Plenarprotokoll 14/180

Deutscher Bundestag

Stenographischer Bericht

180. Sitzung

Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001

Inhalt:

Zusatztagesordnungspunkt 9: Namentliche Abstimmung ...... 17740 C Abgabe einer Regierungserklärung: Soli- Ergebnis ...... 17740 D darpakt II: Sichere Zukunft für die neuen Länder ...... 17721 A Tagesordnungspunkt 20: Gerhard Schröder, Bundeskanzler ...... 17721 B Dr. Angela Merkel CDU/CSU ...... 17723 D a) Antrag der Abgeordneten Peter Rauen, Dr. Angela Merkel, weiterer Abgeord- Dr. Manfred Stolpe, Ministerpräsident neter und der Fraktion der CDU/CSU: () ...... 17726 A Zehn-Punkte-Programm zur Wieder- Dr. Guido Westerwelle F.D.P...... 17727 B belebung der deutschen Wirtschaft und des Arbeitsmarktes Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17729 C (Drucksache 14/6436) ...... 17743 D Gerhard Schüßler F.D.P...... 17730 D b) Antrag der Abgeordneten Hansjürgen Dr. Gregor Gysi PDS ...... 17731 D Doss, Friedhelm Ost, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der CDU/CSU: Sabine Kaspereit SPD ...... 17733 D Offensive für die Bauwirtschaft Dr. Kurt Biedenkopf, Ministerpräsident (Drucksache 14/6315) ...... 17744 A (Sachsen) ...... 17735 B c) Große Anfrage der Abgeordneten Peter Carsten Schneider SPD ...... 17736 D Rauen, Hansjürgen Doss, weiterer Abge- Dr.-Ing. Paul Krüger CDU/CSU ...... 17738 A ordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Forderung nach Schaffung eines Bau- vertragsgesetzes zur Bekämpfung man- Tagesordnungspunkt 19: gelnder Zahlungswilligkeit (Drucksachen 14/4182, 14/5070) . . . . 17744 A – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- d) Beschlussempfehlung und Bericht des wurfs eines Gesetzes zur Änderung Ausschusses für Arbeit und Sozial- des Grundgesetzes (Art. 108) ordnung zu dem Antrag der Abgeordne- (Drucksachen 14/6144, 14/6470) . . . . 17739 D ten Hans-Joachim Fuchtel, Gunnar Uldall, weiterer Abgeordneter und der – Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU: Arbeitslosen- Bundesregierung eingebrachten Ent- versicherungsbeitrag senken wurfs eines Gesetzes zur Änderung des (Drucksachen 14/4377, 14/6199) . . . . 17744 B Finanzverwaltungsgesetzes und ande- rer Gesetze e) Beschlussempfehlung und Bericht des (Drucksachen 14/6140, 14/6470) . . . . 17739 D Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- gie zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf Dr. Frank Schmidt (Weilburg) SPD ...... 17740 A Kutzmutz, Dr. Christa Luft, weiterer II Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001

Abgeordneter und der Fraktion der PDS: –Zweite und dritte Beratung des von Kleinunternehmer-Hilfefonds effektiv den Abgeordneten Rainer Funke, organisieren und gesetzliche Voraus- Rainer Brüderle, weiteren Abgeordne- setzungen für eine Nachfolgeregelung ten und der Fraktion der F.D.P. einge- schaffen brachten Entwurfs eines Gesetzes zur (Drucksachen 14/5559, 14/6198) . . . . 17744 B Anpassung des deutschen Zugabe- rechts an die EU-Richtlinie über in Verbindung mit den elektronischen Geschäftsver- kehr (ZugaberechtsanpassungsG) (Drucksachen 14/4424, 14/6469) 17766 A Zusatztagesordnungspunkt 10: c) Beschlussempfehlung und Bericht des Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Ausschusses für Wirtschaft und Tech- Dr. , weiterer Abgeordne- nologie zu dem Antrag der Abgeordne- ter und der Fraktion der F.D.P.: Neue Wachs- ten Hartmut Schauerte, Gunnar Uldall, tumschancen mit durchgreifenden wirt- weiterer Abgeordneter und der Fraktion schaftspolitischen Reformen schaffen – der CDU/CSU: Innovation und fairer Blitzprogramm für die deutsche Wirtschaft Wettbewerb im Handel nach Ab- (Drucksache 14/6446) ...... 17744 C schaffung von Rabattgesetz und Zu- Friedrich Merz CDU/CSU ...... 17744 C gabeverordnung (Drucksachen 14/5751, 14/6463) . . . . 17766 A Jürgen Koppelin F.D.P...... 17746 D Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ . . . 17766 B Dr. Uwe Küster SPD ...... 17747 A Hartmut Schauerte CDU/CSU ...... 17767 C Eckart von Klaeden CDU/CSU ...... 17747 A Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ...... 17770 A GRÜNEN ...... 17747 B Gudrun Kopp F.D.P...... 17771 B Dr. Heidi Knake-Werner PDS ...... 17747 B Rolf Kutzmutz PDS ...... 17772 B , Bundesminister BMF ...... 17748 A Birgit Roth (Speyer) SPD ...... 17773 B Rainer Brüderle F.D.P...... 17750 B Dagmar Wöhrl CDU/CSU ...... 17774 D Rezzo Schlauch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ...... 17751 C Hartmut Schauerte CDU/CSU ...... 17752 B Tagesordnungspunkt 22: Dr. Christa Luft PDS ...... 17753 D Antrag der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Gudrun Kopp, weiterer Abgeordneter und der Joachim Poß SPD ...... 17755 C Fraktion der F.D.P.: Sperrzeiten für Gast- CDU/CSU ...... 17757 D stätten und Biergärten kundenfreund- licher gestalten Rainer Funke F.D.P...... 17760 A (Drucksache 14/6188) ...... 17776 B Klaus Wiesehügel SPD ...... 17761 A Ernst Burgbacher F.D.P ...... 17776 C Peter Rauen CDU/CSU ...... 17762 D Brunhilde Irber SPD ...... 17777 C Ernst Burgbacher F.D.P...... 17778 A Tagesordnungspunkt 21: Anita Schäfer CDU/CSU ...... 17780 A a) Zweite und dritte Beratung des von der Sylvia Voß BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . 17782 A Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Aufhebung Klaus Brähmig CDU/CSU ...... 17782 C des Rabattgesetzes und zur Anpas- Rosel Neuhäuser PDS ...... 17783 B sung anderer Rechtsvorschriften (Drucksachen 14/5441, 14/6459) . . . . 17765 D b) – Zweite und dritte Beratung des von Tagesordnungspunkt 25: der Bundesregierung eingebrachten Zweite und dritte Beratung des vom Bun- Entwurfs eines Gesetzes zurAufhe- desrat eingebrachten Entwurfs eines Geset- bung der Zugabeverordnung und zes zur Regelung des Schutzes gefährde- zur Anpassung weiterer Rechts- ter Zeugen vorschriften (Drucksachen 14/638, 14/6279 [neu], (Drucksachen 14/5594, 14/6469) 17765 D 14/6467) ...... 17784 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 III

Tagesordnungspunkt 28: Anlage 3 a) Beschlussempfehlung und Bericht des Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des der Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Schutzes gefährdeter Zeugen (Tagesordnungs- Rössel, Dr. Christa Luft, weiterer Ab- punkt 25) ...... 17788 C geordneter und der Fraktion der PDS: Hans-Peter Kemper SPD ...... 17788 D UMTS-Milliarden für die Einfüh- rung einer kommunalen Investitions- Wolfgang Zeitlmann CDU/CSU ...... 17789 D pauschale des Bundes Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/DIE (Drucksachen 14/4557, 14/6208) . . . . 17784 B GRÜNEN ...... 17790 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Dr. Max Stadler F.D.P...... 17791 C Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Rössel, Ulla Jelpke PDS ...... 17791 D Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeord- Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär BMJ 17792 B neter und der Fraktion der PDS: Ände- rung des Zerlegungsmaßstabs des Gewerbesteuermessbetrags Anlage 4 (Drucksachen 14/5584, 14/6461) . . . . 17784 C Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der c) Beschlussempfehlung und Bericht des Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Finanzausschusses zu dem Antrag der Anträgen: Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Rössel, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeord- – UMTS-Milliarden für die Einführung einer neter und der Fraktion der PDS:Er- kommunalen Investitionspauschale des höhung der Gewerbesteuerumlage Bundes rückgängig machen (Drucksachen 14/5586, 14/6462) . . . . 17784 C – Änderung des Zerlegungsmaßstabs des Gewerbesteuermessbetrags Dr. Uwe-Jens Rössel PDS ...... 17784 D – Erhöhung der Gewerbesteuerumlage rück- Nächste Sitzung ...... 17786 C gängig machen (Tagesordnungspunkt 28 a bis c) ...... 17793 A Anlage 1 Dr. Mathias Schubert SPD ...... 17793 A Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 17787 A Gunter Weißgerber SPD ...... 17793 C Jochen-Konrad Fromme CDU/CSU ...... 17794 A Anlage 2 Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17798 B Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Gerhard Schüßler F.D.P...... 17799 A Heidemarie Ehlert (PDS) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes der Bundes- regierung zur Änderung des Grundgesetzes Anlage 5 (Art. 108) (Drucksachen 14/6144 und 14/6470) ...... 17788 A Amtliche Mitteilungen ...... 17799 B

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Beginn: 9.00 Uhr

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Guten wichtig: Erstens. Wir haben dauerhaft Maßstäbe für die Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist Neugestaltung der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen eröffnet. entwickelt. Zweitens. Wir haben uns auf eine Konzeption für den ab 2005 geltenden und dann auch notwendigen Fi- Ich rufe den Zusatzpunkt 9 auf: nanzausgleich verständigt. Drittens. Wir haben die Fort- Abgabe einer Erklärung des Bundesregierung setzung des Solidarpaktes für die neuen Länder für den Zeitraum von 2005 bis 2019 vereinbart. Solidarpakt II: Sichere Zukunft für die neuen Länder Meine Damen und Herren, angesichts der komplexen vielschichtigen Materie und der sehr unterschiedlichen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Interessen – der eine oder andere kennt das ja aus beiden Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung Richtungen und kann sich deswegen sehr schön in die eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Wider- Gemütslage der jeweils anderen Seite hineinversetzen – spruch. Dann ist es so beschlossen. (B) und angesichts der großen Tragweite der Entscheidungen (D) Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat von Bund und Ländern war es nicht verwunderlich, dass der Herr Bundeskanzler Gerhard Schröder. über die Regelungen sehr intensiv gestritten und hart ge- rungen wurde. Dass diese Debatten interessengebunden waren, lag auf der Hand, und dass es Interessenunter- Gerhard Schröder, Bundeskanzler: Herr Präsident! schiede zwischen dem Gesamtstaat und den Ländern gibt, Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den letzten ist ebenfalls nichts Neues. Aber alle Beteiligten – das hat Jahren ist viel über einen angeblich schwerfälligen deut- jeder gespürt, der dabei war – waren sich der großen po- schen Föderalismus geredet und geklagt worden. Er be- litischen wie auch ökonomischen Verantwortung bewusst hindere Reformen, hieß es, und blockiere damit Erneu- und alle Beteiligten waren deshalb, wenn auch erst nach erung. Diejenigen, die von den Vorzügen des deutschen zähen Verhandlungen, zu einer Einigung bereit. Föderalismus immer überzeugt waren, haben Recht be- Das, meine Damen und Herren, war die Voraussetzung halten, wie die Entscheidungen deutlich zeigen, die am für ein wirklich wichtiges und großes Reformwerk, das letzten Wochenende gefallen sind. letztlich von allen Ländern und natürlich auch vom Bund Mit den zwischen Bund und Ländern getroffenen Ver- mitgetragen wird. Der sächsische Ministerpräsident, Herr einbarungen hat der Föderalismus seine Reform- und Ent- Biedenkopf, hat von einem 17:0-Erfolg für Deutschland scheidungsfähigkeit eindrucksvoll bewiesen. gesprochen. Das ist kein schlechtes Bild, der Fuß- ballsprache entlehnt, obwohl Siege in dieser Höhe im (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Fußball eher selten sind. DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Das ist nicht nur ein wichtiges Zeichen für einen vernünf- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) tigen und die Macht in Deutschland teilenden Staatsauf- bau, sondern auch ein wichtiges Signal an die Arbeitneh- Es ist zu unterstreichen: Es gibt nicht ein paar Besiegte merinnen und Arbeitnehmer sowie an die nationalen und und den einen oder anderen Sieger. Vielmehr haben alle internationalen Investoren insbesondere in den neuengewonnen. Letztlich hat unser Land gewonnen. Ländern. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Mit der Neuregelung des Finanzausgleichsund mit DIE GRÜNEN) dem Solidarpakt II haben die Bundesregierung und die Der neue Finanzausgleich wird zum einen den Ländern Länder ein umfassendes Reformpaket für die nächsten ein stärkeres Maß an Eigenverantwortung einräumen. zwei Jahrzehnte geschnürt. Drei Punkte sind besonders Ihnen soll künftig mehr von dem verbleiben, was in den 17722 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001

Bundeskanzler Gerhard Schröder (A) jeweiligen Landesgrenzen erwirtschaftet worden ist. Ich von den Tarifpartnern getroffen worden sind und die ge- (C) denke, das ist eine vernünftige Regelung, die auch Anreiz- samtwirtschaftlich in höchstem Maße vernünftig gewesen wirkung auf die Länder haben wird. sind, die Tarifpartner in künftigen Tarifverhandlungen nicht in gleicher Weise wie im letzten Jahr ihre Verant- Zum anderen – auch das gilt es zu unterstreichen – sind wortung wahrnehmen werden. Insofern sind alle Mah- das für den kooperativen Föderalismusso wichtige nungen vor dem Hintergrund dessen, was im letzten Jahr Prinzip der Solidarität unter den Ländern, also der Soli- vereinbart worden ist, überflüssig. Ich gehe davon aus, darität der Stärkeren mit den Schwächeren, sowie dasdass neben dem Staat, der seiner Verantwortung gerecht Prinzip des bundes- und des landesfreundlichen Verhal- geworden ist, auch die anderen wirtschaftspolitischen Ak- tens, also der Solidarität zwischen Bund und Ländern, ge- teure, die Europäische Zentralbank in ihrer Unabhängig- stärkt worden. Dabei wird der von der Bundesregierung, keit auf der einen Seite und die Tarifpartner auf der ande- insbesondere vom Bundesfinanzminister, immer wieder ren Seite, in gleicher Weise wie im letzten Jahr ihre deutlich gemachte Kurs der Konsolidierung der Bundes- Verantwortung für die wirtschaftliche Entwicklung sehen finanzen nicht gefährdet. Das ist auch unter internatio- und auch wahrnehmen werden. nalen Aspekten wichtig. Das Ziel, bis zum Ende der nächsten Legislaturperiode einen ausgeglichen Haushalt (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ zu haben, wird auch vor dem Hintergrund der am DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Guido Wochenende getroffenen Entscheidungen weiterverfolgt Westerwelle [F.D.P.]) und nicht infrage gestellt. In diesem Zusammenhang wird die Verantwortung der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Bundesregierung für den Konsolidierungskurs besonders DIE GRÜNEN) wichtig sein. Ich unterstreiche noch einmal ausdrücklich – der Finanzminister hat es immer wieder betont –, dass Man muss die Entscheidungen vom letzten Wochen- sich die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesrepu- ende im Zusammenhang mit dem Haushaltsentwurf und blik Deutschland gleichsam zwischen zwei Leitplanken der mittelfristigen Finanzplanung sehen. Tut man dies, zu vollziehen hat: Die eine Leitplanke ist der Konsolidie- dann wird deutlich, dass aus nachvollziehbaren,rungskurs und die andere ist die Steuerreform; damit vernünftigen ökonomischen Gründen der Konsolidie-geht eine außerordentlich vernünftige und sowohl ange- rungskurs weitergeführt wird, und zwar so planmäßig, bots- als auch nachfrageorientierte Steuerpolitik einher. wie das der Bundesfinanzminister immer wieder erklärt hat. Diesen Kurs zu verlassen wäre falsch. Neue Pro- gramme – sie werden hektisch gefordert – müssten ent- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ weder durch Steuererhöhungen, die in der jetzigen Situ- DIE GRÜNEN) (B) ation wohl kein Mensch will, (D) In diesem Zusammenhang ist es wichtig, darauf hinzu- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ weisen, dass die Entscheidungen vom letzten Wochen- DIE GRÜNEN) ende nicht nur die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern sowie den Solidarpakt im engeren Sinne be- oder durch eine wachsende Verschuldung finanziert wer- treffen. Die Entscheidungen vom letzten Wochenende den, was in der augenblicklichen Situation genauso töd- sind auch im Hinblick auf das Setzenmakroökonomi- lich wäre. scher Signale durch die wirtschaftspolitischen Akteure, (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des in diesem Fall durch den Staat, wichtig. Es ist wichtig, ge- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) rade in der jetzigen Situation zu betonen, dass mit den Entscheidungen vom letzten Wochenende der Staat, und Eine dritte Möglichkeit sehe ich jedenfalls nicht. Dieje- zwar der Gesamtstaat, als einer der Akteure, die makro- nigen, die sie sehen, müssten einmal erklären, wie das ökonomische Entscheidungen treffen, seinen Verpflich- seriös zu finanzieren sein soll. tungen und seiner Verantwortung in vollem Umfang nach- Der Kompromiss vom vergangenen Wochenende hat gekommen ist. Das ist ein wichtiges Signal für uns die auf dem Weg zur inneren Einheit wirklich ein Stück Märkte, insbesondere für die nationalen und internatio- weitergebracht. Bund und Länder haben mit dem Solidar- nalen Investoren. pakt ein wichtiges Zeichen der Solidarität des Bundes mit den neuen Ländern, aber auch der Länder untereinander (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gesetzt. Die Einigung auf den Solidarpakt II gibt uns DIE GRÜNEN) Deutschen die Chance, in den nächsten Jahren das zu voll- Es wird jetzt Sache der anderen wirtschaftspolitischen enden, was die Menschen in den neuen Ländern seit dem Akteure sein, entsprechende Signale zu setzen und ver- Fall der Mauer so mutig und entschlossen auf den Weg ge- antwortungsbewusst zu handeln. Wir haben der Europä- bracht haben. Sie haben die Hälfte des Weges zurückge- ischen Zentralbank keine Ratschläge zu geben. Viel- legt. Wir haben mit unseren Entscheidungen mit dafür ge- mehr haben wir zu unterstreichen, dass diese Banksorgt, dass auch die andere Hälfte des Weges, der noch vor unabhängig ist. Wir gehen davon aus, dass sie in ihrer Un- uns liegt, zurückzulegen sein wird. abhängigkeit ihre Verantwortung für das Setzen der geld- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ politischen Zeichen wahrnimmt. Außerdem gibt es unge- DIE GRÜNEN) achtet der Diskussionen, die hier und da aufgeflammt sind, nur wenige Gründe, davon auszugehen, dass vor Der Solidarpakt II und die Einigung darauf machen dem Hintergrund der Entscheidungen, die im letzten Jahr auch mit dem Gerede Schluss, der Westen sei nur auf sei- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17723

Bundeskanzler Gerhard Schröder (A) nen eigenen Vorteil bedacht und die neuen Länder seien Aber es bedarf noch einer Menge Anstrengungen. Um den (C) gleichsam ein Fass ohne Boden. Das Gegenteil ist richtig: Rest des Weges erfolgreich beschreiten zu können, über- Solidarität ist nicht nur nötig, sondern auch möglich; das- nehmen die neuen Länder ihrerseits die Verantwortung selbe gilt für die eigenen Anstrengungen. Das ist der In- dafür, dass der Anpassungsprozess in den nächsten beiden halt dessen, was vereinbart worden ist. Die Einigung über Jahrzehnten abgeschlossen wird. den Solidarpakt II zeigt uns allen, dass die Bereitschaft Die Voraussetzungen dafür sind weit besser, als das ge- zur Solidarität und zur Herstellung der inneren Einheit legentlich gesagt und geschrieben wird. 500 000 wettbe- unverändert stark ausgeprägt ist. Auch das ist ein wirklich werbsfähige Unternehmen bestehen heute dort.Pro- gutes Zeichen für unser gesamtes Land. Kopf-Einkommen und Arbeitsproduktivität haben sich (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ in den letzten Jahren verdoppelt. Es gibt wirklich boo- DIE GRÜNEN sowie des Abg. Roland Claus mende Regionen, an deren Potenziale Wirtschaftspolitik [PDS]) anknüpfen kann und anknüpfen muss – eine Aufgabe, die vor dem Hintergrund des Solidarpaktes gewiss nicht Die neuen Länder verfügen jetzt aufgrund dieser Ent- schwerer, sondern einfacher werden wird. scheidungen – mit ihnen sind Planungssicherheit und Po- litikfähigkeit verbunden – über eine verlässliche Basis für Ich bin – zumal nach der Entscheidung vom vergange- einen langfristigen Aufholprozess, den wir miteinander nen Wochenende – sicher, dass wir die besten Chancen bis 2019 bemessen haben. Wir gehen gemeinsam davon haben, innerhalb einer Generation das zu vollenden, was aus, dass nach Ablauf dieses Zeitraumes der allgemeine die Menschen in den neuen Ländern seit dem Fall der Länderfinanzausgleich ausreicht, um Differenzen, was Mauer entschlossen angepackt haben. die Lebensverhältnisse im Gesamtstaat angeht, auszuglei- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ chen. DIE GRÜNEN) Zum Abbau des teilungsbedingten Nachholbedarfs er- Die Bundesregierung wird jedenfalls alles dafür tun, dass halten die neuen Länder von der Bundesregierung im die soziale und wirtschaftliche und damit auch die innere Zeitraum zwischen 2005 und 2019 insgesamt 206 Milli- Einheit nach der staatlichen Einheit unseres Landes wirk- arden DM. Hinzu kommen Leistungen in Höhe von ins- lich vollendet wird. Sie weiß sich seit dem vergangenen gesamt 100 Milliarden DM aus dem Bundeshaushalt. Das Wochenende einig mit allen Akteuren im Staat. Ich finde, Volumen des Solidarpaktes II in Höhe von insgesamt das ist ein wirklich gutes Signal, insbesondere für die 306 Milliarden DM erreicht den von den Ländern immer Menschen in den neuen Ländern. Ich stehe nicht an zu sa- wieder geforderten Umfang. Der Solidarpakt II entspricht gen, dass ich allen, die daran beteiligt waren, insbeson- damit dem von den Ländern errechneten Bedarf in den dere allen Ministerpräsidenten, für diese Entscheidung Ländern selbst. (B) sehr dankbar bin. (D) Damit steht gleichzeitig fest, dass die Förderung ab (Anhaltender Beifall bei der SPD und dem 2005 auf bisher unverändert hohem Niveau fortgesetzt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Ab- und langsam, degressiv abgebaut wird. Das ist ganz wich- geordneten der PDS) tig, damit keine Sprünge im Abbau entstehen und damit keine Finanzschwierigkeiten auftauchen. Ich Gleichwohl ist der Solidarpakt II nicht einfach die Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat das Wort Fortschreibung des Solidarpaktes I, sondern – auch das die Kollegin Dr. Angela Merkel von der CDU/CSU-Frak- wichtig – er ist geprägt von einer stärkeren Eigen- tion. verantwortlichkeit aller Länder, aber auch der neuen Län- der. Er sorgt nämlich für mehr Flexibilität beim Mittel- einsatz und – das ist ebenfalls wichtig – hat eine deutlich Dr. Angela Merkel (CDU/CSU) (von der CDU/CSU stärkere Investitionsorientierung. Die ostdeutschen Län- mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine Damen und der haben die politische Verantwortung dafür übernom- Herren! Es ist zu begrüßen, dass am letzten Wochenende men, dass mit der Förderung durch den Bund der Abbau eine Einigung über die Neuregelung des Finanzausgleichs der teilungsbedingten Sonderlasten gelingt. Über diese gelungen ist, genauso wie es außerordentlich erfreulich Fortschritte wird es künftig jährliche Berichte geben. ist, dass mit der Verabschiedung des Solidarpaktes II ein wichtiger Schritt auf dem Wege zur Planungssicherheit in Zur Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit gehört auch, dass den neuen Bundesländern gegangen werden konnte. sich niemand der Illusion hingibt, wir könnten das Ziel, die Herstellung gleicher Lebensbedingungen in ganz Die Bundesländer – das betone ich an dieser Stelle aus- Deutschland, in kürzester Zeit erreichen. Deswegen ha- drücklich –, ob Geber- oder Nehmerländer, haben es ge- ben wir Fristen gesetzt. schafft, im Sinne eines vernünftigen föderalistischen Ver- ständnisses ihre Unterschiede beiseite zu stellen und die Kein Zweifel, in den vergangenen Jahren ist wirklich Grundstruktur der Bundesrepublik Deutschland zu festi- Erhebliches geschafft worden und das liegt vor allen Din- gen, indem sie sich auf diesen Länderfinanzausgleich ge- gen an der Leistungsbereitschaft der Menschen in den einigt haben. neuen Ländern. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordne- Das war mit Sicherheit ein ganz wichtiges Signal für den ten der CDU/CSU und der F.D.P.) Föderalismus am Beginn des 21. Jahrhunderts: keine 17724 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001

Dr. Angela Merkel (A) neuen Klagen, sondern selbstbewusste politische Ent-Deutschland nicht mehr so viel Geld bekommen, damit(C) scheidungen. Insbesondere die Einigung über den Solidar- auch die neuen Bundesländer. pakt II ist für die neuen Bundesländer die Grundlage dafür, (Hans Eichel, Bundesminister: Das ist ge- die Arbeiten für die nächsten Jahre planen zu können. klärt!) Herr Bundeskanzler, ich erinnere Sie daran, dass Sie Ich weise darauf hin, dass es dem Bundeskanzler an am liebsten in dieser Legislaturperiode überhaupt nicht vielen Stellen nicht gelingt, die deutschen Interessen in mehr über den Solidarpakt II gesprochen hätten Europa so durchzusetzen, wie wir uns das wünschen. (Sabine Kaspereit [SPD]: Das ist doch (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Unsinn!) Widerspruch bei der SPD) und dass es nur den neuen Bundesländern zu verdanken Ich kann Ihnen ein ganz aktuelles Beispiel nennen: ist, dass dies überhaupt auf die Tagesordnung gekommen Gucken Sie sich einmal die Kapazitätsgrenzen der Werf- ist. ten in Mecklenburg-Vorpommern an. Es ist der Bun- (Beifall bei der CDU/CSU) desregierung bislang nicht gelungen, hier eine Verände- rung durchzusetzen, obwohl die Produktivitätsfortschritte Ich möchte hier namentlich densächsischen Minister- dazu führen, dass die Werftarbeiter im September und Ok- präsidenten würdigen. tober schon nicht mehr arbeiten können und in Kurzarbeit (Karsten Schönfeld [SPD]: Würdigen? Huldi- gehen müssen. Hier brauchen wir heute Taten, damit die gen!) Dinge in den neuen Bundesländern vorangehen. Man hat auf einer klugen Grundlage, nämlich dem (Beifall bei der CDU/CSU sowie Gutachten von fünf Wirtschaftsinstituten, versucht, die bei Abgeordneten der F.D.P.) wirklichen Finanzbedürfnisse der neuen Bundesländer in Meine Damen und Herren, die 300 Milliarden DM, die den nächsten 15 Jahren festzustellen. zugesagt wurden, sind nominale und nicht reale 300 Mil- (Beifall bei der CDU/CSU) liarden DM. Das heißt, wenn die Inflationsrate so hoch bleibt, wie sie es bei dieser Bundesregierung geworden Herr Eichel, es gereicht Ihnen wirklich nicht zur Ehre, ist, dann ist sie ein Enteignungsprogramm für den zukünf- dass Sie in einem Schnellgutachten versucht haben, den tigen Solidarpakt II. Deshalb braucht dieses Land eine Po- einheitlich von allen Instituten auf 300 Milliarden DM litik für eine geringere Inflationsrate. festgelegten Bedarf noch einmal auf 157 Milliarden DM herunterzurechnen. Das war kein gutes Zeichen für die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – (B) deutsche Einheit. Peter Dreßen [SPD]: Seien Sie doch froh, dass (D) Sie ihn haben!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der F.D.P.) Herr Bundeskanzler, ich hätte mir schon gewünscht, dass Sie nicht nur zu dem, was für die Zeit ab 2005 aus- Eine große deutsche Sonntagszeitung titelte am letzten gehandelt wurde, etwas gesagt hätten, sondern auch dazu, Sonntag: „Deutsche müssen weitere 15 Jahre für Osten was sich bis zum Jahre 2005 in den neuen Bundesländern zahlen“. Beim Solidarpakt II geht es aber nicht um die abspielt. Denn wie wir in das Jahr 2005 hineinkommen, Unterstützung irgendeines fernen Landstriches, sondern bestimmt natürlich entscheidend, in welchem Tempo die darum, dass in ganz Deutschland auf unterschiedlicher zur Verfügung stehenden Mittel effektiv eingesetzt wer- Basis gleichwertige Lebensbedingungen hergestellt wer- den können. Dass die Schere zwischen Ost und West in den. den letzten zwei Jahren immer weiter auseinander gegan- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – gen ist, ist das Produkt Ihrer Politik, Herr Bundeskanzler. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das sagen Das ist die Wahrheit. Sie mal der großen deutschen Sonntagszei- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- tung!) neten der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] Die Nachteile, die durch eine sozialistische und kommu- [SPD]: Das ist eine merkwürdige Mäkelei!) nistische Diktatur produziert wurden, werden noch über Deshalb kommen selbst aus Ihren eigenen Reihen – viele Jahre nachwirken und dürfen deshalb niemals inhier können wir den Bundestagspräsidenten zitieren; das Vergessenheit geraten. ist nicht Mäkelei von mir, sondern von Ihrem Bundes- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) tagspräsidenten – die Kassandrarufe, dass der Osten auf der Kippe steht. Nun sind wir uns aber, glaube ich, auch darüber einig, dass die Umsetzung dieses Solidarpaktes II ein hohes (Joachim Poß [SPD]: Für Kassandrarufe sind Maß an Seriosität erfordert. Denn 100 Milliarden DM Sie zuständig! Substanzloses Geschwätz!) Bundesmittel sind in dem so genannten Korb 2 festgelegt. Angesichts dieses Warnsignals hätten wir von Ihnen heute Hier finden wir sehr viele Kannbestimmungen. Die gerne erfahren, welche Pläne Sie für die Zeit bis zum Glaubwürdigkeit hängt davon ab, dass diese Dinge wirk- Jahre 2005 haben. lich umgesetzt werden. Völlig ungeklärt ist zum Beispiel, was im Jahre 2006 passiert, wenn die EU-Strukturfonds (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neu verhandelt werden. Dann wird die Bundesrepublik neten der F.D.P.) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17725

Dr. Angela Merkel (A) Es gibt sicherlich Programme, die Sie zusätzlich ma- Wir sind in der Tat der Meinung, dass der Mittelstand (C) chen. Das klingt ganz gut. Aber wenn man sich zum Bei- bei der Steuerreform, die vor weniger als einem Jahr ver- spiel einmal das ganze Kapitel der Städtebauförderung abschiedet wurde, so schlecht behandelt wurde, dass es anschaut, stellt man fest, dass die 900 Millionen DM, die ihm, insbesondere in den neuen Bundesländern, eher ge- in diesem Bereich hinzugekommen sind, durch Reduzie- schadet hat. Sie sehen es doch an den Daten. rung der Förderung in anderen wichtigen Bereichen in den neuen Bundesländern finanziert worden sind. Wirt- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – schaften von einer Tasche in die andere, das ist gerade Widerspruch bei der SPD) nicht das, was die neuen Bundesländer brauchen. Deshalb haben wir mit einem Sofortprogramm zum (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Ausdruck gebracht, dass Sie handeln müssen, Herr Bun- neten der F.D.P.) deskanzler; denn Tatsache ist doch, dass Ihre ruhige Hand tief in den Taschen der Bürger steckt und immer wieder Wenn ich mir Ihre Kahlschlagpolitik im Bereich der Geld herausnimmt, statt welches hineinzulegen. Bundeswehr anschaue, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – La- (Zurufe von der SPD: Oh!) chen bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgit- wenn ich mir anschaue, wie mit einem Symbolstandort, ter] [SPD]: Sagen Sie mal was zur Einnahme- wie es Eggesin für die Vereinigung der Armeen war, um- seite Ihres Programms!) gegangen wird, dann kann ich nur sagen: Das motiviert Da es bei der Politik für die neuen Bundesländer ganz die Menschen in den neuen Bundesländern nicht, sondern wesentlich um die Erfahrungen geht, die die Menschen das demotiviert sie. Die Menschen in den neuen Bundes- mit der sozialen Marktwirtschaft und mit der Demokratie ländern müssen aber motiviert werden. machen, ist es besonders schrecklich und schlimm, Herr (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Bundeskanzler, dass die SPD glaubt, dass ein Weg mit der neten der F.D.P.) PDS aus machtpolitischen Gründen ein erfolgreicher Weg Deshalb war es wichtig und richtig, dass der Minister- für die neuen Bundesländer sei. präsident von Thüringen, Bernhard Vogel, schon vor ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – raumer Zeit gesagt hat: Wir brauchen jetzt zusätzliche Lachen bei der SPD) Programme, die die Investitionen in den neuen Bundes- ländern voranbringen, damit es dort ein Wirtschafts-Denn Sie müssen immer wissen: Die PDS lebt davon, wachstum geben kann. dass die deutsche Einheit nicht gelingt. Die PDS lebt da- von, dass es keinen Wettbewerb und keine Unterschiede (B) Sie haben, Herr Bundeskanzler, durch Ihre Politik der zwischen den neuen Bundesländern gibt, sondern dass es (D) falschen Gesetze dem Osten mehr geschadet als dem Wes- zentralistisches Denken gibt. ten. Wer im Mittelstand über eine geringere Eigenkapi- talausstattung verfügt, wer aufgrund seiner Geschichte Herr Bundeskanzler, indem Sie diese PDS hoffähig geringere Möglichkeiten hat, sich zu konsolidieren, der ist machen, indem Sie ganz strategisch zum Beispiel hier in von Ihrer falschen Gesetzgebung besonders betroffen. Berlin mithilfe der PDS einen Regierenden Bürgermeis- ter abgewählt und Ihren eigenen gewählt haben, den wir (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) bald wieder abwählen werden, meine Damen und Herren, Deshalb ist es doch ein wirklich armes Verständnis von (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Politik, wenn Sie bereits bei der Festlegung des Finanz- neten der F.D.P. – Lachen bei der SPD) rahmens sagen, dieser schaffe die makroökonomischen Daten. Ich weiß nicht, ob Sie nicht verstehen, dass Politik haben Sie den Menschen ein falsches Bild davon vermit- nicht nur die Ausgabenseite, den Finanzrahmen betrach- telt, wie man unter Bedingungen von Freiheit und sozia- ten darf, sondern dass Sie genauso die Pflicht hat, sich ler Marktwirtschaft leben, arbeiten und wirtschaften über die Einnahmeseite und über die Dynamik der wirt- kann. schaftlichen Entwicklung Gedanken zu machen. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Peter Struck SPD: Oh Gott, oh Gott!) [SPD]: Ja, und nun? – Joachim Poß [SPD]: Und deshalb fordern Sie das Vorziehen der Steuer- Sie haben damit, Herr Bundeskanzler, die politische Mitte reform um die Einnahmeseite zu verbessern?) verlassen. Sie sind an den linken Rand gerückt Die Rücknahme des Betriebsverfassungsgesetzes zum (Lachen bei der PDS) Beispiel und versuchen mit falschen Mitteln und mit falschen Leu- (Lachen bei der SPD) ten–– würde bedeuten, dass man mehr Entscheidungen auf be- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- trieblicher Ebene treffen könnte. So, wie das bei VW neten der F.D.P. – Zurufe von der SPD) möglich sein müsste, müsste das auch in anderen Berei- – Ich sage noch einmal eindeutig: mit falschen Leuten! chen der Fall sein. Das wäre für die neuen Bundesländer Wenn stellvertretende Vorsitzende einer Partei erklären, besonders wichtig. man könnte auch die Deutsche Bank und BMW verstaat- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) lichen, dann wundere ich mich, dass Sie mit denen 17726 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001

Dr. Angela Merkel (A) zusammenarbeiten! Das hätte man doch selbst als Christ- Kompromissbereitschaft führte. Doch im Ergebnis – das (C) demokrat nicht gedacht. ist die entscheidende politische Botschaft – haben alle ge- wonnen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Deshalb, Herr Bundeskanzler, kommt es darauf an – genau daran werden wir arbeiten –, DIE GRÜNEN) (Joachim Poß [SPD]: Sie haben noch viel an Meine Damen und Herren, ich wiederhole gern, was sich zu arbeiten, Frau Merkel, ehe Sie konkur- schon andere öffentlich äußerten und was auch hier heute renzfähig sind!) schon anklang: Der bundesdeutsche Föderalismus ist lebendig, flexibel und sachbezogen handlungsfähig. Er ist dass dieser Politik bald ein Ende gemacht wird und sich überdies durch den Erfolg unserer Verhandlungen ge- eine bessere Politik für Deutschland und für die neuen stärkt worden. Auf keinem anderen Gebiet hätte dies über- Bundesländer durchsetzen kann. zeugender bewiesen werden können als auf dem für die Herzlichen Dank. Existenz aller Glieder des Bundesstaates grundlegenden Feld der Finanzverfassung. Zwei Gedanken unserer Eini- (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Bei- gung möchte ich herausgreifen, um diese Einschätzung zu fall bei der F.D.P. – Wilhelm Schmidt (Salzgit- belegen. ter) [SPD]: Die Steigerung von Mäkelei ist Merkelei!) Bund und Länder haben eine neue Balance zwischen den Interessen der einzelnen Länder und im Verhält- nis der Ländergesamtheit zum Bund gefunden. Schon Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort bisher war es nicht Aufgabe der Bund-Länder-Finanz- hat jetzt der Ministerpräsident des Landes Brandenburg, beziehungen, die Verhältnisse in allen Teilen der Republik Dr. Manfred Stolpe. einzuebnen. Niemand von uns will die Finanzkraft der Länder nivellieren. Es ging uns immer darum, alle Länder Dr. Manfred Stolpe, Ministerpräsident (Brandenburg) in die Lage zu versetzen, ihre verfassungsrechtlichen Auf- (von der SPD mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Herr gaben im notwendigen Umfang wahrzunehmen. Alle Bür- Bundeskanzler! Meine sehr verehrten Damen und Herren! gerinnen und Bürger in Deutschland sollen gleiche Chan- Der Volksmund sagt bekanntlich, dass die Freundschaft cen haben. beim Geld aufhört. Herausragender Prüfstein dieser Verantwortung ist die (Zuruf von der SPD: So ist es!) Fortsetzung des Aufbaus Ost. Obwohl auch bei den (B) Geberländern nie außer Zweifel stand, dass es sich hier- (D) Die 16 Länder und der Bund haben aber in den ver- bei um eine Generationenaufgabe handelt und dass die gangenen Wochen gezeigt, dass Fragen des Finanzaus- gewaltigen Rückstände in der öffentlichen und wirt- gleichs nicht zur Feindschaft führen müssen. Das ist ein schaftlichen Infrastruktur nicht in wenigen Jahren aufge- beachtliches Zeugnis politischer Kultur und der Willens- holt sein können, ist das nun beschlossene Paket doch ein beweis, die große deutsche Gemeinschaftsleistung zu klares Zeichen, dass wir keine zwei Wirtschaftszonen Ende zu bringen, den Entwicklungsrückstand des Ostens in Deutschland wollen. In Deutschland wird es keinen von einem halben Jahrhundert zu beseitigen. Mezzogiorno Ost geben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Dafür möchte ich an dieser Stelle meinen Dank ausspre- F.D.P.) chen, Dank an die Kollegin und die Kollegen Minister- präsidenten, Dank an den Bundeskanzler und den Bun- Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Men- desfinanzminister. schen im Osten der Republik wissen es zu schätzen, dass auch der künftige Länderfinanzausgleichstarif die Le- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ bensfähigkeit ihrer Länder gewährleistet und dass hierzu DIE GRÜNEN) der Bund und alle Länder beitragen. Die Menschen sind Meine Damen und Herren, bei der nun verabredeten dankbar, dass sich der Bund noch lange Jahre mit Ergän- Neugestaltung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen geht zungszuweisungen und speziellen Programmen an den es um viel Geld, für einige der beteiligten Länder um exis- notwendigen Zukunftsinvestitionen beteiligt und dass tenzielle Summen. Auf freundschaftliche Beziehungen al- diese Sonderhilfen nur stufenweise abgebaut werden. Das lein konnten also die Länder weder untereinander noch in gibt uns im Osten unseres Vaterlandes Mut und Vertrauen, ihrem Verhältnis zum Bund bauen. Auch konnte nicht rein unsere Arbeit für die Menschen entschlossen fortzuset- mathematisch zusammengefügt werden, was zuvor von zen, unsere Länder voranzubringen und bis Silvester 2019 vielen Experten in zahlreiche Einzelteile seziert und bei gleichwertige Länder in Deutschland zu sein. Ich versi- erheblichen Interessenunterschieden gefordert wurde.chere, dass wir großes Interesse haben, den Fortschritt un- Nein, hier wurde weit mehr zustande gebracht. Die Betei- serer Entwicklung jährlich darzulegen und mit Ihnen den ligten in Bund und Ländern haben ihreGesamtverant- tatsächlichen weiteren Bedarf zu prüfen; denn der Osten wortung erkannt. Mehr als einer ist über seinen Schatten ist kein Fass ohne Boden. Es wird kein Geld vergeudet. gesprungen, um gemeinschaftliches Handeln zu ermögli- Wir wissen sehr wohl, dass auch andere Regionen in chen. Ich weiß, dass dies bis an die Schmerzgrenze der Deutschland große Probleme haben. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17727

Ministerpräsident Dr. Manfred Stolpe (Brandenburg) (A) Alle Länder werden künftig noch stärker motiviert, die handenen Leistungsschwächen, die historisch begründet (C) eigenen finanzpolitischen Gestaltungsmöglichkeitensind, zu überwinden und im Wettbewerb der Länder mit- wahrzunehmen und sich zu ihrer Eigenverantwortung zu halten zu können. bekennen. Bund und Länder haben sich verständigt, in den (Beifall bei der F.D.P.) kommenden Monaten weitere Schritte zur Entflechtung ihrer derzeit vielfältigen Finanzbeziehungen einzuleiten. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, dass auch den Dies wird dazu beitragen, mehr Transparenz für den Bür- wirtschaftsstarken Geberländern im Finanzausgleich ger zu schaffen und die föderalen Entscheidungsebenen zu nicht mehr 80 Prozent, sondern nur noch 72,5 Prozent der stärken. Das tut dem Bundesstaat insgesamt gut. überdurchschnittlichen Steuereinnahmen durch Umver- Im neuen Länderfinanzausgleich gilt künftig für jedes teilung genommen werden. So erfreulich es zwar ist, dass Land: Ein Teil der überdurchschnittlichenSteuermehr- es in dieser schwierigen Frage zu einer Einigung kam, ist einnahmen bleibt jährlich ausgleichsfrei. Ich betone: aber die Tatsache, dass hier von einer Sternstunde des Fö- Diese Regelung gilt für jedes Land, ob steuerstark oder deralismus gesprochen wird, aus unserer Sicht kaum steuerschwach. Mit diesem Prämienmodell wird allennachvollziehbar. Die Sternstunde des Föderalismus war in Ländern der Anreiz gegeben, eine Stärkung der eigenen weiten Teilen ein schwarzer Tag für den Steuerzahler in Kräfte anzustreben, ohne die verfassungsrechtliche Ver- Deutschland, meine sehr geehrten Damen und Herren. pflichtung zu gegenseitigem Einstehen aufzuheben. Kein (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten Land wird auf Dauer privilegiert, kein Land auf Dauer der CDU/CSU) diskriminiert oder in eine Abwärtsspirale gedrückt. Jedes Land hat jährlich neu die Chance auf einen Zugewinn. Denn die Zeche, die sich aus dieser überparteilichen Eini- gung ergibt, zahlen die Bürgerinnen und Bürger, und zwar Ansporn für eine weitere Entflechtung der Finanz- zum Teil über mehrere Generationen hinweg. Statt dass verantwortung von Bund und Ländern könnte die Ver- die Staatsaufgaben und die Ausgaben reduziert werden, einbarung des Bundes mit den neuen Ländern sein, die werden Belastungen auf lange Zeit festgeschrieben. bislang gesetzlich regulierten Mittel des Investitions- fördergesetzes bereits ab dem kommenden Jahr in Ergän- (Joachim Poß [SPD]: Die alte Leier! Der ver- zungszuweisungen umzuwandeln. Der Erfolg öffentlicher steht immer noch nichts von Ökonomie!) Investitionsförderung hängt eben nicht davon ab, dass die Mit dem, was nun vereinbart worden ist, sind Steuer- Förderzwecke gesetzlich möglichst eng reguliert sinderhöhungen vorprogrammiert, und die Spielräume für oder gar von vielfältig besetzten Bund-Länder-Verwal- mögliche Steuersenkungen sind verschenkt worden. tungsgremien gesteuert werden. Künftig werden wir die (B) Bund-Länder-Verhandlungen über mögliche Vereinfa- (Beifall bei der F.D.P. – Joachim Poß [SPD]: (D) chungen und Entflechtungen bei den Gemeinschaftsauf- Herr Westerwelle, das ist ja die alte F.D.P.!) gaben weniger verkrampft und zielsicherer führen kön- Der ohnehin schon schwachen Konjunkturwird somit nen. Vielleicht werden wir sogar weitere gute Argumente weiter geschadet. für die Abgrenzung der jeweiligen Kompetenzen der eu- ropäischen, der nationalen und der regionalen Ebenen fin- (Zuruf von der SPD: Wenig lernfähig!) den. Aus unserer Sicht wurde auch die Chance vertan, durch Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Her- eine stärkere Differenzierung beim Länderfinanzaus- ren, die Vereinbarungen zum Länderfinanzausgleich und gleich den Wettbewerb zwischen den Ländern zu stär- zum Solidarpakt II sollen Gesetz werden. Ich bitte alle ken. Mitglieder dieses Hohen Hauses, die zwischen Bund und (Zuruf von der SPD: So ein Blödsinn!) allen Ländern gefundene Lösung mitzutragen. Herr Bundeskanzler, Sie haben kein Wort dazu gesagt, Ich danke Ihnen. wie die Sonderlasten und die finanziellen Mittel aufge- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ bracht werden sollen. Deswegen möchte ich das in diese DIE GRÜNEN) Debatte mit einführen. So wird zum Beispiel das, was nun an weiteren Belastungen auf den Steuerzahler zukommt, über mehrere Generationen hin gestreckt und die nächs- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Als ten jungen Generationen werden belastet. Denn der nächster Redner hat der Kollege Dr. Guido Westerwelle Fonds „Deutsche Einheit“ wird für die Jahre 2002 bis von der F.D.P.-Fraktion das Wort. 2004 nicht mehr mit etwa 6,5 Milliarden DM bedient, sondern die Tilgung wird jetzt auf 0,2 Milliarden DM ge- Dr. Guido Westerwelle(F.D.P.): Herr Präsident! senkt. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist aus unse- Ich erinnere mich noch an eine Diskussion aus dem rer Sicht zu begrüßen, dass es zwischen Bund und Jahre 1997 im Deutschen Bundestag, als die alte Regie- Ländern zu einer Einigung gekommen ist. Es ist gut und rung wegen einer überdurchschnittlichen Tilgung der vo- richtig, dass es eine weitereUnterstützung für Ost- rausgegangenen Jahre diesen Weg gegangen ist, deutschland gibt. Die Bürger Ostdeutschlands haben ei- nen Anspruch auf öffentliche Dienstleistungen und Mittel (Zustimmung bei Abgeordneten der für den Aufbau der Infrastruktur, auch um die vor- CDU/CSU) 17728 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001

Dr. Guido Westerwelle (A) was für ein Zeter und Mordio es seitens der damaligen ist, sondern dass Deutschland im Vergleich aller Euro-(C) Opposition im Bundestag gegeben hat. Länder, wenn es um das Wirtschaftswachstum geht, mitt- Jetzt gehen Sie an den Fonds „Deutsche Einheit“; und lerweile auch auf dem letzten Platz angekommen ist. Die Sie strecken die Schuldentilgung auf Jahre hinaus zulas- Globalisierung und die Weltwirtschaft sind für alle Län- ten der jungen Generationen. der gleich. Wenn Deutschland aber am Schluss der Ta- belle des Wirtschaftswachstums liegt, dann heißt das (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) doch, dass die deutsche nationale Politik für die weltwirt- Damit kommen wir zu dem großen Problem. Natürlich schaftliche Entwicklung schlechtere Rahmenbedingun- ist es richtig, dass es eine Solidarität des Bundes mit den gen setzt als alle anderen Euro-Länder. Ländern und auch der Länder untereinander gibt. Was wir (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – aber nicht brauchen, sind ein Gewirr von Gemeinschafts- Zuruf von der PDS: Kleinkariert!) aufgaben und eine Mischfinanzierung. Das ist das eigent- liche Problem. Natürlich gab es auch schon früher Zeiten, in denen man in Deutschland ein schlechteres Wirtschaftswachs- (Zuruf von der SPD: Was?) tum hatte, weil die Weltwirtschaft auf einer schiefen Wir bekennen uns zum Föderalismus. Aber was wir brau- Ebene war. Aber wenn das Wirtschaftswachstum in ande- chen, ist ein wettbewerbsorientierter Föderalismus, der ren Ländern 3 Prozent, 4 Prozent und zum Teil über 6 Pro- auch Leistungsanreize im System schafft, und zwar bes- zent beträgt, in Deutschland aber bei unter 2 Prozent an- sere als die bisher vorhandenen. gekommen ist, dann ist das ein Ergebnis von nationaler Politik. Dann hilft es nicht, Herr Bundeskanzler, wenn Sie (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten Ihr Nichtstun mit dem Begriff der „ruhigen Hand“ verse- der CDU/CSU) hen wollen. Was Sie heute „ruhige Hand“ nennen, das Dazu zählt, dass die Verantwortlichkeiten klar sein müs- nannte man früher Aussitzen, meine Damen und Herren. sen. Es ist ein Fehler, diesen Weg zu gehen. (Joachim Poß [SPD]: Das ist der F.D.P.-Stamm- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten tisch! Der Mann hat von nichts Ahnung!) der CDU/CSU) Die Länder müssen mehr Kompetenzen haben und mehr Tatsache ist – schauen Sie sich das einmal an –, dass Gestaltungsmöglichkeiten bekommen. Die Umverteilung die nationalen politischen Rahmenbedingungen auch von muss durch einen fruchtbaren Wettbewerb ersetzt werden. uns, von der nationalen Politik, wesentlich mitbestimmt werden. Ich kann zwar verstehen, dass Sie die Verantwor- Dazu zählt vor allen Dingen eine Klarheit bezüglich tung jetzt sehr stark auf die Europäische Zentralbank und (B) der Aufgaben und der Ausgaben. Das Mischfinanzie- (D) rungsproblem ist offensichtlich; denn wenn die Bürger auf die Tarifparteien abschieben möchten. Natürlich spie- nicht mehr unterscheiden können, wer wofür die Verant- len diese eine große Rolle, auch in der weltwirtschaftli- wortung trägt, dann, glaube ich, wird der Föderalismus chen Entwicklung; aber es reicht nicht aus, wenn sich die immer schwächer werden, dann kommt er auf die schiefe Politik mit Hinweis auf die Verantwortlichkeit anderer Bahn. jetzt ihrer eigenen Hausaufgaben entledigt. Sie müssen handeln! Das, was Sie machen müssen, wäre das beste (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Aufbauprogramm für den Osten. Senken Sie die Steuern Wir wollen in unserem föderalistischen System das Prin- und Abgaben. Diskriminieren Sie den Mittelstand auch zip Wettbewerb verwirklichen. Wir sind fest davon über- steuerpolitisch nicht länger. zeugt, dass das richtig ist und dass das vor allen Dingen (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Unsinn! auch und gerade den Wohlstand aller Bundesländer, im Das macht doch keiner! So ein Quatsch!) Westen und im Osten, sichert. Setzen Sie die nächste Stufe der Ökosteuererhöhung aus. (Zuruf von der SPD: Geschwätz!) Das wäre ein Aufbauprogramm für den Osten Deutsch- Letzten Endes, meine sehr geehrten Damen und Her- lands, meine Damen und Herren. ren, können wir die Diskussion über den Solidarpakt und (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) über die notwendigen Hilfen, insbesondere für Ost- deutschland, nicht von der allgemeinen Wirtschaftspolitik Solange Sie das nicht tun, laufen Sie Gefahr, mit Verlaub und der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung trennen. gesagt, genau dieselben Fehler zu machen, die es früher Sie können für Ostdeutschland noch so viele Maßnahmen schon einmal gegeben hat – nämlich die Ausblendung der beschließen: Wenn die Konjunktur infolge einer falschen Wirklichkeit –, und das mit verheerenden Folgen. Wir ha- Politik bundesweit abschmiert, dann wird alles das, was ben doch alle – wir in der Opposition übrigens schmerz- Sie vorher für Ostdeutschland getan haben, aufgezehrt. haft – lernen müssen: Wer mit den Reformen zu spät kommt, den bestraft das Leben. Sie zögern die Reformen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) weiter hinaus. Sie sind mehr daran interessiert, für den Das ist doch das eigentlich Besorgnis Erregende. Wahlkampf die Gewerkschaften ruhig zu stellen, anstatt jetzt das Notwendige zu tun, um in Deutschland die Rah- Wir haben festzustellen, dass wir nicht nur ein schlech- menbedingungen für neue Investitionen zu schaffen. tes Weltwirtschaftswachstum haben und dass Deutsch- land mittlerweile absolut in der Situation der Stagflation (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17729

Dr. Guido Westerwelle (A) Sie werden doch bei dem Beispiel vonVolkswagen das nicht tun, haben Sie persönlich ein Problem, was Ihre (C) selbst erlebt haben, wohin das führt. In der vorigen Wo- Chancen angeht. Aber das wäre weiß Gott nicht meines. che dehnen Sie die funktionärische Fremdbestimmung in Das größere Problem hat dann allerdings Deutschland. den Betrieben aus. Dies sollte wirklich korrigiert werden, meine Damen (Zuruf von der F.D.P.: Sehr richtig! – Lachen und Herren. Herr Bundeskanzler, hören Sie weniger auf bei Abgeordneten der SPD) Herrn Trittin, hören Sie mehr auf Leute, die etwas von wirtschaftspolitischer Vernunft verstehen. Auch noch in den kleinen und kleinsten Betrieben soll die funktionärische Fremdbestimmung ausgeweitet werden. (Anhaltender Beifall bei der F.D.P. – Beifall bei Und was machen die Gewerkschaften damit? 5 000 Ar- der CDU/CSU – Iris Gleicke [SPD]: Auf Sie beitsplätze für 5 000 DM bei Volkswagen – und die Ge- doch nicht! – Peter Dreßen [SPD]: Sie verste- werkschaft sagt Nein! Das, meine Damen und Herren, ist hen davon wenig!) das Handeln und Denken von Funktionären, die mit Ar- beitslosen nichts gemein haben. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Für die (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt der Kollege Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Warten Oswald Metzger das Wort. Sie doch ab, was noch kommt! Völliger Unsinn! Sie haben nichts kapiert!) Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn wir über den Solidarpakt sprechen, dann können Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dass die Op- wir es Ihnen auch nicht ersparen, dass wir einen Blick auf position nicht mit Erfolgen umgehen kann, haben die Re- den Länderwettbewerb innerhalb Deutschlands werfen. den von Frau Merkel und Herrn Westerwelle deutlich ge- Das, was in Europa falsch läuft, kann man eindeutig an zeigt. den Wachstumszahlen ablesen. Dass wir in Deutschland (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN am Schluss liegen, spricht Bände, und zwar gegen die na- und bei der SPD) tionale Politik. Aber auch innerhalb der Bundesländer gibt es Vergleichszahlen. Insoweit ist der Hinweis von Frau Am Wochenende haben Ihnen der Bundeskanzler und die Kollegin Merkel durchaus angebracht. Ministerpräsidenten einen Strich durch Ihre strategische Rechnung gemacht, dass diese Koalition angesichts welt- Es muss doch auch jedem hier im Hause zu denken ge- wirtschaftlicher Probleme vor der Sommerpause ins Tru- ben, wenn Länder, die politisch so regiert werden wiedeln kommt. Wir haben am Wochenende gezeigt, dass es Sachsen-Anhalt, Rekordhalter sind, was dieArbeitslo- langfristige Planungssicherheit für unsere Republik ge- (B) senquote angeht. Dies ist das Ergebnis von Politik. Wenn ben wird und dass wir vor allem in innerstaatlicher Soli- (D) Länder wie Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und darität den Osten Deutschlands nicht hängen lassen. Hessen niedrigste und Länder wie Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern höchste Arbeitslosenquoten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, haben, dann ist es auch erlaubt, dies in eine Debatte ein- bei der SPD und der PDS) zuführen, weil es das Ergebnis von Politik ist und nicht Her Westerwelle, sich hier hinzustellen, die Backen von irgendeiner hohen Hand der Weltwirtschaft. aufzublasen, vom Aussitzen der alten Koalition zu reden (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – und nicht daran zu denken, dass Sie 16 Jahre daneben ge- Zurufe von der PDS) sessen haben, finde ich eine Ungeheuerlichkeit. Sie müssen Ihre Wirtschaftspolitik korrigieren, Herr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Bundeskanzler. Wir hatten gehofft, dass Sie, wenn Sie hier bei der SPD und der PDS) und jetzt eine solche Debatte führen, dies entsprechend Sie prangern beispielsweise die Tilgungsstreckung an. einbrächten. Wenn Sie das nicht tun, wenn Sie die natio- Damals, bei Theo Waigel, haben Sie dazu doch die Hände nale Politik nicht korrigieren, dann kann sich die Politik gereicht. Sie haben damals die Tilgungsstreckung im jetzt vielleicht zurücklehnen, weil zwischen Bund undBundeshaushalt gebraucht, um verfassungswidrige Haus- Ländern eine Einigung erzielt worden ist, aber dann wer- halte zu verhindern. den wir die Probleme in Deutschland nicht lösen. Wenn alle anderen Länder in Europa mit der Globalisierung bes- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ser fertig werden als wir in Deutschland, wenn das Wirt- sowie bei Abgeordneten der SPD) schaftswachstum in Deutschland mittlerweile das schlech- Wir haben dagegen in diesem Jahr die Tilgungsstreckung teste aller Euro-Länder ist, dann ist es an der Zeit, dass die beim Fonds „Deutsche Einheit“dafür verwendet, die notwendigen Kurskorrekturen ausgeführt werden. Neuverschuldung abzusenken. Wir haben dieses Geld ge- Ich sage Ihnen persönlich und auch den Damen und rade nicht verprasst, sondern haben durch die Tilgungsstre- Herren hier im Hause: Es ist ein Fehler, wenn Sie glauben, ckung, die die Länder im letzten Jahr wollten, die Schulden Sie könnten mit einer Politik des „Weiter so“ und der „ru- gegenüber dem Regierungsentwurf zurückgefahren. higen Hand“ die Probleme aussitzen. Die kommen dann Frau Merkel, bei Ihren Äußerungen zum Mittelstand doppelt und dreifach schwierig auf die Politik zurück. Re- ist Ihnen wohl entgangen, dass durch die Verrechnung der signieren Sie nicht vor Ihren eigenen Leuten, sondern set- Gewerbeertragsteuer mit der Einkommensteuerschuld ein zen Sie durch, was gemacht werden muss. Denn wenn Sie Großteil der Entlastung bereits im laufenden Jahr bei der 17730 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001

