Gesellschaft

KARRIEREN Ganz links, ganz rechts, ganz oben In der Apo-Zeit waren sie Freunde. Das NPD-Verbotsverfahren und die V-Mann-Affäre führen sie nun wieder zusammen – als erbitterte Gegner: Innenminister Otto Schily, NPD-Mitglied und Grünen-Abgeordneter Hans-Christian Ströbele. Von Dirk Kurbjuweit

it Wohlwollen verfolgt Otto Schi- zur Seite, schmeißt den Oberkörper vor re jünger zeigt. Vom Weggetragenen zum ly, wie die Kreissäge nur wenige und zurück und hält sich den Bauch. Er obersten Dienstherrn der Wegträger, eine MZentimeter vom Hals des Blockie- lacht laut, herzhaft. Schließlich prustet er Karriere zum Totlachen, findet Gabriel. rers entfernt rotiert. Leise schnurrend, die Schily zu: „Mensch, stimmt ja, das war Gefährten aus seligen Apo-Zeiten rea- sanfteste Kreissäge der Welt, durchtrennt doch in Mutlangen.“ gieren dagegen gnatzig, zum Beispiel Hans- sie den Stahl, mit dem sich der junge Mann Nein, stimmt nicht. „Das war auf der Christian Ströbele und Horst Mahler, mit an das Bahngleis gekettet hat. Dann tragen Hardthöhe“, korrigiert Schily behaglich. Im denen Otto Schily seit fast 40 Jahren selt- ihn Beamte vom Bundesgrenzschutz da- Jahr 1983 blockierte er dort das Verteidi- sam verstrickt ist. Derzeit stoßen sie in der von. Schilys Mund zeigt ein kleines gungsministerium, aus Protest gegen die Affäre um die V-Leute in der NPD hart Lächeln. Es ist kalt, der Atem dampft. Die Nachrüstung der Nato mit Raketen. Damals aufeinander. Verkürzt gesagt: Schily könn- Zuschauer trinken einen heißen, stark ge- wurde er selbst von Polizisten weggetragen. te wegen Mahler stürzen, weil er nicht auf süßten Tee. Jetzt ist er Innenminister und besucht in Ströbele gehört hat. Schily wendet sich zu, Duderstadt den Bundesgrenzschutz, der ihm Der Minister und seine beiden Gefähr- dem Ministerpräsidenten von Niedersach- in einem kleinen Schauspiel vorführt, wie ten, die zu Widersachern wurden: Das ist sen, und flüstert ihm ein paar Worte ins man mit Blockierern fertig wird. Für Schily ein Drama bundesdeutscher Geschichte, Ohr. Gabriel springt einen halben Meter ist das wie eine Spiegelung, die ihn 20 Jah- der ewige Streit um die Staatsräson zwi- DPA Angeklagter Mahler (M.), Verteidiger Ströbele, Schily (1972): „Wie hübsch wir da waren“

