die Dauer nur Orbe und Echallens. 1553—1555 erreichte einen relativ bescheidenen Landkomplex un­ der äußere Aufbau des freiburgischen Staats ter seine Botmäßigkeit, die sogenannte „Alte mit der Erwerbung der Kernlandschaft der Landschaft“, die ungefähr dem heutigen Grafschaft Greyerz aus der Konkursmasse Saane-, Sense- und Teilen des Seebezirks ent­ spricht. Seit dem Zerfall der zähringischen Herrschaft hatte Freiburg im Zeichen der Seite 63 Blick in die Goldgasse, die zur Bernbrücke hin- Rivalität mit Bern gestanden; aber war der unterführt. Im Hintergrund oben links der mäch­ Ausgang dieser Auseinandersetzung auf Le­ tige Rote Turm (Mitte 13. Jh.). ben und Tod in den ersten zwei Jahrhun­ Photo B. Rast, Fribourg/Ch 62

Michaels, des letzten Grafen, seinen Ab­ einrichtete; die Genfer Messen büßten sehr schluß. rasch ihren internationalen Charakter ein Zu diesem Zeitpunkt hatte Freiburg seine und sanken im 16. Jahrhundert zu regiona­ Blütezeit indessen bereits hinter sich. Sie ler Bedeutung herab. Ein zweiter Grund war durch eine stürmische politische und mag in der zunehmenden Isolierung zu su­ wirtschaftliche Entwicklung im 13. Jahrhun­ chen sein, in welche Freiburg nach Berns dert eingeleitet worden und hatte im aus­ Übertritt zur Reformation und vollends gehenden 14. und in der ersten Hälfte des nach der Eroberung der Waadt durch die 15. Jahrhunderts ihren absoluten Höhepunkt Berner (1536) geriet. Freiburg blieb beim erreicht. Die relativ rasch aufeinander fol­ angestammten Glauben, ja es wurde unter genden Stadterweiterungen dienen uns dafür dem Einfluß des 1580 gegründeten, unter als Beleg. Damals beherrschte die Stadt das Petrus Canisius zu hohem Ansehen gelang­ politische Kraftfeld im Uechtland unange­ ten Jesuitenkollegiums sowie der Niederlas­ fochten, und mit dem Aufschwung ihrer Le­ sungen der katholischen Reformorden der der- und Grautuchindustrie und der Sensen- Kapuziner, Ursulinen und Visitantinerinnen und Sichelfabrikation festigte sich ihre Stel­ zu einem eigentlichen Vorposten der Gegen­ lung als Handels- und Wirtschaftszentrum, reformation. Allseitig von bernischem Ho­ weit über ihr eigentliches Hinterland hinaus. heitsgebiet umschlossen, blieb dieser westlich­ Freiburger Produkte wurden auf den von ste der eidgenössischen Orte jedoch von der der Stadt ausstrahlenden Handelswegen und ihm glaubens- und gesinnungsverwandten namentlich auf dem Fluß verfrachtet, Frei- Innerschweiz getrennt und damit politisch, burgs Kaufleute fanden sich regelmäßig auf wirtschaftlich und kulturell in hohem Maße den Zurzacher, Frankfurter und Genfer Mes­ gefährdet. Alle Straßen, die außer Landes sen ein. Von der Tuchindustrie lebte ein führten, und selbst der Wasserweg der Saane Großteil der Bevölkerung (1438). Zu Beginn führten in bernisches Territorium. Handel des 15. Jahrhunderts wurden jährlich 7000 und Gewerbe verkümmerten, und dies ist bis 10 000 Stück Tuch hergestellt, amtlich ein dritter Grund, auch unter der Einwir­ geprüft und größtenteils exportiert, ab 1420 kung der geistigen und politischen Umwäl­ jeweils über 10 000, um 1430 sogar 14 000. zungen. Die wirtschaftlich erstarkten Bür­ Gegen Ende des 15. Jahrhunderts läßt sich gergeschlechter wandten den Quellen ihres jedoch ein unaufhaltsamer Rückgang fest­ Reichtums den Rücken und glichen ihren stellen; die wachsenden Absatzschwierigkei­ Lebensstil demjenigen des freiburgischen ten suchte der Freiburger Rat durch eine Adels an, der vornehmlich vom Ertrag seines Vereinbarung mit der Welser-Vöhlin-Gesell- Grundbesitzes und von den Einkünften aus schaft in Augsburg zu überwinden, der man dem fremden Kriegsdienst lebte. So bildete ein Monopol für den Ankauf und Vertrieb sich ein städtisches Patriziat, das eifersüchtig der gesamten Produktion einräumte, ohne auf die Wahrung seiner politischen Privile­ daß damit der Ruin dieses wichtigsten Ge­ gien bedacht war. Das Verzeichnis der Ge­ werbes auf die Dauer aufzuhalten war. Es heimen Bürger (bourgeois secrets), die seit scheint, daß der wirtschaftliche Niedergang 1627 allein im Besitz voller politischer Rech­ Freiburgs durch den Schlag eingeleitet wur­ te waren, wurde 1684 endgültig geschlossen. de, den Ludwig XI. von Frankreich 1464 Sitz und Stimme in den Behörden blieben gegen die Genfer Messen führte, indem er seit langem schon einer sehr beschränkten sie für seine Untertanen sperrte und als Anzahl auserwählter Familien Vorbehalten, Konkurrenz in Lyon gleichzeitig stattfin­ ebenso die Besetzung der neunzehn Land- dende und gleichartig aufgebaute Märkte vogteien und anderer einflußreicher und ein­ 64 J Das Burgquartier von Südwesten. Links Kathedrale und Rathaus, rechts die neue Galternbrücke (1960). Im Vordergrund rechts das seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstandene Neustadt- quartier in der Flußniederung. (1500—1518) Photo b. liast, Fribourg/Ch träglicher Ämter. Freiburg hatte im „Ancien liegen, für welche der schmale Burgfelsen, Regime“, vor 1798, ein streng oligarchisches der einzig die Pfarrkirche aufzunehmen ver­ Regiment, das die theoretisch gültige Ver­ mochte, keinen Platz bot. Die erste Erwei­ fassung von 1404 und die in ihr definierten terung nach Norden, im Jahre 1224, um­ Kompetenzen der Bürgerschaft äußerst re­ schloß die jenseits des Grabensaals gelegene, striktiv interpretierte; neben Bern, Luzern um 1201 vollendete Liebfrauenkirche, deren und Solothurn war es bis zur französischen Turm das einzige Denkmal der Romanik Revolution einer der vier patrizisch regier­ in der Stadt darstellt, und das später mit ihr ten Orte der alten Eidgenossenschaft. verbundene, 1250 gegründete Bürgerspital. Inwiefern spiegelt sich diese politische, Der Einbezug der Au 1253 versetzte die soziale und wirtschaftliche Entwicklung im kurz zuvor gegründete Niederlassung der Antlitz der Stadt? Wir hatten unsern Blick Augustiner in die Stadt; die heute beste­ zunächst auf die wiederholte Erweiterung hende Kirche wurde in der zweiten Hälfte des Befestigungsgürtels und auf die Inkor­ des 13. Jahrhunderts errichtet und 1311 ge­ poration der Vorstädte ins Gemeinwesen weiht. Die dritte Stadtbefestigung schloß das gelenkt. Mit ihr kamen eine Reihe von Kir­ Kloster der Franziskaner an der Murtengasse chen und Klöstern innerhalb der Mauern zu ein, dessen Gründung 1256 erfolgte; die Kir-

5 Badische Heimat 1970 65 che stammt aus dem dritten Jahrhundertvier­ schützt. Auf dem linken Saaneufer setzt die tel und besitzt noch immer den damals erbau­ Mauer wiederum beim Felsabsturz an. Das ten Chor mit dem frühgotischen Gestühl. Mit Murtentor, 1410—1415 errichtet, schützt die der Einverleibung von Neustadt und Mat­ Zufahrt von Norden. Das Westende dieses ten im Jahre 1382 gelangte die auf der nur lückenhaft erhaltenen Abschnitts war obern Matte gelegene Johanniterkommende mit dem heute isoliert stehenden Heinrichs­ in den Stadtbereich. Die Johanniter hatten turm bei der Universität erreicht. Die Tor­ sich, nach einer vorübergehenden Ansiedlung türme erheben sich durchgehend über qua­ in der Au (1224), am Kleinen St. Johanns­ dratischem oder rechteckigem Grundriß; die platz, 1259 auf dem rechten Saaneufer nie­ dazwischenliegenden Türme der jüngsten dergelassen, wo ihr Ordenshaus bis 1825 Stadtmauer hingegen vertreten einen jün­ bestand. Die vierte und letzte Stadtmauer geren Typ und springen im Halbrund über endlich umschloß zu Anfang des 15. Jahr­ die Mauerflucht vor. Sämtliche Türme waren hunderts das 1228 erstmals erwähnte, längst ursprünglich stadtwärts offen. verschwundene Hospiz der Chorherren vom Der Bevölkerungsdruck im 15. Jahrhun­ Großen St. Bernhard in der Nähe des Ro- dert führt nun aber, wie erwähnt, merk­ mont-Tores. Das damals entstandene weit­ würdigerweise nicht zur Inbesitznahme läufige Befestigungssystem bot auch für die und Überbauung der neuerschlossenen Flä­ - nachmittelalterlichen Klosteranlagen ausrei­ chen, sondern zu einer intensiveren Nutzung chend Platz. Einzig das Zisterzienserinnen- des bereits überbauten Areals. Es kommt zu kloster in der Magerau blieb seit seiner immer stärkerer Stückelung der ursprüng­ Gründung um 1260 außerhalb der Stadt. lich so großzügig berechneten Hofstätten, Noch heute wird die Physiognomie Frei- ein Vorgang, der uns aus vielen mittelalter­ burgs sehr stark durch seine mittelalterlichen lichen Städten vertraut ist; die Höfe und Befestigungswerke geformt. Es handelt sich kleinen Gärten hinter den Häusern ver­ dabei allerdings nicht um einen zusammen­ schwinden weitgehend, und durch ständige hängenden Mauerring. Die Anlage wurde Unterteilung des Besitzes entstehen auch in vor allem vom Bedürfnis nach Inkorpora­ Freiburg jene schmalbrüstigen Häuslein, die tion und Schutz der am Fuß des Sandstein­ bei vier oder fünf Stockwerken eine Fassa­ felsens und am jenseitigen Flußufer entstan­ denbreite von 7 Fuß (2,25 m) manchmal denen Vorstädte bestimmt, ihr Verlauf durch nicht überschreiten. War die älteste Stadt die Beschaffenheit des Geländes und die wohl weitgehend in Holz errichtet, so ver­ daraus sich ergebenden strategischen For­ wenden die spätmittelalterlichen Wohnbau­ derungen vorgeschrieben. Auf dem rechten ten ausnahmslos Freiburger Sandstein und Ufer klettert die Mauer vom Berntor hang- für den Unterbau häufig Tuff; das Bauma­ aufwärts zum Katzenturm und endet beim terial war in der unmittelbaren Umgebung hart über dem Felsabsturz errichteten mäch­ der Stadt mit Leichtigkeit zu beschaffen. Ihr tigen Roten Turm auf dem Schönberg, der Typus bleibt über lange Zeit unverändert; den Saaneübergang und zugleich auch das der Eingang liegt exzentrisch, am entgegen­ Galterntal überwacht und sicherlich bereits gesetzten Ende wird häufig die Kellertür um die Mitte des 13. Jahrhunderts entstan­ sichtbar, die über eine Außentreppe direkt den ist. Ihm entspricht auf der ändern Seite ins Freie führt. Das Erdgeschoß war ehe­ der Galternschlucht der Dürrenbühlturm, dem durch die Geschäftslokale belegt, das während das Bürglentor die Hügelkuppe einstige Ladengewölbe mit stichbogiger Ar­ nach Osten abriegelt. Die Sohle des Galtern- kade blieb vielfach erhalten. Die Wohn- tals war durch eine kleine Talsperre ge­ räume liegen in den Obergeschossen. Die 66 Die Freiburger Überstadt von Südosten. Im Vordergrund die Mittlere Brücke (1720), die den Kleinen St. Johannsplatz (rechts) mit der Unteren Matte (links) verbindet. Am Horizont von links nach rechts das Lyzeum (1829—1838, nachmals alte Universität) mit seinem Dachobservatorium, die Jesuitenkirche St. Michael (1604—1613), das Kollegium (1584—1596), die Kathedrale. Photo B. Bast, Fribourg/Ch

5* 67 gotischen Fenstergruppen sind gern auf Stock­ geschmückten Brunnen Freiburgs ihre heutige werkgesimse abgesetzt, und bei den auf­ Gestalt. Sie übergehen hieße ein nicht un­ wendigeren Bauten sitzen über den Fenster­ wichtiges Element im Stadtbild verschwei­ stürzen die charakteristischen Blendmaß­ gen: das Wasser. Das Wasser, einfachstes werkfelder. und billigstes Transportmittel, hatte seit Erstaunlicherweise besitzt nun Freiburg Anbeginn zum Wohlstand der Stadt beige­ noch heute eine so große Zahl solcher spät- tragen. Brücken überspannten seit jeher den und nachgotischer Wohnbauten, daß sie, na­ Saanelauf, bis in die dreißiger Jahre des mentlich in der Unterstadt, das Stadtbild vorigen Jahrhunderts drei, die in ihrer heu­ recht eigentlich beherrschen. Daß sie erhal­ tigen Form aus nachmittelalterlicher Zeit ten blieben, muß wohl ebenfalls auf die seit stammen. Die älteste, die Bernbrücke, ist Beginn des 16. Jahrhunderts zu beobach­ noch immer eine gedeckte Holzbrücke (1665); tende, erst im 20. überwundene wirtschaft­ zu ihr gesellten sich, als notwendige Verbin­ liche Regression zurückgeführt werden. Die dungen unter den Vorstädten in der Tal­ Unterstadt wurde sozial deklassiert, die sohle, die Mittlere (1633/34) und die St. Jo­ ehemals stattlichen, einen allgemeinen Wohl­ hannsbrücke (1746). Die besonders für die stand verratenden Fläuser wurden dem Oberstadt lebenswichtigen laufenden Brun­ Kleinbürgertum überlassen, und heute sind nen aber trugen auf eigene Weise zur Kon­ sie, mangelhaft unterhalten, teilweise auf stanz der Physiognomie Freiburgs bei. Diese proletarisches Niveau abgesunken. Die Häu­ Physiognomie hat, wie wir gesehen haben, ser der Oberstadt hingegen erfuhren im 17., während Jahrhunderten kaum eingreifende 18. und noch in der ersten Hälfte des 19. Veränderungen erlitten, und von größeren Jahrhunderts vielfache innere und äußer­ Entstellungen blieb sie zum Glück bis heute liche Erneuerung. Die Hausteinfassaden et­ verschont. wa der Reichengasse zeigen heute fast aus­ Es wäre nun, nach der Analyse der poli­ nahmslos den Charakter gehobener Wohn­ tischen, wirtschaftlichen und sozialen Fak­ häuser und Hotel prives des aristokrati­ toren, die ihre Entstehung und Entwicklung schen „Ancien Regime“. Wenige zeichnen beeinflußten, noch die Frage zu klären, wel­ sich durch besondere, überdurchschnittliche cher Art die eigentlich künstlerischen Kräfte künstlerische Qualität aus, aber in ihrer Ge­ gewesen sind, die diese Entwicklung getra­ samtheit verraten sie jenen Sinn für Maß, gen haben. Die hervorragendsten Denkmäler Proportion und Rhythmus, der den Ein­ der Stadt, allen voran das Münster, geben druck einer ruhigen, introvertierten Würde darüber hinlänglich Aufschluß. Aus zährin- vermittelt und uns berechtigt, die Reichen­ gischer Zeit ist uns freilich, außer dem ro­ gasse zu den schönsten und besterhaltenen manischen Kern der Liebfrauenkirche und Straßenzügen der Schweiz zu zählen. Dem ihrem bereits erwähnten Turm, nichts erhal­ aufmerksamen Betrachter wird es nicht ent­ ten geblieben. Aus der Epoche kyburgischer gehen, daß in den formal der französischen Herrschaft stammen die archaisierende, der Klassik verpflichteten Häuserfronten viel burgundischen Zisterzienserarchitektur ver­ heimliche Gotik weiterlebt und daß, vor pflichtete Klosterkirche in der Magerau und allem in Material und Technik, aber auch der Chor der Franziskanerkirche, sowie die in der Organisation der Fassaden die spät­ Grabplatte der dort bestatteten Gräfin Eli­ mittelalterliche Tradition ungebrochen bis in sabeth von Kyburg, Gattin Hartmanns des die Frühzeit des 19. Jahrhunderts reicht. Jüngeren, welche die 1275 Verstorbene als Im 16. Jahrhundert, genauer: zwischen Mitglied des Dritten Ordens ausweist. Frei­ 1525 und 1610, erhielten die zehn figuren­ burgs frühe und hohe Gotik steht, wenn 68 man von gewissen burgundischen Elementen aber, welche die Anlehnung an die Eidge­ absieht, klar im Bann der oberrheinischen nossenschaft einleiten, beginnt der Wind wie­ Entwicklung. Die Formensprache im Lang­ der auf Nord zu drehen. Die Verkündi­ haus des Münsters, das im letzten Viertel gungsgruppe und der Apostel Thomas, 1474 des 13. Jahrhunderts begonnen, 1512 in den entstanden, zeigen die Hand eines aus Schwa­ Rang einer Stiftskirche mit infuliertem ben kommenden Meisters. Mit dem Eintritt Propst und 1924 zur Kathedrale des Bi­ in die Eidgenossenschaft richtet sich Freiburg schofs von Lausanne, Genf und Freiburg nicht nur politisch, sondern auch kulturell erhoben wurde, ist oberrheinisch. Die West­ nach seinen neuen Verbündeten: Deutsch wird fassade kombiniert den Westturm in der zur Amtssprache erklärt, und schweizerische, Mittelachse des Münsters von Freiburg i. Br. schwäbische, ja bayerische Künstler werden mit einer freien Nachschöpfung der Straß­ mit Aufträgen bedacht. Der Meister des burger Rose, deren zerbrechliches Gestänge Hochaltars der Franziskanerkirche von 1480, hier kühn in die Turmfront eingebaut und der große Anonyme mit der Nelke, stammt durch einen soliden Entlastungsbogen gesi­ aus Basel und steht offensichtlich unter el- chert wird. Die Plastik des Südportals steht sässischem, indirekt unter niederländischem gleichfalls in der Deszendenz der Straßbur­ Einfluß. Martin Gramp aus Lindau ist der ger Münsterbauhütte und ist dem Basler Schöpfer des bedeutenden, in ein Fenster­ Westportal nächstverwandt. Auch der Stil kreuz des Rathauses gehauenen Kruzifixes. des Hl. Grabes in der Magerau, um 1330, Der Steinmetz Hans Felder d. J., dessen Va­ bei dem der plastische Leib Christi und die ter die Zürcher Wasserkirche erbaut hatte, Malerei der Area gleich bedeutend sind, stammt aus öttingen im Ries; er findet am weist nach dem Hochrhein. Das Westportal Rathaus-Neubau und vielleicht auch bei der des Münsters hingegen, dessen Anfänge bis Ausstattung des Münsters Beschäftigung. in die Wende des 14. Jahrhunderts reichen, Wilhelm Ziegler aus Nördlingen, durch die zeigt bei sehr langsamem Voranschreiten der Reformation in seiner Heimat brotlos ge­ Arbeiten eine förmliche Musterkarte der Stil­ worden, tut sich mit Hans Boden zusammen entwicklung im 15. Jahrhundert. Das Tym­ und malt in Werkstattgemeinschaft mit ihm panon und die ältesten Gewändestatuen ver­ in den zwanziger Jahren des 16. Jahrhun­ raten noch südwestdeutsche Einflüsse. Mit derts mehrere Altarwerke. Hans Geiler, der dem hl. Simon und dem ihm verwandten bedeutendste spätgotische Bildhauer Frei- hervorragenden Hl. Grab in der Kapelle burgs, wandert aus dem Elsaß ein; ihm sind, südlich des Turms, beide in den dreißiger außer dem hl. Georg auf dem Rathausbrun­ Jahren im Auftrag des Ratsherrn Jean Mossu nen, eine Reihe hervorragender Schnitzwer­ geschaffen, erklingt ein neuer Ton: der ober­ ke zu verdanken, die keinen Vergleich mit rheinische Einfluß wird zugunsten des bur­ Zeitgenössischem zu scheuen brauchen. Stefan gundischen zurückgedrängt, noch bevor die Ammann endlich, der 1586 das Bürgerrecht Entfremdung und der schließliche Bruch mit erwarb und die drei letzten Freiburger Brun­ Österreich in Erscheinung traten. Drei an­ nenskulpturen schuf, stammt aus Ulm. Ne­ dere, 1478 datierte Apostelfiguren schließen ben all diesen Zugewanderten vermögen sich sich mit den Reliefs des 1462—1464 durch eigentlich nur zwei autochthone Freiburger Antoine und Claude de Peney geschaffenen zu behaupten, der eigenwillige Stadtmaler Chorgestühls zusammen; sie sind derbe, aber Hans Fries, zwischen dem Meister mit der eindrucksvolle künstlerische Dokumente der Nelke und Niklaus Manuel wohl die stärk­ kurzen Periode savoyischer Herrschaft im ste künstlerische Persönlichkeit der Schweiz, Uechtland. Noch vor den Burgunderkriegen und der Bildhauer Hans Gieng, der um die 69 Blick aus der Hochzeitergasse auf den Turm der St. Niklaus-Kathedrale. Photo B. Rast, Fribourg/Ch

70 nalen Grenzen hinaus hat sich, von höherer unübersehbaren Folgen für das künftige Warte, sovar der F.uronarat mit der Frage__Schicksal, der Altstadt. Nur eine mntip-e lind

Mitte des 16. Jahrhunderts seine mit Recht kantonalen Mittelschule, die aus dem einsti­ berühmten Renaissance-Brunnen schuf. gen Jesuitenkollegium hervorgegangen ist, Im 16. Jahrhundert gewinnt, nach dem wurde 1889 eine Universität zur Seite ge­ Frieden von Freiburg, der 1516 die Eid­ stellt. Ihr staatlicher und zugleich interna­ genossen mit Franz I. von Frankreich aus­ tionaler Charakter macht sie zu einem Son­ söhnt, langsam und allmählich wieder der derfall unter den katholischen Hochschulen; Einfluß von Westen an Boden, ohne indes­ dazu hat sie sich in den letzten Jahrzehnten sen die Beziehungen zu Süddeutschland ganz immer mehr zur katholischen Landesuniver­ zu unterbinden. Jean Fumal aus Rodez baut sität der Schweiz entwickelt. Unter dem für den Gardehauptmann Hans Ratze 1581 Druck der laizistischen, kirchenfeindlichen bis 1585 ein vornehmes Stadtpalais in rein­ Gesetzgebung Combes ließen sich ferner zu ster Lyoner Renaissance, das heutige Histo­ Beginn des 20. Jahrhunderts eine Reihe rische Museum an der Murtengasse. Und im französischer Orden, mehrere davon mit 17. und 18. Jahrhundert vermitteln die aus ihren privaten Lehranstalten, in Freiburg französischen Diensten heimkehrenden Offi­ nieder. Dies hat die Eigenart Freiburgs als ziere französische Lebensart und französische eine pädagogische Provinz, in der sich die Kunst, durch welche das künstlerische Schaf­ Angehörigen eines halben Hunderts verschie­ fen und die Kultur bis in Restauration und dener Nationen und sieben weltanschaulicher Regeneration hinein beispielhaft befruchtet Bekenntnisse zuhausefühlen, womöglich noch wurden. verstärkt. So konnte seinerzeit ein Freibur­ Die Kunst folgt also augenscheinlich dem ger Staatsmann mit dem Blick auf die zwei politischen Gefälle, und es ist gewiß ein bis vor kurzem einzigen in Freiburg ange­ einmaliges Schauspiel, diese auf der Grenze siedelten Großindustrien scherzhaft feststel­ zweier großer Kulturen des Abendlands ge­ len, Freiburgs Exportprodukt seien wohl- legene Stadt im Lauf ihrer 800jährigen Ge­ ausgebildete junge Menschen, und es besitze schichte an den Leistungen beider teilhaben dazu, neben seinen mittleren und höheren zu sehen, empfangend, gebend und vermit­ Schulen, auch sonst alle notwendigen Grund­ telnd. Gründung süddeutscher Dynasten im lagen: nämlich das Bier für die Studenten westschweizerischen Raum, erster Ort mit und die Schokolade für die Mädchenpensio- einer zum guten Teil anderssprachigen, wel­ nate. schen Bevölkerung im eidgenössischen Bund: Das heutige Freiburg besitzt ein doppel­ Brückenstadt zwischen Deutsch und Welsch, tes Gesicht. Es war ein unerhörter Glücks­ heute wie einst. Freiburg, das in Jahrhun­ fall, daß der Schienenstrang seinerzeit in derten halb aufgezwungener, halb selbstge­ einiger Entfernung westlich der Altstadt wählter Isolierung den Anschluß an die im durchgeführt wurde. Die moderne Stadt Zeichen des Frühkapitalismus einsetzende konnte sich so seit dem ausgehenden 19. Jahr­ industrielle Entwicklung versäumte, muß in hundert in der Bahnhofgegend ihren eigenen der Gegenwart seine einseitig landwirtschaft­ Lebensraum schaffen, ohne dem historischen lich ausgerichtete Ökonomie unter erhebli­ Stadtbild unheilbare Wunden schlagen zu chen Schwierigkeiten den Erfordernissen un­ müssen. Man wird indessen, trotz dem strek- seres technischen Zeitalters anpassen. Im 19. kenweise großstädtischen Aspekt, nicht be­ Jahrhundert hatte es im Vertrauen auf seine haupten dürfen, daß diese einmalige Chance geistige Mission die Erziehung zu seiner In­ wirklich genutzt worden wäre und daß sie dustrie gemacht, bis an die Grenzen seiner zu weitsichtigen städtebaulichen Lösungen Leistungsfähigkeit. Der einen vorzüglichen geführt hätte. Die neuen, während des Zwei­ Ruf genießenden, zweisprachig geführten ten Weltkriegs entstandenen Universitäts- 71 Murten

Von Pascal Ladner, Freiburg/Sdiw.

Es ist vor allem ein Ereignis, das den zug auf die Kulturgeschichte der beinahe un­ Namen der kleinen, wegen ihrer erhalten ermeßliche Reichtum des Herzogs an Kunst­ gebliebenen Befestigungsanlagen und ihrer gütern zerstreut worden1). schmucken Geschlossenheit bekannten West­ schweizerstadt Murten in das europäische Ge- schichtsbewußtsein eingeprägt hat: die vor Die Frühgeschichte Murtens geht bis in die ihren Mauern ausgefochtene Schlacht gegen jüngere Steinzeit zurück, in welcher das See­ den burgundischen Herzog Karl d. Kühnen ufer schon besiedelt gewesen sein muß. Viel vom 22. Juni 1476, von der mit Recht ge­ später, in römischer Zeit, hat die Straße vom sagt wird, daß sie das Schicksal des Abend­ nahe gelegenen Aventicum nach Solodurum landes auf Jahrhunderte hinaus entschieden hier vorbeigeführt2). Und in der frühburgun- hat. Als damals der Herzog, geschlagen von dischen Zeit soll König Sigismund einen Hof Grandson herkommend, seine Mannschaften namens Muratum dem 515 errichteten Klo­ südlich und östlich der Stadt aufmarschieren ster St. Maurice im Wallis zur Ausstattung und sein kostbares Befehlszelt auf der An­ übertragen haben3). Wenn die Überlieferung höhe des Bois Domingue befestigen ließ, ha­ dieser Schenkung auch nicht völlig gesichert ben die Berner, die sich zusammen mit den ist, so zeugt doch eine schon im 9. Jahrhun­ Freiburgern während der Kämpfe gegen den dert bestehende Mauritiuskirche im heutigen savoyischen Grafen von Romont im Herbst Muntelier, unmittelbar nordöstlich von Mur­ 1475 Murten unterworfen hatten, die Ver­ ten, mit größter Wahrscheinlichkeit von einer teidigung in die Hand genommen und Adrian Verbindung mit dem Walliser Kloster. Alles von Bubenberg dorthin entsandt. Nach mehr­ deutet darauf hin, daß in diesem Muntelier, tägigem Beschuß durch schwere burgundische das später einmal Vetus Murat genannt Artillerie, die am 18. Juni die östliche Stadt­ wird4), die ursprüngliche Siedlung gesehen mauer zum Einsturz brachte, und nach einem werden muß, welche dann als hochburgundi- von Adrian von Bubenberg kräftig abge­ scher, befestigter Königshof im Streit um das wehrten Sturmangriff erfolgte vier Tage spä­ Erbe nach dem Tode König Rudolfs III. von ter der denkwürdige eidgenössische Gegen­ Burgund zunächst von Odo von Champagne schlag, der das burgundische Heer zermalmte besetzt und im Spätsommer 1034 von Kaiser oder in den See trieb und das bedrängte Konrad II. nach dessen Krönung zum bur­ Murten entsetzte. „Do wurden auch etlich uff gundischen König in Payerne erobert und den hochen böwmen, daruff sy dann von zerstört worden ist5). Vermutlich ist auch mit recht tödlicher angst und not gestiegen wa­ Muratum in einer Urkunde Heinrichs IV. ren, erstochen, die mussten lehren fliegen vom Jahre 1079 eben dieser frühmittelalter­ ohne alles gefieder“, schrieb kurze Zeit später liche Königshof gemeint, den der Kaiser zu­ der Berner Chronist Diebold Schilling ange­ sammen mit anderen Gütern in der Waadt sichts der rund zehntausend Toten auf dem und im Wallis wohl zum Dank für die Un­ Schlachtfeld. In bezug auf die Politik ist an terstützung in der andauernden Auseinander­ diesem Tag die von Karl d. Kühnen erstrebte setzung mit Papst Gregor VII. der bischöf­ Verwirklichung eines sich von Flandern bis lichen Kirche von Lausanne geschenkt hat6). Mailand erstreckenden Mittelreiches zwischen Tatsache ist jedenfalls, daß seit diesem Jahr Frankreich und Deutschland zerstört, in be­ der Bischof von Lausanne den Grafen von 74