Oswald Metzger (A) mittelständischen Wirtschaft ankommt und dass 90 Pro- alle Fraktionen des Hauses mit Ausnahme der F.D.P. die- (C) zent bis 95 Prozent der mittelständischen Betriebe von un- sem Maßstäbegesetz zugestimmt und damit unter Beweis serer Steuerreform profitieren. gestellt haben, dass sie diese Lösung für richtig halten. An (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ihre Adresse, Frau Merkel, sei gesagt: Eine gewisse In- und bei der SPD) konsistenz besteht zwischen dem, was Sie hier gesagt ha- ben – natürlich haben Sie mit dem Erfolg des letzten Wo- Meine Damen und Herren von der Opposition, Ihnen chenendes Ihre Schwierigkeiten –, und der Zustimmung ist wohl entgangen, dass Bundesbankpräsident Welteke Ihrer Fraktionsmitglieder im Sonderausschuss. Das zeigt – ich meine, zu Recht – gestern darauf hingewiesen hat, die Argumentationsnöte der Opposition hier im Haus. dass das derzeitige Wirtschaftswachstum in Deutsch- land über dem Durchschnittswert der 90er-Jahre liegt, in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN denen Sie regiert haben. Damals betrug das Wirtschafts- und bei der SPD) wachstum 1,4 Prozent real Vor uns liegt mit Sicherheit ein schwieriger Weg, aber (Zuruf von der CDU/CSU: Und die Inflations- wir haben inzwischen eine Vereinbarung über die planba- rate?) ren finanziellen Daten getroffen. Das ist gut so. Dann, wenn es an die detailgesetzlichen Regelungen im Finanz- und es boomte die Weltwirtschaft, und zwar vor allem die ausgleichsgesetz geht, werden wir sicher noch so manche Wirtschaft in den USA. Jetzt lahmen die US-Konjunktur Debatte zu führen haben – da mache ich mir nichts vor –, und die Weltwirtschaft. So sehen die Fakten aus. An diese aber das große Misstrauen zwischen dem Bund und den Fakten wollte ich zum Auftakt der Diskussion zum bin- Ländern und die Befürchtung, dass sich Bund und Länder nenstaatlichen Solidarpakt II erinnern. sowie die armen und die reichen Länder wechselseitig (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN über den Tisch ziehen, ist mit der Vereinbarung vom letz- und bei der SPD) ten Wochenende vom Tisch. Das ist gut für unser Land. Jetzt zum Solidarpakt und zum Finanzausgleich: Der (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Weg hin zur Lösung war extrem schwierig – das haben Sie SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) gemerkt –, weil sich auch die Länder untereinander über Denn schlussendlich tragen alle Fraktionen dieses Hauses viele Monate hinweg wechselseitig blockiert haben und auf unterschiedlichen Ebenen, in armen und reichen Län- das Verhältnis zwischen Bund und Ländern buchstäblich dern, Regierungsverantwortung. Wenn wir das bündische bis zum letzten Moment von Misstrauen geprägt war. Prinzip des Füreinander-Einstehens in unserer Gesell- Gott sei Dank kann in diesem Sommer nicht von einer schaft nicht aufrechterhalten, können wir das Sozial- Krise des Föderalismus geredet werden, denn wir haben staatsprinzip im persönlichen Verhältnis mit den Bürgern, (B) auf der Zielgeraden noch eine Lösung gefunden. Die Lö- aber auch in der binnenstaatlichen Organisation ver-(D) sung sieht so aus, dass wir über 300 Milliarden DM bis gessen. Ende des Jahres 2019 zur Verfügung stellen. Damit wird über einen langen Zeithorizont Planungssicherheit für den Aufbau Ost und die Wiedererlangung der inneren Einheit Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kol- geschaffen. Dies ist eine Kraftleistung, die parallel zur lege Metzger, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kol- Konsolidierung der überschuldeten öffentlichen Haus- legen Schüßler? halte – eines von der konservativ-liberalen Regierung hin- terlassenen Erbes – erbracht wird. Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Uta Titze-Stecher [SPD]: Das darf man nicht Aber bitte. vergessen!) – Das darf man nicht vergessen. Wir halten – wie der Bun- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kol- deskanzler zu Recht gesagt hat – die Spur zwischen bei- lege Schüßler, bitte schön. den Leitplanken ein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gerhard Schüßler (F.D.P.): Herr Kollege Metzger, und bei der SPD) sind Sie noch der gleiche Kollege Metzger, der am Don- nerstag vergangener Woche von dem Platz aus, an dem Insofern kann man nicht von einer Überlastung der Steu- Sie jetzt stehen, gesagt hat, dass es ihm angesichts des Ge- erpflichtigen reden, wenn wir gleichzeitig die Verschul- zerres um den Bund-Länder-Finanzausgleich unter den dung abbauen, innerstaatlich solidarisch sind, aber auch einzelnen Bundesländern schon peinlich sei, über das zu Anreize für reiche wie arme Länder insofern schaffen, als erwartende Ergebnis zu sprechen? sie von ihrer zusätzlichen Wirtschaftskraft mehr Geld be- halten können, wie Ministerpräsident Stolpe zu Recht ge- (Heiterkeit bei Abgeordneten der F.D.P. und sagt hat. Dies halte ich für eine wichtige Errungenschaft der der CDU/CSU) am letzten Wochenende getroffenen Vereinbarungen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich und bei der SPD) bin der gleiche Kollege. Bemerkenswert ist übrigens auch, dass vor einer guten (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Höchstens Stunde im Sonderausschuss des Deutschen Bundestages derselbe!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17731

Oswald Metzger (A) Ich habe nicht gedacht, dass man am letzten Wochenende gen, dass sich die Binnenkonjunktur in Deutschland in der (C) tatsächlich zu einer Lösung kommen würde. Wie Sie wis- zweiten Jahreshälfte erholen kann. Wenn darüber hinaus sen, ist diese Lösung deshalb zustande gekommen, weil Signale an die Tarifpartner gegeben werden, dass die Re- wir den Weg dazu mit Mitteln für den Aufbau Ost frei ge- gierung die Reformagenda im Bereich Arbeitsmarkt und macht haben. Gesundheit nicht aus dem Blick verliert, dann bin ich mir sicher, dass Sie im Herbst eine andere Gefechtslage vor- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dietrich Austermann finden werden und hier nicht ständig Hiobsbotschaften, [CDU/CSU]: Oswald, Platz sechs reicht nicht!) die vielleicht im Interesse Ihrer Partei, aber nicht im Inte- resse unserer Volkswirtschaft liegen, verkünden können; Eines dürfen Sie, Herr Kollege Schüßler, nicht verges- denn Volkswirtschaften brauchen positive Nachrichten. sen: Wir gehen als Koalition davon aus, dass die Reform der Finanzverfassung in Deutschland damit nicht zu Gerade Ihr Urvorfahr Ludwig Erhard hat zu Recht im- Ende ist. Auch die Regierung weiß, dass wir eine Finanz- mer darauf hingewiesen, dass Wirtschaftspolitik zu weit verfassungsreform größeren Umfangs brauchen, mehr über 50 Prozent aus Psychologie besteht. Auch das sei Ih- Verantwortung auf Länder und Gemeinden übertragen nen ins Stammbuch geschrieben: Gerade den Konservati- müssen und die Verantwortung für Einnahmen und Aus- ven steht das Unken nicht gut an. gaben langfristig anders bündeln müssen. (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Deshalb ist (Beifall bei Abgeordneten der SPD) der Wirtschaftsminister auch nicht hier!) Es gab letzte Woche eine Debatte zur Gemeinde-Sie haben der Opposition immer Miesmacherei vorge- finanzverfassungsreform. In dieser habe ich gesprochen worfen, wenn es darum ging, den Finger in die Wunde zu – darauf beziehen Sie sich – und die Positionen beider Re- legen. Die anderen Finger Ihrer Hand zeigen nun auf Sie gierungsfraktionen wiedergegeben. Es ist kein Geheim- zurück, wenn Sie jetzt die Stimmung dieses Landes wie in nis, dass wir uns in der Steuerpolitik langfristig über neue einem Zerrspiegel zeichnen. Modelle Gedanken machen müssen; ich nenne als Bei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spiel Hebesatzrechte für die Kommunen in Bezug auf die und bei der SPD) Einkommensteuer. Darüber können Sie täglich in den Zei- tungen lesen. Insofern habe ich mich konsistent verhalten. Am letzten Wochenende wurde nicht nur innerstaatli- Meines Erachtens verhält sich auch die Regierung in die- che Solidarität bewiesen und den neuen Bundesländern sem Punkt konsistent. Planungssicherheit gegeben, sondern auch ein Anreizme- chanismus – zwar ein kleiner, aber immerhin einer, der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN langfristig wirkt – in den Finanzausgleich eingebaut. Das (B) und bei der SPD – Hans-Peter Repnik [CDU/ ist etwas, was Sie während Ihrer Regierungszeit nie ge- (D) CSU]: Aber nur in diesem Punkt!) schafft, sondern nur gefordert haben. Gleichzeitig wurde Frau Merkel, Sie haben dem Bundeskanzler vorgewor- am letzten Wochenende die Strategie der beiden Opposi- fen, er rede zwar über Makroökonomie, aber einseitigtionsfraktionen, die Regierung in ein Sommertheater der über die Ausgabenseite. Wenn Sie dem Kanzler zugehört ungelösten Probleme treiben zu lassen, wirkungsvoll zer- hätten, hätten Sie bemerkt, dass er mit der unabhängigen stört. Insofern war das letzte Wochenende ein gutes Wo- Europäischen Zentralbank auch die geldpolitische Seite chenende für die Regierung und unser Land. angesprochen hat und dass er ein Signal an die Tarifpart- Vielen Dank. ner gegeben hat, die ihre Verantwortung mit dem Ab- schluss zweijähriger Tarifverträge im letzten Jahr unter (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beweis gestellt haben. Dies hat angesichts einer impor- und bei der SPD) tierten Inflation – ich nenne die Energiepreise und die Fol- gekosten von BSE sowie Maul- und Klauenseuche – zu Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Als einer Stabilisierung der wirtschaftlichen Situation in die- nächster Redner hat der Kollege Dr. Gregor Gysi von der sem Jahr beigetragen. PDS-Fraktion das Wort. Ihnen, Frau Merkel und Herr Westerwelle, ist vielleicht auch entgangen, – Sie haben von Inflationsdruck gespro- Dr. Gregor Gysi (PDS): Herr Präsident! Meine Da- chen –, dass sich die Inflation bereits im Juni um viermen und Herren! Ich möchte zunächst den Bundeskanz- zehntel Prozentpunkte zurückbildet und die Perspektiven ler in Schutz nehmen. für die nächsten Monate so gut sind, dass der Bundes- bankpräsident gestern von einem realen Wachstum von (Zurufe von der SPD und dem BÜND- 1,7 bis 1,8 Prozent für dieses Jahr gesprochen hat. Das ist NIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) mehr als der Durchschnitt der Jahre 1991 bis 1998, in de- – Warten Sie doch erst einmal ab! – Frau Merkel hat ge- nen Ihre Parteien die Regierung gestellt haben. sagt, er sei ganz an den linken Rand gedrückt. Als Sach- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verständiger in dieser Frage muss ich Ihnen sagen: Das ist und bei der SPD) ein Vorwurf, der völlig unberechtigt ist. Davon kann keine Rede sein. Makroökonomisch gesehen wird ein Rückgang der In- flation, verbunden mit der Steuerreform unserer Regie- (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten rung, die zu einer Stärkung der Kaufkraft führt, dafür sor- der SPD) 17732 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001

Dr. Gregor Gysi (A) Ich habe von den Ergebnissen des WochenendesSie haben eine Steuer vorgezogen; das ist alles. DieBe- (C) gehört. Wir waren sehr zufrieden und haben deshalb heute steuerung von Veräußerungserlösenhaben Sie ihnen im Ausschuss zugestimmt. Wir werden auch dem Soli- erlassen. Die kleinen und mittelständischen Unternehmen darpakt II zustimmen. Denn tatsächlich schafft er ab dem müssen diese Steuer weiterhin zahlen; das ist die Wahr- Jahre 2005 Planungssicherheitund ermöglicht den heit. Deshalb werden diese Unternehmen stärker ge- neuen Bundesländern, sich darauf einzustellen. Auch den schröpft als Aktiengesellschaften. Die großen Unterneh- Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern in ganz Deutschland men bauen nur noch Arbeitsplätze ab, während die bietet er mehr Planungssicherheit als vorher. kleinen neue Arbeitsplätze schaffen. Deshalb bedürfen sie Herr Westerwelle, er sichert durchaus auch mehr Wett- einer anderen Unterstützung, und zwar in Ost und in West. bewerb zwischen den Ländern. Nur, was Sie vorschlagen, (Beifall bei der PDS – Joachim Poß [SPD]: Der wäre grundgesetzwidrig. Denn noch haben wir im Grund- meist überschätzte Politiker der Bundesrepu- gesetz einen Artikel, in dem steht, dass die Lebensverhält- blik!) nisse in ganz Deutschland annähernd gleich zu sein haben. Auch fehlt mir – denn es geht nicht nur um Wirt- (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten schaftsfragen – ein Fahrplan in sozialer und kultureller der SPD) Hinsicht. Herr Bundeskanzler, da Sie einen Hang zu Sie wollen das aufkündigen. Das kann man nicht hinneh- Bündnissen haben, schlage ich Ihnen Folgendes ganz men. ernsthaft vor: Denken Sie doch einmal wirklich über ein Bündnis für die Einheit nach, in dem es sowohl um öko- Unser Problem, Herr Bundeskanzler, ist ein anderes: nomische und Finanzfragen als auch um mentale und Kul- Was geschieht bis 2005? Der so genannte Solidarpakt I al- turfragen geht. Denn wir können die Entwicklung, dass es lein reicht ganz offenkundig nicht aus. Die Entwicklun- eine Zunahme von mentalen Unterschieden gibt, nicht gen von Ost- und Westdeutschland – da hat Frau Merkel einfach schleifen lassen. Recht – gehen weiter auseinander. Die Wirtschaftsdaten gehen auseinander, die Arbeitslosigkeitsdaten gehen aus- Ich nenne Ihnen dazu kurz ein Beispiel, das dies ver- einander und auch in sozialer Hinsicht, Rente etc., gehen deutlicht – das war bei der letzten Regierung genauso –: die Daten eher auseinander. Deshalb muss neben der Pla- Im Jahre 2000 hat sich ein ehemaliger Oberstleutnant der nungssicherheit ab 2005 sofort etwas geschehen. NVA an das Bundesverteidigungsministerium gewendet und angefragt, ob er im Falle des Todes mit militärischen (Beifall bei der PDS) Ehren beerdigt werden könne. – Nun äußere ich mich ein- Wir haben einen Antrag eingebracht, wie man zu mehr mal nicht zu diesem Bedürfnis, das mir etwas fremd ist; Gründungen und Investitionen kommt. Wir benötigenseines ist es auf jeden Fall. – Interessant ist die Antwort. (B) dringend eine Investitionspauschale für die Kommunen Dort heißt es, da er nicht in die Bundeswehr übernommen (D) gerade auch in den neuen Bundesländern. worden sei, gehe das nicht. Er sei Angehöriger einer frem- den Streitmacht gewesen. Dann heißt es, es sei denn, er (Beifall bei Abgeordneten der PDS – Joachim könne nachweisen, dass er bereits Angehöriger der Deut- Poß [SPD]: Verfassungswidrig!) schen Wehrmacht gewesen sei und damals eine Tapfer- Denn wenn wir dort keine eigenen Wirtschaftskreisläufe keitsauszeichnung bekommen habe. Dann stehe ihm das herstellen, wird die Unterstützung Ostdeutschlands ir- zu. gendwann ein Fass ohne Boden. Dann werden die Beden- Ich äußere mich jetzt weder zur NVA noch zur Wehr- ken in den alten Bundesländern immer größer werden. macht; das ist gar nicht mein Anliegen. Es geht um etwas Wer Einheit will, braucht den wirtschaftlichen Anschluss anderes: Im Klartext heißt das, die Wehrmacht gilt als des Ostens. Wenn wir dies nicht schaffen, ist sie nicht her- deutsche Geschichte, die NVA nicht. Wer in ihrer ganzen zustellen. Kompliziertheit die Geschichte der DDR nicht als deut- (Beifall bei der PDS) sche Geschichte annimmt, wird die Einheit nicht vollen- den können. Das ist ein wirkliches Problem. Damit können wir nicht bis 2005 warten. Da muss sehr viel früher etwas geschehen. (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD) Herr Bundeskanzler, zu einer Ausgabenpolitik gehört immer auch eine Einnahmepolitik. In diesem Zusammen- Frau Merkel, da ich wusste, dass Sie es nicht lassen hang muss die Steuerreform des letzten Jahres kritisiert können, lassen Sie mich einige wenige Bemerkungen zu werden. Denn die steuerlichen Entlastungen, die Sie im Ihnen machen – ich mische mich damit überhaupt nicht in Rahmen dieser Reform für die Aktiengesellschaften be- Ihre inneren Auseinandersetzungen ein –: Wenn Sie der schlossen haben, haben Sie nicht annähernd für kleine und SPD vorwerfen, sie mache die PDS hoffähig, sage ich mittelständische Unternehmen festgesetzt. Diese Unter- ganz unter uns – ich sage das auch nie wieder –: Den nehmen brauchen wir aber dringend, wenn wir die Pro- größeren Anteil daran hatte, wenn auch indirekt, die CDU. bleme der Arbeitslosigkeit in Deutschland lösen wollen. (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der PDS – Hans Eichel, Bundes- der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- minister: Das ist nicht richtig!) NEN) – Herr Eichel, Sie bestreiten das immer wieder. Wissen Ein Zweites will ich Ihnen dazu sagen: Ihr Herr Sie, was Sie bei den Aktiengesellschaften getan haben? – Diepgen und Ihr Herr Landowsky haben doch dafür ge- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17733

Dr. Gregor Gysi (A) sorgt, dass die CDU hofunfähig geworden ist. Das ist das Ich sage Ihnen nur: Auch darüber wird es im Rahmen (C) Einzige, mit dem wir es zu tun haben. von Verhandlungen mit Bund und Ländern noch Überle- gungen geben müssen, aber nur unter der Bedingung, dass (Beifall bei der PDS) Berlin sein eigenesKonsolidierungskonzept vorlegt. Sie werden weder mit Hinweisen auf die Vergangenheit Dazu wird diese Stadt in der Lage sein. Davon bin ich noch mit Ausweichmanövern erreichen, dass wir von dem überzeugt. Thema der Krisensituation in Berlininhaltlich haupt- verantwortet durch die CDU, abgehen werden. Die CDU Frau Merkel, lassen Sie mich noch eines sagen: Wenn war vielleicht als einzige politische Kraft in der Lagedie CDU so weitermacht – weil es um Investitionen geht –, – das muss ich heute einräumen; die SPD war dazu nicht das Bild einer Stadt aufzuzeigen in der Bevölkerungsteile in der Lage –, die äußere Einheit Deutschlands herzustel- scheinbar verhasst sind, wenn hier wieder der kalte Krieg len. Aber sie hat sich als unfähig erwiesen, die innere Ein- eröffnet wird – genau das machen Sie zurzeit –, heit Deutschlands herzustellen, (Widerspruch bei der CDU/CSU) (Beifall bei der PDS) dann kommt wirklich kein Investor. Die Bevölkerung hier und zwar unter anderem deshalb, weil sie es ablehnt, Ost- will sich vereinigen. Nur Sie wollen sich nicht vereinigen. deutsche, die nicht ein ausschließlich negatives DDR-Bild (Beifall bei der PDS) in sich bewahrt haben, überhaupt für vereinigungstauglich zu halten. Genau so geht es nicht! Ihre Ausgrenzungsstra- Dieses Problem muss endlich nicht nur in Berlin, sondern tegie gegenüber Wählerinnen und Wählern einer Partei, in ganz Deutschland gelöst werden – mithilfe von Öko- die Sie nicht mögen, verhindert die innere Einheit. Wenn nomie, aber auch mithilfe der Lösung von mentalen Pro- wir hier nicht zusammenkommen, werden wir die Pro- blemen. bleme weder in dieser Stadt noch in diesem Land lösen. Als Letztes zu Ihnen, Herr Bundeskanzler. Ihr Problem (Beifall bei der PDS) ist, dass wir jetzt einen Abschwung haben. Das hängt durchaus mit der Politik der Bundesregierung zusammen, Sie sagen immer, wir seien ein Investorenschreck.aber – das gebe ich zu – hat auch etwas mit der Einzel- Dazu möchte ich Ihnen gerne noch etwas sagen. Wissen entwicklung der Weltwirtschaft zu tun. Aber so ist es nun Sie eigentlich, auf welchem Platz Berlin als interessanter einmal in der Politik: Der Aufschwung war ja allein Ihrer Investitionsstandort in Deutschland für Existenzgründe- und dann gehört Ihnen halt auch der Abschwung. Wer jede rinnen und Existenzgründern steht? – Auf Platz 65! Das blühende Blume für sich in Anspruch nimmt, haftet dann hat die große Koalition in Berlin geschafft. Sie müssen auch für jede verwelkte. Manchmal ist es ganz gut, bei sich erst einmal überlegen, wie viele und welche Städte Dingen, die sich positiv entwickeln, die eigenen Leistun- (B) davor genannt werden; (D) gen nicht ganz so hervorzuheben; denn dann haftet man (Heiterkeit und Beifall bei der PDS) nachher nicht ganz so dafür, wenn es wieder ein bisschen die meisten davon kennen Sie gar nicht. Also, schlechter bergab geht. Das ist nur einmal ein Rat nebenbei, den man kann es die PDS auch nicht machen. Wissen Sie, die Stadt in jeder Hinsicht beherzigen sollte, egal welche Verant- ist jetzt so ruiniert, dass auch wir sie mit übernehmen kön- wortung man in Deutschland übernimmt. nen. Vielleicht gibt es doch eine Chance nach vorn. (Beifall bei der PDS – Lachen bei SPD und (Hans Eichel, Bundesminister: Dann muss es Bündnis 90/Die Grünen) schon noch schlimmer kommen!) – Nein, schlimmer kann es nicht kommen, Herr Eichel. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort Der Stand ist schon erreicht. hat jetzt die Kollegin Sabine Kaspereit von der SPD-Frak- tion. (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Das ist be- merkenswert!) Sabine Kaspereit (SPD): Herr Präsident! Liebe Kol- Ich will Ihnen etwas sagen: Sie werden sehen, wie wir leginnen und Kollegen! Ich bleibe dabei: Die Beschlüsse einsparen, wie wir konsolidieren können. Aber wir sind vom 24. Juni zum Länderfinanzausgleich und zum Soli- auch dafür – das hat übrigens dieser Ausgleich noch nicht darpakt II haben eine ungewöhnlich breite Zustimmung geschafft –, endlich einmal den Zweck einer Hauptstadt in gefunden – Deutschland zu klären. Dieser Zweck steht nämlich nicht im Widerspruch zum Föderalismus, sondern wäre eine (Beifall bei der SPD) wichtige Ergänzung. sowohl bei den politisch Handelnden als auch in der Öf- (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Jetzt sind wir fentlichkeit. Von Biedenkopf bis zu Runde, von Stoiber wieder im Wahlkampf!) bis zu Ringstorff: Alle haben nur zufriedene Gesichter. Ringsherum Lob: vom „Handelsblatt“ bis zum „Neuen Der Senat hat diese Frage elf Jahre lang nicht einmal auf- Deutschland“, von der „Frankfurter Allgemeinen Zei- geworfen, geschweige denn beantwortet – weder in kultu- tung“ bis zur „Bild“-Zeitung, abgesehen von der eben reller noch in politischer noch in ökonomischer Hinsicht. gehörten Oppositionsmäkelei. (Beifall bei der PDS) (Zuruf von der SPD: Merkelei! – Joachim Poß Aber das ist ein anderes Thema. [SPD]: Immer noch besser als „Ferkelei“!) 17734 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001

Sabine Kaspereit (A) Alle sind sich darin einig, dass hier ein großer Wurf ge- menden Jahrzehnten auf die notwendige Solidarität der (C) lungen ist. Das muss Ihnen, Herr Bundeskanzler, erst ein- alten Länder verlassen. Wir haben immer gesagt: Der Auf- mal einer oder eine nachmachen, nicht wahr, Fraubau Ost ist eine Generationenaufgabe. Wer blühende Merkel? Landschaften und die Angleichung der Lebensverhält- nisse zwischen Ost und West in nur wenigen Jahren ver- (Beifall bei der SPD – Dr. Guido Westerwelle spricht, belügt die Menschen. Ihre heutige Rede, Frau [F.D.P.]: Haben wir uns eigentlich früher auch Merkel, hat dem noch eins draufgesetzt. so angehört?) Wir können uns jetzt an einem konkreten Datum, näm- Während Sie sich am vergangenen Wochenende mit der lich dem Jahr 2020, orientieren. Bis dahin kann der Aufbau bedeutenden Frage abgeben mussten, ob, und wenn ja, Ost abgeschlossen sein. Bis dahin wird es Sonderhilfen ge- wie oft und womöglich auch noch wie lange Ihr Vorvor- ben. Bis dahin brauchen wir die Solidarität der Bürgerinnen gänger im Amt in den Berliner Wahlkampf eingreifen darf und Bürger aus den alten wie den neuen Bundesländern. oder soll, hat diese Bundesregierung zusammen mit den 16 Ministerpräsidenten der Länder Föderalismusge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) schichte geschrieben. Danach ist Schluss mit einer Sonderbehandlung Ost. Sie Als ostdeutsche Abgeordnete freue ich mich über das wird – und davon bin ich überzeugt – dann auch nicht Ergebnis vom vergangenen Wochenende ganz besonders. mehr nötig sein; denn dann können die Länder und Ge- meinden im Osten genauso behandelt werden wie die im (Beifall bei der SPD) Westen. Ich halte die Perspektive 2020 für realistisch. Als im November der Urteilsspruch aus Karlsruhe ver- Dann werden 30 Jahre Aufbau Ost hinter uns liegen. Die kündet wurde, hätte ich nicht geglaubt, dass die Grund- große Generationenaufgabe, die Umwandlung einer kom- linien einer Entscheidung zum Länderfinanzausgleich munistischen Staatswirtschaft mit all ihren Folgen in die und zum Solidarpakt II vor der Sommerpause des Jahres soziale Marktwirtschaft, kann dann bewältigt sein. 2001 einvernehmlich beschlossen werden würden. Meine Damen und Herren, an den Vereinbarungen des Noch eine kleine Korrektur an die Adresse von Frau vergangenen Wochenendes schätze ich ganz besonders, Merkel: Sie hatten in Ihrer Rede vorhin behauptet, der dass wir jetzt ganz konkret den finanziellen Rahmen der Bundeskanzler habe über den Solidarpakt gar nicht reden Hilfen für die neuen Länder kennen. Diese Festlegung des wollen. Mir ist ein Zettel zugeleitet worden, auf demBundes und der Länder ist sehr viel wert, vielleicht mehr steht: „In der Sitzung vom 29. Mai 2000 im Bundeskanz- wert als die konkreten Summen, die ausgehandelt wur- leramt in Berlin hat Bundeskanzler Schröder vorgeschla- den. Länder und Gemeinden haben jetzt Sicherheit. Sie gen und dann mit den ostdeutschen Ministerpräsidenten können nun planen und wissen, dass diese Planungen auf (B) vereinbart, dass bis spätestens Ende 2001 der Solidar- festem Boden stehen. (D) pakt II (sowie der Länderfinanzausgleich und das Maß- Ich bin mir darüber im Klaren, dass das Beratungser- stäbegesetz) fertig gestellt wird.“ – Dafür, Herr Bundes- gebnis vom vergangenen Wochenende auch in seiner fi- kanzler, gebührt Ihnen, den Ministerpräsidenten und auch nanziellen Dimension ein Kompromiss ist. Etliche unrea- Finanzminister Eichel Dank, listische Forderungen, die uns in den vergangenen (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Wochen zum Beispiel aus Thüringen erreichten, haben Rita Grießhaber [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- das letzte Wochenende nicht überlebt. Auch manche wis- NEN]) senschaftlich untermauerten Berechnungen über alle möglichen Lücken wurden auf das Erreichbare und Dank, wie ich meine, des ganzen Hauses. Machbare zurechtgerückt. Eines ist deutlich geworden: Das föderale System auch Finanzpolitik ist ein hartes Geschäft. Finanzpolitik im der wiedervereinten Bundesrepublik Deutschland ist in Europa des 21. Jahrhunderts spielt sich zudem nicht mehr entscheidenden Fragen unseres Landes handlungs- und allein im nationalen Rahmen ab. Die finanziellen Forde- konsensfähig. Allen Unkenrufen zum Trotz: Diese Ge- rungen und Erwartungen der neuen Länder mussten in sellschaft und ihre politischen Repräsentanten sind zur Einklang mit den Erfordernissen einer nachhaltigen Solidarität bereit und fähig. Finanzpolitik gebracht werden, wie es derMaastricht- (Beifall bei der SPD) Vertrag und der Europäische Stabilitäts- und Wachs- tumspakt verlangen. Innerhalb dieser finanzpolitischen Mit diesem Kompromiss – ich nenne es auch vertrau- Leitplanken – das Markenzeichen des seriösen und soliden ensbildende Maßnahme – wurde der Weg für dasMaß- Finanzministers Eichel – bewegt sich der Kompromiss stäbegesetz frei gemacht, das, wie bereits gesagt wurde, vom 24. Juni. Nach der Steuer- und der Rentenreform ist die F.D.P. heute im Ausschuss ablehnt hat. Die Auslas- jetzt mit den Beschlüssen zum Länderfinanzausgleich und sungen von Herrn Westerwelle haben bei mir eigentlich zum Solidarpakt II die Voraussetzung geschaffen worden, nur den Eindruck erweckt, dass er von den Finanzbezie- ein weiteres Großprojekt der Reformagenda dieser Bun- hungen zwischen Bund und Ländern eher wenig Ahnung desregierung zu einem guten Abschluss zu bringen. hat. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD) DIE GRÜNEN) Für mich heißt die zentrale Botschaft: Die Menschen in Der Kompromiss vom 24. Juni ist alles andere als ein den neuen Ländern können sich auch in den beiden kom- bloßes „Weiter so!“, wie es hier und da zu hören war. Mit Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17735

Sabine Kaspereit (A) den Beschlüssen vom vergangenen Wochenende tritt der Wir haben jetzt auch Klarheit über die zeitliche Di-(C) Aufbau Ost vielmehr in eine neue Phase ein. Die neuen mension, die realistisch ist. Aber nicht nur der Solidar- Länder und die Gemeinden im Osten erhalten jetzt mehr pakt II – das ist ebenfalls wichtig – läuft im Jahre 2019 Selbstbestimmung, aber auch mehr Eigenverantwortung. aus, sondern auch der Finanzausgleich. Das heißt, man hat Dadurch wird es den Ländern selbst möglich, die oft ge- sich insgesamt darauf verständigt, nach dem Zeitraum forderte größere Zielgenauigkeit und Effizienz der Förde- von weiteren gut 18 Jahren eine Gesamtrevision des Zu- rung zu erreichen. Ich glaube, das ist ein sehr folgerichti- standes und der Entwicklung des Landes vorzunehmen. ger Schritt für die zweite Hälfte des Aufbaus Ost. Wir haben mehr Entscheidungsspielräume. Frau Kol- Ich unterstütze dabei ausdrücklich die Forderung an legin Kaspereit, es war keine Forderung des Bundes, dass die neuen Länder, jährlich „Fortschrittsberichte Aufbau die ostdeutschen Länder Berichte erstatten. Ost“ dem Finanzplanungsrat vorzulegen, in denen erstens (Hans Eichel, Bundesminister: So ist es!) ihre Fortschritte bei der Schließung der Infrastruktur- lücke, zweitens die Verwendung der Mittel aus dem Soli- Vielmehr haben die ostdeutschen Länder den Vorschlag darpakt und drittens die finanzwirtschaftliche Entwick- gemacht, als Gegenleistung für höhere Flexibilität Be- lung der Länder- und Kommunalhaushalte einschließlich richte zu erstatten. Vielleicht können sich die westdeut- der Begrenzung der Neuverschuldung dargelegt werden. schen Länder diesem Vorschlag eines Tages anschließen. Das ist eine legitime Forderung des Bundes und der west- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, des deutschen Länder. Ich möchte anregen, dass der Deutsche BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Bundestag diese Fortschrittsberichte und deren Bewer- F.D.P.) tung durch die Bundesregierung zur Kenntnis erhält und darüber jährlich debattiert. Wenn das geschähe, dann diskutierten wir im Bundestag über die Leistungsfähigkeit aller deutschen Länder und Der Kompromiss vom 24. Juni sichert nicht nur die fi- nicht nur über die der Länder im Osten. nanziellen Voraussetzungen für den weiteren Aufbau in den neuen Ländern. Er ist gleichzeitig ein wichtiger Zwi- Der entscheidende Grund für das Angebot und für den schenschritt bei der Modernisierung unserer föderalen Wunsch nach mehr Ermessensspielraum war in der Tat Ordnung. Die bundesstaatliche Ordnung steht vor einem die in der Vergangenheit gemachte Erfahrung, dass so- bedeutenden Umbau. Bundeskanzler Schröder hat Recht: wohl im Bereich der gemeinsamen Finanzierung wie im Das föderale Modell der Bundesrepublik Deutschland hat Bereich definierter Programme Entscheidungen enthalten eine gute Zukunft. Alle Parteien in diesem Hause, so hoffe sind, die nicht immer den konkreten Bedürfnissen und ich, stimmen mit ihm darin überein. Notwendigkeiten der jeweiligen Regionen entsprechen. In diesem Sinne ist es verkehrt, immer von den ostdeut- (B) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schen Ländern zu sprechen. Es gibt in den verschiedenen (D) DIE GRÜNEN) Ländern verschiedene Bedingungen, die berücksichtigt werden müssen und in Zukunft berücksichtigt werden Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort sollten. hat jetzt der Ministerpräsident des Freistaates Sachsen, Es war von „Leitplanken“ die Rede. Mit dem Solidar- Professor Dr. Kurt Biedenkopf. pakt II sind drei Leitplanken verbunden, die den Hand- lungsspielraum der ostdeutschen Länder in Zukunft be- Dr. Kurt Biedenkopf, Ministerpräsident (Sachsen) einträchtigen, man kann auch sagen: leiten werden. (von Abgeordneten der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Bei der ersten Leitplanke geht es um den Umstand, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! dass wir der Wirkung einer doppelten Degression ausge- Der Aufbau des Ostens bleibt eine gesamtdeutsche Auf- setzt sind: die vereinbarte Degression, die etwa nach 2008 gabe. Das ist nach meiner Auffassung – darin stimme ich nachhaltig einsetzt, und die Degression durch die Geld- mit Herrn Stolpe überein – eine der wichtigsten Aussagen entwertung. Beides ist vor dem Hintergrund zu sehen, des vergangenen Wochenendes. Alles das, was zur Leis- dass die Ausgabenseite nominal nicht unverändert bleibt. tungsfähigkeit des Föderalismus und zur Zusammenarbeit Unsere Personalkosten – die Personalkosten der Länder gesagt worden ist, möchte ich nicht wiederholen. Ichsind wesentlich höher als die des Bundes – werden sich möchte in meiner Rede auf eine Reihe von Gesichts-selbstverständlich dynamisch entwickeln. Wir werden da- punkten hinweisen, die die Zukunft betreffen. rüber hinaus die durch die Inflation bewirkte Preissteige- Der Gesamtstaat stellt weiterhin Mittel bereit, um die rung verkraften müssen. Das heißt: De facto werden un- teilungsbedingten Rückstände des Ostens insbesondere sere Haushalte selbst dann, wenn die Steuerentwicklung im Infrastrukturbereich zu überwinden. Das bedeutetim eigenen Land günstig verläuft, über einen langen Zeit- nicht – wenn ich hier einmal eine sprachliche Differen- raum nicht größer werden. zierung empfehlen darf –, dass der Westen dem Osten Die zweite Leitplanke sind die im Finanzausgleich hilft, sondern dass der Aufbau Ost eine gesamtstaatliche festgelegten Grundlagen, die allerdings, soweit sich die Aufgabe ist, an deren Gelingen alle ein Interesse haben, Steuereinnahmen entsprechend entwickeln, dynamisch der Westen genauso wie der Osten. sind. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem Die dritte Leitplanke ist der Stabilitätspakt. Der Sta- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der bilitätspakt soll – das haben wir verabredet – in kurzer F.D.P.) Zeit unsere Verschuldungsgrenzen festlegen. 17736 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001

Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf (Sachsen) (A) Wir müssen in den kommenden gut 18 Jahren alsodie wir eigentlich aufbauen wollen, um die Agrarwirt-(C) mit – im günstigsten Fall – real stabilen Haushalten rech- schaft leistungsfähig, insbesondere auch im Blick auf die nen. Ich glaube nicht, dass die Stärkung der Steuerkraft im Osterweiterung zu machen. Osten höher als die mit den Degressionen verbundenen (Beifall bei der CDU/CSU) Rückläufe sein wird. Ich finde das im Übrigen nicht schlecht. Nur, es ist eine ganz besondere Herausforde- Das ist der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte: rung, die die westlichen Bundesländer mit uns nicht tei- Bitte bedenken wir bei der Umsetzung der Entscheidun- len. Wenn man die gesamtpolitische Lage betrachtet, dann gen der letzten Tage, die auch nach meiner Auffassung ein muss man das sehen. erfreuliches, wichtiges und die gesamtstaatliche Verant- wortung konkretisierendes Ereignis waren, Wenn in den nächsten Jahren Gesetze beraten werden, dann sollte dabei – das ist meine Bitte an dieses Hohe (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr Haus – immer die Frage berücksichtigt werden, ob die be- richtig!) sondere Situation im Osten nicht auch eine höhere Flexi- dass insbesondere die ostdeutschen Länder von der bilität erforderlich macht. Es kann durchaus sein, dass Osterweiterung betroffen sein werden. Die ersten und sich die wohlhabenden Länder in Westdeutschland – sie wichtigsten Auswirkungen im zwischenstaatlichen Ver- werden die wohlhabenderen bleiben – mit gewissen Er- hältnis und im sich erweiternden Grenzbereich müssen starrungserscheinungen der Bürokratie abfinden, weil sie von den Menschen in den Ländern aufgefangen werden, sie nicht als so nachteilig empfinden. In den ostdeutschen die an der deutsch-polnischen und an der deutsch- Ländern wird sich jede unnötige, aus der gesamtstaatli- tschechischen Grenze liegen. Das sind Mecklenburg-Vor- chen Sicht nicht unbedingt erforderliche Restriktion des pommern, Brandenburg, Sachsen und im unmittelbaren Bewegungsspielraums in Nachteilen im Hinblick auf die Einzugsfeld auch Berlin. Anpassungsfähigkeit und die Steigerung der Effizienz der Hier brauchen wir nicht Hilfe im finanziellen Sinne, Mittelverwendung niederschlagen. Das muss nach meiner sondern Hilfe im Sinne des Verständnisses für die beson- Auffassung berücksichtigt werden. dere Lage, in der wir uns befinden, und damit auch Rück- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) sichtnahme auf diese besondere Lage, wenn gesamtstaat- liche Entscheidungen getroffen werden. Wenn uns das Die Gestaltungsspielräume können sich auch nicht nur gelingt, wird die zukünftige Entwicklung nicht mehr so auf die Kommunalpolitik erstrecken. Der Zusammenhang sehr ein finanzpolitisches Problem sein, sondern ein Test zwischen dem, was ich eben gesagt habe, und der mit den für unsere gesamtstaatliche Gestaltungsfähigkeit, überall Ländern einvernehmlich vereinbarten Neuordnung der dort, wo Vielfalt besser ist als Einheitlichkeit. (B) Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern ist offen- (D) sichtlich. Wir brauchen mehr Bewegungsspielraum, ins- Vielen Dank. besondere für die ostdeutschen Länder, damit sie die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- schwierige Aufgabe, mit nicht real steigenden Haushalten neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE über eine längere Zeit ihre Aufgaben zu erfüllen, leisten GRÜNEN) können. Ich will das an zwei Beispielen deutlich machen. Das Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als nächs- eine Beispiel ist dieHochschulrahmengesetzgebung. tem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Carsten Wir aus Ostdeutschland haben seit Jahren – schon gegen- Schneider von der SPD-Fraktion. über der vorherigen Regierung wie auch gegenüber der jetzigen – immer wieder gesagt: Gebt uns mehr Spielraum Carsten Schneider (SPD): Herr Präsident! Liebe bei der Gestaltung der Hochschulen, als die westdeut- Kolleginnen und Kollegen! Das vergangene Wochenende schen Länder sie offenbar für sich in Anspruch nehmen. mit seinen Entscheidungen zum Finanzausgleich und zum Das ist nicht gelungen. Die Folge ist, dass wir eine ganze Solidarpakt war ein Erfolg des Föderalismus. Es war ein Reihe von Strukturen zunächst als eine Art Oktroi über- Erfolg für die neuen Länder und ihre Bürgerinnen und nehmen mussten, die sich als unbrauchbar oder wenig Bürger, für Investoren und für die junge Generation. Ich brauchbar erweisen und die wir jetzt mühsam wieder ab- möchte es mir daher nicht nehmen lassen, dem Bundes- bauen müssen. Wir wollen diese Art von Einengung bei kanzler für seine Bemühungen und sein Engagement zu der uns gestellten besonderen Aufgabe so weit wie mög- danken. lich zu vermeiden suchen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Das andere Beispiel ist die Modulation in der Agrar- DIE GRÜNEN) politik. Modulation in der Agrarpolitik heißt, dass sich bis zu einer bestimmten Betriebsgröße nichts ändern soll, Uns Menschen in den neuen Ländern wurde durch die dann aber mit steigender Betriebsgröße die Zahlungen gefundene Lösung gezeigt, dass ihr Vertrauen in die Bun- zurückgehen sollen, das heißt, eine Degression einsetzt. desregierung mehr als gerechtfertigt ist. Es kann sehr wohl sein, dass diese Degression genau die (Beifall bei der SPD) fortschrittlichen Strukturen in der Agrarwirtschaft be- Die Entscheidung für den Solidarpakt gibt Sicherheit, straft, einerseits den Ländern und andererseits den Investoren, (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Richtig!) und vermittelt, dass die neuen Länder eine gute Zukunft Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17737

Carsten Schneider (A) haben, dass es sich mehr denn je lohnt, in den neuen Län- Durch diese Lösung wird Verantwortung nachvollziehbar, (C) dern zu wohnen und zu arbeiten, Kinder zu zeugen und können Erfolge dargestellt und kann möglichen Fehlent- diese dort zu erziehen. Wenn es noch eines Beweises be- wicklungen rechtzeitig entgegengewirkt werden. durft hätte, hat die Bundesregierung mit dieser Entschei- Wir müssen nur aufpassen, dass dieses Geld in den dung gezeigt, wie wichtig ihr der Aufbau Ost ist und wie wichtig ihr die Menschen in den neuen Ländern sind. Länderhaushalten nicht verkonsumiert wird, es also nicht dazu führt, dass der Reformdruck von den Ländern (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten genommen wird. Jetzt sind die Länder selbst gefragt, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Konzepte zu erarbeiten und diese umzusetzen. Patent- An dieser Stelle möchte ich noch einmal betonen: Die rezepte gibt es weder in der Wissenschaft noch, glaube Menschen in den neuen Ländern trifft keine Schuld für die ich, in unseren Reihen. Eines aber muss meines Erachtens 40 Jahre dauernde Teilung unseres Vaterlandes. klar sein: Die Länder müssen diese Mittel zum größten Teil investiv einsetzen, obwohl es – wie gesagt – keine Bei allem Lob, das heute gerechtfertigt ist, dürfen wir explizite Zweckbindung mehr geben wird. jedoch nicht übersehen, dass erst ein Teil des Weges zurückgelegt wurde. Ein weitaus größerer Teil des Weges Die langfristige Planbarkeit der Mittel ermöglicht vo- liegt noch vor uns. 300 Milliarden DM sind eine Menge rausschauende Strategien. Entwicklungschancen sehe ich Geld. Es ist notwendig und richtig, dieses Geld im Osten in der EU-Osterweiterung und dem Ausbau der vorhan- zu investieren. Doch Geld allein reicht nicht aus. Es liegt denen Potenziale in den Regionen. Hierbei sind neben jetzt an den Ländern, die Mittel auch sinnvoll, effektiv dem Ausbau der Infrastruktur, den ich für absolut vorran- und mit dem größtmöglichen Nutzen für die Menschen gig halte, vor allem die Hochschullandschaft und der in- einzusetzen. Wir haben allen Grund zum Optimismus, dustrienahe Forschungsbereich zu stärken. Lassen Sie wenn wir diese Entscheidung als Chance begreifen. mich dabei ein aus meiner Sicht sehr großes Problem an- sprechen: Der gezielte Aufbau und der Erhalt der ostdeut- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer behauptet, die schen Forschungslandschaft werden nur gelingen, wenn neuen Bundesländer seien ein Fass ohne Boden, der spielt wir es schaffen, die besten Köpfe im Osten zu halten. verantwortungslos mit Ressentiments und dumpfen Vor- urteilen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Dies erfordert dann allerdings auch eine vergleichbare der CDU/CSU und der F.D.P.) Bezahlung. Die subjektive Wahrnehmung von vielen Ost- deutschen ist, dass die jungen Leute den Osten verlassen. Das kann jeder sehen, der mit offenen Augen Mecklen- Auch in meinem Bekanntenkreis gibt es einige, die vor burg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sach- der Entscheidung stehen, entweder in Erfurt für, wenn es (B) sen, Thüringen oder auch den Ostteil Berlins besucht. Mit (D) gut geht, 86 Prozent und vier, fünf Stunden mehr zu ar- dem Solidarpakt II hat der Bundeskanzler die Vorausset- zungen dafür geschaffen, dass der Aufbau weitergeht. Die beiten oder in Frankfurt eine Chance zu ergreifen, wo es Verantwortung für den sinnvollen Einsatz der Mittel liegt ein höheres Salär gibt und die Perspektiven besser sind. jetzt bei den Ländern. Deswegen glaube ich, dass wir in diesem Punkt – ich weiß, dass das besonders die Berufsschullehrer im Osten So richtig und wichtig ich die Stärkung des Föderalis- trifft – eine stärkere Differenzierung brauchen. mus auch finde, sei mir an diesem Tag doch auch eine kri- tische Anmerkung erlaubt: Es gab in den letzten Jahren Ich springe aber nicht auf den Zug auf, zu behaupten, auch Fehlentscheidungen. Es wurden Investitionen geför- es sei schlecht, dass junge Leute Ostdeutschland verlas- dert, die dem normalen Menschenverstand widersprechen. sen. Ich glaube, es ist wichtig, dass man seinen eigenen Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus meiner Heimat: Obwohl in Kirchturm verlässt und einen Teil der Welt sieht. Thüringen viele Schulgebäude eine dringende Moderni- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sierung nötig hätten, wurden riesige und unzählige Spaßbäder mit bis zu 80 Prozent subventioniert, wurden Unser Ziel muss es sein, junge Leute aus anderen Regio- Steuergelder in Unternehmen investiert, deren Niedergang nen – dabei denke ich gerade an die EU-Osterweiterung – abzusehen war. Diese Liste ließe sich leider verlängern. nach Ostdeutschland zu holen, In der Zukunft – das ist mein Rat an die Länder, die nun (Beifall bei der SPD) mehr Verantwortung tragen – sollten nicht mehr Unter- um sie bei uns auszubilden, auch an den Universitäten, da- nehmen gefördert werden, deren Sterben damit nur ver- mit sie dann vielleicht dableiben. Das wäre eine gesunde längert wird, sondern sollte gezielt in zukunftsträchtige Entwicklung. Ich hoffe, dass uns diese Internatio- Industrie- und Unternehmenszweige investiert werden, in nalisierung, die nicht einmal viel Geld kosten muss, die Unternehmen, die nachhaltig Arbeitsplätze schaffen und aber eine Offenheit in der Region gegenüber Fremden und den Aufschwung sichern. Ich halte daher die getroffene anderen Kulturen voraussetzt, gelingt. Regelung, dass die Länder jährlich über die Verwendung der Mittel und die erzielten Fortschritte Rechenschaft ab- (Beifall bei der SPD) legen müssen, für eine gute Lösung. Ich begrüße den Vor- Lassen Sie uns aber nicht vergessen, dass die deutsche schlag meiner Kollegin Sabine Kaspereit, diese Berichte Einheit Teil einer größeren, einer europäischen Einheit ist. auch im Bundestag zu debattieren. Mit der Osterweiterungrückt Deutschland ein Stück (Beifall bei der SPD) näher ins Zentrum der Europäischen Union. 17738 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001

Carsten Schneider (A) Mit dem Solidarpakt II stellt die Bundesregierung da- aus dem Fonds Deutsche Einheit langfristig weiter auf(C) her nicht nur die Zukunftsfähigkeit der neuen Bundeslän- kommende Generationen überwälzt werden. Negativ ist der sicher, sondern schafft gleichzeitig die Voraussetzung auch, dass wir befürchten müssen, dass der Soli-Zuschlag, für eine erfolgreiche EU-Osterweiterung. Dies kann eine der ja ein reines Refinanzierungsinstrument des Bundes Riesenchance sein: für die neuen Bundesländer, fürist, auf lange Zeit festgeschrieben und damit zu weiteren Deutschland und für Europa. Lassen Sie uns diese Chance Belastungen der Wirtschaft führen wird. gemeinsam nutzen! Gut ist sicherlich die stärkere Beachtung der kommu- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nalen Finanzkraft. An dieser Stelle darf ich daran erin- DIE GRÜNEN) nern, dass die Kommunen in den neuen Bundesländern derzeit ein Finanzaufkommen haben, das im Verhältnis zu dem der westdeutschen Kommunen unter 40 Prozent, bei Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort etwa 36 Prozent, liegt. Auch 2005, wenn der Solidar- hat jetzt der Kollege Dr. Paul Krüger von der CDU/CSU- pakt II zu wirken beginnt, wird die Steuerkraft dieser Fraktion. Kommunen weniger als 50 Prozent der der westdeutschen Kommunen betragen. Dr.-Ing. Paul Krüger (CDU/CSU): Herr Präsident! Gut ist auch, dass die Länder mehr Eigenständigkeit Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Mitbei der Verwendung der Gelder bekommen – eine echte dem Solidarpakt II beginnt quasi eine neue Entwick-Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips. Dieses Mehr an lungsphase in Deutschland. Aus meiner persönlichen,Freiheit für die Länder bedeutet aber auch mehr Verant- subjektiven Sicht ist das die zweite Phase der Wiederver- wortung, insbesondere für das Hauptproblem der gegen- einigung. Ich nehme mit meiner heutigen Rede Abschied wärtigen Entwicklung in den neuen Bundesländern, die aus dem Parlament und aus der Bundespolitik. Meine Zeit Abwanderung der Menschen. Diese Abwanderungvor in diesem Parlament entsprach gewissermaßen der ersten allem der jungen und leistungsfähigen Menschen ist we- Phase der Wiedervereinigung, vom Einigungsvertrag bis niger ein quantitatives Problem als ein qualitatives Pro- hin zum Solidarpakt I in seiner Ausführung. Rein ma- blem. Mit den jungen und den leistungsfähigen Menschen teriell gesehen war dieser Einigungsprozess die größte gehen auch die Investitionen, die wir in die Köpfe getätigt Solidarleistung der Weltgeschichte. Wir haben einenhaben, quasi die mobilen Investitionen in die neuen Län- Transfer von insgesamt weit über 1 Billion DM in dieser der, und damit die Zukunftschancen verloren. Dem entge- Zeit bewältigt. genzuwirken ist sicherlich auch ein Anliegen dieses Soli- darpakts II. Gleichwertige Lebensverhältnisse in Ost und Es gab während meiner parlamentarischen Arbeit viele West wären für diesen Prozess sicherlich sehr förderlich. Diskussionen, ob dieses Geld gut angelegt war oder nicht. (B) Ich darf an dieser Stelle sagen: 75 Prozent aller Gelder, die Letztlich aber, meine Damen und Herren, ist mit dem (D) in die neuen Bundesländer geflossen sind, waren für So- Solidarpakt II nur der Geldtransfer geregelt. Nicht gere- zialleistungen und Zuweisungen an Bund und Länder. gelt ist, wie dieses Geld angelegt wird. Es kommt jetzt da- 17 Prozent der Gelder gingen in den Infrastrukturausbau. rauf an, was wir mit diesem Geld machen. Ich glaube, das war gut angelegtes Geld. Nur 8 Prozent Gerade die letzten Jahre geben wenig Anlass zu Hoff- dieser Gelder waren reine Subventionen. Wenn man das nung: nicht nur, dass die Bundesregierung insgesamt wirt- hochrechnet, machen diese 8 Prozent etwa 11 Milliar- schaftpolitisch falsche Weichenstellungen vorgenommen den DM pro Jahr aus. Wenn man diese in Relationhat – wir stehen, das wurde heute zutreffend erwähnt, hin- zur Steinkohleförderung setzt, die noch bis Mitte dersichtlich der Dynamik der Wirtschaft auf dem letzten 90er-Jahre jährlich 10 Milliarden DM betrug, dann ist das Platz in Europa und haben zudem eine exorbitant hohe In- meiner Meinung nach ein guter Beleg dafür, dass diese flationsrate –, sondern auch die Belastungen für den Osten Gelder gut angelegt und nicht verschwendet waren. sind enorm gewachsen. Darüber haben wir hier vielfältig (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- diskutiert. Angela Merkel hat einige Beispiele dafür ge- neten der SPD, der F.D.P. und des Abg. Oswald nannt. Ich denke nur an die hohe Belastung desMittel- Metzger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) standes, und ich denke an die Belastung durch die Öko- steuer, die in den neuen Bundesländern besonders stark Nun stehen wir vor der zweiten Phase der Wiederver- wirkt. einigung. Der Solidarpakt II bedeutet vor allem eine An- erkennung weiterer Solidarleistungen für die neuen Bun- Besonders besorgt aber bin ich, weil unter Gerhard desländer auf lange Zeit. Er wurde – das ist hier gesagt Schröder, unter diesem Bundeskanzler, der Aufbau Ost worden – mit großer Einmütigkeit beschlossen. Wir ha- von der Herzenssache zu einer Nebensache geworden ist. ben, wenn wir hier diskutiert und gestritten haben und am (Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt Ende große Interessenkonflikte bewältigt wurden, oft ge- [Salzgitter] [SPD]: Blanker Unsinn!) sagt: Wenn alle gleich laut schreien, dann haben wir es Wir brauchen deshalb vor allem mehr Aufmerksamkeit richtig gemacht. für die neuen Bundesländer. Neben der finanziellen Aus- Diesmal haben offensichtlich alle gewonnen. Es muss stattung sind vor allem die richtigen Schwerpunktsetzun- also ein guter Kompromiss gefunden worden sein. Ich gen wichtig. Wir hatten in der letzten Woche eine An- glaube, dass Wichtigste an diesem Kompromiss ist, dass hörung zur wirtschaftlichen Entwicklung in den neuen wir langfristige Planungssicherheit haben. Negativ ist, Ländern. Dort haben uns die Experten noch einmal sehr dass die Hauptlast der Bund trägt und dass die Schulden deutlich gesagt, worauf es ankommt. Vor allem kommt es Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17739

Dr.-Ing. Paul Krüger (A) auf den Infrastrukturausbau an, insbesondere auf denrichtig umzusetzen. Dazu wünsche ich euch und Ihnen(C) Ausbau der Verkehrswege. weiterhin viel Glück und Erfolg. Aber neben diesen materiellen Investitionen geht es vor (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- allem auch um immaterielle Investitionen in den neuen neten der F.D.P.) Ländern. Wir brauchen effektivere Ausbildungsstrukturen. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Wir müssen das Defizit zwischen Angebot und Nachfrage größte innenpolitische Herausforderung unserer Nation, an Arbeitskräften beheben helfen. Derzeit besteht in den um die Gestaltung der deutschen Einheit. Ich bin dankbar, neuen Ländern folgender Widerspruch: Auf der einen Seite dass ich dabei sein durfte. suchen die Unternehmen Fachkräfte und finden keine und auf der anderen Seite suchen die jungen Leute Jobs und fin- Vielen Dank. den keine. Hier ist ein zentraler Ansatz zum Handeln gebo- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem ten. Ich meine, wir müssen uns sehr viel mehr Gedanken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. über die Effektivität der Ausbildung machen. sowie bei Abgeordneten der PDS) (Beifall bei der CDU/CSU) Darüber hinaus brauchen wir in den neuen Bundeslän- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kol- dern vor allem mehr Innovationen. Wer mich kennt, weiß, lege Paul Krüger, Sie haben Ihre letzte Rede vor dem dass mich das Feld der Innovationen in der gesamten Zeit Deutschen Bundestag gehalten. Sie sind zum Oberbür- meiner parlamentarischen Tätigkeit besonders bewegt hat germeister von Neubrandenburg gewählt worden und und dass ich mich da besonders engagiert habe. Dazuwerden deshalb in der Sommerpause aus diesem Hause gehören vielfältige Maßnahmen, von der Förderung von ausscheiden. Ich darf Ihnen im Namen des ganzen Hauses Forschung und Entwicklung über die Bildung regionaler für Ihre erfolgreiche Arbeit im Deutschen Bundestag, in Cluster bis hin zu neuen Finanzierungsspektren und Fi- der Bundesregierung und auch in der ersten frei gewähl- nanzierungsstrukturen. Ich habe mich in den zehn Jahren ten Volkskammer vielmals danken. Ich wünsche Ihnen für meiner Zugehörigkeit zum Bundestag nicht nur mit vielen Ihre wichtige Aufgabe im Sinne und im Interesse der Bür- Fragen der deutschen Einheit beschäftigt, sondern beson- ger von Neubrandenburg viel Erfolg und eine gute Hand. ders lagen mir die Innovationen am Herzen. Ich habe in (Beifall im ganzen Hause) den letzten sieben Jahren sehr nachhaltig für ein Instru- ment gekämpft, welches die Investitionen in die Köpfe Ich schließe die Aussprache. fördert, nämlich die Innovationszulage. Die derzeitigen Förderinstrumente richten sich fast ausschließlich auf ma- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: (B) terielle Investitionen, auf Investitionen in Beton und Eisen. – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- (D) Die interessanten Firmen, die wir brauchen – gerade auch desregierung eingebrachten Entwurfs eines in den neuen Bundesländern –, sind aber weniger auf ma- Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes terielle Investitionen angewiesen. Sie erfordern Investitio- (Art. 108) nen in Personal, in Forschung und Entwicklung, in die – Drucksache 14/6144 – Köpfe. Deshalb möchte ich Sie alle bitten, sich diesem In- (Erste Beratung 173. Sitzung) strument doch noch einmal zuzuwenden. DieInnovati- onszulage könnte uns in den nächsten Jahren wirklich er- – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- hebliche Fortschritte in der Entwicklung gestatten. Deshalb desregierung eingebrachten Entwurfs eines möchte ich, nachdem ich dafür sieben Jahre erfolglos Gesetzes zur Änderung des Finanzverwal- gekämpft habe und vor allen Dingen an den Voten der Län- tungsgesetzes und anderer Gesetze dern gescheitert bin, hier noch einmal dafür werben. – Drucksache 14/6140 – (Beifall bei der CDU/CSU) (Erste Beratung 173. Sitzung) Im Übrigen haben bei der bereits erwähnten Anhörung Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz- letzte Woche alle Experten dieses Instrument noch einmal ausschusses (7. Ausschuss) befürwortet. – Drucksache 14/6470 – Die Ergebnislosigkeit dieses Kampfes zeigt, wie Berichterstattung: schwer es manchmal ist, in diesem Parlament erfolgreich Abgeordnete Dr. Frank Schmidt (Weilburg) zu sein. Glücklicherweise konnte ich in den zehn Jahren Jochen-Konrad Fromme meiner Arbeit hier an vielen bedeutenden Entscheidungen Carl-Ludwig Thiele teilhaben. Ich gehe deshalb insgesamt mit sehr guten Ge- fühlen aus diesem Parlament und schaue mit guten Ge- Ich weise darauf hin, dass wir über den Gesetzentwurf fühlen auf meine Arbeit zurück. Ich habe viele interes- zur Änderung des Grundgesetzes gleich namentlich ab- sante Menschen kennen gelernt. Ich habe viele Freunde stimmen werden. gefunden. Wir haben gemeinsam um und für die deutsche Interfraktionell ist vereinbart worden, dass eine Einheit gerungen. Aussprache nicht erfolgen soll. – Ich sehe, dass Sie damit einverstanden sind. Der Soli II bietet Voraussetzungen für eine gute Ent- wicklung in den neuen Ländern. Es kommt nun darauf an, Das Wort zur Berichterstattung hat der Kollege dies in den vielen weiteren politischen Entscheidungen Dr. Frank Schmidt. 17740 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001

(A) Dr. Frank Schmidt (Weilburg) (SPD): Herr Präsident! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C) Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Änderung des der PDS) Art. 108 des Grundgesetzes sowie dem Gesetz zur Ände- rung des Finanzverwaltungsgesetzes wird das Ziel ver- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wir kom- folgt, die bestehende Finanzverwaltung aufgabenbezogen men zu den Abstimmungen, und zwar zunächst über den und vor allem flexibel zu organisieren. Es sollen – davon von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf können alle ausgehen und davon sind wohl auch alle über- zur Änderung des Art. 108 Grundgesetz, Drucksa- zeugt – effiziente und kostengünstige Verwaltungsstruk- chen 14/6144, 14/6470. turen geschaffen werden. Dies ist ein Beitrag zur Moder- nisierung der Finanzverwaltung und damit auch ein Der Finanzausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be- Beitrag auf dem Weg zum oftmals geforderten schlanken schlussempfehlung, den Gesetzentwurf in der Ausschuss- Staat. fassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) setzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Stimmenthal- Bund und Länder gehen in diesem Anliegen Hand in tungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung ein- Hand; denn auch von den Ländern wurden viele Initiati- stimmig angenommen. ven an uns herangetragen, diese Grundgesetzänderung, die wohl notwendig ist, durchzuführen. Sie sind einmütig Wir kommen zur für den Ihnen vorliegenden, leicht geänderten Gesetzent- dritten Beratung wurf. und Schlussabstimmung. Ich weise darauf hin, dass nach Liebe Kolleginnen und Kollegen, worum geht es? Es Art. 79 Grundgesetz ein Gesetz zur Änderung des Grund- geht vor allen Dingen darum, den Ländern anzudienen, gesetzes die Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglie- die Dreigliedrigkeit der Finanzverwaltung – Finanzämter, der des Bundestags, das heißt mindestens 445 Stimmen, Oberfinanzdirektionen und Finanzministerium – ändern erfordert. zu können. Das wollen einige Bundesländer auch ma- chen. Die Länder sollen also die Möglichkeit erhalten, die Wir kommen zur namentlichen Abstimmung. Ich bitte Struktur ihrer Finanzverwaltung, insbesondere die Mittel- die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehe- behörden betreffend, zu ändern und gegebenenfalls die nen Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen besetzt? – Das Oberfinanzdirektionen wegfallen zu lassen. ist der Fall. Mit der Verfassungsänderung wird die rechtliche Vo- Ich eröffne die Abstimmung. (B) raussetzung für die Flexibilisierung des Behördenaufbaus (D) geschaffen. Mit dem Gesetzentwurf zur Änderung des Fi- Sind alle Stimmen abgegeben? – Ich schließe die Ab- nanzverwaltungsgesetzes wird diese rechtliche Möglich- stimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schrift- keit gesetzlich festgeschrieben. Bund und Länder erhalten führer, mit der Auszählung zu beginnen. nunmehr die Möglichkeit – wie ich eben schon erwähnt Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen habe –, statt einer dreistufigen eine zweistufige Finanz- Abstimmung unterbreche ich die Sitzung. verwaltung zu gestalten und die Aufgabengebiete neu zu gliedern. Die Sitzung ist unterbrochen. Dieses Anliegen wurde von allen Fraktionen im zu- (Unterbrechung von 11.01 bis 11.08 Uhr) ständigen Finanzausschuss mitgetragen. Die Regelung wurde um eine vonseiten der F.D.P. – insbesondere durch Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Liebe Kol- Herrn Kollegen Thiele; deswegen noch ein herzlichesleginnen und Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist Dankeschön an Sie – angeregte Formulierung ergänzt, wieder eröffnet. sodass nun ein einmütiger Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes vorliegt. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift- führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim- Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesen Gesetz- mung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur entwürfen wird der Grundstein zu einer zukunftsorientier- Änderung des Art. 108 des Grundgesetzes auf den Druck- ten und modernen Finanzverwaltung gelegt. Ich darf Sie sachen 14/6144 und 14/6470 in der Ausschussfassung be- daher um Zustimmung zu diesen Gesetzentwürfen bitten. kannt: Abgegebene Stimmen 574. Mit Ja haben gestimmt Danke. 572, mit Nein haben gestimmt 1, Enthaltungen 1.