102 der spiegel 7/2002 schen der politischen Mitte und den Rän- Stift, setzt sich wieder. Das Überraschende weitere V-Leute unter den Zeugen geben. dern, mit dem großen deutschen Thema ist, dass er keine Schuhe trägt, nur Socken. Mahler sagt: „Dann ist Schily erledigt.“ Angst, mit wechselnden Rollen, mit Terro- Schily legt sein Manuskript zurecht. Er Zu seinem einstigen Gefährten fällt risten, Dunkelmännern und mit einem trägt immer noch die Frisur, die er auf dem Mahler ein, dass er ein „hervorragender Showdown: Mahler und Schily werden sich Foto hat, die geraden Haarkanten, die sein Verteidiger“ gewesen sei, „taktisch über- bald als Gegner vor dem Bundesverfas- Gesicht eckig machen wie ein Brikett. Schi- legt, rechtskundig“. Seinen Wandel zum sungsgericht begegnen. ly steht da wie Vater Staat höchstpersön- Staatsmann versteht Mahler nicht. „Da ist Es gibt ein Foto, das die drei zeigt, wie lich: gestreng, wehrhaft, würdevoll bis zur wohl was in ihm verloren gegangen.“ Ei- sie traut in einem Berliner Gerichtssaal zu- Aufgeblasenheit. Mahler kratzt sich am gentlich passe er nicht zu „diesem Kropp- sammensitzen. Mahler ist die Mitte, er Bauch. Er ist dick geworden. zeug von Politikern“. Mahler sagt solche redet, Ströbele und Schily sind ihm zuge- „Bei der NPD handelt es sich eindeutig Dinge leise, ungerührt. „Jetzt ist Schily sel- wandt, lauschen. Es ist das Jahr 1972. Mah- um eine antisemitische, antidemokratische, ber zum Kroppzeug geworden.“ ler ist als Mitglied der RAF angeklagt, die verfassungsfeindliche Partei“, sagt Schily. Es ist Zeit zu gehen. Das Hündchen beiden anderen sind seine Verteidiger. Seine Stimme schnarrt, er näselt ein biss- stürmt bellend zur Tür, Mahlers Socken Das Trio auf dem Foto hatte ein gemein- chen. Mahler regt sich nicht. Als sein klei- wischen über die Dielen. Zum Abschied sames Ziel. Sie sahen den Staat als Bewah- ner Hund zum Fernseher läuft, pfeift er sagt er: Wenn seine NPD die Macht hat rer sozialer Ungleichheit, als Unterdrücker ihn zurück, ein kurzer, schriller Pfiff. Der und „die Regierung für das, was sie ver- politischer Freiheit, als Vasallen der USA. Sie Hund macht sofort kehrt. bricht, zur Verantwortung gezogen wird“, wollten eine andere Republik. Uneins waren Schily redet, Mahler lauert, ein Fernduell. will er für Schily „ein Gnadengesuch stel- sie sich über den Weg dorthin. Mahler hat- Schilys Problem ist, dass in den Verbotsan- len“, aus alter Freundschaft. te einen Molotow-Cocktail geworfen und trägen gegen die NPD ein Zeuge benannt Bis dahin arbeitet er weiter am Sturz versucht, der RAF Waffen zu besorgen, die wird, der für den Verfassungsschutz arbei- des Ministers. Im Januar traf er sich mit beiden anderen fochten mit Worten. tet. Trotzdem ist jetzt Mahler im Nachteil. dem NPD-Mitglied Udo Holtmann an der Es ist 30 Jahre später nicht mehr mög- Denn er hat von dem V-Mann gewusst und Raststätte Garbsen bei Hannover. Holt- lich, das Trio für ein gemeinsames Foto zu darauf gewartet, dieses Wissen erst beim mann offenbarte, dass auch er V-Mann des gewinnen. Schily und Ströbele gehen sich Prozess zu offenbaren. Dann wäre der In- Verfassungsschutzes ist. aus dem Weg, und Mahlers Nähe wäre bei- nenminister womöglich gestürzt. Wieder war es ein Fernduell. Mahler den zuwider. Schily ist der Repräsentant eines Staats, hoffte, über Holtmann als Erster berichten Gleichwohl sind sie wieder vereint, in der den Mahler hasst. Er hasst ihn wegen der zu können, denn auch er wird in den An- Affäre um das Verbot der NPD. Innenmi- „Repressionspolitik“ und der „Vasallität“ trägen zum Verbot der NPD zitiert. Aber

Gegner Ströbele, Mahler, Schily: „Warum, warum, warum?“

nister Schily bereitet das Verfahren vor dem gegenüber den USA. Er redet wie früher. Schilys Leute vom Bundesamt für Verfas- Bundesverfassungsgericht für die Bundes- Neu ist nur der Rassismus. Der Staat sei zu sungsschutz observierten die Begegnung, regierung vor. Mahler ist Mitglied der NPD hart gegen die Deutschen und zu weich ge- versteckt hinter Büschen. So konnte der In- und ihr Prozessbevollmächtigter in Karls- gen die Ausländer. „Asylbewerber müssen nenminister auch den Namen Holtmann ruhe. Ströbele ist Abgeordneter des Bun- ins Lager und dann zurück.“ Sonst „geht vor Mahler in die Öffentlichkeit tragen. destags und Mitglied des Parlamentarischen das Land den Deutschen verloren“. Gleichwohl steht Schily unter Beschuss. Kontrollgremiums für die Geheimdienste. Mahler und sein Hündchen leben in ei- Die CDU wirft ihm vor, den Innenaus- Horst Mahler hat heute noch weniger nem Häuschen mit Gärtchen zwischen schuss nicht korrekt informiert zu haben. Haare als auf dem Foto. Sein Schädel ist ähnlichen Häuschen mit ähnlichen Gärt- Der Erste aus der Regierungskoalition, kahl, sein Bart gestutzt und grau. Er sitzt bei chen. Seine Sesselbezüge sind schreiend der Schily deutlich wegen seiner Informa- sich zu Hause in Kleinmachnow vor dem bunt. Das Wort „Lager“ sagt er gern. Er tionspolitik kritisierte, war Hans-Christian Fernseher und sieht, wie Otto Schily ans will die Assoziation. Ströbele von den Grünen. Dessen großes Rednerpult im schreitet. Mahler Sein Handy klingelt. Er nimmt es, Thema ist ohnehin das undurchsichti-

