Cyclotosaurus Buechneri – Ein Neuer Riesenlurch Aus Der Oberen Trias Von Erhältlich Unter Bielefeld, In: Der Steinkern – Heft 27 (4/2016), S
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Cyclotosaurus buechneri – ein neuer Riesen- lurch aus der oberen Trias von Bielefeld Florian Witzmann, Sven Sachs & Christian Nyhuis Mehrere Meter große, entfernt an Krokodile erinnernde Lurche, die sogenann- ten Capitosaurier, beherrschten in der Trias die limnischen Ökosysteme in wei- ten Teilen der Welt. Ein Vertreter der Capitosaurier, der aufgrund seiner rund- um geschlossenen Ohröffnung zu den Rundohrlurchen (Cyclotosaurier) gezählt werden kann, wurde vor über 40 Jahren im Schilfsandstein der oberen Trias von Bielefeld entdeckt – ein Novum für Norddeutschland, findet man die Überreste solcher Riesen doch zumeist in triassischen Sedimenten Süddeutschlands. Der Fund wurde jetzt erstmals wissenschaftlich ausgewertet und es zeigte sich, dass es sich um eine neue Art der Gattung Cyclotosaurus handelt. Obwohl heutige Lurche oder Amphibi- Jahren erlangte der Schädel als „Bielefel- en (Frosch- und Schwanzlurche sowie der Urlurch“ einige Berühmtheit in Biele- die beinlosen Blindwühlen) wichtige Be- feld und Umgebung. So ist beispielsweise standteile limnischer und terrestrischer seit 2006 ein detailgetreuer Abguss des Ökosysteme darstellen, sind sie für uns Schädels in einer Bodenvitrine der unterir- Menschen doch unscheinbar und wir be- dischen Stadtbahnhaltestelle Rudolf-Oet- kommen sie eher selten zu Gesicht. Das ker-Halle in Bielefeld ausgestellt. Trotz liegt zum einen an ihrer verborgenen, oft seiner regionalen Bekanntheit blieb der nachtaktiven Lebensweise und zum ande- Schädel für Jahrzehnte wissenschaftlich ren an ihrer meist geringen Körpergröße. unbearbeitet. Die Bearbeitung wurde nun Insbesondere aus dem Perm und der Trias von den Autoren vorgenommen, die eine kennen wir jedoch Lurche, die mehrere genaue Beschreibung des Schädels sowie Meter groß werden konnten und die Top- der Verwandtschaftsverhältnisse des Bie- Prädatoren ihrer jeweiligen Lebensräu- lefelder Individuums zu anderen Lurchen me darstellten (SCHOCH & MILNER, 2000). in dem internationalen Fachblatt „Fossil Ein solcher Riesenlurch wurde 1975 von Record“ publizierten (WITZMANN, SACHS Dr. Martin Büchner, damals Direktor des & NYHUIS, 2016). Naturkunde-Museums Bielefeld, in Sedi- menten des Schilfsandsteins (heute Stutt- Der Fund gart-Formation) aus dem Keuper (obere Der Bielefelder Riesenlurch gehört zu Trias) von Bielefeld entdeckt und gebor- den sogenannten Temnospondylen, der gen. Bei dem Fund handelt es sich um ein größten Gruppe fossiler Amphibien, de- sehr schön erhaltenes, fast vollständiges ren Vertreter aus unterkarbonischen bis Schädeldach, das eine Gesamtlänge von unterkretazischen Sedimenten bekannt über 30 cm aufweist. In den folgenden sind und aus denen die heutigen Lurche 46 Der Steinkern - Heft 27 Abb. 1: Über 30 cm langes Schädelfragment von Cyclotosaurus buechneri (Namu ES/k 36053) aus der obe- ren Trias (Stuttgart-Formation, mittle- res Karnium) von Bielefeld, Sammlung des Naturkunde-Museums in Bielefeld. Der Steinkern - Heft 27 47 hervorgingen (SCHOCH, 2014). Allerdings wahrnimmt. Es ist ein eindeutiger Beleg ist der Bielefelder