Endgültiges Ergebnis Ja Hermann Bachmaier Dr. Axel Berg Abgegebene Stimmen: 574; Ernst Bahr Hans-Werner Bertl Doris Barnett Friedhelm Julius Beucher davon SPD Dr. Hans-Peter Bartels Petra Bierwirth ja: 572 Gerd Andres Eckhardt Barthel (Berlin) Lothar Binding (Heidelberg) nein: 1 Ingrid Arndt-Brauer Klaus Barthel (Starnberg) Klaus Brandner enthalten: 1 Rainer Arnold Ingrid Becker-Inglau Anni Brandt-Elsweier Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17741

Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters (A) Willi Brase Christel Humme Manfred Opel Dr. Ditmar Staffelt (C) Dr. Eberhard Brecht Lothar Ibrügger Holger Ortel Ludwig Stiegler Rainer Brinkmann (Detmold) Barbara Imhof Adolf Ostertag Rolf Stöckel Bernhard Brinkmann Brunhilde Irber Kurt Palis Rita Streb-Hesse (Hildesheim) Gabriele Iwersen Albrecht Papenroth Reinhold Strobl (Amberg) Hans-Günter Bruckmann Ilse Janz Dr. Martin Pfaff Dr. Peter Struck Dr. Michael Bürsch Dr. Uwe Jens Georg Pfannenstein Joachim Stünker Hans Martin Bury Volker Jung (Düsseldorf) Johannes Pflug Joachim Tappe Hans Büttner (Ingolstadt) Johannes Kahrs Dr. Eckhart Pick Jörg Tauss Marion Caspers-Merk Sabine Kaspereit Joachim Poß Jella Teuchner Dr. Peter Danckert Susanne Kastner Karin Rehbock-Zureich Dr. Gerald Thalheim Dr. Herta Däubler-Gmelin Ulrich Kelber Dr. Carola Reimann Franz Thönnes Christel Deichmann Hans-Peter Kemper Margot von Renesse Uta Titze-Stecher Karl Diller Klaus Kirschner Renate Rennebach Adelheid Tröscher Peter Dreßen Siegrun Klemmer Bernd Reuter Hans-Eberhard Urbaniak Detlef Dzembritzki Hans-Ulrich Klose Christel Riemann- Rüdiger Veit Dieter Dzewas Fritz Rudolf Körper Hanewinckel Simone Violka Dr. Peter Eckardt Karin Kortmann Reinhold Robbe Ute Vogt (Pforzheim) Sebastian Edathy Anette Kramme Gudrun Roos Hans Georg Wagner Ludwig Eich Nicolette Kressl René Röspel Hedi Wegener Marga Elser Volker Kröning Dr. Ernst Dieter Rossmann Dr. Konstanze Wegner Peter Enders Angelika Krüger-Leißner Michael Roth (Heringen) Wolfgang Weiermann Petra Ernstberger Horst Kubatschka Birgit Roth (Speyer) Reinhard Weis (Stendal) Annette Faße Ernst Küchler Gerhard Rübenkönig Matthias Weisheit Lothar Fischer (Homburg) Helga Kühn-Mengel Marlene Rupprecht Gunter Weißgerber Gabriele Fograscher Ute Kumpf Thomas Sauer Gert Weisskirchen Iris Follak Konrad Kunick Dr. Hansjörg Schäfer (Wiesloch) Norbert Formanski Dr. Uwe Küster Bernd Scheelen Dr. Ernst Ulrich von Rainer Fornahl Werner Labsch Dr. Hermann Scheer Weizsäcker Hans Forster Christine Lambrecht Siegfried Scheffler Jochen Welt Lilo Friedrich (Mettmann) Brigitte Lange Horst Schild Dr. Rainer Wend Harald Friese Christian Lange (Backnang) Hildegard Wester Anke Fuchs (Köln) Detlev von Larcher Dieter Schloten Lydia Westrich Arne Fuhrmann Christine Lehder Horst Schmidbauer Inge Wettig-Danielmeier Monika Ganseforth Waltraud Lehn (Nürnberg) Dr. Margrit Wetzel (B) Konrad Gilges Robert Leidinger (Aachen) Dr. Norbert Wieczorek (D) Iris Gleicke Klaus Lennartz Silvia Schmidt (Eisleben) Jürgen Wieczorek (Böhlen) Günter Gloser Dr. Elke Leonhard Dagmar Schmidt (Meschede) Helmut Wieczorek Uwe Göllner Eckhart Lewering Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (Duisburg) Renate Gradistanac Götz-Peter Lohmann Dr. Frank Schmidt Heidemarie Wieczorek-Zeul Günter Graf (Friesoythe) (Neubrandenburg) (Weilburg) Dieter Wiefelspütz Angelika Graf (Rosenheim) Erika Lotz Heinz Schmitt (Berg) Heino Wiese (Hannover) Dieter Grasedieck Dr. Christine Lucyga Carsten Schneider Klaus Wiesehügel Kerstin Griese Dieter Maaß (Herne) Dr. Emil Schnell Brigitte Wimmer (Karlsruhe) Achim Großmann Winfried Mante Walter Schöler Engelbert Wistuba Wolfgang Grotthaus Dirk Manzewski Karsten Schönfeld Barbara Wittig Hans-Joachim Hacker Tobias Marhold Fritz Schösser Dr. Wolfgang Wodarg Klaus Hagemann Lothar Mark Ottmar Schreiner Verena Wohlleben Manfred Hampel Ulrike Mascher Gerhard Schröder Hanna Wolf (München) Alfred Hartenbach Christoph Matschie Gisela Schröter Waltraud Wolff Anke Hartnagel Heide Mattischeck Dr. Mathias Schubert (Wolmirstedt) Klaus Hasenfratz Markus Meckel Richard Schuhmann Heidemarie Wright Nina Hauer Ulrike Mehl (Delitzsch) Uta Zapf Hubertus Heil Ulrike Merten Reinhard Schultz Peter Zumkley Reinhold Hemker Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (Everswinkel) Frank Hempel Ursula Mogg Volkmar Schultz (Köln) CDU/CSU Rolf Hempelmann Christoph Moosbauer Ewald Schurer Dr. Barbara Hendricks Siegmar Mosdorf Dietmar Schütz (Oldenburg) Ulrich Adam Gustav Herzog Michael Müller (Düsseldorf) Dr. Angelica Schwall-Düren Ilse Aigner Monika Heubaum Jutta Müller (Völklingen) Rolf Schwanitz Peter Altmaier Reinhold Hiller (Lübeck) Christian Müller (Zittau) Bodo Seidenthal Dietrich Austermann Stephan Hilsberg Andrea Nahles Erika Simm Norbert Barthle Gerd Höfer Volker Neumann (Bramsche) Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Wolf Bauer Walter Hoffmann Dr. Edith Niehuis Dr. Cornelie Sonntag- Günter Baumann (Darmstadt) Dr. Rolf Niese Wolgast Brigitte Baumeister Iris Hoffmann (Wismar) Dietmar Nietan Wieland Sorge Meinrad Belle Frank Hofmann (Volkach) Günter Oesinghaus Wolfgang Spanier Dr. Sabine Bergmann-Pohl Ingrid Holzhüter Eckhard Ohl Dr. Margrit Spielmann Otto Bernhardt Eike Hovermann Leyla Onur Jörg-Otto Spiller Renate Blank 17742 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001

Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters (A) Dr. Heribert Blens Klaus Hofbauer Klaus Riegert BÜNDNIS 90/DIE (C) Peter Bleser Martin Hohmann Dr. Heinz Riesenhuber GRÜNEN Klaus Holetschek Franz Romer Sylvia Bonitz Gila Altmann (Aurich) Josef Hollerith Hannelore Rönsch Jochen Borchert Marieluise Beck (Bremen) Siegfried Hornung Wolfgang Börnsen (Wiesbaden) Volker Beck (Köln) Joachim Hörster (Bönstrup) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Angelika Beer Hubert Hüppe Wolfgang Bosbach Dr. Klaus Rose Matthias Berninger Susanne Jaffke Dr. Wolfgang Bötsch Kurt J. Rossmanith Grietje Bettin Georg Janovsky Klaus Brähmig Dr. Norbert Röttgen Annelie Buntenbach Dr.-Ing. Rainer Jork Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Christian Ruck Ekin Deligöz Dr. Harald Kahl Paul Breuer Volker Rühe Dr. Thea Dückert Bartholomäus Kalb Georg Brunnhuber Anita Schäfer Franziska Eichstädt-Bohlig Steffen Kampeter Hartmut Büttner Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Uschi Eid Dr.-Ing. Dietmar Kansy (Schönebeck) Hartmut Schauerte Hans-Josef Fell Manfred Carstens (Emstek) Irmgard Karwatzki Heinz Schemken Andrea Fischer (Berlin) Peter H. Carstensen Volker Kauder Dr. Gerhard Scheu Joseph Fischer (Frankfurt) (Nordstrand) Eckart von Klaeden Norbert Schindler Katrin Göring-Eckardt Leo Dautzenberg Dr. Helmut Kohl Bernd Schmidbauer Rita Grießhaber Wolfgang Dehnel Norbert Königshofen Christian Schmidt (Fürth) Gerald Häfner Hubert Deittert Hartmut Koschyk Dr.-Ing. Joachim Schmidt Winfried Hermann Albert Deß Thomas Kossendey (Halsbrücke) Antje Hermenau Renate Diemers Rudolf Kraus Andreas Schmidt (Mülheim) Ulrike Höfken Hansjürgen Doss Dr. Martina Krogmann Birgit Schnieber-Jastram Michaele Hustedt Marie-Luise Dött Dr. Paul Krüger Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Angelika Köster-Loßack Maria Eichhorn Dr. Hermann Kues Dr. Rupert Scholz Steffi Lemke Rainer Eppelmann Karl Lamers Reinhard Freiherr von Dr. Helmut Lippelt Anke Eymer (Lübeck) Dr. Karl A. Lamers Schorlemer Dr. Reinhard Loske Ilse Falk (Heidelberg) Wolfgang Schulhoff Oswald Metzger Albrecht Feibel Dr. Norbert Lammert Gerhard Schulz Kerstin Müller (Köln) Ulf Fink Helmut Lamp Diethard Schütze (Berlin) Winfried Nachtwei Ingrid Fischbach Dr. Paul Laufs Clemens Schwalbe Christa Nickels Dirk Fischer (Hamburg) Karl-Josef Laumann Dr. Christian Schwarz- Cem Özdemir Axel E. Fischer (Karlsruhe- Vera Lengsfeld Schilling Simone Probst Land) Werner Lensing Wilhelm Josef Sebastian Christine Scheel Herbert Frankenhauser Peter Letzgus Horst Seehofer Irmingard Schewe-Gerigk (B) Dr. Gerhard Friedrich Ursula Lietz (D) Heinz Seiffert Rezzo Schlauch (Erlangen) Walter Link (Diepholz) Dr. h. c. Rudolf Seiters Albert Schmidt (Hitzhofen) Dr. Hans-Peter Friedrich Dr. Manfred Lischewski Werner Siemann Werner Schulz (Leipzig) (Hof) Julius Louven Johannes Singhammer Christian Simmert Erich G. Fritz Dr. Michael Luther Bärbel Sothmann Christian Sterzing Jochen-Konrad Fromme Erwin Marschewski Hans-Christian Ströbele Hans-Joachim Fuchtel (Recklinghausen) Wolfgang Steiger Jürgen Trittin Dr. Jürgen Gehb Wolfgang Meckelburg Erika Steinbach Dr. Antje Vollmer Norbert Geis Dr. Angela Merkel Dr. Wolfgang Freiherr von Dr. Ludger Volmer Dr. Heiner Geißler Friedrich Merz Stetten Sylvia Voß Georg Girisch Hans Michelbach Andreas Storm Helmut Wilhelm (Amberg) Dr. Reinhard Göhner Dr. Gerd Müller Dorothea Störr-Ritter Peter Götz Bernward Müller (Jena) Max Straubinger F.D.P. Dr. Wolfgang Götzer Elmar Müller (Kirchheim) Matthäus Strebl Kurt-Dieter Grill Claudia Nolte Thomas Strobl (Heilbronn) Ina Albowitz Hermann Gröhe Günter Nooke Dr. Rita Süssmuth Rainer Brüderle Manfred Grund Franz Obermeier Dr. Susanne Tiemann Ernst Burgbacher Horst Günther (Duisburg) Friedhelm Ost Edeltraut Töpfer Jörg van Essen Carl-Detlev Freiherr von Dr. Hans-Peter Uhl Gisela Frick Hammerstein Norbert Otto (Erfurt) Gunnar Uldall Paul K. Friedhoff Gottfried Haschke Dr. Peter Paziorek Arnold Vaatz Rainer Funke (Großhennersdorf ) Anton Pfeifer Angelika Volquartz Hans-Michael Goldmann Gerda Hasselfeldt Dr. Friedbert Pflüger Andrea Voßhoff Joachim Günther (Plauen) Norbert Hauser (Bonn) Beatrix Philipp Peter Weiß (Emmendingen) Dr. Karlheinz Guttmacher Hansgeorg Hauser Ronald Pofalla Gerald Weiß (Groß-Gerau) Klaus Haupt (Rednitzhembach) Ruprecht Polenz Annette Widmann-Mauz Ulrich Heinrich Klaus-Jürgen Hedrich Marlies Pretzlaff Heinz Wiese (Ehingen) Birgit Homburger Helmut Heiderich Hans Raidel Bernd Wilz Dr. Werner Hoyer Ursula Heinen Dr. Ulrich Irmer Manfred Heise Peter Rauen Werner Wittlich Dr. Klaus Kinkel Siegfried Helias Christa Reichard (Dresden) Dagmar Wöhrl Dr. Heinrich L. Kolb Hans Jochen Henke Katherina Reiche Elke Wülfing Gudrun Kopp Ernst Hinsken Erika Reinhardt Wolfgang Zeitlmann Jürgen Koppelin Peter Hintze Hans-Peter Repnik Wolfgang Zöller Ina Lenke Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17743

Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters (A) Sabine Leutheusser- PDS Ulla Jelpke Christina Schenk (C) Sabine Jünger Schnarrenberger Monika Balt Gustav-Adolf Schur Dirk Niebel Dr. Dietmar Bartsch Gerhard Jüttemann Dr. Evelyn Kenzler Günther Friedrich Nolting Petra Bläss Nein Detlef Parr Maritta Böttcher Dr. Heidi Knake-Werner Heidi Lippmann Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Eva Bulling-Schröter PDS Ursula Lötzer Gerhard Schüßler Roland Claus Dr. Christa Luft Heidemarie Ehlert Marita Sehn Dr. Heinrich Fink Dr. Ruth Fuchs Pia Maier Dr. Hermann Otto Solms Angela Marquardt Wolfgang Gehrcke Enthalten Dr. Max Stadler Dr. Klaus Grehn Manfred Müller (Berlin) Carl-Ludwig Thiele Dr. Gregor Gysi Rosel Neuhäuser PDS Jürgen Türk Uwe Hiksch Petra Pau Dr. Guido Westerwelle Dr. Barbara Höll Dr. Uwe-Jens Rössel Kersten Naumann

Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Ver- sammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU

Abgeordnete(r)

Behrendt, Wolfgang Bierling, Hans-Dirk Bindig, Rudolf SPD CDU/CSU SPD

Dr. Blank, Joseph-Theodor Bühler (Bruchsal), Klaus Dr. Hornhues, Karl-Heinz CDU/CSU CDU/CSU CDU/CSU

Jäger, Renate Lintner, Eduard Lörcher, Christa SPD CDU/CSU SPD

Maaß (Wilhelmshaven), Erich Michels, Meinolf Neumann (Gotha), Gerhard (B) CDU/CSU CDU/CSU SPD (D)

Schmitz (Baesweiler), Hans Peter von Schmude, Michael Zierer, Benno CDU/CSU CDU/CSU CDU/CSU

Nach Art. 79 des Grundgesetzes bedarf ein Gesetz zur Ich darf fragen, wie die PDS-Fraktion abzustimmen ge- Änderung des Grundgesetzes der Zustimmung von zwei denkt. Dritteln der Mitglieder des Bundestages, das heißt min- destens 445 Ja-Stimmen. Gemäß § 48 Abs. 3 unserer Ge- (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Die war schäftsordnung stelle ich fest, dass die erforderliche auch im Ausschuss abwesend! – Dr. Barbara Zweidrittelmehrheit erreicht ist. Der Gesetzentwurf ist Höll [PDS]: Zustimmung!) angenommen. – Zustimmung. – Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Es liegt eine persönliche Erklärung zum Abstim-Beratung einstimmig angenommen. mungsverhalten bezüglich der Änderung des Art. 108 des Wir kommen zur Grundgesetzes von der Kollegin Heidemarie Ehlert vor. Diese Erklärung wird zu Protokoll genommen.1) dritten Beratung Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Än- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge- derung des Finanzverwaltungsgesetzes und anderer Ge- genstimmen? – Enthaltungen? – Keine. Der Gesetzent- setze auf den Drucksachen 14/6140 und 14/6470. Der wurf ist angenommen. Finanzausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschluss- empfehlung, den Gesetzentwurf in der Ausschussfas- Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 e so- sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz- wie Zusatzpunkt 10 auf: entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – 20 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter Rauen, Dr. Angela Merkel, Friedrich Merz, weite- 1) Anlage 2 rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU 17744 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001

Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters (A) Zehn-Punkte-Programm zur Wiederbelebung ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer(C) der deutschen Wirtschaft und des Arbeits- Brüderle, Dr. Irmgard Schwaetzer, Dr. Hermann marktes Otto Solms, weiterer Abgeordneter und der Frak- – Drucksache 14/6436 – tion der F.D.P. Neue Wachstumschancen mit durchgreifenden Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) wirtschaftspolitischen Reformen schaffen – Blitz- Finanzausschuss programm für die deutsche Wirtschaft – Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung – Drucksache 14/6446 – Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Tourismus Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hansjürgen Haushaltsausschuss Doss, Friedhelm Ost, Peter Rauen, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der CDU/CSU Die Fraktionen haben sich auf eine Aussprachedauer von anderthalb Stunden verständigt. – Es gibt keinen Wi- Offensive für die Bauwirtschaft derspruch. Dann ist so beschlossen. – Drucksache 14/6315 – Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst dem Überweisungsvorschlag: Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion, Friedrich Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Merz, das Wort. Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Friedrich Merz (CDU/CSU) (von der CDU/CSU mit Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Da- Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union men und Herren! Es war gut, dass der Herr Bundeskanz- Haushaltsausschuss ler heute Morgen eine Regierungserklärung zum Solidar- pakt II und zum weiteren Aufbau der neuen Bundesländer c) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten abgegeben hat. Peter Rauen, Hansjürgen Doss, Andrea Voßhoff, (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Wo ist weiterer Abgeordneter und der Fraktion der er denn?) CDU/CSU Es wäre besser gewesen, wenn er unserer Aufforderung (B) Forderung nach Schaffung eines Bauvertragsge- gefolgt wäre, auch eine Regierungserklärung zur Lage der (D) setzes zur Bekämpfung mangelnder Zahlungs- Wirtschaft in Deutschland abzugeben. willigkeit (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- – Drucksachen 14/4182, 14/5070 – neten der F.D.P.) d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Es wäre noch besser, wenn er bei dieser Debatte im Plenum richts des Ausschusses für Arbeit und Sozialord- des Deutschen Bundestages wenigstens anwesend wäre. nung (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten Hans-Joachim Fuchtel, Gunnar Uldall, neten der F.D.P.) Karl-Josef Laumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Wenn ich auf die Regierungsbank blicke, muss ich Ih- nen sagen: In der Besetzung der Regierungsbank kommt Arbeitslosenversicherungsbeitrag senken zum Ausdruck, welchen Stellenwert die Regierung unse- – Drucksachen 14/4377, 14/6199 – res Landes gegenwärtig der wirtschaftspolitischen Lage in Deutschland wirklich beimisst. Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Heinrich L. Kolb (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich will Ihnen sagen, meine Damen und Herren von e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- den Sozialdemokraten, man kann sich ja damit schmü- richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno- cken, dass man einer bestimmten Partei nicht angehört logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-und trotzdem in der Regierung sitzt. Dies kann man auch ordneten Rolf Kutzmutz, Dr. Christa Luft,als Instrument der politischen Auseinandersetzung nut- Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und zen. Aber wenn man das ständig tut, wäre es gut, wenn der Fraktion der PDS man als Bundeswirtschaftsminister im Laufe eines Tages Kleinunternehmer-Hilfefonds effektiv organi- irgendwann einmal im Plenum des Deutschen Bundes- sieren und gesetzliche Voraussetzungen für eine tages erscheint. Nachfolgeregelung schaffen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) – Drucksachen 14/5559, 14/6198 – Herr Eichel, in der Bundesregierung gibt es einen er- Berichterstattung: kennbaren Kompetenzstreit um die Wirtschaftspolitik: Abgeordnete Gudrun Kopp Der eine gibt die Prognose ab, der andere gibt jene Pro- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17745

Friedrich Merz (A) gnose ab, der Nächste widerspricht dem anderen. Es wäre wenn so viele Unternehmen zusammenbrechen: Es waren (C) gut, wenn irgendwann einmal die Kompetenzen zwischen allein im ersten Halbjahr 2001 22 300 Unternehmen. Die- dem Bundesfinanzminister und dem Bundeswirtschafts- ser Umstand fügt unserem Land einen volkswirtschaftli- minister geklärt würden, damit man weiß, wer eigentlich chen Schaden von 30 bis 35 Milliarden DM zu. Es sind von den Bundesministern für die Wirtschaftspolitik in rund eine viertel Million Arbeitsplätze in Deutschland al- diesem Lande verbindlich spricht. lein durch den Zusammenbruch von Unternehmen verlo- ren gegangen. Es handelt sich dabei um einen neuen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Höchststand. Das ist der Beweis dafür, dass die Wirt- Der Bundeskanzler hat heute Morgen erklärt, die Bun- schaftspolitik dieser Bundesregierung nach zweieinhalb desregierung habe für die wirtschaftliche Entwicklung Jahren Rot-Grün gescheitert ist. dieses Landes in den letzten zweieinhalb Jahren genug ge- tan. Jetzt seien die Tarifvertragsparteien und im Übrigen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) die Zentralbank mit ihrer Geldpolitik zuständig. Ich sage Sie haben uns, als wir zu Beginn dieser Woche ein Ihnen: Wir werden Sie, die Sozialdemokraten und Ihre Zehn-Punkte-Programm für Wirtschaftswachstum und Regierung, aus der Verantwortung für die wirtschaft- Beschäftigung vorgelegt haben, entgegengehalten – mit liche Lage in Deutschland und für die Lage auf dem Ar- Kommentaren sind Sie immer sehr schnell zur Hand –, beitsmarkt in Deutschland in den nächsten 15 Monaten dieses Programm sei nicht finanzierbar, es wären sozusa- bis zur Bundestagswahl nicht entlassen. gen wohlfeile Angebote, die man nur aus der Opposition (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) heraus machen könne. Wenn Sie sich wenigstens einmal die Mühe gemacht hätten, zu lesen, was wir Ihnen auf we- Sie sind dafür verantwortlich, dass die Bundesrepublik nigen Seiten vorgelegt haben, hätten Sie feststellen kön- Deutschland nach zweieinhalb Jahren rot-grüner Wirt- nen, dass acht von zehn Maßnahmen, die wir in diesem schaftspolitik Schlusslicht in Europa ist. Die Ursachen Programm vorschlagen, mit den Steuerhaushalten von dafür und die Symptome können Sie deutlich erkennen: Bund, Ländern und Gemeinden überhaupt nichts zu tun Die Inflationsrate in Deutschland ist höher als in der Eu- haben, sondern nur mit Wirtschaftspolitik und Arbeits- ropäischen Union. Die Wachstumsraten sind niedriger als marktpolitik für mehr Wachstum und Beschäftigung. in der Europäischen Union und die Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland geht langsamer zurück als (Beifall bei der CDU/CSU) in den meisten anderen Ländern Europas. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf drei The- (Jörg Tauss [SPD]: So eine schlechte Erblast ha- menkomplexe eingehen. Sie befinden sich in einer Phase ben wir übernommen! – Hubertus Heil [SPD]: einer massiven Reregulierung der Arbeitsmärkte in (B) Bei Ihnen ging die nach oben!) Deutschland. Wir fordern Sie noch einmal auf: Schaffen (D) Sie das Gesetz zur Neuregelung der geringfügigen Be- Dieses Problem hat einen Namen: Gerhard Schröder. schäftigung ab, schaffen Sie das Gesetz gegen die so ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nannte Scheinselbstständigkeit ab, beseitigen Sie das Ge- setz, das befristete Arbeitsverhältnisse einschränkt, und Diese Politik hat unmittelbare Konsequenzen für die beseitigen Sie vor allen Dingen das Gesetz, das einen un- beschäftigungspolitische und die wirtschaftliche Lage in begründeten und unbefristeten Rechtsanspruch auf Teil- Deutschland: zeit gibt. Dann hätten Sie Wachstum und Beschäftigung in (Jörg Tauss [SPD]: Und die Opposition!) Deutschland. Der Verband der Vereine Creditreform hat in diesen Tagen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) eine Statistik über Unternehmensinsolvenzen im ersten Damit Sie sehen, dass wir nicht nur etwas gegen Ihre Halbjahr 2001 vorgelegt. Die Zahl der Unternehmens- Politik formulieren, sondern auch konkrete Vorschläge insolvenzen in Deutschland wird zum Abschluss des ers- unterbreiten, wie man es besser machen könnte, sagen wir ten Halbjahres vermutlich einen neuen Höchststand errei- Ihnen noch einmal: Sorgen Sie dafür, dass durch das Kün- chen. Besonders bedrohlich ist die Lage in den neuendigungsschutzgesetz ein neues Instrument geschaffen Ländern. Dort ist die Zahl der Unternehmenszusammen- wird, damit in der so genannten Problemgruppe der älte- brüche im ersten Halbjahr 2001 gegenüber dem ersten ren Arbeitslosen neue Beschäftigungsmöglichkeiten ent- Halbjahr 2000 um 26 Prozent gestiegen. stehen können! Wir machen Ihnen den Vorschlag, dass ge- Wer nur über den Solidarpakt II und die Frage der in- gen den Verzicht auf eine Kündigungsschutzklage in nerstaatlichen Finanzaufteilung – mit allem was in Bezug Arbeitsverträgen von Anfang an Abfindungsregelungen auf die Finanzaufteilung zwischen Bund und Länderngetroffen werden dürfen. Um das – wenigstens für ältere wichtig ist, was auch daran zu kritisieren ist und heute aus Arbeitnehmer – zu ermöglichen, müsste ein Gesetz geän- guten Gründen keine Erwähnung gefunden hat – unddert werden. Dazu bräuchte man Mut und müsste dann be- nicht über die tatsächlichen Probleme der Wirtschaft und reit sein, flexible Antworten auf komplexe Sachverhalte zu die Lage auf dem Arbeitsmarkt redet, geht an den Proble- geben. Sie sind dazu aber offenkundig nicht in der Lage. men dieses Landes vorbei. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) In diesem Zusammenhang komme ich auf einen zwei- Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch eine ten Sachverhalt, über den wir an dieser Stelle schon mehr- Zahl nennen, um deutlich zu machen, was es bedeutet, fach miteinander diskutiert und gestritten haben: Warum 17746 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001

Friedrich Merz (A) kommen Sie nicht endlich mit Vorschlägen ins Parlament, dert es mich überhaupt nicht mehr, dass Sie nicht den Mut (C) wie man die Systeme von Arbeitslosenhilfe und Sozial- haben, eine moderne Betriebsverfassung einzuführen, die hilfe zusammenlegen kann? Warum machen Sie keine die Betriebe und nicht die Funktionäre stärkt. entsprechenden Vorschläge? (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall des Abg. Dirk Niebel [F.D.P.]) Zum Schluss möchte ich feststellen: Wir haben hier Sie sind seit zweieinhalb Jahren an der Regierung und re- gestern eine ausführliche Debatte über die Gesundheitspo- den und reden, aber in diesem Bereich passiert nichtslitik geführt. Das ist eine Debatte, die nicht nur etwas mit außer einer ständigen weiteren Regulierung. Gesundheitspolitik und Krankenkassen zu tun hat, sondern die Teil einer Diskussion über die langfristige Ausrichtung (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- der sozialen Sicherungssysteme und der Zukunftsfähigkeit neten der F.D.P.) unseres Landes ist. Horst Seehofer hat gestern von dieser Ich sage Ihnen ganz klar: Wenn Sie entsprechende Vor- Stelle aus sehr ausführlich darauf hingewiesen. schläge machen, sind wir bereit, den Weg mit Ihnen zu ge- Dies alles hat aber auch mit der Fähigkeit zu tun, ob in hen. Die Umsetzung würde erhebliche Anpassungen, ge- der Bundesrepublik Deutschland oder ob im Ausland rade in der Kommunalpolitik, erfordern. Wenn Sie diese neue Arbeitsplätze entstehen. Wenn wir in Deutschland Vorschläge machen, werden Sie unsere Zustimmung aber nicht in der Lage sind, die sozialen Sicherungssysteme so nur bekommen, wenn in diesem Land endlich wieder der auszugestalten, dass dadurch die ständig weitere Steige- Grundsatz gilt, dass derjenige, der arbeitet, grundsätzlich rung der Lohnzusatzkosten gebremst wird, dann darf sich mehr Geld verdient als der jenige, der Leistungen aus den niemand darüber wundern, dass die Arbeitslosigkeit in sozialen Transfersystemen bekommt. Sie müssen in die- Deutschland auf hohem Niveau festgeschrieben wird. sem Bereich tätig werden, sonst schaffen Sie es nicht. Wir sind bereit, diese Diskussion zu führen. Sie wird (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) schwierig, weil in einer Wohlstandsgesellschaft gegen Zur Wahrheit gehört auch: Wer eine zumutbare Be- Besitzstände zu argumentieren viel schwieriger ist als in schäftigung angeboten bekommt und sie ohne Gründe einer Gesellschaft, die sich in einem Aufschwung befin- ablehnt, muss den Anspruch auf soziale Leistungen ver- det und in der Veränderungen immer mit Verbesserungen lieren, sonst bestehen keine Anreize für eine Wiederein- verbunden sind. Aber wir sind nicht bereit, hinzunehmen, gliederung in den ersten Arbeitsmarkt. dass Sie 15 Monate vor der nächsten Bundestagswahl von dieser Stelle aus erklären: Verantwortlich sind nur noch (Beifall bei der CDU/CSU) die anderen. – Von dieser Position aus wird nur noch eine Politik dergestalt gemacht, darum zu konkurrieren, wer (B) Lassen Sie mich ein Wort zur Betriebsverfassung sa- (D) gen – ich weiß, dass bei Ihnen gleich wieder ein Gejohle der beste Serienstar in einer Seifenoper ist. Diese Politik losgehen wird –: Die Diskussion darüber haben wir in der machen wir nicht mit. letzten Woche geführt. Sie wird weiter geführt werden (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Bei- müssen. Wenn wir in Deutschland die Vorschläge umge- fall bei der F.D.P.) setzt hätten, die wir in der letzten Woche zur Modernisie- rung der Betriebsverfassung gemacht haben, dann hätten in diesen Tagen bei VW 5 000 Arbeitsplätze entstehen Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters:Ich erteile können, weil sich Vorstand, Aufsichtsrat, Betriebsrat und für die F.D.P.-Fraktion dem Kollegen Jürgen Koppelin das Belegschaft einig waren. Wort zu einer Geschäftsordnungsangelegenheit. (Hubertus Heil [SPD]: So ein Quatsch, den Sie erzählen! Das hat nichts miteinander zu tun! Jürgen Koppelin (F.D.P.): Herr Präsident! Liebe Kol- Fahren Sie einmal nach Wolfsburg!) leginnen und Kollegen! Allein dieser Redebeitrag hat gezeigt, dass wir uns in einer sehr wichtigen Debatte Aber weil das Instrument der externen Funktionärebefinden. Wir diskutieren über wichtige wirtschaftspoli- nicht aus der Hand gelegt worden ist, konnte Herr Zwickel tische Themen. Das sind Themen, die die Bevölkerung verhindern, dass jetzt bei VW Arbeitsplätze entstehen. draußen wirklich interessieren. Kollege Merz hat zu Das ist die Wahrheit! Recht gefragt: Wer ist in dieser Regierung eigentlich für (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Wirtschaftspolitik zuständig? Hubertus Heil [SPD]: Quatsch!) Auch wir Freien Demokraten stellen uns diese Frage. Meine Damen und Herren, bei allem Respekt vor Ge- Wir würden diese Frage dem betroffenen Minister, der bei werkschaftsführern – wir haben in Deutschland insbeson- der Diskussion über dieses wichtige Thema leider nicht hier ist, gerne direkt stellen. dere auf betrieblicher Ebene im Wesentlichen verantwor- tungsvolle Gewerkschaften – brauchen wir uns nicht Die Freien Demokraten verlangen die Herbeirufung darüber zu wundern, dass Sie mittlerweile Angst davor des Wirtschaftsministers. haben, eine andere Politik zu machen. Wenn ein Gewerk- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) schaftsführer namens Zwickel nur einmal mit vier Fin- gern zu pfeifen braucht und anschließend Sondersitzun- gen der Bundestagsfraktionen der SPD und der Grünen Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Ich gebe für zur Änderung des Rentengesetzes stattfinden, dann wun- die SPD-Fraktion dem Kollegen Küster das Wort. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17747

(A) Dr. Uwe Küster (SPD): Herr Präsident! Wir haben deswirtschaftsministers abstimmen. Ich frage, wer diesem (C) diesen Antrag sehr wohl gehört. Ich halte ihn für völlig Antrag zustimmen möchte. – Gegenprobe! – Es wird Sie überflüssig. nicht überraschen, dass im Sitzungsvorstand keine Eini- gung über die Mehrheitsverhältnisse besteht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wider- spruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Heiterkeit) Die Richtlinien unserer Politik hat heute früh der Bun- Deswegen ordne ich nach § 51 der Geschäftsordnung die deskanzler ganz klar dargestellt. Er hat geäußert, wo es Zählung der Stimmen an. Ich bitte die Kolleginnen und langgeht. Wir haben heute sowohl für die Wirtschafts-, als Kollegen, den Plenarsaal zu verlassen, in die Lobby zu ge- auch für die Finanzpolitik ganz klare Hinweise seitens des hen und dem Aufruf des Präsidenten zu folgen. Bundeskanzlers bekommen. Wir lehnen diesen Antrag da- her ab. Ich gehe davon aus, dass die für einen Hammelsprung eingeteilten Schriftführerinnen und Schriftführer alle prä- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sent sind und sich an den Türen zur Lobby versammeln. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sie sich noch im Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Ich gebe für Plenarsaal aufhalten: Ich bitte Sie, ebenfalls den Saal zu die CDU/CSU-Fraktion dem Kollegen von Klaeden das verlassen. Auch wenn wir uns bis zur Abstimmung genü- Wort. gend Zeit nehmen, müssen wir doch einmal mit dem Ab- stimmungsverfahren beginnen. – Ich bitte die letzten im Saal verbliebenen Kolleginnen und Kollegen, in die Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Herr Präsident! Da Lobby zu gehen, damit wir die Türen schließen können. Kollege Küster soeben der Ressortverantwortung des Wirtschaftsministers mit beeindruckenden Worten wider- Ich bitte, die Türen zu schließen. – Sind die Schrift- sprochen hat, beantrage ich im Namen meiner Fraktion führerinnen und Schriftführer an allen Türen postiert? – das Herbeizitieren des Herrn Bundeskanzlers. Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich bitte die Parlamentarischen Geschäftsführer, zu mir zu kommen. –

Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Ich gebe der Ich darf die Schriftführerinnen und Schriftführer an Kollegin Fischer das Wort für die Fraktion Bünd-den Türen bitten, mir ein Signal zu geben, ob alle ihre nis 90/Die Grünen. Stimme abgegeben haben. – Darf ich fragen, ob ich die Türen schließen lassen kann? (B) (D) Andrea Fischer (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Zurufe: Ja!) NEN): Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen kann ich Die Abstimmung ist geschlossen. erklären, dass sich heute Morgen der Bundeskanzler in der Debatte ausführlich zur wirtschaftlichen LageIch darf die Kolleginnen und Kollegen bitten, Platz zu geäußert hat. Entsprechend der Geschäftsverteilung in der nehmen. Ich gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt. Bundesregierung ist der zuständige Minister auf derFür die Herbeirufung des Bundeswirtschaftsministers Regierungsbank anwesend. Das Bundesministerium für haben 192 Kolleginnen und Kollegen gestimmt. Gegen Wirtschaft ist durch den Parlamentarischen Staatssekretär die Herbeirufung des Bundeswirtschaftsministers haben vertreten. Es gibt aus unserer Sicht überhaupt keinen215 Kolleginnen und Kollegen gestimmt. Grund für diese Art parlamentarischer Spielerei, die hier (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gerade gemacht wird. DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Der Antrag ist damit abgelehnt. und bei der SPD) Interfraktionell ist soeben geklärt worden, dass nach diesem Abstimmungsergebnis der zweite gestellte Ge- Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Ich gebe der schäftsordnungsantrag auf Herbeirufung des Bundes- Kollegin Knake-Werner das Wort für die Fraktion derkanzlers zurückgezogen wird. PDS. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (PDS): Für die PDS-Fraktion Dr. Heidi Knake-Werner Wir fahren in der Aussprache fort. Ich gebe das Wort will ich erklären, dass jeder hier im Hause angesichts der dem Bundesminister der Finanzen, Hans Eichel. aktuellen Lage damit rechnen musste, welchen Stellenwert diese Debatte hier heute bekommen würde. Insofern finde (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ich es aus Sicht der Opposition durchaus berechtigt, das des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Herbeizitieren des Wirtschaftsministers zu verlangen. Meine Damen und Herren, ich bitte diejenigen Kolle- (Beifall bei der PDS) ginnen und Kollegen, die der weiteren Aussprache nicht folgen möchten, Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters:Ich lasse (Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Das ist die ganze zunächst über den Antrag auf Herbeirufung des Bun- SPD-Fraktion!) 17748 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001

Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters (A) den Plenarsaal zu verlassen, und bitte um Gehör für den – darauf komme ich – nichts anderes gemacht, als ver-(C) Bundesfinanzminister. sucht, über die Haushaltspolitik aus einer schwierigen Konjunkturlage herauszukommen. Die Folge davon ist: Japan hat heute die schwierigste Wirtschaftslage aller Hans Eichel, Bundesminister der Finanzen: Herr Prä- sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Einen großen Industrienationen, Japan geht in die Rezession und so kurzen und traurigen Abgesang auf ein Zehn-Punkte- hat mit all den Programmen eine Staatsverschuldung auf- Sofortprogramm zur Rettung der Konjunktur von Frau gebaut, die zweieinhalb mal höher liegt als die in Deutsch- Kollegin Merkel wie den eben durch Herrn Kollegenland. Das ist das Ergebnis einer solchen Politik. Merz vorgetragenen habe ich noch nie gehört. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans Michelbach [CDU/ DIE GRÜNEN) CSU]: Sie sind fast ein Japaner!) Ich muss, verehrter Herr Kollege Merz, sogar unterstel- Die Antwort ist deswegen sehr einfach, aber in ihren len, dass Sie das Programm von Frau Merkel nicht einmal Konsequenzen nicht leicht durchzuhalten; das weiß ich gelesen haben. wohl. Jeder, der will, dass die Wirtschaft bei uns gedeiht, muss dafür sorgen, dass der Staat zunächst verlässliche (Friedrich Merz [CDU/CSU]: So ein Stuss!) Rahmenbedingungen setzt und sie dann, wenn er sie ge- Die Behauptung, dass sich ganze zwei Punkte mit Geld setzt hat, auch einhält. beschäftigten und alle anderen nicht, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Schwätzer!) DIE GRÜNEN – Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: beweist die totale Unkenntnis. In vier Punkten ging es um Macht doch welche!) Geld, und zwar zum Teil sehr massiv; nicht nur bei den Zuallererst muss deshalb – nebenbei bemerkt, haben Sie Steuerpunkten. Übrigens wissen Sie so gut wie ich – des- mit Ihrem Vorhaben ja auch noch einen Anschlag auf den wegen haben Sie das Thema ja auch gar nicht mehr ange- Euro gestartet – eine solide Finanzpolitik eingeleitet wer- sprochen –, dass nichts so unsinnig ist wie das, was Sie da den und die Haushaltskonsolidierungdarf nicht schon zu Papier gebracht haben. im dritten Jahr abgebrochen werden, sondern muss lang- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ fristig durchgehalten werden. DIE GRÜNEN) (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Wo denn?) Sie haben dafür außer aus Ihren eigenen Reihen auch Das ist die erste Voraussetzung. (B) nirgendwo Zustimmung gefunden. Die ganze Riege des (D) ökonomischen Sachverstandes hat sich strikt gegen Ihr (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Programm gestellt: DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Die zweite Voraussetzung ist eine beschäftigungs- und DIE GRÜNEN – Widerspruch bei derwachstumsfreundliche Steuer- und Abgabenpolitik. Mit CDU/CSU) der Steuerreform haben wir dieses Jahr – übrigens nicht seien es Herr Peffekoven, Herr Siebert, Herr Wiegard, der Konjunkturförderung wegen, sondern wegen des Auf- Herr Pohl, der Präsident der Bundesbank oder der Präsi- baus langfristig besserer Strukturen – 45 Milliarden DM dent des Deutschen Industrie- und Handelstages. in dieses Vorhaben hereingesteckt. Noch vor einem Drei- vierteljahr wurde uns in Brüssel entgegengehalten, dies All dies zeigt nur eines: Wenn Sie je wieder finanz- und stelle eine prozyklische Finanzpolitik dar, obwohl es sich wirtschaftspolitische Kompetenz haben wollen, müssen dabei um nichts anderes als um Strukturreformen han- Sie lange an sich arbeiten. delte, die langfristig bessere Verhältnisse schaffen sollten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Nachdem wir nun 45 Milliarden DM in dieses Vorhaben DIE GRÜNEN) gesteckt haben und sich das Wachstum trotzdem – ich komme gleich auf die Gründe zu sprechen – abkühlt, ist In der Zeit offener Märkte – es ist erstaunlich, dass ein So- es aberwitzig, zu glauben, man könne das Problem lösen, zialdemokrat Ihnen das sagen muss – ist nämlich die Zeit indem man 13 oder 45 Milliarden DM nachlegt. Das zeigt der Konjunktursteuerung durch den Staat schlicht vorbei. nur, dass Sie nichts von einer Volkswirtschaft in offenen Das konnte man zu Zeiten nationaler, geschlossenerMärkten begriffen haben. Volkswirtschaften machen, das kann man aber nicht mehr zu Zeiten offener Märkte machen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Will doch keiner!) Wie wenig das alles durchdacht war, zeigt sich ja übri- gens daran – Herr Westerwelle hatte nicht ganz Unrecht –, Wohin das führt, was Sie hier vorschlagen, meine Da- dass die, die eine Streckung der Tilgung des Fonds „Deut- men und Herren, können Sie in Japan besichtigen. Japan sche Einheit“ forderten – das war ja keine Erfindung des hat seit ein paar Jahren Bundes –, insbesondere die Ministerpräsidenten aus den (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Es geht um drei Südländern waren. Im gleichen Zusammenhang be- Rahmenbedingungen!) schließen Sie zusätzliche Steuerausfälle in Höhe von Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17749

Bundesminister Hans Eichel (A) 45 Milliarden DM. Da passt nichts, aber auch überhaupt muss mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt mit mehr Stabi- (C) nichts mehr zusammen. lität der Sozialsysteme verbinden. Dass das bei der alten (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ 630-Mark-Regelung nicht geschehen ist, war der Fehler. DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Stimmt doch gar nicht!) DIE GRÜNEN) Wie undurchdacht das alles war, zeigt sich ja auch an Ih- Zu dem, was ich eben im Zusammenhang mit den rer Haltung zur Ökosteuer. Da müssen Sie sich auch ein- älteren Arbeitslosen gehört habe: Ältere Arbeitslose mal entscheiden. können bis zu zwei Jahren befristet beschäftigt werden, Ich verstehe übrigens nicht, warum Frau Kolleginohne dass ein Grund angegeben werden muss. Dieses Merkel nicht hier ist, das war doch ihr Programm. Thema ist bereits erledigt. (Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE (Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Erle- GRÜNEN]: Geschäftsordnung! – Dr. Peter digt ist überhaupt nichts! Wir haben eine ganz Struck [SPD]: Das verstehe ich auch nicht! – andere Situation! Immer mehr ältere Arbeits- Jörg Tauss [SPD]: Herbeizitieren!) lose!) – Vielleicht wollte Frau Kollegin Merkel die Begründung An den Themen Arbeitslosenhilfe, Sozialhilfe und von Herrn Merz nicht hören; dafür habe ich Verständnis Kombilohn wird gearbeitet. Dazu gibt es inzwischen Mo- nach dem, was er hier abgeliefert hat. dellversuche, die ausgewertet werden müssen. Auf dieser Basis wird Herr Kollege Riester dann Vorschläge machen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Birgit Schnieber-Jastram Sie haben – ich sage es noch einmal – in einem Punkte [CDU/CSU]: Sie war da!) völlig Recht, nämlich dass dieLohnzusatzkosten ge- senkt werden müssen. Nur, so lange sind Sie doch noch – Ach, Frau Kollegin Merkel war da? Dann ist sie nach der nicht aus der Regierung heraus, dass wir uns nicht erin- Begründung von Herrn Merz gegangen. Das hätte ichnern könnten, wie das damals alles war. Bis zum Ende auch gemacht. Ihrer Regierungszeit, in den ganzen 16 Jahren, sind die (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem Lohnzusatzkosten nur gestiegen, gestiegen, gestiegen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Zum Thema Ökosteuer. Herr Rühe hat Recht, wenigs- DIE GRÜNEN – Dietrich Austermann [CDU/ tens nach der Finanzierbarkeit der Programme gefragt zu CSU]: So ein Quatsch!) (B) haben. Bei der Ökosteuer sagen Sie zunächst: Sie muss Sie wären Ihnen sogar noch direkt vor der Bundestagswahl (D) ganz weg. Offenbar haben Sie erst anschließend, nachdem über die 21 Prozent bei der Rentenversicherung gestiegen, das schon auf dem Papier stand, angefangen, zu rechnen, wenn wir Ihnen nicht mit unserer Zustimmung zur Er- dass das nämlich bedeutet, dass der Rente dann nachhal- höhung der Mehrwertsteuer um 1 Prozentpunkt aus der tig 33 Milliarden DM fehlen und dass Sie den Rentenver- Patsche geholfen hätten, damit die Rentenversicherungs- sicherungsbeitrag um 2 Prozentpunkte heraufsetzen müs- beiträge wenigstens bei 20,3 Prozent bleiben konnten. sen. Dann haben Sie gesagt: Na gut, nicht die ganze Ökosteuer muss weg, sondern nur die nächsten zwei Stu- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ fen sollen nicht umgesetzt werden. – Das sind dann auch DIE GRÜNEN) nur 0,6 Prozentpunkte, um die der Rentenversicherungs- Nun sind die Lohnnebenkosten das erste Mal seit Jahr- beitrag steigen wird. zehnten in Deutschland gesunken, und zwar allein bei der Das passt herrlich, Herr Kollege Merz, zu Ihrer Aus- Rente um1,2 Prozentpunkte. sage, die Lohnzusatzkosten müssten gesenkt werden. Da Sie haben Recht – das will ich gar nicht bestreiten; die haben Sie Recht! Diskussion ist gestern geführt worden – in Bezug auf die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Krankenversicherungsbeiträge. DIE GRÜNEN) (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Aha!) Deswegen sage ich Ihnen: Das Thema Arbeitsmarkt ist Da ist auch noch was zu machen. Ich sage Ihnen aber aus- ein interessantes und wichtiges Thema. Aber was Sie hier drücklich: Schauen Sie sich doch einmal an, wo die ersten abgeliefert haben, hat in aller Regel entweder überhaupt keinen Lösungsansatz oder betrifft gelöste Probleme, wenn Ansätze dieser Bundesregierung hängen geblieben sind – auch vielleicht anders gelöst, als Sie es manchmal wollen. sie sind im Bundesrat an Ihrer Mehrheit gescheitert! Die 630-Mark-Thematik hat sich so, wie sie gelöst (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ist, ausgesprochen bewährt. DIE GRÜNEN – Dirk Niebel [F.D.P.]: Das sagt der Richtige! Wer hat denn die Steuerreform (Lachen bei der CDU/CSU) blockiert?) Wir haben in diesem Bereich eine große Zahl von Be- Noch etwas anderes, Herr Kollege Merz, und zwar zu schäftigungsverhältnissen in diesem Jahr. Das werden Sie den Themen Betriebsverfassungsgesetz und 5 000 Ar- noch lernen müssen: Wer den Arbeitsmarkt vernünftig re- beitsplätze bei VW. Das eine hat mit dem anderen nichts geln will – Sie haben Recht; wir machen das ja auch –, zu tun. So gut sind Sie informiert! Denn es geht um 17750 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001

Bundesminister Hans Eichel (A) Tarifvertragsfragen; diese werden aber im Betriebsverfas- Die Floskel mit der ruhigen Hand ist ja das Alibi für(C) sungsgesetz überhaupt nicht angesprochen. Infolgedessen Nichtstun, gleichgültig, ob man es jetzt aussitzen nennt war Ihr Beispiel fundamental falsch und deswegen war es oder eher Ratlosigkeit, Hilflosigkeit, Einfallslosigkeit. auch kein Beispiel gegen das Betriebsverfassungsgesetz. Das Gebot der Stunde ist aber zu handeln, damit die Wirt- Informieren Sie sich doch in der Sache, ehe Sie hier an- schaft nicht weiter abgleitet und wir keine Stagflation greifen! kriegen, Stagnation und Inflation, und damit eine schwie- rige Wirtschaftssituation. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Alle Prognosen werden ständig nach unten korrigiert. Das Ifo-Institut spricht von 1,2 Prozent. Ich habe gehört, Nur langfristig angelegte Reformen machen Sinn. Es Herr Müller hat heute Morgen in Mannheim als Märchen- ist ein Fehler, zu glauben, dass der Staat Konjunktur- tante wieder von plus 2 Prozent gefaselt. steuerung betreiben könne. Aufgabe der Politik kann es nur sein, Ruhe und Klarheit in das System zu bringen an- (Zuruf von der SPD: Na, na! – Klaus gesichts der Verrücktheit, die manchmal auch die Aktien- Wiesehügel [SPD]: Miesmacher!) märkte haben, und der Verrücktheit, jeden Tag eine neue Das glaubt kein Mensch mehr. Es geht weiter nach unten. Konjunkturprognose machen zu wollen. So sind die Fakten. Das können Sie nicht schönreden. Da (Beifall bei Abgeordneten der SPD) können Sie auch schreien. Wenn auch der Staat so – und so hektisch wie Sie – rea- Bei den Insolvenzen haben wir neue Rekordhöhen in gierte, dann hätten wir Chaos. Finanzpolitik und Wirt- Deutschland. Das sind doch die Arbeitsplätze, die weg- schaftspolitik müssen die langen Linien ziehen. Dannfallen. Das sind doch gerade die mittelständischen Be- können sich die Wirtschaftssubjekte bewegen. Nur das ist triebe, die wir für die Anpassungsprozesse brauchen. vernünftig. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten (Anhaltender Beifall bei der SPD und dem der CDU/CSU) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir als F.D.P. eine Blitzaktion fordern und sagen, schnell handeln, dann kann man das nicht wegreden, als Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters:Ich erteile ob das teure Ausgabenprogramme wären. Es geht um das Wort dem Kollegen Rainer Brüderle für die F.D.P.- richtige ordnungspolitische Weichenstellungen. Die Mit- Fraktion. bestimmung wird verschärft und dadurch werden die Be- (Joachim Poß [SPD]: Jetzt kommt das Kugel- triebskosten nach oben getrieben. Das Briefmonopol wird blitzprogramm der F.D.P.) verlängert, statt es auslaufen zu lassen. Monopolminister (B) Müller und Zwangspfandminister Trittin einigen sich(D) auf neue Kraft-Wärme-Kopplungs-Quoten. Durch Öko- Rainer Brüderle (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Da- umlagen werden die Vorteile der Liberalisierung des men und Herren! Es ist schon eine merkwürdige wirt- Strommarktes wieder zurück genommen. 40 Prozent des schaftspolitische Debatte, an der der Wirtschaftsminister liberalisierten Strommarktes haben Sie schon wieder re- nicht nur nicht teilnimmt – und schon gar keine Rollereguliert. Sie nehmen das alles wieder zurück und schaf- spielt –, sondern in der der Finanzminister für die Wirt- fen dadurch schlechte Voraussetzungen dafür, dass wir schaftspolitik spricht. Dann können Sie doch das Wirt- vorankommen. schaftsministerium abschaffen. Schicken Sie Herrn Müller nach Hause, dann sparen Sie wenigstens Gehalt! (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der F.D.P. und Zurufe von der SPD: Oh!) Es war doch Ihre angebliche Wunderwaffe Bündnis für Arbeit, mit der Sie ein tolles Klima schaffen wollten. Tat- Herr Finanzminister Eichel, ich bin ja als Mainzer hu- sache ist, dass ein Klima entstanden ist, in dem es mög- mororientiert. Aber Sie haben es sich ein bisschen leicht lich ist, 5 000 neue Arbeitsplätze– für die es schon gemacht, sind ein bisschen zu lustig über die Probleme 10 000 Bewerber gibt, bevor sie ausgeschrieben wurden – hinweggehuscht. in Deutschland zu vernichten. Das liegt an der Haltung der (Zuruf von der CDU/CSU: Ja!) IG-Metall. Das ist Gewerkschaftsbonzentum, aber keine Verantwortung und Solidarität mit denen, die draußen Es ist nicht zu leugnen, dass Deutschland bei allen kon- stehen, die auch ein Stück Hoffnung und Chance haben junkturellen Daten unter dem europäischen Durchschnitt wollen. liegt. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) Das ist das Waterloo Ihres Kaffeekränzchens Bündnis für Sie können jedes Datum nehmen: Inlandsprodukt, Ar- Arbeit. beitslosenquote, Verbraucherpreise – bei allen liegen wir unter dem Durchschnitt. Das ist hausgemacht! Deshalb Ich habe genau hingehört. Der Kanzler hat heute in sei- muss sich etwas ändern. ner Rede indirekt die Europäische Zentralbank aufgefor- dert, die Zinsen zu senken. Die Regierung hat es gemacht, (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten trallala. Jetzt sind die Tarifpartner dran, von Holzmann bis der CDU/CSU) sonst was, und jetzt ist die Europäische Zentralbank dran. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17751