DETSCHILKE.DE; PHALANX; UTA RADEMACHER (V.L.N.R.) RADEMACHER PHALANX; UTA DETSCHILKE.DE; steht auf, holt einen Schreibblock und einen lauscht. Ein Parteifreund sagt, es könne ge Treiben der Geheimdienste und ihrer

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V-Leute. Im Koalitionsvertrag von SPD damals gestanden habe, noch immer bei Die Nazis und der Krieg zerstörten die und Grünen wollte Ströbele eine stärkere mir wiederfinden. Ich will die Verhältnisse bürgerliche Behaglichkeit. Otto Schily Zügelung der Geheimdienste festschreiben ändern, ich will alle imperialen Verhältnisse musste mit seiner Mutter die Mülleimer in lassen. Schily verhinderte das. Er braucht bekämpfen. Ich werde diese Gedanken bis Partenkirchen durchwühlen. Noch heute sie für den starken Staat. an mein Lebensende durchhalten“. hat er die Narben von Hungerödemen. Als Als Ströbele in Sachen V-Leute im Fern- Den Staat sieht er mit Misstrauen. Ame- die Familie nach dem Krieg gerade wieder sehen auftritt, trägt er einen roten Schal. Er rika ist für ihn unverändert eine imperiale zu Wohlstand und Normalität gekommen kommt aus der Sitzung des Innenausschus- Macht, die viel Unglück in die Welt trägt. war, starben die Eltern 1955 bei einem Au- ses, in der Schily wegen der Affäre über Er geht immer noch demonstrieren, und tounfall. Wieder wurde Otto Schily aus Stunden gegrillt wurde. Als sich Ströbele die manchmal trifft er dabei auf Horst Mahler, dem Gefühl der Sicherheit gerissen. Mikrofone entgegenrecken, spricht er von ei- mit dem er früher in derselben Kanzlei Er studierte Jura, und als 1956 der Auf- ner „Sorgfaltspflichtverletzung“. Auch er re- war, im „Sozialistischen Anwaltskollektiv“. stand der Ungarn gegen das sozialistische det ruhig, reglos. Gemeint ist Otto Schily. Man zahlte sich das exakt gleiche Gehalt Regime gewaltsam unterdrückt wurde, or- Es war etwas überraschend, dass Strö- und schwor, niemals die Unterdrücker ge- ganisierte er eine Demonstration gegen die bele im Innenausschuss auftauchte. Er ist gen die Unterdrückten zu vertreten. Unterdrücker, die Sozialisten also. dort nicht Mitglied. Die Vorsitzende sagte, Jetzt demonstriert Mahler für „Auslän- Auch Mahler und Ströbele waren da- er sei willkommen, dürfe aber nicht reden. der raus“, und Ströbele ist unter den Ge- mals noch ein Stück weit davon entfernt, Sie wusste, dass Ströbele das weiß. Sie gendemonstranten. Aus der Ferne schaut Sozialisten zu sein und die Verhältnisse in wollte sichergehen, dass er nicht die große er den einstigen Freund und Partner lange der Bundesrepublik umstürzen zu wollen. Abrechnung mit Otto Schily startet. an, aber er geht nicht hin; er weiß nicht, Mahler hatte sich erst einer schlagenden Ströbele saß still im Ausschuss. Seine was es zu besprechen gäbe. „Es ist jedes Verbindung und dann der SPD ange- einzige Aussage war der rote Schal, der Mal fürchterlich“, sagt Ströbele, „ich sehe schlossen. Ströbele diente dem Staat für Schily angeleuchtet hat. Ein Teilnehmer ihn da stehen, und ich frage mich, was ihn ein Jahr als Soldat bei der Luftwaffe und ju- der Sitzung sagt, dass Ströbele „amüsiert“ da hingebracht hat.“ Es klingt traurig. Er belte 1963 in John F. Kennedy zu. dreingeschaut habe, amüsiert, dass Schily hat ihn mal sehr gemocht. Auch er war in der SPD. schwer eingeheizt wurde. Zu Schily fällt Ströbele ein, „dass er ein In einem Land ohne Gewissheiten taten Es sind Ströbeles letzte Monate als Ab- ganz exzellenter Anwalt mit einem guten sie sich schwer, einen festen Standpunkt geordneter. Er hat wenige Tage vor der Sit- Gespür für Lügen bei Zeugen war“. Seinen zu finden. Die deutschen Traditionen wa- zung des Innenausschusses erleben müs- Wandel zum Staatsmann, der eine harte ren abgeschnitten, die Bundesrepublik war sen, dass ihm die Berliner Grünen keinen Innenpolitik betreibt, kann er ebenso we- sich selbst noch nicht Heimat.