72 Murten UW, 1642 Xach einem Stich von Math. Merian

Rheinfelden in der Vertretung der Reichs­ gebnisse der archäologischen Vermessungen: interessen mindestens im transjuranen Bur­ die Gründungsanlage auf dem Boden der gund (Westschweiz) abgelöst hat und die­ heutigen Stadt bestand aus einem Rechteck selben wahrnahm, bis 1127 die Westschweiz von 225 x 155 m mit einem Gassenmarkt in unter den Einfluß der zähringischen Terri­ der Längsachse (Breite einschließlich Lauben­ torialpolitik geraten ist. tiefe: 29 m), einer seeseitigen Parallelgasse Den Gründen zur Ausbildung der zähringi­ (, Breite 9 m), einer schmalen schen Territorialherrschaft im Gebiete der Querachse mit versetzter Einmündung auf Westschweiz und ihrer Geschichte, insbeson­ den Markt (Kreuzgasse), ferner aus Rathaus dere seit der selbständigen Burgundpolitik und Hofstätten von 60 x 100 Fuß7). — Als des Stauferkaisers Friedrich I., ist hier nicht weitere wichtige Quelle muß der sogenannte nachzugehen. Was davon als wohl größte Stadtrotel genannt werden, gemäß dessen Leistung der Zähringer geblieben ist, sind Einleitung — hec sunt libertates, consuetu- ihre zur Sicherung der westlichen Randge­ dines sive mores, quas contulit dux Bertho- biete vorgenommenen Stadtgründungen von dus (!) ville de Murat in sui fundatione et Freiburg i. Üe., Burgdorf, Bern, Thun und per quas regitur — ein Herzog Berchtold der nicht zuletzt von Murten. Trotz des Mangels Stadt Murten das darin aufgezeichnete Recht an einschlägigen Quellen für Murten dürfte verliehen haben soll. Obwohl dieser Rotel diese Gründung entweder auf Herzog Berch­ erst aus der Mitte des 13. Jahrhunderts über­ told IV. (J 1186) oder auf dessen Sohn liefert und damals wahrscheinlich auch redi­ Berchtold V. zurückgehen, und zwar als Neu­ giert worden ist, so gibt er doch in seinem in­ gründung neben Muntelier, dem Vetus Mu- haltlich ältesten Bestandteil zähringisches rat. Am eindeutigsten sprechen dafür die Er­ Stadtrecht wieder, vor allem was die zins­ 75 freie Zuteilung der Hofstätten, die freie In den folgenden Jahren mit ihren großen Wahl des Schultheißen und die Allmendnut­ politischen Auseinandersetzungen hat es sich zung betrifft8); dagegen fehlt eine Bestim­ aber immer deutlicher gezeigt, daß der Schutz mung über die Verleihung des zähringischen des Reiches über Murten nicht auszureichen Marktrechtes. — Anders als in Freiburg oder vermochte. Unmittelbar vor der Absetzung in Bern kennt man in Murten keine Tradition Kaiser Friedrichs II. durch Papst Innozenz eines Herzogs Berchtold von Zähringen als IV. auf dem Konzil von Lyon (17. Juli 1245) Stadtgründer, mit Ausnahme vielleicht der haben deshalb das reichsfreie Murten und das Darstellungen auf Wappen und Siegeln, wo kiburgische Freiburg ein gegenseitiges Bünd­ ein Löwe vorkommt, der möglicherweise auf nis abgeschlossen (1./2. Juli 1245) mit dem das zährihgische Wappentier zurückzuführen Zweck, sich den Besitzstand zu garantieren, ist9). sich bei Angriffen Hilfe zu leisten, Verhal­ Der Tod Berchtolds V. (1218), mit dem das tungsmaßregeln in einem möglichen Streit Herzogshaus erlosch, brachte eine neue Situa­ zwischen ihren Stadtherren aufzustellen, ih­ tion. Während der zähringische Eigenbesitz, ren Bürgern Freizügigkeit zu gewähren und u. a. Freiburg, an das Haus Kiburg überging, den Rechtsverkehr bei gegenseitigen Streitig­ fielen die Reichslehen, darunter Bern und keiten ihrer Bürger zu regeln13). Wie aktuell Murten, rechtmäßig an Kaiser Friedrich II., dieser Vertrag war, zeigte sich, als schon drei der sie zur Verwaltung seinem Sohn Konrad Jahre später zwischen den kaiserlich gesinn­ übertrug. Somit wurde Murten zur Reichs­ ten Reichsstädten Murten und Bern einer­ stadt. Angesichts ihrer Lage am Rande des seits und dem päpstlich kiburgischen Lager staufischen Machtbereichs, die einer andau­ mit Freiburg anderseits langdauernde Kämpfe ernden Bedrohung von seiten der lokalen ausbrachen. Ohne auf Einzelheiten einzuge­ Herrschaften der Umgebung ausgesetzt war, hen, muß auf einen sich in diesem Zusammen­ verfügte König Konrad in einer vom No­ hang neu bemerkbar machenden Faktor hin­ vember 1238 datierten Urkunde, daß die gewiesen werden, der nicht nur für Murten, Stadt sich mit einer festen Mauer zu umgeben sondern für die westschweizerische Geschichte habe, wofür er ihren Bürgern die Gefälle des überhaupt von entscheidender Bedeutung ge­ Amtes Murten für vier Jahre schenkte und worden ist: auf die Ausdehnungspolitik des sie für die gleiche Zeit von allen Steuern be­ Hauses Savoyen unter Graf Peter II. In der freite10). Überreste dieser Mauer glaubt man unruhigen Zeit des Interregnums stellten sich noch heute in den untersten Befestigungspar­ viele der kleineren westschweizerischen Herr­ tien erkennen zu können; sie zeigen, daß schaften unter savoyischen Schutz, und auch schon damals die ursprüngliche Zähringer­ Murten schloß im Mai 1255 einen Schirmver­ stadt gegen Südosten hin um einen Längsdrit­ trag mit dem Grafen, der freilich nur bis zur tel erweitert worden ist, um damit Raum für Wahl eines in diesem Gebiet einflußreichen eine zweite Nebengasse (Deutsche Kirchgasse) Reichsoberhauptes gelten sollte14). Da eine zu gewinnen11). Die so erreichte Stadtanlage solche aber nicht bald erfolgte, festigte sich ist grundsätzlich auch nach dem großen Brand der savoyische Herrschaftsanspruch, was etwa von 1416 bis in die Gegenwart erhalten ge­ die Tatsache belegt, daß 1264 Peter II. in blieben. Schließlich gehört in die gleiche Zeit Murten genau so wie in seinen Kastlaneien die Stiftung der mit einem Spital verbunde­ Romont, Moudon, Yverdon u. a. für die ge­ nen St. Katharinenkapelle, die vor der Mauer planten Feldzüge Getreide sammeln und sich unterhalb des Schlosses errichtet und erst nach in der Folge ein Schloß errichten ließ15), von den Burgunderkriegen verlegt worden ist12). dem heute noch der große viereckige Turm 76 Heutige Standansicht vom Bois Domingue (dem Feldherrenhügel Karls des Kühnen) mit Wisten- lacherberg (Mont Vully) und Jura im Hintergrund

zeugt. Im Jahre 1272 erneuerte Murten mit Bündnis mit Freiburg erneuert18). Während Peters Nachfolger, Graf Philipp von Sa­ des Thronstreites zwischen Friedrich von voyen, unter ähnlichen Bedingungen wie frü­ Österreich und Ludwig von Bayern sodann her den Schutzvertrag16), und als dann tat­ beteiligte sich Murten an dem 1318 abge­ sächlich mit der Wahl Rudolfs von Habsburg schlossenen westschweizerischen Städtebünd­ zum deutschen König eine einigermaßen nis zwischen Bern, Freiburg, Solothurn und starke Reichsgewalt in Erscheinung trat, Biel19), und im Januar 1335 kam der erste brauchte es eine halbjährige Belagerung, ehe Bund mit Bern zustande, der 1340 und 1351 Murten wieder zum Reich zurückkehren jeweils erneuert und ergänzt worden ist20). konnte. Doch kaum war König Rudolf ge­ Schließlich hat sich Murten um die Jahrhun­ storben, wurde die Stadt am 14. August 1291 dertmitte vertraglich mit Biel (1342)21) und von Graf Amadeus von Savoyen besetzt, bis mit Payerne (1365)22) verbündet. — Diese in sie unter Albrecht von Habsburg erneut für aller Kürze genannten Allianzen zeigen die kurze Zeit an das Reich zurückkam und vielschichtigen staatspolitischen Verflechtun­ schließlich 1310 von König Heinrich VII. für gen von dynastischen und städtisch-autono­ viertausend Mark Silber an den Grafen von men Interessen, die sich in den wenigsten Fäl­ Savoyen verpfändet wurde17). Seither ge­ len vollständig deckten; in ihrer Gesamtheit hörte Murten bis 1475 zum savoyischen Be­ betrachtet beweisen sie, wie stark die Stadt sitz. Murten trotz oder vielleicht gerade wegen Diese wechselvollen Jahrzehnte sind aber ihrer savoyischen Oberherrschaft in die unter nicht nur durch das Ringen äußerer Mächte Führung Berns allmählich errichtete west­ um die Herrschaft Murtens gekennzeichnet, schweizerische Eidgenossenschaft integriert auch die Stadtbevölkerung selber, mit Schult­ worden ist. heiß und Rat an ihrer Spitze, hat sich in das Parallel zur außenpolitischen Aktivität hat politische Spiel eingemischt und 1294 das sich das innere Leben Murtens entfaltet. Die 77 verfassungsmäßige Grundlage dazu bildete das Murtenbiet diesem Handel in erster Linie der bereits erwähnte Stadtrotel, dessen Re­ Fische, in geringerem Maße Wein, Getreide, daktion wohl weniger anläßlich des ersten Schafe und Schweine beisteuern31). — Es ist Bundes mit Freiburg, als vielmehr zur Zeit schließlich nicht erstaunlich, an einem solchen des Schirmvertrages mit Graf Peter von Sa­ Umschlagplatz Lombarden und Juden vor­ voyen vorgenommen wurde23). Neben den zufinden; gerade was die letzteren betrifft, schon oben angedeuteten Privilegien sichert so weist Murten eine beachtliche Dokumenta­ er der Bevölkerung Murtens die freie Schult­ tion auf: schon am Ende des 13. Jahrhun­ heißenwahl — ein Recht, das erst in der von derts sind sie als Gläubiger erwähnt und um Graf Amadeus VI. 1377 verliehenen Hand­ 1400 bezeugen weit über tausend Akte in den feste nicht mehr erneuert worden ist24) —, die Notariatsregistern ihre Tätigkeit. Obwohl sie Wahl der Beamten, die Ausübung der Ge­ kein Bürgerrecht erwerben konnten und ob­ richtshoheit, das Fischereiprivilegium und wohl auch ihre Aufenthaltsbewilligung in der verschiedene weitere Rechte. Im Verlaufe des Stadt zeitlich befristet war, haben sie im spä­ 14. und 15. Jahrhunderts mußte dieses erste teren Mittelalter doch eine Synagoge besessen Stadtrecht mehrfach ergänzt und den Ver­ und einer ihrer Glaubensgenossen betätigte hältnissen angepaßt werden, wobei vor allem sich neben den Geldgeschäften auch in der die große Revision der von Schultheiß, Rat Heilkunst32). und Bürgern erlassenen Vorschriften polizei­ Das Bild des spätmittelalterlichen Murten lichen Charakters und deren Zusammenstel­ wäre unvollständig, würde man nicht minde­ lung zu den Statuta ville Mureti renovata im stens die Frage nach dem geistigen Leben Jahre 1394 zu erwähnen ist, denen 1400 der aufwerfen. Eine Antwort darauf kann aller­ Liber consuetudinum et bonorum usuum ville dings nur angedeutet werden mit dem Hin­ Mureti folgte, — zwei Sammlungen, welche weis, daß sich ein solches offensichtlich nicht die Grundlagen für das Murtener Recht der fassen läßt; zu einer ausstrahlenden Entfal­ folgenden Jahrhunderte gebildet haben25). tung fehlten zudem die entsprechenden Vor­ Vor allem gewähren diese legislativen aussetzungen; Murten besaß weder eine klö­ Texte einen guten Einblick in das tägliche sterliche Niederlassung noch ein Stift und Leben der spätmittelalterlichen Stadt, indem somit auch keine höhere Schule. Handschrif­ sie nicht nur über einige der Allgemeinheit ten sind keine überliefert und die aus dem dienende Einrichtungen, wie etwa über das Jahre 1393 stammende Aufzählung von Amt des Schulmeisters26) oder des Stadtno­ zwanzig Codices der beiden Kirchen St. Mau­ tars27) berichten, sondern darüber hinaus ritius und St. Katharina nennt ausschließlich Auskunft über die Tätigkeit der — nach den Bücher zum liturgischen Gebrauch33). Berechnungen Hektor Ammanns — rund tausend Einwohner28) zu geben vermögen. Dabei wird deutlich, daß in Murten, mit Mit der Eroberung Murtens durch die Ber­ Ausnahme der im 15. Jahrhundert belegten ner und Freiburger im Herbst 1475 hat nicht Tuchweberei29), nur Kleingewerbe vorhanden nur die savoyische Epoche in der Geschichte war, und zwar in Funktion zur Stellung der der Stadt, sondern das Mittelalter überhaupt Stadt als Zoll- und Handelsplatz an der al­ ein Ende gefunden. Stadt und Amt Murten ten Nord-Süd-Straße, die Süddeutschland bildeten seither bis zum Zusammenbruch der mit dem Genfer See, bzw. dem Großen St. Alten Eidgenossenschaft im Jahre 1798 eine Bernhard, verbunden hat, sowie als Hafenort — 1484 von den übrigen Eidgenossen aner­ im System der Wasserwege zwischen Orbe kannte — Gemeine Herrschaft der beiden und dem Rhein30). Als Eigenprodukte konnte Stände Bern und Freiburg. Verfassungsrecht­ 78 Schloß Murten im 19. Jahrhundert Nach einer Zeichnung von Kinkelin lieh bedeutete dies, daß zwar die beiden denen Seiten kämpften, was sowohl im Er­ Obrigkeiten die alten, aus der Savoyerzeit sten als auch im Zweiten Villmergerkrieg der stammenden Satzungen mitsamt den Freihei­ Fall war. Unter diesen Umständen hatte sich ten bestätigten, aber zum Schultheißen ab­ Murten neutral zu verhalten34), sonst aber wechslungsweise jeweils für fünf Jahre einen mußte die Stadt abwechslungsweise ihren der Ihren einsetzten und die Stadt zu militä­ beiden Obrigkeiten Hilfstruppen senden. Im­ rischen Hilfeleistungen verpflichteten. merhin zeigte es sich bald, daß trotz aller Ab­ Gerade diese letzte Bestimmung ist in der sprachen Murten seit der Mitte des 16. Jahr­ Folge für das außenpolitische Verhalten Mur­ hunderts immer mehr nach Freiburg zuzugs­ tens von größter Bedeutung geworden. Zu pflichtig wurde, so daß es im Eidgenössischen allen militärischen Auseinandersetzungen, an Defensionale kurzerhand in ein freiburgisches denen sich Bern und Freiburg beteiligten, Regiment eingeteilt wurde und mit der neuen mußte die Untertanenstadt Mannschaften freiburgischen Militärorganisation von 1744 entsenden. Solange die beiden Obrigkeiten ein eigenes Regiment unter freiburgischen einigermaßen ähnliche Ziele verfolgten wie Stabsoffizieren bildete35). im Schwabenkrieg oder in den italienischen Während Freiburg somit die militärischen Feldzügen, ergaben sich wenig Schwierigkei­ Verbindungen zu Murten verstärkte, gelang ten; als jedoch Bern das reformierte Glau­ es Bern, einen wesentlichen Einfluß auf die bensbekenntnis annahm und sich damit in inneren Verhältnisse der Stadt auszuüben, einen konfessionellen Gegensatz zu Freiburg insbesondere die Reformation einzuführen. stellte, bedurfte es genauer Regelungen, be­ Freiburg wehrte sich zwar anfänglich dage­ sonders wenn die beiden Städte auf verschie­ gen, aber durch eine Abstimmung am 7. Ja­ 79 nuar 1530 hatte sich Murten für die An­ mehr als einmal die religiösen Gegensätze zu nahme des reformierten Bekenntnisses ent­ überwinden vermocht. Der Stadt Murten schieden. Dabei war die Tätigkeit Guillaume selber aber gab diese Situation die Möglich­ Farels von ausschlaggebender Bedeutung. keit, ihr eigenes Gesicht zu wahren und mit Dieser aus Frankreich stammende, in Basel dem Besten aus beiden übergeordneten Stän­ mit der Lehre Oekolampads und Zwinglis den zu ergänzen. bekannt gewordene Reformator propagierte Die Entfaltung des nachmittelalterlichen seit 1526 im Aufträge Berns die Neuerung. Murten läßt sich eindrücklich an der Bau­ Nach dem Erfolg in Murten setzte Bern ihn tätigkeit ablesen, wo als öffentliche Vorha­ dort auf Bitten der Bevölkerung als Pfarr- ben die Anpassung der Kirchengebäude und herrn ein; drei Jahre lang (1530—1533) übte der Ausbau der Befestigungsanlagen im Vor­ Farel das Amt aus und benützte es vor allem, dergrund standen. Beide veränderten leicht den neuen Glauben tiefer in die Westschweiz das städtebauliche Bild. Was den kirchlichen hinein zu tragen36). — Die Einführung der Bereich anbelangt, so mußte die alte Pfarr­ Reformation brachte in Murten manche Än­ kirche, St. Mauritius in Muntelier, nach mehr­ derungen mit sich. In erster Linie mußte den fachen, letztlich doch unwirksamen Ausbesse­ zahlreichen Kirchenmandaten Geltung ver­ rungen 1762 niedergerissen werden39). Dafür schafft werden, was man dadurch zu errei­ wurde eine Marienkapelle, die im späten chen hoffte, daß die Pfarrherren — wie übri­ 14. Jahrhundert an der Nordostecke der gens in allen bernischen Gemeinden — vom Stadt errichtet worden ist, schon 1710 voll­ Berner Rat gewählt, besoldet und überwacht ständig neu und vergrößert aufgebaut. Von wurden. Sie mußten dafür sorgen, daß die der ehemaligen Kapelle zeugen gegenwärtig strengen Verordnungen, die alle Lustbarkei­ noch die kleine, gotische, aus einem Stück ten wie Tanzen und Singen, Weintrinken und Holz geschnitzte Kanzel von 1484 sowie das Spielen verboten, durchgeführt wurden, aller­ schöne Chorgestühl aus dem Ende des Mittel­ dings mit mehr oder weniger Erfolg37). Zum alters mit dem Sitz Adrian von Bubenbergs. Aufgabenbereich der Pfarrer gehörte neben Seit 1762 benützt die deutschsprachige Ge­ der Verkündigung auch die Unterweisung der meinde diese Kirche40). Die St. Katharinen­ Kinder; und dies führte allmählich zur Er­ kapelle dagegen, die nach der Murtenschlacht richtung einer straffer organisierten Schule, ihren endgültigen Standort erhalten hat, sogar mit einem beschränkten Schulzwang38). dient heute dem französischen Gottesdienst. Zwischen den beiden Pfeilern einer haupt­ — Anderseits galt die Aufmerksamkeit der sächlich von Freiburg geleiteten Militärpoli­ Behörden immer wieder der Instandsetzung tik und einer wesentlich von Bern beeinfluß­ der Ringmauern, die im 19. Jahrhundert re­ ten konfessionell-geistigen Ausrichtung hat gelrecht als Steinbruch ausgebeutet wurden, sich die Geschichte Murtens während des An­ bis sie der Staatsrat von Freiburg 1912 zur den Regime abgespielt und damit gleichzeitig denkmalgeschützten Zone erklärt hat. Die einen nicht unbedeutenden Beitrag zur gegen­ größten Änderungen erfuhr die Ringmauer seitigen Annäherung der beiden konfessionell jedoch beim Unteren Tor, das zwischen 1776 getrennten Obrigkeiten geleistet. Denn die bis 1778 von Architekt Hehler aus Bern nach gemeinsame Verwaltung der Herrschaft, die dem Vorbild des Berner Zeitglockenturms regelmäßig einberufenen Zusammenkünfte neu aufgebaut worden ist. Am anderen Stadt­ zur Rechnungsabnahme und die beidseitig ge­ ende wiederum haben die bernischen und pflegte Aufsicht über den jeweils aus dem freiburgischen Schultheißen das alte Schloß ändern Stand kommenden Schultheißen ha­ umgestaltet, indem sie verschiedene Nebenge­ ben wenigstens auf der politischen Ebene bäude niederreißen und die Ringmauer ver­ 80 MWTTN .UM f-l. W y

Schloß Murten heute

ändern ließen, um eine Hofterrasse mit Blick schließt und dessen bereits barocker Rundgie­ auf den See zu erhalten. Und nicht zuletzt bel Malereien aus dem Jahre 1672 aufweist. erfolgte zur Hauptsache um die Mitte des Wenn all diese baulichen Veränderungen 18. Jahrhunderts der Neubau des großen Murtens zum Teil auch mit Mitteln der ber- Rathauses. — Im gleichen 18. Jahrhundert nisch-freiburgischen Obrigkeit ausgeführt hat sich aber auch nicht minder das übrige werden konnten, so zeugen sie doch nicht we­ Murten gewandelt, indem die meisten Haus­ niger von der Prosperität der Bevölkerung. fassaden im bürgerlichen Barockstil — sicher Der schon im Mittelalter blühende Handel nach bernischem Muster — erneuert worden hat sich zur Zeit des Ancien Regime beträcht­ sind, allerdings selten in grauem, Ernst und lich entwickelt. Murten ist zu einem bedeu­ Würde verbreitendem Molassesandstein, son­ tenden Umschlagplatz für Land- und Wasser­ dern vielmehr in weißem und gelbem Jura- wege geworden, wo die Kaufmannszüge und Kreidekalk, die den Gassen das heitere, übernachteten, wo die Pferde in den Stallun­ anmutige Aussehen verleihen41). Harmonisch gen entlang der Rathausgasse eingestellt wur­ fügen sich in die Häuserzeilen einige noch er­ den und wo die Post ihre Tiere wechselte. Am halten gebliebene spätgotische Bauten aus Hafen, an der Ryf, standen sowohl das alte dem 16. Jahrhundert, worunter als schönstes Zollhaus wie auch das Salzhaus, und hier Beispiel das Haus „Zum Rübenloch“ zu nen­ entwickelte sich, hauptsächlich im Zusammen­ nen ist, das die Hauptstraße gegen Südwesten hang mit dem Verkehr, das Gewerbe: Gerbe­

6 Badische Heimat 1970 81 rei und Lederbearbeitung, Wagnerei, Bier­ Enttäuschung der Murtener ihre Truppen brauerei und Schmiedehandwerk42). Im abends in aller Stille aus der Stadt nach einer Jahre 1584 bewilligten Bern und Freiburg Verteidigungsstellung hinter der Aare, Saane den Handwerkern Murtens, „das sy ein frye und Sense. Am folgenden Tag marschierten zunft und gsellschaft aller und gemeiner die Franzosen ruhig in Murten ein46). handwerkern zu Murten ufrichten, dieselbige Bekanntlich brachen nach dem Untergang auch mit beider stetten gsellschaften glychför- der Alten Eidgenossenschaft jahrzehntelang migen Statuten und Ordnungen, damit in allen dauernde Verfassungskämpfe aus, vor denen denselbigen nunhinfür gute policy und glych- auch Murten nicht verschont blieb. Hier war heit erhalten werde, regulieren mögind“43). allerdings das Hauptproblem die Regelung Gleichermaßen spiegelt sich das Bewußt­ der Kantonszugehörigkeit. In der Helveti­ sein der Bürgerschaft in der Verwaltung wie­ schen Republik wurde Murten kurzerhand der. Unter der Oberaufsicht des bernischen dem Kanton Freiburg zugeteilt, obwohl die bzw. freiburgischen Schultheißen amtete ein Bevölkerung selber den Anschluß an Bern zwölf-, später zwanzigköpfiger Rat, dessen wünschte. Napoleon seinerseits hat in der von wichtigste Mitglieder der Bürgermeister und ihm oktroyierten Mediationsverfassung an der Venner waren. Ihm oblag nicht nur die der einmal geschaffenen Lage nichts geändert. Bestellung der Gemeindeämter, die Wahl also Und obwohl sich auch die Murtener in der des Weibels, des Bannwarts, des Stadtschrei­ Folge mehrfach gegen diesen Entscheid wehr­ bers, der Nachtwächter, des Brunnmeisters, ten, blieben Stadt und Amt Murten bei Frei­ der Torwächter, des Steuereinziehers und der burg. Zwei Vorstöße vor allem sind hier zu Hirten, sondern er bildete gleichzeitig für be­ nennen: einerseits der Aufstand gegen das stimmte Fälle den Gerichtshof44). Das Anse­ freiburgische Patrizierregiment im Zuge der hen dieses Rates zeigt sich am deutlichsten Regeneration im Jahre 1830 mit den Forde­ darin, daß sich die jungen, noch nicht regie­ rungen nach Gleichstellung der politischen rungsfähigen Bürger im sogenannten Äuße­ Rechte aller Bürger, nach einer gleichmäßigen ren Regiment, einer Nachahmung der Regie­ Stellvertretung, nach freien Volkswahlen und rung, zusammenschlossen, dessen Geschichte nach einer auf den Grundsätzen der Freiheit, im 17. und 18. Jahrhundert den Höhepunkt des Rechts und des Wohles gebauten Verfas­ erlebte mit dem Umzug am Zehntausend­ sung, die die Murtener mittels eines Mar­ rittertag, der das Gedenken an die Schlacht sches vor die Hauptstadt am 2. Dezember gegen Karl d. Kühnen wachhielt45). durchzusetzen vermochten47); andererseits Murtens vergeblicher Versuch, die Freiburger Regierung in der Nacht vom 6.17. Januar Nochmals in ihrer Geschichte stand die 1847 zu stürzen und den Kanton aus dem Stadt Murten in einer ganz ähnlichen Situa­ Sonderbund herauszulösen48). tion wie im Frühsommer 1476: in den ersten Mit dem Untergang der Alten Eidgenos­ Monaten des Jahres 1798 nämlich, als die senschaft und der Gemeinen Herrschaft ist französischen Revolutionsheere immer ärger aber auch ein anderes Murten verschwunden, Freiburg und Bern bedrängten; wie damals das Henri Perrochon „Le Morat cosmopolite richtete Bern die Hauptstellung seiner Trup­ et mondain“ nennt49). Damit ist weniger die pen bei der Stadt auf, als aber am 2. März Tatsache gemeint, daß Goethe, Joseph de Freiburg und Solothurn vor den französi­ Maistre, die Königin Hortense, der junge schen Armeen ohne Kampf kapitulierten, zog Paul I. von Rußland und viele andere sich das bernische Oberkommando zur großen kürzere oder längere Zeit in dieser Stadt auf­ 82 gehalten haben, sondern vielmehr das gesell­ schaftliche Leben in den nicht weit von den Ringmauern entfernt gelegenen Landsitzen. Besonders das Schlößchen Greng hat am Ende des 18. Jahrhunderts unter seinem Besitzer Gigot de Garville glanzvolle Tage erlebt und illustre Gäste aus nah und fern beherbergt, etwa den Minister Louis’ XVI., Malesherbes, Benjamin Constant, Madame de Stael, Ma­ dame de Tesse, die Tochter des französischen Marschalls Louis de Noailles, die im benach­ barten Loewenberg residierte, oder schließ­ lich ein Abbe Rousseau, der später nachein­ ander die Bischofssitze von Coutance und Orleans innegehabt hat. — Und während das galante Leben auf diesen Landsitzen dem Ende zuneigte, ist im Deutschen Pfarrhaus zu Murten am 4. Oktober 1797 Albert Bitzius, Innerer Stadtgraben und Jtingmauern mit Tour- besser bekannt unter dem Namen Jeremias naletta, Pfaffenturm und Festungsturm der Gotthelf, geboren, wo sein Vater Sigmund Deutschen Kirche Bitzius zwei Jahrzehnte lang Pfarrer war, bis er sich wegen der Zuteilung Murtens an Anmerkungen: Freiburg nach Utzensdorf im unteren Em­ 4) Vgl. Die Burgunderbeute und Werke bur- mental versetzen ließ50). gundischer Hofkunst. Katalog der Ausstellung im Bernischen Historischen Museum 18. Mai bis Wer sich heute Murten nähert, stellt fest, 20. September 1969. — G. F. Ochsenbein, Die daß das Städtchen aus den alten Mauern aus­ Urkunden der Belagerung und Schlacht von gebrochen ist, daß Wohnhäuser und Fabriken Murten, Freiburg 1876. 2) Historischer Atlas der Schweiz, hg. H. Am­ sich um den Zähringerhügel ausbreiten. Die mann und K. Schib, Aarau 1958, Karten 5 und 6. Bevölkerung ist seit dem Spätmittelalter um 3) Die Überlieferung ist erst vom 12. Jh. an das Dreifache gewachsen und weist gut 3500 gesichert, vgl. J.-M. Theurillat, L’abbaye de Einwohner auf, mehrheitlich deutschsprachig Saint-Maurice d’Agaune, in Vallesia 9 (1954) 58, 60, 80. (rund 80 °/o) und reformiert (rund 72 °/o). 4) Staatsarchiv Freiburg, Alte Landschaft Urk. Neben das Gewerbe ist die Industrie getreten 1 (1228), vgl. F. E. Welti, Der Stadtrotel von mit Unternehmungen für elektrische Appa­ Murten, in: Freiburger Geschichtsblätter (künf­ tig: FG) 18 (1911) 117. rate, Haushaltmaschinen und Uhren51). Der 5) H. Wicki, Die geschichtlichen Grundlagen See, immer noch sehr fischreich, verwandelt der Freiburger Stadtgründung, in: Fribourg — sich an schönen Sommertagen zum Tummel­ Freiburg 1157—1481 zur 800-Jahrfeier, Freiburg platz der Wassersportfreunde; und das Gast­ 1957, S. 22. •) MG Dipl. H. IV. 311; vgl. F. E. Welti, Der gewerbe entfaltet sich entsprechend. Die er­ Stadtrotel von M urten S. 16. habene Lage mit Blick über den See zum 7) Die Zähringerstädte, Dokumente zum Wistenlacherberg und auf die Jurahöhen, Städtebau des Hochmittelalters aus 15 Städten Süddeutschlands und der Schweiz, 700 Jahre aber auch in die bernisch-freiburgische Hügel­ Thuner Handfeste, Jubiläumsausstellung im landschaft mit ihrer alten Kulturgrenze zwi­ Schloß Thun, 1964, Nr. 86. schen Alemannen und Burgundern lädt ein 8) Die Rechtsquellen des Kantons Freiburg I 1: Das Stadtrecht von Murten, hg. von F. E. zum Verweilen und zum Überdenken der Welti, Aarau 1925 (künftig: RQM) Nr. 4; F. E. Geschichte dieser Zähringerstadt. Welti, Der Stadtrotel von Murten S. 126 ss. 83 9) Vgl. J. F. L. Engelhard, Der Stadt Murten schrift für F. E. Welti S. 443; H. Ammann, Uber Chronik und Bürgerbuch, Bern 1828, S. 6. — Es das waadtländische Städtewesen S. 65. ist auch zu erwähnen, daß anläßlich des Umzuges 29) RQM N r. 112. des sogenannten Äußeren Regiments ein Mann 30) Historischer Atlas der Schweiz Karte 19; das „Leuenkleid“ trug, d. h. in einen Löwen ver­ H. Ammann, Zur Gesch. der Westschweiz in sa­ kleidet war; vgl. dazu E. Flückiger, Die Militär­ voyischer Zeit S. 44; H. Ammann, Über das geschichte der gemeinen Herrschaft Murten waadtländische Städtewesen im Mittelalter S. 27. (künftig: Militärgeschichte), in: FG 26 (1921) 31) Die entsprechenden Verordnungen befin­ 124 s. und E. Flückiger, Das äußere Regiment den sich in den RQM. von Murten, in: FG 54 (1966) 97. 32) J. Niquille, Les preteurs juifs de Morat ä 10) RQM N r. 2. la fin du moyen äge, in: Nouvelles Etrennes Fri- n) Die Zähringerstädte Nr. 86 b. bourgeoises 60 (1927) 89 ss. 12) RQM Nr. 3; Text: Matile, Monuments 33) RQM N r. 63. de l’Histoire de Neuchätel Nr. 111. 34) E. Flückiger, Militärgeschichte S. 105 ss, 13) RQM Nr. 5; vgl. H. Nabholz, Die Bundes­ 142 ss; E. Flückiger, Murten und der erste Vill- briefe von Bern, Freiburg und Murten des 13. mergerkrieg, in: FG 47 (1955/56) 5 ss; E. Flücki­ Jhs., in: Geschichtsfreund 82 (1927) 43 ss. ger, Murten und der Zweite Villmergerkrieg, in: 14) RQM N r. 8. FG 50 (1960/61) 82 ss. 15) H. Ammann, Zur Geschichte der West­ 35) E. Flückiger, Militärgeschichte S. 199, 160 s. schweiz in savoyischer Zeit, in: Zeitschr. f. 30) E. Flückiger, Die Reformation in der ge­ Schweiz. Gesch. 21 (1941) 24; H. Ammann, Über meinen Herrschaft Murten, Gedenkschrift zur das waadtländische Städtewesen, in: Schweiz. Murtener Reformationsfeier 1930, S. 13 ss. Zeitschr. f. Gesch. 4 (1954) 60. — 1265 ist Peters 37) Ibid. S. 82— 120, bes. 110 ss. II. besonderer Sitz in Murten (aula) erwähnt 38) Ibid. S. 100 ss. (vgl. Wurstemberger, Peter II. von Savoyen IV 39) E. Flückiger, Die Baugeschichte der Stadt 644, 686), der 1266 als hospicium domini apud M urten S. 179 s. wieder erscheint (M. Chiandano, La Finanza 40) E. Flückiger, Die Reformation S. 128. Sabauda nel sec XIII., Bd. I, Bibi, della Soc. Sto- 41) Vgl. dazu im einzelnen E. Flückiger, Die rica Subalpina 131, Torino 1933, 110). Baugeschichte der Stadt Murten. 16) RQM Nr. 9. 42) Murten — Morat, hg. von K. Blum und 17) Vgl. zu dieser wechselvollen Geschichte E. G. Grosjean, Bern 1965, S. 66. Flückiger, Die Baugeschichte der Stadt Murten, 43) RQM Nr. 337. in: Festschrift für F. E. Welti, Aarau 1937, S. 163 44) H. Wattelet, Murten zur Zeit der alten mit weiteren Literatur- und Quellenangaben. Satzung, M urten 1889, S. 4 ss. 18) RQ M N r. 16. 45) E. Flückiger, Das äußere Regiment von 19) RQM N r. 19. Murten, in: FG 54 (1966) 85—108. 2°) RQM Nr. 24, 28, 32; vgl. H. Nabholz, op. cit. S. 53. 4(i) E. Flückiger, Militärgeschichte S. 207 ss. 21) RQM Nr. 29, 33 (Erneuerung von 1354) 47) H. Wattelet, Der Sturz der Patrizierregie­ 22) RQM Nr. 35. rung, in: FG 23 (1917) 111 ss. 23) Damit würden die darin enthaltenen sa- 48) H. Wattelet, Die Sonderbundszeit, in: FG voyischen Rechtsbräuche erklärt, vgl. F. E. Welti, 21 (1914) 1 ss. Der Stadtrotel von Murten S. 134 und passim. 48) in: Annales Fribourgeoises 25 (1937) 1 ss. 24) RQM Nr. 43. 50) Vgl. W. Muschg, in: Jeremias Gotthelfs 2ä) F. E. W elti, in: RQM S. 82 ss. Werke, Birkhäuser/Basel 1948, Bd. I Einleitung 2fl) RQM N r. 62. S. 7. 27) RQM Nr. 60. 51) Ch. Chammartin, G. Gaudard, B. Schnei­ 28) H. Ammann, Die Bevölkerung der West­ der, Fribourg, une economie en expansion, Lau­ schweiz im ausgehenden Mittelalter, in: Fest­ sanne 1965, bes. S. 108, 112, 116.