Rainer Brüderle (A) Die muss aber erst Vertrauensarbeit leisten. Sie muss Ver- Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Ich gebe das (C) trauen erarbeiten, damit die Menschen auch Vertrauen in Wort dem Kollegen Rezzo Schlauch für die Fraktion des den Euro haben. Lesen Sie mal die Umfragen, wie die Ein- Bündnisses 90/Die Grünen. schätzung ist. Das Rating, die Bewertung des Wirtschafts- standorts Deutschland durch andere Staaten spiegelt sich Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): im Kurs des Euro wider. Er ist von 118 auf 85 Cent gesun- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich ist ken. Das ist eine Abwertung des Außenwertes von 30 Pro- es ja so, dass die konjunkturellen Daten Auskunft über die zent. So denkt man draußen über die Politik in Deutsch- wirtschaftliche Lage eines Landes geben. Wer eine Dia- land. Das Gesundbeten durch Sie selbst reicht nicht. gnose stellt, Herr Merz, der tut gut daran, sich an die Fak- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) ten zu halten. Wer bei der Bewertung der Situation negativ überzieht – wie wir das gerade unisono von der Opposition Es kostet kein Geld, es ist kein Staatsinterventionis- gehört haben –, der trägt dazu bei, dass die Stimmung mus, wenn Sie den Unsinn der Mitbestimmung zurück- schlechter ist, als die tatsächliche Situation. Wenn ich mir nehmen und wenn Sie das Briefmonopol nicht weiterlau- die Bilanz Ihrer Opposition anschaue, dann bin ich mir fen lassen. Damit würden Sie Bedingungen schaffen, die nicht sicher, ob Sie sich mit dem Malen von oppositionel- mehr Chancen für Arbeit bieten. len Zerrbildern einen Gefallen tun. Ich bin mir aber ganz Deshalb appelliere ich an Sie: Ziehen Sie die nächsten sicher, dass Sie der Wirtschaft und insbesondere denjeni- Schritte der Steuerreform vor. Ansonsten schaffen Sie die gen, die Angst um ihren Arbeitsplatz haben oder die einen Asymmetrie, dass die Großkonzerne ihre Beteiligungen Arbeitsplatz suchen, damit einen Bärendienst erweisen. sofort steuerfrei verkaufen können, die Mittelständler je- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN doch nicht. Das ist keine Fairness gegenüber dem Mittel- sowie bei Abgeordneten der SPD) stand. Wir haben uns als Koalition selbstverständlich ernst- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten haft damit auseinander zu setzen, dass die Wachstums- der CDU/CSU) prognosen für 2001 von den Instituten nach unten korri- Hören Sie auf mit der Ökosteuer oder setzen Sie zu- giert werden. Im Schnitt erreichen wir aber in den drei mindest die nächste Stufe der Ökosteuer aus, damit sich Jahren rot-grüner Koalition immer noch einen Durch- die Bedingungen verbessern. Verschlechtern Sie nicht die schnitt von 2,0 Prozent beim Wirtschaftswachstum. In Abschreibungsbedingungen! Es müssen Investitionenden 90er-Jahren, während Ihrer Regierungszeit, meine entstehen; Investitionen sind Arbeitsplätze. Senken Sie Damen und Herren von der CDU/CSU und Herr Brüderle, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung! Wenn Sie uns hatten wir über acht Jahre hinweg eine durchschnittliche (B) nicht glauben, dann glauben Sie vielleicht Herrn Metzger. Wachstumsrate von 1,4 Prozent. (D) Als Schönredner der Grünen darf er ja immer beim Mit- (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Was heißt das telstand auftreten, aber im Bundestag hebt er die Hand für denn?) all den Unsinn gegen den deutschen Mittelstand. Das ist die Relation, die den Hintergrund unserer Diskus- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – sion bildet. Zurufe von der SPD: Oh!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Noch ein paar Anmerkungen zum Zehn-Punkte-Pro- sowie bei Abgeordneten der SPD) gramm von Frau Merkel. Auch Sie haben jetzt gemerkt, dass man etwas tun muss – willkommen im Klub. In der Diese 1,4 Prozent – das wollen wir doch noch einmal CDU/CSU-Fraktion wurden die Vorschläge gleich wieder in den Kontext stellen – haben Sie erreicht, obwohl Sie verändert. Ich frage mich auch, ob Frau Merkel, die auf den Staat jedes Jahr mit circa 60 Milliarden DM netto neu dem CDA-Kongress viel Beifall bekam, dort für diese verschuldet haben. Immer wieder haben Sie Geld ausge- Konzepte mit gleich viel Beifall begrüßt würde. Diese geben, um die Konjunktur anzuheizen. Immer wieder ha- Randbemerkung kann ich mir nicht ganz verkneifen. ben Sie Geld ausgegeben, das Sie gar nicht gehabt haben. Wir haben diese Neuverschuldung von 60 Milliarden DM Entscheidend ist: Noch haben Sie die Chance, etwas zu jährlich auf 40 Milliarden DM jährlich reduziert. Das sind tun; die Prognosen zeigen es eindeutig. Ordnungspoliti- mehr als 30 Prozent. Wir werden diesen Weg bis zur Netto- sche Veränderungen kann man nicht als Ausgabenpro- neuverschuldung auf Null – das heißt: keine Verschul- gramm oder Staatsinterventionismus abtun. Es geht um dung mehr – fortsetzen. Der Haushalt der Bundesregie- Rahmenbedingungen, die schnell verändert werden müs- rung wird nicht mehr davon abhängig sein, das Geld sen, damit wir nicht abgleiten. Das Reparieren wird teu- zukünftiger Generationen auszugeben. rer als das rechtzeitige Handeln. Ich sage Ihnen vorher: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sie werden handeln müssen. Der Bundeskanzler wird sowie bei Abgeordneten der SPD) nicht zögern, das Ruder herumzuwerfen, wenn er merkt, dass er die Bundestagswahl verliert. Lassen Sie aber nicht Davon werden Sie uns auch nicht mitKonjunktur- noch mehr Leute auf der Straße stehen und enttäuschen programmen abbringen. Konjunkturprogramm – das Sie nicht weiter deren Hoffnungen. Handeln Sie jetzt, da- habe ich noch aus meiner Zeit auf der Oppositionsbank im mit wir nicht weiter abgleiten! Ohr – war bei Ihnen ein Unwort, (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das ist es immer der CDU/CSU) noch!) 17752 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001

Rezzo Schlauch (A) und zwar zu Recht, weil die Konjunkturprogramme – das Im Übrigen möchte ich Sie darauf hinweisen, dass es (C) hat der Finanzminister richtig gesagt – in Zeiten globali- sich bei allen Reformen, die wir durchgeführt haben und sierter Märkte nichts mehr bringen. Offensichtlich haben die gerade im Hinblick auf die Kaufkraft wirksam gewor- Sie das, was Sie immer wieder erzählt haben, als Sie noch den sind, um Reformen handelt, die Sie nicht gewollt ha- in der Regierung waren, völlig vergessen. Wenn es um ben: die Erhöhung des Kindergelds, zusätzliche Mittel für Konjunkturprogramme ging, haben Sie damals nur müde das BAföG, die Wohngelderhöhung oder die relevante abgewunken, und jetzt fordern Sie sie. Das zeigt, dass Sie Senkung der Eingangssteuersätze im Rahmen der Steuer- auch in der Opposition müde sind. reform. Das alles dient der Nachfrage und ist mit ein Grund dafür, dass wir die soziale Schieflage, die Sie in der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bundesrepublik verursacht haben, wieder Schritt für Übrigens hat sich die Wachstumsrate von durch-Schritt zurückgeführt haben. schnittlich 1,4 Prozent, die Sie über acht Jahre erzielt ha- Es ist klar, dass unsere Arbeiten nicht abgeschlossen sind. ben, nicht nur durch eine hohe Neuverschuldung ergeben, sondern auch vor dem Hintergrund einer Hochkonjunktur (Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Sie ha- in den USA. Das hat sich aber geändert, was sicherlich ben ja noch gar nicht angefangen!) nicht der unwichtigste Grund dafür ist, dass die Bedin- Es gibt auch keinen Grund, die Hände in den Schoß zu le- gungen für mehr Wachstum in Deutschland schwieriger gen. Aber ernsthafte Strukturreformen – das kennen Sie geworden sind. doch von der Steuerreform, Herr Merz – brauchen einen Festzustellen ist jedenfalls, dass die Zeiten in der Welt- langen Atem und keine Schnellschüsse. wirtschaft gegenwärtig magerer sind. Und trotzdem ha- Wenn ich sehe, was auf den zwei Waschzetteln, die ben wir mehr Wachstum als Sie in den fetten Jahren. Sie – Fraktion und Partei, und noch dazu unterschiedlich – (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Und mehr vorgelegt haben, holterdiepolter zusammengeschrieben Inflation!) worden ist, dann frage ich Sie: Wie soll das eigentlich be- zahlt werden? Mit Neuverschuldungen und Steuererhö- Unsere Reformen sind dabei gerade in dem Bereich wirk- hungen wie früher? Wollen Sie sehenden Auges zurück in sam, in dem die Kaufkraft direkt gestärkt wird. den Zustand – das ist doch Ihre Hinterlassenschaft – den wir mühsam genug überwunden haben? Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters:Herr Kol- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – lege Schlauch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Ab- Dr. Uwe Küster [SPD]: Merkelsche Schulden- geordneten Schauerte? politik!) (B) Frau Merkel wollte mit großer Geste dieÖkosteuer (D) Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja. ganz abschaffen, aber Herr Merz ist offensichtlich von Herrn Rühe eines Besseren belehrt worden, obwohl die Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Herr Kollege Rechnung so auch noch nicht stimmt. Wir haben mit Schlauch, danke schön, dass Sie mir die Möglichkeit zu 22 Milliarden DM die Lohnnebenkosten um 1,2 Prozent einer Zwischenfrage geben. gesenkt, weil es richtig ist, die Arbeit billiger zu machen. Eine Politik des niedrigen Preises bei Öl und bei fossi- Sie haben gerade gesagt, Sie hätten mehr Wachstum er- len Energien nach dem amerikanischen Muster ist doch zielt. Wie können Sie sich dann erklären, dass die Wachs- wie Doping. Das kann man schon machen. Es steigert tumsraten in den SPD-regierten Ländern Schleswig-Hol- kurzfristig die Leistungsfähigkeit, zerstört aber langfris- stein, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen halb so tig unsere ökologischen und wirtschaftlichen Grundla- hoch sind wie die in den CDU/CSU-regierten Ländern gen. Bayern, Baden-Württemberg und Hessen und dass wir in den CDU/CSU-regierten Ländern eine halb so hohe (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Arbeitslosigkeit haben wie in den von Ihren Kollegen mit- sowie bei Abgeordneten der SPD) regierten Ländern? Es wäre unverantwortlich, die Energiewende nicht fort- zuführen; denn sie fördert die Innovationen und stellt Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Deutschland bei den Technologien der Zukunft an die Herr Kollege Schauerte, ich gehe davon aus, dass wir hier Spitze. Das kann man, wenn man seine fünf Sinne eini- im Bundestag sind und Bundestagsdebatten führen. Wir germaßen beisammen hat, nicht einfach rückgängig ma- führen die Debatte über die Situation und die Lage in der chen wollen. Bundesrepublik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Zuruf von der CDU/CSU: Eben!) und bei der SPD) Ich war zehn Jahre im Landtag; ich kenne diese Spielchen. Ich erinnere mich gut daran, wie Sie aus den außeror- dentlichen Einnahmen der UMTS-Versteigerungen glat- (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Beantworten Sie ter Hand gleich 40 Milliarden DM unter das Volk bringen doch mal die Frage! – Dagmar Wöhrl [CDU/ wollten. Ich bin froh und stolz darauf, dass diese Koali- CSU]: Sie weichen aus!) tion es geschafft hat, 100 Milliarden DM trotz vieler Be- Wenn wir die bundesweite Situation betrachten, führt gehrlichkeiten sofort zur Schuldentilgung zu verwenden. diese Frage bei unserem Thema nicht sehr viel weiter. Damit haben wir 5 Milliarden DM an Zinsersparnissen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17753

Rezzo Schlauch (A) gewonnen für sinnvolle ökologische Infrastrukturmaß- bleme damit, wenn jemand den Flächentarif ohne Rück- (C) nahmen und Investitionen in die Bildung. sicht auf Verluste – wie dies geschehen ist – gegen die ört- lichen Betriebsräte durchzieht. Ich habe ja ein paar Erfah- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rungen in solchen Angelegenheiten. Aber wer so mit dem und bei der SPD) Flächentarif umgeht, der macht ihn gründlicher und nach- Ich verstehe Ihre Systematik auch nicht ganz, Herrhaltiger kaputt, als es durch die abgefeimteste Strategie Merz. Sie haben gegen diese Steuerreform – zwar erfolg- der Grünen oder der Kapitalisten geschehen könnte. Das los, aber doch – gekämpft wie ein Löwe. muss ich Ihnen schon sagen. Wer den Flächentarif so (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Richtig, stimmt durchzieht, schadet sich selbst. alles!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Und jetzt wollen Sie plötzlich einen Teil dieser Steuerre- Wolfgang Weiermann [SPD]: Wofür haben wir form beschleunigen und übernehmen. Sie müssen einmal denn einen Flächentarifvertrag?) erklären, wie das zusammenpasst. Ich möchte sehen, wie Sie vor 5 000 Arbeit suchenden (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Menschen stehen und es diesen erklären. Ich kann es nicht sowie bei Abgeordneten der SPD) erklären. Ich hoffe nur – auch zum Wohle der Gewerk- schaften –, dass das nicht das letzte Wort ist. Und falls es nicht das letzte Wort ist, lassen Sie mich einen Vorschlag Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters:Herr Kol- machen: Lassen Sie uns das noch einmal im Bündnis für lege Schlauch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Ab- Arbeit bereden! geordneten Dr. Rössel? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich komme zum Schluss. Wir müssen selbstverständ- Nein, der Herr Schauerte hat genügt. lich besser werden und weitere Reformen anpacken. Ich möchte noch einen Satz dazu sagen, warum – es ist (Rainer Funke [F.D.P.]: Sozialismus!) doch allen klar – dieLebenshaltungskosten gestiegen Ruhe bewahren bedeutet nicht, sich ausruhen, es heißt, sind, warum wir eine Inflation haben. den eingeschlagenen Kurs in ruhiger Bahn fortzusetzen. (Rainer Brüderle [F.D.P.]: Durch die Grünen!) Eine Modernisierungspause wird es mit uns nicht geben. – Ja, natürlich durch die Grünen. – Sie ist nach Meinung Meine Damen und Herren, wir diskutieren heute ein für unsere Volkswirtschaft wichtiges Thema. Mich wun- (B) aller Experten – und jetzt komme ich zu Ihnen – zurück- (D) zuführen auf Versäumnisse in der Vergangenheit. dert aber, dass heute noch niemand auf ein anderes Thema zu sprechen gekommen ist. Ich möchte eine Bemerkung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- zu einem Vorgang machen, der uns weit über diese Dis- wie bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei der kussion hinaus betrifft. CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Das darf nicht wahr sein!) Ich habe großen Respekt vor der Regierung in Ju- goslawien, die es geschafft hat, HerrnMilosevic dem Wer hat denn die BSE-Krise verursacht? In welcher Zeit Haager Tribunal zuzuführen. Nach den langen Diskus- ist die BSE-Krise denn entstanden? Doch nicht in unserer sionen, die wir darüber geführt haben, empfinde ich auch Zeit. Und was die Energiepreise angeht, ist der Löwenan- etwas Genugtuung. Ich glaube, das ist ein guter Tag für teil bei der Politik der OPEC, bei der Politik, die zu einem die Demokratien und auch für die friedliche Fortentwick- starken Dollar geführt hat, zu suchen. lung auf dem Balkan. Wenn wir auf die Ökosteuer verzichteten, würden wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN konjunkturell mit Sicherheit nichts gewinnen, und zwar sowie bei Abgeordneten der SPD) deshalb, weil der notwendige Strukturwandel in der Agrarpolitik und bei der Energiewende dazu führt, dass wir erstens den Klimaschutz fördern. Zweitens sind mit Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters:Für die den regenerativen Energien über 70 000 Arbeitsplätze ge- Fraktion der PDS spricht die Kollegin Frau Professor schaffen worden. Wollen Sie diese in Zukunft wegfallen Dr. Christa Luft. lassen oder wie soll ich mir das vorstellen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dr. Christa Luft (PDS): Herr Präsident! Verehrte Kol- sowie bei Abgeordneten der SPD) leginnen und Kollegen! Die von den beiden Oppositions- rednern vor mir vorgetragenen Fakten zur aktuellen wirt- Es ist klar, dass noch vieles vor uns liegt. Wir müssen schaftlichen Lage in der Bundesrepublik Deutschland – offen und mit allen Beteiligten – ernsthaft darüber re- sind, wenn man ehrlich ist, überhaupt nicht zu bestreiten. den, wie wir den Arbeitsmarkt reformieren. Das Ziel muss Aber erstens eignen sie sich meiner Meinung nach nicht sein, Hindernisse abzubauen und Brücken in den ersten zur parteipolitischen Häme von Union und F.D.P. gegen- Arbeitsmarkt zu schlagen. über der neuen Koalition. Kollege Merz und Kollege In diesem Kontext erlauben Sie auch mir ein Wort zu Brüderle, selbst wenn Sie beide an der vorangegangenen den Verhandlungen bei VW. Auch ich habe schon Pro- Bundesregierung nicht beteiligt waren, sollten Sie sich 17754 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001

Dr. Christa Luft (A) doch an die Regierungszeit Ihrer Parteien erinnern. Dann nicht bis zum Jahre 2005 eine Politik des „Weiter so“ ma- (C) würde Ihre Kritik heute manchmal anders ausfallen. chen, weder bezogen auf den Osten noch auf manche strukturschwache Region in den alten Bundesländern. (Beifall bei der PDS) Wie kann man in dieser sich zuspitzenden wirtschaftli- Zweitens sind die Fakten derart eindeutig, dass ihnen chen Lage dieöffentlichen Investitionen weiter mit Wortakrobatik und nur mit dem Verweis auf Psycho- schrumpfen lassen, wie dies mit dem Haushaltsent- logie überhaupt nicht beizukommen ist. Das versuchen wurf 2002 geschehen soll? Damit wird ein fortdauernder aber Koalitionsabgeordnete und auch Regierungsvertreter Absturz nicht nur in der Bauwirtschaft in Kauf genom- bis heute. men. Den betroffenen Menschen – seien es Arbeitslose, Wir fordern hier eine alsbaldige Änderung, Herr seien es solche, die um ihre Beschäftigung bangen, seien Minister. Ringen Sie sich endlich zu einer Infrastruktur- es Handelsleute, die auf Käuferinnen und Käufer warten, pauschale für ostdeutsche und westdeutsche struktur- seien es Unternehmer, die um die Existenz ihrer Firma schwache Kommunen durch! bangen – hilft semantischer Aberglaube nicht. Ob es sich (Beifall bei der PDS) nun um eine konjunkturelle Delle oder schon um eine Re- zession handelt – das hilft betroffenen Menschen nicht. Ringen Sie sich zu einem Stadtumbauprogramm zur Be- Sie warten auf ein Signal, dass die Bundesregierung die seitigung des strukturellen Wohnungsleerstandes im Zuschauertribüne verlässt und aufs Spielfeld geht. Osten durch! Dies würde die Produktion ankurbeln. Dies würde Menschen in Lohn und Brot bringen und schließ- (Beifall bei der PDS) lich positive Wirkungen auf die Steuereinnahmen haben. Genau das aber geschieht nicht. Der Kanzler schwört auf Sie haben im Übrigen durchaus einen Finanzierungs- eine Politik der ruhigen Hand. Ich meine, mehr und mehr spielraum für solche Maßnahmen. Sie haben beispiels- Menschen gewinnen den Eindruck, dies ist keine ruhige, weise höhere Zinsersparnisse aus den für Schuldentilgung sondern eine gelähmte Hand. Das kann schwierig werden eingesetzten UMTS-Lizenzerlösen. Dazu kann man Sie für unser Land. nur beglückwünschen. Diese Ersparnisse sind weitaus Die Stimmung im Land ist eindeutig. Immerhin 62 Pro- größer, als bislang angenommen. Insofern gibt es einen zent der jüngst von Emnid Befragten halten die wirt-Spielraum. Auch das neue Schuldenmanagement der schaftliche Lage für besorgniserregend. Die Anhänger Bundesregierung führt zu Zinsersparnissen und somit zu verschiedener Parteien liegen hier im Übrigen ganz nahe einem weiteren Spielraum. beieinander, wie die Statistik ausweist. Kein Wunder, rollt Übrigens – das darf ich an dieser Stelle anmerken – ist doch über die Bundesrepublik Deutschland die größte von den 2 Milliarden DM, die die Deutsche Bahn AG von (B) Pleitewelle der Nachkriegszeit. Allein im ersten Halb- (D) den UMTS-Milliarden für Investitionsprojekte zur Verfü- jahr 2001 haben die Unternehmensinsolvenzen um gung gestellt bekommen sollte, nach Aussage von Herrn 11 Prozent zugenommen und über eine viertel Million Mehdorn bislang nicht ein einziger Pfennig dort ange- Menschen hat allein dadurch die Arbeit verloren. Wo hat kommen, weil es beim Abschluss entsprechender Finanz- denn das Bündnis für Arbeit seinen Effekt gezeigt? Ich vereinbarungen eine offenbar sehr bürokratische Handha- kann den leider nicht erkennen. bung gibt. Das ist in dieser fragilen konjunkturellen Lage Im Osten bahnt sich eine neue Runde – das muss man natürlich weiteres Gift für die wirtschaftliche Entwick- durchaus so sagen – der Unternehmensschließungen lung und die Beschäftigung. oder -verlagerungen mit dramatischen Beschäftigungsef- (Beifall bei der PDS) fekten an. Ich erinnere an die Diskussion, die wir in die- sem Hause zu dem Bombardier-Konzern in Brandenburg Stimmen Sie unserem Antrag zu, die wöchentliche geführt haben. Ich erinnere an die bevorstehende reihen- Höchstarbeitszeit auf 40 Stunden zu begrenzen und damit weise Schließung von Bahnwerken. Ich erinnere an die den Überstunden zu Leibe zu rücken. Verabschieden Sie Gefahr von Kapazitätsbeschränkungen in den hochpro- sich von verlorenen Zuschüssen an große Unternehmen duktiven ostdeutschen Schiffswerften mit dramatischen und fordern Sie eine gesellschaftliche Gegenleistung Folgen für die Beschäftigung. großer Unternehmen, die Steuergelder zur Verfügung ge- stellt bekommen, wie das beispielsweise erfolgreich in Ich vermisse bislang eine deutliche Initiative der Bun- Frankreich geschieht. desregierung gegen das, was mit Basel II auf den Weg ge- bracht werden soll. Wenn das geschieht, kann man eine Der überparteilich entstandene Vorschlag, den die PDS Wette darüber abschließen, welche Auswirkungen das für an die Bundesregierung weitergegeben hat und alsbald im die kapitalschwachen kleinen und mittleren Unternehmen Parlament einbringen will, nämlich eine Absatzoffensive in Ostdeutschland – aber nicht nur dort – haben wird. für Unternehmen der Investitionsgüterbranche aus den neuen Bundesländern zu starten, wäre auch eine (Beifall bei der PDS) Möglichkeit, die Konjunktur zu beleben. Dieses Projekt In dieser Lage kann man doch nicht auf das verweisen, würde im Übrigen kein frisches Geld kosten. Vielmehr was für die Zeit zwischen 2005 und 2019 nun glückli- geht es um die Bereitstellung einer Bürgschaft für die Vor- cherweise erfolgreich mit dem Länderfinanzausgleich finanzierung eines größeren Kredits, den private Banken und dem Solidarpakt II unter Dach und Fach gebracht den betreffenden Unternehmen zur Verfügung stellen worden ist und zweifelsohne zur Positivbilanz dieserwollen. Dies würde zur sofortigen Schaffung einer fünf- Bundesregierung gehört. Die Bundesregierung kann aber stelligen Zahl von Arbeitsplätzen führen können. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17755

Dr. Christa Luft (A) Lassen Sie mich ein letztes Wort zu den Vorschlägen Der Hilfsfonds für unschuldig in Not geratene Hand- (C) der Union zur Therapierung der Lage sagen. Herr Minis- werksfirmen, der auf unsere Initiative hin in den Haus- ter Eichel, wir können Ihnen in vielem, was Sie dazu ge- halt 2001 eingestellt worden ist, darf nicht zu einem Ar- sagt haben, zustimmen. Das Zehn-Punkte-Programm der beitsbeschaffungsprogramm für Wirtschaftsprüfer und Union ist keine Vorschlagsliste zur Wiederbelebung der Unternehmensberater werden, sondern muss den Betrof- Wirtschaft und des Arbeitsmarktes. Es ist im Grunde ge- fenen zugute kommen. nommen ein Maßnahmenkatalog, der den abhängig Be- Danke schön. schäftigten und weniger Wohlhabenden unserer Gesell- schaft die Lasten der nicht von ihnen verursachten (Beifall bei der PDS) Schwäche des wirtschaftlichen Wachstums aufbürden soll. Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters:Für die (Beifall bei der PDS) SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Joachim Poß. Das wird die Bevölkerung sehr wohl wahrnehmen. Joachim Poß (SPD): Herr Präsident! Meine Damen Sie von der Union setzen zum sozialpolitischen Roll- und Herren! Diese Debatte hat der CDU/CSU-Bundes- back an. Sie schlagen vor, die in den letzten drei Jahren tagsfraktion und der Öffentlichkeit Aufschluss darüber gesetzten sozialpolitischen Akzente – beim sozialengegeben, dass weder das Konzept von Herrn Merz noch Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, bei das von Frau Merkel realitätstüchtig und geeignet ist, den der Ausgestaltung der Betriebsverfassung und auf ande- politischen Wettbewerb mit dieser Koalition und dieser ren Gebieten – zu liquidieren. Wenn Herr Kollege Merz Regierung aufzunehmen. Beide Konzepte sind auch nicht das Sagen bekäme, würden Arbeitnehmerinnen und Ar- miteinander kompatibel: beitnehmer Gefahr laufen, zum Freiwild der Wirtschaft zu werden. Das darf nicht geschehen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der PDS) GRÜNEN)) Sie von der Union können nicht so tun, als würde eine Dazu hat der heutige Vormittag beigetragen. vorgezogene Steuerreform die vorhandenen Probleme lö- sen. Sie haben aus Ihrer Regierungszeit keine praktische Am heutigen Vormittag konnten Sie auch die Erkennt- nis gewinnen, dass Sie an sich selbst arbeiten müssen, um Erfahrung vorzuweisen, die einen Zusammenhang zwi- überhaupt wieder konkurrenzfähig zu werden. Wenn Sie schen sinkenden Steuern und sinkenden Arbeitslosenzah- aus der heutigen Debatte eine solche Vorstellung mitneh- len bestätigen würde. (B) men, hat sich diese Diskussion zumindest für Ihre Frak- (D) (Rainer Funke [F.D.P.]: USA, Niederlande! – tion gelohnt; für viele andere hat sie sich nicht gelohnt. Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Nennen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sie mal ein Beispiel dafür!) Um nicht falsch verstanden zu werden: Angesichts der Zwischen 1982 und 1998 ist die Zahl der Arbeitslosen in vielen Prognosen und Experteneinschätzungen, die zum den alten Bundesländern von 1,8 Millionen auf 2,9 Milli- Teil sehr unterschiedlich sind, ist es richtig und wichtig, onen gestiegen, obwohl es eine Fülle von Steuersenkun- im Deutschen Bundestag über die wirtschaftliche Situa- gen gegeben hat. Sie erinnern sich, wie ich, an tion die und die Entwicklung in Deutschland zu reden und Senkung des Spitzensteuersatzes und die Senkungauszuloten, wie wirtschafts- und finanzpolitisch mit die- des Körperschaftsteuersatzes. Die Gewerbekapitalsteuer ser Situation umzugehen ist. wurde abgeschafft, der Solidarbeitrag gesenkt und die Vermögensteuer ausgesetzt. Dies alles hat nicht zum Er- Die konjunkturelle Lage ist sicherlich nicht so, wie folg geführt. wir sie uns wünschen; das schließt ausdrücklich auch die Lage auf dem Arbeitsmarkt mit ein. Ich halte allerdings Das bedeutet allerdings nicht, dass wir keine Vor-die beiden von der Union vorgelegten Zehn-Punkte-Pro- schläge in Bezug auf das Steuerrecht hätten. Wir werden gramme für nicht geeignet, um auf ihrer Grundlage eine in der nächsten Woche einen Antrag einbringen, der sich angemessene und realitätsbezogene wirtschaftspolitische mit der Wiedererhebung der Vermögensteuer auf refor- Auseinandersetzung zu führen. mierter Grundlage befasst. Wir haben, wie Sie wissen, längst einen Antrag in den Bundestag eingebracht, um die (Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Dann Mehrwertsteuer für arbeitsintensive Dienstleistungen zu legen Sie doch zuerst überhaupt mal etwas vor!) senken. – Wir legen nicht nur etwas vor, sondern haben auf die- sem Gebiet unsere Koalitionsvereinbarung umgesetzt. Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Frau Kolle- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gin Luft, Sie müssen leider zum Schluss kommen. DIE GRÜNEN – Rainer Funke [F.D.P.]: Was für ein Unsinn! – Birgit Schnieber-Jastram [CDU/ CSU]: Gucken Sie sich doch die Ergebnisse der Dr. Christa Luft (PDS): Auch das wäre, Kolleginnen Umsetzung auf dem Arbeitsmarkt an!) und Kollegen von der F.D.P., eine Maßnahme, um den Handwerksbetrieben, die ums Überleben kämpfen, die Es liegt nicht nur ein Programm der CDU/CSU vor, Existenz zu sichern. sondern es existieren tatsächlich zwei Programme. Diese 17756 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001

Joachim Poß (A) Tatsache ist schon erwähnt worden; aber man muss es der öffentlichen Haushalte erledigt sich Ihre Forderung von (C) Öffentlichkeit ganz deutlich sagen: Es gibt zwei Pro-selbst. Die Umsetzung ihres Vorschlags hätte nämlich die gramme, und zwar ein Programm Merkel sowie ein Pro- Verfassungswidrigkeit des Bundeshaushaltes 2002 zur gramm Merz und Glos. Eine der wenigen Identitäten zwi- Folge; denn die Nettokreditaufnahme würde die Inves- schen den Programmen besteht darin, dass sie jeweilstitionsausgaben erheblich übersteigen. Ähnlich wäre es in zehn Punkte umfassen. Das heißt, es gibt nur wenigeeiner Reihe von Bundesländern, übrigens auch in Bundes- Punkte, die in beiden Programmen identisch sind. Hiermit ländern, die CDU-geführt sind. Deshalb ist es nicht über- wird schwarz auf weiß dokumentiert, dass es der Union raschend, dass sich, soweit mir bekannt ist, weder Herr immer noch nicht gelingt, eine einheitliche und geschlos- Vogel aus Thüringen noch Herr Müller aus dem Saarland sene Politikkonzeption anzubieten. Das ist ein Hinweis Ihren Forderungen nach weiteren massiven Steuerausfäl- auf den Zustand Ihrer Fraktion und Ihrer beiden Parteien. len öffentlich angeschlossen haben. (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Nullwachs- Die öffentlichen Haushalte insgesamt könnten bei Rea- tum Poß!) lisierung Ihrer Programme den Konsolidierungspfad nicht mehr einhalten, der im Rahmen des Europäischen Wirt- Die Bürgerinnen und Bürger, die sich von der heutigen schafts- und Stabilitätspaktes nach Brüssel gemeldet wor- Debatte eine gewisse Aufklärung und Orientierung ver- den ist. Der Vertrauensverlust im Ausland und auf den Fi- sprechen, erwarten von Ihnen, dass Sie Ihren innenpartei- nanzmärkten wäre enorm. lichen Wettbewerb um Personen und Konzepte erst ein- mal abschließen, bevor Sie hier im Bundestag mit uns Aber nicht nur der Bund, sondern auch die Länder und über den besten Politikentwurf streiten. Darauf haben die Gemeinden wären als Reaktion auf weitere Steuerausfälle Bürgerinnen und Bürger ein Recht. zu zusätzlichen und stärkeren Einsparbemühungen ge- zwungen. So wie die Dinge nun einmal liegen, müssten (Beifall bei der SPD) die Gemeinden zum Beispiel ihre Investitionshaushalte Aber möglicherweise lässt sich in Ihrem so genannten Er- weiter zurückfahren. Das würde für den Mittelstand und neuerungsprozess ein solches innerparteiliches Durchein- für die Bauwirtschaft einen Nachfrageausfall und insge- ander nicht vermeiden. samt weniger Beschäftigung und eine möglicherweise höhere Arbeitslosigkeit bedeuten; denn zwei Drittel aller (Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Zur öffentlichen Aufträge werden von Gemeinden vergeben. Sache können Sie auch etwas sagen? – Christian Dies wäre die Konsequenz Ihrer Vorschläge. Vielleicht Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Hochmut und sollten Sie – denn Sie wollen ja immer besonders mittel- Übermut kommen vor dem Fall!) standsfreundlich sein – diesen Aspekt noch einmal über- denken. (B) Einer der beiden Punkte, der bei Merz und Merkel (D) identisch ist, ist die Forderung nach dem Vorziehen der Auch wenn Sie sich auf die eine oder andere Meinung Einkommensteuerentlastungsschritte 2003 und 2005 von Expertenseite berufen sollten: Es ist nicht richtig, ge- auf den 1. Januar 2002. nerell davon auszugehen, dass sich Steuersenkungen (Elke Wülfing [CDU/CSU]: Das wollte Frau durch eine entsprechende konjunkturelle Belebung selbst Scheel doch auch!) finanzieren. Eine verantwortungsbewusste Haushalts- und Finanzpolitik, die Jahr für Jahr dafür Sorge tragen Es ist ein Jahr her, dass sich die Regierungskoalition im muss, dass der Staat fiskalisch handlungsfähig bleibt, darf Rahmen der Steuerreform gegen Ihren Versuch einerund kann sich darauf nicht verlassen. Denn nach all den Fundamentalopposition durchgesetzt hat. Weitreichende von uns gemachten Erfahrungen gibt es keine Selbst- Steuerentlastungen zu fordern – auch ohne Beachtung der finanzierungseffekte in diesem Umfang. Natürlich gibt konjunkturellen Situation – macht sich immer gut! es auf einer Zeitschiene von drei bis fünf Jahren (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Besser als die Selbstfinanzierungseffekte. Aber die mit den Steuersen- Steuererhöhungen bei Ihnen!) kungen verbundenen Steuerausfälle und deren Konse- quenzen für die öffentlichen Haushalte, die ich geschil- Sie sollten aber endlich einmal zur Kenntnis nehmen – dert habe, treten sofort ein. auch Ihre Ministerpräsidenten sagen Ihnen das –: Steuer- entlastungen sind nur in dem Maße vernünftig und ge- Einerseits beklagen Sie die hohe Preissteigerung – genüber den Ländern und Gemeinden vor allen Dingen auch Herr Merz hat das heute Morgen wieder gemacht nur dann durchsetzbar, wenn die damit für die öffentli- und hat so getan, als sei das nur ein Problem bei uns und chen Haushalte verbundenen Einnahmeausfälle verkraft- nicht auch in allen anderen europäischen Staaten; sie geht bar sind. So ist die Realität, und zwar in jeder konjunktu- übrigens wieder zurück, wie Sie feststellen konnten; das rellen Phase. ist ja auch gut so –, andererseits zielen Sie durch Ihr Plä- doyer für die Aufgabe des Konsolidierungskurses darauf, (Elke Wülfing [CDU/CSU]: Aber die Schieflage Inflationstendenzen zu schüren. Das, was Sie machen, ist für den Mittelstand betrachten Sie überhaupt doch in hohem Maße widersprüchlich. Auf der einen Seite nicht!) beklagen Sie die hohe Inflation und auf der anderen Seite Mit den von Ihnen vorgelegten Vorschlägen haben Sie tun Sie mit Ihren Vorschlägen alles, um den Inflationsauf- trieb zu fördern. sich aus einer ernsthaften wirtschafts- und finanzpoliti- schen Debatte verabschiedet. Allein bei einer Betrachtung (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Rezzo der finanziellen Konsequenzen Ihres Vorschlages für die Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17757

Joachim Poß (A) Auch mit diesem Widerspruch müssen Sie sich auseinan- Beschäftigungsprogramme anstelle dauerhaft tragfähiger (C) der setzen. und finanzierbarer wirtschaftlicher Rahmenbedingungen. Wie soll denn da die Europäische Zentralbank dem (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie haben nur Beispiel der amerikanischen Notenbank folgen und bei ein Mittelstandsvernichtungsprogramm!) solchen Signalen die Zinsen weiter senken? Das ist doch Mit Ihren teuren Konjunkturprogrammen zwingen Sie das völlig falsche Signal für die Europäische Zentralbank. Bund, Länder und Gemeinden zur Steigerung der Kredit- Es ist ja auch bemerkenswert, dass die CDU/CSU-aufnahme, treiben Sie die Staatsverschuldung in die Höhe Fraktion mit ihrem Beschluss vom Dienstag, bereits einen und belasten damit zukünftige Generationen. Tag nach Frau Merkels Forderung im Präsidium der CDU, Sie haben sich hier heute Morgen vermeintlich im Inte- von dieser Forderung nach der sofortigen Abschaffung resse der jüngeren und der nachwachsenden Generation der gesamten Ökosteuer abgerückt ist. Es ist ja bekannt, geäußert. Mit dieser Linie belasten Sie die zukünftigen Ge- dass bei Ihnen in der Einstellung zur Ökosteuer ein fun- nerationen. Auch das machen wir nicht mit, weil wir für damentaler Gegensatz besteht; den können Sie auch gar eine nachhaltige Finanzpolitik stehen, die die zukünfti- nicht verschleiern. gen Generationen eben nicht stärker belasten will. Wer aber die Ökosteuer insgesamt abschaffen will, der (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Rezzo muss umgehend die Beiträge zur Rentenversicherung auf Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) etwa 21 Prozentpunkte anheben – das ist hier schon er- wähnt worden –, oder Sie müssen einfach weitermachen Lesen Sie sich doch einmal, soweit Sie dem Parlament mit der Schuldenpolitik von Kohl und Waigel. Diese Al- schon etwas länger angehören, Ihre früheren eigenen Re- ternativen gibt es noch. Wenn Sie, Frau Hasselfeldt, diese den, die Sie hier im Parlament gehalten haben, durch. Widersprüche gleich aufklären könnten, wären wir Ihnen Obwohl wir als Bundesregierung und als Koalition bis- sicherlich alle dankbar. Wir sind schon gespannt, zuher ein hohes Reformtempo vorgelegt haben, sind natür- hören, welchen Finanzierungsvorschlag Sie dem staunen- lich noch nicht alle Aufgaben erledigt. Für uns gilt auch den Publikum hier offerieren. weiterhin – Herr Eichel hat es für die Regierung gesagt; Die Anhebung der Rentenversicherungsbeiträge würde ich sage es für die SPD-Bundestagsfraktion –: Verläss- zu erheblichen Mehrbelastungen der Arbeitnehmer und lichkeit und Solidität gehen über puren Aktionismus, der der Arbeitgeber mit allen negativen Effekten für Kon- bei Ihnen letztlich aus breitem parteipolitischen Frust ge- junktur und Beschäftigung führen. Aber weil es uns um boren ist. Aber Frust, meine Damen und Herren von der den Mittelstand geht, gerade um den Mittelstand, CDU/CSU, ist immer ein schlechter Ratgeber gewesen. Verabschieden Sie sich von diesen zwei Schmierpapieren (B) (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Jetzt wird es – wie sagte Herr Schlauch? – (D) aber lustig!) (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- werden wir solche Vorschläge zu verhindern wissen. Das NEN]: Waschzetteln!) trifft nämlich in erster Linie den Mittelstand negativ. Herr Michelbach, das sollten Sie einmal überlegen. von diesen zwei Waschzetteln, die Sie vorgelegt haben! Das, was Sie da vorgeschlagen haben, ist wirklich nicht (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Rezzo einmal das Papier wert, auf dem es geschrieben ist. Das Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) war ein Fehlschuss und zu dieser Einschätzung sollten Sie Das gilt grundsätzlich auch für das Aussetzen einzelner sich nun wirklich bekennen. Ökosteuerstufen. Ich hoffe, dass Sie sich so weit erholen, dass Sie dem- Wir verfolgen aus Überzeugung eine andere Philoso- nächst hier im Plenum mit uns seriöse wirtschafts- und fi- phie als Sie. nanzpolitische Diskussionen führen können. Auch wenn die Einschätzung der konjunkturellen Ent- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Rezzo wicklung nicht mehr so positiv ist wie vor Monaten – das Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) gilt ja nicht nur für Deutschland –, gibt es nach wie vor keinen Grund zu Rezessionsängsten und schon gar nicht Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Selters:Für die zur Panikmache. Wir werden den von uns verfolgten Kurs CDU/CSU-Fraktion spricht die Kollegin Gerda der haushalts- und finanzpolitischen Solidität und Ver- Hasselfeldt. lässlichkeit weitergehen. Die Investoren und die Konsu- menten brauchen Sicherheit und Beständigkeit für ihre Planungen und Erwartungen. Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU) (von der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine Damen und Man muss sich noch einmal verdeutlichen und klarma- Herren! Es ist schon erschreckend, mit welcher Arroganz chen, was die von der CDU vorgelegten Zehn-Punkte- und vor allem mit welcher Ignoranz die Bundesregierung Programme bedeuten. Sie fordern jetzt genau das, was Sie mit den aktuellen Daten zur wirtschaftlichen Entwicklung den Sozialdemokraten vor Jahrzehnten und auch noch in umgeht. den letzten Jahren vorgeworfen haben: kurzfristigen Ak- tionismus anstelle mittel- und langfristiger Orientierung; (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Willkür! – (Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Das stimmt Hans Michelbach [CDU/CSU]: Von denen ist doch gar nicht!) jetzt keiner mehr da!) 17758 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001

Gerda Hasselfeldt (A) Dies wird nicht nur daran deutlich, dass weder der Wirt- mer, deren Existenz auf dem Spiel steht, und letztlich alle (C) schaftsminister noch der Bundeskanzler an dieser Debatte Bürgerinnen und Bürger, denen Sie mit Ihrer Politik der teilnimmt, hohen Inflationsraten das Geld aus der Tasche nehmen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns darüber unterhal- (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Der Finanzmi- ten und nach Lösungen suchen. nister auch nicht! – Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Der Sozialminister ist auch be- (Beifall bei der CDU/CSU) troffen!) Hier machen Sie, meine Damen und Herren von der sondern auch daran, wie der Finanzminister in seinenRegierungsseite, es sich bei der Suche nach der Ursache Ausführungen mit diesen Fakten umgegangen ist. dieser Entwicklung ein bisschen zu einfach. Es wird nur gesagt, das hänge mit der Entwicklung in den USA zu- Er hat zum Beispiel davon gesprochen – ich bedaure, sammen, wogegen wir nichts machen könnten. Wie er- dass er nicht mehr persönlich hier sein kann –, dass die klären Sie sich dann, dass Deutschland im Vergleich zu Verrücktheit, jeden Tag neue Prognosen zu machen, ein den anderen europäischen Ländern am Ende der Wachs- Ende haben müsse. Wenn die Arbeit der seriösenWirt- schaftsforschungsinstitute als „Verrücktheit“ bezeich- tumsskala steht? Auch andere europäische Länder haben net wird, dann verstehe ich die Welt nicht mehr. Das ist einen vergleichbaren Handel mit den USA. Unsere Pro- mehr als Hohn, wie hier mit der Arbeit seriöser Wirt-bleme in Bezug auf die wirtschaftliche Entwicklung sind schaftsforschungsinstitute umgegangen wird. überwiegend hausgemacht; da beißt die Maus keinen Fa- den ab. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sozialistische Absolutheit!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Rainer Funke [F.D.P]) Sie haben die Aufgabe und die Pflicht, uns Prognosen über die weitere wirtschaftliche Entwicklung an die Hand Sie sind das Ergebnis von falschen Weichenstellungen zu geben, und es ist unsere Pflicht, daraus die entspre- in der Steuerpolitik, in der Arbeitsmarktspolitik und in der chenden politischen Konsequenzen zu ziehen und Ent- Sozialpolitik. Hier ist ein Gegensteuern notwendig. scheidungen zu treffen. Hier ist es auch nicht mit irgendeinem Konjunkturpro- Herr Poß hat hier zwar eingestanden, dass es konjunk- gramm getan. Weder Herr Poß noch Herr Eichel noch turelle Schwierigkeiten und erhebliche Probleme am Ar- Herr Schlauch haben unser Programm gelesen. Sollten sie beitsmarkt gibt; es gelesen haben, haben sie es entweder nicht verstanden oder es nicht verstehen wollen. (Joachim Poß [SPD]: Das ist doch nicht zu leugnen!) (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der (B) CDU/CSU: Das ist wahrscheinlicher!) (D) ich habe aber seine Antworten auf diese Probleme ver- misst. Herr Poß, Sie haben in Ihrer gesamten Rede kein Eine andere Erklärung dafür, dass Sie ständig von einem Wort dazu gesagt. kurzfristigen Konjunkturprogramm reden, sehe ich nicht. Das ist kein kurzfristiges Konjunkturprogramm, sondern (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. der Versuch, dem, was Sie falsch gemacht haben, entge- Rainer Funke [F.D.P.] – Rezzo Schlauch genzusteuern. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Antwor- ten haben wir doch schon gegeben!) Ich nenne Ihnen einige Beispiele. Die Ökosteuer ist ja schon angesprochen worden. Es ist interessant, wenn Herr Tatsachen sind, dass erstens die Konjunktur wegbricht Schlauch davon spricht, dass die Ursachen für die Infla- – die Wachstumsprognosen sinken Monat um Monat –, tionsentwicklung bei der BSE-Krise zu finden seien. Das zweitens der Euro sich seinem historischen Tiefstand zeugt von einem hohen ökonomischen Sachverstand, nähert, drittens die Preise permanent steigen – die Infla- Herr Schlauch. tion hat eine Besorgnis erregende Höhe erreicht –, vier- tens auch die saisonbereinigte Zahl der Arbeitslosen steigt (Heiterkeit bei der CDU/CSU – Hartmut und fünftens entgegen Ihren Versprechungen die Beiträge Schauerte [CDU/CSU]: Das ist eine der ersten zur Sozialversicherung ebenfalls steigen. Das ist die Rea- Auswirkungen der BSE-Krise! – Rezzo lität unserer wirtschaftlichen Entwicklung! Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: BSE und Energie!) (Beifall bei der CDU/CSU) – Es stimmt, Sie haben auch die Energiepreise als Ursa- Darauf müssen Antworten gegeben werden, die Sie che genannt. Aber genau das ist das Problem, lieber Herr schuldig geblieben sind. Wir geben die Antworten mit un- Schlauch: Sie haben nämlich durch Ihre Ökosteuer die serem Antrag. Da hilft kein Schönreden, kein Ignorieren; Stromsteuer – eine solche Steuer hat es bisher noch nie in da hilft nur eine ehrliche Bestandsaufnahme. Deutschland gegeben – und die Mineralölsteuer erhöht und damit massiv zum Anstieg der Preise in diesen Berei- Warum ist das so wichtig? Das ist keine theoretische chen beigetragen. Das ist der Kernpunkt, warum die In- Diskussion. Die Fakten, die ich eben anführte, betreffen flationsrate so hoch ist. Das haben Sie und niemand an- die Menschen in unserem Land ganz massiv: alle Arbeit- derer zu verantworten. nehmer mit ihren Familien, die um die weitere Sicherung ihrer eigenen Arbeitsplätze bangen, viele Arbeitslose, die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- einen Arbeitsplatz suchen, aber genauso viele Unterneh- neten der F.D.P.) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17759

Gerda Hasselfeldt (A) Deshalb ist eine Korrektur Ihrer verfehlten Politik not- weist, immer das Kostenargument an. Das hat auch Herr (C) wendig. Auf ein solches Signal warten die Verbraucher Poß vorhin getan. Ich sage Ihnen: Wenn Sie für die und auch die Investoren zu Recht dringend. Kapitalgesellschaften Geld haben, dann ist nicht einzuse- hen, dass Sie für 85 Prozent der deutschen Unternehmen, Was ist nun von Ihrer viel gepriesenen Steuerreform für die persönlich haftenden Unternehmer, für die Perso- übrig geblieben? Für den Mittelstand, also für die Perso- nenunternehmen, auf einmal kein Geld mehr übrig haben. nenunternehmen, die immerhin 85 Prozent der deutschen Dies ist wirklich nicht einzusehen! Wirtschaft ausmachen, und für die Arbeitnehmer war und ist Ihre Steuerreform bis heute nichts anderes als eine (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Nullnummer. Außer den großen Kapitalgesellschaften neten der F.D.P.) spürt niemand, aber auch wirklich niemand etwas von den Ich wünschte mir, dass in den Reihen der Regierungs- angekündigten Steuerentlastungen. Aber die Verschlech- fraktionen in diesen Fragen mehr volkswirtschaftlich als terungen zum Beispiel durch die Änderungen der Ab-fiskalpolitisch und buchhalterisch gedacht würde; denn schreibungsbedingungen, der gesetzlichen Regelungen dann würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass Ihre Weige- für Betriebsumstrukturierungen und der Verlustverrech- rung, den mittelständischen Unternehmen und Arbeitneh- nungen schlagen voll auch bei den Personenunternehmen mern Steuerentlastungen zu gewähren, zu Steuerminder- durch, da sie nicht entsprechend entlastet wurden. einnahmen führt. Sie würden auch zur Kenntnis nehmen, (Beifall bei der CDU/CSU) dass ein Vorziehen der Reform – dies wäre mit einer früheren Entlastung der mittelständischen Unternehmen Sie haben den Körperschaftsteuersatz für diegroßen und mit einer Gleichstellung der mittelständischen Unter- Kapitalgesellschaften nicht stufenweise, sondern auf nehmen mit den großen Kapitalgesellschaften verbunden einen Schlag von 40 auf 25 Prozent gesenkt. Sie ermögli- – zu Wachstumsimpulsen und weiteren Steuereinnahmen chen den Kapitalgesellschaften, ihre Veräußerungsge-führen würde. Die ewige rein fiskalpolitische und buch- winne steuerfrei zu stellen. Für die Personenunterneh- halterische Betrachtungsweise, die nichts mit volkswirt- men, also den überwiegenden Teil der deutschenschaftlichen Erwägungen zu tun hat, ist hier völlig unan- Unternehmen, haben Sie auf einmal kein Geld mehr. Die gebracht. Steuerentlastung für diese Unternehmen haben Sie auf den Sankt-Nimmerleins-Tag, auf das Jahr 2005, verscho- (Beifall bei der CDU/CSU – Rezzo Schlauch ben. Die steuerliche Freistellung von Veräußerungsge- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zig Milliarden winnen haben Sie den Personenunternehmen versagt. Schulden spielen bei Ihnen ja keine Rolle!) Diese Ungleichbehandlung von mittelständischen Per- Die steuerpolitischen Vorschläge in unserem Papier stehen in Kombination und engem Zusammenhang mit (B) sonenunternehmen im Vergleich zu den großen Kapital- (D) gesellschaften muss schleunigst beseitigt werden. den Vorschlägen zum Betriebsverfassungsgesetz, mit den Vorschlägen in der Gesundheitspolitik und mit den Vor- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- schlägen zur Arbeitsmarktderegulierung. Der Finanzmi- neten der F.D.P.) nister hat in seiner heutigen Rede davon gesprochen, dass Deshalb ist das Vorziehen der für 2005 und 2003 be-es notwendig sei, dieSozialsysteme zu stabilisieren. schlossenen Steuerentlastungsstufen auf 2002 dringend Dazu kann ich nur sagen: Ja natürlich, das ist notwendig. notwendig. Wenn Sie uns schon nicht glauben, dann glau- Warum machen Sie es denn nicht? Ich nenne nur die Bei- ben Sie doch wenigstens Frau Scheel, die den gleichen spiele Gesundheitspolitik und Rentenversicherung. Die Vorschlag gemacht hat. Aber es ist ja nicht das erste Mal, Ökosteuer, die Sie eingeführt haben, ist nichts anderes als dass wir von ihr, wenn sie in Mikrofone außerhalb des ein zusätzlicher Beitrag zur Rentenversicherung an der Parlaments spricht, etwas ganz anderes hören als in den Tankstelle. parlamentarischen Gremien. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Zuruf von der SPD: Frau Hasselfeldt, Herr neten der F.D.P.) Merz ist wieder da! Er hört Ihnen zu!) Sie haben die falschen Weichen gestellt. Wenn Sie das – Herr Merz ist bei meiner Rede anwesend. Bei der heu- nicht getan hätten, müssten wir heute nicht über den tigen Rede von Herrn Poß war er es nicht. Wenn ich es Scherbenhaufen, den Sie angerichtet haben, reden. richtig sehe, hat er das schon öfter gemacht. Das ist seine Der Finanzminister hat angesprochen, dass in unserem persönliche Entscheidung. Land nur wenige Menschen mit einem ökonomischen (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sachverstand unsere Vorschläge unterstützen würden. Ich NEN]: Aha!) möchte Ihnen nur einen nennen, der im ganzen Land als Wirtschaftsfachmann unangefochten ist, nämlich Norbert Frau Scheel, wenn es einen Preis für Doppelzüngigkeit Walter, den Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Er hat ge- und Unglaubwürdigkeit in der Politik geben würde, dann sagt: Die Bundesregierung muss ernsthaft überlegen, die müssten Sie den ersten Preis bekommen. zweite und dritte Stufe der Steuerreform vorzuziehen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Der ist sogar der F.D.P.) in der eigenen Bank umstritten!) Sie führen, wenn man auf die Ungleichbehandlung von Er schließt auch persönlich einen länger anhaltenden Ab- Kapitalgesellschaften und Personenunternehmen hin- schwung nicht mehr aus. Es erscheint uns angebracht, 17760 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001

Gerda Hasselfeldt (A) wenn Sie uns schon nicht glauben, den Menschen zu Der Bau der Transrapidstrecke von Hamburg nach (C) glauben, die in der Wirtschaft in unserem Land Verant- Berlin wird trotz entgegenstehender Beschlüsse der Bun- wortung tragen. desregierung, des Bundestages und des Bundesrates auf- gekündigt, obwohl mit dem Transrapid zwei wesentliche (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wirtschaftszentren miteinander verbunden worden wären. NEN]: Der aber gleichermaßen sagt, dass die Ökosteuer eine vernünftige Geschichte ist! Hier hätte man aktive Strukturpolitik betreiben können, Dann müssen Sie es schon konsistent machen! aber man lässt es sein, weil aus den Reihen der Grünen Sie picken sich heraus, was passt!) Forderungen kommen, diese Transrapidstrecke nicht zu bauen. Ich habe es vorhin schon gesagt und möchte es zum Schluss wiederholen: Es geht hier nicht – Sie können es (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten ruhig hundertmal wiederholen – um ein kurzfristiges der CDU/CSU) Konjunkturprogramm, sondern um die Korrektur der bis- Zulasten der deutschen Bauwirtschaft wird kurzfristig her von Ihnen falsch gestellten Weichen. Es geht darum, § 2 b des Einkommensteuergesetzes zu einem Fallensteller- die Strukturen so zu verändern, dass die Zeichen aufparagraphen umgewandelt. Über viele Sorgen der deut- Wachstum stehen. Sie haben mit der Zustimmung zu die- schen Bauwirtschaft bräuchten wir uns heute nicht zu un- sen Vorschlägen die Möglichkeit, ein entsprechendes Si- terhalten, wenn § 2 b in seiner alten Fassung beibehalten gnal zu setzen. Die Leute im Land warten darauf. worden wäre. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters:Für die Meine Damen und Herren, wie soll man heute einem F.D.P.-Fraktion spricht der Kollege Rainer Funke. Investor, der vor allem langfristig denken muss, erklären, warum er gerade in Deutschland investieren soll, und dies Rainer Funke (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen trotz der zahlreichen Regulierungen des Arbeitsmarktes und Herren! Ich will hier nicht auf die Prognosen der Bun- und der überbordenden Bürokratie? Vom „schlanken Staat“ desregierung, der Wirtschaftsinstitute oder der OECDsind wir noch weit entfernt. Deswegen geht internationa- eingehen. Dabei handelt es sich ja im Wesentlichen um les Kapital nicht in die Bundesrepublik Deutschland, son- Momentaufnahmen. Als Praktiker aus der Wirtschaft sehe dern eher in den Dollarraum, was wiederum zur Dollar- ich mir die Kursentwicklung an der Börse und an den De- stärke und damit auch zur Euro-Schwäche führt. visenmärkten an. Ich kann unschwer erkennen, dass die (V o r s i t z: Vizepräsidentin Anke Fuchs) (B) Marktteilnehmer in ihrer Gesamtheit der wirtschaftlichen (D) Entwicklung in Europa und vor allem in der Bundesrepu- Das mag kurzfristig unsere Exportwirtschaftkünstlich blik Deutschland nicht das notwendige Vertrauen entge- beleben, führt aber langfristig über höhere Importpreise genbringen. Das Vertrauen ist aber für die Investoren ent- zu mehr Inflation. Aus diesem Circulus vitiosus wird man scheidend. Sie müssen Vertrauen darin haben, dass sich nur ausbrechen können, wenn man stärker dereguliert und ein Investment am Kapitalmarkt lohnt und dass die dafür sorgt, dass der Markt sich frei entwickeln kann. wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, unter denen sie ihr (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der Investment tätigten, verlässlich sind. Das hat ja auch der CDU/CSU) Finanzminister gesagt. Die Bundesregierung hat aber nicht danach gehandelt. Andere europäische Länder haben es uns vorgemacht. Es ist kein Wunder, dass diese Länder für die jetzigen wirt- (Beifall bei der F.D.P.) schaftlichen Herausforderungen besser gewappnet sind. Die Bundesregierung erschwert durch ihre Arbeits- (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) marktpolitik und ihr Eingehen auf Forderungen von Funktionären die Bedingungen für die Unternehmer. Sie Dass Deutschland EU-weit das Schlusslicht bildet, belastet den Mittelstand steuerlich und greift mit zusätzli- kann nicht irgendeiner internationalen Wachstums- chen Regulierungen in wichtige Märkte ein. schwäche angehängt werden. Im Vergleich zeigt sich: Deutschland hat, vor allem in den letzten zwei Jahren, Ich nenne einige Beispiele. Im Postwesen – das war ge- seine Hausaufgaben nicht gemacht. rade gestern Thema – wird die Liberalisierung, also die Aufhebung des Postmonopols, bis ins Jahr 2007 verscho- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten ben. Im Telekommunikationsmarkt wird auf die Regulie- der CDU/CSU) rungsbehörde – im Interesse der Gewerkschaften – einge- Wir Freien Demokraten wollen keinen kurzfristigen wirkt, die Telekom einseitig zu unterstützen. Aktionismus; der führt auch nicht weiter. Aber wir haben Die Liberalisierung im Strommarkt wird zurückge- den Mut, durchgreifende Reformen endlich anzugehen, setzt. Die ausdrückliche Förderung der Kraft-Wärme-die freiheitliche Ordnung zu stärken. Hier müssen Steu- Kopplung durch kommunale Energieversorgungsunter- erpolitik und Arbeitsmarkt ganz vorne stehen. nehmen kostet die Verbraucher bis zu 8 Milliarden DM. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Diese Mittel fehlen dann natürlich bei der Inlandsnach- frage. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17761