Verteidiger Schily mit Ensslin (1968), Zeuge Axel Springer, Angeklagter Mahler mit Rechtsbeistand Schily (1970), Anwalt Ströbele (r.) mit günstigen Listenplatz mehr geben. Er ist nig verstehen wie Mahler: „Ich frage mich Mahler und Schily begegneten sich zum auch am Freund von damals gescheitert. immer: warum, warum, warum?“ ersten Mal Mitte der sechziger Jahre in ei- Weil Schily, Schröder und Fischer eine Po- Die drei von dem Foto kommen aus der- nem Berliner Gerichtssaal. Es ging um eine litik machen, die Ströbele nicht gefällt, selben Ursuppe, Anwälte im Berliner Apo- Erbangelegenheit, erinnert sich Mahler, wurde er zum Querschützen der Koalition. Milieu. Gut 30 Jahre später decken sie das und sie vertraten gegnerische Parteien. So einen wollen die Grünen nicht mehr, er gesamte politische Spektrum der Bundes- Scharfer Verstand traf auf scharfen Ver- könnte Wählerstimmen kosten. republik ab. Ströbele ist der unbeirrbare stand, Eisigkeit auf Eisigkeit. Schily ge- Ströbele hat immer noch halblange Haa- Linke, Schily der Erzbürgerliche in der Mit- wann. Mahler war beeindruckt. re wie auf dem Foto von damals. Aber die te, Mahler der rechtsextreme Rassist. Am 2. Juni 1967, während der Anti- Koteletten sind weg, und er ist grau. Er Geboren wurden sie in den dreißiger Schah-Proteste, erschoss in Berlin der Poli- muss sich oft räuspern, als er von seinem Jahren, Kinder der Nazi-Zeit und des zist Karl-Heinz Kurras den Studenten Ben- Scheitern spricht. Er ist „heftig enttäuscht“. Kriegs. Ströbele ist der Sohn eines Chemi- no Ohnesorg. Es war der Beginn des Stu- Andererseits ist er stolz, sagen zu kön- kers, Mahler der Sohn eines Zahnarztes, dentenaufstands, der Beginn von „68“. nen, „dass sich alle Grundsätze, für die ich Schily der Sohn eines Hüttendirektors. Horst Mahler sollte Ohnesorgs Eltern ver-