84 Grasburg

Gottfried ßoesch

Glänzend erscheint die Schutzlage der auf, dann seit 1259 häufiger (sculthetus de Grasburg im tief eingeschnittenen Sensegra­ Grasburc)3). Die auf der Burg sitzenden Be­ ben und beinahe unzugänglich, in einer Fluß­ amten handelten als Vögte daneben oder gar schlinge der Sense, hoch auf einem fast 100 als Reichsvögte, wie unter König Rudolf von Meter hohen Felsklotz1). Von drei Seiten her Habsburg, 1282, ein Advocatus oder Castel­ erhielt die Reichsfeste Schutz durch senk­ lanus, Richard von Korbers4). Trotzdem läßt rechte Felswände, die letzte Seite schützten sich die städtische Siedlung Grasburg ganz tiefe Gräben, die den Burgfelsen vom Hoch­ deutlich nachweisen, 1386/87, genannt Burg plateau von Schwarzenburg trennten. Aber und Ortschaft (castrum et villa) in den da­ diese hervorragende Schutzlage war nur eine mals savoyischen Vogteirechnungen und et­ Seite; die Verkehrslage, der andere wichtige was später 1393/94 ist von Ausgaben in villa Punkt für eine Stadt, fiel hier aus. In der Grasburgi die Rede. Auch ein Schmied ist Nähe führte eine recht bedeutende Straße nachgewiesen (faber dicte ville Grasburgi)5). über die Sense, die von den alten Klöstern Die Urkundensprache der romanischen West­ von Payerne, Romainmotier und von Hau- schweiz meint hier selbstverständlich mit dem terive nach Rüeggisberg und weiter nach In­ Ausdruck villa = Stadt. Auch die berühmten terlaken geleitete. Grasburg lag abseits dieser freiburgischen Notariatsregister um 1400 er­ Klosterstraße, aber von der Grasburg aus wähnen einzelne Bewohner des hochgelege­ ließ sich diese bewachen und beherrschen. nen Burgstädtchens, etwa Berchinus von der Der Name Grasburg ist urkundlich 1228, Schür castri Graspurgi 14086). Es ist aber oder vielleicht schon 1223 nachgewiesen, auch doch trotz aller städtischen Merkmale un­ Ritter, die sich nach dieser Burg benennen, wahrscheinlich, daß hier innerhalb des Burg- sind gleichzeitig2). Doch muß die gewaltige berings oder im Burgstädtchen Marktrecht Anlage schon der Zähringerzeit zugehören. gültig war und auch wirklich genutzt wurde. Wer hätte denn, nach 1218, überhaupt in die­ Burg und Stadt gehörten kirchgenössig nach ser Landschaft eine so starke Festung errich­ der Pfarrei Wählern, aber eine kleine Ka­ ten können? Kuriose Sagen wollen allerdings pelle gab es trotzdem auf der Grasburg. Die die Entstehung dieser unerklärlichen Burg Kapelle war dem ritterlichen St. Georg ge­ den Römern und Aventicum zuschreiben. weiht. Das muß längst vor der Erwähnung Fast in der Mitte zwischen den zähringischen der Kapelle von 1320 so gewesen sein. Seit Gründungen von Freiburg und von Thun 1343 wurde in der Kapelle täglich die Messe hatte die Grasburg einen guten Sinn, im Rah­ gelesen. Pfarrei wurde die Kapelle trotzdem men der zähringischen Grenzbefestigungen. nicht7). Der Boden war Reichsland. Nach 1218 fiel Zwischen Haupt- und Vorburg lag der also die Herrschaft zurück ans Reich und Raum der Stadt, gut geschützt. Es war aller­ dann wieder an die zähringischen Haupt­ dings Platz für höchstens 20 Häuser, mehr erben ihres Hausgutes in dieser Landschaft, nicht. Gewerbe gab es hier wohl wenig, der an die Kyburger. Schmied wurde schon erwähnt. Der Handel Auch erst in der kyburgischen Zeit wird zog da nicht vorbei. Stadtrecht wurde wohl das Städtchen Grasburg erstmals erwähnt. nie ausdrücklich verliehen. Aber trotzdem Ein Schultheiß — sicheres Zeugnis für die war Grasburg Stadt, schon der Schultheiß Existenz einer Stadt — tritt urkundlich 1239 deutet darauf hin. 85 Seit dem 15. Jahrhundert hören wir von Landvögte nach 157213). Die Mauern der der Stadt Grasburg nichts mehr. Der ehe­ Reichsfeste Grasburg galten als Steinbruch. malige Reichsboden von 1255 in Grasburg, Aus der Herrschaft Grasburg entstand die von König Wilhelm von Holland nochmals Herrschaft Schwarzenburg. Die politisch­ ausdrücklich verbürgt, zusammen mit Laupen militärische Lage hatte sich seit der Zährin­ und Murten, war jetzt bedeutungslos gewor­ gerzeit grundlegend gewandelt. Der Platz den, 1218, nach dem Erlöschen der Zährin- verlor jegliche Bedeutung. Übrig blieb die ger8). Einmal war Grasburg zuerst kybur- gewaltige Ruine der Reichsfeste, Zeugnis ein­ gisch, dann savoyisch, dann, im Jahre 1263, stiger Größe. habsburgisch unter Rudolf von Habsburg9). Doch 1267 riß Graf Peter von Savoyen den ehemaligen Reichsboden wieder an sich, ein 1) Friedrich Burri, Die Grasburg. Ihre Bauge­ Zankapfel sondergleichen, typische Grenz­ schichte und ihr einstiges Bild. Archiv des Hist. land-Situation. Mit der Thronbesteigung Ru­ Vereins d. Kt. BE 20 (1910). Fritz Bürki, Die Ruine Grasburg, Bern 1916. Friedrich Burri, Die dolfs aber wurde es wieder Reichsbesitz, seit Grasburg unter savoyischer Herrschaft. Archiv 18 1273. Aber schon zehn Jahre später, 1283, (1906) 1—268 und jetzt abschließend: Friedrich Burri, Die einstige Reichsfeste Grasburg. Ge­ wird Grasburg unter den vom König ver­ schichte, Rekonstruktion, Einkünfte. Archiv 33 pfändeten Herrschaften erwähnt10). 1310 fiel (1935) 1-—-352, leider sozusagen nichts über die Grasburg sogar nochmals unter Savoyen zu­ Stadt. 2) Fontes rerum Bernensium 2, 36 in einer rück, und schließlich 1423 stand die Herr­ Eschenbacher Urk. vom 5. Mai 1223 Otto von schaft von Bern und Freiburg über die Gras­ Grasburg und FRB 2, 243, nochmals Otto von burg fest, bis zum Sturmjahr 1798. Trotz Grasburg am 12. März 1245. Gumy 376 als Cono de Grasenborch, in Regeste le l’Abbaye de Haut- aller neuen Herren aber serbelte die Stadt. rire, Fribourg 1923, S. 139. Sie konnte sich nicht entwickeln. Der Raum 3) FRB 2, 175 vom 7. Mai 1239. 465, 28. Mai reichte im besten Fall zu einem suburbium, 1259 „sculthetus in Grasburg“. 483, 28. Juli 1260 „Jacobus Sculthetus in Grasiburc“. 644, 14. April einer Vorstadt. Markt kam keiner auf. Ver­ 1268 „Jakob, Schulth. v. Grasburg“. 688, 2. Juni kehr auch nicht, es blieb schließlich die Reichs­ 1270 „Jakob, Schultheiß v. Grasburg“. 4) FRB 3, 285 vom 25. Okt. 1279. feste, solange diese einen Sinn hatte. Und als 5) Burri Archiv 20, S. 176. aus der zerfallenen Burg der Sitz des Vogtes 6) Ammann, Notariatsregister Füllistorf. nach Schwarzenburg verlegt wurde, da war 7) Burri Archiv 35, 164 ff. es aus. Schwarzenburg besaß seit der savoyi­ 8) FRB 2, 382, 3. Nov. 1255. Er verspricht Murten wie Bern und Grasburg dem Reich nicht schen Zeit, 1412, das Recht zu Jahrmärk­ zu entfremden. ten11). Die Übersiedlung nach Schwarzen­ 9) FRB 2, 556, 16. Jan. 1264. burg wurde im 16. Jahrhundert vollzogen12). 10) Revue historique Vaudoise 1907, 361. n ) Burri Archiv 35, 78 ff. Von da verlotterte der Burgsitz auf dem 12) Burri, Archiv 35, 78 ff. Felskopf hoch über dem Sensegraben. Hier in 13) Burri, Archiv 35, 79 mit Abb. 7, vom Jahre Schwarzenburg erstand ein erstes Schloß der 1787.

86 Laupen

Gottfried ßoesch

Unmittelbar vor der Einmündung der streckt sich zwischen Laupen und Bern, mit Sense in die Saane, aber noch im Sensetal, dem großen Forst. Dazu gehörten auch, links liegt die Stadt Laupen1). Fast vierzig Meter der Sense, die heute freiburgischen Gemein­ hoch erhebt sich im Süden der Stadt der jähe den Bösingen, Wünnewil und Ueberstorf. Burghügel wie ein wehrhafter Schild. Den Wenigstens in der Zeit des Königs Wilhelm Südwesten sichert die Sense und wenig ent­ (von Holland) wird es urkundlich als un­ fernt die Saane. Osten und Norden stehen mittelbares Reichsgut bezeichnet4), wohl ein gefährlich offen. Bedeutung besaß die Brücke Relikt des alten Königsgutes zwischen Aare über die Sense, die den Weg von Bern nach und Genfer See5). In diesem Königsforst, auf Freiburg hier einengte und gleichzeitig dem Hochplateau zwischen dem Reichshof sicherte. Bümpliz und der Reichsburg Laupen also, Und wenig flußabwärts führte eine Brücke wurden hochpolitische Kämpfe ausgetragen6). über die Saane die Straße nach Murten wei­ Daß dabei die Brückenstadt Laupen eine ter. Die Dörfer westwärts standen markt­ zentrale Rolle spielte, ist angesichts der mäßig mit Laupen in Verbindung, sofern sie nahen deutsch-französischen Sprachgrenze nicht vom größeren und reichen Murten ab­ und der um Vorherrschaft ringenden Dyna­ sorbiert waren. Senseaufwärts aber trennte sten rings um Bern, nicht zu verwundern. der große Forst von Laupen von größeren Bis 1218 gab es keinerlei Diskussion — Lau­ Siedlungen. Laupen, als Stadt, ist also durch pen in der festen Hand der Zähringer bis die beiden Brücken bedingt. Älter als die 1218, war eine der wichtigen Festungen in­ Stadt war natürlich die befestigte Anlage nerhalb des Rektorats Burgund. Und die auf dem Flügel, die wahrscheinlich schon in Zähringer hatten den Reichsbesitz sicher in der hochburgundischen Epoche zeitweilig der Hand. Innerhalb der zähringischen Haus­ Residenz der hochburgundischen Könige, politik spielte Laupen zwischen Bern und z. B. Rudolf III., war, wohl erbaut von Ru­ Freiburg einerseits und Bern und Murten dolf II. (dem Gemahl der Königin Berta), anderseits eine gewichtige Rolle als Etappe, ein Bollwerk an der neuburgundischen Ost­ Stützpunkt oder vorgeschobenes Bollwerk. grenze. Seit 1032 galt Laupen als unmittel­ Es bildete geradezu den Mittelpunkt dieses bares Reichsgut. Sicher stellte auf dieser Städtedreiecks Bern—Murten—Freiburg im festen Burg Laupen König Rudolf III. Uechtland. Das wurde anders nach dem (f 1032) 1015 und 1029 Urkunden aus2). Ende der Zähringer, da Laupen an die In der Zähringerzeit, schon vor 1152, han­ Kyburger fiel. Jetzt lag es nicht mehr so deln hier FFerren von Laupen, seit 1175 wer­ zentral. Aber für Kyburg schien die Festung den sie sogar Grafen von Laupen genannt, nicht weniger wichtig. In der kyburgischen was die wachsende Bedeutung dieses befestig­ Zeit hören wir erstmals, gesichert durch Ur­ ten Platzes beweist3). Auch nach dem Aus­ kunden, von der Burg. Das war 1253 und sterben der Zähringer behält der wichtige nochmals 12557). Altkyburg starb 1263/64 Platz seine Bedeutung und bleibt Zentrum aus. Damit wurde Laupen hineingezerrt in einer ausgedehnten Herrschaft an der Sense, die hochpolitische Auseinandersetzung zwi­ genau wie die benachbarten Grasburg (im schen Graf Rudolf von Habsburg und Graf Südosten) und Gümmenen (nördlich). Diese Peter II. von Savoyen, genau zehn Jahre Herrschaft Laupen ist recht groß. Sie er­ bevor Rudolf von Habsburg König wurde. 87 Er hatte den Streit um Laupen für sich ent­ (cives oppidi) auch rechtlich Stadtburger ge­ schieden8). Savoyische Erbansprüche des Gra­ worden10). Das schien der äußere Abschluß fen Peter auf kyburgische Randzonen wur­ einer Entwicklung, die Ansätze zu einer den abgewiesen. Rudolf von Habsburg legt Stadt, wohl seit der zähringischen Zeit mehr die Hand auf den gesamten kyburgischen oder weniger ausgeprägt schon aufgewiesen Besitz. Die kyburgische Erbtochter, Anna, ist hatte. Denn schon in der Zeit von Hartmann als Mündel in seiner Hand. Freiburg sogar von Kyburg, also zwischen 1229 und 1263, muß Rudolf huldigen9). Die Habsburger be­ hatte Laupen mit Freiburg ein Bündnis ab­ setzen Burgdorf, Grasburg, Laupen, sie rük- geschlossen. Wir besitzen zwar dafür nur ken in die Waadt vor, und sie zetteln eine ein indirektes Zeugnis. 1294 erneuert die allgemeine Empörung, eine Erhebung der Bürgerschaft von Laupen das seinerzeit unter Städte und des Adels, gegen die Grafen von Graf Hartmann dem Jüngeren von Kyburg Savoyen an. Im Frieden von Murten am schon geschlossene Bündnis mit Freiburg17). 8. September 1267 behauptet Rudolf von Daraus dürfen wir mindestens schließen, daß Habsburg seine Macht. In diesem Krieg war Laupen schon zur Zeit des Grafen Hart­ es Graf Peter kurze Zeit gelungen, 1267, die mann als selbständige Stadt handelte, sonst Festung des Reiches an der Saane und der hätte es nicht ein Bündnis mit der mächtigen Sense, unser Laupen, nach erfolgreicher Be­ Stadt an der Saane eingehen können. In lagerung in seine Hand zu bringen10). dieser Zeit von 1295 erschien König Adolf Doch als Graf Peter von Savoyen im Mai von Nassau, von Bern herkommend, in Lau­ 1268 stirbt, da treffen wir auf Laupen be­ pen, er bestätigte die Laupener Handfeste. reits wieder einen habsburgischen Vasallen, Sein Nachfolger, König Albrecht, setzte den Ulrich von Maggenberg11). Das war 1269. in der Innerschweiz berüchtigten Grafen Otto 1270 nennt er sich selbstbewußt Castellan von Straßberg als burgundischen Landvogt von Laupen12). Ulrich von Maggenberg galt ein. Er überwarf sich aber mit den Burgern als eigentliche Stütze der Habsburger im Laupens, die sich nun notgedrungen mit Uechtland. 1267 war er mit der Vogtei des Bern, statt mit Freiburg, verbündeten. Der habsburgischen Besitzes am linken Senseufer Vertrag lief von 1301 an auf 10 Jahre. Es belehnt, auch Gümmenen lag in seiner Hand, verhält sich mit Laupen wie mit ändern als Schultheiß von Freiburg und Reichsvogt Städten: Das 1275 verliehene Stadtrecht ist im Uechtland trat er nun auch gegen Bern, lediglich der formalrechtliche Abschluß eines die Rivalin von Freiburg, an13). Seit am längst vollzogenen Ereignisses18). 1. Oktober 1273 Rudolf von Habsburg in Damit ist allerdings nichts zum Grün­ Frankfurt König wurde, galt Laupen wieder dungsdatum gesagt. Aber es besteht kein als Reichsgut14). Damit wurde Laupen in den Zweifel, daß Laupen Stadt wurde, gemein­ Kern der großen Entscheidung gerückt. Zu sam mit den benachbarten Gümmenen, Gras­ Laupen schlossen Bern und Freiburg 1295 burg und Oltigen, wohl nur kurze Zeit Frieden. Im Laupenkrieg fiel dann das Los nach der abgeschlossenen Gründung von für Bern, gegen Freiburg und damit auch Bern und Freiburg19). Im Rahmen der zäh­ gegen Habsburg. ringischen Festungspolitik auf Grenzreichs­ Damals wird Laupen urkundlich stets boden bildete Laupen ein Glied in der wich­ castrum genannt, so 1253, 1264 und 127015). tigen Kette. Die Stadt am Burghügel erhielt als beson­ Seit 1294 heißt jetzt Laupen villa20), 1301 dere königliche Gunst 1275 das Stadtrecht civitas und 1309 gar villa seu oppidum, seit von Bern ausdrücklich verliehen. Damit wa­ 1310 castrum et oppidum, seit 1313 wieder ren die Einwohner der kleinen Stadt Laupen nur villa und 1324 gar munitio und „stat“21). 88 l tut r Türn. ft .J u«yu|.c t* u i . ! fittrltßm. kituixilm trmfr. ,g tftpr-f* k Um -Cj,. i Stfifi.Xftir. I fat't’ttx.i/i l~ • f j n toäfjttr U*A, O p n t y s l Äg» # ,y-- , I «c«i ffiaJr i r r Mia i nW ^ fu rtf f-J, r u n ^ ire 5.-ilrt»r. p q m S fa u tym .. t - 23fwr«., ««J 3 ^ fl"1 $«Ä«Mt.V tn trt -£f«r fl**« „ Prospect der Festung und Statt Lauppen“. Eine aquarellierte Federzeichnung von Xiklaus Sprünglin aus dem Jahre 1764, die sich im Kunstmuseum Bern befindet.

Nach außen wird die Institutionalisierung der Pfarrei Neuenegg, senseaufwärts. Die deutlich etwa im Ausdruck communitas bur- Stadt hatte sich mit einer kleinen Kapelle gensium et habitatorum im Jahre 1324. Seit mit Taufstein zu begnügen, mindestens ist 1301 sind die Räte faßbar (consules). Die ein „curatus“ dieser Kapelle schon 1307 ur­ Gesamtheit der Bürgerschaft tritt uns gleich­ kundlich nachgewiesen26). Das Recht, Taufen zeitig entgegen (consules et universitas de in Laupen selbst zu spenden, fällt in die Zeit Louppen). 1309 heißen sie burgenses et von 1356. Noch immer aber ist Laupen communitas oppidi. Der Schultheiß ist wie Tochter von Neuenegg. Es besaß auch keinen anderswo22) erst etwas später deutlich faß­ eigenen Friedhof. Wahrscheinlich mußten die bar, in Laupen tritt er 1309 als sculthetus Laupener an Sonn- und Festtagen die Messe neben die universitas ville23). Das Stadtsie­ in Neuenegg besuchen. Erst nach der Refor­ gel aber — sigillum communitatis — hängt mation erhielt Laupen das Recht für eine seit 1294 schon an den Urkunden Laupens24). eigene Pfarrei27). Aus der Zeit der Verleihung des Stadt­ So wichtig Laupen im Rahmen zuerst der rechtes wird auch das Marktrecht datieren, zähringischen Grenzpolitik schien, so sehr wie anderorts, obgleich es erst 1467 erstmals es später in der Mitte der Auseinanderset­ urkundlich faßbar wird, aber althergebracht, zung zwischen Bern und Freiburg stand, für was wohl heißt, daß es so alt sei wie das die hohe Politik war es lediglich ein Stein Stadtrecht selber25). im Brett. Es teilte das Los aller dieser klei­ Wie viele andere Städte der deutschen nen Städte und Festungen auf Reichsboden, Schweiz besaß die Stadt lange keine eigene wurde verpfändet und versetzt, so zum Bei­ Kirche. Laupen unterstand kirchenrechtlich spiel 1310 von König Heinrich VII. an 89 Grandson28). Noch knapp vor dem Laupen- te33). Sogar die Landwirtschaft mußte sich krieg aber, 1324, erwarb Bern in einem über den engen Raum beklagen, dazu brach­ schnellen Zugriff die Stadt Laupen, die Burg te die Sense oft Hochwasser und Holz. So vor allem und die Herrschaft Laupen. Un­ blieb also Laupen auf den Durchgangsver­ ser Laupen bildete so im Rahmen der ein­ kehr angewiesen. Die Brücken erzwangen zigartigen bernischen Territorialpolitik Fun­ wenigstens dies. Durch einen Zufall eigent­ dament und Eckstein zugleich29). Laupen lich vernehmen wir erst spät davon. Kaiser war jetzt zwar bernisch, mit seiner stolzen Karl IV. verlangte 1365, auf der Durch­ Eigenständigkeit aber war es aus. Seit dieser fahrt, die Wiederherstellung der beschädig­ Zeit hauste auf der Burg Laupen der berni- ten Brücken34). Früher gab es hier wohl nur sche Landvogt, der die Bernerfahne hißte. Furten oder Fähren. Diese sind aber urkund­ Von diesem Moment an begann der Schlaf lich nicht belegbar. Wichtig war für Laupen einer kleinen Stadt, die sich auch äußerlich vor allem die Sensebrücke auf dem Weg von jahrhundertelang nur unwesentlich verän­ Bern nach Freiburg. Die Saanebrücke am derte. Weg nach Murten folgte auf dem Fuß. Aber Noch heute läßt sich im Antlitz der Stadt der Weg von Bern nach Murten über Güm- unschwer das Konzept seiner Gründer ab­ menen lief Laupen schon früh den Rang ab. lesen. Der Burghügel schiebt sich zwischen Es wurde stiller in Laupen und nordseits Vorburg und Sense. Die Vorburg ist eng umfahren. Das zeigte sich noch schlimmer, und wirkt ungeregelt. Hier war auch gar als die Freiburger die Brücke bei Neuenegg kein Raum zu einer planmäßigen Stadtbil­ bauten und die Straße durchs Mühletal führ­ dung. Es ist hier wohl einfach eine vorstädti­ ten. Für Laupen bedeutete das das Ende. sche Siedlung ummauert worden. Das Ge­ Mit dem Transit war es aus. Laupen wurde lände tat das übrige. Das Freiburger Tor so zum abseitigen Städtchen ohne Bedeutung führte zur Brücke über die Sense und diente und es teilte das Schicksal anderer Klein­ als fester Brückenkopf. Das Bernertor ge­ städte, denken wir an Wiedlisbach35). leitete in gewundenen Gängen durch die Laupen blieb so die bescheidene Klein­ Stadt und entließ den Gast durchs Freibur­ stadt. 1499 besaß es 32 Feuerstellen bei einer ger- oder Murtentor. Laupen ist ein Zwangs­ Herdzählung, das dürfte an Bevölkerung, wechsel. Der Verkehr muß durch die Stadt nach den üblichen Ansätzen, kaum 200 Ein­ gehen, entlang der winkligen verbogenen wohner ausgemacht haben36). Laupen sta­ . In Laupen gibt es keinerlei gnierte also, seit durch die Brücke von Neuen­ Stadterweiterung, ja, nicht einmal der vor­ egg der Weg von Bern nach Freiburg erheb­ handene Raum ist mit Hofstätten ganz be­ lich verkürzt worden war, auf Kosten der legt worden30). kleinen Stadt an der Sense37). Die wirtschaft­ lichen Verhältnisse hatten sich radikal ge­ Es gab schon 1353 eine Mühle hier und ändert. In der römischen Zeit führte die bald auch eine Säge, die ja zum Königsforst Straße von Aventicum über Laupen nach gehörte und schließlich eine Schleiferei. Das der bedeutenden Engehalbinsel bei Bern. ist das ganze nachweisbare mittelalterliche Später diente die einst wichtige Römer­ Gewerbe31). straße, jetzt nurmehr ein Saumweg, als Salz­ Dienstleute sind als Burghut auf der Burg straße von Burgund her. nachgewiesen. Es sind Stadtburger, die zu Im Mittelalter stand Laupen, als Etappe, Laupen gehören32). Weder in Bern noch in an der Straße von Bern nach Freiburg und Freiburg erscheinen Laupener als Kaufleu­ Murten. Die Verkürzung der Straße hatte 90 Blick über das Sensetal zum Schloßfelsen, hinter dem sich das Städtchen Laupen verbirgt. phot. B. Bast, Freiburg i. Ue. die kleine Stadt in den Hintergrund ge­ hier im Umkreis um den alten Stadtkern rückt. eine Einwohnerschaft vorzufinden von mehr Kaiser und Könige waren zu Laupen Gast, als 2050 Menschen. Nur eine Stadt fühlt so nach der Legende zuerst faßbar die gute stark den Pulsschlag der Zeit. Königin Berta, dann König Rudolf III. von Burgund, Rudolf von Habsburg, König Adolf von Nassau, Heinrich VII., Kaiser Anmerkungen *) Emil Blösch, Geschichte von Laupen, Bern Karl IV. und 1414 König Sigismund. 1875. Heinrich Türler, Das Schloß Laupen, Ber­ Heute steht Laupen, erneut im Bannkreis ner Taschenbuch 1925. Hugo Balmer, Führer des modernen Bern, in einem steilen Auf­ durch Laupen, Bern 1923. Emil Peter Hürlimann, Burg und Festung Laupen. Laupen 1939, mit gu­ stieg begriffen. Die ca. 200 Einwohner des ten Plänen und aufschlußreichen Abbildungen. Mittelalters würden sich sehr wundern, heute Die Zähringerstädte, Dokumente zum Städtebau

91 des Hochmittelalters, Thun 1964. Die moderne 16) FRB 3, 122, Nr. 126 vom 11. Juli 1275, Literatur ist hier vorausgesetzt. Franz Moser — ausgestellt in Baden „cives oppidi nostri Loupen“. Der Laupenkrieg 1339, Bern 1939. 17) FRB 3, 589, Nr. 596, Juni 1294. 2) Balmer 20 und Art. Laupen in HBLS, 4, 18) G. Boesch, Sempach im Mittelalter. Eine 617, von Hugo Balmer. rechts- und wirtschaftsgeschichtliche Untersuchung 3) Fontes rerum Bernensium 1, 454 f. und FRB zur Stadtgründung und Stadtverfassung, Zürich 2, 364. Die Grafen von Laupen standen in der 1948, 95. zähringischen Rektoratszeit der Grafschaft von 1!)) Fribourg — Freiburg 43 ff. Gustav Schnü­ Bargen, später Aarburgund vor, und sind bis rer, Die Gründung Freiburgs im Uechtland und 1253 erwähnt. Balmer HBLS 4, 616. die Kaiserin Beatrix, FG 29 (1927) und Feiler, 4) FRB 2, 403, Nr. 382 vom 3. Nov. 1255. Bern 1, 22 und, diese Arbeit korrigierend, Hans „Lopen ... a nobis et imperio nullatenus aliena- Strahm, Der zähringische Gründungsplan der bimus.“ Stadt Bern, in: Festgabe Richard Feiler, Hans 5) Bernhard Schmid, Altes Königsgut zwischen Strahm, Verfassungstopographie der mittelalter­ Genfersee und Aare. Festschrift für Richard Fei­ lichen Stadt mit besonderer Berücksichtigung des ler, in: Archiv des Historischen Vereins des Kan­ Gründungsplanes der Stadt Bern, ZSG 1950, tons Bern 39 (1948), 331 ff. 372 ss. Heinrich Büttner, Friedrich Barbarossa 6) Bernhard Schmid, Forst und Forestis als und Burgund. Studien zur Politik der Staufer Reichsgebiet. Festgabe Hermann Rennefahrt, in: während des 12. Jahrhunderts. Verträge und For­ Archiv 44 (1958), 589 ff. Albert Büchi, Die histo­ schungen, Bd. 12, Konstanz 1969, 80—119. rische Sprachgrenze im Kt. Freiburg. Freib. Ge­ 20) FRB 3, 589, N r. 596. schichtsblätter FG 3 (1896). Guntram Saladin, äl) FRB 4, 62, 53 / 4, 355, 323 / 4, 431, 402 / Zur Siedlungsgeschichte des freiburgischen Sense­ 4, 540, 515 / 5, 422, 379 / 4, 423, 380. bezirkes, FG (1927). Bruno Roth, Die romanisch- 22) FRB 3, 596, 589 / 4, 62, 53 / 4, 355, 323. deutsche Sprachgrenze im Murtenbiet während 23) FRB 4, 540, N r. 515. des 14. Jahrhunderts, FG 53 (1965). Ernst Flücki­ 24) FRB 3, 589, N r. 596. ger, Die Sprachgrenze im Murtenbiet, FG 45 25) W elti, Stadtrecht BE, 1, 197. (1953). 28) FRB 8, 149, Nr. 402. 7) FRB 2, 364 und 392, Hans Strahm, Der 27) Guggisberg Kurt. älteste schweizerische Bundesbrief. Zum 700. Jah­ 28) FRB 4, 431, Nr. 402. restag des Bundes zwischen Freiburg und Bern 29) Feiler, 1, 117, Moser, Laupenkrieg 84, vom 20. November 1243, Berner Zeitschrift f. Freiburg u. die österr. Diplomatie 44. Geschichte, 1944, 35 ff. Bruno Meyer, Studien 30) Ähnlich wie ändern Kleinstädten, vgl. zum habsburgischen Hausrecht; IV. Das Ende des Boesch — Sempach 103. Hauses Kyburg, ZSG 27 (1947) 273 ff. und die 31) FRB 8, 9, N r. 24. dort zitierte einschlägige Literatur zum Thema, und FRB 2, 590 Nr. 556. 32) In den Urkunden sind etwa namentlich er­ 8) FRB 2, 589 Nr. 556 vom 16. Januar 1264. wähnt die Vehringen 1312, Menntzenwile 1337, 9) Fribourg — Freiburg 1157—1481, Gedenk­ Helfenstein 1342, vgl. FRB 4, 407, 6, 363, 6, 662. band zur 800-Jahrfeier, Freiburg 1957, Kapitel: 3S) Hektor Ammann, Mittelalterliche Wirt­ La politique exterieure de Fribourg depuis ses schaft im Alltag. Die Freiburger Notariatsregi­ origines . . . par Gaston Castella, 151. ster, 3 Bde., Aarau 1942 ff. Hektor Ammann, 10) Revue historique vaudoise 1907, 356—361. Freiburg und Bern und die Genfer Messen, Lan­ u) FRB 2, 722, Nr. 666 vom 10. Juli 1269 und gensalza 1921. Hektor Ammann, Freiburg als Albert Büchi, Die Ritter von Maggenberg, in: Wirtschaftsplatz im Mittelalter, Fribourg — Frei­ FG 15 (1908) 70 ff. Ferdinand Rüegg, Conrad burg, 184 ff von Maggenberg, Miteigentümer der Herrschaft 34) FRB 8, 629, Nr. 1565. Pont-en-Ogoz als Lehensträger des Grafen Hart­ 35) Hektor Ammann, Die Schweiz. Kleinstadt manns von Kyburg zum Schutze des hl. Bonifaz, in der ma. Wirtschaft, in: Festschrift Walter Merz, Bischof von Lausanne, FG 48 (1958) 161, 173. Aarau 1928, 158—215 vgl. Beiträge z. Wirt­ 12) FRB 2, 742, Nr. 688. schafts- und Stadtgeschichte, Festschrift Hektor 13) Büchi, Maggenberg 90. Ammann, Wiesbaden 1965, 393. 14) Richard Feiler, Geschichte Berns, Bern 1946, 36) StA Bern III/2, 77. 3. Aufl. 1, 57. 37) Balmer 38 meint, daß Laupen im Mittel­ 15) FRB 2, 364, Nr. 339, 589, Nr. 556, 764, alter etwa 500 Einwohner aufgewiesen habe. Nr. 707. Diese Zahl kann aber unmöglich zutreffen.