(A) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Das Wort hat der Kol- hätte erwartet, dass sich jemand, der im Gewerk-(C) lege Klaus Wiesehügel, SPD-Fraktion. schaftsbereich stark ist, für die Arbeitnehmer, für seine Freunde, einsetzt … Klaus Wiesehügel (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Sie können nicht, wenn ich rede, auf die Gewerkschaft Kolleginnen und Kollegen! Es ist hier schon sehr viel zur verweisen, und wenn ich nicht rede, fragen, warum der Finanz- und Konjunkturpolitik gesagt worden, aber wie Gewerkschaftsvertreter nicht spreche. So geht es nicht. Sie und ich der Tagesordnung entnehmen können, liegt Sie müssen sich da schon einmal entscheiden, was Sie nun ein Antrag vor, der sich „Offensive für die Bauwirtschaft“ wollen, ob ich nun reden soll oder nicht. nennt. Den Antrag hat die CDU/CSU eingebracht. Ich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten möchte einige Sachverhalte verdeutlichen, damit das, was des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) der Antrag enthält, hier nicht unwidersprochen stehen bleibt. Mir ist es egal, was Sie sagen; ich werde zu Anträgen von Ihrer Seite, die ich für falsch halte, weiterhin Stellung Sie beginnen Ihren Antrag mit der lobreichen Feststel- nehmen. lung, dass der Bauwirtschaftseit jeher eine Schlüssel- rolle zufällt. Das haben Sie völlig richtig erkannt. Aber (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Schrei nicht umso mehr muss ich mich fragen: Warum haben Sie dann so!) in den 90er-Jahren den Schlüssel zerbrochen oder gar Es ist nun unser Problem, die von Ihnen gemachte feh- weggeworfen? lerhafte Politik ganz langsam und mühevoll wieder in die (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Friedrich richtigen Bahnen zu lenken. Wie sehr Ihr ganzes Vorge- hen rein populistischer Natur ist, kann man, wenn man Merz [CDU/CSU]: Oh, Herr Wiesehügel!) den Text Ihres Antrages liest, sehr schnell feststellen. Sie – Ich muss das wirklich fragen. Es ist einer Opposition beklagen auf Seite 2 den Rückgang der Zahl derBau- wohl zugestanden, den Versuch zu machen, die eigenen genehmigungen und fragen, wo denn hierfür die Gründe Versäumnisse nun der Regierung in die Schuhe zu schie- zu suchen sind. Dafür nennen Sie vier Gründe, nämlich ben, aber Sie gestalten diesen Versuch wirklich sehr, sehr erstens – natürlich wie immer – die Ökosteuer, zweitens dürftig. die Beschränkung befristeter Arbeitsverträge, drittens den Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit und viertens die Aus- Gleich zu Beginn Ihres Antrags „Offensive für dieweitung der betrieblichen Mitbestimmung. Bauwirtschaft“ schreiben Sie, dass dieBeschäftigten- zahlen im Bauhauptgewerbe von 1,4 Millionen im Jahr (Zuruf von der CDU/CSU: Genauso ist es!) 1995 auf 930 000 im März 2001 zurückgegangen sind. Meine Damen und Herren, um die schlechten Rah- (B) (D) (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Stimmt es oder menbedingungen der Bauwirtschaft durch die Einführung stimmt es nicht?) der Ökosteuer erklären zu wollen, bedarf es schon fast des Hilfsmittels einer nicht mehr besonders seriösen Ar- – Ja, ja, Herr Merz. – Fast 500 000 Menschen sind seit gumentation. Sie arbeiten hier einfach nach dem Motto: 1995 arbeitslos geworden oder wurden nicht mehr ersetzt. Wenn wir Opposition betreiben müssen – das tun Sie of- Diese Tendenz zeigte sich ganz besonders in den neuen fensichtlich sehr ungern –, dann sind wir nicht verpflich- Bundesländern. Aber glauben Sie wirklich, Herr Merz, tet, neue Vorschläge zu machen, sondern können wirklich wenn Sie das Jahr 1995 als Vergleich heranziehen, dass alles auf die Ökosteuer schieben. In dieser Diskussion ist die Menschen vergessen haben, dass Sie 1995, 1996, 1997 das aber der völlig falsche Ansatz. Wenn Sie sich ein klei- und fast das komplette Jahr 1998 unter einem Bun-nes bisschen ernsthaft mit der Bauwirtschaft beschäfti- deskanzler Helmut Kohl die Regierungsverantwortung gen, dann werden Sie schnell lernen, dass es sich um eine getragen haben? der arbeitsintensivsten Branchen in unserem Land han- delt. Das heißt, es gibt kaum eine andere Branche, in der (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Wir sind auf die Entlastungswirkung bei den Lohnnebenkosten keiner Gewerkschaftskundgebung! Sie brau- stärker gezogen hat als in der Bauwirtschaft. Das heißt, chen nicht so zu schreien!) die Verteuerung von Energie wurde in der Bauwirtschaft Das heißt, dass die Ursachen für den Rückgang der Be- mehr als kompensiert. Von daher ist dieser von Ihnen an- schäftigung zu einem ganz wesentlichen Teil in einem Zeit- geführte Punkt ein Eigentor. raum liegen, den Sie zu verantworten hatten. Das geht auf (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ihr Konto und nicht auf das von irgendjemand anderem. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Auch der zweite Punkt, die Einschränkung befristeter Ich habe ja darauf gewartet, dass Sie wieder schreien: Arbeitsverträge, zeugt von mangelnder Recherche oder „Wir sind auf keiner Gewerkschaftskundgebung!“. Sie von geringer Kenntnis. Wie kaum eine andere Branche müssen sich einmal entscheiden: Am 4. April haben wir nutzt die ostdeutsche Bauwirtschaft die Möglichkeit, hier über die Bauwirtschaft geredet. Dabei hat Ihr Kollege befristete Arbeitsverträge abzuschließen. Das Bauge- Ernst Hinsken gesagt – ich kann das durchaus noch ein- werbe war hier auf dem Weg zu einem Saisongewerbe. mal zitieren –: Erst durch die richtigen Korrekturmaßnahmen der Bundesregierung wird die Möglichkeit, befristete Ar- Herr Wiesehügel, das ist an Sie gerichtet. Ich be-beitsverträge abzuschließen, wieder ihrem eigentlichen dauere sehr, dass Sie heute nicht sprechen. Denn ich Sinn zugeführt. 17762 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001

Klaus Wiesehügel (A) Es ist schon abenteuerlich, nun denRechtsanspruch Die Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die(C) auf Teilzeitarbeit für die Schwierigkeiten des produzie- Grünen haben deshalb ein Eckpunktepapier zur Bekämp- renden Baugewerbes verantwortlich machen zu wollen. fung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit ver- Wer sich nur ein kleines bisschen in der Bauwirtschaft abschiedet, allerdings ohne Ihre Unterstützung. Wie soll- auskennt, muss dieses Argument einfach als lachhaftten sie das auch mit Ihrer Unterstützung tun können; Ihre empfinden. Die meisten Menschen legen doch weiteKonzepte sind ideologisch falsch wie immer: Senkung Strecken zu den Baustellen zurück. Deshalb kann ja nun von Steuern und Sozialabgaben, ohne dass Sie den Men- gerade in diesem Bereich dieses Argument nun wirklich schen sagen wollen, wie denn die Gegenfinanzierung nicht verfangen. funktionieren soll. Noch lustiger wird es dann, wenn Sie in Ihrem Antrag Nein, die Probleme der Bauwirtschaft liegen woan- behaupten, dass die Bundesregierung die Rahmenbedin- ders. Auch Illegalität und Schwarzarbeit haben ihre Ursa- gung für den Bau durch eine Ausweitung der betriebli- chen in weiter zurückliegender Zeit. Es war die Bundes- chen Mitbestimmung drastisch verschlechtert habe. regierung in den 90er-Jahren, die es versäumt hat, bei der Dass Sie sich vehement gegen die Reform des Betriebs- Gestaltung Europas die Angleichung der Sozialsysteme verfassungsgesetzes gewehrt haben, konnte man in die- gleich mitzufordern. Es war Ihr ehemaliger Bundeskanz- sem Hause ja sehr lautstark zur Kenntnis nehmen. Dass ler, der auf dem europäischen Gipfel in Luxemburg eine Sie nun allen Ernstes alle Probleme dieser Welt genau wie gemeinsame europäische Arbeitsmarktpolitik geradezu bei der Ökosteuer auf diesen Umstand zurückführen wol- verhindert hat. Immer wieder haben Sie Ihre ideologi- len – schon zu einem Zeitpunkt, zu dem noch nicht eine schen Konzepte gegen die berechtigten Interessen auch einzige Betriebsratswahl nach dem neuen Gesetz einge- der anderen Länder massiv und hart durchgesetzt und da- mit Europa Steine in den Weg gelegt, die nicht so leicht läutet wurde –, das zeigt nun wirklich, dass Sie sich nicht wieder wegzuräumen sind. um ernsthafte Lösungen bemühen, sondern populistisch von Ihren eigenen Versäumnissen ablenken wollen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich bin froh, dass wir jetzt eine neue Bundesregierung der PDS) haben und eine neue Politik erleben. Es ist Gerhard Schröder zu verdanken, dass in Göteborg eine sieben- Die Bauwirtschaft kann ihre Umsätze erst dann er- jährige Übergangsfrist für Dienstleistungs- und Arbeit- zielen, wenn aus weit zurückliegender Planung Investi- nehmerfreizügigkeit vereinbart wurde. Das gibt den Betei- tionsentscheidungen und aus umfangreicher Berechnung ligten in der Bauwirtschaft zu Recht die Hoffnung zurück, endlich Stein und Beton werden. Deshalb müssen die Ur- dass Ihre ungezügelte Deregulierungswut, wenn auch sachen für ihre Probleme immer für einen mindestens mühsam, repariert wird und nun positive Kapitel auch für (B) zwei bis drei Jahre – meistens noch viel länger – zurück- diesen Wirtschaftsbereich aufgeschlagen werden. (D) liegenden Zeitraum beziffert werden. Es sind viele Dinge auf einem guten Weg. Vieles geht Wenn nicht gerade auf offenem Podium, so werden nicht so schnell, wie es sich die Beteiligten vielleicht Sie doch wohl insgeheim zugeben, dass die von Ihnen wünschen. Es ist nun mal ungeheuer schwierig, einen vielleicht wohl gemeinte, aber schlecht gemachteüberschuldeten Haushalt in Ordnung zu bringen und Fehlsteuerung der Bauwirtschaft in den neuen Län- gleichzeitig alle Wünsche zu erfüllen. Aber wir sehen dern eines der Hauptübel ist. Die 50-prozentige Sonder- heute, dass in den Ländern, in denen die Haushalte in abschreibung in den neuen Bundesländern hat zum Auf- guten Zeiten in Ordnung gebracht wurden, viel mehr kon- bau viel zu vieler Kapazitäten geführt, die sich nur sehr junkturstützende Maßnahmen möglich sind als bei uns. mühselig wieder vom Markt verabschieden wollen. Hätten Sie in der Zeit Ihrer Regierungsverantwortung mit dem Schuldenabbau schon mal angefangen, hätten wir Darüber hinaus weiß jeder, der das Baugewerbe kennt, heute ausreichende Mittel, um all die Maßnahmen zu dass nicht nur das plötzliche Aufkommen von zahlreichen verwirklichen, die Sie jetzt ohne glaubhafte Finanzierungs- Anbietern den Markt belastet; durch den künstlichenalternative in der Sorglosigkeit einer Opposition vortragen. Boom entstand vielmehr auch sehr schnell ein idealer Nährboden für Schwarzarbeit und Illegalität. Es sind ge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten rade diese Illegalität und Schwarzarbeit, die der Branche des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) erheblich zu schaffen machen, mittlerweile nicht nur durch Die deutsche Bauwirtschaft braucht Hilfe, gar keine die Verdrängung von soliden Anbietern, sondern auchFrage; aber was sie überhaupt nicht braucht, sind Kroko- durch die unrentierliche Durchführung von Aufträgen. dilstränen. Wir sind uns einig – das entnehme ich auch Ihrem An- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ trag –, dass Schwarzarbeit und Illegalität für die Bau- DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD: Bravo! – wirtschaft ein Grundübel darstellen. Nur, wenn man liest, Sehr gut!) was Sie hier als Lösungsvorschläge einbringen, wird ei- nem noch einmal sehr deutlich, warum Sie dieses Pro- blem nie ernsthaft bekämpfen konnten. Die Wettbe- Vizepräsidentin Anke Fuchs: Ich erteile das Wort werbsverzerrungen am Baumarkt entstehen durch die dem Kollegen Peter Rauen für die CDU/CSU-Fraktion. Hinterziehung von Steuern und Sozialversicherungs- beiträgen sowie durch Verstöße gegen das Arbeitnehmer- Peter Rauen (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Entsendegesetz. lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17763

Peter Rauen (A) hier über Möglichkeiten zur Wiederbelebung der deut- und die dann in Insolvenz gehen, wie Friedrich Merz Ih- (C) schen Wirtschaft und des Arbeitsmarktes. Es ist – da- nen heute Morgen gesagt hat. 14 500 Insolvenzen in den mit komme ich zum Anfang zurück – schon beschämend, ersten fünf Monaten dieses Jahres! dass bei einer so wichtigen Debatte weder der Wirt- Jetzt komme ich zu Ihnen zurück, Herr Wiesehügel. schaftsminister noch der Arbeitsminister anwesend ist. Die Steuerreform hat meinen Mitarbeitern im Durch- Ich habe vorhin mit ein bisschen Erschrecken den Jubel schnitt 80 DM Erleichterung im Monat gebracht. Am vernommen, als Sie den Hammelsprung gewonnen hatten 1. April hatten wir im Baugewerbe eine Lohnerhöhung und die beiden nicht herbeizitiert werden konnten. Meine von 1,7 Prozent. Davon hat der Junggeselle 31 DM netto Damen und Herren, Sie können sich heute noch darüber mehr, der Verheiratete 50 DM netto mehr. Bleiben wir bei hinwegmogeln, aber wir können die Konjunktur dem in Mittel von 40 DM. Wenn Sie die 80 DM und die Deutschland nicht mehr gesundbeten. Sie werden brutal 40 DM addieren, sind wir bei 120 DM. Bei zwölf Mona- von der Wirklichkeit eingeholt werden; das prophezeie ten sind das 1 440 DM im Jahr. Jetzt kommt noch das ich Ihnen. Dann werden auch der Wirtschaftsminister und Weihnachtsgeld von 55 Prozent hinzu; dann sind wir bei der Arbeitsminister hier sitzen. rund 1 500 DM. Ich hätte von Herrn Müller schon gern gehört, was er Herr Wiesehügel, wenn meine Mitarbeiter, die seit Jahr- zu seiner Äußerung sagt, dass wir jetzt ein Nullwachstum zehnten ihr eigenes Heim haben, im letzten Oktober ihren haben werden. Ich hätte schon gern gehört, wie er dieHeizöltank mit 3 000 Litern gefüllt haben, haben sie Dinge sieht. Wir haben ja im Jahr 2000 beginnend von 1 500 DM mehr bezahlt als ein Jahr vorher. Das heißt, die Steuerreform und die Lohnerhöhung sind durch die enorme Quartal zu Quartal einen dramatischen Rückgang des Verteuerung der Energie völlig konterkariert worden. Wachstums in Deutschland. Was dabei erschreckt, ist die Kürze der Zeit, in der selbst die führenden Institute ihre (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zu- Prognosen revidieren müssen. ruf von der SPD: Das Heizöl wird genauso be- steuert wie vor zwei Jahren! Da hat sich gar Als wir über die Steuer diskutierten, habe ich von die- nichts geändert!) ser Stelle aus gesagt: Wer eine solche Politik gegen Mit- telstand und Arbeitnehmer in Deutschland macht, der– Es wäre gut, wenn Sie zuhörten; wird auf dem Arbeitsmarkt scheitern. (Zuruf von der SPD: Es wäre besser, wenn Sie (Beifall bei der CDU/CSU) nicht falsche Beispiele brächten!) Sie haben damals lautstark protestiert. Heute sagen Sie denn ich merke schon, dass auch Sie beginnen, über diese nichts mehr; Sie gucken nur noch betreten. Sie habenDinge nachzudenken. (B) schon gespürt, wohin die Reise geht. (Zuruf von der SPD: Sie sollten nicht die Un- (D) Ich möchte zu Herrn Wiesehügel kommen, der ja ein in wahrheit erzählen!) Tarifpolitik erfahrener Mann ist. Herr Wiesehügel, die Da sind die Spritmehrkosten überhaupt noch nicht Steuerreform Ihrer Regierung ist vor die Wand gefahren. drin, da sind auch die Strommehrkosten überhaupt noch Die Wirkungen sind völlig nutzlos verpufft. nicht drin. Das heißt, unsere Arbeitnehmer haben einen (Klaus Wiesehügel [SPD]: Das glauben Sie realen Kaufkraftverlust in einem hohen Maße. Das gilt selbst nicht!) nicht nur für die Bauarbeiter, das gilt nicht nur für die Ei- genheimbesitzer. Auch diejenigen, die zur Miete wohnen, – Ja, doch; Sie kennen doch die Zahlen. Ich beweise es haben Nebenkostenrechnungen, wonach sie aufgrund der Ihnen am Beispiel meiner Mitarbeiter. Ich finde es be- Energiepreiserhöhungen pro Quadratmeter und Monat sonders erschreckend, wie despektierlich hier mit dem zwischen 50 und 90 Pfennig mehr bezahlen müssen. Thema Wachstum und Arbeitsmarkt umgegangen wird, Jetzt hören Sie auf, uns hier weismachen zu wollen, das während man selbst im Moment darum kämpft, seine wäre ein Problem der Konzerne, meine Damen und Herren. rund 100 Mitarbeiter durch diese Zeit zu bekommen. Herr Wiesehügel, das sind Männer, die seit zehn, 15, 20, (Zuruf von der SPD: Das Heizöl hat mit der Be- 30 Jahren bei mir arbeiten, von denen ich den größten steuerung überhaupt nichts zu tun, Herr Rauen! Teil selbst ausgebildet habe, die ich privat gut kenne. Das wissen Sie doch! Sie reden doch wider bes- Wenn man dann eine Zeit erlebt, in der man unter Geste- seres Wissen!) hungskosten anbietet und selbst dann noch keine Arbeit Natürlich haben wir eine Erhöhung der Ölpreise; das ist bekommen kann, dann wissen Sie – zumindest können wahr. Aber die Ölpreise werden in Dollar fakturiert, und Sie eine Ahnung davon haben –, wie sehr man kämpft, wir haben einen schwachen Euro. Deshalb müssen wir um seine Mitarbeiter durch diese Zeit hindurchzubekom- 30 Prozent mehr für den Liter Öl bezahlen als noch vor men. dieser Schwäche des Euro. Wenn auch einer wie ich noch Substanz einsetzen Natürlich kommen in diesem Bereich noch die Belas- kann, um die Leute zu halten, so bitte ich Sie doch, sich tungen durch die Ökosteuer hinzu. einmal zu überlegen, wie das bei den jungen Firmen in den neuen Bundesländern ist, die keine Chance hatten, (Karl Diller, Parl. Staatssekretär: Beim Heizöl Substanz anzusammeln, ist gar nichts passiert! – Gegenruf der Abg. Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Vier Pfennig! (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Erste Stufe!) 17764 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001

Peter Rauen (A) – Herr Diller, ich bin dankbar für den Einwurf; Sie sollten stellt hat. Sie hat festgestellt, dass im Jahr 2000 das reale (C) aber den Zusammenhang kennen: Wenn ich für den Roh- Wachstum mit 3,1 Prozent um 0,4 Prozentpunkte höher stoff Öl 30 Prozent mehr zahlen muss, weil er in Dollar war als das nominale Wachstum. Dieses Phänomen hat es fakturiert wird und der Euro schwach geworden ist, dann im letzten Jahrhundert nur zweimal gegeben: einmal bei gilt das natürlich auch für das Heizöl. Ich habe da also der Weltwirtschaftskrise 1930 und dann noch nach der sehr wohl differenziert. Koreakrise 1953. (Weiterer Zuruf des Parl. Staatssekretärs Karl Wegen dieser Besonderheit habe ich die Regierung an- Diller) geschrieben und habe eine relativ klare Antwort bekom- men. Man hat konstatiert, dass die Kostenbelastung aus Vizepräsidentin Anke Fuchs: Herr Staatssekretär, höheren Energiekosten von vielen Firmen in Deutschland das ist ja ganz interessant, aber wir wollen die Spielregeln nicht in Preise weitergegeben werden konnte. Was heißt einhalten. das? Wenn ich die Kosten nicht weitergeben kann, dann heißt das: verminderte Gewinne, weniger Innovations- und Investitionsfähigkeit und damit wenigerArbeits- Peter Rauen (CDU/CSU): Beim Benzin kommt plätze. Diese Wirkung stellen wir zurzeit fest. In der Ant- natürlich die Ökosteuer hinzu. wort der Regierung wurde ferner konstatiert, dass man Um bei dem Beispiel zu bleiben: Was folgt denn letzt- hoffe, dass die höheren Kosten in der zweiten Hälfte des endlich daraus? Im Frühjahr 2000, Herr Wiesehügel, ha- Jahres doch in Preise umgesetzt werden können. Was ben fast alle Gewerkschaften, alle Tarifpartner für zwei heißt das? Das heißt: höhere Inflation. Jahre Lohnabschlüsse getätigt, wobei sie von einerIn- Genau vor dem Punkt stehen wir heute. Wenn es flationsrate von um 1 Prozent ausgingen. uns nicht gelingt, durch ordnungspolitische Maßnahmen (Klaus Wiesehügel [SPD]: Sie reizen mich, – wie in unserem Papier vorgeschlagen – die Voraus- den Betrieb hier aufzuhalten!) setzungen dafür zu schaffen, dass Wirtschaft stattfinden kann und dass sich Arbeitsplätze entwickeln können, dann Im nächsten Frühjahr haben wir wieder Lohnverhand- geraten wir in eine Lohn-Preis-Spirale, mit der wir im lungen. Ich frage mich: Wie weit soll sich denn diese Lohn-Preis-Spirale noch drehen, wenn keine wirksamen nächsten Frühjahr nicht fertig werden können. Für mich Entlastungen über die Steuer bei den Leuten ankommen? stellt sich nicht die Frage, ob wir das Vorziehen der Steu- erreform finanzieren können. Für mich stellt sich die Sie erwähnen nun immer, dass die Entlastung einge- Frage, ob wir es uns mit Blick auf die Lohn-Preis-Spirale, treten wäre, und meinen damit natürlich, dass die Renten- die jetzt einsetzt, leisten können, die Steuerreform nicht (B) versicherungsbeiträge um 1,2 Prozentpunkte gesenkt wur- vorzuziehen. (D) den. In diesen Tagen hat die AOK Baden-Württemberg ihre Beiträge um 0,7 Prozentpunkte erhöht. (Beifall bei der CDU/CSU) (Zuruf von der CDU/CSU: Wahnsinn!) Wir haben schon einmal einen Kanzler aus Ihrer Partei gehabt, der gesagt hat: Lieber 5 Prozent Inflation als Für die Menschen ist es völlig egal, in welche Tasche das 5 Prozent Arbeitslosigkeit. Geld geht. Sie stellen nur fest, dass immer weniger von ihrem Bruttolohn übrig bleibt. Das ist Faktum. Wenn jetzt (Zurufe von der SPD) diese Erhöhung bei der Krankenkasse kommt, dann wer- Das war genauso dumm wie die Aussage des jetzigen den wir am Ende feststellen, dass die ganze Operation der Kanzlers, der schwache Euro sei nicht so schlimm; er för- Einführung der Ökosteuer zur Senkung der Lohnzusatz- dere den Export. – Das ist wahr: Man kann im Dollarraum kosten eine Chimäre gewesen ist, weil nämlich am Ende deutsche Produkte um 30 Prozent billiger kaufen als noch dieser Operation genauso hohe Lohnzusatzkosten stehen vor zwei Jahren. Aber wir bekommen natürlich für die wie vor dieser Operation. Waren, die wir ausführen, weniger Computer und weniger (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Öl. Das heißt, die Terms of Trade sind dramatisch in den neten der F.D.P.) Keller gegangen. Das hat mit dieser Entwicklung zu tun. Deshalb ist es volkswirtschaftlich von überragender Be- Allerdings werden Sie den Menschen dann insgesamt deutung, jetzt ordnungspolitische Maßnahmen zu ergrei- rund 37 Milliarden DM, einschließlich Mehrwertsteuern, fen, um dieser weiteren Flaute zu entgehen. durch die Ökosteuer aus der Tasche gezogen haben. Des- halb ist diese Steuer das, was wir von Anfang an gesagt Dabei ist doch das, was heute Morgen von vielen Red- haben: Sie ist ökologisch unbrauchbar und dient nur dazu, nern der Regierungskoalition gemacht wurde, äußerst die Menschen abzukassieren. dümmlich – das muss ich schon sagen –, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Widerspruch bei der SPD) neten der F.D.P.) nämlich einen Widerspruch zwischen Friedrich Merz und Ich sage es noch einmal: Sie werden viel schneller von Frau Merkel in unserem Antrag zu konstatieren. der Wirklichkeit eingeholt werden, als Sie es sich zurzeit (Lachen bei Abgeordneten der SPD) noch erträumen. Was wir im Moment sehen, ist der Gip- fel eines Eisberges. Sie haben zu wenig das beachtet, was – Sie haben unseren Antrag nicht gelesen. Der Antrag ist die Bundesbank bereits im Februar dieses Jahres festge- von Angela Merkel und von Friedrich Merz und von der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17765

Peter Rauen (A) gesamten Fraktion gestellt worden. Darin gibt es keinen Ihre Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitsmarktpolitik ist (C) Widerspruch. gescheitert. Sie werden es sich bald nicht mehr leisten können, dass die wichtigen Minister bei einer solchen De- (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- batte nicht anwesend sein können. NEN]: Welcher von wem?) – Ich weiß, Sie bauen darauf, mit diesen Dümmlichkeiten Schönen Dank. Differenzen bei uns hineinzutragen, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Zurufe von der SPD: Nein, nein! – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vizepräsidentin Anke Fuchs: Ich schließe die Aus- NEN) sprache. um Ihre Schwächen und Ihre schwache Politik zu über- Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf tünchen. – Sie werden sich wundern. Sie werden von der Drucksachen 14/6436 und 14/6315 an die in der Tages- Realität der Wirtschaft eingeholt. ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Meine Damen und Herren, Sie werden es erleben – das Sie damit einverstanden? – Dann sind die Überweisungen sage ich jetzt, und ich werde in einem halben Jahr darauf so beschlossen. zurückkommen –: Dieser Kanzler, der momentan nicht Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- hier ist, hat gesagt, er möchte an den Erfolgen auf dem empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialord- Arbeitsmarkt gemessen werden; der Arbeitsmarkt sei das nung auf Drucksache 14/6199 zu dem Antrag der Fraktion Spiegelbild einer guten oder schlechten Wirtschafts-,der CDU/CSU mit dem Titel „Arbeitslosenversicherungs- Finanz- und Sozialpolitik. – Auf diesem Arbeitsmarktbeitrag senken“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag der sind Sie bereits gescheitert, Sie nehmen das nur nochFraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/4377 abzu- nicht wahr, meine Damen und Herren. lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Die Gegenprobe! – Enthaltungen? – Gegen die Stimmen Zurufe von der SPD) der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. ist die Be- schlussempfehlung angenommen. Sie konnten zwei Jahre im Trüben fischen, weil die Zählweisen umgestellt wurden. Schauen Sie sich die Daten Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- jetzt genau an. Seit 1997 war in Deutschland eine Zunahme empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Techno- der Erwerbsstunden – und nur darauf kommtlogie esauf Drucksache 14/6198 zu dem Antrag der Fraktion an – zu verzeichnen. Das hat sich 1998 fortgesetzt; 1999 ist der PDS mit dem Titel „Kleinunternehmer-Hilfefonds ef- die Zunahme abgeflacht und im Jahr 2000 zum Stillstand fektiv organisieren und gesetzliche Voraussetzungen für (B) (D) gekommen. Es kommt nicht auf die Kopfzahlen an, meine eine Nachfolgeregelung schaffen“. Der Ausschuss emp- Damen und Herren, sondern auf die Stunden, die in Er- fiehlt, den Antrag der Fraktion der PDS auf Drucksa- werbstätigkeit geleistet werden. Darauf beziehen sich die che 14/5559 abzulehnen. Wer ist für diese Beschluss- Steuern und Abgaben, die gezahlt werden, und danach rich- empfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Gegen tet sich unser Wirtschaftswachstum. In diesem Bereich ist die Stimmen der Fraktion der PDS ist die Beschluss- der Arbeitsmarkt aber bereits zum Erliegen gekommen. empfehlung angenommen. (Zustimmung bei der CDU/CSU) Zusatzpunkt 10: Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/6446 an die in der Tages- Schreiben Sie sich bitte noch ein Letztes ins Stamm- ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Da- buch. Schauen Sie sich die Zahlen des Statistischen Bun- mit sind Sie einverstanden. Dann ist die Überweisung so desamtes und der Bundesanstalt für Arbeit an. In den Jah- beschlossen. ren 1999 und 2000 ist die Zahl der Arbeitslosen um 390 000 zurückgegangen. In demselben Zeitraum sind aus Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 21 a bis 21 c demographischen Gründen 436 000 Menschen mehr in auf: Rente gegangen als in das Erwerbsleben eingetreten. Da wir im Januar, Februar, März, April und Mai dieses a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- Jahres eine saisonbedingte Zunahme der Arbeitslosigkeit gierung eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zu verzeichnen hatten – zur Aufhebung des Rabattgesetzes und zur An- passung anderer Rechtsvorschriften – Drucksache 14/5441 – Vizepräsidentin Anke Fuchs:Herr Kollege, bitte (Erste Beratung 164. Sitzung) kommen Sie zum Schluss. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- ses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) Peter Rauen (CDU/CSU): – ich komme zum Schluss –, können Sie, wenn Sie die Mai-Zahlen 1999 – Drucksache 14/6459 – mit den Mai-Zahlen des Jahres 2001 vergleichen, feststel- Berichterstattung: len, dass es nur noch 276 000 Arbeitslose weniger gibt; Abgeordnete Birgit Roth (Speyer) aber aus demographischen Gründen sind 450 000 Men- schen mehr in den Ruhestand gegangen als in dasb) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Erwerbsleben eingetreten. desregierung eingebrachten Entwurfs eines 17766 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001

Vizepräsidentin Anke Fuchs (A) Gesetzes zur Aufhebung der Zugabeverord- dere der Richtlinie zum elektronischen Geschäftsverkehr, (C) nung und zur Anpassung weiterer Rechts- einschätzen. Eine deutliche Mehrheit hat sich dafür aus- vorschriften gesprochen, sowohl das Rabattgesetz als auch die Zuga- – Drucksache 14/5594 – beverordnung abzuschaffen. (Erste Beratung 164. Sitzung) Seitdem wird dieses Thema öffentlich diskutiert. Wir haben zahlreiche Anfragen und Stellungnahmen von Un- – Zweite und dritte Beratung des von den Abge- ternehmen bekommen, die belegen, dass dort ein großes ordneten Rainer Funke, Rainer Brüderle,Interesse an der Nutzung neuer Angebotsformen vorhan- Hildebrecht Braun (Augsburg), weiteren Abge- den ist. ordneten und der Fraktion der F.D.P. einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpas- Wir sind uns – ich denke, parteiübergreifend – darin sung des deutschen Zugaberechts an dieeinig, dass das Rabattgesetz und die Zugabeverordnung in EU-Richtlinie über den elektronischen Ge- der geltenden Form nicht mehr haltbar sind. Die Gesetze schäftsverkehr (ZugaberechtsanpassungsG) entsprechen übrigens nicht mehr der Rechtswirklichkeit – Drucksache 14/4424 – (Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Da müssen Sie (Erste Beratung 133. Sitzung) aber viele Gesetze abschaffen, zum Beispiel die Straßenverkehrsordnung!) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus- schusses (6. Ausschuss) und werden, wie wir alle wissen, Herr Feibel, in vielen – Drucksache 14/6469 – Fällen ohne Unrechtsbewusstsein umgangen. Berichterstattung: Der mündige Verbraucher ist in aller Regel in der Lage, Abgeordnete Dirk Manzewski Rabatt- und Zugabeangebote richtig einzuschätzen und Dr. Susanne Tiemann sich in seinem Kaufentschluss nicht durch falsche An- Volker Beck (Köln) preisungen verleiten zu lassen. Er erwartet heute bei höher- Rainer Funke wertigen Konsumgütern entsprechende Preisnachlässe und Dr. Evelyn Kenzler fordert sie auch ein. Erfahrungen aus dem europäischen Ausland – ich denke insbesondere an die Niederlande oder c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Österreich – zeigen, dass die Verbraucher vernünftig mit richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno- Rabatten und Zugaben umgehen können. logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- neten Hartmut Schauerte, Gunnar Uldall, Dagmar Der Handel und die Anbieter von Dienstleistungen (B) Wöhrl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion können durch die Liberalisierung zusätzliche Spielräume (D) der CDU/CSU gewinnen. Neuartige Absatz- und Marketingstrategien, wie zum Beispiel eine Verbreiterung des Serviceange- Innovation und fairer Wettbewerb im Handel botes mittelständischer Unternehmen, werden den Wett- nach Abschaffung von Rabattgesetz und Zuga- bewerb zweifellos intensivieren. beverordnung – Drucksachen 14/5751, 14/6463 – Sicherlich wird die Zunahme der Wertreklame neue Ebenen des Wettbewerbes eröffnen. Ich denke, dass die Berichterstattung: Befürchtungen des Einzelhandels, kleinere Unternehmen Abgeordnete Birgit Roth (Speyer) könnten sozusagen durch die Sogwirkung von Kunden- Zu den beiden Gesetzentwürfen der Bundesregierung bindungssystemen großer Anbieter behindert oder sogar liegt jeweils ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS vom Markt verdrängt werden, durchaus ernst zu nehmen vor. sind. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für diese (Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Aha!) Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre Gleiches, Herr Feibel, gilt für das Argument, der Zugabe- keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. wettbewerb könne in bestimmten Fallkonstellationen eine Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Preisverschleierung zum Nachteil der Verbraucher nach Staatssekretär Eckhart Pick. sich ziehen. Wir haben deshalb beim Bundesministerium der Jus- Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- tiz eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die die Auswirkun- ministerin der Justiz: Frau Präsidentin! Meine Damen und gen der Aufhebung der beiden Gesetze beobachtet, analy- Herren! Vor genau einem Jahr hatten wir in diesem Hause siert und gegebenenfalls zeitnah Lösungsvorschläge ent- vonseiten des Bundeswirtschaftsministeriums und des wickeln soll. Bundesjustizministeriums eine große Anhörung, an der (Beifall bei Abgeordneten der SPD) rund 70 Organisationen und Institutionen des Handels und des Handwerks teilgenommen haben. Ebenfalls beteiligt Ihr gehören Vertreter der betroffenen Spitzenverbände, waren die Industrie und die Verbraucherseite. Wir wollten also auch des Einzelhandels, der Rechtspraxis und der wissen, wie die Betroffenen die Zukunft des Rabattgeset- Rechtswissenschaft an. Diese Arbeitsgruppe hat bereits zes und der Zugabeverordnung vor dem Hintergrund der einmal getagt, ihre zweite Sitzung ist in diesen Tagen neueren europäischen Rechtsentwicklungen, insbeson- vorgesehen. Die Befürchtungen des Einzelhandels hin- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17767

Parl. Staatssekretär Dr. Eckhart Pick (A) sichtlich der Kundenbindungssysteme werden in dieser zept für die wünschenswerte und notwendige Harmoni- (C) Arbeitsgruppe mit Sicherheit eine große Rolle spielen. sierung des Wettbewerbsrechts auf der europäischen Ebene zu erarbeiten. Im Gegensatz zu den Kollegen der CDU/CSU und der PDS glauben wir nicht, dass die allseits geforderte Libe- In diesem Zusammenhang sind zwei weithin aner- ralisierung des Rabatt- und Zugaberechts durch neue Auf- kannten Fachleute, Professor Schricker vom Max-Planck- fangnormen abgefedert werden müsste. Ich denke, dass Institut in München und Professor Fezer von der Univer- auch die Anhörung in dieser Woche diese Einschätzung sität Konstanz, mit Gutachten beauftragt worden. Diese bestätigt hat. Das Bundeskartellamt und die Landeskar- Gutachten werden die Grundlage zur Beantwortung der tellbehörden werden in Zukunft die Entwicklung des Ra- Frage sein, inwieweit aus deutscher Sicht Reformbedarf batt- und Zugabewettbewerbs sehr intensiv verfolgen, ich auf europäischer Ebene besteht. Die Expertengruppe wird betone: auch verfolgen müssen. Sie sehen sich aufgrund ihre Arbeit mit Hochdruck fortsetzen und damit schon des bestehenden Instrumentariums im Kartellgesetz in der bald verwertbare Ergebnisse erzielen können. Lage, Behinderungen mittelständischer Unternehmen Meine Damen und Herren, in der Tat sind gleiche durch die marktstarke Konkurrenz zu begegnen. Für den „Spielregeln“ auf europäischer Ebene erforderlich, damit mittelständischen Handel bietet sich außerdem die Mög- in allen Bereichen der Werbung und der Verkaufsförde- lichkeit, auf regionaler Ebene Zusammenschlüsse zu bil- rungsmaßnahmen Chancengleichheit gewährleistet wer- den und entsprechende Kundenbindungssysteme zu ent- den kann. Die Bundesregierung wird sich mit Nachdruck wickeln. für dieses Ziel einsetzen. Ich darf nochmals an die Anhörung in dieser Woche er- Vielen Dank. innern. Der Vertreter eines City-Card-Modells von Ge- werbetreibenden – aus einer bayerischen Kleinstadt übri- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gens – hat uns in dieser Anhörung sehr plastisch de- DIE GRÜNEN) monstriert, dass solche Systeme ausgesprochen erfolg- reich operieren können. Vizepräsidentin Anke Fuchs: Für die CDU/CSU- Im Übrigen bieten die wettbewerbsrechtlichen Gene- Fraktion erteile ich dem Kollegen Hartmut Schauerte das ralklauseln – ich denke an §§ 1 und 3 UWG – und die Be- Wort. stimmungen der Preisangabeverordnung, die ja nach wie vor Bestand haben, den Gerichten ausreichende Möglich- Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Frau Präsidentin! keiten, um wettbewerbswidrigen anreißerischen oder ir- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie reführenden Werbemaßnahmen entgegenzusteuern. Wenn mir eine Vorbemerkung: An dem heutigen Tag haben (B) (D) ich die gegenwärtige Rechtsprechung auswerte, dann wichtige wirtschaftspolitische Debatten wie die über die besteht für mich kein Zweifel, dass die Gerichte diesen wirtschaftliche Entwicklung in den neuen Ländern und Spielraum auch ausnutzen werden. über die gesamtwirtschaftliche Entwicklung im Vorder- Ich darf daran erinnern, dass der Bundesgerichtshof grund gestanden. Jetzt folgt diese Debatte. Wir müssen schon im Vorfeld der Gesetzesinitiative in seinen Ent- nun feststellen, dass der Wirtschaftsminister bedauerli- scheidungen etwa zur Zulässigkeit der Bonusmeilen-Pro- cherweise bei all diesen Debatten fehlt, überhaupt keine gramme oder zur Abgabe kostenloser Handys bei Ab-Zuständigkeit mehr zu haben scheint. schluss von Telefonkartenverträgen Kriterien festgelegt Gerade hat Staatssekretär Pick angekündigt, dass die hat, die die notwendige Transparenz von Zugabeangeboten Justizministerin zur Weiterentwicklung des europäischen sicherstellen. Neue Formen der Rabattgewährung, wie etwa Wettbewerbsrechts eine Arbeitsgruppe eingesetzt hat. das Powershopping, werden von den Gerichten im Hinblick Hiermit ist wieder ein Kernbereich der Wirtschaftspolitik auf die geplante Änderung der Rechtslage schon jetzt ganz vom Justizministerium übernommen worden. bewusst unter dem Gesichtspunkt des § 1 UWG geprüft. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir werden sicherlich nicht verhindern können, dass einige Anbieter die gewonnenen Spielräume für miss- Ich habe fast den Eindruck, dass wir über kurz oder bräuchliche Werbung ausnutzen. Das ist wohl festzuhal- lang gar nicht merken würden, wenn es keinen Wirt- ten. Aber wir sind auch keine Propheten. Deswegen kön- schaftsminister mehr gäbe, weil es ihn eh schon seit ge- nen wir noch nicht sagen, in welchen konkreten Bereichen raumer Zeit nicht mehr gibt, jedenfalls nicht hier im etwaige Probleme auftreten werden. Aus diesem Grunde Hause. denken wir, dass Auffangregelungen zurzeit kontra- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) produktiv sind. Sie würden nämlich neue Auslegungspro- bleme hervorrufen und den gewünschten Liberalisie- Er war einmal richtig gut, nämlich als er eine sehr po- rungseffekt konterkarieren. lemische Rede – erstaunlicherweise – zugunsten von gehalten hat. Das war sein bester Tag Auch in dieser Frage wird die bereits angesprochene überhaupt. Arbeitsgruppe beim Bundesministerium der Justiz für eine strikte und fachgerechte Begleitung und Kontrolle (Andrea Fischer [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Trittin!) der Rechts- und Wirtschaftspraxis stehen. Aufgabe dieser Arbeitsgruppe ist es außerdem, das deutscheWettbe- Aber bei sämtlichen Debatten zu Themen, die sein werbsrecht zu modernisieren und ein tragfähiges Kon- Amt betreffen, ist er nicht da. Ich finde das ausgesprochen 17768 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001

Hartmut Schauerte (A) alarmierend und bedauerlich. Das zeigt, welchen Rang dass ich als jemand, der zu kleinen Unternehmenseinhei- (C) die Wirtschaftspolitik in dieser Regierung – Herr Staffelt, ten und auch zu großer Nähe nach unten sowie zum Sub- darüber sollten Sie einmal nachdenken – überhaupt noch sidiaritätsprinzip Ja sagt, bei folgendem Umstand hell- einnimmt. wach werde: Je größer einer im Markt ist, umso heftiger ist sein Begehren danach, dass dieses Gesetz fällt. Je klei- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ner er im Markt ist, umso seltener ist das zu hören. Dies Nun zum Thema! Rabattgesetz und Zugabeverordnung muss alle, die die gleiche Denkweise haben, zumindest sind durch Wirklichkeit, Praxis, Verhalten der Marktteil- neugierig machen. Was steckt dahinter, dass bei den nehmer, Europäisierung und technologische Entwicklung großen Unternehmen die Abschaffung dieser Gesetze ab- – Stichwort E-Commerce – nicht mehr aufrechtzuerhal- solute Priorität hat? ten; das wissen wir seit geraumer Zeit. Der Eindruck hat Das beste Beispiel dafür ist die Lufthansa AG. Dies ist sich aufgrund der Entwicklungen, die wir alle kennen und mittlerweile der Monopolbetrieb in Deutschland. Wir alle hellwach begleiten, verstärkt. Es hätte also ein Gebot der merken das, wenn wir die Flugpreise zu zahlen haben. Klugheit sein müssen zu sagen: Jetzt ist der Zeitpunkt er- Dieses Unternehmen war die Speerspitze dieser Aktion. reicht, an dem der Nutzen, den diese Gesetze haben sol- Das ist also schon interessant. len, abnimmt und die Behinderungen, die diese beiden Gesetze mit sich bringen, zunehmen, wir sie also ab- Herzlichen Glückwunsch auch an die cleveren Kun- schaffen sollten. Was aber muss darüber hinaus bedacht den, die die Vorteile, die sich nun ergeben, besser nutzen werden? können! Es gibt sehr vieles – neue Formen des Vertriebs Diese Gesetze sind ja nicht grundlos in die Welt gesetzt oder neue Marketingansätze –, das lebendig ist, schön ist worden; die Ziele existieren weiter. und Mut macht, weil es passt. (Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: So ist es!) Es kann aber auch Verlierer geben. Ich sage das nicht als Bedenkenträger, sondern aufgrund einer nüchternen Die Ziele waren erstens die Preistransparenz, zweitens die Analyse. Ich frage mich, ob die Verbraucher insgesamt Konzentrationsverlangsamung und ein gewisser Schutz kurzfristig bzw. langfristig gewinnen oder verlieren. Es für kleine Unternehmen und drittens Marktwirtschaft statt muss die Frage gestellt werden: Was macht der Handel, Machtwirtschaft zu ermöglichen und zu optimieren; so wenn diese Geschäfte abgeschafft sind? Es wird weniger kann man es vielleicht umschreiben. Das waren die ei- die Händler mit einem Massensortiment treffen – dort gentlichen Ziele dieser Gesetze. Diese bleiben wichtige fährt der Kunde mit dem Einkaufswagen zur Kasse und an Ziele der Wirtschaftspolitik. der Kasse kann nicht mehr gehandelt werden –, aber den Deswegen muss sich ein verantwortlicher Gesetzgeber Facheinzelhandel, der mit qualifizierten Gütern handelt. (B) dann, wenn er erkennt, dass die eigentlichen Ziele durch Wenn konsequent gehandelt wird und Schnäppchenjäger (D) die Gesetze nicht mehr so geschützt werden, wie es ur- 20 bis 40 Prozent der Kundschaft ausmachen, so muss der sprünglich gedacht war, und er beschließt, die Gesetze ab- Einzelhandel darauf reagieren. zuschaffen, fragen: Was brauche ich stattdessen? Brauche Ich will das Bemühen des Kunden nicht verteufeln, ich stattdessen überhaupt etwas oder schaffen wir sie ab aber man muss berücksichtigen, dass der Einzelhandel und schauen erst einmal, was dann passiert? Wenn dann entsprechend reagieren wird. Ich sage Ihnen: Der vor- etwas passiert, schauen wir, ob wir die Gesetzgebungs- sichtige Kaufmann wird seine Preise rechtzeitig erhöhen, maschine wieder in Gang setzen. – Das ist der eigentliche um im Einzelfall größere Nachlässe geben zu können; Konflikt, über den wir heute reden. Es geht um nicht viel denn die Margen im Handel – wir haben in Deutschland anderes; damit hier gar keine falschen Illusionen aufkom- im Einzelhandel die geringsten Margen aller europäischer men. Länder – sind nicht so groß und der Kaufmann kann bei Ich bleibe dabei: Diese Ziele bleiben wertvoll. Und wir der Gewährung von Nachlässen nicht an seine Substanz fragen, ob diese Ziele durch die Vorgehensweise der Bun- gehen. desregierung noch ausreichend geschützt sind oder nicht. (Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: So ist es!) Es geht also darum, ob diese Gesetze ersatzlos abge- schafft werden können oder ob nicht das eine oder andere Es gibt also nicht sehr viel Spielraum. Ich denke, das se- Element in Form einer anderen Regelung erhalten bleiben hen diejenigen, die die Situation kennen, gleichermaßen. muss. Eine Frage ist auch, ob es neue Anforderungen gibt, Mittelständische Unternehmen haben etwas größere Pro- die man beachten muss, beispielsweise durch die europä- bleme. Ich hoffe, sie sind kreativ genug, um die Verände- ische Entwicklung. Wenn man in diese Systematik ein- rung aufzufangen. greift, sollte man an alle neuen Entwicklungen denken. In vielen Fällen gibt es eine Rechtsunsicherheit; dies Wenn man schon aufräumt, sollte man auch richtig auf- ist auch in den Anhörungen intensiv beklagt worden. Man räumen und nicht nur punktuell und den Rest liegen las- hätte sich in diesem Punkt eine größere Klarheit ge- sen. wünscht. Über diese Frage haben aber weder der Wirt- schaftsminister noch der Justizminister, der das Problem (Beifall bei der CDU/CSU) hätte sehen müssen, nachgedacht. Es wird sicherlich viel Im Falle einer ersatzlosen Abschaffung der Gesetze Arbeit auf die Gerichte zukommen. Das Kartellamt und gibt es eindeutige Gewinner: Das sind die großen Unter- andere Stellen sagen ganz offen, dass die rechtlichen Un- nehmen. In diesem Zusammenhang möchte ich schon sa- klarheiten durch die Rechtsprechung beseitigt werden gen – ich will aber keine falschen Popanze aufbauen –, müssen. Man nimmt also einen erheblichen zeitlichen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17769

Hartmut Schauerte (A) Prozess in Kauf, in dem durch Gerichtsentscheidungen ren wir doch gegen Gummiwände. Wenn man hier disku- (C) die Klarheit herbeigeführt werden muss, die ein kluger tiert, hört man nicht einmal ein Echo. Das ist fürchterlich Gesetzgeber in Ansätzen schon hätte liefern können. demotivierend. Für eine Opposition mag das normal sein, aber ich frage mich, wie Sie das als Mitglieder der Mehr- (Alfred Hartenbach [SPD]: Sonst haben Sie heitsfraktionen aushalten. In diesem Punkt bewundere ich keine Argumente, oder?) Sie. Haben Sie gar keine Selbstachtung? Ist Ihnen Ihre Ar- Der größte Verlust ist, dass wir so auf eine Harmoni- beit nichts wert? Packen Sie die Sache doch einmal an! sierung des Lauterkeits- und Wettbewerbsrechts auf eu- Das dürfen Sie doch nicht zulassen. ropäischer Ebene verzichten. Die geplante Aufhebung der Gesetze wäre ein geeigneter Anlass gewesen, zeitgleich Die Zahl der Verlierer hätte also verringert werden eine Harmonisierung zu verfolgen. Wenn wir mit Vertre- können. Seit zwei Jahren ist das Problem bekannt und ist tern der Regierung und Kollegen der Mehrheitsfraktionen in dieser Zeit nicht angepackt worden. Völlige Fehlan- über dieses Thema reden, dann tun die so, als gäbe eszeige! Wir sind dafür, dass diese Spezialgesetze abge- überhaupt kein Problem. Es gibt aber Probleme. Wir ha- schafft werden. Aber gleichzeitig wollen wir eine opti- ben durch die geplanten Maßnahmen leider nicht mehr, male Nützlichkeit erreichen. Wir wollen eine Präzisierung sondern tendenziell eher weniger an europäischer Ein- von UWG und GWB. Wir beklagen, dass noch nicht ein- heitlichkeit erreicht, mal begonnen worden ist, darüber nachzudenken. (Beifall bei der CDU/CSU) Was wollte der Handel? Damit keine Legendenbildung entsteht, möchte ich nur in Erinnerung rufen – ich kann denn wir werden erleben, dass die anderen Länder in Eu- hier nicht alle Zitate, die mir in diesem Zusammenhang ropa, die zum Teil vergleichbare Strukturen haben, unse- vorliegen, anführen; daher nur einige wenige –, was HDE ren törichten Weg nicht gehen werden. und ZDH in der diesbezüglichen Anhörung gesagt haben: Nach Meinung der CDU/CSU hätten diese Probleme Auf der Anbieterseite steht zu befürchten, dass die vermieden werden können, wenn man sich rechtzeitig und ersatzlose Streichung ... einem Verdrängungswett- vernünftig mit diesen Fragen beschäftigt hätte. Es wären bewerb zulasten des Mittelstands Vorschub leistet. bestimmt nicht alle Probleme lösbar gewesen, aber wenn man 80 Prozent der Schwierigkeiten bewältigt hätte, wäre Ein solches Argument muss man doch ernst nehmen. das gut gewesen. Man hätte dann zugeben müssen, dass Ein weiteres Zitat: die nicht gelösten Probleme zum Lebensrisiko bzw. zur gesellschaftlichen Entwicklung gehören. Folglich drohen im Bereich der Kundenbindungssys- teme für den Mittelstand strukturell bedingte Be- Es ist aber nicht einmal der Ansatz gemacht worden, nachteiligungen, die Verdrängungs- und Konzentra- (B) die Zahl der denkbaren Verlierer zu minimieren. Sie ha- tionsprozesse auslösen werden. (D) ben so getan, als gebe es keine Verlierer. Das sind wörtliche Zitate. Da kann man doch nicht sa- (Alfred Hartenbach [SPD]: Es gibt nur Gewin- gen: Das sind alles Spinner. – Die vertreten vielmehr be- ner!) rechtigte Interessen. Ein weiteres Zitat: – Wenn ich sehe, wie sorgfältig der Wirtschaftsminister Das vorhandene Instrumentarium insbesondere im bei der Verlängerung des Postmonopols, in großer Sorge UWG wird nicht ausreichen, um das erreichte Ni- um diesen großen Monopolisten, handelt, und wie sorglos veau an Verbraucherschutz zu halten. er bei der Beseitigung der Vorschriften, über die wir dis- kutieren, vorgeht, wird mir klar, aus welchem Stall er Es war sehr interessant, dass in der letzten Anhörung kommt. Er kommt aus einem riesengroßen Stall, derausgerechnet Vertreter der Verbraucherschutzverbände, VEBA. die zunächst regierungsfromm waren, plötzlich beige- dreht sind und gesagt haben: Ich glaube, wir haben uns (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) vertan. – Das war hochinteressant. Es gibt also vieles In- Sein Denken ist nur in diesen Strukturen geschult. Ge- teressantes in diesem Bereich. genüber den Problemen der Kleinen hat er eine Hornhaut; er hat keine Empfindlichkeit, kein Fingerspitzengefühl. Vizepräsidentin Anke Fuchs: Herr Kollege, denken Man lässt die Dinge laufen und gibt sie an die Juristen. Sie bitte an Ihre Redezeit! Ich bin selber einer, verehrter Herr Pick, muss aber sagen: Es handelt sich um ein wirtschaftspolitisches und kein Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Ich muss also lei- rechtspolitisches Thema. Deswegen gehören Sie eigent- der zum Schluss kommen. Dies ist ein solch schönes lich gar nicht hierher. Aber Frau Wolf durfte die Sache Thema; das können Sie mir glauben. – Ich verzichte auf nicht übernehmen. die Wiedergabe der anderen mir vorliegenden Zitate und Ich frage noch einmal: Wo sind wir bei der Wirt-weise nur noch auf Folgendes hin: Eine europäische schaftspolitik hingekommen? Chance ist verpasst worden. Die Schadenseingrenzung bei einer solchen Operation ist nicht intelligent angepackt (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) worden. Deswegen sagen wir – auch wenn mein erster Wir sollten unsere Arbeitszeit in Bereiche investieren, in Satz lautete: „Diese Gesetze müssen weg“ –: Wir werden denen die zuständigen Ministerien mitarbeiten, damit sich Ihrem Entwurf eines Gesetzes zur ersatzlosen Streichung unser Engagement lohnt. Bei diesem Thema argumentie- des Rabattgesetzes nicht zustimmen, sondern werden 17770 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001

Hartmut Schauerte (A) uns enthalten. Wir bitten Sie, unserem Antrag, der seit ten Verbraucher davor schützen, dass man ihnen günstige (C) geraumer Zeit vorliegt, und der all das, was ich vorgetra- Preise und Zugaben anbietet! Das finde ich wirklich gen habe, viel präziser und viel schöner beinhaltet und abenteuerlich. schriftlich beweist, zuzustimmen. Tun Sie etwas Gutes! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Lassen Sie uns auf keinen Fall weiterschlafen, und bei der SPD – Hartmut Schauerte [CDU/ (Alfred Hartenbach [SPD]: Wir haben noch nie CSU]: Ich habe das begrüßt!) geschlafen! Wenn Sie geschlafen haben, ist das Die Verbraucher haben die Geschicke längst selber in Ihr Problem!) die Hand genommen. Das Bild von der armen, alten Oma, sondern ab sofort die Regierung beauftragen, die von uns die man in Verbindung mit einem kostengünstigen Ange- aufgezeigten Probleme beherzt anzugehen! Bewegen Sie bot eines VW Golf dazu verführt, einen Internetanschluss sich! Dies wäre gut für die Verbraucher und den Mittel- zu kaufen, stand in Deutschland. (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Hat wirklich Herzlichen Dank. keiner vorgetragen!) (Beifall bei der CDU/CSU) und all das, was Sie in diesem Zusammenhang erzählt ha- ben, ist wirklich Unsinn. Ich glaube, für diese Art der Be- vormundung des Verbrauchers durch Sie hat niemand Das Wort für das Vizepräsidentin Anke Fuchs: Verständnis. In Wirklichkeit geht es Ihnen nicht um die Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Andrea Fischer. Verbraucher, sondern darum, sie als Tarnkappe zu benut- zen, um damit zu verdecken, dass es Ihnen eigentlich um Andrea Fischer (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mittelständische Interessen und um die Interessen derje- NEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jetzt nigen geht – das haben Sie heute in ihrer Rede in dan- schaffen wir einmal zwei Gesetze ab, die 65 Jahre alt sind, kenswerter Offenheit, wie ich finde, gesagt –, die sich da- und ausgerechnet die CDU/CSU sagt in Tateinheit mit der vor fürchten, dass die Lage im Rahmen dieses PDS: Das sollten wir lieber nicht tun. Das ist schon ein be- Wettbewerbes für sie schwieriger wird. Man muss sich merkenswerter Vorgang. Denn ich habe die heutigen wirt- einmal ansehen, ob sich der Wettbewerb wirklich so schaftspolitischen Debatten sehr genau verfolgt. Dabei ruinös auswirkt, wie es von einigen behauptet wird, die habe ich gehört, dass Sie uns vorwerfen, wir würden nicht sich offensichtlich vor jeder Veränderung fürchten. Die genug deregulieren, sondern würden zu viele Gesetze ma- Unternehmen stehen doch längst in einem europäischen chen. Jetzt schaffen wir zwei ab, von denen alle vernunft- Wettbewerb und deswegen sind diese Gesetze so bizarr; (B) begabten Menschen sagen, dass sie so überflüssig seien denn dadurch werden sie daran gehindert, mit ihren euro- (D) wie ein Kropf. Aber was machen Sie? – Sie sagen: Wasch päischen Konkurrenten mitzuhalten. Diese Möglichkei- mir den Pelz, aber mach mich nicht nass! Schafft die Ge- ten wollen wir ihnen durch die Abschaffung der Gesetze setze ab, aber schafft in anderen Gesetzen Regelungen, bieten. die diese Wirkung zunichte machen! Natürlich werden wir noch Regelungen vorsehen müssen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und – das hat der Staatssekretär schon ganz deutlich gesagt –, bei der SPD – Hartmut Schauerte [CDU/ CSU]: damit die europäische Harmonisierung vorankommt. So einfach ist die Welt nicht, gnädige Frau!) Aber es ist nun wirklich der allererste Schritt, den Unter- nehmen die Fesseln, die wir ihnen bislang mit den beiden – Doch, das ist der Kern Ihres Arguments. Gesetzen angelegt haben, abzunehmen. Ich finde es richtig, dass wir diese Gesetze abschaffen. Das Internet fördert eineInternationalisierung des Von den vielen Stellungnahmen, die im Rahmen der dies- Wettbewerbs; das ist eine gute und in jeder Hinsicht bezüglichen Anhörung vorgelegt worden sind, sind die unterstützenswerte Entwicklung. Die Grenzen verschwin- Einzigen, die sich dagegen ausgesprochen haben, diejeni- den, die Produkte und die Dienstleistungen werden welt- gen, die ganz offenkundig fürchten, im rauen Wind des weit gehandelt. Hier muss man auf allen Ebenen – Stich- Wettbewerbs eine kalte Nase zu bekommen. Der raue wort E-Commerce-Richtlinie – dafür Sorge tragen, dass Wind ist aber das Wesen des Wettbewerbes. die positiven Wirkungen, die das Internet hat, von den Un- Nun noch zu der Frage, ob man die Verbraucher vor ternehmen auch genutzt werden können. Auch deswegen sich selber schützen muss, was für mich ein besonders ist es so unglaublich wichtig, dass diese beiden vorsint- bizarres Argument ist. Es gibt längst eine Änderung des flutlichen Gesetze endlich fallen. Dann nämlich können Verbraucherselbstbewusstseins. Die Verbraucher sind an- deutsche Anbieter all das machen, was die anderen schon spruchsvoller geworden. Sie haben gerade so abfällig von längst machen. Schnäppchenjägern gesprochen. Aber was sind das denn (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) für Menschen? Das sind offenkundig solche, die keine Gesetze mehr brauchen, um Preistransparenz zu haben, Dann noch zu der Frage, ob man hier die armen klei- nen und mittleren Unternehmen vor den gefräßigen (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Die Marke- großen Unternehmen schützen muss. Das Verrückte ist tingstrategen sind auch besser geworden!) doch, dass die großen Unternehmen, weil sie groß und sondern die diese selber herstellen. Was erzählen Sie uns stark sind, über die Fähigkeit verfügen – dieses System also hier, man müsse irgendwelche armen, bedauernswer- haben Sie selbst mit dem Hinweis, was die Lufthansa an- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17771