104 der spiegel 7/2002 treten, die Nebenkläger im Prozess gegen saßen, die schlecht tranken und schlecht cher Härte, weniger ein Verteidiger als ein Kurras waren. Er fragte Schily, ob er ihn aßen; Leute, die nach vielen Stunden in der Kläger, gegen den Staat, der die Sicher- unterstützen wolle. Schily wollte. Er war Enge auch noch schlecht rochen. heitsgesetze verschärft, der die Gespräche zwar nicht Mitglied im Sozialistischen An- Schily ging lieber in schicke Bars und von Anwälten und Terroristen abgehört hat- waltsbüro, aber er teilte inzwischen die trug gute Anzüge und Krawatte. Vielleicht te. Schily sagt heute, damals habe er für den Ideen von Mahler und Ströbele. Was hatte fand er es ein bisschen schick, links zu sein, Rechtsstaat gekämpft. Von da kann er dann ihn ins linke Lager gebracht? aber noch schicker war es für ihn, in ei- eine Linie bis heute ziehen. So sieht er bei Auch Uwe Wesel war damals in Berlin, ner linken Szene nicht ganz und gar links sich selbst weniger Brüche als Kontinuität. auch im linken Lager. Heute ist er emeri- zu sein. Schily heute, das ist ein Mann, der im- tierter Professor für Rechtsgeschichte und Horst Mahler dagegen verschrieb sich mer noch gute Anzüge trägt, ein Mann, Zivilrecht und schreibt Bücher. Schily dem Protest total. Er schloss sich der RAF der im Fond eines großen BMW sitzt, ge- nennt er seinen Freund, rade ein Gespräch mit dem Chef von Mer- aber er wirkt ein bisschen Sie sahen den Staat als Unterdrücker cedes, Jürgen Hubbert, hinter sich hat und beleidigt, dass er ihn nur unterwegs ist zum Neujahrsempfang der zweimal gesehen hat, seit politischer Freiheit, als Vasallen SPD in Plochingen, in Baden-Württemberg. Schily Innenminister ist. der USA. Sie wollten einen anderen Staat. Was jetzt kommt, das hasst Schily. Wesel hat im Grunewald Der Wagen hält vor der Stadthalle in eine Wohnung, die sparsam mit Stilmöbeln an, ließ sich in einem Camp der PLO an Plochingen, und da steht schon die Vorsit- eingerichtet ist. Er erwähnt, dass er mehr- der Waffe ausbilden und wurde am 8. Ok- zende des Ortsvereins und strahlt und sagt, mals geschieden wurde. Die Prozesse hat tober 1970 in Berlin verhaftet. Er trug eine wie sehr sie sich freue, dass Otto Schily Otto Schily für ihn geführt. Perücke und in der Hosentasche eine ge- die Zeit gefunden habe zu kommen. „Ja, Wesel sitzt in einem Schaukelstuhl und ladene und entsicherte Pistole vom Typ ich freue mich auch“, sagt Schily, und man sagt: „Der Otto und ich sind uns vom Phä- Llama Especial. Er wehrte sich nicht. Bis merkt, dass er gar nicht ganz da ist, dass er notyp sehr ähnlich.“ Welcher Phänotyp ist 1980 verschwand Mahler hinter Gittern. ein Stück von sich zurückgelassen hat im das? „Snob, ganz einfach. Wir interessieren Als der Terrorist Andreas Baader ver- gepanzerten BMW, sonst könnte er das uns für Frauen und gute Anzüge.“ haftet wurde, machte er Christian Ströbe- hier gar nicht ertragen: die Rentner mit Bei einem Gespräch mit Wesel über le zu seinem Anwalt. Gudrun Ensslin ent- ihrem Guck-mal-da-ist-der-Schily-Grinsen, Schily wirkt Schily wie ein sehr einsamer schied sich für Otto Schily. Die beiden An- die schwitzigen Hände, die er schütteln Mann. Sein Freund macht, mit der Lust wälte arbeiteten „sehr eng miteinander“, muss, die schlecht gekleideten Studenten, am zynischen Satz, ihn klein und schlicht. wie Ströbele sagt. all die Menschen hier, die kein Zitat von

Mandant Fritz Teufel (1971), Häftling Mahler (1979), Demonstrant Schily vor der Hardthöhe (1983): Sehr enges Miteinander