92 Gümmenen

Gottfried ßoesch

Am rechten Ufer der Saane, da, wo ein Falle Gümmenens war das sinnlos. Freiburg enges Seitentälchen ausmündet, da liegt das oder Murten gegenüber läge der Fall anders. alte Gümmenen (Gummen - tiefe Schlucht). Aber, was als Platz sich zu einer Stadt­ Fluß und Felsen bieten guten Schutz. Die gründung als günstig erwies für den savoyi­ wichtige Verbindung von Bern nach Murten schen Grafen, das war es für die Zähringer und weiter westwärts war auf diesen Fluß­ schon in viel bedeutenderem Maße. Bern war übergang angewiesen. Hier gelang es un­ zähringisch, Murten auch, Gümmenen mußte schwer, die Höhendifferenz hinunter zum Bindeglied werden. Die Zähringer wußten Saaneufer zu überwinden. Das war die Be­ sicher diesen hervorragenden Saaneübergang deutung des Platzes, nicht der Markt. Denn zu schätzen, genau so wie den Übergang über der Markt dieser kleinen Stadt erschien durch die Sense bei Laupen. Auch wenn kein ur­ den großen Berns, aber auch von Laupen, kundlicher Beleg für eine zähringische Stadt­ Murten, ja sogar von Aarberg erdrückt1). gründung für Gümmenen vorgelegt werden Gümmenen (Guminon) ist urkundlich erst­ kann — es ist vollkommen ausgeschlossen, mals 1251/1252 greifbar2). Von größerer Be­ daß die Zähringer diesen Platz nicht erkannt deutung wird es erst in den Savoyerfehden, hätten. Er gehörte einfach zum zähringischen da Graf Peter von Savoyen, im Kampf um Befestigungssystem nach dem Westen zu. Da­ das deutsch-romanische Grenzgebiet, vom zu kommt aber noch ein weiteres wesent­ schwachen König Richard sich den wichtigen liches Argument. Gümmenen lag auf Reichs­ Raum zwischen Murten und Bern rechtens boden. Es wird später immer wieder als überschreiben ließ, um seinen ungestümen Reichsfestung bezeichnet6). Wie hätte sonst Expansionsdrang zu stillen3). Für Graf Peter der ferne König Richard von Cornwall sei­ war Gümmenen von höchster Bedeutung. nem, ihm nahen Verwandten, Graf Peter, Schon besaß er seit 1255 Murten, in Bern diesen Platz nebst Laupen und Grasburg ab­ agitierte die savoyische Partei äußerst ge­ treten können? schickt. Mit Gümmenen hatte der Graf auf Es bleibt nur der Schluß: Die Zähringer dem Weg von Murten nach Bern einen ent­ müssen den wichtigen Übergang in ihren scheidenden Stützpunkt gewonnen. Ludwig Grenzkämpfen ausgebaut und durch Um­ Wurstemberger vertritt in seinem monumen­ mauerung des alten vorstädtischen Ortes zur talen vierbändigen Werk über Graf Peter Talsperre erhoben haben. Das wird um etwa von Savoyen die Ansicht, daß Gümmenen 1200 gewesen sein und gehört als Bestandteil erst in der savoyischen Zeit wirklich Stadt zu den damaligen entscheidenden Kämpfen7). geworden sei, mit Mauern und Türmen, Grä­ Mit der Schenkung von König Richard an ben, wohl auch mit ungeschriebenem Stadt­ Graf Peter 1259 usurpierte der Savoyer das recht4). Graf Peter von Savoyen ist tatsäch­ Recht, dieses Reichsgut den bisherigen Besit­ lich ein überlegener Städtebauer. Es wiegt zern wegzunehmen, genau so wie er 1263 aber noch mehr, daß die frühe bernische Laupen und Murten wegnahm. Wahrlich eine Chronistik, mit Justinger etwa, immer neu sehr schmale Rechtsgrundlage8). betonte, Gümmenen sei unter Savoyer-Herr- Seit 1259 wird die städtische Situation schaft erst zur Stadt erhoben worden5). Na­ deutlich faßbar. Graf Peter gelang es 1266, türlich kann das auch tendenziös sein, um den erst nach einem zweimaligen Feldzug, Güm­ Primat Berns besser hervorzuheben. Aber im menen zu erobern. Es lag damals noch im 93 Besitz des Grafen Rudolf von Habsburg, der den gefährlichen Einfluß von Westen her zu bekanntlich die Kyburger Erbschaft an sich paralysieren. Es liefen sofort Verhandlungen gerissen hatte9). Genau gleich ging es bei an, die die Rückgabe der Reichsfesten Murten Laupen und Grasburg. und Gümmenen, aber auch von Payerne er­ In der Hand des Habsburgers konnte also zwingen sollten12). Der habsburgisch-savoyi- die Besatzung Gümmenens 1266 gegen den sche Handel drängte dem Siedepunkt zu. Die Savoyer erfolgreich Widerstand leisten. Poli­ Verhandlungen scheiterten. So blieb König tisch ist für uns weiterhin wichtig zu wissen, Rudolf von Habsburg nur der Krieg. Uber daß Gümmenen aus der kyburgischen Erb­ diesen Feldzug nach Payerne, 1283, mit der masse an Habsburg fiel. Wenn aber Gümme­ Gümmenenfehde, sind wir über die bernischen nen 1264 kyburgisch war, muß es offenbar Chronisten gut unterrichtet13). Die Stationen 1218 von den Zähringern an die Kyburger dieser Expedition: Moudon, Murten und gelangt sein, ebenfalls als Parallele zu Lau­ Gümmenen werden alle als oppida (Gumina pen und Grasburg, wo die Quellenlage uns opidum) bezeichnet, also befestigte Städte. bessere Informationen zuspielt. König Rudolf nennt die Einwohner in einer Ein Letztes — die zähringischen Ministe­ Urkunde cives, also Stadtburger. Das galt rialen d’Oleyres, wesentlich beteiligt bei der insbesondere auch für Gümmenen14). Die von Gründung des zähringischen Murten, hatten den Savoyern mit größtem Können ausgebau­ in Gümmenen Rechte über die Schifflände, ten Festungen fielen, auch Gümmenen, im die Lenda und auch die Fähre in ihrer Faust. Frieden von Peterlingen 1283 zwischen Kö­ Wir wissen davon durch den Verkauf der nig Rudolf und Peters Nachfolger, Graf Phi­ Murtener-Ministerialen an Savoyen im Jahre lipp von Savoyen, wieder zurück ans Reich15). 127310). Nach dem Feldzug, 1288, überträgt der Kö­ Seit 1266 blieb für lange Zeit Gümmenen nig Burghut und Reichsvogtei im wichtigen unter savoyischer Besatzung. Peter von Sot- Gümmenen seinem Getreuen, dem Freiburger tens amtet hier sofort als savoyischer Kastlan. Schultheißen Ulrich von Maggenberg. Wir Die Lebensmittelversorgung erfolgt von We­ haben ihn in gleicher Stellung schon in Lau­ sten her (Yverdon). Es mag sein und ist auch pen beobachtet. Er amtet auch hier als Reichs­ wahrscheinlich, daß Peter von Sottens einer kastellan. Die Urkunde erwähnt für Güm­ jener berühmten Festungstechniker des Sa- menen damals Hofstättenzinse, Zeugnisse voyers war, den sein eigenes Befestigungs­ also einer wohl organisierten Stadt und auch system weithin berühmt machte. Auf jeden ein Steinhaus innerhalb des Castrum16). Aber Fall werden die Gümmener Befestigungen wir wissen nichts von einem Stadtrecht, nichts 1271 einer Inspektion unterzogen. Der sa- von einem Schultheißen, nichts vom Markt. voyische Kastlan aus dem freiburgischen Rue Der Charakter von Gümmenen ist kriegerisch übernimmt diese Inspektion. Bis 1282 sind und nicht bürgerlich. savoyische Kastellane erwähnt, als Castrum Auch eine Kirche besaß es nicht, es war ist der Platz erst seit 1282 ausdrüddich ge­ Mühleberg eingepfarrt. Aber Stadt war es nannt, ein weiterer Beleg dafür, wie spät oft trotzdem . historische Zeugnisse für ein längst erfolgtes Doch in der Zeit nach der Ermordung Kö­ Ereignis greifbar werden11). nig Albrechts, 1308, nach dem verlorenen Dieser Ausbau der Festung Gümmenen in Morgartenkrieg von 1315, hatte Gümmenen der Zeit von 1266 und 1282 unter Graf Peter in der Hand Habsburgs an Bedeutung einge­ und Philipp von Savoyen ist kein Zufall. büßt. So verkauften denn die beauftragten 1273 war Rudolf von Habsburg König ge­ Herren von Maggenberg, Reichskastellane in worden. Jetzt besaß er alle Machtmittel, um Gümmenen, Castrum und Stadt am Saane- 94 Übergang 1319 an die Freiburger Kauf leute den zurück und teilte Gümmenen der Ver­ von Praroman, und diese an Freiburg samt waltung des Landgerichtes Sternenberg zu25). Fähre und Schifflände17). 1325 erwarben die Nicht einmal eine eigene Gemeinde blieb es Herren von Wippingen den Platz und traten damals. Aus der Stadt war ein bäuerlicher ihn sofort an Savoyen ab18). Auf jeden Fall Weiler geworden. Aufstieg gab es keinen wurde jetzt Gümmenen als antibernische Fe­ mehr. Nur schwer können wir an Ort und stung eingesetzt, Zankapfel zwischen Bern Stelle ein Bild gewinnen. Klar dominiert die und Freiburg. Justinger erzählt uns ausführ­ Burg, südlich des ehemaligen Städtchens. Sie lich, wie im folgenden Gümmenenkrieg (1331 schützte sich durch Felsen auf drei Seiten, wie bis 1333) der Kastellan von Gümmenen die die Grasburg. bernfreundlichen Bauern im Forst belästigte Die vierte Seite sicherte ein doppelter Gra­ und plünderte19). Der Krieg war unumgäng­ ben. Die Reichsfeste deckte die Stadt, ver­ lich. Die Stellungen bezogen. stärkt durch ein nördliches Vorwerk auf dem Auf der Seite der Waadt standen Freiburg, anderen Hügel. Zwischen zwei Festungen lag die Bischöfe von Lausanne und Sitten, die das Städtchen, tief in der Schlucht, auf knapp­ Grafen von Greyerz, von Valangin und Graf stem Raum zusammengedrängt. Da bedurfte Eberhard von Kyburg und der freiburgische es kaum mehr umfangreicher Stadtmauern Adel. Auf der Seite Berns aber: die Städte und Vorwerke. Gümmenen war mehr Vor­ Basel, Solothurn und Biel, der Bischof von burg als Stadt wohl. Basel, Grafen und Ritter aus dem von Bern Markt hatte kaum Platz. Der Transitver­ beherrschten Vorraum20). Bern zerstörte un­ kehr war wesentlicher. Nach Türler löste die verzüglich die kyburgischen Stützpunkte, Fähre von Gümmenen früh schon jene von sechs wichtige Burgen, von FFerzogenbuchsee, Marfeldingen über die Aare ab26). Damit war über Landshut, schließlich auch Gümmenen, der Nachschub von Korn und Salz aus Bur­ den Stützpunkt, von dem aus Freiburg seine gund für Bern wesentlich verkürzt worden. gefährlichen Vorstöße ins Bernische unter­ Fähre und Schifflände an der Saane hatten nommen hatte. Der Krieg endete sieglos, mit längst vor 1273, da sie zufällig und erstmals Leid und Zerstörung. Das Gümmenenlied erwähnt werden, ihre hohe Bedeutung. 1454 weiß davon zu berichten21). Aber eines wurde löste die Brücke die alte Fähre ab27). Dieser erreicht. Savoyen hatte auf Gümmenen zu Übergang war wirtschaftlich von entschei­ verzichten. Es blieb in der FFand Freiburgs dender Bedeutung. Schifflände und Fähre ge­ bis zum Jahre 1448. Damit hatte Gümmenen hen 1288 (navigium seu passagium) von Kö­ als Zünglein an der Waage ausgespielt. Seine nig Rudolf an die Herren von Maggenberg28), große Zeit im Grenzraum war zu Ende. Es ob beide 1319 an Freiburg gelangen29) oder begann die Idylle einer belanglosen Land­ erst 1334 über einen Freiburger Burger30) stadt, bis zum Anbruch der neuen Zeit, da bleibt offen. Beide sind die Lebensadern der „Neugümmenen“ aufsteigen wird. Stadt und brachten Handel und Wandel Die Zerstörung von Stadt und Burg Güm­ nach Gümmenen, auch wenn wir von einem menen war endgültig, nach 1331, da „bürg städtischen Gewerbe nichts wissen. Die etwa und stat gesleiffet und getorsten“22). Was 200 Einwohner — Größe des Städtchens Freiburg 1448/1467 an Bern noch abtrat, wa­ Laupen also — lebten vom Transitverkehr ren die Ruinen von 1331 des Castrum und und von der bäuerlichen Wirtschaft am der öde Stadtplatz23). Bern tröstete Gümme­ Forst. nen über den Verlust der eigenen Stadtherr­ Anmerkungen zu Gümmenen lichkeit hinweg, indem es Gümmenen einen 7) E. Lüthi, Die alte Reichsstadt Gümmenen eigenen Vogt zubilligte24). 1467 zog es auch und ihre Umgebung. Bern 1913. Dabei eine gute

95 Situationsskizze. Peter Böschung, die Entstehung >2) FRB 3, 344, 345. des Zollamtsbezirkes Sensebrück, Freib. Ge­ 13) Justinger 28. schichtsblätter 48 (1958). 14) FRB 3, 373, 377 und Feiler Gesch. Berns 1, 2) FRB 2, 321, „apud Guminon“. 117 ff. 3) FRB 3, 474. 15) FRB 3, 471 und Albert Büchi, die Herren 4) Ludwig Wurstemberger, Peter der Zweite, von Maggenberg. Freib. Geschichtsbl. 15 (1908) Graf von Savoyen, Markgraf in Italien, sein 81 ff. Haus und seine Lande. Ein Charakterbild des lc) FRB 3, 471 „domum nostram lapideam“. 13. Jahrhunderts, diplomatisch bearbeitet mit 17) Büchi Maggenberg 103 ff., 109 ff. einem Urkundenbuche. 4 Bände, Bern/Zürich ls) FRB 5, 72 und 414 „Castrum cum villa in- 1856/58. Band 1, 433 ff. feriori dicti castri“. 5) Justinger 55, 18, 20. 19) Justinger 63 ff. 6) FRB 2, Nr. 382 vom 3. Nov. 1255 und 20) Heinrich Türler nach HBLS 3, 790. FRB 3, 471 „apud Contaminum“. 21) Bei Justinger, Bernerchronik und in Lilien- 7) Heinrich Türler meint sogar, die Burg sei als crons Sammlung historischer Volkslieder, und Nachfolgerin einer alemannischen Erdburg zu hier nach Büchi-Maggenberg 104 ff. werten. HBLS 3, 790. 22) Justinger 63 ff. Moser, Laupenkrieg. Der 8) FRB und UBZ 3, 1235. Gümmenenkrieg 29. 9) Victor van Berchem, Les dernieres campag- 23) FRB 6, 155. nes de Pierre II, comte de Savoie, en Valais et en 24) Nach Heinrich Türler HBLS 3, 790. Suisse. Revue d’histoire vaudoise 15 (1907), 326 ff. B. Roth, Die romanisch-deutsche Sprach­ 25) Welti, Berner Stadtrechnungen 2, 260 ff. grenze im Murtenbiet. Freib. Geschichtsblätter 53 26) HBLS 3, 790 nach Türler. (1965). Ernst Flückiger, Die Sprachgrenze im 27) FRB 3, 471. Murtenbiet, FG 45 (1953). 28) FRB 5, 72, 3, 471 und Büchi Maggenberg 10) StA Lausanne, Turiner Kopien, Ab 8, 174. 93 ff. u) FRB 2, 705 und 3, 341 und Chiaudano 1, 29) FRB 6, 155. 108 und 1, 224; 2, 226, 28, 32, 33. 30) StA Lausanne, Turiner Kopien Ab 8, 174.

96 Oltigen

Gottfried Boesch

Zählt Oltigen zu den Zähringerstädten? oder kleine Burgstadt8). Es ist also durchaus Nirgends wird es so bezeichnet, obgleich erlaubt zu sagen, daß Oltigen im 14. und im schon vor Jahrzehnten Heinrich Türler1) sich 15. Jahrhundert wirklich ein bescheidenes positiv geäußert hatte. Oltigen liegt an der Städtchen war. Die Brücke über die Aare ist Aare, unterhalb Bern, knapp nach der Ein­ hier schon 1225 nachweisbar9). Es wird also mündung der Saane. Auch hier stand die die Stadt dazu gehören. Damit sind wir aher Burg zuerst. Sitz der bedeutenden Grafen in der zeitlichen Grenzzone von 1218, da die von Oltigen, von denen Burkard Bischof von Zähringer ausstarben. Niemand hätte nach Lausanne war, später der Freiherren von Ol­ ihnen weder Interesse noch Kraft ausweisen tigen, und schließlich der Zähringer Ministe­ können, hier vor der Burg, bei der Brücke, rialen. Zu Füßen der Burg schien der Raum eine „Stadt“ zu errichten. Oltigen hatte nur zu einer Stadtgründung sehr eingeschränkt. in diesem zähringischen System einen Sinn. Über die bedeutsame Burg ist hier nicht zu Als die Altkyburger ausstarben, 1263, da war handeln. Nur die zähringischen Bezüge seien es um Oltigen geschehen10). Die Neukyburger knapp erwähnt. Die Grafen besaßen die wußten damit nicht sehr viel anzufangen. Vogtei über Kleinburgund, ihre Burg fiel Bis es 1363 an Österreich verpfändet wurde, über Burgund an das Haus Zähringen. Das blieb es bescheidener Sitz einer Herrschaft11). war 1127. Damit wechselte auf der Burg Daß Oltigen schließlich nach 1363 an die sicher die Besatzung2). Doch 1218 fiel die Neuenburger fiel, ist dem Erbgang zuzu­ Herrschaft an die kyburgischen Erben. 1225 schreiben, der Übergang hingegen an die sind Spuren einer städtischen Anlage zu fas­ Grafen von Savoyen, nach 1402, ist unge­ sen3). Damals ist auch erstmals eine Brücke klärt12). Bauern der Umgebung zerstörten über die Aare erwähnt. Das setzt einen star­ 1410 Burg und Stadt und Bern behändigte ken Verkehr voraus, dem eine Fähre nicht die Ruine 141013). Bald wurde der wichtige mehr genügte4). Eindeutig städtischen Cha­ Platz Laupen untergeordnet. Ähnlich wie bei rakter weist 1249 „Bucco sculthetus in Olti­ Gümmenen blieb ein bäuerlicher Weiler be­ gen“ auf und ebenfalls 1287 ein burgensis stehen. von Oltigen5). In einer Urfehde-Urkunde Die Stadt oder Vorburg zu Oltigen stand von 1317 ist das Städtchen Oltigen nochmals wohl immer im Banne der Burg, ähnlich wie zu fassen. Dem Verbannten Ulrich Heltau bei Grasburg, und ist ohne diese nicht denk­ wird erlaubt, in Oltigen und in Aarberg zu bar. In der Stadt wohnten wohl auch Leute wohnen6). In dieser Urfehde des ins Bistum der Burgbesatzung. Die Ministerialen gehör­ Lausanne verbannten Mannes wird betont, ten zu Burg und Stadt14). Die Ritter von er dürfe in das Tal von Oltigen fahren. Hier Oltigen zählten dazu im 13. Jahrhundert15), aber bedeutet „Tal“, wie in mittelrheinischen später waren die Thüding von Düdingen Kastellane, noch später, 1405, besaß Rudolf Stadturkunden = Vorburg, Zwergstadt. von Schüpfen das Burglehen16). Bürgernamen Noch zu Beginn des 15. Jahrhunderts heißt sind nicht überliefert, an Berufen 1353 ledig­ Oltigen Stadt, oppidum also, genau wie Aar­ lich ein Pfister17). Kirchgenössig gehörte das berg7). 1401 und 1412 nennen Urkunden Städtchen zu Radelfingen18). Es ist nicht ein­ Oltigen „Fortalitium“, das heißt im franzö­ mal sicher auszumachen, wo die „Stadt“ sischen Sprachgebiet aber eindeutig Vorburg eigentlich lag. Wohl ganz bei der Burg selbst,

7 Badische Heimat 1970 97 auf einer schmalen Terrasse, zwischen dem Staufer während des 12. Jahrhunderts. Vorträge und Forschungen Bd. 12, Konstanz 1969, S. 79 ff. Castrum und dem Steilabsturz der Felsen, 2) FRB 1, 360, dazu Liber donationum Altaeri- also gut geschützt, aber nicht ausbaufähig. pae, Arch. Frib. 6, Nr. 264. Von einem Markt ist nichts bekannt, Handel 3) FRB 2, Nr. 59, S. 71, „inter duas aquas ante pontem de Oltudenges“. wird kaum betrieben worden sein. Doch die 4) Bei jeder Stadt an einem Fluß eine bedeu­ Brücke war da, von entscheidendem Rang, tende Wende. 1225 erstmals, 1325 nach einem Jahrhundert 5) FRB 2, 280, also städtischer Beamter. Er wird schon genannt das Jahr zuvor, heißt hier erneut genannt19) und nochmals inderkybur- aber nicht Schultheiß. FRB 2, 276. Der „burgensis gischen Zeit, um 1379, erhält die kyburgische de Oltudenges“. FRB 3, 448. Herrschaft die Erlaubnis, eine neue Brücke zu 6) FRB 4, 739. 7) „Ich mag aber wol varen über die Are in dz errichten. Hatte die frühere der Guglerkrieg tal von Oltigen und in das stettli ze Arberg und (1375) zerstört, der ganz in der Nähe, in Ins, an enhein stat vürbaz.“ FRB 4, 739, S. 756. 8) StA Freiburg Notare 3433/82 und Hektor tobte?20) War diese Brücke jetzt noch sinn­ Ammann, Mittelalterliche Wirtschaft im Alltag voll? Bern hatte längst den Verkehr nach a.a.O. „Opidum seu fortalicium et castrum de Westen, sei es über Gümmenen, sei es über Oltingen in gallico nuncupatum Ostrenges, Con- stantiensis diocesis, situm supra aquam vocatum Laupen geleitet. Noch später führte der Weg ly Are prope opidum seu castrum de Arberg“ nach Freiburg über Neuenegg. Das bedeutet vom Jahre 1401. Bähler 150 und 160 verweist auf für die Stadt Oltigen eben jenes Ende von diese Deutung. Er nennt Berner Urkunden, die den Ausdruck fortalitium im Zusammenhang mit 1410, den rühmlosen Untergang eines stolzen castrum betonen. Namens, zuerst gräflich, dann freiherrlich, 9) FRB 2, 59, S. 71. schließlich noch im Range von Dienstleuten, 10) Bruno Meyer, Studien zum habsburgischen Hausrecht. IV Das Ende des Hauses Kiburg. ZSG ein steiler Abstieg vom zähringischen Boll­ 27 (1947), Heft 3, 273 ff. werk zum belanglosen bäuerlichen Weiler. “ ) FRB 8, 1321. 12) Notariatsregister Freiburg 3433/82. 13) Heinrich Türler HBLS 5, 346. 14) FRB 2, 5, S. 11 und 212, S. 221. Anmerkungen zu Oltigen 15) Bähler 188. J) Heinrich Türler in HBLS 5, 346 und E. Bäh- 16) Bähler 188, vgl. zu Schüpfer die Arbeit von ler, Versuch einer Geschichte der Herrschaft Olti­ Kläui. gen. Berner Taschenbuch 1883. Paul Kläui, Zäh- 17) FRB 7, 675. ringische Politik zwischen Alpen und Jura, Alem. 18) FRB 2, 41, S. 45 zu Radelfingen vgl. Kläui. Jahrbuch 1959. Heinrich Büttner, Friedrich Bar­ 19) FRB 5, 408, S. 450 und 5, 337, S. 382. barossa und Burgund. Studien zur Politik der 20) Feiler Bern 1, 177 ff.