Andrea Fischer (Berlin) (A) belangt, angesprochen –, die bestehende Gesetzeslage so und zwar schon vor vielen Jahren. Das muss man auch(C) weit zu dehnen, dass sie sie weitestgehend in ihrem Inte- einmal sehen. Aber sei es drum. resse nutzen können. Ist es denn richtig, dass die kleinen Sie wissen, dass wir über dieses Thema – ich stehe und mittleren Unternehmen, die sogar viel flexibler sind, heute zum vierten Mal dazu am Rednerpult – Ende des daran gehindert werden, auf ähnliche Art und Weise mit- letzten Jahres heiß debattiert haben. Im November des zuhalten und sich dazu andere Zugänge zu verschaffen? Jahres 2000 lagen hier nämlich die beiden Anträge – in- Ich bin der festen Überzeugung: Wenn wir das Rabatt- haltsgleich mit den Anträgen, die heute von der Regierung gesetz und die Zugabeverordnung beibehalten würden, vorliegen – auf dem Tisch. Rot-Grün aber hat hier noch vor wenigen Wochen unseren Antrag auf Abschaffung des (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das hat kei- Rabattgesetzes abgelehnt. ner gefordert!) (Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Sagen Sie erst ein- wäre dies zum Nachteil gerade der kleinen und mittleren mal, warum Günter Rexrodt das nicht durchge- Unternehmen. Ich finde, gerade Sie als Interessenvertre- setzt hat!) ter des Mittelstandes sollten doch viel mehr Vertrauen in die Fähigkeit der kleinen und mittleren Unternehmen ha- Ich finde es trotzdem sehr gut, dass wir heute wieder ben, durch ihre besondere Stärke, nämlich ihre Flexibi- über dieses Thema reden, und sage Ihnen, dass wir der lität, auf den Märkten zu bestehen. Die Unternehmen wol- Abschaffung, der ersatzlosen Streichung von Rabatt- len und sollen von einer Fessel befreit werden. gesetz und Zugabeverordnung zustimmen werden. Ich meine, das Ergebnis der Anhörung war sehr ein- (Beifall bei der F.D.P.) deutig. Natürlich gab es noch einige wenige, die gesagt Darüber hinaus liegt heute ein Gesetzentwurf der F.D.P.- haben, wir sollten dies nicht tun, allenfalls in Verbindung Fraktion auf Anpassung des deutschen Zugaberechts an mit Regelungen im UWG und auch im Kartellrecht, die die entsprechende EU-Richtlinie vor, über den wir uns, so die eigentlich beabsichtigte Wirkung wieder verhindern. glaube ich, in der Sache ebenfalls einig sind. Aber insbesondere das Kartellamt hat sich ausdrücklich dagegen ausgesprochen. Die Realitäten haben sich verändert. Noch nicht durch- gesetzt hat sich im Deutschen Bundestag nach meiner (Zuruf von der SPD: Sehr deutlich!) Auffassung aber die Erkenntnis – daran müssen sich viele Bei einigen wurde auch deutlich, dass ihre Argumente erst noch gewöhnen –, dass im Zentrum der Deregulie- sehr stark interessengeleitet sind. rung und der Wettbewerbspolitik der Verbraucher stehen muss. Wirtschaft und Handel sind also in erster Linie für Ich finde es richtig, dass die Bundesregierung hier die die Verbraucher da. Wir sind davon überzeugt, dass die (B) Position derjenigen Unternehmen eingenommen hat, die Verbraucher genauso wie die kleinen, mittelständischen (D) sich zutrauen, auf dem Markt zu bestehen, und die diesen und die großen Unternehmen davon profitieren werden. Kampf gern aufnehmen wollen. Damit hat sie sich auch Wir müssen uns daran gewöhnen, dass es ein neues, mo- auf die Seite der Verbraucherinnen und Verbraucher ge- dernes Marktgeschehen gibt, das nicht mehr nach alten stellt. Regeln funktioniert. Darauf haben wir uns einzustellen, Ich bin stolz darauf, dass die Bundesregierung über ei- ob es uns passt oder nicht. nen Wirtschaftsminister verfügt, der hierfür engagiert Wir wollen natürlich nicht, Herr Schauerte, dass es gekämpft hat. Er war wesentlich engagierter als Sie, die viele Verlierer gibt, sondern wir möchten, dass alle profi- Sie heute mehr Zeit und Mühe dafür verwandt haben, da- tieren. Auch wir beobachten das Geschehen, aber glau- rüber zu reden, warum er heute – er hat andere wichtige ben, dass – dies zeigte, wie Frau Fischer schon gesagt hat, Termine – nicht auf der Regierungsbank sitzt. In diesem auch die Aussage des Vertreters des Bundeskartellamtes Sinne ist es ein guter Tag für die deutsche Wirtschaft und in der letzten Anhörung – der bestehende rechtliche Rah- die deutschen Verbraucher, wenn wir diese Gesetze end- men ausreichen müsste, um Wucher, Irreführungen usw. lich abschaffen. zu verhindern. Wir sollten jetzt durch die Abschaffung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN von Gesetzen – endlich haben wir Deregulierung – nicht und bei der SPD) wieder neue Bürokratien aufbauen und zusätzliche ergän- zende Regelungen schaffen. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten Vizepräsidentin Anke Fuchs: Das Wort hat nun die Kollegin Gudrun Kopp für die F.D.P.-Fraktion. der SPD) Für meine Fraktion kann ich nur sagen: Sollte sich he- rausstellen, dass der rechtliche Rahmen nicht ausreicht, Gudrun Kopp (F.D.P.): Frau Präsidentin! Sehr ge- ehrte Herren und Damen! Wenn es je einen Bundeswirt- werden wir selbstverständlich bereit sein, über andere Regelungen nachzudenken. Aber lassen Sie uns jetzt ei- schaftsminister gegeben hat, der vehement für die Ab- nen mutigen Schritt in RichtungDeregulierung und schaffung dieser beiden Vorschriften gekämpft hat, dann mehr Wettbewerb, hin zu modernen Verkaufsformen, war es Günter Rexrodt, gehen. Das brauchen auch unsere Anbieter, nicht zuletzt (Beifall bei der F.D.P. – Hartmut Schauerte unsere Internet-Anbieter, die im Augenblick diskriminiert [CDU/CSU]: Das ist wohl wahr! – Widerspruch werden, weil sie bei dem nicht mithalten können, was eu- bei der SPD) ropaweit und weltweit derzeit möglich ist. 17772 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001

Gudrun Kopp (A) Ich habe Sie so verstanden, Herr Schauerte, dass die Einzelhändler und auch für viele Kunden. Darüber sind (C) CDU/CSU-Fraktion nicht mehr darüber nachdenkt, einen wir unterschiedlicher Auffassung, obwohl wir in der glei- Zwischenschritt einzulegen. Ursprünglich hatten Sie eine chen Anhörung waren. Ich habe schon oft festgestellt: Übergangsfrist von einem Jahr vorgeschlagen. Man kann das Gleiche hören und trotzdem etwas anderes verstehen. (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Die Beratun- gen haben ergeben, dass das keinen Sinn Die Großkonzerne – das ist mir klar – werden ausge- macht!) feilte Rabattkartensysteme einführen, die sich am Ge- samtumsatz orientieren; denn sie können ihrem Personal Das scheint jetzt vom Tisch zu sein. Das finde ich sehr gut. ja nicht erlauben, sich mit den Kunden auf das Feilschen Für die F.D.P. kann ich auch nur sagen, dass ein solcher um einzelne Preise einzulassen. Aber natürlich wollen Zwischenschritt niemandem nützte. Metro & Co. auch Kunden binden, wozu sie auch die Fi- (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Ja!) nanzkraft haben. Vor allen Dingen lassen sie sich die große Chance auf den gläsernen Kunden nicht entgehen. Wir sollten jetzt also beherzt diesen Schritt wagen, wobei So viele und vor allem so exakte Daten über das Ein- ich glaube, dass wir dazu gar nicht sehr viel Mut brau- kaufsverhalten wie mit Kundenkarten lassen sich mit kei- chen. ner Kundenbefragung beschaffen. Rabattkarten kosten Im Übrigen erinnert mich die Diskussion darüber, ob nur etwas Geld. Aber für den Ausgebenden sind sie bares wir einen Schritt nach vorn gehen sollten oder nicht, an Geld wert. das Dauerthema Ladenschluss, bei dem wir leider noch Nur, mit den Rabattkarten bleibt – Preisangaben- nicht viel weiter sind. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion verordnung hin oder her – die Preiswahrheit und auch möchte auch hier niemandem am Markt Vorschriften ma- die Preisklarheit auf der Strecke. Der Preis an der Ware chen. Niemand muss die Öffnungszeiten ausweiten; aber selbst sagt schließlich gar nichts mehr aus, wenn man wir wollen doch den Bedürfnissen der Anbieter und der bei 5 000 DM Umsatz in der Ladenkette 5 Prozent, bei Verbraucher gerecht werden. Ich hoffe, dass wir auch bei 10 000 DM aber vielleicht 10 Prozent Rabatt am Jahres- diesem Thema noch weiterkommen. Die Diskussion um ende bekommt. Niemand wird mehr durchblicken, erst das Ladenschlussgesetz entspricht spiegelbildlich der, recht nicht, wenn die Ware auch noch mit allerlei Zuga- die wir heute führen. Ich hoffe, dass das Lernen von der ben zu Paketpreisen angeboten wird. Das auszusprechen Realität uns alle einen Schritt weiter bringen wird. heißt übrigens nicht, den Bürger oder Kunden zu entmün- Für die F.D.P.-Fraktion ist es heute ein Tag der Dere- digen. Ich möchte nur auf eine Sache aufmerksam ma- gulierung. Ich freue mich ganz besonders darüber, dass chen: Am Ende ist vielleicht der zuerst lachende Kunde (B) wir die Sache mit weniger Bürokratie und mit weniger dann doch der Abgezockte. Was ist mit den kleinen Händ- (D) Regeln angehen. Wir sollten dem Verbraucher, den wir lern? Auch die müssen sich auf Kundenfang begeben; sonst immer als mündig bezeichnen, auch künftig zu-denn auch bei ihnen wird auf Teufel komm raus gefeilscht trauen, dass er selbst beurteilen kann, ob er über den La- werden. Sie müssen das – bei Strafe ihres Untergangs – dentisch gezogen werden soll, ob also ein Angebot seriös mitmachen; denn für Rabattkarten fehlt ihnen die wirt- ist oder nicht. Ich bin davon überzeugt, dass auch Ver- schaftliche Puste. braucher wissen, dass niemand etwas zu verschenken hat. Ich möchte – Herr Pick hat es schon vorhin angespro- Jede Ware hat ihren Preis. Der Verbraucher weiß selbst, chen – hier auch noch an die Aussagen des Betreibers von was für ihn gut ist. Dies ist, wie gesagt, ein guter Tag für Kartensystemen für mittelständische Werbegemeinschaf- Wettbewerb und Deregulierung; die F.D.P.-Fraktion wird ten erinnern. In der Anhörung wurde gesagt, man brauche der Abschaffung von Rabattgesetz und Zugabeverord- mindestens einen Teilnehmer, der zunächst einen fünf- nung selbstverständlich zustimmen. stelligen Betrag auf den Tisch legt, damit so ein System Vielen Dank. überhaupt anlaufen kann. Es rechnet sich nur, wenn es jedem Händler mindestens 5 ProzentUmsatzzuwachs (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie beschert. Jetzt frage ich Sie, die Sie auch immer Statis- der Abg. Andrea Fischer [Berlin] [BÜNDNIS 90/ tiken lesen: Wann hat es in den letzten Jahren eine Statis- DIE GRÜNEN]) tik gegeben, die einen Umsatzzuwachs von 5 Prozent im Einzelhandel ausgewiesen hat? Ich kann mich an keine Vizepräsidentin Anke Fuchs: Nun hat Herr Kollege solche Statistik erinnern. Wir sollten uns also nichts vor- Rolf Kutzmutz, PDS-Fraktion, das Wort. machen und die Realitäten zur Kenntnis nehmen. (Beifall bei der PDS) Rolf Kutzmutz (PDS): Frau Präsidentin! Meine Da- Damit wäre klar, dass die heile Welt von Danova in Eich- men und Herren! Unsere klare Position lautet: Rabatte stätt nur funktioniert, solange sie ein Einzelfall bleibt. und Zugaben gehören zum Handel. So weit, so gut. Aber Denn woher soll bei 16 000 Einwohnern ein Umsatz- ich denke, die Koalition macht es sich zu einfach, wenn zuwachs von 5 Prozent kommen, wenn weitere Rabatt- sie nach dem Motto „Augen zu und durch; keiner weiß, systeme eingeführt werden? was passiert, aber die Gerichte werden es schon richten“ verfährt. Die Anhörung am Montag hat zumindest uns Eines gestehe ich SPD, Bündnisgrünen und F.D.P. verdeutlicht, dass der heutige Beschluss möglicherweise schon zu: Es bleibt eine Glaubensfrage, ob die Gerichte fatale Entwicklungen auslöst, und zwar für viele kleinere bei den absehbaren Exzessen im Rabatt- und Zugaben- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17773

Rolf Kutzmutz (A) kampf das bestehende GWB und UWG so interpretieren, Herr Schauerte, ich muss Ihnen auch noch Folgendes (C) wie wir uns alle das erhoffen. Ich bin jedenfalls sehr ge- mit auf den Weg geben: Sie fragen, was das BMJ hier spannt, ob das Bundeskartellamt tatsächlich, wie amüberhaupt mache, die Streichung liege doch eigentlich Montag angekündigt, „payback“ verbietet, sobald das Ra- in der Zuständigkeit des Wirtschaftsministeriums. Sie als battgesetz gefallen ist, und vor allem, wie dann dieJurist sollten wissen, dass diese Aufteilung schon rein ad- Richter entscheiden werden, deren Urteilstenor bisher ein ministrativ gegeben ist. Das Rabattgesetz fällt in die Zu- ganz anderer war. Ungewisse Zeiten stehen Händlern wie ständigkeit des Wirtschaftsministeriums und die Zugabe- Konsumenten bevor. Diese zu verkürzen und nichts ande- verordnung in die des Justizministeriums. Sollten Sie res ist das Anliegen der von meiner Fraktion eingebrach- nachher noch Fragen haben, stehe ich Ihnen gern zur Ver- ten zwei Änderungsanträge, die wir als Ergänzungsan- fügung. träge verstehen. (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Mein Frau Fischer, Sie haben gesagt, das Wesen des Wettbe- Flieger!) werbs sei es, dass ein rauer Wind weht. Ich habe bisher ge- Wofür ich also kein Verständnis habe, ist, wie Sie hier dacht, in zehn Jahren gelernt zu haben, dass das Wesen des manövrieren: Sie kommen hierher, kritisieren, was vorge- Wettbewerbs in der Chancengleichheit besteht und dass schlagen wurde, nämlich die ersatzlose Streichung von dafür entsprechende Regelungen geschaffen werden müs- Rabattgesetz und Zugabeverordnung, und haben dann sen. Ich würde nie auf die Idee kommen, im Boxen einen auch noch die Stirn, sich zu enthalten. Entscheiden Sie Leichtgewichtler gegen einen Schwergewichtler antreten sich doch bitte einmal! Wenn Sie unser Vorhaben kriti- zu lassen. Wir sollten das bei kleinen und großen Unter- sieren, dann müssen Sie es auch ablehnen. Scheinbar nehmen vielleicht ähnlich halten. trauen Sie sich aber nicht. Ich muss Sie fragen: Steht bei (Beifall bei Abgeordneten der PDS) Ihnen eigentlich die Sachdebatte im Vordergrund oder manövrieren Sie aus reinem Oppositionskalkül? Sie kön- Das Vorgehen der Koalition erstaunt insofern, als Sie nen sich nicht entscheiden und sich offenbar auch inner- sich gerade auf einem anderen Gebiet gesetzgeberisch mit halb der CDU/CSU-Fraktion nicht durchsetzen; deshalb den Folgen einer unausgegorenen Liberalisierung herum- enthalten Sie sich. Das finde ich eigentlich sehr schade. plagen müssen. 1997, als das Energierecht novelliert wurde, bewiesen Sie nahezu hellseherische Fähigkeiten. Sie sagten (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: – damals waren Sie noch in der Opposition – das Drama um Sagen Sie mal was zum Sachverhalt!) die heutige Kraft-Wärme-Kopplung voraus. Eigentlich hät- ten Sie dadurch doch klüger werden müssen. Die Einsicht Auch aus anderen Gründen haben wir für Ihr Verhalten ist bei Einzelnen durchaus vorhanden. Aber Ihnen fehlt der kein Verständnis. Es gibt nämlich dieE-Commerce- (B) Mut, entsprechenden Anträgen zuzustimmen. Richtlinie der EU, die bereits jetzt den elektronischen Ge- (D) schäftsverkehr auf europäischer Ebene regelt. Sie wissen Kurzum: Wir halten es für notwendig, dass die zu be- ganz genau, dass wir überdies das Herkunftslandprinzip schließende Liberalisierung im Handel noch ein paar sta- haben, welches besagt, dass der deutsche Anbieter an das bile Leitplanken erhält. nationale Rabattgesetz gebunden ist. Wir wissen alle, dass Danke schön. das deutsche Rabattgesetz wahrscheinlich eines der strik- testen – um nicht zu sagen: das strikteste – in ganz Europa (Beifall bei der PDS) ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Vizepräsidentin Anke Fuchs: Das Wort hat nun die des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Kollegin Birgit Roth für die SPD-Fraktion. Mit anderen Worten: Deutsche Anbieter werden bei Untätigkeit Nachteile gegenüber der ausländischen Kon- Birgit Roth (Speyer) (SPD) (von der SPD mit Beifall kurrenz haben. Dieses würden Sie einfach weiterhin so begrüßt): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kol- hinnehmen. Das können wir aus wirtschaftspolitischer legen! Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Sicht nicht akzeptieren. CDU/CSU-Fraktion, ich stelle fest, dass Sie sich heute bei der Abstimmung zum Gesetzentwurf der Bundesre- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gierung zur ersatzlosen Streichung von Rabattgesetz und DIE GRÜNEN – Hartmut Schauerte [CDU/ Zugabeverordnung enthalten. Angesichts dessen, Herr CSU]: Haben Sie denn nicht zugehört? Wir ha- Schauerte, ist es schon eine kleine Unverschämtheit, dass ben doch so schön geredet!) Sie die Anwesenheit des Ministers fordern. Ganz neben- Unserer Meinung nach werden deutsche Unternehmen bei möchte ich erwähnen, dass entweder Staatssekretär durch die unzeitgemäße Vorschrift schlicht und ergreifend Mosdorf oder, so wie jetzt, Staatssekretärin Wolf diediskriminiert. Wenn Sie ehrlich sind, müssen Sie zugeben, ganze Zeit anwesend gewesen sind. Mit Verlaub: Bei der dass Sie ganz genau wissen, dass die Regelungen des Ra- Qualität Ihrer Kritik muss der Minister wahrlich nicht an- battgesetzes und der Zugabeverordnung in der Praxis wesend sein. schon seit Jahrzehnten unterlaufen werden. Wer von uns (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ kauft denn ein Auto und fragt nicht nach, ob man noch einmal über den Preis reden könnte? DIE GRÜNEN – Hartmut Schauerte [CDU/ CSU]: Wo ist denn Herr Müller? Vom Ministe- (Alfred Hartenbach [SPD]: Beim Friseur geht rium hat niemand geredet!) das auch!) 17774 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001

Birgit Roth (Speyer) (A) Meine sehr verehrten Damen und Herren von dereuropäischer Ebene einigen – wir alle wissen, wie lange (C) CDU/CSU, jetzt hätten Sie die Gelegenheit und diees dauert, Kompromisse auf europäischer Ebene zu erzie- Chance, dazu beizutragen, dass die Gesetzgebung mit der len – und so lange die Nachteile für deutsche Anbieter ein- Praxis gleichzieht. Was aber machen Sie? – Sie verwei- fach hinnehmen. Das heißt für uns: Wir werden die Be- gern sich! In unseren Augen tun Sie dies zulasten dernachteiligung deutscher Anbieter abschaffen und mit Wirtschaft. Nachdruck eine Harmonisierung des Lauterkeitsrechts auf europäischer Ebene anstreben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Anstreben? Wir haben gar keines mehr!) Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, der in der gestrigen Debatte laufend genannt wurde, nämlich, dass Zweitens möchte ich noch einmal auf einen Punkt zu Sie als CDU/CSU so vehement für den Bürokratieabbau sprechen kommen, der die Kundenbindungssysteme tan- einstünden. giert – auch da hatten wir doch ähnliche Vorstellungen –: Es ist für uns sehr wichtig, dass gerade Mittelstand und (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das tun wir Einzelhandel – in den Verbandsgemeinden, in den Mittel- wirklich!) zentren – keine Benachteiligung durch die ersatzlose – Herr Schauerte, ich möchte Sie kurz daran erinnern: Streichung von Rabattgesetz und Zugabeverordnung er- Das, was wir gerade vorhaben, ist die Abschaffung eines fahren. Sowohl Rabattgesetz als auch Zugabeverordnung Gesetzes und somit ein Beitrag zum Bürokratieabbau und stehen doch aber unter der Rahmengesetzgebung des zur Deregulierung. Warum stimmen Sie denn nicht zu? UWG, des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb. Das heißt, hier wird wirklich nur ein Teilgesetz ersatzlos (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gestrichen. Für den Fall, dass Preistransparenz nicht ge- DIE GRÜNEN – Hartmut Schauerte [CDU/ geben sein sollte oder dass sich aufgrund der ersatzlosen CSU]: Weil Sie Ihre Schularbeiten nicht ge- Streichung wirklich strukturelle Veränderungen ergeben macht haben!) sollten, haben wir – schon vor Monaten – im BMJ eine Ar- – Apropos Schularbeiten: Sie haben ja sogar noch eine beitsgruppe eingesetzt, die genau diesen Punkt noch ein- einjährige Übergangsfrist – sozusagen zur Vorbereitung mal erforschen wird. Sollte es wirklich zu Nachteilen für der Unternehmen auf die Situation – gefordert. Wir haben den Mittelstand kommen, werden wir selbstverständlich es bereits erwähnt: Es gibt zum Beispiel beim Verkauf im UWG die Konsequenzen ziehen und die Gesetzgebung über das Internet momentan eine Benachteiligung derentsprechend anpassen. deutschen Unternehmen. Sie aber haben die Stirn und for- In diesem Sinne kann ich Sie nur bitten: Seien Sie doch dern eine einjährige Übergangsfrist. Das würde doch be- (B) ehrlich! Ringen Sie sich durch, manövrieren Sie nicht hin (D) deuten, dass sich die Benachteiligung unserer Unterneh- und her und stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu, der men noch über einen längeren Zeitraum hinzöge. ersatzlosen Streichung von Rabattgesetz und Zugabe- (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Junge Frau, verordnung! Wir tun damit wirtschaftspolitisch das Rich- das ist doch nicht wahr!) tige, auf der einen Seite für den Mittelstand, auf der an- deren Seite aber auch für den Kunden, den Verbraucher. Glücklicherweise haben Sie jetzt auf diese Forderung ver- Beide werden Vorteile daraus ziehen. Wir werden ganz zichtet. konsequent unsere Reformpolitik in diesem Bereich fort- (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Dabei han- setzen. delte es sich um einen Prüfauftrag, den wir seit Vielen Dank. langem zurückgenommen haben!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ – Herr Schauerte, Sie haben ihn nach der Anhörung DIE GRÜNEN) zurückgenommen. Als Sie vorhin über die Anhörung sprachen, das muss ich Ihnen gestehen, habe ich mich ge- fragt, ob wir wirklich in der gleichen Anhörung waren. Vizepräsidentin Anke Fuchs: Das Wort hat nun für die CDU/CSU-Fraktion die Kollegin Dagmar Wöhrl. Ich möchte noch einmal auf Anhörung die im Herbst 2000 zurückkommen: Es waren 70 Verbandsver- treter anwesend, die sich mit überwältigender Mehrheit Dagmar Wöhrl (CDU/CSU): Liebe Frau Präsidentin! für die ersatzlose Streichung von Rabattgesetz und Zuga- Meine Damen und Herren! Ich habe wirklich das Gefühl, beverordnung ausgesprochen haben. Bei der Anhörung die politische Gestaltung dieser Bundesregierung besteht am letzten Montag kam – offen gestanden – kein einziges nur aus Nachbessern. Das hat man die ganze Zeit gesehen. neues Argument. Wir haben uns die ganze Zeit gefragt, Gänzlich undurchdachten, verkorksten Regelungen wird warum Sie den Prozess der Abschaffung verzögern. durch Nachbesserung ein wenig die Schädlichkeit ge- nommen, aber dadurch werden sie noch lange nicht gut. Sie haben noch zwei weitere Punkte angesprochen. Das war früher schon so beim 630-Mark-Gesetz, bei der Erstens fordern Sie die Harmonisierung des Lauter- Rentenreform, bei der Steuerreform und bei vielen ande- keitsrechts auf europäischer Ebene. Da waren wir von ren Dingen. Anfang an Ihrer Meinung; das ist überhaupt keine Frage, wir haben da keine Differenzen. Aber eines kann nicht Auch dieses Mal machen Sie es wieder. Wir sind erneut sein: Wir können nicht darauf warten, bis wir uns aufin der gleichen Situation: Erst einmal abschaffen – und Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17775

Dagmar Wöhrl (A) dann „Schau’n mer mal!“. Aber dass es durch diese Ab- Verstehen Sie uns nicht falsch: Wir haben nie behaup- (C) schaffung zu weit reichenden Strukturveränderungen im tet, es müsse alles so bleiben, wie es ist. Ihr Fehler liegt deutschen Einzelhandel kommen kann, wird nicht beachtet. auch nicht darin, dass Sie das Rabattgesetz abschaffen wollen, Ihr Fehler liegt vielmehr darin, dass Sie es ersatz- (Beifall bei der CDU/CSU) los abschaffen wollen. Es gibt durchaus konkrete Vor- Wenn Sie merken, dass es der falsche Weg sein könnte, schläge vom ZDH, vom Einzelhandelsverband und von dann ist es wahrscheinlich schon zu spät; denn ein mittel- anderen Verbänden, wie man gegen missbräuchliche und ständisches Fachgeschäft, das einmal pleite ist, kommt schädliche Rabatt- und Zugabepraktiken vorgehen kann, nicht mehr auf den Markt zurück. zum Beispiel durch Aufnahme zusätzlicher Regelungen ins UWG. Sie aber haben sich mit diesen Vorschlägen Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, zu verant- überhaupt nicht auseinander gesetzt. Sie haben sich über- wortungsvoller Gesetzgebung gehört auch das Abschät- haupt nicht dafür interessiert. zen von Folgen. Das heißt, bei der Abschaffung von gel- tendem Recht muss man sich fragen: Erstens. Welche (Alfred Hartenbach [SPD]: Ist doch überhaupt Funktion hat eine Vorschrift? Zweitens. Kann man auf sie nicht wahr!) tatsächlich ersatzlos verzichten? Wenn Sie, liebe Kollegin Roth, richtig zugehört hätten Welche Funktionen hatten das Rabattgesetz und die – Sie sind ja vorzeitig aus der Anhörung gegangen –, dann Zugabeverordnung? Vor allem ging es um den Schutz des hätten Sie auch mitbekommen, dass das GWB nur Ab- Verbrauchers vor irreführender Preisgestaltung. Ja, liebe sprachen zwischen den Mitbewerbern verbietet und dass Kolleginnen und Kollegen, wir diskutieren heute über den der § 1 des UWG nicht ausreicht, um schädliche Praktiken Verbraucherschutz. Ich glaube, das ist bei Ihnen nochzu verhindern. Auch das Bundeskartellamt hat darauf nicht angekommen. Eines ist interessant: Wir haben jetzt ausdrücklich hingewiesen, indem es gesagt hat, dass sich eine Verbraucherschutzministerin, aber von ihr habe ich die Rechtsprechung hier erst noch entwickeln muss. Das noch kein einziges Wort zu diesem Gesetz gehört, ge-dauert zwei bis drei Jahre. Das heißt, wir werden uns zwei schweige denn, dass sie hier anwesend wäre. bis drei Jahre in einem rechtsfreien Raum bewegen, in- nerhalb deren keiner weiß, was eigentlich Sache ist. Sie wissen ganz genau, dass der Handel zu den gebeu- telten Branchen zählt. Die Gewinnspannen in diesem Be- (Zuruf von der SPD: Das ist Marktwirtschaft!) reich werden immer geringer. Für die meisten Unterneh- Wir als Gesetzgeber tragen Verantwortung. Sie, die die men gibt es keinen Spielraum für Rabatte. Was wird die Regierung stellen, müssen dieser Verantwortung gerecht Folge sein? Die Preise müssen angehoben werden. Eswerden. Sie können nicht sagen, dass für irgendwelche wird Mondpreise geben, die man durch diese Gesetze ei- schädlichen Nebenwirkungen zukünftig die Gerichte zu- (B) gentlich verhindern wollte. ständig seien. Wir als Gesetzgeber sind zuständig, von(D) vornherein mögliche negative Folgen bei der Gesetzge- Ich hoffe, dass Sie dann im Januar nicht kommen und bung zu berücksichtigen. Auch hier zeigt sich wieder et- beklagen, dass der Handel im Zuge der Euro-Einführung was, das sich wie ein roter Faden durch Ihre ganze Politik die Preise erhöht hat. Aus einem anderen Grund werden zieht: Der Mittelstand ist für Sie nicht existent. Es werden die Preise schon im Herbst erhöht werden, nämlich auf- Gesetze gemacht, bei denen die Auswirkungen auf den grund der Abschaffung des Rabattgesetzes. Mittelstand nicht beachtet werden – sei es jetzt letzte Wo- (Lachen bei der SPD) che das Gesetz zur betrieblichen Mitbestimmung oder heute die ersatzlose Abschaffung des Rabattgesetzes. Wie wollen Sie denn einzelne Verbraucher schützen? Laut Wenn Sie den Wachstumsmotor Mittelstand weiterhin so Umfragen haben ältere Menschen Angst vor der Abschaf- abwürgen, wie Sie es in letzter Zeit gemacht haben, dann fung des Rabattgesetzes. brauchen Sie sich nicht wundern, wenn die Konjunktur (Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Daran arbeiten Sie weiter den Bach heruntergeht. doch!) Vielen Dank. Sie sagen: Wir wollen nicht handeln und feilschen. Diese (Beifall bei der CDU/CSU) werden es sein, die zukünftig die Mondpreise bezahlen werden. Vizepräsidentin Anke Fuchs: Ich schließe die Aus- Rabattgesetz und Zugabeverordnung hatten aber noch sprache. eine zweite Funktion, nämlich die, den mittelständischen Fachhandel vor Verdrängungswettbewerb zu schützen. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- Wir wissen, dass in den Schubladen der großen Handels- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Aufhe- konzerne Pläne für neue Kundenbindungssysteme, also bung des Rabattgesetzes und zur Anpassung anderer andere, als es bisher schon gibt, lagern. Zukünftig wird Rechtsvorschriften auf Drucksache 14/5441. der einzelne Verbraucher durch die vielen Rabatte und die Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie emp- neuen Bonusse, die es auf dem Markt geben wird, das fiehlt auf Drucksache 14/6459, den Gesetzentwurf anzu- Angebot des Fachhandels nicht mehr klar erkennen kön- nehmen. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der nen. Kostenintensive Kundenbindungssysteme beinhal- PDS auf Drucksache 14/6849 vor, über den wir zuerst ten Verdrängungspotenziale; gestaffelte Jahresumsatz- abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der rabatte haben eine gewaltige Sogwirkung. Das sehen Sie PDS? – Gegenprobe! – Gegen die Stimmen der PDS ist überall; das hat auch die Anhörung ergeben. der Änderungsantrag abgelehnt. 17776 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001

Vizepräsidentin Anke Fuchs (A) Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen Sperrzeiten für Gaststätten und Biergärten(C) wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dafür? – Wer kundenfreundlicher gestalten stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Bei einigen Gegen- – Drucksache 14/6188 – stimmen und einigen Enthaltungen ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Tourismus (f) Dritte Beratung Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Bei Gegenstimmen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die und Enthaltungen aus der CDU/CSU und bei Enthaltung Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die der PDS ist der Gesetzentwurf angenommen. F.D.P. fünf Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wi- derspruch. Dann ist so beschlossen. Tagesordnungspunkt 21 b. Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Aufhebung der Zugabeverordnung und zur Anpassung Ernst Burgbacher für die F.D.P.-Fraktion. weiterer Rechtsvorschriften auf Drucksache 14/5594. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss- Ernst Burgbacher (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine empfehlung auf Drucksache 14/6469 die Annahme des lieben Kolleginnen und Kollegen! „Deutschland – nix wie Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung. Dazu liegt wie- hin“ heißt das Motto des Jahres des Tourismus, das von derum ein Änderungsantrag der PDS auf Drucksacheder Bundesregierung ausgerufen wurde. Aber wenn die 14/6490 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt Gäste kommen und abends, gerade bei einem so herr- für diesen Änderungsantrag? – Gegenprobe! – Stimment- lichen Wetter wie heute, deutsche Gemütlichkeit genießen haltungen? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt. wollen, dann heißt es um 22 Uhr: „Nix wie weg!“ Das Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in derkann nicht sein. Deshalb haben wir heute diese Initiative Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- eingebracht. Wir haben sie auch eingebracht, weil wir sie chen. – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Bei Enthaltung als Teil eines umfassenderen Konzeptes mit dem Ziel, der PDS sowie einer Enthaltung aus den Reihen derden Tourismusstandort Deutschland dienstleistungs- CDU/CSU ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung an- freundlicher und attraktiver zu machen, begreifen. genommen. (Beifall bei der F.D.P.) Dritte Beratung Dazu gehört ein ganzes Bündel von Maßnahmen. Wir (B) und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem haben dazu schon viele Vorschläge gemacht. Ich erinnere (D) Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge- an die Initiative zur Abschaffung der Trinkgeldbesteu- genprobe! – Enthaltungen? – Bei drei Gegenstimmen aus erung, an die Forderung, für die Hotellerie einen re- den Reihen der CDU/CSU sowie bei Stimmenthaltung der duzierten Mehrwertsteuersatz einzuführen, aber auch PDS ist der Gesetzentwurf angenommen. – übergreifender – daran, die Steuerreform mittelstands- Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der freundlich zu gestalten und die weiteren Stufen vorzuzie- F.D.P. zur Anpassung des deutschen Zugaberechts an die hen, Maßnahmen zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes EU-Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr zu ergreifen bis hin zu einem Thema, das auch heute auf Drucksache 14/4424. Der Rechtsausschuss empfiehlt schon angesprochen wurde, nämlich die Abschaffung des unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache Ladenschlussgesetzes. All das sind Dinge, die unser Tou- 14/6469, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte dieje- rismusstandort Deutschland dringend braucht. nigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das In diesem Zusammenhang machen wir heute zwei wei- Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Der Gesetzent- tere Vorschläge, die, so denke ich, in der Diskussion ganz wurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. wichtig sind. Tagesordnungspunkt 21 c. Beschlussempfehlung des Erstens. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sehen Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Druck- nicht ein, warum eigentlich Berlin regeln soll, wann Gast- sache 14/6463 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU stätten schließen müssen. Deshalb wollen wir das Gast- mit dem Titel „Innovation und fairer Wettbewerb im Han- stättengesetz so ändern, dass die bisherige Regelung, dass del nach Abschaffung von Rabattgesetz und Zugabever- die Länder Sperrzeitenverordnungen machen müssen, ge- ordnung“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag aufstrichen wird. Das sollten wir den Ländern und Kommu- Drucksache 14/5751 abzulehnen. Wer stimmt für diese nen überlassen. Die können das sehr gut alleine. Dazu Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- brauchen sie Berlin überhaupt nicht. tungen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stim- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) men von CDU/CSU und PDS angenommen. Ich verweise auf gute Beispiele in Baden-Württemberg Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 auf: und in Rheinland-Pfalz, wo das wesentlich liberalisiert wurde, wo Sperrzeiten wesentlich verkürzt wurden. Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Gudrun Kopp, Rainer Brüderle, wei- Der zweite Punkt, natürlich in dieser Zeit besonders terer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. aktuell, betrifft die Außengastronomie, Straßencafés, Bier- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17777

Ernst Burgbacher (A) gärten. Meine Damen und Herren, zu einem florierenden schaftsminister. Es freut mich natürlich, wenn eine Initia- (C) Stadtwesen gehört eine florierendeGaststättenkultur. tive von uns von der Regierung begrüßt wird. Ich appel- Attraktive Innenstädte bekommen wir erst dann, wenn wir liere jetzt an die Regierung und die Regierungsfraktionen: auch Außengastronomie haben, wenn wir diese Straßen- Lehnen Sie es nicht wieder nur deshalb ab, weil es von der cafés und Biergärten haben. Diese Lokale tragen zurOpposition kommt, sondern sagen Sie: Jawohl, die F.D.P. Kommunikation bei. Sie sind Orte des Begegnens, oft hat hier einen guten Vorschlag gemacht, wir machen das übrigens auch eine Oase im Grünen. mit. Die Menschen wollen aber heute nicht um 22 Uhr nach Wenn Sie das tun, dann leisten Sie endlich einmal einen Hause gehen, sondern sie möchten, wenn wir schon ein- Beitrag zur Stärkung des Tourismusstandortes Deutsch- mal ein paar schöne Tage haben, an denen das möglich ist, land und dann sorgen Sie dafür, dass bei uns die Gäste und auch länger bleiben. Die Menschen haben ein anderes wir alle bei schönem Wetter – heute Abend dürfen wir es Ausgehverhalten, als das früher der Fall war. Das hat sich noch nicht, aber möglichst bald – auch nach 22 Uhr bis geändert, und dann müssen wir als Gesetzgeber doch end- Mitternacht befreit lachen können. Ich bitte Sie um Ihre lich darauf reagieren. Mitarbeit und Zustimmung. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Danke schön. Wir müssen auch an die Wirte denken. Außengastro- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) nomie bedeutet einen hohen finanziellen Aufwand. Da muss man auch Geld einnehmen können. Das kann ich Das Wort hat die Kol- aber nicht, wenn ich so früh schließen muss. Deshalb lau- Vizepräsidentin Anke Fuchs: legin Brunhilde Irber für die SPD-Fraktion. tet unsere Forderung: Wir müssen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass auch die Außengastronomie, dass die Biergärten wenigstens bis Mitternacht öffnen können. Brunhilde Irber (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kol- leginnen und Kollegen! Ich bin eben von einem Kollegen Nun ist natürlich die Frage: Wie machen wir das? Es ist gefragt worden, auf welchem Kanal jetzt die Übersetzung völlig klar – ich weiß das –, das ist nicht ganz einfach. Der läuft, weil nicht allen Kolleginnen und Kollegen hier das Ansatz, um eine Stunde zu verlängern, stößt tatsächlich Bayerische so geläufig ist. Ich würde sagen, sie läuft auf auf Schwierigkeiten. Deshalb haben wir nach sehr ge- dem Kanal Weiß-blau. Ich hoffe, dass Sie nicht nur mei- nauer Prüfung einen anderen Ansatz gewählt. Dabei ge- nen Dialekt verstehen können, sondern auch das, was ich hen wir eigentlich von einer ganz einfachen Überlegung zur Sache sage. aus. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE (B) Meine Damen und Herren, es kann doch nicht sein, (D) GRÜNEN und der PDS) dass wir reden, lachen, singen genauso bewerten wie das Hämmern, das Bohren und das Sägen.Menschlicher Sommerzeit, Biergartenzeit: Wer wollte da nicht die Lärm ist doch etwas Angenehmeres als Maschinenlärm; langen Abende genießen und im Biergarten, im Straßen- das darf nicht gleich beurteilt werden. café oder bei einem Fest im Freien verweilen, solange man Lust dazu hat – wäre da nicht die Sperrzeit für die (Beifall bei der F.D.P. – Brunhilde Irber Außengastronomie, die wir, soweit wir Gäste sind, gerne [SPD]: Es kommt aber sehr darauf an!) aufgehoben oder hinausgeschoben sähen. Die F.D.P. hat Deshalb schlagen wir vor, eine Bundes-Immissions-hierzu einen Antrag eingebracht, dem wir sehr wohlwol- schutzverordnung „Außengastronomie“ zu machen, so lend gegenüberstehen. wie wir übrigens bisher schon die 18. Bundes-Immis- (Beifall des Abg. Ernst Burgbacher [F.D.P.]) sionsschutzverordnung „Sportstätten“ haben. Das geht also sehr wohl. Wenn wir das machen, haben wir die Mög- Ich trinke auch gern mit dem Kollegen Burgbacher abends lichkeit, dass auch diese Dinge vor Ort entschieden wer- noch ein Weißbier. den können und nicht an starren Regelungen aus Berlin (Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Richtig!) scheitern. Wenn wir dies machen, dann bekommen wir übrigens auch mehr Rechtsfrieden. Ich sage Ihnen: Bei Ich hoffe, dass Sie es in Zukunft ein bisschen länger ge- den Konflikten, die es natürlich immer gibt, kommt es mir nießen können. darauf an, dass sie vor Ort entschieden werden, dort, wo Wir bekennen uns aber als SPD-Fraktion auch zur Ur- sie auftreten. Dort muss das auch zunehmend zu einem heberschaft dieses Anliegens, weil wir bereits am 13. Fe- Toleranzthema werden. Es kann doch nicht sein, dass wir bruar hier im Deutschen Bundestag einTourismusför- alles nur noch vor Gericht austragen. derprogramm eingebracht haben, in dem zu lesen ist: (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Die Gastronomie stellt die Kernleistung für den Nein, Menschen müssen miteinander reden und miteinan- Tourismus. Das Gaststättenrecht ist seit Jahrzehnten der Lösungen suchen. starr, das Kundenverhalten hingegen folgt den Trends. Betriebsarten, Gestattungen und Sperrzeiten Meine Damen und Herren, ich habe von den Regie- sollen daher dereguliert werden. rungsfraktionen und von der Bundesregierung – von Staatssekretär Mosdorf – den Hinweis bekommen, dass Dazu haben wir alle ein Schreiben vom Dehoga bekom- die Regierung das gut findet; übrigens auch der Wirt-men, das nun teilweise wörtlich im Antrag der F.D.P. 17778 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001

Brunhilde Irber (A) wiederzufinden ist. Ich kann nur sagen: Respekt, das ist Vor dieser Entwicklung sollten wir nicht die Augen(C) konsequente Lobbyarbeit. verschließen. Wir sollten uns tatsächlich die Frage stellen, ob die bislang in vielen Gesetzen anzutreffende Grenze Der Dehoga hat aber Recht: In den letzten Jahren ha- von pauschal 22 Uhr heutzutage noch zeitgemäß ist. Der ben sich die Lebensgewohnheiten der Bevölkerung ver- Kollege Burgbacher hat nun vorgeschlagen, diese Grenze ändert, so wie Kollege Burgbacher das schon ausgeführt generell auf 24 Uhr auszudehnen, und dies bundesweit. hat. Die Leute gehen später weg, möchten gerne länger sitzen bleiben. Diesem Trend müssen wir folgen, indem (Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Was sagen die wir die bestehenden Gesetze anpassen. Länder dazu?) Zusätzlich sollen in einer Technischen Anleitung „Außen- Vizepräsidentin Anke Fuchs:Frau Kollegin, der gastronomie“ die zulässigen Lärmpegel im, sage ich ein- Kollege Burgbacher möchte gerne eine Frage stellen. mal, einseitigen Interesse der Gäste und der Wirte ausge- staltet werden. In der Regierung kann man sich die Sache aber nicht so einfach machen und ein Dehoga-Schreiben (SPD): Aber selbstverständlich. Brunhilde Irber eins zu eins in einen Bundestagsbeschluss umsetzen. Bei allem Verständnis im Grundsatz müssen wir auch die In- Vizepräsidentin Anke Fuchs: Bitte sehr. teressen der anderen Seite im Auge behalten; das sind die Interessen der Nachbarn und der Anwohner. Wie die Nachbarn reagieren würden, wenn die gesamte Außen- (F.D.P.): Liebe Kollegin Irber, Ernst Burgbacher gastronomie – also nicht nur die Biergärten und Volksfes- würden Sie zur Kenntnis nehmen – das habe ich Ihnen te – entsprechend Ihrem Vorschlag bis 24.00 Uhr plus auch schon gesagt –, dass das nichts mit konsequenter Austrinken und Zahlen offen bliebe – auwei, auwei, das Lobbyarbeit zu tun hat, sondern dass wir seit langer Zeit möchte ich mir nicht ausmalen. an diesem Antrag arbeiten? Abgestimmt haben wir ihn, wie wir alle das tun, mit verschiedenen Verbänden. Das Man kann die gesamte Problematik nicht einfach über hat aber nichts mit Abschreiben oder Lobbyarbeit zu tun. einen Kamm scheren. Was in innerstädtischen Lagen ohne Klagen der Anwohner hingenommen wird, weil es zum Charakter des Viertels passt oder weil es immer schon so (SPD): Das war aber keine Frage, Brunhilde Irber war, würde in einem ruhigen Vorortwohnviertel sofort zu Herr Kollege Burgbacher, Streit und verwaltungsgerichtlichen Klagen führen. (Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Doch!) Bestimmte gastronomische Betriebsformen werden zum sondern eine Feststellung. Ich nehme es trotzdem zurBeispiel im Norden anders bewertet als im Süden. Lieber (B) Kenntnis. Herr Kollege, der mich vorhin so nett angesprochen hat: In (D) Bayern ist der Biergarten – ich zitiere aus der Begründung (Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Danke!) der bayerischen Biergartenverordnung – „ein Stück ange- Wenn wir aber am Freitag einen Brief bekommen und der stammten bayerischen Kulturgutes“. In Baden-Württem- Text am Montag wortgleich in einem Antrag steht, kann berg und Rheinland-Pfalz wird man eher an die Besenwirt- man den Verdacht nicht ganz von der Hand weisen, dass schaften oder die Häckerwirtschaften und die Weinlauben man das einfach abgeschrieben hat. als traditionelle Formen einer Außengastronomie denken. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ich will damit nur sagen, dass wir für diesen in der Pra- DIE GRÜNEN) xis sehr unterschiedlichen Problembereich keine bundes- weit einheitliche Vorgabe machen sollten. Dieser Bereich Die Einführung der Sommerzeit, liebe Kolleginnen entzieht sich einer nationalen Regelung. Bitte versetzen und Kollegen, hat den Tagesablauf verschoben, ohne dass Sie sich einmal in die Situation und stellen Sie sich die eine Anpassung der Bestimmungen, die an die Tageszeit Aufregung vor, wenn uns Brüssel hierzu Vorgaben ma- gebunden sind, erfolgt ist. Es ist eine Stunde länger hell. chen würde! Die Temperaturen bleiben bis weit in den Abend hinein sehr angenehm und stärken den Wunsch, sich auch spät (Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Das wollen wir noch im Freien aufzuhalten. Man kann sogar sagen: Mit doch nicht!) Einführung der Sommerzeit hat der Staat für die Gastro- Dies sollte auf die regionalen Bedürfnisse bezogen blei- nomen günstigere Rahmenbedingungen geschaffen. Trotz- ben; es sollte durch die Länder oder durch kommunale dem sind diese Regelungen, insbesondere für die Nacht- Satzungen geregelt werden. Ich möchte das Geschrei ruhe, unverändert geblieben. nicht hören, wenn wir einen solchen Vorschlag aus Brüs- Wir haben in unseren Städten in den letzten Jahrensel bekommen hätten. Da hätte ich Sie gern gesehen. Wir Fußgängerzonen geschaffen, um unsere Innenstädte at- können das nicht alles über einen Kamm scheren. traktiv zu erhalten und nicht durch weiteren Wegzug noch Ich halte daher die derzeitige Regelung in § 18 des mehr ausbluten zu lassen. Zum modernen urbanen Leben Gaststättengesetzes, die ausdrücklich besagt, dass die gehört auch die Gastronomie. Ich finde, es ist eine gute Sperrzeiten durch die Länder festzulegen sind, für in je- Entwicklung, dass Straßencafés, Biergärten und andere der Hinsicht angemessen. Formen der Außengastronomie praktisch ein fester Be- standteil unserer Innenstädte geworden sind. Wir in Ber- (Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Das wollen wir lin genießen das ja manchmal auch zu später Stunde. auch genauso!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17779

Brunhilde Irber (A) Schon Art. 72 des Grundgesetzes erlaubt dem Bund im trie- und Verkehrslärm haben, erscheint mir nicht sinn-(C) Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung – wie hier voll. Denn die Industrie findet normalerweise im Gewer- beim Gaststättengesetz – die Gesetzeskompetenz nur, begebiet statt und nicht in so stark bewohnten Gebieten „wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebens- wie bei der Außengastronomie. verhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Ich glaube, wir können hier nicht mit einer pauschalen Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen In- Lösung ankommen, denn wir kennen verschiedene Arten teresse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich von Lärm. So gibt es den menschlichen Lärm, den Sie macht.“ vorhin beschrieben haben. – Es geht nicht gegen das La- Es hat sich auch hier in letzter Zeit schon einiges getan. chen. Sie wissen, ich lache sehr gern und oft, auch hier im Seit zwei bis drei Jahren ist eineLiberalisierungswelle Deutschen Bundestag. Ich glaube, ich bin eine Lach- bei den Sperrzeitverordnungen in den Ländern festzustel- taube. – Im Gegensatz dazu haben wir lärmende Autos, len, die sich nicht nur auf die Stadtstaaten bezieht. Sogar Türen, die auf- und zugeschlagen werden. Zu einer wei- Flächenstaaten wie das Saarland haben die allgemeine teren Art des Lärms gehören grölende und singende Men- Sperrzeit auf die so genannte Besenstunde – das heißt, auf schen, die mit zunehmendem Alkoholgenuss nicht mehr eine Stunde am frühen Morgen, meistens zwischen 5 und so schön singen, vielmehr wird deren Singen eine Beläs- 6 Uhr, was zuvor nur in Berlin zu finden war – begrenzt. tigung für die Anwohner. Sie kennen gewiss die alte Dies bezieht sich natürlich nicht auf die Außengastrono- Weisheit: „Je später der Abend, desto lauter die Gäste.“ mie. Aber auch in der Außengastronomie kommt Bewe- (Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das muss doch gung auf. So hat das Land Brandenburg die generelle nicht unbedingt sein! Wo steht das geschrieben? Sperrzeit in der Außengastronomie auf 23 Uhr festgelegt. Nirgends! Das ist eine Unterstellung!) Das ist ein Zeitpunkt, den ich für einen ersten Schritt in die richtige Richtung halte. Auch einige Städte in Nord- Deshalb glaube ich, dass wir gut beraten sein werden, es rhein-Westfalen haben für die Sommermonate diese Zeit bei einer Einzelbeurteilung zu belassen, bei der die in kommunalen Satzungen vorgegeben. Sie sehen also, TA Lärm nur als Orientierung herangezogen wird. Es dass die SPD-geführten Länder durchaus mit der Zeit ge- überrascht mich schon, dass die Liberalen, die sonst doch hen. immer vor der Überregulierung warnen, den Ländern aus- gerechnet in dieser Hinsicht eine nationale Regelung (Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Baden-Württem- überstülpen wollen. Wo bleibt denn da die Subsidiarität? berg ist noch nicht SPD-regiert!) In der Rechtsprechung werden immer auch alle den Gäs- Ähnlich verhält es sich auch mit Ihrem Vorschlag einer ten zuzurechnenden Geräusche wie das Türenschlagen immissionsschutzrechtlichen Regelung zur Erfassungoder das Anlassen des Motors beim Abfahren in die Be- (B) und Bewertung des Gaststättenlärms, Herr Burgbacher. wertung mit einbezogen. Das können wir nicht ignorie- (D) Hier sei die Frage erlaubt, verehrter Herr Kollege, warum ren. Sie für den Antrag eigentlich keine Überweisung an den Eine bundesweite Regelung über dieErfassung und Umweltausschuss vorgesehen haben. Eine Änderung des Bewertung von Gaststättenlärm könnte auch zu durch- Immissionsschutzgesetzes ist doch ohne die Beteiligung aus erheblich restriktiveren Ergebnissen führen. Ich bitte des Umweltausschusses nicht möglich; der wäre dabei fe- Sie, zu bedenken, ob das nicht ein Schuss in den Ofen sein derführend. könnte. Es gibt gegenwärtig eben auch einen Trend zu ei- (Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das machen wir ner Neubewertung der Folgen von Lärm. Langzeitstudien doch noch! Das muss noch gemacht werden!) belegen den Verdacht, dass Lärm krank macht. Die Fol- gen sind erhebliche Einsprüche von Bürgern, zum Bei- Es kommt der Verdacht auf, dass Sie Ihrem umweltpoliti- spiel beim Ausbau der Flughäfen. Wir wissen hier in schen Sprecher eine Öffnung der Lärmgrenzen nicht zu- Schönefeld und in Frankfurt, was das bedeutet. muten wollten Ich vermag im Augenblick noch nicht abzuschätzen, (Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Das ist doch Un- ob die beiden Trends – hin zu längeren Öffnungszeiten bei sinn! Bruni, so billig hast du es nicht nö- den Biergärten in der Außengastronomie und größere tig! – Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Absoluter Sorge vor den Folgen des Lärms – in einer Interessenab- Quatsch!) wägung unter einen Hut zu bekommen sind. Die Tatsache, und vielleicht nur ein bisschen Populismus für die Som- dass Sie den Umweltausschuss nicht in die Debatte ein- merpause betreiben wollten. beziehen, zeigt mir, dass Sie dies ebenso einschätzen. Wenn wir uns ernsthaft mit diesem Thema beschäfti- Aber wie kommen wir nun weiter? Es ist die Frage, wie gen sollen, dann müssen wir alle Betroffenen in die De- wir das Problem lösen, das den Tourismuspolitikern batte mit einbeziehen. natürlich ein großes Anliegen ist. Wir von der Koalition wollen einen guten Kompromiss auf einer neuen Grund- (Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Aber nicht in dem lage. Aus diesem Grunde glaube ich, dass es günstig wäre, Stil!) wenn wir uns darauf verständigten, die mitteleuropäische – Das muss man schon mir überlassen, in welchem Stil. – Zeit – so wie sie vorhanden ist – im Gesetz stehen zu las- Eine pauschale Regelung in einer TA Gaststättenlärm sen. In der Praxis würde das zur mitteleuropäischen oder in einer TA Außengastronomie, wie wir sie in der Sommerzeit führen. Das heißt, wir hätten eine Stunde bereits existierenden TA Lärm vor allem für den Indus- länger Zeit, in der Gäste das schöne Biergartenleben 17780 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001

Brunhilde Irber (A) genießen und die Gastwirte mehr Umsatz machen könn- Bewohner in den Städten, die nicht über einen eigenen(C) ten, aber die Bewohner, die in der Umgebung solcherGarten verfügen, einen Zufluchtsort, eine Stätte der Be- Gaststätten ihr Heim haben, nicht durch den Lärm belä- gegnung und der Kommunikation dar, und das in der Re- stigt würden. Wir kommen in der Ausschussberatunggel fernab von Wohngebieten, häufig im Grünen. noch dazu. Ein anderes Argument ist dieBelebung unserer In- Wir können die Bundesregierung jetzt auffordern, uns nenstädte. Ich will gar nicht wissen, wie viele Millionen einmal alle jene Gesetze – außer dem Gaststättengesetz – die Kommunen in den letzten Jahren in Attrak- zu benennen, die von der Regelung der Nachtruhe tangiert tivitätsprogramme zugunsten der Innenstädte investiert wären. Der Beginn der Nachtruhe müsste entweder zeit- haben – ohne Erfolg. Die Geschäftszeiten in der Woche lich verschoben werden oder es müsste eine andere Lö- ziehen die Menschen bis 20 Uhr in die Einkaufszonen. Ein sung gefunden werden. Wenn wir dann eine Antwort der Großteil von ihnen würde anschließend gerne noch Bundesregierung vorliegen haben, können wir im Aus- gemütlich etwas essen oder in ein Café gehen. Die Aus- schuss mit den Beratungen über Ihren und unseren Antrag sicht, den Stadtbummel um 22 Uhr behördlich beendet zu beginnen und eine Lösung zu finden versuchen, die bei- bekommen, lässt diese Leute aber in der Regel nach den Anliegen gerecht wird. Hause fahren. So beginnt abends Punkt acht schlagartig Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. die Verödung unserer Innenstädte. Auch das Abdriften der Kundenströme durch Gewerbe- und Einzelhandels- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ansiedlungen auf der grünen Wiese unterstreicht die Be- DIE GRÜNEN – Klaus Brähmig [CDU/CSU]: deutung der Gastronomie für die Belebung unserer In- Wo ist der SPD-Antrag? Den kenne ich gar nenstädte. nicht! Kenne ich den schon?) Das Sitzen unter freiem Himmel schafft gerade erst das – Der Antrag ist bereits am 13. Februar eingebracht wor- Flair einer Innenstadtzone, das Bummler und Passanten den, Herr Brähmig. Es tut mir Leid, wenn Sie die Anträge an den wenigen Sommerabenden bindet. Eine Vitalisie- nicht lesen. rung bzw. Revitalisierung der Innenstädte ist nur dann möglich, wenn es uns gelingt, die Menschen zum Bleiben Vizepräsidentin Anke Fuchs: Nun hat das Wort die zu bewegen. Die Umgestaltung der Sperrzeiten ist zwar Kollegin Anita Schäfer für die CDU/CSU-Fraktion. kein Allheilmittel, aber sie ist auf jeden Fall saisonal eine Erfolg versprechende, kostenneutrale Maßnahme.