„Otto war in der linken Szene, weil das Seine Distanz zu den Terroristen war ge- Humboldt kennen, die gebutterte Brezeln schick war, da waren die schönsten Frau- ringer als die von Schily. Ströbele nannte mampfen und dazu einen schlechten Wein en“, sagt Wesel. sie „Genossen“ und wurde zu zehn Mo- trinken. Schnell eine Rede halten, schnell Christian Ströbele widerspricht. Er hat naten auf Bewährung verurteilt, weil er zu weg hier, zurück in den BMW, um wieder Schily als Linken ernst genommen. Ge- einem Infosystem der RAF gehört hatte. der ganze Schily sein zu können. meinsam sammelten sie Geld für den Schily soll ein Kassiber von Ensslin aus Er ist nicht angekommen in der SPD. Vietcong und brachten es nach Ost-Berlin, dem Gefängnis geschmuggelt haben, was er Als Parteipolitiker, in der zweiten Phase wo der Vietcong eine Vertretung unter- bis heute bestreitet. seines politischen Lebens, ist er genauso hielt. Dort tranken sie einen Tee und „Otto hatte kein bisschen Sympathie für ein Fremder wie in der ersten, als er ein wünschten viel Glück im Kampf gegen die die Taten der Terroristen“, sagt Wesel und halb linker Anwalt war. Amerikaner. erlaubt sich in diesem Punkt keine Spur Zy- Schily und Ströbele traten frühzeitig der Gleichwohl hielt Schily Distanz. Er tat nismus. „Er mochte die Ensslin als Person, Partei der Grünen bei und zogen für sie in sich schwer mit studentischen Versamm- mehr nicht.“ Gleichwohl kämpfte Schily den Bundestag. Mahler war inzwischen auf

DPA (L.; 2.V.R.); M.RUETZ / FOCUS PLUS; AP; J. H. DARCHINGER AP; J. M.RUETZ / FOCUS PLUS; (L.; 2.V.R.); DPA lungen, wo schlecht gekleidete Leute beim Prozess in Stammheim mit unerbittli- Distanz zur RAF gegangen und schwor

der spiegel 7/2002 105 Gesellschaft später dem Terrorismus ganz ab. Als er Es ist das Wort, um das sich alles dreht Ströbele. Ein Otto Schily als Innenminister freikam, ließ er gerichtlich die Wiederzu- im politischen Leben von Schily, Ströbele, kann ihn nicht beruhigen. lassung als Anwalt erstreiten, von Gerhard Mahler, ein urdeutsches Wort. Einst wa- Die beiden begegnen sich selten, und Schröder übrigens. Für Mahler begannen ren sie verknüpft durch die Angst vor der wenn, dann gehen sie „sehr sachlich“ mit- Jahre der Stille. Er machte seinen Job, er Wiederkehr des Nazitums im Staat. Jetzt einander um, sagt Ströbele. Er bekämpft las die Zeitung, brütete. trennt sie dieses Wort. Schilys Politik aus dem Hintergrund, nicht Schily und Ströbele wurden bei den Grü- Schily macht heute eine Politik gegen ohne Erfolg. Einige der Sicherheitsgesetze nen schnell Gegner. Während Ströbele sei- die Angst vor dem Terror und dem Ver- wurden befristet, der Fingerabdruck im nen Ansichten treu blieb, machte Schily brechen, und nie hat ihm etwas mehr ge- Pass muss noch einmal durch die Bundes- nach und nach seinen Frie- tagsmühle. Mehr kann Ströbele nicht er- den mit den Realitäten der Heute verbindet die drei eine intellektuelle reichen in einem Land, in dem ein Linker, Bundesrepublik. Weil Strö- anders als vor 30 Jahren, als das Foto ge- beles Position in den achtzi- Kälte. Bei ihnen herrscht der reine schossen wurde, bedeutungslos ist. ger Jahren dominierte, trat Verstand, dem Herz zu zeigen nicht einfällt. Die Mitte-Links-Regierung verzichtet auf Schily 1989 zur SPD über. Da linke Politik, bindet aber fast alles, was im- er nie richtig bei den Grünen angekommen legen als das. Als 69-Jähriger ist er dann mer noch links ist, weitgehend in die Re- war, konnte er sie leicht verlassen. Da er nie doch noch angekommen. In seinem geräu- gierungsdisziplin. Anders als auf dem Foto so richtig mitmacht, kann er fast überall mit- migen Büro im 13. Stock des Ministeriums gibt es heute eine klare Hierarchie zwischen machen. Schily bleibt seine eigene Partei. pafft er nun genussvoll dicke Zigarren und Schily und Ströbele. Der Minister domi- Da ihm Parteiarbeit zuwider ist, hat er in sagt feierlich, im Ton eines Staatspapas, er niert, weil weit mehr Bürger Angst vor Kri- seinem Wahlkreis einen Statthalter, Peter sehe es als seine Aufgabe an, „das kleine minellen haben als vor dem Staat. Bis zur Paul Gantzer, Notar, Vorsitzender der SPD Glück zu schützen“. Affäre um die V-Leute war Schily einer der München-Land, 100-prozentig loyal gegen- Der 11. September 2001 war die dritte populärsten Minister in Schröders Kabinett. über Schily. Im Moment ist Kommunal- große Katastrophe in Schilys Leben. Er Horst Mahlers Thema ist die Angst vor wahlkampf, und der Innenminister hält es reagierte entschlossen: enger Schulter- den Fremden. Zwar ist er nominell von nicht für nötig, auch nur einen Termin in sei- schluss mit den Vereinigten Staaten, ein links nach rechts gewechselt, steht aber nem Wahlkreis zu machen. Gantzer besorgt ganzes Paket neuer Sicherheitsgesetze. wieder bei denen, die den Staat am meis- das für ihn. Also sitzt er in einem Gasthaus Hans-Christian Ströbele gefiel das gar ten herausfordern, früher die RAF, jetzt in Heimstetten vor den örtlichen Genossen nicht. In seinem Büro, das weit kleiner ist Skinheads. Von seinem Büro unter dem und vor einer geschnitzten Figur mit dem als das von Schily, hängt an der Wand ein Dach seines Häuschens aus schürt Mahler CHRISTIAN DITSCH / VERSION (L.); FRANK OSSENBRINK (R.) (L.); FRANK / VERSION DITSCH CHRISTIAN Agitator Mahler, Vorsitzender Ströbele mit Altbundeskanzler Kohl (r.) im Ausschuss zur CDU-Parteispendenaffäre: „Exzellenter Anwalt“