Riesenlurch weder dafür, dass der Bielefelder Riesenlurch ein Frosch noch ein Salamander; er ge- dauerhaft im Wasser gelebt hat. hört den Stereospondylen an. Diese große Gruppe innerhalb der Temnospondylen ist Verwandtschaftliche Beziehungen ab dem oberen Perm bekannt und starb in Besonders wichtig für die Rekonstruktion der Unteren Kreide aus. der Verwandtschaftsverhältnisse des Bie- Bei Betrachtung des Schädels fällt auf, lefelder Riesenlurchs ist die Morphologie dass dieser im Gegensatz zu den Schädeln der Ohröffnungen, die das Trommelfell der meisten heutigen Amphibien weitge- aufspannten. Bei den meisten triassischen hend geschlossen ist, d. h. er besitzt nur Amphibien (aber auch bei heutigen Frö- Öffnungen für die Nase, die Augen, die schen) ist die Ohröffnung eine Einbuch- Ohren und das kleine lichtempfindliche tung (der sogenannte „Ohrschlitz“), die Parietalauge (manchmal auch „drittes sich seitlich am Hinterrand des Schä- Auge“ genannt) mittig hinter den Augen- dels befindet, deren hinterer Rand aber öffnungen. Von dem geschlossenen Schä- nicht geschlossen ist. Bei dem Bielefel- deldach der altertümlichen Lurche ist der der Schädel wird diese Einbuchtung durch Begriff „Dachschädler“ abgeleitet, der eine knöcherne Brücke begrenzt und da- aber heutzutage kaum noch benutzt wird. her zu einer rundlichen Öffnung, dem so- Weiterhin fällt die leisten- und grubenarti- genannten Ohrfenster, umgewandelt. Dies ge Skulptur der Schädelknochen auf, die ermöglicht die eindeutige Zuordnung des an die Knochentextur heutiger Krokodile Schädels zu den Rundohrlurchen oder Cy- erinnert. Diese Ähnlichkeit besteht aber clotosauriern. Die Rundohrlurche wieder- nur oberflächlich, da histologische Studi- um gehören zu den Capitosauriern, einer en von Temnospondylen- und Krokodil- Gruppe innerhalb der Stereospondylen, knochen gezeigt haben, dass die Skulptur deren größte Vertreter über fünf Meter in beiden Gruppen ganz unterschiedlich Körperlänge erreichen konnten und in der entstand: Während sie bei den Temnospon- Trias weltweit verbreitet waren (SCHOCH, dylen durch bevorzugte Auflagerung von 2008). In ihrem Habitus erinnern die Ca- Knochen auf die Leisten wuchs (Appo- pitosaurier etwas an Krokodile. Sie be- sition), entsteht die Skulptur bei Kroko- herrschten die triassischen Sümpfe, Flüs- dilen umgekehrt, nämlich durch lokalen se und Seen, ihre fossilen Reste wurden Knochenabbau (Resorption) (WITZMANN, aber auch in brackischen und sogar in 2009; CLARAC et al., 2015). Bei genau- küstennahen marinen Sedimenten gefun- erem Hinschauen fallen innerhalb der den. Die Rundohrlurche stellen allerdings „normalen“ Skulptur stärker eingedrückte keine einheitliche oder natürliche Gruppe Furchen im Knochen auf, die sich entlang dar, da ihr diagnostisches Merkmal, das der Schnauze und hinter den Augenöff- Ohrfenster, mindestens zweimal unab- nungen erstrecken, aber nicht kontinuier- hängig in der Evolution der Capitosaurier lich sind. Diese Furchen beherbergten das entstanden ist. Es ist aber dennoch mög- sogenannte Seitenlinienorgan, das von lich, anhand der Anordnung der Knochen heutigen Fischen und Amphibienlarven des Schädeldaches den Bielefelder Fund bekannt ist und Druckwellen im Wasser in die bekannte Rundohrlurch-Gattung 48 