98 Offenburg

Von Otto Kähni, Offenburg „Metropole der Ortenau“ und „Tor zum berge hinauf zum Rand der Schwarzwald- Herzen des Schwarzwaldes“. So wird Offen­ vorberge. Er blickt auf das dichtbesiedelte burg auf Prospekten und Poststempeln im­ Ortenauer Weinland. Behaglich hingebreitet mer wieder genannt. Beide Aussagen ent­ liegt die Stadt in der früchteschweren Land­ sprechen den Tatsachen. Mitten im lang­ schaft. Stünden noch die Wehrtürme über gestreckten Badnerland, zwischen dem der Stadtmauer, würde man den Umfang Schwarzwald und der Oberrheinischen Tief­ des ehemaligen Reichsstädtchens leicht erken­ ebene, liegt die Große Kreisstadt in der nen. Wie klein ist es im Verhältnis zur heu­ obst- und weingesegneten Ortenau, einer tigen Stadt, die sich mit ihren neuen Indu­ Kleinlandschaft am Ausgang des verkehrs­ strie- und Wohnvierteln nach allen Rich­ wichtigen Kinzigtales, die nach Norden, tungen bis zu den Banngrenzen ausdehnt. Westen und Süden weit in die Rheinebene Der Blick schweift über die weite Ebene mit hinausgreift. Schon in der Römerzeit ein ihren Ackerfluren, Wiesen, Wäldern und wichtiger Verkehrsknotenpunkt, wurde die volkreichen Dörfern. Da und dort blitzt der Stadt Eisenbahnknotenpunkt, Verkehrs­ Spiegel der Kinzig auf. Jenseits des Rhein­ und Umschlageplatz, Markt- und Kongreß­ stroms stehen die Vogesen in zarten Linien stadt. An der Bahnlinie Karlsruhe—Frei­ gegen den Himmel. Bei klarer Sicht wird burg—Basel gelegen, ist sie Ausgangspunkt das Auge auch die Silhouette des Straßburger der Schwarzwaldbahn geworden, die über Münsterturms sehen. Schon vor drei Jahr­ Triberg und Villingen zum Bodensee führt hunderten ließ sich Grimmelshausen von die­ und die zu den schönsten Gebirgsbahnen sem Bild begeistern. In seinem „Simplizissi- Deutschlands zählt. mus“ schildert er diese Oberrheinlandschaft, in welcher „die Stadt Straßburg mit ihrem Die Lage in der Landschaft hohen Münster Thurn gleichsam wie das Wer Offenburgs geographische Lage klar Hertz, mitten mit einem Leib beschlossen, erkennen und das Bild der Ortenauer Land­ hervorpranget“. Die Nähe Straßburgs hat schaft auf sich wirken lassen will, wandere neben anderen Ursachen Offenburgs Ent­ durch eines der Winzerdörfer über die Wein­ wicklung trotz der günstigen Verkehrslage 7 99 gehemmt. Zählte unsere Stadt vor 150 Jah­ Marktplatz, den historischen Charakter eini­ ren doch kaum 2500 Seelen. germaßen bewahrt. Das Salzhaus auf der östlichen Seite trägt die Stilmerkmale des Das Gesicht der Stadt Klassizismus; das Rathaus und das Land­ Heute aber ist Offenburg ein bedeutendes ratsamt, bis 1806 Königshof, d. h. Verwal­ Verkehrs- und Wirtschaftszentrum. Dem tungsgebäude der Reichslandvogtei Ortenau, Fremden bietet es ein doppeltes Gesicht: sind ansprechende Barockbauten. Über dem das altvertraute Bild des ehemaligen Reichs­ Balkon des Rathauses entdeckt der aufmerk­ städtchens und das neue Bild einer energisch same Besucher neben dem Stadtwappen, das aufstrebenden Stadt mit einer mitreißenden die „offene Burg“ darstellt, den österreichi­ Betriebsamkeit. Hinter den neuen ausge­ schen Doppeladler, das Symbol der reichs­ dehnten Wohnvierteln mit ihren Hochhäu­ unmittelbaren Stellung. Auch der Löwe auf sern grüßen die Wahrzeichen von Alt- und dem Säulenbrunnen des Fischmarktes, der Neu-Offenburg: der schön gegliederte ebenfalls von historischen Gebäuden um­ Barockturm der Mutterkirche „Heilig Kreuz“ säumt ist, hält das Doppelwappen in seinen und das Burda-Hochhaus. Am 30. Septem­ Pranken. ber 1960 wurde anläßlich der 24. Ortenauer Herbstmesse die Autobahnstrecke Appen­ Römer und Alemannen weier—Offenburg eröffnet. Ein Netz von Daß der Boden der Altstadt schon in Zufahrtsstraßen, in dem das „Offenburger römischer Zeit besiedelt war, bezeugen Ei“ schon eine gewisse Berühmtheit erlangt zahlreiche Funde, die im städtischen Ritter- hat, leitet den Autofahrer über die Kinzig­ haus-Museum aufbewahrt sind. In der brücke und durch die Kinzigvorstadt zum zweiten Hälfte des ersten nachchristlichen „Stadtbuckel“; denn die Altstadt liegt auf Jahrhunderts stießen römische Truppen einem flachen Kinzigschuttkegel. vom Legionslager Argentorate (Straßburg) Der Stadtkern ist noch von einem Mauer­ in den mittelbadischen Raum vor. Im Zug ring umgeben. Wer aber mittelalterliche dieses Vormarsches dürfte über der Kinzig Städteschönheit sehen wollte, würde von ein Castell errichtet worden sein. Dafür Offenburg enttäuscht werden. Die Jahrhun­ spricht u. a. der Grabstein eines römischen derte sind mit der Reichsstadt, von deren Centurio, der 1778 von Fischern in der Kin­ früheren Schönheit Merians Kupferstich von zig gefunden worden ist. Auf die Eroberung 1643 eine deutliche Vorstellung vermittelt, folgte die Erschließung unseres Gebietes nicht glimpflich umgegangen. Die Befesti­ durch Heerstraßen. Eine solche baute schon gungstürme sind den Kriegsverheerungen der Feldherr Cornelius Clemens im Jahre 73. zum Opfer gefallen, und die drei Stadttore Sie führte von Straßburg über den Rhein sind in der ersten Hälfte des vorigen Jahr­ durch das Kinzigtal; denn es galt, das Rhein­ hunderts abgebrochen worden. Trotzdem knie abzuschneiden, um eine kürzere Ver­ spürt der Fremde, auf dem alten Markt­ bindung zwischen den Truppen am Rhein platz, dem Stadtzentrum, angekommen, daß und an der Donau herzustellen. Der Kron­ er sich auf geschichtlichem Boden bewegt. zeuge für diese Straße ist der Meilenstein, Sein Blick fällt zuerst auf die von Senator der 1840 bei Erweiterungsbauten am Ende Dr. Burda gestiftete Ursula-Säule mit dem der Langestraße am Schwabenhauser Tor Standbild der Stadtpatronin. Während die entdeckt wurde. Er enthält die erste datier­ Hauptstraße nördlich des Neptunbrunnens bare Inschrift zwischen Rhein, Main und das Bild einer modernen Geschäftsstraße Donau und ist zugleich das früheste Zeugnis bietet, hat der südliche Teil, eben der frühere für Straßburg und die älteste Form seines

100 '0 a . •? t V 3jffl ;t;tW tffU 3^MX'fjmß $ly,fßüt4nttm' ' tßfmmfM

Plan der .Reichsstadt (des Stadtkerns).

Namens „Argentorate“. Um 100 nach Chr. unter der Botmäßigkeit des fränkischen Staa­ entstand unter Trajan eine Nord-Süd-Straße, tes stand. Und unter Karl d. Gr. wurde der die Baden-Baden und Badenweiler verband Landstrich, der sich zwischen Rhein und und die Ost-West-Verbindung auf der Ge­ Schwarzwald von der Bleich im Süden bis markung Offenburg kreuzte. Von einer bür­ zur Murg im Norden erstreckte, eine frän­ gerlichen Siedlung zeugen viele Funde römi­ kische Gaugrafschaft, die den Namen „Mor- scher Keramik, die zwischen 1936 und 1938 tenowa“ (Mortenau) trug. zutage gefördert wurden. Am aufschluß­ reichsten sind die Scherben aus Terra sigil- Ist Offenburg eine Zähringer Gründung? lata, einem feinen, roten Ton, der mit einer Im Gegensatz zu Freiburg und Villin- Glasur überzogen ist. Die 1936 geborgene gen ist für Offenburg weder eine Grün­ silberne Merkurstatuette zählt zu den kost­ dungsurkunde noch ein Marktprivileg über­ barsten Funden römischer Provinzialkultur. liefert. Aber die Tatsache, daß der Name Diese Welt römischen Lebens haben die Ale­ Offenburg fast ausschließlich in zähringi­ mannen gegen Ende des 3. Jahrhunderts zer­ schen Urkunden auftritt, sowie die terri­ stört. Die zwei Alemannengräber, die 1894 toriale Entwicklung und die politischen Ver­ im „Krummer“ freigelegt worden sind, hältnisse am Ende des 11. und zu Beginn des stammen aber erst aus der Zeit um 700, 12. Jahrhunderts zwangen die landes­ als unser Gebiet, der nordwestliche Grenz­ geschichtliche Forschung zu dem Schluß, daß gau des Alemannenlandes, schon längst die Herzöge von Zähringen als Gründer

101 Offenburgs anzusehen sind. Sie haben in Auch der Vorgang der Gründung kennzeich­ Südwestdeutschland die erste Periode der net Offenburg als eine Stadt der Zähringer; Stadtgründungen eingeleitet. Als Grafen des denn sie erfolgte wie diejenige der Städte Breisgaus und Inhaber der Grafschaft Mor- Freiburg, Villingen, Rottweil und Neuen­ tenau, die sich zwischen Rhein und Schwarz­ burg a. Rh. neben einer schon vorhandenen waldkamm von der Murg im Norden bis zur Siedlung, von der sie räumlich und rechtlich Bleich im Süden erstreckte, sowie als Schirm­ völlig getrennt blieb. Es ist das schon 926 vögte der Abtei Gengenbach, deren Grund­ erwähnte Kinzigdorf, eine Gerichts- und besitz in die Rheinebene hinausragte, haben Thingstätte der Grafschaft Mortenau. Und sie nach Theodor Mayer (Der Staat der Her­ schließlich nahm Offenburg seinen Rechtszug zoge von Zähringen; Freiburger Universi­ nach Freiburg; noch 1501 wurde ein Urteil tätsreden 20, Freiburg i. Br. 1935) als Eck­ von Offenburg nach Freiburg gezogen. Das punkte des großen Straßendreiecks, das den spricht dafür, daß Offenburg wie alle zäh­ Zähringer Staat am Oberrhein erschließen ringischen Städte mit dem Freiburger Stadt­ sollte, die Städte Freiburg, Villingen und recht bewidmet war (J. Bastian, Der Frei­ offensichtlich auch Offenburg angelegt. burger Oberhof, Veröffentlichungen des Ale- Bei dem staunenswerten Weitblick, mit dem mann. Instituts Freiburg II. 1934). die Zähringer ihre Hausmacht in Süddeutsch­ Nun ist dieser These neuerdings entschieden land und in der Schweiz durch ihre Stadt­ widersprochen worden (K. Hitzfeld, Das gründungen bewiesen haben, wäre es unver­ Rätsel über die Anfänge der Stadt Offen­ ständlich, wenn sie an dem verkehrspolitisch burg. Das Ende der Zähringer-Legende. und strategisch wichtigen Kinzigtalausgang „Die Ortenau“ 1968). Aus den Tat­ nicht einen Stützpunkt geschaffen hätten. sachen, daß die Straßburger Bischöfe grund- Auch von Norden her mußten die zähringi- und gerichts-, bzw. landesherrliche Be­ schen Lande gesichert werden. fugnisse im Offenburger Raum hatten und Die erste urkundliche Erwähnung ist im daß von Grundbesitz der zähringischen Her­ Württembergischen Urkundenbuch Bd. 1 zu zoge in den Quellen keine Rede ist, wird lesen. „Um 1101“ wird „in loco Offinburc“ gefolgert, daß Offenburg als eine Gründung eine Güterübergabe in Fischerbach und Lau­ des Bischofs von Straßburg anzusehen sei. terbach bei Oberndorf an das Kloster Alpirs- Die „Straßburger Stadt Offenburg“ sei nach bach vor mehreren Zeugen, die zum großen 1162 als bischöfliches Lehen mit der vollen Teil zähringische Ministerialien waren, be­ Gerichtsbarkeit in den Besitz der staufischen stätigt. Die ungenaue Datierung wurde neu­ Kaiserfamilie und 1199/1200 an die Zäh­ erdings gründlich überprüft. Paläographische ringer gelangt. Wenn nun der Verfechter der Untersuchungen und die Lebensdaten der in neuen These einräumt, daß es sich um ein der Urkundennotiz genannten Zeugen haben „auffallend kleines Lehen“ gehandelt habe ergeben, daß als Zeitraum für die Schenkung und daß die Zähringer an Offenburg ein die Jahre 1130—1145, wahrscheinlich das heftiges politisches Interesse gehabt und sich Jahr 1139, anzusetzen ist (H. Harter, Eine um das frei gewordene Lehen energisch be­ Schenkung der Herren von Wolfach an das müht haben, um „die ihnen noch fehlende Kloster Alpirsbach, „Die Ortenau“, 1969). Schlüsselposition der mittleren Ortenau in Die Burg, unter deren Schutz die Zähringer ihre Herrschaft einzufügen“, dann stellt sich durch Gründung eines Marktes die Voraus­ die Frage, warum sie sich nicht schon früher setzungen für die Anlage einer Stadt geschaf­ darum bemüht haben. Es fällt schwer zu fen haben, wird 1148 in einer zähringischen glauben, daß sie am Kinzigtalausgang „kein Urkunde als „castrum Offinburc“ erwähnt. Endchen des Bodens“ besessen haben sollen.

102 Aber schon als Gerichtsvögte der Abtei Gen­ genbach und vermutlich auch der Straß­ burger Curien dürften sie wohl die Möglich­ keit gehabt haben, hier eine Stadt zu grün­ den. Für die neue These sprechen nun zwei ge­ wichtige Argumente. Einmal war das Patro­ natsrecht der Pfarrei Offenburg „ab anti- quo“, d. h. schon lange, beim Straßburger Domkapitel. Daraus wird der Schluß ge­ zogen, daß die Offenburger Pfarrkirche als bischöfliche Eigenkirche entstanden ist. Die erste Nachricht über die Pfarrei Offenburg stammt erst aus dem Jahre 1182. In diesem Jahr tritt ein Priester von Offenburg na­ mens Friedrich in Straßburg als Zeuge auf. Aber eine Urkunde im Saalbuch des Straß­ burger Domkapitels aus dem Jahre 1144 bezeugt, daß das Käfersberger Kirchlein in Ortenberg damals unter einem Pfarrer na­ mens Heinrich Pfarrkirche gewesen ist und daß derselbe diese Pfarrkirche und deren Zehntrechte vom Propst der Straßburger Domkanoniker erhalten habe. Vermutlich Deruir der Offenburger Reichsmünze (13. Jh.) war dies die Urkirche der Markgenossen­ schaft Kinzigdorf-Griesheim. Zwischen 1144 und 1182 hat sie ihre Selbständigkeit als Marktplatz. Mitten auf dem Platz stand ein eigene Pfarrei verloren und ist Filialkirche städtisches Haus; in Straßburg war es das der Offenburger Pfarrei „Heilig Kreuz“ ge­ Rathaus, in Offenburg die „Laube“ und die worden (F. Vollmer, Die Bühlwegkirche zu städtische „Pfalz“, deren Erinnerung heute Ortenberg-Käfersberg und die Gründung noch von den beiden Gasthäusern „Alte“ Offenburgs im 12. Jahrhundert. „Die Or- und „Neue Pfalz“ festgehalten wird. Der tenau“ 1953). Schon die Zugehörigkeit zum Einfluß Straßburgs ist ja ein durchgehender Bistum Straßburg hat die Entwicklung der Zug in der Geschichte Offenburgs und der Offenburger Pfarrei stark beeinflußt. Die Ortenau (s. K. Gruber, Das alte Straßburg. Nebenpatrone der Pfarrei „Heilig Kreuz“, Oberrheinische Heimat 1940). Die Straßen­ Bischof Aper von Toul und Ritter Gangolph, führung entspricht ganz den geographischen sind auch die Nebenpatrone des Bistums. Gegebenheiten und den Forderungen des Und wiederholt wurde die Pfarrei Mitglie­ Verkehrs. Wie die Eisenbahnlinie sich heute dern des Straßburger Stiftsklerus über­ im Norden der Stadt teilt, so gabelte sich die tragen. von Norden kommende Straße vor dem Und warum sollen die Zähringer nicht nördlichen Stadtausgang in einen südöstlich das Straßburger Vorbild übernommen ha­ in das Kinzigtal und einen in südlicher Rich­ ben? In beiden Städten öffnet sich die tung nach Freiburg führenden Ast. Marktstraße nach Süden: in Straßburg im Schließlich darf nochmals betont werden, Gutenbergplatz, in Offenburg im alten daß die Gründung Offenburgs wie die­ 103 jenige anderer Zähringer Städte neben einer Blütezeit im Spätmittelalter schon vorhandenen Siedlung erfolgte und Die durch das Aussterben der Herzoge von daß Offenburgs Rechtszug nicht nach Straß­ Zähringen eingeleitete politische Auflösung burg, sondern nach Freiburg ging. der Grafschaft Mortenau wurde durch den Offenburg wird Reichsstadt Untergang des staufischen Kaiserhauses be­ Die Machtbildung der zähringischen Her­ schleunigt. Die Fürsten stürzten sich auf das zogslinie zerbrach 1218 mit dem Tod Ber­ Reichsgut. Was die Könige nach dem Inter­ tolds V. In den Erbstreit schaltete sich der regnum dem Reich wieder verschaffen konn­ staufische Kaiser Friedrich II. ein. Schon ten, war die spätere Reichslandvogtei Or­ Barbarossa hatte das staufische Familien- tenau mit den Gerichten Ortenberg, Appen­ und Reichsgut in Schwaben und im Elsaß weier, Griesheim und Achern, auf die sich vermehrt. Nun griff die staufische Macht nun der staatsrechtliche Begriff „Ortenau“ über den Rhein herüber. Weite Teile der beschränkte und die drei Reichsstädte Offen­ Grafschaft Mortenau fielen an das Reich. burg, Gengenbach und Zell. Das Reichsgut Um Offenburg kam es zu einem langwieri­ war jedoch meist an Fürsten (Markgrafen gen Streit mit dem Bischof von Straßburg, von Baden, Bischöfe von Straßburg und der erst 1236 durch einen Vergleich beigelegt Pfalzgrafen) verpfändet. Wie ein Alpdruck wurde. Der Bischof verzichtete auf alle lasteten diese Verpfändungen auf der reichs­ Rechte in Offenburg mit Ausnahme des freien Bürgerschaft. Trotzdem waren die Kirchenpatronats. Offenburg wurde eine zweieinhalb Jahrhunderte des Spätmittel­ Stadt des Reiches. Kaiser Friedrich ließ sie alters für Offenburg eine gewisse Blütezeit. erweitern und mit einem Mauerschutz ver­ 1280 erhob sich das Franziskanerkloster am sehen. 1241 muß der Mauergürtel schon im Nordrand der Stadt. Vom frommen carita- Bau gewesen sein; denn zu dessen Ausbau tiven Sinn und Wohlstand der Offen­ durfte die Hälfte der Reichssteuer verwendet burger Bürger zeugt die Gründung des werden. 1246 erscheint Offenburg zum St. Andreas-Hospitals um 1300. Im Jahre ersten Male als „oppidum“, d. h. befestigter 1415 erfolgte der Neubau der Pfarrkirche Platz. Von den acht Türmen, die sich über Heilig Kreuz. 1451 wurde die Schützen­ der inneren Mauer erhoben, ragten drei über gilde gegründet. Auf der Herrenfastnacht den Toren: dem Kinzigtor im Süden, dem 1483 entfaltete sich noch einmal der Glanz Schwabhauser Tor (nach der noch 1496 ge­ des mittelalterlichen Rittertums. Der Anfang nannten Siedlung Schwabhausen zwischen des 16. Jahrhunderts brachte Höhepunkt und Offenburg und Fessenbach) und dem Neu­ Ende der Blütezeit. Verheißungsvoll war oder Straßburger Tor im Norden. Fried­ noch das Jahr 1504. Das Privileg des Kaisers rich II. verlieh der Reichsstadt auch das Maximilian I. erweiterte Offenburgs Ge­ Recht, Münzen zu prägen. Der im 13. Jahr­ richtsbann, der bis dahin nur „in das Mittel hundert blühende Kinzigtäler Bergbau bot der Fallbruckhen“ gereicht hatte. Durch die dafür die besten Voraussetzungen. Die Angliederung der Dörfer Kinzigdorf und Offenburger Denare mußten jedoch in Ge­ Uffhoven erhielt die Stadt eine Gemarkung. wicht und Feingehalt den Straßburger Pfen­ Aber dann setzte der Niedergang ein. nigen genau entsprechen. Sie trugen auch Außer dem Übergewicht der Stadt Straß­ nicht den Namen oder das Wappen Offen­ burg haben noch andere folgenschwere Er­ burgs als Prägeort. 1309 ging die Offen­ eignisse Offenburgs Entwicklung stark ge­ burger Reichsmünze durch Kauf in den Be­ hemmt. Zunächst waren es die Glaubens­ sitz der Stadt Straßburg über. kämpfe zwischen Reformation und Gegen- 104 Offenburg, Luftaufnahme. Foto Hans Beiz, Ottenburg

105 reformation. Während auf dem Augsburger Offenburg mit knapper Not der Eroberung Reichstag 1530 die Offenburger Abgesandten durch die Truppen Bernhards von Weimar. an der Seite der Straßburger für die neue Die Legende berichtet von der wunderbaren Lehre eintraten, kehrte der Offenburger Rat Rettung durch die Schutzheilige Ursula. In nach 1531 zum alten Glauben zurück, stif­ den folgenden Jahren brachten Quartierlasten tete für das Molsheimer Jesuitenkolleg 1000 und Kontributionen die Bürger in große Gulden und betätigte sich ganz im Geist der Not. 1645 zählte Offenburg noch 123 „arme Gegenreformation. Und 1591 beschloß der Bürger“. Als 1648 die Friedensglocken läu­ Rat einstimmig, nur noch demjenigen das teten, muß die Stadt das Bild trostloser Bürgerrecht zu verleihen, der sich zur „wah­ Armut geboten haben. ren römischen Kirche“ bekannte. Die Eroberungskriege Ludwigs XIV. brach­ Durch die Glaubensverwirrung erhielt auch ten neue, schwere Heimsuchungen. Schon der der unselige Hexenwahn Nahrung. In den Holländische Krieg (1672/78) ließ Schlimmes Ratsprotokollen 1586 kündigte er sich an befürchten. Im Pfälzischen Erbschaftskrieg und erreichte in den Kriegsjahren 1627/32 (1688/97) wurde Offenburg am 9. Septem­ Höhepunkt und Ende. Während in den ber 1689 von französischen Truppen „tota- Dörfern der Landvogtei Ortenau der schreck­ liter ruiniert und in die Aschen gelegt“. Mit liche Aberglauben 160 Opfer gefordert hat, Ausnahme des Kapuzinerklosters, das 1640 sind in den Offenburger Ratsprotokollen bis 1647 erbaut worden war, und zweier allein 60 Hinrichtungen von Hexen bezeugt. Häuser, die inzwischen abgebrochen worden Hemmend wirkte sich auch der soziale Ge­ sind, wurde die ganze Stadt ein Raub der gensatz zwischen den privilegierten Ge­ Flammen. schlechtern, die Steuer- und fronfrei waren, Mühsam war derWiederaufbau. Einheimi­ und den Handwerkerzünften aus, der sich sche und Vorarlberger Baumeister und immer wieder in ernsten Unruhen entlud. Handwerker gaben der Stadt das Gepräge Ferner mußte sich Offenburg gegen die des Barock und des Klassizismus. Kein ge­ ständigen Machterweiterungsbestrebungen ringerer als Franz Beer, der Schöpfer des der Ortenauer Landvögte wehren, die auf Vorarlberger Münsterschemas, hat die Pläne Schloß Ortenberg residierten und versuchten, für die Pfarrkirche „Heilig Kreuz“ und die benachbarte Stadt ihrer Reichsprivilegien vermutlich auch für die Franziskanerkirche, zu berauben und sie zu einer österreichischen seit 1823 Klosterkirche „U. Lb. Frau“, gefer­ Landstadt herabzudrücken. Schließlich haben tigt. Eines der ersten Häuser, die wieder­ die Kriege des 17. Jahrhunderts Offenburg erstanden sind, war der Spätrenaissancebau in seiner Entwicklung zurückgeworfen. der Hirschapotheke am Fischmarkt (1698). Bald folgte das St. Andreas-Hospital und Kriegsverheerungen und Wiederaufbau der Königshof, d. h. das Verwaltungsgebäude Im Dreißigjährigen Krieg, der Grimmels­ der vorderösterreichischen Landvogtei Or­ hausen in Offenburgs Mauern brachte, war tenau. Dessen Wiederaufbau erfolgte unter die Stadt als wichtiger Stützpunkt am Ein­ der Herrschaft der Markgrafen von Baden- gang des Kinzigtals und als Schlüssel zum Baden; denn 1701 wurde Markgraf Ludwig Kniebispaß von großer strategischer Bedeu­ Wilhelm, der Türkenlouis, vom Erzhaus tung und deshalb von kaiserlichen, schwe­ Österreich mit der Landvogtei Ortenau und dischen und französischen Truppen hart um­ den Reichsstädten Offenburg, Gengenbach kämpft. Die Schweden, die die Stadt 1632/35 und Zell a. H. belehnt. So ist es zu erklären, besetzt hielten, verfuhren mit den Bürgern daß an der prunkvollen Fassade nicht der „mehr türkisch als christlich“. 1638 entging österreichische Doppeladler, sondern das 106 Alter Marktplatz mit Rathaus und Landratsamt. Photo-Stober, Offenburg markgräflich-badische Wappen zu sehen ist. Ein sprechender Beweis für die Armut der Bauherrin war Auguste Sibylle, die Witwe Bevölkerung nach 1689 sind heute noch die des Türkenlouis. Sie ließ den Königshof nach bescheidenen einstöckigen Häuschen, wie sie den Plänen ihres Baumeisters Michael Lud­ in der Weber-, Schütter- und Goldgasse am wig Rohrer durch den Vorarlberger Dominik Anfang des 18. Jahrhunderts erbaut wur­ Ellmenreich erstellen. Die endgültige Form den. erhielt die Fassade durch Franz Ignaz Kroh- mer, einen Schüler Balthasar Neumanns. Das Mediatisierung und Revolution 1848/49 Rathaus ist das Werk des Offenburger Bau­ Dem Wiederaufbau der Stadt folgte aber meisters Mathias Fuchs (1741), der 1775 für nicht die Erneuerung des bürgerlichen Le­ den Schultheißen von Rienecker auch ein bens. Der Prozeß, den die Handwerker­ Palais, das spätere Ritterschaftsgebäude, zünfte 1752—1764 gegen den Rat und die heute Ritterhaus-Museum, erstellte. 1786 Geschlechter führten, fruchtete nichts. Die folgte das Salzhaus. Der Garten des Vinzen- reichsunmittelbare Stellung war fragwürdig tiushauses, das Feldmarschall-Lieutenant Jo­ geworden. Die Umwälzungen, welche die seph Freiherr von Ried 1764 erbauen ließ, Französische Revolution und die napoleoni- atmet noch den Geist des heiteren Rokoko. schen Feldzüge mit sich brachten, gestal­ Doch dies darf nicht über die noch lange teten die politischen Verhältnisse von Grund unter dem größten Teil der Stadtbevölke­ auf um. In den ersten Revolutionsjahren rung anhaltende Armut hinwegtäuschen. ergoß sich ein großer Strom von Emigran­ 107 ten, Adeligen und Geistlichen, besonders Mit­ Die Industrialisierung gliedern des Straßburger Domkapitels, in die Die Entwicklung Neu-Offenburgs begann Ortenau, vornehmlich nach Offenburg. Die um 1860. Der Bau der Schwarzwaldbahn Emigranten riefen eine Druckerei ins Leben, (1865) machte die Stadt zum Eisenbahn­ die großes Aufsehen erregte, weil sie alles knotenpunkt. Die erste Fabrik ist die Spin­ druckte, „was immer Schimpfliches gegen nerei und Weberei, die 1857 in der Kinzig­ die französische Nation sein könne“. Aus vorstadt erstellt wurde und die ihre Maschi­ Furcht vor Vergeltungsmaßnahmen ver- nen von der Firma Andre Köchlin aus Mühl­ anlaßte der Rat die Schließung der Druk- hausen erhielt. Auch die Leinenweberei und kerei. Bleicherei Walter Clauß hat sich wenige Die Ortenau wurde aufs neue Schauplatz Jahre später in diesem Stadtteil niedergelas­ kriegerischer Geschehnisse. An ein Gefecht, sen. Aus den Gerbereien am Mühlbach ent­ das am 6. Juli 1799 zwischen Offenburg und wickelte sich die Lederfabrik Walz. Von Ortenberg stattfand, erinnert noch das großer wirtschaftlicher Bedeutung war einst Denkmal, das für den gefallenen öster­ die Zigarrenindustrie, hinter der ein aus­ reichischen Obersten Graf Johann von Kegle- gedehntes bäuerliches Tabakanbaugebiet vich errichtet wurde. Der Regensburger stand. Von den zahlreichen Brauereien haben Reichsdeputationshauptschluß 1803 brachte sich drei erhalten. Im Norden siedelten sich den Verlust der reichsunmittelbaren Stellung holz- und metallverarbeitende Großbetriebe und den Übergang an Baden sowie die Säku­ an. Sie fertigen Drehbänke, Geschirrspül­ larisierung der beiden Klöster. Das politische maschinen, Kühlanlagen, Eisen- und Stahl­ Eigenleben Offenburgs hatte ein Ende ge­ konstruktionen für Gitter, Hallen und funden. Brückenmasten. Die Glas- und Emailplakate­ Die Eingliederung in ein größeres Staats­ fabriken machten Offenburg zum Sitz der gebiet gab der Stadt neue Lebenskräfte, die deutschen Reklameindustrie. Nach dem sie so nötig brauchte. 1823 zog das Kloster Ersten Weltkrieg wurde die Stadt die Heimat Unserer Lieben Frau mit seinem Lehrinstitut des Vivil-Pfefferminz. Der Betrieb ließ sich in das ehemalige Franziskanerkloster ein. in der Oststadt nieder, wo 1898 für das Inf.- Langsam wuchs das Oberamtsstädtchen über Regiment 170 eine Kaserne errichtet worden seine Mauern hinaus. Von dem gemütvollen war. Biedermeier spürte es wenig. Die Bürger Trotz der Industrialisierung ist Offenburg trauerten der verlorenen Reichsunmittelbar­ doch nur langsam gewachsen. In den Jahren keit nach und huldigten liberalen und demo­ 1860—1900 schnellte die Bevölkerungsziffer kratischen Anschauungen. Diese Tatsache wohl von 4400 auf 13 600 hinauf, stieg aber und die zentrale Lage machten Offenburg bis 1939 nur bis 19 000; denn die Betriebe unter seinem edelgesinnten Bürgermeister holten ihre Arbeitskräfte zum großen Teil Gustav Ree, dem die Stadt auch die Grün­ aus den Nachbargemeinden. Der Erste Welt­ anlagen entlang dem Mauerring verdankt, krieg und die Folgen des Versailler Vertrags zum Ausgangspunkt der badischen Revolu­ unterbrachen die industrielle Entwicklung. tion. In den Jahren 1847/49 war Offenburg Die Ortenau war Grenzland geworden. Die dreimal Schauplatz großer politischer Ver­ Unternehmer zögerten, sich hier niederzulas­ sammlungen, auf denen programmatische sen. Offenburg verharrte in der Größen­ Beschlüsse gefaßt wurden. ordnung einer Kleinstadt. 108 Offenburg, Rittertums-Museum. Photo-Stober, Offenburg Die wirtschaftliche Entwicklung seit 1950 Rundfunk-Zeitschrift „Sürag“ entstand „Bild und Funk“. Deren gute Entwicklung ver- Nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem anlaßte den Übergang zum Tiefdruck, der Offenburg vor umfangreichen Zerstörungen den Betrieb Burda in die vorderste Reihe bewahrt blieb, bzw. seit 1950, hat die Ent­ der grafischen Betriebe Deutschlands rückte. wicklung in wirtschaftlicher, räumlicher und Der Aufstieg wurde durch den Zusammen­ soziologischer Hinsicht einen stürmischen Ver­ bruch 1945 kaum unterbrochen. Die Indu­ lauf genommen. Die Europäische Wirtschafts­ strieaufträge häuften sich. Großes leistet die gemeinschaft, in deren Gebiet der Oberrhein Firma auf dem Gebiet des Mehrfarben- eine zentrale Stellung einnimmt, und die deutsch-französische Verständigung haben Rotation-Tiefdrucks. Von bleibendem Wert der mittelbadischen Wirtschaft neue Impulse sind die Burda-Bildbände, meisterhaft ge­ gegeben. Einen hervorragenden Namen er­ druckte Dokumentarbildbände zur Zeit­ hielt das grafische Gewerbe in Offenburg geschichte. Heute werden im Burda-Werk durch die Firma Druck und Verlag Dr. Franz mehrere führende Zeitschriften gestaltet, ge­ Burda. Im Jahre 1928 hatte Dr. Burda die druckt, verlegt und an die ganze Welt ver­ Leitung einer kleinen Druckerei übernom­ trieben. Das Burda-Hochhaus in der Kinzig­ men, die sein Vater mit einer Maschine und vorstadt ist das Wahrzeichen Neu-Offen- zwei Mann betrieben hatte. Sein Unter­ burgs geworden. nehmungsgeist führte den Betrieb zu unge­ Westlich der Kinzig wurde auch ein neues ahnten Erfolgen. Aus der ersten deutschen Industriegebiet erschlossen, auf dem sich aus­ 109 wärtige Firmen niederließen, aber auch ein­ qm großes, befestigtes Ausstellungsgelände; heimische Betriebe ihre Kapazität erweiter­ denn die „Oberrhein-Messe“ als Weiterfüh­ ten. Hier hat 1962 die Telefunken AG ihre rung der seit 1924 veranstalteten „Ortenauer Produktion aufgenommen, während im Ge­ Herbstmesse“ zieht eine ständig wachsende wann Seewinkel zwischen Offenburg und Anzahl von Ausstellern aus allen Teilen der Bühl-Dorf die Hamburger Weltfirma Beiers­ Bundesrepublik, der Schweiz und Frankreich dorf einen großen Werkbau errichtet hat. an und wird von weit über 100 000 Men­ Dieser Zweigbetrieb, der inzwischen stark schen aus dem Oberrheingebiet besucht. 1962 erweitert worden ist, trägt als selbständige erstand auf dem Gelände eine Kongreßhalle, Firma den Namen „Chemische Werke GmbH die „Oberrhein-Halle“, die bis zu 3000 Per­ Offenburg“ und stellt Tesa-Band und Tesa- sonen aufnehmen kann. Film her. Der wirtschaftliche Aufschwung sowie der Die dominierende Industrie hat auch zu starke Zuzug von Heimatvertriebenen und einem starken Strukturwandel auf dem die Aufnahme einer großen Zahl von Be­ Lande geführt. Offenburg ist der Kern eines satzungsangehörigen hatten ein starkes größeren Wirtschaftsgebietes geworden. Mit Wachstum der Bevölkerung zur Folge. Im­ den Nachbargemeinden ist es wirtschaftlich, mer mehr Baugelände mußte erschlossen und zum Teil sogar baulich eng verbunden. Diese Wohnraum beschafft werden. Auf der Klo­ Gemeinden, früher ausgesprochene Bauern­ sterwiese, am Lerchenrain und zwischen der dörfer, sind Wohngemeinden geworden, aus Köhler- und Prinz-Eugen-Straße entstanden denen täglich 12 000 Beschäftigte zur Arbeit Wohnblöcke. Jenseits der Kinzig, im Gewann in die Stadt pendeln. „Albersbösch“, ist seit 1950 die Großsiedlung Offenburgs Wirtschaftsleben wird aber „Offenburg-Süd“ herangewachsen, die 5000 nicht ausschließlich durch Industrie, Gewerbe Menschen Platz bietet. In den Gewannen und Handel bestimmt. Auch der Weinbau „Obere Schlangenmatten“ und „Gifiz“ ent­ spielt eine beachtliche Rolle. In der reichs­ stand der Stadtteil Uffhofen, der wie die städtischen Zeit bestand unter den Hand­ schon 1937 ins Leben gerufene Siedlung werkerzünften auch eine Zunft der Rebleute, Hildboltsweier den Namen eines ausgegan­ die im Jahre 1800 immerhin 50 Mitglieder genen Dorfes trägt. In der Flur „In der zählte. Die meisten Reben waren aber Eigen­ Wann“ zwischen Offenburg und Fessenbach tum der vornehmen Geschlechter, die in den hat sich ebenfalls eine Großsiedlung ent­ benachbarten Dörfern reich begütert waren. wickelt. Auf dem Blöchle und am östlichen Seit der Auflösung des St. Andreas-Hospitals Fuß der Lindenhöhe sind Villenviertel an­ (1888) bewirtschaftet die Stadt als Verwal­ gelegt worden. Im letzten Jahr ist mit der terin des Stiftungsvermögens in Ortenberg- Erschließung und Bebauung der Lindenhöhe Käfersberg ein fast 15 ha großes Weingut. begonnen worden. Die starke Bevölkerungs­ Durch den seit 1872 alljährlich stattfinden­ zunahme — Offenburg zählt heute 32 000 den Weinmarkt ist die Stadt am Absatz der Einwohner — erforderte auch eine Erweite­ badischen Weine aktiv beteiligt. Zweimal, 1929 und 1969, hat der Deutsche Weinbau- rung des Städt. Krankenhauses. Im Südosten Kongreß in Offenburg getagt. der Stadt hat das Gengenbacher Mutterhaus Offenburg hat sich in den letzten zehn schon 1956 ein zweites Krankenhaus errich­ Jahren zu einer ausgesprochenen Messe- und tet. Zwischen diesem und der Pfarrkirche Kongreßstadt entwickelt. Auf den „Unteren Weingarten wurde 1960 ein neuer Friedhof Schlangenmatten“, zwischen der Kinzig und angelegt. Seit 1968 ist die Altstadtsanierung der Bundesstraße 3, schuf die Stadt ein 15 000 im Gange.