Gesicht einer Madonna, die einen Krug Bier Poster von Gerhard Seyfried, dem Haus- die Angst vor Fremden via Internet und In- trägt und in ihrer Schürze Weißwürste. Da cartoonisten der Berliner Szene. Niemand terviews und fördert damit die Gewalt ge- hätte der kunstsinnige Schily gleich einen kann so nett Polizisten verhöhnen wie er. gen sie. So ist er sich treu als ewiger Dissi- Anfall bekommen. Einmal sah Schily selbst aus wie ein dent, der seine Sache bis in den Irrsinn Der getreue Gantzer preist Schilys Sicher- Cartoon von Seyfried. Da hatte er für die vertritt, mit einem Faible für Gewalt. heitspolitik und steckt dann die Prügel ein, Fotografen einen Polizeihelm aufgesetzt Wie aufgeladen die Stimmung zum The- die für den Innenminister gedacht ist. „Man und drohte mit erhobenem Knüppel. Ge- ma Ausländer ist, merkt Schily nun manch- wird immer mehr geknebelt“, klagt ein Ge- nau davor haben Ströbele und seine Kli- mal bei seinen Reisen durchs Land. Als er nosse, „wo ist die Grenze irgendwann?“ Ein entel immer noch Angst: der starke, repres- in Duderstadt am Rathaus vorfährt, warten anderer sagt: „Die meisten Maßnahmen rich- sive Staat. dort zwei Dutzend Jugendliche und rufen ten sich gegen Ausländer, und das heißt, dass Ihr Staatsverständnis ist unverändert „Schilys Gesetze – Ausländerhetze“. Er wir ein Feindbild aufbauen sollen.“ Gantzer von den Nazis geprägt. „Ich glaube immer steigt aus, stürmt auf sie zu und will dis- beschwichtigt, verteidigt Schily. Zum Schluss noch, dass deutsche Gründlichkeit die kutieren, aber die Jugendlichen brüllen sagt er: „Ihr müsst keine Angst haben.“ Gefahr einer Diktatur mit sich bringt“, sagt nur: „Mörder, Mörder.“ Schily fasst es