Der Steinkern - Heft 27 Abb. 2: Lebendbild von Cyclotosaurus buechneri. Zeichnung: Joschua Knüppe Cyclotosaurus einzuordnen, was Martin vorderen Bereich von Gaumen und Unter- Büchner bereits kurz nach der Bergung kiefer sowie eine kräftige Kieferschließ- korrekt getan hat. muskulatur. Am Ende der Trias starben die Bisher waren insgesamt sechs valide Ar- Rundohrlurche aus, ebenso wie alle an- ten von Cyclotosaurus bekannt (SCHOCH, deren Capitosaurier. Möglicherweise wur- 2008). Die Proportionen des Bielefelder den sie von den sich stark diversifizieren- Schädels und der Verlauf seiner Knochen- den Archosauriern verdrängt. Diese hatten grenzen ließen ihn aber keiner der bereits eine ähnliche Lebensweise wie die Ca- bestehenden Arten zuordnen. Daher haben pitosaurier, besaßen aber eine wesentlich die Autoren jetzt zu Ehren des Entdeckers höhere Stoffwechselrate und übernahmen die neue Art Cyclotosaurus buechneri nun ihre Rolle als Top-Räuber in limni- WITZMANN, SACHS & NYHUIS, 2016 aufge- schen Ökosystemen. stellt. Nimmt man die Proportionen voll- ständig erhaltener Capitosaurier als Maß, Literatur dann dürfte C. buechneri eine Körperlän- CLARAC, F., SOUTER, T., CORNETTE, R., CUBO, J. & DE ge von etwa 1,2 bis 1,5 Metern gehabt ha- BUFFRÉNIL, V. (2015): A quantitative assessment of ben. C. buechneri ist der erste eindeutige bone area increase due to ornamentation in the Cro- Nachweis eines Rundohrlurchs in Nord- codylia, in: Journal of Morphology, 276, S. 1183–1192. deutschland, während in Süddeutschland QUENSTEDT, F. A. (1850): Die Mastodonsaurier aus zur gleichen Zeit sein größerer und weit- dem grünen Keupersandstein Württemberg’s sind aus kräftiger gebauter Vetter Cyclotosau- Batrachier, Laupp and Siebeck, Tübingen. rus robustus lebte, den die Wissenschaft SCHOCH, R. R. (2008): The Capitosauria (Amphibia): schon seit der ersten Hälfte des 19. Jahr- characters, phylogeny, and stratigraphy, in: Palaeodi- hunderts durch zahlreiche Funde kennt versity, 1, S. 189–226. (QUENSTEDT, 1850). Die weiteren Cycloto- saurus-Arten waren fast weltweit verbrei- SCHOCH, R. R. (2014): Amphibian Evolution. The Life of Early Land Vertebrates, Wiley Blackwell, tet – von Grönland im Westen über Mittel- Chichester. europa bis nach Thailand (SCHOCH, 2008). SCHOCH, R. R. & MILNER, A. R. (2000): Stereospon- dyli. Handbuch der Paläoherpetologie, Teil 3B, Dr. Lebensweise Friedrich Pfeil Verlag, München. Wie zuvor bereits angedeutet, war der Bielefelder Riesenlurch ein im Was- WITZMANN, F. (2009): Comparative histology of ser lebendes Tier, das kaum jemals an sculptured dermal bones in basal tetrapods, and the implications for the soft tissue dermis, in: Palaeodi- Land ging und Zeit seines Lebens nicht versity, 2, S. 233–270. nur über Lungen atmete, sondern wahr- scheinlich auch fischartige innere Kiemen WITZMANN, F., SACHS, S. & NYHUIS, C. J. (2016): A new species of Cyclotosaurus (Stereospondyli, Ca- besaß (WITZMANN, 2016). Als Lauerjä- pitosauria) from the Late Triassic of Bielefeld, NW ger verbarg er sich in der Uferregion im Germany, and the intrarelationships of the genus, in: Dickicht aus Schachtelhalmen und stieß Fossil Record, 19, S. 83–100. blitzschnell zu, wenn sich ein Fisch oder Witzmann, F. (2016): CO -metabolism in early