HO Oberrheinhalle. Foto U. Calewski, Offenburg

Große Aufgaben stellte der gewaltig zu­ weisen die Theater- und Konzertpläne, die nehmende Verkehr. Schon 1951 wurde der Vorträge des Kulturringes, in dem sich Volks­ Abwicklung des starken Stadtverkehrs durch hochschule, Scheffelbund und Filmklub 1967 die westlich der Altstadt, diesseits der Kin­ zusammengeschlossen haben, die Stadtbüche­ zig, vorbeigeleitete Umgehungsstraße (Frei­ rei, die Städt. Musikschule und das viel­ burger Straße) ein Ventil geschaffen. Am gestaltige Ritterhaus-Museum, dessen Abtei­ 30. September 1960 erhielt Offenburg den lungen Fieimatgeschichte und Volkskunde, Anschluß an die Autobahn. Eine neue Ent­ Völkerkunde, Jagdtrophäensammlung Cron, lastung für den Stadtverkehr brachte die am naturkundliche Sammlung und Bildergalerie 15. Juli 1965 in Betrieb genommene neue Offenburger Künstler in 25 Räumen über­ Linienführung der vom Schwarzwald kom­ sichtlich dargeboten werden. Im Museums­ menden Bundesstraße 33, die ab Gengenbach gebäude wurde 1964 ein großer, feuersicherer südwestlich der Kinzig verläuft. Und am Archivraum geschaffen. Starke Beachtung 23. September 1969, ein Jahr nach der Ein­ verdienen auch die Kunstausstellungen im weihung der zweiten Kinzigbrücke (Otto- Städt. Verkehrsamt. Und die Oberrhein- Hahn-Brücke), konnte die Nordwest-Umge- Messe ist nicht nur ein wirtschaftliches, son­ hung dem Verkehr übergeben werden. In dern auch ein großes kulturelles Ereignis; absehbarer Zeit soll auch das Projekt „Süd­ die Sonderschauen, die seit 1966 unter inter­ tangente“ mit der dritten Kinzigbrücke ver­ nationalen Gesichtspunkten gestaltet werden, wirklicht werden. tragen wie die Städtepartnerschaften (Lons- le-Saunier im französischen Jura und Weiz/ Das kulturelle Leben Steiermark) in hohem Maße zur Völkerver­ Offenburgs zentrale Lage hat sich auch ständigung bei. Gern erinnert sich die Bevöl­ auf kulturellem Gebiet ausgewirkt. Das be­ kerung an die 850-Jahrfeier, die im Jahre

U l 1951 begangen wurde und deren glanzvoller zei, Gewerbe und Handel, Einwohnermelde­ Höhepunkt ein großer historischer Festzug amt, Fundamt, Paßamt, Sicherheits- und war. Um den wachsenden Anforderungen Gesundheitspolizei. Die neue Dienststelle, im Bereich der Kultur, des Sport- und die diese Aufgaben wahrnimmt, ist das Amt Marktwesens gerecht zu werden, wurde 1962 für öffentliche Ordnung. Offenburg gehört das Städt. Kultur- und Messeamt ins Leben nach wie vor zum Landkreis, hat aber als gerufen. Am Südrand der Altstadt wird in untere Verwaltungsbehörde rechtliche Be­ den kommenden Jahren ein neues Kultur­ fugnisse zurückerhalten, die einst der Reichs­ zentrum entstehen. Den sportlichen und stadt eigen waren und nach 1803 auf das hygienischen Bedürfnissen tragen das neue Oberamt, später Bezirksamt und Landrats­ Strandbad am Gifizsee sowie mehrere Sport- amt, übergegangen waren, und untersteht und Kinderspielplätze Rechnung. Am der Dienstaufsicht des Regierungspräsidiums. 8. September 1969 erfolgte der erste Spaten­ So hat Offenburg, dessen geschichtliche stich zum Bau eines Hallenbades. Entwicklung jahrhundertelang durch folgen­ Mit der geschilderten Entwicklung hat auch schwere Vorgänge gehemmt worden ist, in der Ausbau des Schulsystems Schritt gehalten. eineinhalb Jahrzehnten die Bedeutung er­ Offenburg besitzt fünf Volksschulen — drei langt, die seiner günstigen geographischen wurden seit 1950 gebaut — vier Gymnasien Lage, der wirtschaftlichen Arbeitskraft seiner einschließlich Mädchen-Gymnasium des Klo­ Bevölkerung und ihrer kulturellen Auf­ sters U. L. Frau; das zum Teil im Zwei­ geschlossenheit gemäß ist. ten Weltkrieg zerstörte altsprachliche Grim­ melshausen-Gymnasium wurde wiederauf­ Quellen- und Literaturnachweis Stadtarchiv Offenburg: Akten und Ratsproto­ gebaut, und das Oken-Gymnasium zog 1963 kolle in den Neubau am Waldbach ein. Die Kreis­ Bader, K. S.: Der deutsche Südwesten in seiner verwaltung errichtete eine neue Gewerbe­ territorialstaatlichen Entwicklung. K. F. Köhler- Verlag, Stuttgart, 1950 schule, der Aufbaulehrgänge, eine Berufs­ Bastian, ].: Der Freiburger Oberhof. Veröf­ fachschule und die Unterstufe der technischen fentlichungen des Alemann. Instituts Freiburg II Oberschule angegliedert wurden, und ein 1934 Fabricius, E.: Badens Besitznahme durch die Wirtschaftsgymnasium. In der seit 1963 be­ Römer. Neujahrsblätter der Bad. Histor. Kom­ stehenden Staatlichen Ingenieurschule wird mission 1905 Hamm, E.: Die Städtegründung der Herzoge der technische Nachwuchs für das südliche von Zähringen in Südwestdeutschland. Veröf­ Oberrheingebiet herangebildet. fentlichungen des Alemann. Instituts Freiburg I. Kähni, O.: Offenburg: Aus der Geschichte einer Reichsstadt. Verlag Dr. Franz Burda 1951 Große Kreisstadt Krebs, M.: Politische und kirchliche Geschichte der Ortenau. „Die Ortenau“, Veröffentlichungen Die wirtschaftliche, bevölkerungsmäßige, des Histor. Vereins für Mittelbaden 1929 bauliche und kulturelle Entwicklung brachte Mayer, Th.: Der Staat der Herzöge von Zäh­ schon vor fünfzehn Jahren Offenburgs Er­ ringen, Freiburger Universitätsreden 1935 Walter, M.: Besiedlung der Ortenau in ge­ hebung zur Großen Kreisstadt. Auf Grund schichtlicher Zeit. „Die Ortenau“ 1929 des Landesverwaltungsgesetzes vom Jahre Gruber, K.: Das alte Straßburg. Jahresband 1955 wurden dem Bürgermeisteramt die Oberrheinische Heimat „Das Elsaß“, herausgeg. von H. E. Busse, 1940 Aufgaben der Paß- und Ausländerbehörde „Offenburg und die Ortenau“, Jahresband der übertragen: Ausländerpolizei, Gewerbepoli­ „Badischen Heimat“ 1935

112 Villingen um 1850 Stahlstich von G. M. Kurz

Entstehung und Entwicklung der Stadt Villingen Elemente ihres heutigen Bestandes Von Josef Fuchs, Villingen 1. Voraussetzung einer M arkt- und Stadt­ Wie die ur- und frühgeschichtlichen Funde entstehung in Villingen zeigen, waren im Bogen der Brigach, den sie Das Gebiet der Westbaar, wo die Brigach um die Stadt herum bildet, in der jüngeren aus dem Schwarzwald heraustritt, bot für Steinzeit Menschen, wenn vielleicht auch nur die (Früh-)Besiedlung wegen des fruchtbaren im Sommer gewesen. Auffallend ist es aber, Muschelkalks günstige Möglichkeiten. Die daß vor der Mitte des 1. Jahrtausends vor westlich des Kiesbeckens im Brigachbogen Christi Geburt, die Kelten im engsten Gebiet (wo die Zähringerstadt gebaut wurde) ver­ der heutigen Stadt so dicht angesiedelt wa­ laufende Grenze zum Buntsandstein des ren, daß die Bewohner den größten kelti­ Schwarzwaldes war vermutlich bis in jene schen Fürstenhügel (außer einem ähnlich Zeit eine Siedlungsbarriere, bis die Zister­ großen in Wiener Neustadt), der überhaupt zienser in Tennenbach und die cluniazensisch bekannt ist, errichtet haben. An einem auch reformierten Benediktiner in St. Georgen landschaftlich schön gelegenem Ort schufen (von Hirsau aus) ihre Rodungen in diesem die Untertanen ein Grabmal, das einen Für­ Schwarzwaldgebiet mit ihren Klostergrün­ sten mit wohl 80 000 Untertanen ausweist. dungen begonnen hatten. Seine Burg lag am Kapf, dem Zusammen­

8 Badische Heimat 1970 113 fluß zwischen Brigach und Kirnach, im 3. Marktentstehung Nordwesten des Brigachbogens, während der Diese Hufen des Wito und Heimo vom Grabhügel im Südwesten liegt, beide nahe Anfang des 9. Jahrhunderts entwickelten sich der Buntsandstein-Muschelkalkgrenze. im Laufe des 10. Jahrhundert zu einem Die nächstfolgenden Zeugen der Früh­ größeren Gebilde, was trotz fehlender Zeug­ geschichte sind die Römer, welche die Kelten nisse mit Sicherheit aus der Tatsache ge­ verdrängten und die einen ihrer Hauptwege schlossen werden darf, daß noch in ottoni- über die Hochrheinbarriere hinüber von scher Zeit (Ende 10. Jh.) eine ansehnliche Vindonissa (Brugg-Windisch) nach Arae Kirche, deren Turm heute noch gut erhalten Flaviae (Rottweil) über das heute noch ge­ ist, erbaut wurde (Thumbült) und die trotz nannte Zollhaus der Villinger Gemarkung Erbauung der Münsterbasilika (ab Ende führten. Römische Höfe und Münzfunde um 12. Jh.) bis Anfang 16. Jahrhundert Haupt­ Villingen herum beweisen für eine Besied­ kirche Villingens blieb. lungsdichte weniger als die zahlreich an der Die Tatsache einer erstarkten Siedlung Ostgrenze der Gemarkung gefundenen Ale­ wird sichtbar an der Verleihung eines Mark­ mannengräber, welche sich an der Stelle tes mit Münz, Zoll und Gerichtsbann (in konzentrieren, wo später die Hufen, das alte erster Linie zum Schutz des Marktfriedens), Dorf, sich ansiedelt. durch Kaiser Otto III. an den Grafen Bert- 2. Der Name „Filingun“; karolingische hold (geboren um 957) im Jahre 999. Die Missionierung und Besiedlung Bertholde nannten sich später nach der Burg Zähringen „Zähringer“. Berthold hatte den Zwei Bezeichnungen deuten darauf hin, Kaiser auf seinem Romzug begleitet und den daß zu Karls des Großen Regierungszeit die ein Jahr zuvor als kaiserlichen Brautwerber Franken ihren Einfluß in den Villinger nach Byzanz entsandten und zum Gegen­ Raum ausgedehnt haben; einmal der Name papst ausgerufenen Johannes Philagathos „Germanskloster“, nach dem fränkischen gefangen genommen. Bischof German (gest. 438) benannt und der Die frühe Entstehung eines grundherr­ Name „Sachsenwäldle“, eine Stelle, wo be­ lichen Marktes in ottonischer Zeit, wo die siegte Sachsen als Bewohner angesiedelt wur­ meisten Märkte Bischofsmärkte sind, ist den. Die nahe des Sachsenwäldles gelegene sicher nicht allein mit den besonderen Ver­ Burg „Rumenstal“ mag im Zusammenhang diensten Bertholds dem Kaiser gegenüber zu mit der fränkischen Besiedlung entstanden erklären. Versucht man es mit der Begrün­ sein. dung der Siedlungsdichte, welche im 10. Kaiser Ludwig der Fromme, Sohn Karls Jahrhundert in der (West)Baar stark zuge­ d. Gr., hat drei Jahre nach dem Tod seines nommen hatte, so bleibt unerklärt, warum Vaters im Jahre 817 dem Kloster St. Gallen gerade Villingen Mittelpunkt des wirtschaft­ (818 Reichskloster) die Erträgnisse aus den lichen Lebens von Ostschwarzwald und Baar Hufen „Filingun“ geschenkt. Diesem Reichs­ werden sollte. akt zur weiteren Stärkung des schon bedeu­ tenden Klosters verdankt die Stadt Villingen 4. Die Stadt — Anhaltspunkte für die die erste schriftliche Nennung ihres Namens Gründung und gleichzeitig die Tatsache, daß Hof­ Wahrscheinlich sind mehrere positive Mo­ stätten unter dem Namen „Filingun“ (Hufen mente zusammengefallen, so die genannten des Wito und Heimo) zusammengefaßt wa­ Gründe, dazu die Wahrscheinlichkeit, daß ren. an der Stelle des alten Dorfes Villingen ein 114 y , ’

Ansicht von Villingen aus der Vogelperspektive v. ca 1685 Umschlagmarkt entstanden war, der mit den auf bedacht sein mußten, ihrem Markt zur Großhandelsstraßen Schaffhausen—Straß­ Mehrung ihrer Macht Geltung zu verschaffen burg und Ulm—Straßburg zusammenhing. und ihn mit einem festen Ort zu umgeben. Vielleicht aber gehört diese Marktverleihung Einen direkten Hinweis auf diese mit einer schon zum Anfang der Absichten der Zäh­ Palisadenbefestigung versehene Marktsied­ ringer, wie die späteren Stadtgründungen lung haben wir nicht, wohl aber einen in­ zeigen, ein Territorium aufzubauen mit dem direkten: Ziel, einen „Staat“ (Theodor Mayer) zu er­ richten, um so, wie alle bedeutenden Ge­ a) Zweistufenbau schlechter, nach der Königskrone streben zu Die (alte) Stadt rechts der Brigach zeigte können. In Villingen reizte vielleicht die im Gegensatz zu der bisherigen Meinung, Tatsache, daß ein größeres Territorium zu Villingen sei die Verwirklichung des Ideal­ erwerben war und gesichert werden konnte plans der Zähringerstädte, eine zumindest (Bader, Zindelstein), was in Villingen un­ zweistufige Entstehung, bzw. zweistufigen mittelbar durch die Warenburg entstand. Aufbau noch heute. Die nördliche Altstadt Die Vorgänge im 11. Jahrhundert kennen mit ihren Quadraten ist nicht einzuordnen wir aus dieser quellenarmen Zeit nicht, dür­ in das, was vom „Idealplan“ des großen fen aber annehmen, daß die Zähringer dar­ Straßenkreuzes mit den dazu parallelen 8’ 115 Haupt- und Wirtschaftsgassen der 2. Stufe durch mit dem Grundriß des 12./13. Jahr­ übrig ist. Die Fülle der hierzugehörigen Ein­ hunderts erhalten geblieben ist. Der Minne­ zelbeobachtungen, die Werner Noack 1938 sänger Schenk Konrad von Winterstetten hat mit der Behauptung, in Villingen sei die die Stadt 1218/19 verwaltet, einen großen Ost-Wechs-Achse die Hauptachse, eingelei­ Vertrag mit dem Kloster Salem über die Be­ tet hat, läßt sich in diesem Zusammenhang sitzungen um Pfaffenweiler abgeschlossen leider nicht darlegen. Der Fall Villingen und sicher den Mauerbau eingeleitet. dürfte für die Zähringerstadtforschung nicht Die Forderung des Grafen Egino IV. des uninteressant und nicht ohne Folgerung für Bärtigen von Urach, das von Kaiser Fried­ diese sein. rich II. nach Aussterben der Zähringer Es spricht auch u. a. für eine frühe Markt­ (1218) beanspruchte „erledigte Reichsgut“ siedlungsstufe rechts der Brigach der frühe herauszugeben, führte zu einer Auseinander­ Münsterbau (12. Jh., Basilika, wahrscheinlich setzung, die endgültig erst von Kaiser Ru­ mit einem älteren Bau an gleicher Stelle, dolf von Habsburg (1283) dahingehend ge­ sicher aber geplant als Basilika mit Apsis, regelt wurde, daß Graf Heinrich von Für­ welche rund 100 Jahre später dem fürsten- stenberg Villingen und Haslach als erbliches bergischen Grablegechor weichen mußte) und Reichslehen erhielt. der Bau einer Ministerialenburg (Käferburg) Es war derselbe Heinrich von Fürstenberg, unter der Warenburg, welche Bestandteil der der als großer Förderer und Gönner schon 1. Stadtbaustufe war. ab 1255 sichtbar grundherrliche Pflichten in der Stadt wahrnahm, den Münsterbau för­ b) Verfassung derte (Chor = Grablege der Fürstenberger), Einen weiteren Einblick in die Bedeutung, Johanniter (1257) und Franziskaner (1268) wenn auch weniger in die Entstehung Vil- in die Stadt rief, das Heilig-Geist-Spital lingens, bieten Stadtrecht und Verfassung. stiftete (Grundstück-Stiftung der Witwe Ag­ Mit dem Nachweis des Freiburger Rechts­ nes v. Fürstenberg 1288 belegt) und dem zugs (Beyerle) kann für die Entstehung kaum Münster den berühmten und heute noch etwas gewonnen werden. Franz Beyerle erhaltenen Fürstenbergkelch schenkte, wofür konnte dartun, daß das Villinger Stadtrecht die Bürger der Stadt das ebenso berühmte von 1371 und frühe rechtsrelevante Ur­ Scheibenkreuz stifteten, das einzige urkund­ kunden (eigene Rechtsbestimmungen, von lich belegte Werk des großen Freiburger denen nichts überliefert ist als die Markt­ Goldschmiedes Johannes von 1268. urkunde von 999, die jedoch Graf Berthold In diese Zeit fällt der große und einzige von Zähringen verliehen war — obwohl die Villinger Stadtbrand im Jahre 1271 (Hug- Stadt Villingen diese Urkunde bewahrte, sche Chronik, S. 1 : 330, Menschen, Frauen bis der Großherzog v. Baden sie 1809 durch und Kinder seien „verbrunnen“ und die eine List wegnahm —) eigene, nicht über­ ganze Stadt außer Johanniterkloster, Bar­ nommene Rechtsbestimmungen enthalten. füßerkloster und Heilig-Geist-Spital nieder­ In der Zeit des 13. Jahrhunderts bis zum gebrannt). Eindringen der Zünfte in das Stadtregiment Vom früheren Stadtrecht Villingens ist (1324) fallen die wichtigsten Entscheidungen, vor der Kodifizierung der wichtigsten stadt­ die zur Villinger Stadtverfassung führen: rechtlichen Bestimmungen im Jahre 1371 Die Bedeutung der Stadt in reichsstädti­ nichts überliefert. Einiges kann für das ältere scher Zeit (1219—1255), und ihre starke Be­ Recht, die Verfassung der Stadt, für die frü­ festigung durch Kaiser Friedrich II. haben here Zeit aus der Zusammenfassung der ver­ dazu beigetragen, daß Villingen uns da­ schiedenen Rechte erschlossen werden. An- 116 aLijfcl "jü •n*' -L~

nt»r'u

Markturkunde von 999 dere Hinweise auf dingliches Recht sind aus Stadt Villingen gelegen“, an das Kloster Vorgängen rechtsverbindlicher Art zu schlie­ Tennenbach. ßen. Es sind gewisse Rechte des Reichslehens­ Schon Ende des 13. Jahrhunderts mehren herrn Kaiser Friedrich II. ersichtlich aus sich die Zeichen des Streits zwischen dem der Überlassung von Mühlen „in meiner Grafen von Fürstenberg und der Stadt Vil-

117 lingen, die in den 90er Jahren erstmals einen (Vertrag mit Schaffhausen und Rottweil) in Vertreter der Bürger, den Bürgermeister, Verbindung zu treten. Größere Ereignisse, wählt, und die Zünfte in Villingen zur vor allem militärischer Art, brachte die Macht drängen. Schon 1324 gelingt es ihnen, Auseinandersetzung zwischen Kaiser Maxi­ sich ihren Anteil am Stadtregiment zu si­ milian und der Eidgenossenschaft im Schwei­ chern: sie bilden von diesem Jahr an den zerkrieg. Die Stadt hatte in diesem unseligen großen Rat der 9 Zunftmeister selbfünft ne­ Kampf Verluste zu beklagen und es bedürfte ben dem kleinen Rat, den 18 Richtern mit ausführlicheren Darstellungen, die Verwir­ Bürgermeister, Schultheiß, Altbürgermeister, rungen dieser Jahrzehnte, so z. B. den Altschultheiß 22 Mitglieder zählend. Der Venedigerkrieg Maximilians, darzustellen. kleine oder „minre“ Rat hatte sich bis dahin Der Bauernkrieg und die Religionsspaltung, aus der Oberschicht, dem Patriziat, gebildet, welche unmittelbar nach dem Tode Maximi­ wobei sich nur sehr schwer ausmachen läßt, lians einsetzten, brachten für die Stadt welchen Ständen diese sogenannten Patrizier sehr unruhige Zeiten, die zusammen mit den angehörten. Vielleicht waren es emporge­ jahrzehntelangen Pürschgerichtstreitigkeiten kommene und zu Geld gelangte Kaufleute, und den Auseinandersetzungen mit dem die aber bezeichnenderweise in Villingen Herzog von Württemberg besonders wegen keine Zunft gebildet haben. der Besitzungen des Klosters St. Georgen, Als die beiden Stadtherren, die Grafen das 1536 in die Mauern der Stadt geflüchtet Johann und Götz von Fürstenberg, mit ih­ war, sich noch verstärkten. Man sieht an den rem Vetter Heinrich in der Baar in Streit Musterungslisten vor und nach 1600, daß die lagen und 150 schwerbewaffnete Villinger Stadt Villingen den Unruhen der Zeit nicht mit „guoten Hengsten“ nach Haslach zu tatenlos gegenüberstand, daß die Anstren­ Hilfe riefen, wurden diese 150 Villinger gungen im Dreißigjährigen Krieg sich auch überwältigt und in die Haslacher Türme lohnten, als die schweren Bedrohungen, Be­ geworfen. Das geforderte Lösegeld, 7500 lagerungen und Eroberungsstürme von der Mark Silber oder 41 000 Gulden, eine riesige Stadt immer abgewiesen werden konnten. Summe, konnte die Stadt zu der Zeit nicht Württemberger und Schweden hatten mehr­ aufbringen, und so sah Herzog Albrecht von mals versucht, die Stadt zu gewinnen und Österreich eine günstige Gelegenheit, die 1634 durch die sogenannte Wasserbelage­ Stadt unter seinen Schutz zu stellen, indem rung, wovon der „Schwedendamm“ im Sü­ er es übernahm, die Summe zu bezahlen. den der Stadt seinen Namen hat, die Stadt Mit diesem Ereignis vom Jahre 1326 gelang bedroht. Die nachfolgenden Jahrzehnte nach es der Stadt, sich einer Herrscherdynastie dem Westfälischen Frieden hatten etwas anzuvertrauen, die ihr Geschick in 500jähri- Ruhe gebracht. So konnten z. B. die Bene­ ger Geschichte bis zu Josef II. bestimmte. diktiner den Bau ihrer Barockkirche begin­ Das 14. Jahrhundert brachte für die Stadt nen. Doch schon in den 70er Jahren brachte die größte wirtschaftliche Blüte durch den der französische König Ludwig XIV. mit Tuchhandel, der nach 1400 im Verlauf der seiner Politik soviel Unruhe in Land und allgemeinen europäischen Entwicklung je­ Stadt, daß man ernsthaft erwog, die Stadt­ doch bald zu Ende ging. Die Politik des als befestigung modern auszubauen, wozu der tatenlos bezeichneten Kaisers Friedrich III. kaiserliche Festungsbauingenieur Gumpp veranlaßte die Stadt, erstmals eine eigene 1692 einen Plan mit zwei realistischen Stadt­ (Außen)Politik zu treiben, indem sie ver­ ansichten, die vermutlich das genaueste Bild suchte, mit der erstarkten Eidgenossenschaft der mittelalterlichen Stadt geben, fertigte. 118 Villinger Mäschqerli und Narro mit Surhebel phot. K. Müller Freiburg Wie notwendig eine Verstärkung der Be­ Unter großherzoglich badischer Obrigkeit festigung war, erwies sich, als die Franzo­ Die großherzoglich badische Ära, die mit sen unter Marschall Villars (1703) die Stadt dem großherzoglichen Amtmann im Jahre beschossen und unter Marschall Tallard im 1806 im aufgehobenen Franziskanerkloster Jahre 1704 schwer belagerten und ergebnis­ ihren Einzug gehalten hatte, war darauf be­ los zu stürmen versuchten. 1744 war die dacht, den Staat binnen kurzer Zeit auf die Stadt dann nicht mehr in der Lage, sich im Metropole Karlsruhe auszurichten und die österreichischen Erbfolgekrieg zu verteidigen. 500jährige vorderösterreichische Geschichte Am 10. September übergab sie sich, ohne je schnell vergessen zu machen. In Villingen an sinnlosen Widerstand zu denken, dem war den Karlsruher Bemühungen wenig Wi­ französischen Marschall Belleisle und hul­ derstand entgegengesetzt worden, auch als digte Kaiser Karl VII. Ein halbes Jahr spä­ deutlich sichtbar wurde, daß über einen Kul­ ter wurden alle Waffen, Kanonen und son­ turabbau hinaus in Villingen eine politische stiges Kriegsmaterial, 120 Wagen voll, nach Schwächung der Stadtverwaltung angestrebt Straßburg geführt, wodurch die Stadt ihren wurde. Die Wegnahme der Silbermannorgel Wert als Festung verlor. Die Zeichen des aus der Benediktinerkirche mit dem auf eine Niedergangs städtischer Eigenständigkeit Uhr eingerichteten Glockenspiel und die un­ mehrten sich, als die Zünfte vom Jahre 1756 ter Vortäuschung einer Kontrolle nach Vor­ an vergeblich gegen geheime Abmachungen zeigen weggenommene Markturkunde Kaiser des Bürgermeisters mit der Regierung in Ottos III. von 999 zeigen schlechthin die Freiburg über die Entmachtung des Magi­ neue Situation, in der sich die Stadt befand. strats vorgingen. Über 30 Jahre wehrten sich In den folgenden Jahrzehnten bis zur 48er die Zünfte energisch gegen die Aushöhlung Revolution wurden viele große Zeugen der der städtischen Selbstverwaltung, was aber Vergangenheit beseitigt: 1827 das Kornhaus schließlich an den Reformplänen Kaiser Jo­ in der Oberen Straße, der langsame Abbruch sefs II. scheiterte. Dieser wußte eine der der Johanniterkommende, die Entfremdung Hauptstützen der Villinger Selbständigkeit des Franziskanerklosters, die Belegung der und wirtschaftlichen Kraftquellen auszu­ Benediktinerkirche mit Militär, Vieh usw., schalten, nämlich die bedeutenden Villinger das Verlangen, die mittelalterliche Bicken­ Klöster aufzuheben. 1783 setzte er seine brücke aus Verkehrsgründen abzubrechen, Erlasse durch; wenn auch die Johanniter sich das Verlangen, den Johanniterkirchturm des noch etwas länger halten konnten, so war 13. Jahrhunderts aus Sicherheitsgründen ab­ dies nur eine Verzögerung einer langsamen zubrechen, der Abbruch der romanischen aber sicheren Aufhebung der Eigenständig­ Altstadtkirche 1851 und vieles andere mehr keit der Stadt. Napoleon hat das von Josef kennzeichnen Geschichte und Geschick der II. begonnene Werk vollendet. Im Frieden Stadt um diese Zeit. Die Unzufriedenheit von Luneville im Dezember 1802 ging der der armen Bevölkerung, die noch weithin Breisgau mit Villingen an den Herzog Her­ von der Landwirtschaft und Weide lebte, cules III. von Modena, im Oktober 1803 an hatte zur Folge, daß die Revolution von dessen Schwiegersohn, den österreichischen 1848 am Ort recht heftig ausbrach und eben­ Erzherzog Ferdinand Karl und von diesem so heftige Reaktionen der staatlichen Obrig­ im Dezember 1805 an Württemberg. Im Sep­ keit zur Niederschlagung der Revolution tember 1806 kam Villingen zufolge des Pari­ auslöste, was eine 7- bis 8jährige Armut ser Vertrags vom 12. Juli 1806 an Groß­ kaum gekannten Ausmaßes nach sich zog. herzog Karl Friedrich von Baden. Die Stadt hat sich erst 1857 mit einer ersten