Anita Schäfer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Werfen wir einen Blick auf unsere Nachbarn. Ihnen al- len ist sicherlich die eine oder andere nette Urlaubserin- (B) Damen und Herren! In den vergangenen Tagen haben wir (D) ganz aktuell einen der besonderen Gründe für den vorlie- nerung an einen gemütlichen Abend in einem Café in genden Antrag erleben können, sonniges und warmesFlorenz oder in Paris präsent. Die deutschen Außengas- Sommerwetter, das die Menschen dazu veranlasst, auszu- tronomen ernten bei ihren ausländischen Gästen aber nur gehen und die Abendstunden für Entspannung und Kom- ein ungläubiges Kopfschütteln, wenn sie zu einer Uhrzeit, munikation zu nutzen. Die Gelegenheit dazu ist bei uns zu der es in unserem Land häufig noch hell ist, die Be- nicht so häufig gegeben. Rechnen wir es einmal hoch, so wirtung einstellen müssen. sind die Witterungsverhältnisse in unserem Lande an ma- (Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das muss sich ximal 30 bis 40 Abenden im Jahr günstig genug hierfür. ändern!) An diesen Abenden wird es den Betreibern der Außengas- tronomie jedoch untersagt, den Gästen auch um viertel Dies ist ein eindeutiger Standortnachteil des deutschen nach zehn noch ein Glas Wein oder eine Tasse Kaffee zu Tourismus. Gerade auch vor dem Hintergrund des Jahres servieren. des Tourismus konterkariert dies alle Bemühungen, unser Land im internationalen Vergleich konkurrenzfähiger zu Seien Sie einmal ehrlich: Wer von Ihnen im Plenum hat machen. Welcher Gast soll denn bitte schön im Ausland sich denn bisher noch niemals über diesen Umstand geär- durch seine Mundpropaganda für einen Urlaub an Rhein gert? Sie alle kennen die Arbeitszeiten, die es einem un- oder Mosel werben, wenn man als Urlaubserinnerung die möglich machen, nachmittags um halb sechs in einem Bekanntschaft mit deutscher Bürokratie und Regelungs- Biergarten oder in einem Straßencafé zu sitzen. So geht es wut mit nach Hause bringt? dem Großteil unserer Bevölkerung. Die Lebensverhält- nisse und die Gewohnheiten der Menschen in unserem (Beifall bei der CDU/CSU – Sylvia Voß Land haben sich massiv geändert. Millionen von Men- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Muss man ja schen arbeiten bis 20 Uhr oder noch länger. Die gegen- nicht!) wärtigen Sperrzeiten im Freisitz gehen weder hierauf Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, Ihre Re- noch auf veränderte Freizeitbedürfnisse der Menschen an gelungen zu den 630-DM-Jobs Schönwettertagen ein. Man nimmt diesen Leuten im Grunde die Gelegenheit, nach der Arbeit noch in einen (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Biergarten oder zu einer anderen Außengastronomie zu DIE GRÜNEN) gehen. haben die Betreiber von Freizeitgastronomien schon arg Dabei erfüllen doch gerade die Biergärten einen wich- gebeutelt. Offensichtlich sind Sie nicht willens, dieses tigen gesellschaftspolitischen Zweck. Sie stellen für die Konjunkturhemmnis wieder zu beseitigen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17781

Anita Schäfer (A) Hier bietet sich Ihnen aber wenigstens die Gelegenheit, dass der Betrieb dieser Außengastronomie nur an 30 bis (C) die wirtschaftliche Situation des strapazierten Gastgewer- 40 Tagen im Jahr wirtschaftlich ist. bes zu entlasten. Gerade durch die Verlängerung der Aus- Wesentliches Problem ist der Lärmschutz. Dieses gilt schankzeiten um eine oder zwei Stunden kann vielen Gas- es in erster Linie zu klären, denn schließlich ist Lärm tronomen ein wirtschaftlicher Betrieb von Freisitz-nachweislich eine Belastung, die zu Gesundheitsschäden flächen ermöglicht werden. Dass dies zusätzlich positive führen kann. Aber dies gilt es auch zu hinterfragen: Ver- Auswirkungen auf die Beschäftigungsstruktur hat, muss ursacht der Betrieb einer Außengastronomie tatsächlich an dieser Stelle eigentlich nicht besonders betont werden. einen Lärm, der mit dem von Industrieanlagen vergleich- (Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das ist der bar ist? Das derzeitige Gleichsetzen von Kommunikati- Punkt!) onsgeräuschen in Straßencafés mit Industrielärm wie dem Presslufthämmern und Motorengeräuschen ist offensicht- Die gegenwärtige Regelung bestraft viele für die Nöte lich genauso wenig sachgerecht, wie dies bei Sportveran- einzelner. Das erinnert stark an das Prinzip der Sippen- staltungen der Fall ist. haft. Sinnvoller ist es, Beschränkungen dort vorzuneh- men, wo sie notwendig und angebracht sind. Wenn die Das Verfahren wird dem Problem vor allem in akus- Ordnungsämter mittlerweile in der Regel nur noch auf tisch-technischer Hinsicht nicht gerecht. Sie können sich Beschwerden hin die Einhaltung der 22-Uhr-Frist kon- das gern so wie ich von einem Akustikingenieur Ihres trollieren, so spricht diese Tatsache für sich. Wahlkreises bestätigen lassen. Es ist ein gesondertes Mess- verfahren notwendig, um im Interesse aller Beteiligten, (Beifall bei der CDU/CSU) der Gastwirte, der Gäste und im Besonderen der Anwoh- Besser wäre es, die Anwohnersituation und die jeweilige ner, zu einer sozialverträglichen Lösung zu kommen. Zumutbarkeit im Einzelfall zu beurteilen. Dies ist umso dringender, als es derzeit keine verbind- Flexibel, bürgernah und mit Beteiligung der Betroffe- liche Vorschrift für die Beurteilung von Geräuschimmis- nen – so soll eine aktive Bürgergesellschaft sein. sionen der Freizeitgastronomie gibt. Die Technische An- leitung Lärm findet schon seit zwei Jahren keine (Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Anwendung mehr auf die Außengastronomie. Dennoch Das wollen wir ja!) wird häufig nach ihr verfahren. Das allein schon begrün- det einen Handlungsbedarf. Für Sportstätten hingegen Hierzu ist es aber notwendig, bürokratische und kostenin- gibt es seit rund zehn Jahren eine besondere Immissions- tensive Anträge auf Sondergenehmigungen zu vermeiden. schutzverordnung. Eine Überarbeitung der Lärmschutz- verordnung hinsichtlich der Außengastronomie ist daher (B) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Das nun provoziert eine nicht nur sinnvoll, sondern längst überfällig. (D) Zwischenfrage der Kollegin Irber. Lassen Sie diese zu? Meine Fraktion hat schon im Zusammenhang mit der Lärmschutzrichtlinie des Europäischen Parlaments unter- Anita Schäfer (CDU/CSU): Nein, ich möchte fort- strichen, dass die Regelung des Lärmschutzes auf lokaler fahren. – Deshalb müssen wir die Gesetzesflut eindäm- und regionaler Ebene am besten aufgehoben ist. Dies gilt men und die Regelungsdichte in Deutschland wiederinsbesondere für die Belastungen, die sich aus dem Be- überschaubar machen. Nur dann kann sich die aktive Bür- trieb der Freizeitgastronomie ergeben. gergesellschaft wieder besser entfalten. Der Antrag bietet einen sinnvollen Ansatz, um an Deshalb brauchen wir auch keine Bundesgesetze zur tatsächlichen Lärmbelästigungen orientiert handeln zu Regelung der Öffnungszeiten von Biergärten können. und Auch hier ist die Anwendung des Subsidiaritäts- Straßencafés. Die Gemeinden sollen selbst darüber ent- prinzips zweckmäßig. Mit der Zuständigkeit der Städte scheiden. und Gemeinden kann den lokalen und kulturellen Beson- derheiten am besten Rechnung getragen werden. (Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können sie jetzt schon!) Es gilt, die Gesetze den Lebensumständen der Men- schen anzupassen, und nicht anders herum. Hierzu ist es Sie können zwischen den Interessen vermitteln, denn sie aber nötig, die Scheuklappen und nicht die Bürgersteige kennen die örtlichen Besonderheiten. Sie haben ein Inte- hochzuklappen. Nur so können wir unsere Gastronomie resse an lebendigen Ortskernen und Innenstädten. Sie er- den heutigen Bedürfnissen anpassen. zielen auch indirekt Einnahmen aus der Gastronomie. Vor allem vertreten sie die Interessen aller Bürger der Ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) meinde, sowohl derjenigen, die am späten Abend in einem Der Antrag der F.D.P. bietet hierzu eine gute Gelegen- Biergarten oder in einem Café sitzen wollen, als auch der- heit, dessen Anliegen auch von der CDU/CSU-Fraktion jenigen, die ihre Ruhe wollen. Zudem wird so auch das unterstützt wird. Verständnis für wirklich gerechtfertigte Einwände gegen eine längere Außenbewirtung gefördert. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so- wie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Es ist wirklich nicht jedermanns Sache, unter seinem Vizepräsidentin Anke Fuchs:Für die Fraktion Schlafzimmer eine gut besuchte Schankterrasse zu haben. Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Sylvia Voß das Für den Betroffenen ist es auch nur ein schwacher Trost, Wort. 17782 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001

(A) Sylvia Voß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Liebe Vizepräsidentin Anke Fuchs: Frau Kollegin, gestat- (C) Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Brähmig? richtig erschüttert, denn die Opposition tut so, als könne man nirgendwo in Deutschland abends beim Bier oder ei- (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, gerne. ner Tasse Kaffee nett mit Freunden zusammensitzen und Sylvia Voß feiern. Irgendwie fühle ich mich hier im falschen Land. Sie tun so, als ob man bei uns um 20 Uhr die Sonne aus- Vizepräsidentin Anke Fuchs: Bitte sehr, Herr Kol- knipsen würde. Das ist ja nicht so. lege. (Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Das hat niemand gesagt!) Klaus Brähmig (CDU/CSU): Ich mache es ganz – Doch, die Kollegin Schäfer hat sich ziemlich darüber kurz. – Frau Kollegin Voß, sind Sie mit mir einer Mei- geärgert, dass man hier abends keine schönen Biergärten nung, dass der Antrag der F.D.P., der von unserer Fraktion mehr aufsuchen könne. unterstützt wird – Frau Kollegin Schäfer hat das schon er- klärt –, dringend notwendig ist, weil die mittelständische (Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das hat sie Gastronomie- und Hotelleriebranche in der derzeitigen überhaupt nicht gesagt!) wirtschaftlichen Situation jede erdenkliche zusätzliche Erstaunlich ist, dass die Opposition diese Tatsache of- Einnahmemöglichkeit braucht, da die Belastung des Mit- fensichtlich erst jetzt entdeckt und nicht schon 16 Jahre telstands und der Gastwirtschaft durch Ökosteuer und an- vorher, als sie es hätte ändern können. dere Maßnahmen massiv zugenommen hat? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ und bei der SPD) DIE GRÜNEN) Wahrscheinlich hat sie erst jetzt gemerkt, was Leben ist. Sylvia Voß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich bin Ich komme aus der Ecke mit dem schönsten Biergarten davon überzeugt, dass Sie das Thema Ökosteuer bei der in der Region. Wenn ich abends am S-Bahnhof Griebnitz- Behandlung jedes Themas unterbringen können. Ich see aussteige, sehe ich schöne alte Bäume, schöne Blu- denke aber, Sie sollten mir weiter zuhören, dann wissen men und habe einen direkten Blick auf den See. Gehen Sie Sie, was ich dazu zu sagen habe. einmal hin, da können Sie auch abends noch sitzen. Es ist so, dass deutschlandweit Sperrfristen gelten, die Wir haben es uns imTourismusausschuss zu Eigen durch Ausnahmen individuell an die jeweilige Einrich- gemacht, nicht immer nur die Belange der Reisenden, tung und Umgebung angepasst werden können. Das re- (B) sondern auch die der Bereisten zu berücksichtigen. (D) geln die Länder. Deswegen habe ich mich schon vorhin (Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das ist Nach- gefragt: Warum haben Sie denn den Ländern nicht ein haltigkeit!) bisschen Dampf gemacht? Warum kann man das in Sach- Ich denke, auch bei diesem Thema sollten wir nicht nur sen, Baden-Württemberg oder Rheinland-Pfalz nicht re- die Belange der Trinkenden, sondern auch die der An- geln? wohner von Biergärten berücksichtigen. Die F.D.P. (Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Baden-Württem- scheint immer nur nach Süden zu schauen. Sie übersieht berg hat es doch geregelt!) dabei, dass es im Norden länger hell ist. Dadurch ergeben sich dort vielleicht etwas andere Probleme. – Deshalb frage ich ja. – Die Länder regeln das Problem und geben ihre Kompetenz teilweise an die Kommunen Wir Deutschen sind natürlich anders als die Spanier, ab, sodass es individueller, als es jetzt geregelt ist, kaum Franzosen oder Italiener; das bestreitet auch keiner. Wir mehr geht. sind aber nicht lust- und touristenfeindlich. Es wird von uns nicht bestritten, dass es bei touristisch stark nachge- Wenn es von Fall zu Fall, trotz der schon jetzt beste- fragten Zielen attraktiv ist, bei lauen Temperaturen und henden Regelungsmöglichkeiten, in der Umgebung der schönem Wetter abends noch etwas länger draußen zu sit- Biergärten und Gaststätten immer noch zu laut wird, be- zen. Auch ist es für die Besitzer solcher Lokale wunder- stehen teilweise, beispielsweise in Berlin, wo wir zwi- schön, wenn sie abends noch Einnahmen erzielen können. schen fünf und sechs Uhr morgens eine Sperrfrist, in der Ruhe herrschen muss, haben, so genannteClearingstel- Es ist gut, wenn sich die Anwohner und die Besitzer len. Bei diesen Stellen können sich die Gestörten, die Stö- von Biergärten und Gartenlokalen in Konfliktfällen ab- rer sowie die Vertreter der zuständigen Behörden an einen sprechen und auf einen Kompromiss einigen. Das ist viel Tisch setzen. Nach Aussage des Geschäftsführers der Ho- häufiger der Fall, als dies die F.D.P. offensichtlich an-tel- und Gaststätten-Innung Berlin und Umgebung, Karl nimmt; denn sonst würde sie nicht nach einer solchenWeißenborn, schafft man es auf diese Weise, bis zu Regelung schreien. 90 Prozent der Konflikte aus der Welt zu schaffen. Ich (Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Das habe ich doch denke, das ist ein gutes Beispiel dafür, wie in einem fö- gesagt!) deralen Staat mit Konflikten umgegangen werden kann. Gerade Sie beschwören immer wieder dieses Thema. Die derzeitige Handhabung der Sperrzeitenregelung ist im Übrigen gar nicht so kundenunfreundlich, wie es die Im Übrigen – ich komme zum Kern meiner Aus- F.D.P. darstellt. führungen – finden wir die Sichtweise Ihres Antrags ein- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17783

Sylvia Voß (A) seitig; denn sie ist nur auf die Trinkenden und die Betrei- 29. September, und dem Ehrentag des Heiligen Georg,(C) ber der Lokale ausgerichtet. Wir möchten, dass auch die dem 23. April, gebraut werden durfte. In den sechs Mo- Belange der Bewohner vor Ort, die ein Ruhebedürfnis naten dazwischen war das Bierbrauen verboten, weil beim haben, berücksichtigt werden. Man muss diese Belange Biersieden eine zu hohe Brandgefahr bestand. Also wirklich gleichrangig betrachten und sie vernünftig ge- musste auf Vorrat gebraut werden. geneinander abwägen. Für manche ist es einfach zu we- Die Frage war nur: Wie brachte man das Bier in dieser nig, nur ein oder zwei Stunden Schlaf zu haben. Sie kön- Zeit ohne Kühlschrank und ohne Kühleis über den Som- nen nicht sagen, dass es keine Belästigung ist, wenn sie mer? Man sorgte für oberirdische Kühlung durch Schat- bei einem Biergarten wohnen, in dem abends das Gegröle ten spendende Gewächse, die über den Bierkellern ge- losgeht. Diese Menschen können nicht ausweichen. Sie pflanzt wurden. Ich denke, das war sehr ökonomisch und können nicht einfach wegziehen oder das Gläserklirren, ökologisch. Da aber die Brauer ihr Bier möglichst direkt Stühlescharren und das laute Gerede, das von unten an den Konsumenten verkaufen wollten, stellten sie unter kommt, einfach abschalten. die Bäume Tische und Bänke und boten ihr Bier frisch Insofern denke ich, dass manches an Ihrem Antrag be- vom Fass an. Um Streitigkeiten zwischen Brauern und denkenswert und auch prüfenswert ist. Aber wie man den Gastwirten zu vermeiden, genehmigte König Ludwig I. „menschlichen Kommunikationslärm“, wie Sie es nen- den Bierausschank unter den Bäumen, verfügte aber, dass nen, kein Essen gereicht werden durfte. Wer auf die Bierkeller zu einem zünftigen Maß ging, musste seine Brotzeit selbst (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mitbringen. Stellt euch vor, wir hätten diese Situation NEN) heute! So weit, so gut. standardisieren kann, das ist mir wirklich ein Rätsel. Zurück in die Gegenwart: Es zeigt sich, dass das Re- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gulierungsbedürfnis in diesem Land dafür sorgt, dass die und bei der PDS) Gemütlichkeit schnell ein Ende hat, weil die Außengas- tronomie pünktlich um 22 Uhr schließen muss. Wie Vielleicht haben Sie ja eine Lösung parat. Auch wenn man schlecht für die Bürgerinnen und Bürger, die keinen eige- manches prüfen sollte, tun sich also noch einige Fragen nen Garten oder keine eigene Terrasse haben und jederzeit auf. unbegrenzt den Vorteil eines gemütlichen Feierabends im Wir werden in den entsprechenden Beratungen sicher- Freien genießen möchten! lich über die Vor- und Nachteile Ihres Vorschlags disku- Nun hat bekanntlich jede Medaille zwei Seiten. So gibt tieren und feststellen, welchen Handlungsbedarf es gibt. es auch bei der Diskussion über die Verlängerung der Im Moment brauchen wir darüber erst einmal nicht Sperrzeiten für die Außengastronomie zwei Seiten. Ich weiterzudiskutieren, da eine Regelung existiert, die man (B) verstehe diejenigen sehr, von denen ich eingangs meiner (D) sehr liberal – das müsste Ihnen eigentlich entgegenkom- Rede sprach, also diejenigen, die eine laue Sommernacht men – auslegen kann und auf deren Basis jede Kommune, mit Freunden bei einem kühlen Bier verbringen wollen, wenn es das jeweilige Land zulässt, ihre eigenen Rege- und diejenigen, die sich von dem dadurch entstehenden lungen treffen kann. Lärm belästigt fühlen, aber auch diejenigen, die die Arbeit Danke schön. haben. „Jedem recht getan, ist bekanntlich eine Kunst, die niemand kann“, so möchte man an dieser Stelle sagen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS) Was also tun und wie entscheiden? Man könnte rigoros bei der derzeitigen Regelung bleiben. Aber in einer Ge- sellschaft, in der die sozialen Beziehungen immer mehr Vizepräsidentin Anke Fuchs: Jetzt hat für die PDS- abkühlen, sollte gemeinsam, vor allem auch mit den Kri- Fraktion die Kollegin Rosel Neuhäuser das Wort. tikern, nach verträglichen Lösungen gesucht werden. Nicht allein Gesetze und Regelungen bringen uns hier Rosel Neuhäuser (PDS): Frau Präsidentin! Meine weiter, sondern das Gesprächmit den Bürgern darüber, Damen und Herren! Reißt die Wolkendecke auf, streckt so dass Freiluftgaststätten ein beliebter Treffpunkt breiter mancher das Gesicht in Richtung Sonne. Sobald Eis, Bier Bevölkerungsschichten sind und ein ungezwungenes Mit- oder Gegrilltes auf dem Tisch stehen, ist der Winter vor- einander ermöglichen, dass Freiluftgaststätten aber auch bei. Feierabende und Wochenenden beginnen von nun an zur Belebung und höheren Attraktivität unserer Innen- in Gärten, auf Terrassen und auch unter Bäumen. Derstädte beitragen und dass Freiluftgaststätten je nach Wet- Wunsch nach einem Abend unter freiem Himmel undterlage maximal nur 30 bis 50 Tage im Jahr – darauf ist nach einem gemütlichen Beisammensein mit Freunden schon hingewiesen worden – betrieben werden können. prägt das Verlangen, Biergärten oder andere Freiluft- Ich denke, wenn wir uns über Regelungen verständi- restaurants aufzusuchen. gen, müssten wir, an unserer Arbeitszeit gemessen, viel- Wenn man sich mit dem Thema der Sperrzeiten für leicht einmal sagen, dass Biergärten erst ab 20 Uhr öffnen Gaststätten und Biergärten beschäftigt, sollte ein kurzer sollten, damit auch wir einmal in den Genuss kommen, Blick auf die Geschichte der Biergärten nicht fehlen: die Angebote in den Biergärten hier in Berlin in Anspruch Wie so einige Dinge, die in der Welt passiert sind, so ver- nehmen zu können. danken wir auch die Biergärten der Kirche. In der bayeri- Vielen Dank. schen Brauordnung aus dem Jahre 1539 wurde festgelegt, dass nur zwischen dem Festtag des Heiligen Michael, dem (Beifall bei der PDS) 17784 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001

(A) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Und insgesamt sollte Berichterstattung: (C) die Regelung so zügig verabschiedet werden, dass wir Abgeordnete Hans Georg Wagner schon zum nächsten Sommer von den Veränderungen pro- Hans Jochen Henke fitieren. Oswald Metzger Jürgen Koppelin (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Dr. Uwe-Jens Rössel F.D.P.) Ich schließe die Aussprache. b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf dem Antrag der Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Drucksache 14/6188 an die in der Tagesordnung aufge- Rössel, Dr. Dietmar Bartsch, Heidemarie Ehlert, führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sind Sie damit ein- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS verstanden? – Damit ist die Überweisung so beschlossen. Änderung des Zerlegungsmaßstabs des Gewer- besteuermessbetrags Ich rufe Tagesordnungspunkt 25 auf: – Drucksachen 14/5584, 14/6461 – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Rege- Berichterstattung: lung des Schutzes gefährdeter Zeugen Abgeordnete Dr. Mathias Schubert Jochen-Konrad Fromme – Drucksachen 14/638, 14/6279 (neu) – Heidemarie Ehlert (Erste Beratung 176. Sitzung) c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu schusses (4. Ausschuss) dem Antrag der Abgeordneten Dr. Uwe-Jens – Drucksache 14/6467 – Rössel, Dr. Dietmar Bartsch, Heidemarie Ehlert, Berichterstattung: weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Abgeordnete Hans-Peter Kemper Erhöhung der Gewerbesteuerumlage rückgän- Wolfgang Zeitlmann gig machen Cem Özdemir – Drucksachen 14/5586, 14/6462 – Dr. Max Stadler Berichterstattung: Ulla Jelpke Abgeordnete Bernd Scheelen (B) Ich eröffne die Aussprache. Die Reden sind alle zu Pro- Jochen-Konrad Fromme (D) tokoll gegeben.1) Ich schließe die Aussprache. Heidemarie Ehlert Wir kommen zur Abstimmung über den vom Bundes- Auch hierzu sind die Reden zu Protokoll gegeben 2), mit rat eingebrachten Gesetzentwurf zur Regelung desAusnahme der des Kollegen Dr. Rössel, der jetzt das Wort Schutzes gefährdeter Zeugen, Drucksachen 14/638,hat. 14/6279 (neu) und 14/6467. Ich bitte diejenigen, die dem (Zuruf von der CDU/CSU: Oh nein! – Albert Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol- Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE len, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer GRÜNEN]: Was ist der Zerlegungsmaßstab? enthält sich? – Bei Gegenstimmen der PDS ist der Ge- Das will ich jetzt wissen!) setzentwurf in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS): Frau Präsidentin! Liebe und Schlussabstimmung! Ich bitte diejenigen, die dem Kolleginnen und Kollegen! „Ohne Moos nix los!“, so ein Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Die Sprichwort. Gegenprobe! – Gegen die Stimmen der PDS ist der Ge- (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ setzentwurf angenommen. DIE GRÜNEN]: Das kann ich bestätigen!) – Sehr wohl. – In vielen Städten, Gemeinden und Land- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a bis 28 c auf: kreisen ist in der Tat Schmalhans Küchenmeister: rück- läufige Investitionen, geschlossene Jugendfreizeiteinrich- a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- tungen, Theaterschließungen, steigende Gebühren für richts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) zu Wasser und Abwasser. Die Ursachen für die Krise der Fi- dem Antrag der Abgeordneten Dr. Uwe-Jensnanzen der Kommunen sind vielfältig. Aber maßgeblich Rössel, Dr. Christa Luft, Heidemarie Ehlert, wei- steckt Bundespolitik mit dahinter. terer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Deshalb war es zu begrüßen, dass die Fraktionen von UMTS-Milliarden für die Einführung einer Bündnis 90/Die Grünen und SPD beschlossen hatten, in kommunalen Investitionspauschale des Bundes dieser Wahlperiode eine Kommunalfinanzreform auf – Drucksachen 14/4557, 14/6208 – den Weg zu bringen.

1) Anlage 3 2) Anlage 4 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17785

Dr. Uwe-Jens Rössel (A) Schauen wir uns das jetzt an, dann sehen wir, dass nichts Das ist nicht nur unser Vorschlag, sondern auch der der(C) passiert ist. Daher hat die PDS-Fraktion in dieser Wahlperi- kommunalen Spitzenverbände. Die Kommunen brauchen ode die Koalition sozusagen vor sich hergetrieben, hat Ini- verlässliche eigene Einnahmen. Die Gewerbesteuer ist tiativen zum Einstieg in eine umfassende Kommunalfi-eine solche Einnahmequelle und muss den Kommunen nanzreform ergriffen und eine Vielzahl von Anträgenauch wirklich zugute kommen. Deswegen sind wir der vorgelegt. Heute stehen drei von ihnen zur Abstimmung. Meinung, dass die Gewerbesteuer nicht abgeschafft wer- Ein erster Antrag beschäftigt sich mit der Wiederauf- den soll. Vielmehr müssen ihre Tücken beseitigt werden lage einer kommunalen Investitionspauschale des Bun- und in einem Reformpaket aufgehen. des für Ostdeutschland, aber auch für strukturschwache (Beifall bei der PDS) Regionen in Westdeutschland. Wir wollen die Finanzkraft der Kommunen stärken, wollen vor allem die Rückläu- Wir wollen die Reform der Gewerbesteuer und beabsich- figkeit bei kommunalen Investitionen aufhalten und hier tigen, in einem ersten Schritt durchzusetzen, dass die Ein- eine Investitionsoffensive für soziale Zwecke, für Infra- nahmen überwiegend den Kommunen zugute kommen. struktur, für kommunale Einrichtungen starten. Jetzt kassieren Bund und Länder 20 Prozent der Einnah- men. Die rot-grüne Regierung hat im Rahmen ihrer Steu- (Dr. Ilja Seifert [PDS]: Das wird ja auch Zeit!) erreform beschlossen, dass dieser Anteil bis zum Jahre – Das wird Zeit, Kollege Seifert! – Das Geld soll direkt an 2005 von 20 auf 28 Prozent ansteigen soll. Dadurch ge- die Kommunen fließen und die Kommunen sollen selbst, hen den Kommunen in den nächsten Jahren jährlich zwi- wirklich im Sinne von kommunaler Selbstverwaltung, da- schen 2 und 3 Milliarden DM an eigenen Einnahmen ver- rüber entscheiden können. loren, was Auswirkungen im Jugendfreizeitbereich, bei Investitionen usw. hat und einen Schritt in die verkehrte 3 Milliarden DM, beginnend ab dem Haushalts-Richtung darstellt. Wir schlagen vor, dies rückgängig zu jahr 2002, sind unser Vorschlag. Wir haben auch einemachen, zumindest aber einen Ausgleich für die Kommu- Finanzierungsgrundlage. Größer als erwartet ist die Zins- nen zu schaffen. ersparnis des Bundes aus der Veräußerung von Mobilfunk- lizenzen. Das wäre eine wirkliche Grundlage, das Projekt Die ganze Debatte um die Gewerbesteuer gefällt uns finanzieren zu können. Das Geld wäre hier gut angelegt. nicht. Dass die F.D.P. – Kollege Schüßler, das haben Sie seit Jahren offen gesagt – die Gewerbesteuer abschaffen (Beifall bei der PDS) will, ist bekannt. Dass jetzt aber Teile der Bundesregierung Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wäre gut angelegt entgegen eigenen Beteuerungen über die Medien eine De- – nicht so bei dem aus Zinsersparnissen in den Bundes- batte über die Abschaffung der Gewerbesteuer initiieren, haushalt 2002 eingestellten Projekt derDeutschen führt sowohl bei den Kommunen als auch bei den Bürge- (B) Bahn AG. Der Bundeshaushalt hat 2 Milliarden DM für rinnen und Bürgern zu Sorgenfalten. (D) die Hilfe zur Bahnsanierung, zur Investitionsoffensive bei der Bahn eingestellt. (Beifall des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS]) (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ Mit der Abschaffung der Gewerbesteuer wird das gute DIE GRÜNEN]: Jährlich!) Band zwischen Wirtschaft und Kommune zerrissen. Es kann nicht sein, dass die Wirtschaft die infrastrukturellen Ich hatte gestern Abend – Kollege Schmidt, Sie sitzen im Leistungen der Kommunen nutzt, ohne dafür einen ange- Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG – ein Gespräch mit messenen Beitrag leisten zu müssen. Über die Reform der Hartmut Mehdorn, dem Vorstandsvorsitzenden der Deut- Gewerbesteuer kann man sprechen. Aber ihre Abschaf- schen Bahn AG. Er sagte mir, dass von diesen 2 Milliar- fung führte dazu, die Kommunen allein zu lassen den DM noch nicht ein Pfennig ausgegeben worden ist, ja, dass sogar noch nicht einmal ein Pfennig durch Verträge (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ gebunden worden ist. DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) (Zuruf von der PDS: Unerhört!) und die Wirtschaft aus ihrer Verantwortung zu entlassen. Das machen wir nicht mit; dem können wir nicht zustim- Die Ursache für diesen ungeheuerlichen Vorgang, liebe men. Kolleginnen und Kollegen, liegt darin begründet (Beifall bei der PDS) (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Im Planungsvorlauf!) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Herr Kollege, Sie – nicht im Planungsvorlauf –, dass die zuständigen Minis- müssen jetzt dringend zum Schluss kommen. terien bürokratische Hürden aufgebaut haben. Die Verein- barung wurde viel zu spät getroffen. Deshalb konnte das Geld nicht ausgegeben werden. Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS): Jawohl, liebe Frau Prä- sidentin. – Zum Schluss bitte ich Sie, liebe Kolleginnen (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ und Kollegen, nach gründlicher Prüfung den vorliegen- DIE GRÜNEN]: Stimmt überhaupt nicht!) den Anträgen der PDS, die auf die Stärkung der kommu- Für Rücksprachen steht Ihnen der Vorstandsvorsitzende nalen Finanzkraft gerichtet sind, zuzustimmen und die gern zur Verfügung. drei Beschlussempfehlungen nicht anzunehmen. Ein weiterer Vorschlag betrifft die Gewerbesteuer. Herzlichen Dank und schönes Wochenende! (Gerhard Schüßler [F.D.P.]: Abschaffen!) (Beifall bei der PDS) 17786 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001

(A) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Ich schließe die Aus- Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 28 c: Be-(C) sprache. schlussempfehlung des Finanzausschusses auf Druck- Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 28 a: Beschluss- sache 14/6462 zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit empfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksa-dem Titel „Erhöhung der Gewerbesteuerumlage rückgän- che 14/6208 zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem gig machen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Titel „UMTS-Milliarden für die Einführung einer kom- Drucksache 14/5586 abzulehnen. Wer stimmt für diese munalen Investitionspauschale des Bundes“. Der Aus- Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Gegen die Stim- schuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/4557 ab- men der PDS ist die Beschlussempfehlung angenommen. zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages- Gegenprobe! – Gegen die Stimmen der PDS ist die Be- ordnung. schlussempfehlung angenommen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 28 b: Be- tages auf Mittwoch, den 4. Juli 2001, 13 Uhr, ein. Ich schlussempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksa- wünsche Ihnen allen ein sonniges Wochenende mit vielen che 14/6461 zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem Biergärtenaufenthalten. Titel „Änderung des Zerlegungsmaßstabs des Gewerbe- steuermessbetrags“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag (Heiterkeit) auf Drucksache 14/5584 abzulehnen. Wer stimmt für diese Die Sitzung ist geschlossen. Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Gegen die Stim- men der PDS ist die Beschlussempfehlung angenommen. (Schluss: 15.19 Uhr) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17787

(A) Anlagen zum Stenographischen Bericht (C) Anlage 1

Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Behrendt, Wolfgang SPD 29.06.2001* Knoche, Monika BÜNDNIS 90/ 29.06.2001 DIE GRÜNEN Bierling, Hans-Dirk CDU/CSU 29.06.2001** Kolbow, Walter SPD 29.06.2001 Bindig, Rudolf SPD 29.06.2001* Kors, Eva-Maria CDU/CSU 29.06.2001 Dr. Blank, CDU/CSU 29.06.2001** Joseph-Theodor Lintner, Eduard CDU/CSU 29.06.2001* Dr. Blüm, Norbert CDU/CSU 29.06.2001 Dr. Lippold (Offenbach), CDU/CSU 29.06.2001 Klaus W. Bodewig, Kurt SPD 29.06.2001 Lörcher, Christa SPD 29.06.2001* Bohl, Friedrich CDU/CSU 29.06.2001 Lüth, Heidemarie PDS 29.06.2001 Brudlewsky, Monika CDU/CSU 29.06.2001 Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 29.06.2001* Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 29.06.2001* Erich Bulmahn, Edelgard SPD 29.06.2001 Mertens, Angelika SPD 29.06.2001 Burchardt, Ursula SPD 29.06.2001 Michels, Meinolf CDU/CSU 29.06.2001* Caesar, Cajus CDU/CSU 29.06.2001 Müntefering, Franz SPD 29.06.2001 Catenhusen, SPD 29.06.2001Neumann (Gotha), SPD 29.06.2001* (B) Wolf-Michael Gerhard (D) Dörflinger, Thomas CDU/CSU 29.06.2001 Ostrowski, Christine PDS 29.06.2001 Freitag, Dagmar SPD 29.06.2001 Otto (Frankfurt), F.D.P. 29.06.2001 Hans-Joachim Friedrich (Altenburg), SPD 29.06.2001 Peter Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 29.06.2001 Dr. Gerhardt, Wolfgang F.D.P. 29.06.2001 Rachel, Thomas CDU/CSU 29.06.2001 Glos, Michael CDU/CSU 29.06.2001 Rauber, Helmut CDU/CSU 29.06.2001 Griefahn, Monika SPD 29.06.2001 von Renesse, Margot SPD 29.06.2001 Dr. Haussmann, Helmut F.D.P. 29.06.2001 Schaich-Walch, Gudrun SPD 29.06.2001 Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 29.06.2001 Scharping, Rudolf SPD 29.06.2001 DIE GRÜNEN Scherhag, Karl-Heinz CDU/CSU 29.06.2001 Hirche, Walter F.D.P. 29.06.2001 Schindler, Norbert CDU/CSU 29.06.2001 Hoffmann (Chemnitz), SPD 29.06.2001 Schlee, Dietmar CDU/CSU 29.06.2001 Jelena Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 29.06.2001* Dr. Hornhues, CDU/CSU 29.06.2001* Hans Peter Karl-Heinz von Schmude, Michael CDU/CSU 29.06.2001* Jäger, Renate SPD 29.06.2001* Dr. Schuchardt, Erika CDU/CSU 29.06.2001 Janssen, Jann-Peter SPD 29.06.2001 Schulte (Hameln), SPD 29.06.2001 Kasparick, Ulrich SPD 29.06.2001 Brigitte Klappert, Marianne SPD 29.06.2001 Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 29.06.2001 17788 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001

(A) Dr. Thomae, Dieter F.D.P. 29.06.2001 Im Zuge der sich immer weiter zuspitzenden Bedin-(C) gungen können die Oberfinanzdirektionen einen Beitrag Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 29.06.2001 leisten, diesen Missstand zu überwinden. Sie können den Wilhelm (Mainz), CDU/CSU 29.06.2001 Finanzämtern zur Seite stehen und praktische Hilfe bei Hans-Otto der Rechtsanwendung anbieten. Die Oberfinanzdirektio- nen als Servicezentren können damit Ausdruck eines pro- Wolf, Aribert CDU/CSU 29.06.2001 fessionellen und in die Zukunft weisenden Verwal- tungsmanagements sein. Wolf (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 29.06.2001 Margareta DIE GRÜNEN Bei den immer wieder festgestellten Größenordnungen beim Umsatzsteuerbetrug, bei der geringen Zahl der Be- Zierer, Benno CDU/CSU 29.06.2001* triebsprüfungen und fehlenden Steuerfahndern ist über Dr. Zöpel, Christoph SPD 29.06.2001 eine innere Neuorganisation der Finanzämter generell nachzudenken. So aber wird letztendlich nur den armen * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-Ländern das Angebot gemacht: Wenn sie kein Geld mehr sammlung des Europarates haben, können sie auf die Mittelinstanz verzichten. Eine ** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-höhere Effizienz der Arbeit der Finanzbehörden ist damit sammlung der NATO nicht von vornherein gegeben. Fakultativ auf die Mittelbehörde Oberfinanzdirektion zu verzichten würde bedeuten, die Einheit der Finanzver- Anlage 2 waltung und einen einheitlichen Gesetzesvollzug zu ge- fährden. Erklärung nach § 31 GO Deshalb werde ich dem Gesetz zur Änderung des der Abgeordneten Heidemarie Ehlert (PDS) zur Grundgesetzes (Art. 108) nicht zustimmen, sondern die- Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes ses Gesetz ablehnen. der Bundesregierung zur Änderung des Grund- gesetzes (Art. 108) (Drucksachen 14/6144 und 14/6470) Anlage 3 Unter der Überschrift Modernisierung der Verwaltung wird ohne Not der bundeseinheitliche Aufbau der Bun- Zu Protokoll gegebene Reden des- und Landesfinanzbehörden aufgegeben und der Weg (B) frei gemacht für eine Verwaltung je nach Kassenlage. zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur (D) Regelung des Schutzes gefährdeter Zeugen Mit den vorliegenden Gesetzentwürfen soll die Vertei- (Tagesordnungspunkt 25) lung der Steuerverwaltungshoheit zwischen Bund und Ländern insofern geändert werden, als der bisherige drei- stufige Aufbau der Bundes- und Landesbehörden in einen Hans-Peter Kemper (SPD): Der hier vorliegende zweistufigen umgewandelt werden kann. Die Oberfi-Gesetzentwurf geht zurück auf einen ursprünglichen Ent- nanzdirektionen als Mittelbehörden zwischen Bund und wurf des Bundesrates, den eine Bund-Länder-Arbeits- Land, die sowohl „Aufsichtsbehörde“ des Bundes wie gruppe seit dem Frühjahr 1999 überarbeitet hat. auch Dienstleister für die Finanzämter sind – unter ande- rem zuständig für die strittigen Fällen –, sollen künftig Wir begrüßen ausdrücklich den hier vorliegenden Ent- wegfallen können. wurf; denn er stellt eine sinnvolle Ergänzung zu den bisher schon getroffenen Maßnahmen zur besseren Krimi- Art. 108 des Grundgesetzes regelt aber nicht nur die nalitätsbekämpfung, speziell zur besseren Bekämpfung Zuständigkeiten auf dem Gebiet der Steuerverwaltung, der organisierten Kriminalität, dar. Das hohe Maß an Zu- sondern sichert auch eine gleichmäßige Erhebung derstimmung bei den anderen Fraktionen ist sehr erfreulich. wichtigen öffentlichen Abgaben im Bundesgebiet. Diese gleichmäßige Erhebung der öffentlichen Abgaben ist je- In den vergangenen Jahren ist die Kriminalität ins- doch nur dann gesichert, wenn die Steuerverwaltung nach gesamt bundesweit stetig zurückgegangen, die Aufklä- gleichen Weisungen handelt. Darüber hinaus übt die Mit- rungsquoten sind angestiegen, sodass sich insgesamt das telbehörde auch eine Dienstleistungsfunktion für die Fi- Sicherheitsgefühl der Bevölkerung deutlich gebessert hat. nanzämter aus. Der Bund darf sich von dieser Aufgabe, Selbst die Kinder- und Jugendkriminalität lässt eine – wenn die im ganzen Bundesgebiet gleichmäßig durchzuführen auch sehr vorsichtige – Tendenz zum Besseren erkennen. ist, nicht ausklinken. Durch den hier jetzt vorliegenden Gesetzentwurf Das komplexe Steuerrecht, die Vielfalt der steuerlichen ergänzen wir das Bündel von Maßnahmen zur besseren Gestaltungsmöglichkeiten, die wachsende Menge der Ar- Bekämpfung der organisierten Kriminalität, das in der beitsfälle belasten die Besteuerungspraxis auf der Ebene Vergangenheit auf den Weg gebracht worden ist, als da in einem immer unverträglicheren Ausmaß. Die Folgen sind: die Verschärfung der Geldwäsche, bessere Korrup- sind bekannt: Steuerrechtspflege, das heißt die sorgfältige tionsbekämpfung, die leichtere Einziehung des Vermö- Subsumtion der steuererheblichen Sachverhalte unter die gens, der so genannte große Lauschangriff und andere Steuernorm findet de facto nicht mehr statt: Maßnahmen mehr. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17789

(A) Der verbesserte Zeugenschutz trägt der Tatsache Rech- gewährleisten. Diese Schutzmaßnahme erfolgt allerdings (C) nung, dass es gerade im Bereich der organisierten Krimi- unter anderen Aspekten als nach dem Zeugenschutzpro- nalität immer schwieriger wird, Taten aufzuklären, Täter gramm. zu überführen bzw. der Bestrafung zuzuführen. Ich weiß natürlich, dass der eine oder andere noch Durch ein hohes Maß an Professionalität in der organi- größere Hoffnungen mit diesem Zeugenschutzprogramm sierten Kriminalität gibt es kaum Sachbeweise. Außerdem verbunden hat, zum Beispiel hinsichtlich des Bleiberechts gehört es zu den Praktiken des organisierten Verbrechens, als Dank für eine mutige Aussage in einem Gerichtsver- massiven Druck auf Zeugen, auf ehemalige Täter, aber fahren. Diese Erwartungen konnten nicht erfüllt werden. auch auf deren Familien auszuüben Wer dicht hält, ge- Dieses Gesetz durfte und sollte nicht überfrachtet werden nießt den Schutz der OK-Familie. Sie sorgt für Rechts- mit Bleiberechtsfragen. Das Gesetz über die Harmoni- schutz, sie sorgt für die Angehörigen eines Verhafteten. sierung des Zeugenschutzes kann und soll dieses nicht Wer auspackt, hat mit übelsten Nachstellungen und Re- leisten. Es geht hier darum, durch die Sicherung, durch die pressalien bis hin zu Körperverletzung und Mord für sich Unterstützung, durch den Schutz von Zeugen skrupel- und seine Angehörigen zu rechnen. losen Kriminellen das Handwerk zu legen und sie einer Die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien gerechten Bestrafung zuzuführen. stellen damit zum einen ihre Sachkompetenz im Bereich Lassen Sie mich ergänzend noch Folgendes sagen: der inneren Sicherheit unter Beweis; zum anderenDurch den vorliegenden Gesetzentwurf wird der Schutz machen sie auch deutlich, dass sie nicht gewillt sind, vor von Personen, die sich durch Weitergabe ihres Wissens der organisierten Kriminalität zurückzuweichen. Der vor- einer Gefahr für Leib und Leben aussetzen, für einen liegende Entwurf ist geeignet, die bisher bestehendeaußerordentlich wichtigen Bereich unserer Rechtsord- Rechtsunsicherheit zu beseitigen und den Zeugenschutz nung geregelt. Allerdings handelt es sich um einen Teil- auf eine bundesweite, tragfähige gesetzliche Grundlage bereich. Neben dem Zeugenschutzharmonisierungsgesetz zu stellen. bleiben andere Rechtsgrundlagen, auf die Schutzmaßnah- Nun ist es nicht so, dass der Schutz solcher Zeugen in men gestützt werden können, bestehen, zum Beispiel das der Vergangenheit nicht möglich gewesen wäre. Er erfolg- allgemeine Gefahrenabwehrrecht, auf das der Ände- te allerdings allein auf der Grundlage der polizei-rungsantrag der Koalitionsfraktionen ausdrücklich ver- rechtlichen Generalklauseln oder der strafrechtlichenweist. Grundsätze des Notstandes. Des Weiteren erwähnt die Bundesregierung in der Be- Es ist natürlich im Interesse des Staates, dass Personen, gründung zu § 1 Abs. 1 ZSHG Betreuungs- und Schutz- die zu schwerwiegenden Straftaten wichtige Aussagen programme außerhalb des ZSHG, die für spezielle Perso- (B) machen können, vor Repressalien geschützt werden, aber nengruppen bestehen. Besonders genannt werden dabei (D) auch, dass sie psychisch stabilisiert werden und in ihrer die ausländischen Opfer von Menschenhandel. Aussagebereitschaft nicht negativ beeinflusst werden. Zu ergänzen wäre noch, dass auch die Nachrichten- Hier kommen in Betracht: Verhaltensberatung, psycholo- dienste gelegentlich gezwungen sind, ihre deutschen und gische Betreuung, in Notsituationen vorübergehendeausländischen Informanten vor Enttarnung und Verfol- Sicherung des Lebensunterhalts, Hilfe bei der Arbeits- gung zu schützen. Ich denke, wir sind uns einig, dass platzsuche, bei der Kinderbetreuung, Schutz, Observation solche Maßnahmen möglich bleiben müssen. Die und Beschaffung von Tarndokumenten, also auch dieNachrichtendienste können dabei auf § 8 des Bundesver- Ausstattung mit einer neuen Legende, einem neuenfassungsschutzgesetzes zurückgreifen, der sie ermächtigt, Wohnort oder einem neuen Arbeitsplatz. Methoden, Gegenstände und Instrumente der heimlichen Die Grundlagen für diese Maßnahmen werden inInformationsbeschaffung, darunter Tarnpapiere, anzu- diesem Gesetzentwurf geschaffen. Das Gesetz legt fest, wenden. wer in welchen Fällen in ein Zeugenschutzprogramm ein- Wichtig ist mir deshalb die Klarstellung, dass das Zeu- treten kann und welche Schutzmechanismen wirken.genschutzharmonisierungsgesetz keine abschließende Natürlich bedarf es hier auch eines besonderen Ver-Regelung enthält. trauensverhältnisses zwischen den Zeugenschutzdienst- stellen und den Zeugen. Die Zeugen müssen darauf ver- trauen können, dass ihre Daten, dass ihre Identität nicht Wolfgang Zeitlmann (CSU/CSU): Fast wäre man ge- bewusst oder unbewusst an Dritte weitergegeben werden neigt, zu sagen: Was lange währt, wird endlich gut. Doch und sie somit sich selbst oder ihre Familie gefährden. es ist leider nicht ganz so gut, vor allem hat es viel zu lange gedauert, bis der Entwurf des Gesetzes zur Rege- Das Zeugenschutzprogramm hat eine schützende, eine lung des Schutzes gefährdeter Zeugen endlich in den Ge- sichernde Funktion, ohne dass hierbei andere Maßnah- schäftsgang des Deutschen Bundestags gekommen ist. men ausgeschlossen würden. Der Entwurf des Bundesrats stammt aus dem Jahr 1999, Fällt eine Person aus dem Zeugenschutzprogramm, aus mit entsprechend langer Vorlaufzeit schon im Bundesrat. welchen Gründen auch immer, heraus, so ist sie nichtAm 23. März 1999 hat der Gesetzentwurf des Bundesra- schutzlos gestellt, sondern es greifen die allgemeinentes dann die Drucksachennummer 638 des Deutschen Schutzklauseln der Länder, die Generalklausel Bundestags der erhalten. Erst heute, am 29. Juni 2001, wird Gefahrenabwehr, die dann die Polizeibehörden ver-dieser Entwurf abschließend hier beraten. Bis vor 14 Ta- pflichtet, den Schutz von Leib und Leben dieser Person zu gen – über zwei Jahre – hat sich die Bundesregierung Zeit 17790 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001

(A) gelassen, um ihre Stellungnahme abzugeben. Diese Stel- Bei der Bundesregierung wie auch bei der rot-grünen (C) lungnahme ist nun ein eigener Gesetzentwurf der Bun- Regierungskoalition, die offensichtlich zu keinerlei eige- desregierung, den der Bundesinnenminister am 14. Juni nen Initiativen in der Lage ist, herrscht allerdings Funk- 2001 vorgestellt hat. stille. Deswegen muss die Opposition, deswegen muss die CDU/CSU-Fraktion leider erneut Regierungsarbeit ma- Das Ziel ist gut und richtig. Auch dem Gesetzentwurf chen. Wir werden einen Gesetzentwurf zur Verbesserung kann man zustimmen; denn er hilft, Kriminalität, insbe- der Bekämpfung von Straftaten der organisierten Krimi- sondere organisierter Kriminalität, wirksamer zu begeg- nalität und des Terrorismus in den Deutschen Bundestag nen. Völlig unverständlich ist allerdings, warum es so einbringen. Wir werden auch weiter die Maßnahmen zur lange Zeit brauchte, bis dieser Entwurf vorgelegt wurde. Verbrechensbekämpfung und zur Bekämpfung der Krimi- Und wir lassen es der Bundesregierung nicht durchgehen, nalität forcieren. Die Union ist der Motor und damit auch sich auf diesem Gesetzentwurf auszuruhen. Garant für die innere Sicherheit in Deutschland. Wir wer- Denn eines muss man leider feststellen: Seit Rot-Grün den die Bundesregierung immer wieder mit ihrem Nichts- die Regierungsverantwortung in Deutschland übernom- tun konfrontieren. Schließlich ist die Liste lang und ich men hat, herrscht auf dem Gebiet der inneren Sicherheit könnte die Aufzählung noch beliebig fortsetzen. im Großen und Ganzen Gesetzgebungsstillstand. Welche Abschließend möchte ich feststellen: Die Bundesre- Gesetzesinitiativen hat die Bundesregierung zur Stärkung gierung darf sich nicht untätig zurücklehnen. Sie muss der inneren Sicherheit, zur Verbrechensbekämpfung oder dafür Sorge tragen, dass sich die Bürgerinnen und Bürger zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität auf den in Deutschland sicher fühlen können. CDU und CSU wer- Weg gebracht? Noch entscheidender ist die Frage: Welche den die Bundesregierung immer wieder mahnen und dazu Maßnahmen hat die Bundesregierung in den jetzt mehr als antreiben. Wir betrachten den Gesetzentwurf, der heute zweieinhalb Jahren Regierungsverantwortung umge- vorliegt, als einen ersten Schritt, dem noch weitere folgen setzt? Es herrscht Sendepause. müssen. Ihre Untätigkeit begründet die Bundesregierung im Wesentlichen damit, dass die jetzt bestehenden gesetzli- (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- chen Maßnahmen eigentlich ausreichend sind, um Ver- Hans-Christian Ströbele NEN): Mit dem Zeugenschutzgesetz wird der Schutz von brechen wirksam zu bekämpfen. Damit bestätigt sie, dass Zeugen nicht neu eingeführt. Es beruht auf der ständigen die unionsgeführte Vorgängerregierung hervorragende Praxis der Länder. Es regelt den Schutz aussagebereiter Arbeit geleistet hat. Hier sind das Gesetz zur Bekämpfung Zeugen einheitlich für das Bundesgebiet. Das bedeutet der organisierten Kriminalität aus dem Jahre 1992, das keineswegs, dass nicht aussagebereite, aber gefährdete Verbrechensbekämpfungsgesetz aus dem Jahr 1994, das Zeugen schutzlos sind. Für sie gelten nach wie vor die all- neue Bundesgrenzschutzgesetz aus dem Jahr 1994 und (B) gemeinen Gefahrenabwehrregeln, nach denen die Polizei (D) die große Strafrechtsreform aus dem Jahre 1996 mit einer verpflichtet ist, Zeugen und Zeuginnen gegen Gefahren Neuformulierung der Sexualstraftaten und einer Erleich- für Leib, Leben, Gesundheit und Selbstbestimmung wirk- terung der Möglichkeit, einen Täter in die Sicherungsver- sam zu schützen. Das noch mal ausdrücklich festzustellen wahrung zu bringen, zu nennen. 1997 wurde das Antikor- ist mir wichtig. ruptionsgesetz beschlossen, 1998 ein weiteres Gesetz gegen die organisierte Kriminalität. Um darüber keine Zweifel aufkommen zu lassen, ha- ben wir diese Verpflichtung zu ausreichenden Schutz- Positiv ist zu bemerken, dass die Kriminalitätsrate seit- maßnahmen für Zeugen in § 1 Abs. 4 extra noch einmal dem nicht mehr steigt, sondern eher rückläufig ist. Das ist ins Gesetz geschrieben. Dies ist auf ausdrücklichen aber nicht das Verdienst der rot-grünen Bundesregierung, Wunsch von uns Bündnisgrünen geschehen, damit bei ei- das ist das Verdienst der Vorgängerregierung. Angesichts nem Zeugen, der zunächst aussagebereit war und unter 6 264 723 Straftaten im Jahr 2000 besteht keinerlei Anlass besonderen Zeugenschutz gestellt wurde, nicht der un- sich zurückzulehnen. 6 264 723 Straftaten in Deutschland richtige Eindruck erweckt werden kann, wenn er sich bedeutet alle fünf Sekunden eine Straftat, zwölf in jeder dazu entschließt – aus welchen Gründen auch immer –, Minute. Bei einer Aufklärungsquote von bundesweit rund nicht mehr auszusagen, er sei nun schutzlos, obwohl er 53 Prozent – in Bayern dagegen 65 Prozent – muss die oder seine Familie weiter in Gefahr sind. So kann einem SPD-geführte Bundesregierung zugeben: Die Zahlen be- Missbrauch des Zeugenschutzgesetzes vorgebeugt wer- wegen sich auf einem erschreckend hohen Niveau, im Be- den. reich der Wirtschaftskriminalität ist die Entwicklung be- sorgniserregend. Die Bundesregierung aber tut nichts. Wie es jetzt formuliert ist, können wir dem Gesetz zu- stimmen. Nach langen Vorarbeiten wird der Schutz von Das gilt gerade auch für den Bereich der organisierten Zeuginnen und Zeugen in Strafverfahren und, was auch Kriminalität. Der im Zusammenhang mit organisierter wichtig ist, auch von deren Familien umfassend bundes- Kriminalität ermittelte Schaden betrug im Jahr 1999 einheitlich gewährleistet. 1,42 Milliarden DM. Schwerpunkt der organisierten Kriminalität sind nach wie vor Rauschgifthandel und Gleichzeitig wurden aber nicht die legitimen Verteidi- -schmuggel sowie Wirtschaftskriminalität. Um der orga- gungsrechte von Beschuldigten aus den Augen verloren, nisierten Kriminalität wirkungsvoll beizukommen, istum das Grundrecht auf ein faires Verfahren zu garantie- eine verbesserte internationale Zusammenarbeit, die Er- ren. Deshalb wird in der Gesetzesbegründung anerkannt, weiterung von Telefonüberwachungsmöglichkeiten und dass der Zeugenschutz nicht nur das Verhältnis von Zeu- eine Ergänzung der Kronzeugenregelung notwendig. gen und den Schutzbehörden, in aller Regel der Polizei, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17791

(A) betrifft, sondern dass von Zeugenschutzmaßnahmen auch Dr. Max Stadler (F.D.P.): Zu den deprimierenden Er- (C) Dritte betroffen sein können. Dabei ist nicht nur an Dritte fahrungen, die ein Strafrechtspraktiker als Staatsanwalt zu denken, die durch Zeugenschutzmaßnahmen an der oder Richter machen kann, gehört die Aussage von Zeu- Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche, wie Unterhalts- gen, sie würden sich nie wieder in einem Strafverfahren als oder Schadensersatzansprüchen, gehindert werden kön- Zeugen zur Verfügung stellen. Unabhängig davon, dass es nen, sondern auch an Beschuldigte in Strafverfahren, für eine öffentlich-rechtliche Zeugenpflicht gibt, muss dieser die und für deren Verteidigung im Strafverfahren Zeugen- nicht so selten zu hörende Satz doch zu denken geben. schutzmaßnahmen eine Belastung und Behinderung sein Wie kann man außerhalb von Zwangsgeldern und Beu- können. Dem Beschuldigten soll es möglich sein, diegehaft die Bereitschaft von Zeugen fördern, im Interesse Schutzmaßnahmen für den Zeugen gerichtlich überprüfen der Wahrheitsfindung vor den Strafverfolgungsbehörden zu lassen, soweit dadurch seine Verteidigungsrechte be- auszusagen? Hierfür spielt zweifellos der Schutz gefähr- troffen sind. deter Zeugen eine entscheidende Rolle. Wenn der Staat Die Zeugenschutzstelle muss dafür sorgen, dass der auf der einen Seite eine Pflicht des Zeugen zur Aussage Zeuge für Dritte und auch für gerichtliche Zustellungen statuiert, hat er auf der anderen Seite eine Fürsorgepflicht für den Zeugen, der gerade wegen dieser Aussage an Leib erreichbar bleibt. Das ist in der Praxis in der Vergangen- und Leben gefährdet ist. heit nicht immer der Fall gewesen. Familien konnten Un- terhaltsansprüche oft nicht durchsetzen, weil sie keine Die F.P.D.-Fraktion begrüßt es daher, dass der Bundes- Zustellungsanschrift der Zeugen bekamen. Die Grenze rat mit seinem Gesetzentwurf aus dem Jahre 1999 den der Erreichbarkeit des Zeugen ist nur da zu ziehen, wo die Versuch unternommen hat, die Bestimmungen über den Gefährdung des Zeugen erhöht oder die Wirksamkeit der Zeugenschutz zu bündeln. Die Materie betrifft freilich in Zeugenschutzmaßnahmen vereitelt würden. weiten Teilen Landesrecht. Der Förderalismus wird aber durch den Gesetzentwurf keinen Schaden nehmen, hat Wichtig ist auch, dass die Akten, die Auskunft über doch der Bundesrat selbst zu Recht festgestellt, dass Um- Zeugenschutzmaßnahmen geben, auch der Staatsanwalt- fang und Komplexität des Zeugenschutzes eine Bundes- schaft zugänglich zu machen sind. Noch wichtiger ist, regelung erforderlich machen. dass im Strafprozess die Beamten des Zeugenschutzes und der Staatsanwaltschaft zu den Zeugenschutzmaßnah- Der Ursprungsentwurf ist von einer Bund-Länder-Ar- men vernommen werden können. Damit können Gericht beitsgruppe unter Einbeziehung polizeilicher Praktiker und Prozessbeteiligte grundsätzlich Kenntnis über dieintensiv diskutiert worden. Zeugenschutzmaßnahmen, etwa über die Höhe von Zah- Dem nun vorgelegten Ergebnis dieser gründlichen lungen, über Wohnungsgewährung und Arbeitsplatzver- Vorarbeit ist zuzustimmen. Der Gesetzentwurf beseitigt (B) schaffung für den Zeugen, erhalten. In der Vergangenheit Rechtsunsicherheiten, die in der Praxis bestanden haben, (D) war solche Erkenntnismöglichkeit nicht immer garantiert. und stellt somit einen wichtigen Baustein bei der Die Kenntnis solcher Umstände kann für die Beurteilung Bekämpfung der Schwerkriminalität dar. der Glaubwürdigkeit von Zeugen aber durchaus von Be- Insgesamt stimmt die F.D.P.-Fraktion dem Gesetzent- deutung sein. Selbstverständlich soll der Zeuge auch in wurf zu. Zukunft seine Aussagen vor Gericht weiter persönlich machen und seine Aussage nicht etwa durch die eines Ver- nehmungsbeamten vertreten lassen können. Auch bleibt Ulla Jelpke (PDS): Die Regelungen für den Schutz der Zeuge selbst grundsätzlich zur Auskunft über den ge- gefährdeter Zeugen sollen mit dem vorliegenden Gesetz- währten Zeugenschutz verpflichtet. entwurf auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden. Das ist prinzipiell richtig. Die bisherige Handhabung, Die Grenzen für die Aussagepflicht der beamteten Zeu- Zeugenschutz auf Grundlage polizeilicher Generalklau- gen und des Zeugen selbst werden durch die Aussagege- seln oder auf der strafrechtlichen Grundlage des Not- nehmigung gezogen und sind da gerechtfertigt, wo mit der stands zu handhaben, ist in der Tat verfassungsrechtlich Bekanntgabe von Einzelheiten des Zeugenschutzes dieser problematisch. Es macht aber einen erheblichen Unter- unterlaufen und der Zeuge zusätzlich gefährdet würde. schied, ob Zeugenschutzmaßnahmen zum Beispiel für Frauen aus Osteuropa angeordnet werden, die Opfer von Zuwendungen an den Zeugen können nur dann zurück- Frauenhandel und Prostitution sind. Hier kommen immer gefordert werden, wenn der Zeuge wissentlich falsch aus- wieder berechtigte Klagen, dass diese Frauen viel zu sel- gesagt hat, etwa um finanzielle Zuwendungen oder mehr ten Zeugenschutz erhalten. Viel zu oft werden sie nach finanzielle Zuwendungen zu erhalten, wenn also einihrer Aussage einfach abgeschoben, weil sie keine oder Zeuge vorgibt etwas zu wissen, was gar nicht zutrifft, und abgelaufene Aufenthaltspapiere haben, und kommen so dadurch materielle Vorteile erlangt. in die gleichen Strukturen zurück, von denen sie in die Zeugenschutzmaßnahmen können nicht nur zur Si- Prostitution gezwungen und nach Deutschland ver- cherung des staatlichen Strafverfolgungsinteresses not- schleppt wurden. Die Drahtzieher dieses kriminellen Ge- wendig sein, sondern der Staat hat nach dem Grundgesetz schäfts kommen so billig davon, den Frauen wird nicht die Pflicht, allen konkret gefährdeten Bürgern den not- geholfen. wendigen Schutz zu gewähren. Dies weiter und bundes- Ganz anders dagegen sieht dagegen die Situation aus, einheitlich zu sichern, dazu soll das Zeugenschutzgesetz wenn zum Beispiel Neonazis, die wegen schwerer Gewalt- dienen. delikte gegen Flüchtlinge und Migrantinnen angeklagt 17792 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001

(A) sind, in den Zeugenschutz wollen. Wir wissen doch alle grund dieser Aussagefähigkeit gefährdet werden. Bisher (C) ganz genau, dass sich immer wieder solche Täter nur des- erfolgt der Schutz solcher gefährdeten Zeugen vorwie- halb als Kronzeugen anbieten, um selbst billig davonzu- gend auf der Grundlage der polizeilichen Generalklau- kommen. seln. Teilweise wird auch die Regelung des strafrechtli- chen Notstandes herangezogen. Sie erzählen im Vorfeld des Verfahrens alles, was Poli- zei und Staatsanwälte hören wollen, kommen in den Zeu- Dieser Rechtszustand wurde in Praxis und Wissen- genschutz und können sich dann im Verfahren auf einmal schaft bereits seit langem als unzureichend kritisiert: Po- nicht mehr genau erinnern. Oder nach dem Verfahrenlizeiliche Zeugenschützer mussten auf unsicherer Rechts- stellt sich heraus, dass diese dubiosen Zeugen grundlage mit arbeiten; um Mitwirkung ersuchte Stellen falschen Aussagen operiert haben, um alle schwerewaren unsicher in Bezug auf ihre Mitwirkungsrechte und Schuld auf ihre Mittäter abzuschieben. -pflichten; zu schützende Personen wussten nicht, worauf sie sich einlassen. Der vorliegende Gesetzentwurf enthält zu dieser wich- tigen Frage, wer unter welchen Bedingungen Zeugen- Dabei zeigt die polizeiliche Praxis, dass dringender schutz bekommt und wer nicht, gar keine Aussagen. Handlungsbedarf besteht: Gerade im Bereich der Schwer- kriminalität und der organisierten Kriminalität versuchen In der ersten Fassung war die Gefahr, die damit ver- interessierte Kreise häufig, Zeugen durch Einschüchte- bunden ist, noch deutlicher erkennbar. Da sollte Zeugen- rung bis hin zu Gewalttätigkeiten von einer Aussage ab- schutz für alle staatlichen V-Leute, bei praktisch jedem zuhalten. Seit 1995 wurden durch die bei Bund und Län- Bandendelikt, bei allen gewohnheitsmäßigen Straftaten, dern bestehenden Zeugenschutzdienststellen im Jahres- bei Verdacht auf geringfügige Rauschgiftdelikte ebenso durchschnitt circa 650 Fälle bearbeitet. Die weit über- wie bei Asylmissbrauch, selbst bei Beihilfe zu Fahnen- wiegende Zahl hiervon entfällt auf Straftaten aus der or- flucht und Ungehorsam in der Armee möglich werden. ganisierten Kriminalität sowie aus sonstiger Drogenkri- Das steht jetzt nicht mehr so in dem hier vorliegenden Ge- minalität. setzentwurf. Übrig geblieben ist aber das Problem. Übrig geblieben ist die Gefahr einer schrankenlosen Auswei- Hier besseren Schutz zu gewährleisten ist herausra- tung und gleichzeitig weiter willkürlichen Handhabung gend wichtig. Erstens müssen wir als Staat Menschen von Zeugenschutz. schützen, die sich bereit erklären, zur Aufklärung von Straftaten beizutragen. Zweitens ist gerade in Krimina- Art. 1 § 1 des vorliegenden Gesetzentwurfs erlaubt litätsfeldern mit professionell vorgehenden Tätern der Zeugenschutz nämlich für jede Person, die „aufgrund Zeugenbeweis das einzig aussichtsreiche Beweismittel. ihrer Aussagebereitschaft einer Gefährdung von Leib, Damit sind solche Zeugen für die Durchsetzung des staat- Leben, Gesundheit, Freiheit oder wesentlicher Vermö- lichen Strafanspruches unverzichtbar. (B) genswerte ausgesetzt ist und sich für Zeugenschutzmaß- (D) nahmen eignet.“ Damit ist der Ausweitung und Willkür Zeugenschutzmaßnahmen finden dabei in einem beim Zeugenschutz Tür und Tor geöffnet. rechtsstaatlichen Spannungsverhältnis statt: Einerseits müssen die betroffenen Personen wirksam geschützt wer- Wer Zeugenschutz braucht, aber nicht bekommt, wie den; andererseits darf das Recht eines Beschuldigten auf die von mir bereits genannten Opfer von Frauenhandel, ein faires Verfahren selbstverständlich nicht verletzt wer- kann sich nach diesem Gesetz noch nicht einmal irgendwo den. beschweren. Der vorgelegte Entwurf wird dieser Problematik ge- Auf der anderen Seite kann die Polizei künftig bei fast al- recht: Dem Staat wird es – etwa durch die Regelungen zu len Verdachtsfällen mit dem schwierigen Instrument Zeu- Tarndokumenten und Datenübermittlungssperren – er- genschutz operieren und damit die wirkliche Aufklärung möglicht, seine Schutzfunktion wirksam auszuüben. An- von Straftaten, die ja erst vor Gericht, im Strafprozess ge- dererseits wird beispielsweise ausdrücklich klargestellt, schieht – möglicherweise sogar erschweren. dass Zuwendungen an zu schützende Personen nur in dem Eine solche Regelung des Zeugenschutzes verfehltMaße gewährt werden dürfen, wie dies für den Schutz- ihren Zweck, ist rechtsstaatlich bedenklich und kein Bei- zweck unbedingt erforderlich ist. Beschuldigten- und Ver- trag zum Schutz der Opfer von Kriminalität. Einem sol- teidigerrechte bleiben voll gewahrt. chen Gesetz stimmen wir nicht zu. Während über die Notwendigkeit zu gesetzgeberi- schem Handeln seit langem Einigkeit besteht, blieb die Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun- konkrete Form eines Zeugenschutzgesetzes lange um- desminister des Innern: Der Entwurf eines Gesetzes zur stritten. Der hierzu vorgelegte Bundesratsentwurf, der auf Harmonisierung des Schutzes gefährdeter Zeugen schafft Initiative des Landes Rheinland-Pfalz zurückging, wurde erstmals sichere Rechtsgrundlagen für wichtige Zeugen- von allen Beteiligten hinsichtlich seiner Zielsetzung be- schutzmaßnahmen wie die Ausstellung von Tarnpapieren grüßt, hinsichtlich der konkreten Umsetzung dieser Ziele und die Einrichtung von Datenübermittlungssperren. Er aber auch deutlich kritisiert. Dies wurde von Innen- und enthält darüber hinaus unter anderem Regelungen zur Er- Justizseite von Bund und Ländern übereinstimmend so reichbarkeit der zu schützenden Person im Rechtsverkehr gesehen. sowie zum Zeugenschutz im Strafvollzug. Den jetzt durch die Bundesregierung vorgelegten Ge- Geschützt werden sollen Personen, die in einem Straf- setzentwurf haben Experten im Rahmen einer Arbeits- verfahren aussagebereit und aussagewillig sind und auf- gruppe erarbeitet, der neben Vertretern von BMI und BMJ Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17793

(A) auch Vertreter der Justiz- und Innenressorts aus Rheinland- Das nächste Problem: Ob mit einer Umstellung des(C) Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, aber auchZerlegungsstatus von Einkommen auf die Beschäfti- Sachsens, Baden-Württembergs und Bayerns angehörten. gungszahl die Gewerbesteuer einen Beitrag zur Haus- Die polizeiliche Praxis war eng einbezogen. Alle Beteilig- haltssanierung der Kommunen in Ostdeutschland leisten ten stehen hinter diesem Entwurf. Die Bundesregierungkann, halte ich für fraglich. Das wäre nur zu vermuten, stimmt auch den vier klarstellenden Ergänzungen im Geset- wenn die mit Recht beklagte hohe Arbeitslosigkeit we- zestext zu, die die Fraktionen der SPD und der Grünen durch sentlich niedriger wäre. In diesem Zusammenhang ist die den gemeinsamen Abänderungsantrag vorschlagen. Daher politische Argumentation in beiden Anträgen nicht kon- sollte aus Sicht der Bundesregierung der überarbeitete Ge- sistent. setzentwurf schnellstmöglich verabschiedet werden. Zuletzt will ich denn auch darauf hinweisen, dass nicht alle Unternehmen im Osten verlängerte Werkbänke sind. Anlage 4 Viele Unternehmen haben ihre Töchter in Ostdeutschland so organisiert, dass sie vor Ort Gewerbesteuer zahlen, Zu Protokoll gegebene Reden auch wenn ich nicht verkenne, dass sich der Trend aus steuerlichen Gründen zurzeit in die Gegenrichtung be- zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- wegt. Doch das ist ein gesamtdeutsches und kein ostdeut- richts zu den Anträgen: sches Thema. – UMTS-Milliarden für die Einführung einer kom- Langfristig – und nur so lassen sich strategische Ziele munalen Investitionspauschale des Bundes für die Entwicklung Ostdeutschlands definieren – werden – Änderung des Zerlegungsmaßstabs des Gewerbe- der Länderfinanzausgleich und vor allem der Soli II die steuermessbetrags entscheidenden Elemente sein, um die Finanzkraft und Investitionskraft ostdeutscher Kommunen entscheidend – Erhöhung der Gewerbesteuerumlage rückgängig zu stärken. Sollte darüber hinaus eine kommunale Fi- machen nanzreform in Angriff genommen werden, steht auch die (Tagesordnungspunkt 28a bis c) Gewerbesteuer auf dem Prüfstand, dann aber ganz gewiss nicht als ostdeutsches Spezialproblem der Schlechterstel- lung. Dr. Mathias Schubert (SPD): Immer wieder wird ar- gumentiert, dass die Kommunalfinanzen in Ostdeutschland mit etwa 40 Prozent des Durchschnitts auf einem dramati- Gunter Weißgerber (SPD): Die PDS fordert die Bun- schen Tiefstand beharren, der Handlungsmöglichkeiten ein- desregierung zur Prüfung eines Sachverhalts auf, der (B) schränkt und besonders Investitionen verhindert. Dieses Ar- selbst der PDS bekannt sein dürfte. Kommunale Investi- (D) gument ist selbstverständlich ernst zu nehmen. Um Abhilfe tionspauschalen entsprechen nicht den verfassungsrecht- zu schaffen, schlägt die PDS vor, die Gewerbesteuer anders lichen Vorgaben. Allein die Länder sind für die Finanz- als bisher zu verteilen. Im Gesamtzusammenhang mit der ausstattung ihrer Kommunen zuständig. Dies ist im Steuerreform muss ich denn doch einmal – vielleicht ein Bundestag vorhandenes Grundwissen, auch bei der PDS. bisschen provokant – darauf hinweisen, dass diese Reform Somit ist klar: Wir sprechen über einen Schaufensteran- die Entlastung der Steuerzahler und nicht die Mehrung der trag. Kommunale Investitionspauschalen sind verfas- öffentlichen Finanzen zum Ziel hat, und das im Zusammen- sungsrechtlich nicht zulässig. hang mit der Sanierung der öffentlichen Haushalte. Zum Schaufensterantrag passt die unverblümte Unaus- Heute Morgen haben wir die Stabilitätskriterien imgewogenheit. In der Begründung des Antrags steht: „Die Maßstäbegesetz auch für die Länder und Kommunen be- Kommunen waren Anfang 2000 bereits mit insgesamt schlossen. In diesem Rahmen und eingedenk der Tatsache, 202 Milliarden DM verschuldet.“ Und was ist mit einer dass die pauschalierte Abzugsfähigkeit der Gewerbesteuer Angabe der Bundesschuld? Natürlich ist die Verschul- für Unternehmen eine für die Wirtschaft erhebliche Entlas- dung der Gemeinden besorgniserregend. Aber noch mehr tung bedeutet, halte ich die zur Debatte stehenden Vor- Sorgen macht mir die Verschuldung des Bundes. Die Bun- schläge für ungeeignet. Zunächst sind die Kommunendesschuld beläuft sich auf rund 1,5 Billionen DM. Und schon längst an der Umsatzsteueraufteilung beteiligt.hätten wir nicht die 100 UMTS-Milliarden zur Schulden- Zweitens erhalten die ostdeutschen Kommunen im Rah- tilgung genutzt, dann beliefe sich der Schuldenstand des men des Solidarpakts II eine Finanzierungsgarantie von Bundes auf 1,6 Billionen DM. jährlich 3,7 Milliarden DM bis 2019. Wann hat es je eine solche berechenbare langfristige Investitions- und Finan- Betrachten wir doch einmal die Zinssteuerlastquoten zierungssicherheit gegeben? aller deutschen Gebietskörperschaften! Bei den Gemein- den liegt sie bei 7 Prozent, bei den Ländern bei 11 Prozent Zum Dritten: Der Gewerbesteuerrückfluss von Unter- und beim Bund bei 21 Prozent. Somit hat der Bund deut- nehmen in Ostdeutschland, die als so genannte verlängerte lich erkennbar die mit Abstand schlechteste Haushalts- Werkbänke bezeichnet werden, ist nur ein Teil der Gesamt- lage. – So viel zur Erörterung der verfassungsrechtlichen finanzierung. Da die Finanzkraft der Kommunen im Län- Kriterien und der Haushaltssituationen in Deutschland. derfinanzausgleich als Kriterium verankert ist, bekommen die Städte und Gemeinden weit mehr Geld zurück als jene Jetzt zur Verwendung der durch die UMTS-Versteige- durchschnittlichen 243 DM pro Einwohner, die die PDS in rung erreichten Zinsersparnisse, Zinsersparnisse, die alle- ihren Anträgen für Ostdeutschland angibt. samt den Kommunen zugute kommen werden. Wir haben 17794 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001

(A) bekanntlich beschlossen, dass die 100 Milliarden DMArbeitslosigkeit. Mehr Arbeitslosigkeit bedeutet mehr(C) Versteigerungserlöse in den Schuldenabbau gehen, was Sozialhilfe. So zeigt sich, in welchem schwierigen Teu- jährlich 5 Milliarden DM weniger an Zinszahlungen des felskreis sich Städte, Gemeinden und Landkreise befin- Bundes bedeutet. Auf der Grundlage dieser eingesparten den. Viele können ihre laufenden Ausgaben mit laufenden Zinszahlungsmittel haben wir ein Dreijahresprogramm in Einnahmen nicht decken. Besorgniserregend ist die Ent- Höhe von 15 Milliarden DM beschlossen. Die Mittel die- wicklung der Kassenkredite in vielen großen Städten des ses Zukunftsinvestitionsprogramms gehen in Ruhrgebietes. den Straßenbau – 125 Ortsumgehungen –, den Schienenaus- Wie bedrohlich die Lage ist, kann man an einer Schlüs- bau, die Altbau-Energiesanierung, in die soziale Stadt so- selzahl ablesen. Das ist der Stand der Kassenkredite zum wie in Bildung und Forschung. 31. Dezember 2000. Kassenkredit klingt sehr „technisch“, Mit dem Zukunftsinvestitionsprogramm helfen wirist aber nichts anderes als der Ausdruck dafür, dass lau- den Kommunen, ohne in Konflikt mit der Verfassung zu fende Ausgaben mit Krediten finanziert wurden, was ei- geraten. Es geht also auch ohne Ihren Schaufensterantrag. gentlich nicht sein darf. Der Kassenkredit ist nur eine un- Im Übrigen: Die ständige Wiederholung einer verfas-terjährige Liquiditätshilfe und muss am Jahresende, wenn sungsrechtlich nicht möglichen Forderung macht diese alle Einnahmen und Ausgaben getätigt sind, auf Null ste- nicht verfassungsrechtlich konform, so wie die Bezeich- hen. Sie betrugen 14,1 Milliarden DM, dazu kommen nung „Antifaschistischer Schutzwall“ aus einer Gefäng- noch 14,0 Milliarden DM innere Darlehen. Diese beiden nismauer kein Friedensbauwerk macht. Zahlen hätten am 31. Dezember 2000 null betragen müs- sen. 28,1 Milliarden DM sind rund 6,5 Prozent der lau- fenden Ausgaben aller Städte, Gemeinden und Landkreise Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Die Kolle- für Personal, laufenden Sachaufwand, soziale Leistungen ginnen und Kollegen der PDS wollen sich mit ihren drei und Zinsen. In diesem Maße wurden diese Posten mit Anträgen zum „Anwalt der Kommunen“ machen. Damit Krediten finanziert. Das ist so, als wenn sich ein privater wird es ihnen schwerlich gelingen, ihre Fehler aus der Haushalt ohne Aussicht auf zusätzliche Einnahmen sein Vergangenheit zu verdecken. Sie werden dadurch nicht zu Butterbrot auf Kredit kauft oder wenn ein Handwerks- einem guten Anwalt. meister das Verbrauchsmaterial mit einem Kontokorrent- Sie wollen die kommunale Finanzausstattung in ein- kredit finanziert und über die Rechnung nicht wieder he- zelnen Punkten verändern. Dies ist meines Erachtens völ- reinbekommt. lig unzureichend. Wenn dieses Thema angefasst werden Eine am 20. Juni 2001 veröffentlichte Umfrage des soll, dann richtig, dann muss es um eine Gemeinde-Bundes der Steuerzahler in Nordrhein-Westfalen hat auf- finanzreform insgesamt gehen. Ihre Anträge als punktu- gezeigt, dass im Jahre 2001 den Kommunen 3,64 Milliar- (B) elle Lösung würden den Druck in Richtung grundsätzli- den DM in den Kassen fehlen. Damit ist das Defizit um (D) che Lösung vermindern, schon deshalb kann ihnen nicht 15 Prozent höher als im Vorjahr. An den Straßen und dem zugestimmt werden. Aber es gibt auch inhaltliche Punkte, öffentlichen Zustand der Gebäude kann man die katastro- auf die ich noch zu sprechen komme. phale Lage ablesen. Täglich werden neue „Bauunterhal- Dennoch gibt der Tagesordnungspunkt Gelegenheit, tungshypotheken“ angehäuft, die in keinem Buch er- den Blick auf ein wichtiges Thema zu lenken. Die kom- scheinen. Jeder Einfamilienhausbesitzer weiß, dass eine munale Finanzausstattung ist völlig unzureichend und rechtzeitig unterlassene Reparatur am Ende wesentlich wurde von der Regierungskoalition entgegen all ihren teurer wird. Versprechungen dramatisch verschlechtert. Ich verweise Auch wenn ich mir das Ergebnis der Gemeindekas- dazu nur auf unseren Antrag „Umsetzung des Verspre- senstatistik anschaue, ist festzustellen, das keinesfalls von chens der Bundesregierung zur Stärkung der Kommunal- Entspannung die Rede sein kann. Der geringfügig posi- finanzen“, Drucksache 14/6163, und die dazu erfolgte tive Finanzierungssaldo beruht ausschließlich auf der Tat- Diskussion vom 21. Juni 2001. sache, dass wiederum Tafelsilber in großem Umfang ver- Die kommunale Finanzausstattung ist nicht nur einäußert wurde. Ohne den Verkauf von Vermögen wäre der Thema für Bürgermeister und Kommunalpolitiker, sie Finanzierungssaldo wieder negativ gewesen. geht uns alle an. Wenn den Kommunen die Finanzkraft Wie das Statistische Bundesamt mitteilt, beträgt das fehlt, dann müssen sie bei den Ausgaben von für die Bür- Finanzierungsdefizit der Kommunen im ersten Vierteljahr gerinnen und Bürger wichtigen Einrichtungen kürzen. Sie 2001 7,1 Milliarden DM. Die Gemeinden und Gemeinde- müssen Schulen, Kindergärten, Kultureinrichtungen,verbände haben in Deutschland ohne die Stadtstaaten Schwimmbäder und Ähnlichem Geld nehmen oder sie gar nach vorläufigen Ergebnissen der Kassenstatistik im ers- schließen. ten Quartal 2001 67,0 Milliarden DM und damit 3,3 Pro- Sie ist aber auch ein wichtiges Thema für Handwerk zent mehr als im entsprechenden Vorjahreszeitraum aus- und Handel. Wenn den Gemeinden Geld fehlt, dann kür- gegeben. In den neuen Ländern nahmen die kommunalen zen sie häufig bei Beschaffungen und insbesondere bei Ausgaben um 0,8 Prozent auf 10,7 Milliarden DM ab, im früheren Bundesgebiet stiegen sie um 4,1 Prozent auf der Bauunterhaltung, weil dies nicht unmittelbar Folgen 56,2 Milliarden DM. für die Bürgerinnen und Bürger hat. Jede nicht ausgege- bene Mark bedeutet aber auch weniger Aufträge für Han- Die kassenmäßigen Einnahmen der Gemeinden und del und Gewerbe. Jeder Auftrag weniger bedeutet weni- Gemeindeverbände sind in den ersten drei Monaten des ger Arbeit und damit weniger Steuern und Jahres mehr 2001 um 1,0 Prozent auf 59,9 Milliarden DM Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17795

(A) zurückgegangen. Vor allem nahmen die Gemeinden we- endgültigen Daten vor. Der den Ländern als Ausgleich(C) niger an Steuermitteln ein, - 4,4 Prozent auf 16,8 Milliar- gewährte Anteil von 5.5 Punkten Mehrwertsteuer entwi- den DM, doch ist diese Entwicklung – wegen der starken ckelte sich von 13 Milliarden im Jahre 1996 auf 13,8 Mil- Schwankungen im Zahlungsrhythmus, insbesonders bei liarden DM im Jahr 1999. Selbst wenn man unterstellt, der Gewerbesteuer – nicht repräsentativ für den Jahres- dass die systembedingten Lasten der Kommunen unter verlauf. Einschluss der Wirkung des kommunalen Finanzausglei- ches im Jahr 1996 von den Ländern voll ausgeglichen In der Abgrenzung der Finanzstatistik errechnet sich für das erste Quartal 2001 ein kassenmäßiges Finanzie- worden sind – was leider nicht passiert ist –, dann haben rungsdefizit von 7,1 Millarden DM. Das ist – aufgrund der die damals geschaffenen Systeme in den Folgejahren kurzfristigen Einnahmeschwankungen – deutlich mehr nicht ausgereicht, um die systembedingte Belastung der als im ersten Vierteljahr 2000, 4,3 Milliarden DM. Zu- Städte, Gemeinden und Landkreise auszugleichen. In den gleich haben die Gemeinden und Gemeindeverbände in Jahren 1997 bis 1999 entwickelt sich das Defizit über den ersten Monaten dieses Jahres 0,7 Milliarden DM1,4 Milliarden DM auf 2,7 Milliarden DM. In den Jahren mehr für die Tilgung von Schulden aufgewandt, als sie an 1997 bis 1999 haben die Kommunen allein 5,5 Milliar- neuen Krediten aufgenommen haben. den DM des Kindergeldes getragen, obwohl sie zu 100 Pro- zent entlastet werden sollten. Der Schuldenstand der Gemeinden und Gemeindever- bände wies am Ende des ersten Quartals 2001 infolge Am Mittwoch konnten wir im Finanzausschuss hören, verstärkter Schuldentilgung und der Ausgliederung wei- dass sich das Drama fortsetzen wird. Im Bundestag wird terer Einrichtungen aus den Budgets einen Rückgangüber das Zweite Familienförderungsgesetz beraten, das um 1,3 Prozent auf 161,6 Milliarden DM – Vorjahr:eine Erhöhung des Kindergeldes um 30 DM pro Monat 163,8 Milliarden DM – auf. bringt. Abgesehen von der Unausgewogenheit, dass ge- rade die, die es am nötigsten haben – Familien mit mehr Bei den UMTS-Lizenzen findet eine schleichende Ver- als zwei Kindern – nicht berücksichtigt werden, zahlen mögensverschiebung von den Kommunen an den Bund wieder einmal die Kommunen die Zeche. Der Gesetzent- statt. Der Bund kassiert und die Städte, Gemeinden und wurf sieht eine Finanzierung in Höhe der Steuerquoten Landkreise zahlen. In Höhe von rund 14 Milliarden DM vor. Das heißt, der Bund zahlt lediglich 42,5 Pfennig von entfallen durch die Abschreibungen und Zinsen, die beim jeder Mark Erhöhung, während die Länder 34 Pfennig be- Unternehmen als Kosten zu Buche schlagen, Körper-zahlen, und die Kommunen finanzieren zusammen über schaftsteuer und Gewerbesteuer. Deshalb wären dieden Gemeindeanteil an der Einkommensteuer und den Städte, Gemeinden und Landkreise an den Einnahmen zu kommunalen Finanzausgleich 23,5 Pfennig. Die Kommu- beteiligen gewesen. Eine kommunal freundliche Regie- nen in Deutschland werden unter Einschluss des kommu- (B) rung hätte dies getan. nalen Finanzausgleichs mit 1,1 Milliarden DM belastet. (D) Die rot-grüne Koalition hat in der Koalitionsvereinba- Das bedeutet beispielsweise für die niedersächsischen rung zum Regierungsantritt 1998 angekündigt, die Fi- Landkreise, Städte und Gemeinden eine Belastung von nanzkraft der Gemeinden stärken zu wollen. Wörtlich101 Millionen DM oder 14 DM pro Einwohner. heißt es in Kapitel III Nr. 2 Punkt 3 der Koalitionsverein- So hat denn auch der Bundesrat, BR 393/01-Beschluss, barung: einen Ausgleich von 2 Milliarden DM für dieses Gesetz Die neue Bundesregierung tritt dafür ein, dassgefordert und gleichzeitig deutlich gemacht, dass für die zukünftig Aufgabenverlagerungen im Verhältnis der vergangenen Kindergelderhöhungen im Verhältnis staatlichen Ebenen – Bund einerseits, Länder und Bund/Länder noch 18 Milliarden DM offen sind. In die- Gemeinden andererseits – im Rahmen des bundes- sem Maße hat in den Jahren 1997 bis 2001 die rot-grüne staatlichen Finanzausgleichs berücksichtigt werden Koalition grundgesetzwidrig Kindergeldlasten auf die (Konnexitätsprinzip). Länder und Kommunen verschoben. Wenn diese An- sprüche geltend gemacht würden, würde beispielsweise Wir wollen die Finanzkraft der Gemeinden stärken das Land Niedersachsen rund 2 Milliarden DM vom Bund und das Gemeindefinanzsystem einer umfassenden bekommen und könnte daraus alle kommunalen Finanz- Prüfung unterziehen. ansprüche finanzieren und die Kürzungen im kommuna- Das war richtig. Doch von einer Gemeindefinanzre- len Finanzausgleich rückgängig machen. form war bisher noch keine Rede. Sie haben in dieser Sie wollen nun den Ländern zur Abgeltung ihrer Richtung noch nichts unternommen. Das gilt auch für die Ansprüche 0,6 Punkte Umsatzsteuer überlassen. Das sind Umsetzung des Konnexitätsprinzipes: Fehlanzeige! 1,6 Milliarden DM. Die Länder hatten in ihrer Stellung- Im Gegenteil: Wie Sie diese Versprechen mit Füßen nahme bei dem Gesetzentwurf noch 0,75 Prozent oder treten, will ich an zwei Beispielen deutlich machen. Da ist 2 Milliarden DM gefordert. Auch wenn an dieser Stelle zum einen der Familienleistungsausgleich und zum ande- für die jetzt entstehende Erhöhung der Ausgleich im Wege ren die Grundsicherung im Rahmen der Rentenreform. der Nachbesserung gewährt wird, bleibt die Rechnung für die 1996 bis 2001 mit 18 Milliarden DM offen. Dabei ent- Wie es zum Familienleistungsausgleich gekommen ist, fällt der Löwenanteil auf die von Ihnen vorgenommene habe ich Ihnen ausführlich in der ersten Lesung geschil- Kindergelderhöhung. dert. Der Gesamtaufwand für das Kindergeld stieg von 43,3 Milliarden DM im Jahr 1996 auf 57,6 Milliarden DM Dies widerspricht dem Grundgesetz. 1996 hatten die im Jahr 1999. Für das Jahr 2000 liegen leider noch keine SPD-geführten Länder gegen den Willen der CDU einen 17796 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001

(A) Sonderlastenausgleich im Grundgesetz verankert, der den wird auf kommunaler Ebene nicht nur der Interessenzu- (C) Länderanteil auf 26 Prozent begrenzen sollte. Da dersammenhang zwischen Wirtschaft und Standortgemein- Bund bis dahin das Kindergeld als Sozialleistung allein fi- den, sondern auch der Charakter der Gewerbesteuer als nanziert hatte, sollten die Kommunen indirekt völlig von Gemeindesteuer geschwächt. Entgegen der Behauptung Belastungen freigestellt und die Länder in ihrer Finanzie- des Bundes, es gebe keine unmittelbare Finanzbeziehung rung so gestellt werden, dass sie durch erhöhte Umsatz- zwischen Bund und Kommunen, nutzt er die Gewerbe- steueranteile ebenfalls keine finanzielle Belastung hatten. steuerumlage immer häufger und in großem Umfang als Die Bundesregierung lehnt es ab, aufgrund dieser Si- unmittelbares Instrument zur Abschöpfung gemeindlicher tuation tätig zu werden. Sie ist der Auffassung, dass das Einnahmen. eine Frage der allgemeinen Deckungsquotenberechnung Im Rahmen des Steuersenkungsgesetzes sollte die Ge- sei und kein Handlungsbedarf gegeben sei. Wer soll bei werbesteuerumlage von Bund und Ländern von rund 20 diesen Lastenverschiebungen und bei diesem plötzlichen auf fast 30 Prozent angehoben werden. Die ist zwar nicht Meinungsumschwung der Beteiligten, die noch als Mi- in vollem Umfang geschehen, aber dennoch kam es im Er- nisterpräsidenten an einer völlig anderen Front gekämpft gebnis zu einer erheblichen Anhebung und zu einer dau- haben, darauf vertrauen, dass der Bund einen fairen Las- erhaften Festschreibung auf einem zu hohen Niveau. Da- tenausgleich vornimmt, von einer Verwirklichung desmit ist der Grad des Erträglichen überschritten. versprochenen Konnexitätsprinzipes ganz zu schweigen. Die Verlängerung der Nutzungsdauer in den AfA-Ta- Die Koalition hat bei Regierungsantritt versprochen, bellen schafft in den ersten Jahren Steuermehreinnahmen, dass nicht alles anders, aber vieles besser werden sollte. weil geringere Abschreibungen erfolgen. Dadurch ent- Darauf hatten die Kommunen große Hoffnungen gesetzt, steht bei den Steuereinnahmen eine Spitze. Wenn diese zumal in der Koalitionsvereinbarung vollmundige Ver- dann abflaut, tritt ein Loch ein, weil vorgezogene Steuer- sprechungen gemacht worden sind. Konnexität heißtmehreinnahmen entfallen. Im Rahmen des Steuersen- nichts anderes als: Wer die Musik bestellt, muss sie auch kungsgesetzes wurden diese Mehreinnahmen bei den bezahlen, und zwar direkt und unmittelbar. Sie machen Kommunen im Finanztableau berücksichtigt und waren große Versprechungen auf Kosten anderer. Sie lassen sich Anlass zu einer unbefristeten Erhöhung der Gewerbe- für eine Haushaltssanierung feiern und schieben die Las- steuerumlage. Hier bedarf es einer Anpassung. Mittelfris- ten den Kommunen zu. Als nächstes steht ein Verschiebe- tig sind die Mehreinnahmen, die als Basis für die Er- bahnhof bei der Grundsicherung im Alter und bei Er-höhung der Gewerbesteuerumlage genommen wurden, werbsminderung an. Auch dies hatte ich Ihnen ausführlich rückläufig. Deshalb muss aus der gestreckten Abschrei- in der ersten Lesung dargelegt. bung eine Anpassung erfolgen. (B) Wer – und darüber sind wir uns quer durch das Haus ei- Bei der Gewerbesteuerumlage sind noch Anpassungen (D) nig – aus Gründen der verbesserten Bekämpfung der Ar- offen, weil die Begründung für vormalige Erhöhungen beitslosigkeit die Sozialhilfe und die Arbeitslosenhilfe zu- ganz oder teilweise entfallen sind: sammenlegen will, der braucht dafür das Vertrauen der Kommunen. Schließlich geht es um ein Finanzvolumen Erstens. Zur kommunalen Mitfinanzierung des Soli- von 50 Milliarden DM. Entsprechende Risiken können darpaktes wurde die Gewerbesteuerumlage in den alten die Kommunen nicht übernehmen. Wer aber den Grund- Ländern erhöht. Trotz einer gesetzlichen Revisionsklau- satz der Konnexität dermaßen mit Füßen tritt, wie die Ko- sel wurde eine Neuberechnung von den Ländern ohne Be- alition, der braucht sich nicht zu wundern, wenn das not- gründung blockiert, obwohl die kommunalen Spitzenver- wendige Vertrauen nicht entsteht und eine wichtigebände schon für das Jahr 1995 belegt hatten, wie stark die Maßnahme zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit auf der tatsächlichen Transfers der alten an die neuen Länder un- Strecke bleibt. ter den ursprünglichen Erwartungen geblieben waren. Schon im ersten Jahr des Solidarpaktes war nur eine Er- Nun zur Gewerbesteuerumlage: Die Gewerbesteuer- höhung der Gewerbesteuer um 16 statt der gesetzlich fi- umlage wurde 1969 im Rahmen der Gemeindefinanz- xierten 29 Vervielfältigerpunkte gerechtfertigt. reform als Ausgleich für die Beteiligung der Kommunen an der Einkommensteuer eingeführt. Richtig ist, dass in Zweitens. Bei Erhöhung der Gewerbesteuerumlage im den Folgejahren die jeweiligen Bundesregierungen häufig Rahmen des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmen- die Gewerbesteuerumlage als direktes Ausgleichsinstru- steuerreform um zunächst 7 und ab 2001 6 Vervielfälti- ment zwischen Bund und Ländern einerseits und dengerpunkte hat der Gesetzgeber auf eine Befristung ver- Städten und Gemeinden andererseits gebraucht haben. Es zichtet, obwohl die damit abzuschöpfenden gemeind- hat dazu geführt, dass die Gewerbesteuer für die Kom- lichen Mehreinnahmen aus dem Abbau der Drohverlust- munen an Bedeutung verloren hat. Ob dies richtig war rechtstellungen 2003 auslaufen und damit die Berechti- oder nicht, darüber kann man streiten. Jedenfalls ist es gung auch für diese Erhöhung der Gewerbesteuerumlage einvernehmliche Praxis in Deutschland gewesen und des- weitestgehend entfällt. halb müssen alle daran festhalten lassen. Als Fazit bleibt festzustellen: Es besteht bei der Ge- Mit dem jetzigen Umfang der Abschöpfung gemeind- werbesteuerumlage dringender Handlungsbedarf. Die licher Einnahmen durch die Gewerbesteuerumlage ist die- Bundesregierung verweigert sich diesem, obwohl sie eine ses Instrument unter systematischen Gesichtspunkten zu Besserung der kommunalen Finanzverhältnisse verspro- kritisieren. Durch den wachsenden Anteil der Gewerbe- chen hatte. Dies ist Ausdruck der kommunalfeindlichen steuerumlage am Bruttoaufkommen der Gewerbesteuer Haltung der Regierung Schröder. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17797

(A) Das Volumen, was die Gewerbesteuerumlage inzwi- Hinweise darauf hatten sich schon in der „FAZ“ vom(C) schen angenommen hat, macht auch deutlich, dass es im 4. Mai 2001 ergeben. Der beamtete Staatssekretär Profes- Verhältnis zwischen den Ebenen Bund, Länder und Kom- sor Dr. Heribert Zitzelburger aus dem Finanzministerium munen einen qualitativen Wechsel gegeben hat. Zusam- wird zitiert. Ich rate dringend, darüber eine öffentliche men mit den Veränderungen in Art. 108 und in Art. 28 Diskussion zu führen. Das Basteln hinter verschlossenen Abs. 2 Satz 3 GG haben sich die Städte, Gemeinden und Türen muss das Misstrauen der Kommunen erregen. Landkreise zu einer eigenen Ebene innerhalb des Staates Diese Steuer ist mit vielen Vorurteilen und Emotionen entwickelt. Hier liegt ein Ansatzpunkt für eine Gemein- behaftet. Bei Lichte und ganz nüchtern betrachtet gibt es definanzreform. Aber ein Teilschritt, wie er von Ihnen Wege, hier zu einer Befriedigung zu kommen. vorgeschlagen wird, ist nicht akzeptabel. Grundsätzlich ist die Frage der Gewerbesteuer keine Zur Zerlegung bei der Gewerbesteuer. Die Zerlegung „Sonderlast“, wie viele behaupten, sondern es ist ein Pro- der Gewerbesteuer hat die Aufgabe, das Steueraufkom- blem der Staatsquote. Diese ist in Deutschland insgesamt men an Gemeinden zu verteilen, wenn ein Betrieb meh- zu hoch. Daneben gib es das Problem der Steuergerech- rere Betriebsstätten hat. Dabei gilt es, den richtigen Kom- tigkeit. Durch die Entwicklung sind hier Probleme einge- promiss zwischen einfacher Durchführung und Ergebnis- treten, die angefasst werden müssen. Die Abgrenzung gerechtigkeit zu erzielen. Grundsätzlich gilt nach § 29 Ge- zwischen Gewerbe und Nichtgewerbe ist heute überhaupt werbesteuergesetz, GewStG, der Arbeitslohn in den ein- nicht mehr nachvollziehbar. Entgegen der Zeit der Ent- zelnen Betriebsstätten als Zerlegungsmaßstab. Allerdings stehung der Gewerbesteuer haben sich hier große Verän- sind auch andere Formen der Zerlegung denkbar. Nach derungen unserer Volkswirtschaft ereignet, die auch im § 33 GewStG kann, wenn die Regelzerlegung zu offenbar Steuerrecht nachvollzogen werden müssen. Dazu muss es unbilligen Ergebnissen führt, die Aufteilung auch nach ei- erhebliche Verwaltungsvereinfachungen geben. nem anderen Maßstab, der die tatsächlichen Verhältnisse besser berücksichtigt, erfolgen. Dabei ist gemäß § 33 Abs. 2 Mein Vorschlag dazu lautet: Wie auch Professor einer Einigung zwischen Steuerschuld und beteiligten Ge- Kirchhoff und sein Karlsruher Entwurf vorschlagen, meinden der Vorrang zu geben. Wenn es keine Einigung sollte man von der Objektsteuer zu einer Ertragsteuer unter den Beteiligten gibt, kann auch die Finanzverwal- übergehen. Dies wäre mit Art. 28 und Art. 106 Grundge- tung ihre Regelungen treffen. Diese flexible Regelung setz vereinbar, wenn sie wirtschaftsbezogen bleibt und trägt den Bedürfnissen der Praxis ausreichend Rechnung, mit einem Hebelsatzrecht versehen ist. Man könnte die sodass der Antrag auf Veränderung der Zerlegung abzu- „wirtschaftlichen Aktivitäten“ einheitlich der Besteue- lehnen ist. rung unterwerfen. Aus Gründen der Verwaltungsvereinfa- chung könnte man die Erträge der Einkommenserklärung Das Lohngefälle vermag allein ein Abweichen von (B) entnehmen und bei den Körperschaften den Körper-(D) dem bisherigen grundsätzlichen Zerlegungsmaßstab nicht schaftsteuerertrag zugrunde legen. In dieser Lösung liegt zu rechtfertigen, denn es ist auch eine unterschiedliche auch für freiberuflich Tätige und Ähnliche keine bedroh- Produktivität gegeben. Wäre das nicht der Fall, hätte es liche Situation. Durch die Steuerreform der Regierung ist, schon längst eine Angleichung der Tariflöhne gegeben. wie immer man dazu steht, die Möglichkeit der Anrech- Insofern geht Ihr Antrag in die falsche Richtung. nung auf die Steuerschuld bei Einzelunternehmen und Es gibt aber noch einen weiteren Grund, eine Auftei- Personengesellschaften gegeben. Dadurch entsteht kein lung nach Köpfen abzulehnen: Inzwischen werden die zusätzlicher Steueraufwand für die Betroffenen und auch 630-DM-Kräfte, Kräfte mit geringem Arbeitsvolumen aus der Sicht des Fiskus wäre eine solche Einführung und Einkommen, in der Arbeitsstatistik als Vollzeitkräfte steuerneutral. Man muss dann nur auf die richtige Vertei- gezählt. Wenn man nun die Zahl der Köpfe zum Vertei- lung über die unterschiedlichen staatlichen Ebenen ach- lungsmaßstab machen würde, dann käme es zu nicht ge- ten. Damit hätte man eine relativ verwaltungseinfache Lö- rechtfertigten Verschiebungen. Gerade das, was Sie ver- sung mit mehr Gerechtigkeit und würde den kommunalen meiden wollen, würde in großem Umfang im Verhältnis Belangen in vollem Umfang Rechnung tragen, ohne der einzelner Kommunen untereinander eintreten. Deshalb ist Wirtschaft Schaden zuzufügen. Um die Rechtsformneu- das Ost-West-Gefälle als Argument nicht geeignet. tralität zu gewährleisten, muss bei Einzelunternehmen und Personengesellschaften ein Freibetrag für den Unter- Weitere große Risiken sind die nachlassende Konjunk- nehmerlohn bzw. das Geschäftsführergehalt eingeräumt tur und die steigenden Krankenkassenbeiträge. Von er- werden. heblicher Wirkung sind auch die Inflationsrate und die steigenden Energie- und Benzinkosten. Ein Sonderproblem ergibt sich bei Steuerpflichtigen und Körperschaften mit mehreren Betriebsstätten. Da es Trotz steigender Steuerquote – sie hat sich seit Antritt wenig Sinn macht, das Hebesatzrecht durch die Wohn- der Regierung von 23 auf 24,8 Prozent erhöht – ist die sitzgemeinde oder den zufälligen Steuersitz ausüben zu kommunale Finanzsituation immer schlechter geworden. lassen, muss dafür gesorgt werden, dass das Art. 28 recht- Dies ist auch ein Zeichen für die Verschiebung. fertigende Hebelsatzrecht gegenüber den einzelnen Be- Die Koalition geht das Thema Gemeindefinanzreform triebsstätten ausgeübt werden kann. Dazu ist eine Vertei- nach außen sichtbar nicht an. Aber im Verborgenen bastelt lung der Besteuerungsgrundlagen notwendig. Ich sie offensichtlich doch an einer Abschaffung der Gewer- vermeide bewusst das Wort „Zerlegung“, weil es für die besteuer. Das konnte man jedenfalls der „Frankfurter All- Verteilung von Steuereinnahmen steht. Hier geht es um gemeinen Zeitung“ vom 27. Juni 2001 entnehmen. Erste die Abschöpfungsseite. Die Verteilung der Besteuerungs- 17798 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001

(A) grundlagen könnte dadurch erfolgen, dass nach demgung. Wir haben uns im Rahmen des Zukunftsinvesti-(C) Muster der Zerlegung eine Verteilung der Erträge nach der tionsprogramms dazu entschlossen, diese Mittel gezielt Lohnsumme und dem Betriebsvermögen der einzelnen zu investieren. Betriebsstätten erfolgt. Diese Daten werden ohnehin für Drei Jahre lang fließen rund 3,5 Milliarden DM in die die Verteilung des Gemeindeanteils an der Umsatzsteuer Verkehrsinfrastruktur, gut 1 Milliarde DM in Bildung und ermittelt und von den Steuerpflichtigen erklärt. Auf dieser Forschung und knapp eine halbe Milliarde DM in den Basis könnte an die einzelne Betriebsstättengemeinde ein Klimaschutz durch Altbausanierung. Dies macht insge- „Verteilungsmessbetrag“ mitgeteilt werden, auf den dann samt genau die vorhandenen 5 Milliarden Mark. – Das der kommunale Hebesatz angewendet wird. Auf alle übri- sind zukunftsorientierte Investitionen, von denen alle pro- gen Zurechnungen und Kürzungen kann verzichtet wer- fitieren – und dies nicht nur mittelfristig; denn Ausschrei- den, weil sie sich ohnehin in der Summe aufheben. Die- bung und Vergabe haben einige Zeit in Anspruch genom- ses Verfahren bietet alle Vorteile der Gewerbesteuer, men, sodass die 5 Milliarden DM erst im zweiten vermeidet Gerechtigkeitsprobleme und ist verwaltungs- Halbjahr dieses Jahres voll wirksam werden. Das heißt, einfach zu handhaben. sie können jetzt noch einmal kräftige Impulse für die Die Einbeziehung bisher nicht Betroffener ist aus de- Wirtschaftstätigkeit setzen. Die Zinsersparnisse aus den ren Sicht unschädlich, weil sie die Gewerbesteuer mit der UMTS-Erlösen sind damit sehr sinnvoll verwendet. Steuerschuld bei der Einkommensteuer verrechnen kön- Das Problem ist nun: Will die PDS, dass diese Investi- nen. tionen nicht stattfinden? Denn 5 Milliarden DM minus Ob in diese Regelung die Landwirtschaft einbezogen 5 Milliarden DM macht null DM; das wird auch die PDS werden sollte oder nicht, muss geprüft werden. Dafürnicht bestreiten wollen. Wir können die Zinsersparnisse spricht, dass im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit aber nur einmal verwenden. immer mehr Betriebe an den Rand der Gewerbesteuer- Insgesamt gesehen hat sich die finanzielle Lage der pflicht kommen und nur durch vielfache Kunstgriffe diese Kommunen eher entspannt. Für das Jahr 2000 ergibt sich vermeiden. Im Ergebnis wäre es wahrscheinlich richtiger, sogar für die ostdeutschen Kommunen ein positiver wenn – zumal durch die Verrechnungsmöglichkeit – eine Finanzierungssaldo. Das sagt natürlich noch wenig über Belastung nicht entstehen würde. So könnte man die Dis- die Haushaltslage einzelner Kommunen aus. Abhängig kussion wirklich voranbringen und allen Beteiligten Ge- von der wirtschaftlichen Entwicklung und den Arbeits- rechtigkeit widerfahren lassen. losenzahlen zeigt sich ein sehr differenziertes Bild. Das Zusammenfassend lässt sich feststellen: Eine kommu- gilt natürlich genauso für die Kommunen in Ostdeutsch- nale Investitionspauschale wäre zwar wünschenswert, land. kann aber in diesem Volumen außerhalb des Finanzaus- (B) Zuständig für eine angemessene kommunale Finanz- (D) gleiches nicht gewährt werden. Damit würden die Fi- ausstattung sind aber die Länder. Sie besitzen mit dem nanzströme völlig umgeleitet werden. Deshalb ist Ihr Vor- kommunalen Finanzausgleich das geeignete Instrument, schlag abzulehnen. um finanzielle Schieflagen in den Kommunen zu beseiti- Weil der Antrag zur Zerlegung der Gewerbesteuergen. Gerade die ostdeutschen Länder bekommen wegen sachlich verfehlt und der Antrag zur Gewerbesteuerum- der vergleichsweise eher geringen Steuerkraft ihrer Kom- lage nur einen berechtigten Teilaspekt aufgreifen würde, munen – im Durchschnitt beträgt sie nur ein Drittel der der den Blick für die Gesamtproblematik eher versperrt, westdeutschen – mehr Leistungen aus dem Länderfinanz- wird die CDU/CSU-Bundestagsfraktion beide Anträge ausgleich. Diese müssen die Länder natürlich auch an ihre ablehnen. Gemeinden weitergeben. Unter der Regierung Kohl ging es uns gut. Unter der Außerdem wird durch die gerade beschlossene Neu- Regierung Schröder geht es uns besser. Aus kommunaler ordnung des Länderfinanzausgleiches die Finanzkraft der Sicht kann die Forderung nun lauten: Ach, ginge es uns Gemeinden zukünftig mit 64 Prozent statt wie bisher mit doch wieder gut. 50 Prozent in den Finanzausgleich einbezogen. Auch von dieser Neuregelung profitieren die ostdeutschen Länder in besonderem Maße. Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die knapp 100 Milliarden DM Einnahmen aus der Versteige- Daneben haben wir mit dem Solidarpakt II gerade erst rung der UMTS-Lizenzen haben schon gleich nach Ab- finanzielle Sicherheit für die neuen Länder bis zum Jahr schluss des Bieterverfahrens Begehrlichkeiten geweckt 2020 geschaffen. Sie bekommen auch auf lange Sicht die und sie üben immer noch einen offenbar unwiderstehli- Mittel, die sie benötigen, um die immer noch bestehende chen Anreiz aus. Klar ist zumindest eines: Im Rahmen ei- Infrastrukturlücke von rund 300 Milliarden DM zu ner seriösen Haushalts- und Finanzpolitik kann man sol- schließen. Darüber hinaus können die Länder die Gelder che einmalige Einnahmen nur zur Schuldentilgungin eigener Regie ausgeben, ohne dass der Bund wie bisher verwenden. Dies stand und steht auch ganz in unserer Li- im Detail reinreden kann. Damit können die Länder viel nie „Sparen und Gestalten“; denn diese Tilgung „erspart“ flexibler und effektiver über Investitionen entscheiden. dem Bund auf Dauer gut 5 Milliarden DM an Zinszah- Denn wo eine Schule gebaut oder ein Gebäude saniert lungen. werden soll, weiß man vor Ort oft am besten. Diese – und nur diese – 5 Milliarden DM standen und Das ist ein langfristig angelegtes Programm zur Ver- stehen für zusätzliche Verwendungszwecke zur Verfü- besserung der infrastrukturellen Rahmenbedingungen für Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001 17799

(A) die Bürgerinnen und Bürger und für die Unternehmen in – Gesetz zur Verbesserung des Hinterbliebenen- (C) Ostdeutschland. Die Früchte werden steigende Steuerein- rentenrechts nahmen und geringere Belastungen für die Sozialkassen – Gesetz zur Umstellung auf Euro-Beträge im sein und diese werden zuallererst die ostdeutschen Kom- Lastenausgleich und zur Anpassung der LAG- munen ernten. – Für Investitionen ist also bereits einiges Vorschriften (LAG-Euro-Umstellungs- und An- geschehen. passungsgesetz – LAG-EUAnpG) Nur so können wir dem Problem der niedrigen Ein- nahmen der ostdeutschen Kommunen wirksam begegnen. – Gesetz zur Eindämmung illegaler Betätigung im Baugewerbe Hin- und Herschieberei beim Gewerbesteuermessbetrag oder bei der Gewerbesteuerumlage ist dafür ein untaugli- – Gesetz zur Reform des Zivilprozesses(Zivilpro- ches Mittel. zessreformgesetz – ZPO-RG) – Gesetz zur Durchführung gemeinschaftsrecht- Gerhard Schüßler (F.D.P.): Das Grundanliegen der licher Vorschriften über die Zustellung gericht- vorliegenden Anträge der PDS-Fraktion ist die ausrei- licher und außergerichtlicher Schriftstücke in chende Finanzausstattung der Gemeinden. Diesem Anlie- Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaa- gen wird jedes Mitglied dieses Hauses uneingeschränkt ten (EG-Zustellungsdurchführungsgesetz – zustimmen. Bei der Frage, wie wir für eine ausreichende ZustDG) Finanzausstattung der Gemeinden sorgen können, schei- den sich allerdings die Geister. – Zweites Gesetz zur Neuordnung des Wehrdiszi- plinarrechts und zur Änderung anderer Vor- Um es gleich vorweg zu nehmen: Die F.D.P. bleibt bei schriften (2. WehrDiszNOG) ihrer Forderung, die Gewerbesteuer endgültig abzuschaf- fen. Bei der Gewerbekapitalsteuer ist das bereits gelun- – Zweites Gesetz zur Änderung und Ergänzung gen. Grund dafür war allerdings nicht die Einsicht, dass des Anspruchs- und Anwartschaftsüberfüh- diese Steuer die Unternehmen schwächt. Allein weil die rungsgesetzes (2. AAÜG-Änderungsgesetz – Einführung dieser Substanzsteuer in den neuen Ländern 2. AAÜG-ÄndG) drohte, konnte sie beseitigt werden. – Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften Scheinbar gibt es jetzt auch Bewegung in der Bun- des Privatrechts und anderer Vorschriften an desregierung. Presseberichten zufolge will sie die Ge- den modernen Rechtsgeschäftsverkehr werbeertragsteuer ebenfalls abschaffen. Die F.D.P. wird – Gesetz zur Umsetzung der UVP-Änderungs- (B) dieses Vorhaben uneingeschränkt unterstützen. Wir be- richtlinie, der IVU-Richtlinie und weiterer EG- (D) grüßen es, dass sich endlich der Sachverstand durch- Richtlinien zum Umweltschutz setzt. Der Bundesrat hat in seiner 765. Sitzung am 22. Juni Die Kommunen benötigen eine wirtschaftskraftbezo- 2001 beschlossen, dem nachstehenden Gesetz gemäß gene eigene Steuerquelle, das heißt sie müssen mittels ei- Artikel 84 Absatz 1 Grundgesetz nicht zuzustimmen: nes Hebesatzrechtes die Höhe der Steuer festlegen kön- nen. – Gesetz zur Vorbereitung eines registergestützten Zensus (Zensusvorbereitungsgesetz) Die F.D.P. schlägt vor, im Gegenzug zum Wegfall der Gewerbeertragsteuer den Gemeinden ein eigenes Hebe- Die Vorsitzenden des folgenden Ausschusses hat mit- satzrecht auf die Einkommensteuer, alternativ auf diegeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Umsatzsteuer, einzuräumen. Die Gewerbeertragsteuer ist Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den eine Sonderbelastung für Unternehmen. Gerade die PDS nachstehenden Vorlagen absieht: müsste daran interessiert sein, diese Belastung zu beseiti- Auswärtiger Ausschuss gen, um dadurch Entlastungseffekte auch für ostdeutsche Unternehmen zu erzielen. Der Wegfall der Gewerbe- – Unterrichtung durch die Bundesregierung ertragsteuer wäre gleichzeitig ein spürbarer Beitrag zur Bericht der Bundesregierung über die Tätigkeit der Vereinfachung unseres Steuerrechts. Wir müssten uns Westeuropäischen Union für die Zeit vom 1. Juli bis dann nicht mit hochkomplizierten Verrechnungsmodalitä- 31. Dezember 2000 ten und mit der Höhe der Gewerbesteuerumlage befassen. – Drucksachen 14/5442, 14/5729 Nr. 2 – Die vorliegenden Anträge lehnt die F.D.P. daher ab. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla- gen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parla- Anlage 5 ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Amtliche Mitteilungen Auswärtiger Ausschuss Der Bundesrat hat in seiner 765. Sitzung am 22. Juni Drucksache 14/5503 Nr. 1.2 2001 beschlossen, dem nachstehenden Gesetz zuzu- Drucksache 14/5730 Nr. 2.17 stimmen, bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 Drucksache 14/5730 Nr. 2.29 Grundgesetz nicht zu stellen: Drucksache 14/6026 Nr. 2.30 17800 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 180. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Juni 2001

(A) Sportausschuss Drucksache 14/6026 Nr. 2.26 (C) Drucksache 14/5730 Nr. 2.28 Drucksache 14/6026 Nr. 2.27 Drucksache 14/6116 Nr. 1.9 Ausschuss für Verbraucherschutz, Drucksache 14/6214 Nr. 2.5 Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 14/6214 Nr. 2.7 Drucksache 14/6214 Nr. 2.8 Drucksache 14/2104 Nr. 2.10 Drucksache 14/6214 Nr. 2.9 Drucksache 14/2609 Nr. 1.11 Drucksache 14/6214 Nr. 2.10 Drucksache 14/2609 Nr. 1.15 Drucksache 14/6214 Nr. 2.11 Drucksache 14/2747 Nr. 2.15 Drucksache 14/5503 Nr. 2.11 Ausschuss für Gesundheit Drucksache 14/5610 Nr. 1.8 Drucksache 14/5730 Nr. 2.45 Drucksache 14/5610 Nr. 1.9 Drucksache 14/5730 Nr. 2.18 Ausschuss für Bildung, Forschung Drucksache 14/5730 Nr. 2.40 und Technikfolgenabschätzung Drucksache 14/5836 Nr. 2.17 Drucksache 14/5610 Nr. 2.15

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