120 großen Industrieausstellung aus der großen dieses Jahrhunderts noch genannt werden Not erheben können, und sie zeigte Tüchtig­ kann. Mit dem Bürgermeisterwechsel 1903, keit und Fleiß, besonders in der Feinmecha­ wo der erste Nichtvillinger, Dr. Braunagel, nik, in der bereits früher begonnenen Uhren- sein Amt übernahm, wurden eine Reihe von und Orchestrienherstellung und in ähnlichen wichtigen Einrichtungen zum Wohle der Industrie- und Flandwerkszweigen. Haus­ Stadt geschaffen, so das erweiterte Gaswerk gewerbe und Handwerk waren es also, die in Stadtregie übernommen, das große Fried­ mit der Ausstellung 1857/58 aus der schwer­ richkrankenhaus gebaut, ein heute noch sten wirtschaftlichen Krise herausführten. funktionsfähiger Schlachthof erstellt und Das Jahr 1873 kann als das Geburtsjahr des neuen Villingen bezeichnet werden, da mit 1911 der Anschluß an das Kraftwerk Lau­ fenburg erreicht. Diese großen Einrichtungen dem Ausbau der letzten Teilstrecke zwischen und einige andere mehr entstanden fast aus­ Hausach und Villingen die Schwarzwald­ schließlich in den Jahren 1906 und 1907. In bahn die Stadt erreichte. Vier Jahre vor dem diesem Jahr fand die 3. große Industrieaus­ vollständigen Ausbau der Schwarzwald­ stellung in Villingen statt, zu welcher sogar strecke war die Eisenbahnverbindung Villin­ der Großherzog erschien und die für das gen—Rottweil ebenfalls fertig geworden. ganze Gebiet von beispielhafter und in die Der Anschluß an das deutsche Eisenbahn­ Zukunft weisender Bedeutung war. Die netz war somit vollständig. Schon zwei 23,4 ha messende Altstadt, die während der Jahre später, 1875, konnte die Stadt die Jahrhunderte ihrer Geschichte meistens zwi­ 2. Industrieausstellung eröffnen, bei der schen 2500 und 4000 Einwohner beherbergt erstmals vier Villinger Uhrenfabriken (zwi­ hatte, begann in diesen Jahren stark über schen 40 und 120 Beschäftigten) ausstellten. Die Orchestrienherstellung hatte in diesem die Mauern zu drängen. Jahr bereits in Villingen Fuß gefaßt. Im Villingens moderne Industrie, die aus Fa­ selben Jahr wurde eine private Gasfabrik milienbetrieben aufgebaut war und die vor­ in Villingen gegründet. Sie wurde durch wiegend feinmechanische und Elektro-Be- die Heranbringung von Kohle durch die triebe sind, steht heute in der Exportintensi­ Eisenbahn erst lebensfähig. Unter dem tät mit 28 %> in Baden-Württemberg an Bürgermeister Osiander vom Jahre 1882 bis 2. Stelle nach dem Stadtkreis Heidelberg. 1903 war die Entwicklung Villingens einer Die größeren Unternehmen, so die Kienzle gewissen Stagnation unterworfen. Die Hei­ Apparate, die u. a. Computer der mittleren matverbundenheit des Bürgermeisters Osian­ Datenverarbeitung herstellen, SABA, die seit der hatte in diesem Fall den Nachteil, daß er den 20er Jahren Rundfunkgeräte u. a. her­ keinen Sprung zur wirtschaftlichen Entwick­ stellen, Binder Magnete, die 1911 mit lung wagte und lediglich 1896 eine zentrale Schnitt- und Stanzwerkzeugen begannen und Wasserversorgung einrichtete, wo zuvor 47 heute wahrscheinlich der bedeutendste deut­ private und öffentliche Brunnen den Wasser­ sche Betrieb für Magnetspulen sind, Kaiser- haushalt der Stadt sicherstellten. Die Brun­ Uhren, Winkler, Bäckereimaschinen u. a. nen, ein Wahrzeichen der Zähringerstadt, wa­ fanden ihre erste Entwicklung vor und ren mit der Gründung der Stadt zusammen nach dem 1. Weltkrieg. Am Gewerbesteuer­ und den durch die Straßen führenden Stadt­ aufkommen lassen sich die Entwicklungsstu­ bächen eines der Merkmale der sogenannten fen heute ablesen. Während es im Jahre 1968 „Ackerbürgerstadt“, wie sie bis zum Anfang 9 Mill. waren, betrug das Gewerbesteuerauf­

121 kommen 1969 schon 14 Mill. DM. Der Etat Vom 1. Weltkrieg bis heute sind die beiden der Stadt: Volksschulen auf acht Hauptschulen ange­ 1949 7 Mill. wachsen. Mehrere berufsbildende Schulen 1959 38,5 Mill. wurden neu gebaut. Ein großer Gymna­ 1969 71 Mill. siumsbau wurde 1969 begonnen. Mehrere 1970 voraussichtlich 101 Mill. Kirchenneubauten wurden erstellt und in (ord. u. außerord.) ähnlicher Weise haben sich kulturelle Ein­ richtungen, nicht zuletzt der rege Betrieb beweist wiederum die dynamische Entwick­ der Theatergemeinde und das sehr leistungs­ lung, welche auf einer leistungsfähigen, gut fähige Volksbildungswerk entsprechend aus­ proportionierten Industrie ruht. gedehnt. Zum Schluß sei noch darauf hingewiesen, daß sich die Stadt nach dem 1. und 2. Welt­ Die beiden Museen der Stadt sind in Art krieg — man könnte sagen — im Gegensatz und Umfang ein Spiegelbild der im Mittel­ zum 19. Jahrhundert jeweils gut erholt hat alter bedeutenden und wieder zu Bedeutung und eine Entwicklung nahm, die sich mit strebenden Stadt, die in ihrer historischen anderen Städten und Gebieten jederzeit mes­ Bausubstanz — z. B. ist die Franziskaner­ sen kann. anlage vollständig erhalten — und dem un­ Dies zeigt sich in den verschiedensten veränderten Grundriß der Zähringerstadt Bereichen, z. B. der Erweiterung der Schulen. eine gewisse Sonderstellung einnimmt.

122 Neuenburg

Von Konstantin Schäfer, Neuenburg Am Rathaus zu Neuenburg stehen um das len, der sie in dauerndem Ansturm auszu­ Mosaik-Stadtwappen in der offenen Vor­ löschen trachtete. halle drei Jahreszahlen: 1175, 1292 und So ist das Bild der modernen Landstadt, 1958. Wenn sich der Rat der Stadt in sei­ das den Sucher eines mittelalterlichen Stadt­ nem Sitzungssaal versammelt, tut er dies bildes beim ersten Blick in seiner nüchternen, nicht in einem durch eine jahrhundertealte sauberen Sachlichkeit enttäuschen mag, ein Tradition geweihten Raum. Unten am Hoch­ beglückendes Symbol, das den Sieg des ufer, wo von dem Autobahnzubringer die menschlichen Willens über alle Vernichtung Abzweigung zur Stadt aufsteigt, zeigt eine bezeugt. große Tafel eine mittelalterliche Stadt mit Die Festsetzung des Gründungsjahres ist hochragendem großem Münster, mit Mau­ eine Hypothese. Sicher sind nur die die ern und Türmen. Biegt der Besucher dann Gründungszeit begrenzenden Zahlen 1170 in die breite Hauptstraße ein, findet er und 1180. nichts von alledem. Das Rathaus ist ein An der Stelle der späteren Stadt stand im moderner Bau in der Front einer mit Anfang des 12. Jahrhunderts ein Wirtschafts­ springenden Wassern und blühenden Sträu- hof, den Herzog Bertold IV. von Zähringen chern versehenen Anlage. Die mächtige, in samt dem umgebenden Land im Jahre 1161 gefälligen Proportionen erbaute Liebfrauen­ für 30 Reichsmark an Abt Hesso vom Klo­ kirche wurde 1953 geweiht. Er findet ster Tennenbach verkaufte, dessen Schutz­ nichts, das ihn an die stolze, aber leid­ herrschaft Bertold IV. übernommen hatte. volle Vergangenheit dieser Stadt erinnern Was solchergestalt sich friedlich anließ, sollte könnte. Selbst wenn er vor dem Mahn­ sich bald ändern. Clementia, die Tochter mal der Gefallenen beider Weltkriege steht, von Herzog Konrad und eine Schwester von wird er vielleicht verständnislos den gemar­ Bertold IV. hatte 1148 Heinrich den Löwen terten Rumpf und den gespaltenen Schädel geheiratet. Als Mitgift hatte sie unter ande­ rem auch die Herrschaft Badenweiler erhal­ des Gekreuzigten sehen. Diese Schändung ten. Diese außerhalb seines Interessengebie­ stammt aus dem letzten Weltkrieg, nachdem tes liegende Herrschaft tauschte Heinrich der das Kreuz, allein noch die Trümmer der Löwe gegen andere in Sachsen gelegene Gü­ Stadt überragend, alle Kriege der letzten ter mit Kaiser Friedrich I. Barbarossa. Bar­ Jahrhunderte überdauert hatte. Neuenburg barossa suchte eine unmittelbare Verbindung war einst eine freie Reichsstadt. Ihre stol­ zum Elsaß zu gewinnen, wo die Hohenstau­ zeste Zeit hat sie während ihrer Zugehörig­ fen das Landgrafenamt inne hatten. Von keit zu Vorderösterreich erlebt, in der sich hier aus gedachte er, auf die Freigrafschaft ein freier starker Bürgersinn entwickelte, den Burgund Einfluß nehmen zu können. Diese kein Schicksalsschlag beugen konnte. Freigrafschaft war aber von König Lothar 1175 steht für das Jahr der Gründung links an Herzog Konrad von Zähringen verge­ vom Stadtwappen am Rathaus. 1292 ist das ben worden. So mußte es Herzog Bertold IV. Jahr der Verleihung weitgehender Privile­ von Zähringen daran gelegen sein, dem gien durch König Adolf von Nassau. 1958 Machtstreben des Hauses Hohenstaufen einen ist das „quant-meme“ der Neuenburger, das Sperriegel zwischen Badenweiler und dem Trotzdem gegenüber dem Vernichtungswil­ Elsaß vorzuschieben. Dieser politischen Lage 123 Merianstich 1693 verdankt Neuenburg seine Entstehung. Ber­ told IV. nahm dem Kloster Tennenbach den ihm verkauften Hof und das umgebende Land wieder ab und gründete am günstigen Rheinübergang die Stadt Neuenburg. Es war für die junge Stadt ein wenig verhei­ ßungsvoller Beginn. Während der Regierungszeit Herzog Ber­ tolds V. erfuhr die Stadt eine verhältnis­ mäßig ruhige Zeit der Entwicklung. In den Stadtsiegel um 1200 Mauern Neuenburgs wurde entsprechend ihrer Bestimmung zahlreicher Wehradel an­ Neuenburg war neben Freiburg, Breisach gesiedelt, so u. a. die Brenner, die 1307 erst­ und Basel zum bedeutendsten Ort am süd­ mals erwähnt werden und noch 1511 in Ur­ lichen Oberrhein geworden. Die zur Hälfte kunden erscheinen, die Ritter von Endingen, auf einer Halbinsel in das Rheinvorland die Herbst, Hetzel, Häsing, v. Neuenfels, hinaus ragende Stadt läßt heute noch in v. Nufar, v. Pulster, v. Sept, die Sermenzer ihrer Planung das Kennzeichen der Zäh­ und die Snewelin. ringer Stadtgründung erkennen, die sich Nach dem Tode Bertolds V., der kinderlos rechtwinklig schneidenden, breit angelegten starb, erklärte Kaiser Friedrich II. den größ­ Marktstraßen, wenn auch heute direkt am ten Teil des Erbes als Reichsgut, darunter Kreuzungspunkt die West-Ostachse steil zum auch Neuenburg. So wurde Neuenburg 1215 Rheinvorland abbricht: Die reißenden Was­ erstmals Reichsstadt. In dem Kampfe Fried­ ser des Rheins hatten 1525 ihr stetig fort­ richs II. mit seinem Sohne Heinrich mußte schreitendes Vernichtungswerk vollendet und die Stadt zum ersten Male auch das Schick­ gut die Hälfte der Stadt mitsamt dem Mün­ sal der Verheerung erleiden. ster hinweggerissen. Auf dem bekannten Schon 1254 endete die kurze Zeit der Merianstich aus der Typographia Alsatiae Reichsfreiheit, als die Stadt in den Besitz des ist ein kleines Stück des stehengebliebenen Grafen Konrad von Freiburg gegeben wurde. Chores noch zu sehen. Unter dessen Sohn Heinrich empörte sie sich Schon 1292 wird das Münster erwähnt, die 1272 in einem dramatischen Geschehen gegen Namen von 15 Seitenaltären werden ge­ seine Herrschaft und verband sich mit dem nannt. Ihr Vorhandensein läßt auf die Bischof von Basel. In der entstehenden Fehde Größe des Bauwerks schließen. Außerdem stand auch Graf Rudolf von Habsburg gegen befanden sich in Neuenburg noch folgende die Stadt, die sich erfolgreich verteidigte und Kirchen: die St. Johanniskirche (erstmals er­ wähnt 1248, zerstört 1675), die Franzis­ ihrerseits über Ottmarsheim, Rixheim und kaner-Klosterkirche, ebenfalls 1675 im Hol­ Blodelsheim im Elsaß brandschatzend her­ ländischen Krieg zerstört, die Spitalkirche, fiel. Als Rudolf von Habsburg zum König die St. Georgen-Kapelle im Sondersiechen- gewählt wurde, öffnete ihm Neuenburg die haus, die Pilgramskapelle, die Niedere- Tore, und es wurde am 13. Januar 1274 zum Kapelle in der Niederstadt unter dem Hoch­ zweiten Male freie Reichsstadt. ufer und die Heilig-Kreuz-Kapelle außer­ 1292 übergab König Adolf von Nassau im halb der Stadt. Ratssaale der Stadt persönlich einen weit­ Vier Stadttore schlossen die beiden Achsen gehenden Freibrief, das sogenannte Adolphi- ab. An der nördlichen Hälfte der Nord-Süd- nische Privilegium. Achse, die als Teil der alten Rheinstraße von 125 Basel nach Freiburg und Breisach die Stadt Elisabeth Münch kam er in den Kreis der kreuzt, lagen u. a. die Ratslaube, die Ge­ einflußreichsten Basler Geschlechter. Als richtslaube, die Tanzlaube und die Brot­ Bertold von Bucheck den Bischofsstuhl von laube. Von Rudolf von Habsburg an bis Straßburg erhielt, wurde Mathias dessen (1563) zu Ferdinand I., dem Bruder Kaiser Rechtskonsulent und wurde von ihm mit der Karls V., versäumte es kein Kaiser, die Stadt Burg Beheimstein am Ungersberg im Al- zu besuchen. Wenn uns auch eine alte An­ brechtstal belehnt. Leider verbrannte die gabe der Einwohnerzahl der damaligen Zeit Straßburger Handschrift seiner Chronik mit 6000 als viel zu hoch erscheint, dürfte während des Krieges 1870; drei weitere sie immerhin nach dem Umfang ihrer zu Handschriften werden in Bern, in Wien und leistenden Abgaben zwischen 3000 und 4000 in der Vatikanischen Bücherei bewahrt. betragen haben. Einer seiner Söhne wurde Kanonikus zu 1311 endete die zweite Reichsunmittelbar­ Haslach; sein zweiter Sohn, Heinzmann, keit der Stadt. Ludwig der Baier verpfän­ wurde durch sein unruhiges Blut in einen dete die Stadt an die Herzöge Otto und Überfall verwickelt und aus Straßburg ver­ Albrecht von Österreich. Neuenburg ver­ bannt. Auch das Todesjahr von Mathias von schloß den Herzögen die Tore, mußte sich Neuenburg liegt wie sein Geburtsjahr nicht aber nach einer siebenwöchigen Belagerung fest, er muß zwischen 1364 und 1370 ver­ fügen. Seitdem blieb Neuenburg vorder­ storben sein. österreichisch bis zu seinem widerstrebenden Das Konstanzer Konzil brachte für Neuen­ Übergang an Baden im Jahre 1806. burg eine bedeutungsvolle Stunde. Papst Als sich die österreichischen Herren darum Johannes XXIII. war mit Herzog Fried­ bemühten, in ihren Vorlanden eine Einheits­ rich IV. aus Konstanz geflohen, um sich währung einzuführen, wurden die Münz­ seiner erzwungenen Absetzung zu entziehen. tage des Rappenmünzbundes in Neuenburg Von Freiburg und Breisach kommend, zog durchgeführt. Um die Mitte des 14. Jahr­ er am 25. April 1415 in Neuenburg ein, um hunderts finden wir die Erwähnung von von hier über den Rhein nach Burgund zu „denarii monetae Nuwenburgensis“ und von fliehen. Die erregten Bürger fürchteten die „Pfg gewonl. Nüwenburger“, was die An­ Folgen für ihre Stadt, versammelten sich nahme einer eigenen Neuenburger Münz­ vor seinem Absteigequartier und nötigten stätte bekräftigt. den Papst, die Stadt zu verlassen. Von Kon­ Aus Neuenburg stammt der letzte große stanz aus verhängte Kaiser Sigismund über Reichschronist des Mittelalters, Mathias von Herzog Friedrich IV. die Reichsacht. Neuen­ Neuenburg. Das Datum seiner Geburt liegt burg wurde 1415 zum dritten Male Reichs­ zwischen 1294 und 1297. Sein Lebenslauf stadt, allerdings nur für zwölf Jahre. Mit bietet uns ein faszinierendes Bild hochmittel­ der Wiedereinsetzung des Herzogs in seinen alterlichen Geschehens. Es gibt uns Streif­ alten Besitz wurde Neuenburg wieder öster­ lichter aus höfischem Leben, kirchlichem reichisch. Machtstreben, aus innerstädtischen Kämpfen, Um die Verhältnisse in den vorderöster­ staatlicher Verwicklung und menschlicher reichischen Landen zu ordnen, wurden 1448, Lebenshaltung. 1468 und 1469 Landtage nach Neuenburg Nach seinem Studium in Bologna, wo wir einberufen. Markgraf Karl von Baden war ihn im Immatrikulations-Verzeichnis von als Verwalter der vorderösterreichischen 1315 eingetragen finden, trat Mathias von Lande eingesetzt. Der in steter Geldnot Neuenburg in den Dienst des geistlichen lebende Herzog Sigismund verpfändete Gerichtshofes zu Basel. Durch seine Ehe mit schließlich den Sundgau und den Breisgau 126 Neuenburg vor dem Zweiten Weltkrieg an Karl den Kühnen von Burgund, der auf im Elsaß weilte, nahm ihn Hagenbach ge­ diesem Wege den kühnen Plan eines groß- fangen, um mit der führerlosen Stadt ein burgundischen Reiches zwischen Frankreich leichteres Spiel zu haben. Er ließ Siegelmann und Deutschland zu verwirklichen dachte, nur gegen das Versprechen frei, die Stadt um von hier aus beide in einem einzigen niemehr zu betreten. Die Bürger erzwangen Reiche zu vereinen. aber die Rückkehr ihres Oberhauptes. Als Verwalter der verpfändeten Gebiete Im Sommer 1473 stellte Freiburg der Stadt setzte er Peter von Hagenbach ein, der erneut eine Warnung zu.1 seinen Sitz in Breisach nahm. Es konnte Im Winter des gleichen Jahres berichtete nicht ausbleiben, daß es bald zu Reibungen Basel von einem bevorstehenden Kriegszug zwischen ihm und der Stadt Neuenburg Hagenbachs gegen Neuenburg. Es kam ein kam, da ein großer Teil ihrer Besitzungen Bündnis mit Basel zustande, das Hagenbach jenseits des Rheines lag und die Neuen­ an der Ausführung seines Vorhabens ver­ burger nach den Adolphinischen Privilegien hinderte. Dafür rückte er im Frühjahr 1474 Anspruch auf alle Rheininseln und auf das mit 600 Mann gegen die Stadt vor, die aber Fischrecht im Strom erhoben. von Freiburg und Bern Hilfe erhielt. So Die Stadt Freiburg hatte Kenntnis von mußte Hagenbach wiederum aufgeben und einem geplanten Überfall Hagenbachs auf hielt in Ottmarsheim Gericht über die Stadt Neuenburg erhalten und warnte 1471 ihre ab, die er für vogelfrei erklärte. Durch eine Schwesterstadt. Als 1473 Bürgermeister Sie­ Änderung der politischen Lage standen nun gelmann anläßlich einer Hochzeit in Lohr auch österreichische Truppen für den Schutz

127 der Stadt zur Verfügung, und Hagenbach zufügte. 1498 wurde wiederum ein Münztag mußte endgültig aufgeben. In der Gerichts­ und 1499 ein Landtag in Neuenburg abge­ sitzung zu Breisach über Hagenbach, die halten. Allerdings mußte die Stadt sich auch nach seiner überraschenden Gefangennahme an den Kämpfen des Kaisers beteiligen. auf Tod durch das Schwert erkannte, war Die Zeit der sich ankündigenden Refor­ auch Neuenburg mit zwei Geschworenen mation fand auch in Neuenburg ihr Echo. vertreten. Schon 1522, mehr als dreißig Jahre bevor Um sich jedoch gegen die dauernden Geld­ die Markgrafschaft zur Reformation über­ forderungen des Herzogs Sigismund zur trat, berief Neuenburg aus freiem Entschluß Wehr zu setzen, schloß Neuenburg 1475 mit den ehemaligen Angehörigen des Karthäuser- den Städten Freiburg, Breisach und Endin- Ordens, Otto von Brunfels, als Prediger der gen für 10 Jahre ein Bündnis, das 1485 um neuen Lehre. Die Insassen des Franziskaner- 14 Jahre und 1499 um weitere 10 Jahre Klosters der Stadt traten geschlossen dem verlängert wurde. neuen Glauben bei. An ihre Stelle zogen die In König Maximilian I. gewann Neuenburg Kapuziner in das verlassene Kloster ein. Das einen großen Freund. Er kam nach Neuen­ Edikt von Ensisheim zwang 1524 die Stadt burg und bestätigte die alten Rechte. Die zur Rückkehr in die alte Kirche. Regierungsform, die Maximilian einführte, Nach der Reformationszeit brachte der war das Zeichen für den Beginn einer neuen Bauernkrieg neue Bedrängnisse. Unter ihrem Zeit. An der Spitze stand der von ihm er­ Anführer Hans Hammerstein von Feuerbach nannte kaiserliche Statthalter mit seinen schlossen am 9. Mai 1525 die Bauern die Räten. Ihnen waren aber die Vertreter des Stadt ein, nachdem es dem Propst des Klo­ Adels, der Klöster und der Bürger stimm­ sters Gutnau und den beiden einzigen Non­ berechtigt beigeordnet als erster, zweiter und nen noch gelungen war, hinter den Mauern dritter Stand. Im dritten Stand war auch Neuenburgs Schutz zu suchen. Als die Hilfe­ Neuenburg vertreten. rufe nach Freiburg und Breisach ohne Erfolg Wieviel Maximilian an der Stadt Neuen­ blieben, da diese Städte in der gleichen burg gelegen war, zeigt sein Angebot, das Gefahr standen, öffneten die Bürger die er 1496 der Stadt machte: Tore und zahlten die geforderte „Ver­ „Da nun uns, dem heiligen Reich und ehrung“ von 3000 Gulden, um dadurch der unsern erblichen Landen an derselben Stadt Plünderung und Brandschatzung zu ent­ marklich und Ziel gewesen ist“, wünschen gehen. wir, „doß sy von Grundt sin Newe Stat von Nach der blutigen Unterdrückung des Auf­ der alten Stat, hinauf bis an den Reggenhag, standes verlangte 1526 die vorderösterreichi­ wie ihnen dann das durch unsern Landvogt sche Regierung von der Stadt, sich für ihr in Elsaß aufgezeigt wirdet, pawen und die- Verhalten während des Bauernkrieges zu selb mit Muren, Thurm, Graben und ande­ rechtfertigen. Das noch erhaltene Rechtfer­ rem zu der weer nach notdurfften einfassen, zu michter und befestnen sollen.“ tigungsschreiben des Magistrats an die vor­ Er versuchte die Bedenken der Stadt zu derösterreichische Regierung in Ensisheim zerstreuen, indem er ihr das Zollrecht an der (1526) gibt uns nicht nur ein Bild von der Landstraße, der heutigen Bundesstraße 3, Lage vieler kleiner Städte in dieser Zeit, es zugestand. Die Bürger wollten ihren ange­ zeugt auch von einem geraden Bürgersinn, stammten Platz nicht verlassen und dem der bei aller Einhaltung der gebotenen Form Strom nicht weichen, der schließlich dann den Vorwurf deutlich werden läßt: Was 1525 der Stadt den erheblichsten Schaden wollt Ihr uns anklagen, die Ihr doch unsern 128 Neuenburg mit Altrhein

Hilferuf nicht gehört und uns im Stich ge­ Neuenburg empfindlichen Schaden zugefügt. lassen habt! Um alle damit zusammenhängenden Fragen Unter den Freunden der Stadt in jener be­ zu regeln, kamen 1561 die vorderöster­ wegten Zeit sind besonders zu erwähnen reichischen Prälaten und Stände in Neuen­ Bonifatius Amerbach und sein Freund Eras­ burg zusammen und schlossen einen Vertrag. mus von Rotterdam. Amerbach, der be­ Auch ein Münztag wurde 1561 nach Neuen­ rühmte Rechtsgelehrte und mehrmalige Rek­ burg einberufen. 1563 betrat mit Ferdi­ tor der Universität Basel, war ein Sohn des nand I. zum letztenmal ein Kaiser den Basler Buchdruckers Johann Amerbach. Boden Neuenburgs, um die alten Privilegien Bonifatius Amerbach heiratete die Tochter zu erneuern. Martha des wohlhabenden und angesehenen Der erste Teil des 1618 ausbrechenden Krie­ Bürgermeisters der Stadt Neuenburg, Leon­ ges spielte sich fern der Stadt als eine mehr hard Fuchs. Es geschah im gleichen Jahr böhmische Angelegenheit ab. Auch während 1527, in dem in Neuenburg nach schwierigen der Ausweitung zum böhmisch-pfälzischen Verhandlungen im sogenannten Neuenbur­ und schließlich zum sächsisch-dänischen ger Vertrag die Entschädigungsansprüche an Krieg blieb das Oberrheingebiet von Kämp­ die Markgrafschaft für die Folgen des Auf­ fen frei. 1630 begann der dritte Abschnitt standes der Markgräfler Bauern auf öster­ des großen Krieges, der schwedische Krieg. reichischen Boden geregelt wurden. König Gustav Adolf griff in die Kämpfe Erasmus von Rotterdam kam mit seinem ein. Seine Truppen rückten gegen den Süden Freunde öfters in die Stadt. Die Einführung vor. In rascher Folge fielen am 9. und 12. der Reformation in den markgräflichen Dezember 1632 Kenzingen und Staufen in Landen hatte dem katholischen Landkapitel die Hände der Schweden. Am 13. Dezember

9 Badische Heimat 1970 129 mußte Neuenburg bereits den anrückenden seiner zukünftigen Lande hatte er Breisach Truppen die Tore öffnen. General Horn zog ausersehen, das noch in kaiserlichen Händen mit der Hauptschar weiter vor Freiburg, das war. Er schlug 1638 in Neuenburg sein er am 19. Dezember besetzte. Von Breisach Hauptquartier auf und nahm im Hause von aus entrissen mit einem überraschend geführ­ Reinhart Marstaller Wohnung. Von hier ten Handstreich die Kaiserlichen den Schwe­ aus leitete er seinen Angriff auf Breisach den wiederum die Stadt Neuenburg. Da ein, das er am 17. Dezember einnahm. Freiburg in den Händen der Schweden blieb, Frankreich, mit dem er sich vertraglich ver­ nahm die vorderösterreichische Regierung bunden hatte, forderte von ihm die Heraus­ ihren Sitz in Neuenburg. Schon im Sommer gabe Breisachs. Er lehnte alle Angebote ab. 1633 begannen die Schweden mit der Wie­ Bei einem Aufenthalt in Burgund erkrankte dereroberung der verlorenen Gebiete. Am er an einer Seuche. Er starb am 18. Juli 1639 28. Juni 1633 standen sie mit ihrer ganzen in Neuenburg, von wo er nach Breisach Streitmacht vor der Stadt und begannen mit übergeführt und in der Skapulier-Kapelle dem Bombardement. Am 29. Juni mußten des Münsters vorläufig beigesetzt wurde. Im sich die Kaiserlichen ergeben, und die Stadt August 1655, sieben Jahre nach dem Frieden war wieder in den Besitz der Schweden von Münster und Osnabrück, fand er end­ übergegangen. Im Oktober mußten sich die gültig in der Stadtkirche zu Weimar seine Schweden, durch die veränderte Lage auf Ruhestätte. den ändern Kriegsschauplätzen genötigt, Herzog Bernhard hatte in seinem Testa­ wieder aus Freiburg und Neuenburg ins ment General v. Erlach als Statthalter von Elsaß zurückziehen. Anfang April standen Breisach eingesetzt. Dieser verkaufte Armee sie jedoch wieder vor der Stadt. Am 5. April und Land an die Franzosen. So wurden begann die Beschießung, die kaiserliche Be­ Breisach und Neuenburg französisch und satzung floh auf dem Rhein mit dem größ­ blieben es bis zum Abschluß des West­ ten Teil der Bevölkerung, und wiederum fälischen Friedens. Die Britzinger Chronik war Neuenburg in schwedischen Händen. berichtet für den Sommer 1639 von einer Wie sehr die Bevölkerung der Stadt unter Pestwelle in Neuenburg, die innerhalb von diesen Ereignissen zu leiden hatte, geht aus zwei Tagen 400 Menschen dahingerafft dem Bericht des schwedischen Kommandan­ habe. ten Neuenburgs hervor, der am 2. Septem­ Neuenburg wurde 1648 wieder an Öster­ ber 1634 nach Freiburg berichtetete, daß in reich zurückgegeben. 1651 zogen die Fran­ Neuenburg alles „aufgefressen“ sei, die ar­ zosen ab, und die Stadt huldigte wieder men Bürger seien gestorben und verdorben. ihren alten Herren. Nur noch zwölf Bürger seien übriggeblieben. Für die Stadt ist die Bilanz des Krieges Nun erschien Frankreich auf dem Kriegs­ vernichtend. Von 3000 bis 4000 Einwohnern schauplatz. Am 16. September räumten die der mittelalterlichen Blütezeit blieben noch Schweden Neuenburg. Die geflohenen Bür­ 76 Bürger übrig. Von diesen Geschlechtern ger konnten wieder zurückkehren in der sind noch die Boll, Erhard, Kößler, Orth, Hoffnung, unter dem Schutze Frankreichs Rueb, Schmidt, Senftle und Zipper in der nun ruhigere Zeiten erwarten zu dürfen. heutigen Stadt ansässig. Der heute zahlreich Wieder war eine Änderung der Lage ein­ vertretene Name Grozinger taucht erst um getreten. Herzog Bernhard von Weimar war 1700, der Name Kappler erst gegen Ende in schwedische Dienste getreten. Er hoffte, des 18. Jahrhunderts auf. sich durch geschicktes Lavieren hier am Rhein Die der Stadt nach dem Dreißigjährigen ein Fürstentum zu erwerben. Als Hauptstadt Kriege gewährte Zeit des Friedens war kurz. 130 Die zerstörte Stadt Neuenburg 1945

Schon 1675 stand wieder ein Feind vor den sters zu richten, an dem auch die Kloster­ Toren, Vauban, der General Ludwigs XIV. vorstände teilnehmen mußten. Dann verließ Es ging um die militärische Vorherrschaft die schweigende Prozession der Mönche die Frankreichs in Europa. Stadt, während hinter ihnen schon die Flam­ Durch die Entfachung des Flolländischen men aus Kloster und Kirche schlugen. Krieges war der Oberrhein weitgehend von Sofort nach dem Abzug der Franzosen Truppen entblößt. In Neuenburg lagen nur waren die in die weitere Umgebung geflüch­ wenige Mann der Kaiserlichen. In der Nacht teten Bewohner in die Trümmer zurück­ vom 10. auf den 11. März 1675 schloß gekehrt und wollten mit dem Wiederaufbau Vauban von Breisach aus die Stadt ein. Die beginnen. Die Regierung verbot aber eine sorglos schlafenden Soldaten waren rasch Rückkehr. Erst nach dem Friedensschluß gefangen genommen. Die Franzosen fielen 1679 konnte mit dem Wiederaufbau begon­ plündernd und schändend über die Stadt nen werden. Es kehrte aber nur noch eine und ihre Bewohner her. Wenige Häuser, geringe Zahl von Bewohnern zurück, an darunter das Kloster und die Kirche waren von der Brandschatzung verschont geblieben. denen die durchlebten schrecklichen Jahre Am 23. März erschien Vauban wieder mit und die Demütigungen der Flüchtlingszeit 700 Mann in der unglücklichen Stadt und nicht ohne innere Einwirkung geblieben wa­ gab vor dem Kloster der Franziskaner den ren. Die Kapuziner waren von Staufen, wo erschrockenen Bewohnern und Mönchen den sie Zuflucht gefunden hatten, nicht mehr Befehl Ludwigs XIV. bekannt, daß die nach Neuenburg zurückgekehrt. Neuenburg Stadt völlig niederzureißen sei. Den Mön­ war in seiner Entwicklung hoffnungslos zu­ chen befahl Vauban, für ihn und seine Offi­ rückgeworfen und elender geworden als das ziere ein Festmahl im Refektorium des Klo­ ärmste Dorf im Lande. 131 Schon 1690 zogen die Franzosen von neuem derbrechenden Häuser war der Löschsand in Neuenburg ein. Was in den wenigen Frie­ auf dem letzten Blatt der Geschichte der densjahren sich an Besitztum hatte erarbeiten Stadt.“ lassen, wurde wiederum geraubt. Der Frie­ Allein noch aufrecht stehend überragte ein densschluß von Ryswyk 1697 ließ die Hoff­ steinernes Kruzifix die Trümmer, das schon nung auf bessere Zeiten wieder aufleben. auf dem gleichen Platz die Zerstörungen Doch schon 1704 traf die Stadt der ver­ des Holländischen Krieges überdauert hatte. nichtendste Schlag. Erst der letzte Weltkrieg hat ihm die Wun­ Schon bald nach Beginn des Spanischen den geschlagen, die es heute als Mittelpunkt Erbfolgekrieges besetzten in der Nacht zum des Gefallenen-Mahnmales der Stadt zeigt. 13. Oktober 1702 französische Truppen die Für die Neuenburger Bürger aber begann Stadt. die Zeit einer zehnjährigen Evakuierung. Am 20. April 1704 kam Marschall Tallard Wenn sie auch anfangs freundlich aufgenom­ in die Stadt. Schon am 25. April ließ er be­ men worden waren, konnte es doch nicht kanntgeben, daß König Ludwig XIV. be­ ausbleiben, daß es im Laufe der vielen Jahre schlossen habe, innerhalb von 9 Tagen die bei den beengten Raumverhältnissen der Stadt dem Erdboden gleich machen zu lassen, Gastgeber zu Reibungen und Streitigkeiten damit sie für immer ausgelöscht sei. Alle kommen mußte. Man glaubte in den Auf­ Bitten und Vorstellungen nützten nichts. nahmeorten, Neuenburg werde niemals mehr Tallard erlaubte als besondere Gnade den aus den Trümmern wieder erstehen und Bürgern, ihre Häuser selber abzureißen und hoffte, die Geflüchteten würden ihre Felder Ziegel, Holzfenster und Türen mit weg­ und ihre Privilegien für immer den Helfern führen zu dürfen. Der 1. Mai war als letzter einbringen. Statt dessen bemühten sich die Tag der Räumung festgesetzt. In der Ge­ Flüchtlinge leidenschaftlich um die Erhal­ schichte Neuenburgs ist dieser letzte Akt des tung ihres Besitzes. Dramas folgendermaßen geschildert: Endlich kam es am 7. März 1714 zum „Pfarrer Christen hielt einen letzten Got­ Abschluß des Friedens von Rastatt. Die tesdienst in dem mit vielen Opfern erst vor 46 überlebenden und noch heimkehrbereiten fünf Jahren fertiggewordenen Gotteshaus. Neuenburger Bürger standen in ihrer Stadt Am Nachmittag versammelten sich die Ein­ vor dem völligen Nichts. Sie fanden nur wohner vor der Kirche. Pfarrer Christen noch Kellerlöcher vor, aus deren Schutt nahm Abschied vom Gotteshaus und der wildes Weidengestrüpp und Brennesseln Stadt, nahm das Allerheiligste vom Altar, wuchsen. Sie fingen an, armselige stroh­ und, während schon die Steine der Mauern gedeckte Hütten zu bauen. Es erschien der unter den Stößen der Zerstörer ins Schiff Gemeindeverwaltung für wichtiger, die ver­ stürzten, schritt er die Treppe zum warten­ lorengegangenen Rechte der Stadt wieder den Volk hinab. Die Einwohner folgten ihm zu erkämpfen, als irgend ein öffentliches klagend und jammernd. Es war am Himmel­ Gebäude zu errichten. Die Ratsgeschäfte fahrtstag 1704. Bald lag das Obere Tor wurden in der Behausung des Bürgermeisters hinter ihnen. Hinter ihnen eine verlorene Linder durchgeführt. Heimat. Müde schleppten sich ihre Schritte Während der Zeit der Vertreibung hatten durch den Staub der Straße. An der Heilig- die umliegenden, von Zerstörungen ver­ Kreuz-Kapelle hielt der Zug. Als sie sich zur schonten Orte der Stadt ihre Monopole und Stadt zurückwendeten, sahen sie die Staub­ Märkte genommen. Auf die Stadtmatten wolke der in sich zusammenstürzenden hatte man das Vieh getrieben und ein Ge­ Pfarrkirche aufsteigen. Der Staub der nie­ wohnheitsrecht daraus entstehen lassen. 132 Eisenbahnbrücke über den Rhein vor dem Zweiten Weltkrieg

Selbst Klagen über versetzte Gemarkungs­ erstellt, so armselig, daß er sich weigerte, es steine wurden erhoben. Es wurden deswegen zu benutzen. endlose Prozesse besonders mit Auggen und Im 79. Lebensjahr, nach einem tapferen, Bantzenheim geführt. Der Magistrat wandte streitbaren Leben, starb Pfarrer Christen sich mit der Bitte an Kaiser Karl VI., der am 29. Oktober 1751. In seinem Kirchen­ Stadt ihre alten Privilegien erneut zu be­ buch hat er noch das erschütternde Fazit stätigen, was auch gewährt wurde. seines Lebens niedergeschrieben: „Inveteravi Die Zusammensetzung der Bevölkerung inter inimicos meos — Ich bin alt geworden hatte sich sehr verändert. Zu den zurück­ unter meinen Feinden.“ gekehrten einheimischen Bürgern waren Hei­ Auf seinen Grabstein ließ ihm die Gemeinde matlosgewordene aus verschiedenen Gegen­ die späten anerkennenden Worte schreiben: den des Landes gekommen, für die selbst die „Steh still, Wanderer, und lies: Hier ruht in der zerstörten Stadt angetroffenen Ver­ im Grabe ein Mitbürger und Wohltäter der hältnisse noch einen Anreiz boten. Hieraus Stadt; den Seelen der ihm anvertrauten wieder eine einheitliche, ihrer Aufgabe und Herde, die der Feind weit zerstreut hatte, ihres Wesens bewußte Bürgerschaft zu schaf­ ist er nachgegangen, um auch nicht eine zu fen, war eine schwere Aufgabe. Stöße von verlieren. An vielen Plätzen hat er sie wie­ Akten berichten von Streitigkeiten und Rei­ der gesammelt, als der Friede erfolgt war. bereien, von Klagen auch gegen den Magi­ Fragst Du nach seinem Namen: den Zu­ strat, von unerquicklichen Schwierigkeiten, namen nenn ich Dir ,Christen“, den Namen die man dem Pfarrer bereitete. Man hatte Jacobus Johannes.“ ihm auf dem Grundstück des niedergebroche­ Auf den Spanischen Erbfolgekrieg folgte nen Kapuzinerklosters ein neues Pfarrhaus der österreichische Erbfolgekrieg in den drei­ 133 ßiger Jahren des 18. Jahrhunderts. Neuen­ Inseln aber mehrenteils im Rhein, von den burg selbst wurde in die kriegerischen Hand­ Ackern und Matten diesseits aber mehr als lungen nicht verwickelt, mußte aber zu den 160 Jauchert, die früher Ortsbürgern gehör­ Kriegslasten durch Stein- und Holzlieferun­ ten, in Markgräfischen Händen, hiezu die gen beitragen, für die Verpflegung der in Kontribution . . .“ der Nähe lagernden Truppen aufkommen Soweit der amtliche Lagebericht. Von und Männer als Schanzer nach Breisach und einem Erfolg ist in den Akten nichts ver­ Freiburg schicken. Der Fischfang und der zeichnet. Rheinzoll lagen darnieder, der große Eich- Uber dem Hochufer steht heute wieder wald oberhalb von Chalampe ging verloren. die Nepomuk-Statue, die in jener Notzeit Der Schaden war für die armgewordene, am 25. April 1739 zum ersten Male hier noch unter den Folgen des Spanischen Erb­ Aufstellung gefunden hatte. folgekrieges leidenden Stadt, kaum zu tra­ 1740 war Kaiser Karl VI. gestorben. Seine gen. Zudem vernichtete eine Viehseuche älteste Tochter Maria Theresia folgte ihrem allein 160 Rinder. Als die vorderösterreichi­ Vater in der Herrschaft über die österreichi­ sche Regierung bedenkenlos von der Stadt schen Lande. Schon 1741 schickte sie „An noch hohe Schatzungsgelder eintreiben Unseren Getreüen Lieben N. Bürgermeister, wollte, schilderte der Magistrat in einer Rath, und gesambten Burgerschafft Unserer Eingabe die Notlage der Stadt: V:öen Statt Neüenburg am Rhein“ die Auf­ „Die Stadt, früher aus einigen 100 schöner forderung zur Erbhuldigung. Gebäude und Häusern bestehend, von einem Die Erbhuldigung fand statt. Schutz und ansehnlichen Adel, vielen Kaufleuten, meh­ Schirm und Gnaden bekam sie bald zu spü­ reren Künstlern und zahlreichen Handwer­ ren. kern bewohnt, im Besitze erträglicher Jahr- Auf den Friedensschluß 1748 folgte für und Wochenmärkte, vieler ergibiger Ge­ Neuenburg eine lange 40jährige Friedens­ meinde- und Privatgüter auf beiden Ufern, zeit. Allerdings waren auch diese Jahr­ eines bedeutenden Handels und Verkehrs, zehnte für die Stadt nicht eitel Glück und einer starken Zoll- und Umgeldsannahme, Aufschwung. Die periodischen Landtage eines großen Wald- und auch Wildpret- wurden 1764 durch eine Staatsentschließung handels, weil bis zu 1675 die Waldungen aufgehoben und durch ein Kollegium der nebst dem Wild zumal jenseits des Rheines drei Syndicen der Stände abgelöst. Ein ge­ sehr geschont und gepflegt wurde, und merk­ naues Steuerkataster wurde aufgestellt, auf würdigen alten Privilegien und Freibriefen, alte Rechte und Privilegien keine Rücksicht kurz mit allem dem, was nur immer von mehr genommen. Gott jemals einem gnädiglich situierten In der Stadt war immer noch der alte Stolz Orte zu dessen Glück hat zugelegt werden aus der Zeit der bürgerlichen Mitbestimmung können; — enthalte jetzt kaum noch 6 oder lebendig. Als der Staat durch die Lasten 7 gemeine Gebäude und etwa 60 kleine des österreichischen Erbfolgekrieges bedrückt, Hüttlein mit beiläufig 70 verarmten und dazu übergehen wollte, die auf 2068 Gulden verschuldeten Bürgern. aufgelaufenen Steuerschulden einzutreiben, Die Wodien- und Jahrmärkte sind ver­ legte die Stadt eine Gegenrechnung über schwunden, die Stadtgüter mit Beschlag be­ 6600 Gulden für die durch österreichische legt, die Waldungen ruiniert und das Erträg­ Truppen geschlagenen Eichstämme vor, zog nis von mehr als 3000 Klaftern weggeführt; daran die Schuld ab und ersuchte um um­ die Stadt ihrer Einkünfte beraubt und die gehende Einzahlung des Unterschiedsbetra­ Bürger nur arme Fischer und Schiffer. Die ges von 4532 Gulden in die Gemeindekasse. 134 Zerstörte Eisenbahnbrücke

Die Ablehnung des Antrages brachte der besuch nicht angehalten. Die Regierung Stadt wenigstens eine Verteilung der Ab­ schickte Revisor Hauck, um die Verhältnisse gaben auf 42 Jahre. zu untersuchen, Bericht zu erstatten und 1780 starb Maria Theresia. Ihr Sohn Jo­ Vorschläge für eine Erneuerung des Stadt­ seph II. folgte ihr auf dem Thron. Er war wesens vorzulegen. Zu dieser Zeit war in ein moderner, reformfreudiger Herrscher. Neuenburg Kanzleiverwalter Klein tätig, Durch seine Reformen zog er sich allerdings ein außerordentlich begabter, schriftgewand­ die Gegnerschaft der Kirche zu. Er verfügte ter Mann, der mit aller Zähigkeit und List in Neuenburg die Aufhebung der Rosen­ den Kampf gegen Regierung, Bürger, Revi­ kranz-Bruderschaft und den Abbruch der sor, für und auch gegen den Magistrat alten Heilig-Kreuz-Wallfahrtskapelle. Sie gleichzeitig führte. Es war ein großer Streit, blieb schließlich erhalten, weil die Bürger der alle menschlichen Werte und Unwerte nüchterne, sachliche Gründe dafür anführ­ zur Entfaltung brachte, ein Lehrbuch mensch­ ten, sie solle den auf den Feldern beschäftig­ licher Psychologie. ten Bauern als Unterstand bei plötzlich auf­ Um diese Zeit tauchte in Neuenburg ein tretenden Unwettern dienen. 1790 starb Mann auf, der sich Abbe de Wert nannte. Joseph II. Er sieht hier die große Möglichkeit seines Die innere Lage der Stadt war wenig er­ Hochstaplerdaseins und legt dem Kaiser freulich. Viele Hofstätten waren verlassen, die direkt einen phantasievollen Aufbauplan verwahrlosten und eingefallenen Häuser ein vor, der die Stadt zur Metropole des ganzen Spiegelbild des Lebens der Bewohner unter­ Gebietes machen und ihm Würden und Ge­ einander. Es mangelte an jeder Ordnung, winn eintragen sollte. Er ist eine Gestalt Verbote und Anordnungen wurden nicht ein­ von komödienhafter Prägung, ein köstlicher gehalten, die Jugend verwilderte, zum Schul­ Höhepunkt in der Burleske jener Jahre. 135 Ein Gegenstück an Redlichkeit, Fleiß und tum Baden. Es hatte in seiner Geschichte Aufbauwillen war Dominikus Rößler, der einen vielfachen Wandel seiner Staatszuge­ Lehrer, Rheinzoller und Bürgermeister. hörigkeit über sich ergehen lassen müssen. Nicht ohne Einfluß auf die innere Lage Als Zähringerstadt gegründet, wurde es in der Bürgerschaft war die herannahende Reichsstadt, dann verpfändete Habsburger­ Französische Revolution. Was sie für Neuen­ stadt und schließlich badische Stadt. burg einbrachte, war außer der inneren Un­ Sie wurde zur großen Staatsfeier nach Frei­ ruhe der Verlust aller jenseits des Rheines burg befohlen, zugleich wurde angeordnet, gelegenen Ländereien. Die Sperrung des das Ereignis auch in den neu zu Baden Stromes brachte die Stillegung der Schiff­ gekommenen Orten wie Breisach und Neuen­ fahrt und die Erschwerung des Fischfangs. burg festlich zu begehen und darüber aus­ Kaiserliche Truppen kamen nach Neuenburg, führliche Berichte der Ergebenheitskund­ um den Versuch eines Rheinübergangs durch gebungen nach Karlsruhe zu schicken. die Franzosen abwehren zu können. In Müll­ Neuenburg tat seinen Gefühlen keinen heim hatte der Prinz von Conde, Ludwig Zwang an und berichtete verdrossen in aller Josef von Bourbon und dessen Enkel, der Kürze über „diesen uns so merkwürdigen Herzog von Enghien, im Hause Löffler Tag“. Es setzte sich allerdings damit neben Quartier bezogen. Als das Kind Ludwigs den Stuhl, während andre Orte, die mit XVI., das den Titel Ludwig XVII. führte, überschwenglichen Berichten gedient hatten, 1795 in Paris gestorben war, versammelten mit Gnaden bedacht wurden. Von nun an sich zwischen Neuenburg und der Heilig- ging Neuenburg in der Menge kleiner bedeu­ Kreuz-Kapelle die in der Gegend verstreu­ tungsloser Landstädte unter. ten Emigranten und riefen den ältesten Bru­ Die nun kommende Zeit der kriegerischen der Ludwigs XVI., Ludwig Stanislaus, zum Auseinandersetzung mit Frankreich 1870/71 König Ludwig XVIII. aus. brachte für Neuenburg keine schwerwie­ Im Sommer 1796 hatten die Franzosen bei gende Ereignisse. Es fand auch noch nach der Kehl den Rhein überschritten und waren Kriegserklärung ein gegenseitiger Verkehr unter Moreau bis München vorgedrungen. der Bevölkerung über den Rhein statt. Als Eine Wende im Kriegsglück nötigte ihn zum die Drahtseile für die Fähre abgenommen Rückzug durch das Höllental zum Rhein. Der worden waren, setzte man Nachen ein. Bei Weg führte ihn über Schliengen, wo er durch Bellingen setzten einmal Franzosen über und eine Schlacht der Hauptmacht den Rhein­ nahmen die dort liegenden Schiffe mit auf übergang bei Hüningen ermöglichen wollte. die andre Seite. Auf den Lärm rückten Die südlich von Neuenburg gelagerten Ver­ Schutzmannschaften von Müllheim an. Die bände des Conde und der kaiserlichen Trup­ entführten Schiffe wurden dann von dem pen griffen bei Bellingen von der Flanke an. Neuenburg gegenüberliegenden Ufer wieder Es gelang aber Moreau, seine Truppen über zurückgeholt. Vom 1. Oktober an setzte den Rhein zurückzubringen. Neuenburg eine preußische Division bei der Stadt über selbst blieb von den Ereignissen unberührt, den Rhein. Neuenburg wurde bis zum Frie­ nur die Verwundeten der Kämpfe bei densschluß Hauptetappenplatz. Proviant­ Schliengen und Bellingen brachte man in die fuhren gingen von hier aus, Ersatzmann­ Stadt. schaften wurden zusammengestellt, vor allem Nachdem Napoleon I. Kaiser von Frank­ aber wurde die Stadt mit Verwundeten reich geworden war, kam Neuenburg 1806 belegt. im Gefolge seiner Neuordnung der deutschen Am 5. Februar 1878 wurde die Eisenbahn­ Länder widerstrebend an das Großherzog­ strecke Müllheim—Mülhausen eröffnet. 136 Ehrentafel Die verhältnismäßig lange Friedenszeit bis Aufregung. Man konnte vom Kirchturm aus zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges brachte die brennenden Gehöfte bei Napoleonsinsel für Neuenburg eine bescheidene Entwicklung. sehen. Eine falsche Meldung verursachte Die Zeit der inneren Zerrissenheit war über­ einen nächtlichen Alarm der Bevölkerung wunden, die Bürger waren zu einer gesunden mit der Aufforderung, die Stadt zu räumen. Gemeinschaft zusammengewachsen. Zwischen Nach wenigen Stunden wurde der Befehl dem Land über dem Rhein lag keine Grenze rückgängig gemacht. mehr. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges Die Jahre nach 1918 machten Neuenburg machte Neuenburg wieder zur Etappenstadt. wieder zur Grenzstadt, gaben aber doch Die Schlacht bei Mülhausen in den ersten scheinbar Anlaß, hoffnungsvoller in die Zu­ Augusttagen brachte den Einwohnern große kunft zu sehen. Die französische Likörfabrik 137 Luftaufnahme von Neuenburg, das heute an internationale Verkehrswege angeschlossen ist: Die Eisenbahnlinie Neuenburg— MulhausenjElsaß überquert die Autobahn nach Basel und auf den kombinierten Straßen-Eisenbahnbrücken den Oberrhein und den Rheinseitenkanal. Cusenier errichtete ein Werk. Der Rhein­ rende Bevölkerung unterbringen zu können. übergang gewann an Bedeutung. Ein großer Es wurde sofort mit dem Wiederaufbau Güterbahnhof wurde angelegt. Die Zoll­ begonnen. Er war schon weit fortgeschritten, grenze brachte viele Beamtenfamilien in die als im November 1944 durch den Rückzug Stadt. Der Anteil der bäuerlichen Bevölke- der deutschen Truppen die Stadt erneut in rung ging zurück. Die von Dekan Martin die Frontlinie geriet. Zum dritten Male so gepriesene Rheinregulierung Tullas machte mußte die Bevölkerung ihre Heimatstadt sich nun auch in ihren Nachteilen für die verlassen. Durch einsetzenden Artillerie­ oberrheinische Landschaft bemerkbar. Der beschuß und Bombenwürfe wurden 61 %> Grundwasserspiegel sank, und die Verstep­ aller Gebäude total zerstört, 35 °/o wurden pung der Landschaft nahm mit dem Ein­ schwer und 4 #/o leicht beschädigt. gehen von Hunderten von Obstbäumen Nach Abschluß des Waffenstillstands stand ihren Anfang. Durch den Beamtenzuzug die Bevölkerung wie schon so oft im Verlauf nahm die Zahl der evangelischen Gemeinde­ ihrer leidvollen Geschichte vor dem völligen glieder stark zu, eine evangelische Kirche Ruin. Nicht einmal Wasser war mehr vor­ wurde 1936 gebaut. Im Laufe der 30er Jahre handen. Es fehlte an allen Hilfsmitteln. Es änderten sich die Verhältnisse. fehlte aber nicht an Mut und Zähigkeit, sich Der Bau des Westwalls ließ die Gefährlich­ der hoffnungslosen Aufgabe zu stellen. Mit keit der Grenzlage bewußt werden und rief ungebrochener, bewunderungswerter Tat­ bange Befürchtungen wach. Auf dem ändern kraft ging die Bevölkerung daran, den Ufer des Rheines wuchsen die französischen Schutt zu beseitigen, die Straßen frei zu Bunker aus dem Boden. Die Ereignisse machen. Sie arbeitete in den Ziegeleien in spitzten sich immer mehr zu. Nach dem Ein­ Kandern und Rümmingen, um Ziegel und marsch in Polen erklärten am 3. September Backsteine zu erhalten. Sie holte das not­ 1939 Frankreich und England Deutschland wendige Wasser zum Leben und zum Wie­ den Krieg. Am gleichen Abend wurden die deraufbau aus der weiteren Umgebung her­ alten Leute, Frauen und Kinder evakuiert bei. Nach Bürgermeister Linsenbolls tapferem bis nach Konstanz und später weiter zurück Einsatz während des Krieges, verbrauchten bis nach Oberbayern. Die erwarteten Kampf­ Bürgermeister Raeck und nach ihm Bürger­ handlungen am Rhein blieben vorerst aus. meister Gaulrapp ihre ganze Lebenskraft für Die Einwohner durften wieder zurückkeh­ den Wiederaufbau und die Überwindung ren. Die Ruhe hielt bis zum 24. Mai 1940 an. der hemmenden Schwierigkeiten. Im Novem­ An diesem Tage platzten die ersten fran­ ber 1953 schon war der durch Stadtpfarrer zösischen Schrapnells über der Stadt. Die Johannes Schmid in die Wege geleitete Neu­ Bevölkerung wurde wiederum weggeführt, bau der katholischen Pfarrkirche unter Mit­ die notwendigsten Dinge wurden verladen. arbeit der gesamten Bürgerschaft vollendet Die Einwohner wurden diesesmal in den worden. naheliegenden Reborten, in Britzingen, Lau­ 1958 steht als dritte Zahl unter dem Mosaik fen und Sulzburg untergebracht. des Stadtwappens in der offenen Vorhalle Vom 9. bis 13. Juni erfolgte die große Be­ des neuen Rathauses zu Neuenburg: Es ist schießung Neuenburgs, die den ganzen Stadt­ die Jahreszahl des vollendeten Wiederauf­ kern mit Kirche, Rathaus und fast allen baus der Stadt. Wohnhäusern völlig zerstörte. Nachdem der Es gilt nun, in dem neuen Lebensabschnitt Frankreichfeldzug durch die Besetzung der Stadt ein neues Gesicht zu geben, Frankreichs beendet war, mußten Baracken­ indem aus ihrer Lage an einem wichtigen lager errichtet werden, um die zurückkeh­ Rheinübergang ihre Daseinsbestimmung neu 139 gedeutet und erfüllt wird. Kam bisher ihr dem weiteren Wachstum der Stadt die Rich­ unseliges Geschick aus der ihr aufgezwun­ tung. genen Aufgabe, als Sperriegel zu wirken, Es mußte das Ziel sein, gesunde Industrie­ liegt ihre glücklichere Zukunft nunmehr be­ betriebe zur Niederlassung zu gewinnen, gründet in der entgegengesetzten Folgerung auch um den Hunderten täglich nach Basel, aus ihrer Lage, nämlich Brücke zu sein über Freiburg und ins Elsaß zur Arbeit fahrenden den Strom, Brücke nach außen von Volk zu Pendlern am Wohnort selbst eine lohnende Volk, Brücke nach innen von Mensch zu Arbeit und guten Verdienst zu sichern. Nach­ Mensch. Ihr Weg ist ihr von daher vor­ dem sich vor einer Reihe von Jahren west­ geschrieben, nicht von außen aufgezwungen, lich des Mühleköpfles schon ein Betrieb der sondern von innen gewollt und gegangen. Kunststoffindustrie niedergelassen hatte, Gegangen in sachlicher und nüchterner Folge­ wurde nun das weite Gelände südlich der richtigkeit. Es wird nicht mehr der roman­ Bahnlinie Müllheim—Mülhausen als Indu­ tische Schimmer einer freien Reichsstadt sein, striegebiet erschlossen. Hier errichteten be­ sondern das klare Bild einer arbeitsamen, reits eine Anzahl mittlerer Betriebe, auch zielstrebigen Wirtschafts- und Industriestadt, ortsansässige Unternehmungen, ihre An­ die über den Rhein hinüber wirkt und aus lagen. europäischem Wirklichkeitssinn sich und der Im Sommer 1969 wurde mit Carl Freuden­ allgemeinen Zukunft dient. berg, Weinheim, einem Industriewerk von Die Grundlagen für eine solche Entwick­ Weltrang, ein Niederlassungsvertrag ge­ lung sind gegeben. Im Rheinvorland hat man schlossen. Auf einem 50 ha großen Gelände durch die zu Neuenburg gehörenden Wal­ wird ein Werk errichtet werden, das nach dungen das breite Band der Autobahn gelegt dem völligen Ausbau 3000 Arbeitskräften und mit der Stadt, der Rheinbrücke zum lohnenden Verdienst bringen wird. Die Nie­ Elsaß und mit der Bundesstraße 3 durch eine derlassung dieser Firma und der Name Zubringerstraße verbunden. Brücke und Freudenberg bedeuten für die ganze Land­ Autobahn brachten dem Wirtschaftsleben schaft einen Gewinn. einen fühlbaren Aufschwung. Autos aus allen Damit hat die Stadt Neuenburg den Weg westlichen und nördlichen europäischen beschritten, der aus ihrem Zustand eines Staaten sind in den Straßen der Stadt zu bedeutungslosen, gesichtslosen Landstädt­ sehen. Im Rheinvorland entstand außer chens herausführt und der sie den Platz einem der größten und schönsten Camping­ in der Gegenwart finden läßt, der ihr aus plätze zwischen der Autobahn und dem ihrem leidvollen Weg durch die Geschichte Hochufer im „Mühleköpfle“ durch Gemein­ gebührt. schaftsarbeit eine vorbildliche Siedlung. In Voraussicht der weiteren Entwicklung wur­ 1 „Unser früntlich willig dienst zuvor. Ersame, wyse, den Erschließungsmaßnahmen für das an­ besundcr liebe und gute fründ. Hüt sind hie fürgezo­ schließende Gewann des „Rohrkopfes“ durch­ gen uf Brisach zu hundert zu roß und zwentzig zu fuß geführt, das ganze Gelände durch Kanalisa­ Lomparter, wol gerüst, die hand wir nit ingelasen, und tion und Anlage fertiger Straßenzüge zur in sollen ouch vier wegen mit harnasch nach gan. Was wir mer diser ding erfaren, das wollen wir uch nit Bebauung erschlossen. Ein großzügiger Be­ verhalten. Uch fruntschaft zu erzeigen, seit an unserm bauungsplan nach dem Entwurf des tatkräf­ willen nit erwinden. Datum uf fritag vor dem sonntag tigen Bürgermeisters Max Schweinlin gibt trinitatis anno LXXIII tis.“

140 ITT

Integrierte Schaltungen, Transistoren und Dioden für Geräte der modernen Elektronik hergestellt in Freiburg bei INTER METALL Kraftwerk Häusern

Schluchseewerk A G Freiburg Br.

Schluchseegruppe: in Betrieb Kraftwerke Häusern, Witznau und Waldshut, installierte Leistung 470 MW

Hotzenwaldgruppe: in Betrieb Unterstufe Säckingen, installierte Leistung 360 M W im Bau Hornbergstufe, installierte Leistung 960 MW Oberstufe Strittmatt, installierte Leistung ca. 200 M W

850 Jahre Freiburg in einem Buch zusammengefaßt Impressionen einer Stadt Freiburg im Breisgau

Herausgegeben im Jubiläumsjahr 1970 von Hans Schneider Fotografiert von Kurt Wyss Historische Zeittafeln von Dr. Franz Laubenberger DM 36,— Verlag Rombach Freiburg