106 der spiegel 7/2002 Gesellschaft nicht. „Ich?“, japst er, „ich?“ Als er sich ab- seinen Geheimdiensten. Der Minister hat Auf die Bemerkung, dass sich zwischen wendet und zum Rathaus geht, fliegt ihm ja nicht auf ihn hören wollen. Dass Schily den beiden Gesprächen für ihn eine ein Farbbeutel gegen den teuren Mantel, dieses Misstrauen verloren hat, liegt an sei- Menge geändert habe, reagiert er mit auf- platzt aber nicht. Schily hebt den Beutel ner allmählichen Selbstverstaatlichung. brausendem Unverständnis. Nein, nichts, auf, guckt verächtlich zu den Jugendlichen Je näher er dem Staat rückte – über die gar nichts habe sich verändert. Aber und wirft ihn über einen Bauzaun. Er platzt Grünen, über die staatstragende Oppo- die Affäre …? Er wischt das beiseite. und färbt Beton rot. sitionspartei SPD, bis in den Ministerses- Alles aufgeblasen, alles falsche Interpreta- Immer wieder ist Schily vorgeworfen sel –, desto freundlicher wurde sein Ver- tionen. Weil er so erfolgreich als Minister worden, er schüre Fremdenfeindlichkeit. hältnis zur Macht. In seiner marxistischen sei, habe man ihn nun zur Zielscheibe ge- „Die Grenze der Belastbar- macht. Dann kommt der Angriff, eine keit Deutschlands durch Zu- Nach seinem langen Marsch durch die Attacke aus der Erstarrung. Die Stimme wanderung ist überschrit- ist tonlos, die Hände umklammern die Leh- ten“, hatte er gesagt und Institutionen sagt der Riesenstaatsmann mit nen. Schuldige überall, nur nicht in die- wurde darauf in die Nähe jedem seiner Auftritte heute: L’état, c’est moi. sem Büro im 13. Stock, keine falsche Men- Mahlers gerückt. schenführung, keine seltsame Informa- Was er nicht verdient hat. Gleichwohl Phase hatte er ja nichts gegen den starken tionspolitik. Ein Fels, der Recht hat, weil verbindet die beiden noch immer etwas, Staat an sich gehabt, im Gegenteil. er ein Fels ist. auch mit Ströbele. Es ist diese intellektuelle So hat jeder der drei eine wichtige Zu- Dann will er das Blatt haben, das neben Kälte, der reine Verstand, dem Herz zu tat aus der Apo-Ursuppe für die Bundes- meinem Notizblock liegt. Was für ein Do- zeigen nicht einfällt. Es ist auch eine Ab- republik von heute konserviert: Ströbele kument der SPIEGEL da ausgegraben schottung aus dem Gefühl heraus, die die linke Fundamentalopposition, Schily habe? Vielleicht ist Schily doch nervös. Wahrheit so ziemlich allein zu kennen. Alle die Staatsverherrlichung, Mahler paranoi- Er nimmt das Blatt und sieht erleichtert, drei wirken sie dick gepanzert, Ströbele den Wahn, der in Gewalt eine Lösung dass es nur eine Zeitungsseite mit dem Foto gegen die Veränderungen der Welt, Mah- sieht. Womit sich diese Ursuppe als er- von 1972 ist. Er guckt es lange an und sagt: ler gegen alle guten Geister, Schily gegen staunlich haltbar erwiesen hat. „Wie hübsch wir da waren.“ Er kichert. die Menschen in seiner Umgebung. Nach seinem Marsch durch die Institu- Er muss sich noch mal loben. Er sagt, Als der Dramatiker Moritz Rinke ein- tionen sagt der Riesenstaatsmann Schily dass er Mahler damals gut verteidigt habe, mal im Kino war, saß er zufällig in einer heute mit jedem seiner royalen Auftritte: aber dann habe das Schlusswort des An- Reihe mit Otto Schily. Nach Ende des Films L’état, c’est moi. Und da er sich selbst nicht geklagten alles zunichte gemacht: „Mit hatte es der Minister eilig, drängte hinaus, misstraut, muss er auch dem Staat nicht den Bütteln des Kapitalismus redet man R. MARO / VERSION (L.); JOSE GIRIBAS (R.) (L.); JOSE GIRIBAS / VERSION R. MARO Anti-USA-Demonstrant Mahler (2. v. r.) mit NPD-Chef Udo Voigt (r.), Sicherheitspolitiker Schily: Das kleine Glück schützen stieß dabei Rinke gegen das Knie und stand mehr misstrauen. Also hat er wenig übrig nicht, auf die schießt man“, sagte Mahler eine kleine Weile auf dessen Fuß. Zu einer für Dinge wie Datenschutz oder Eindäm- zu den Richtern. Entschuldigung war er nicht bereit. Von mung der Geheimdienste. Wozu? Habt Schily schüttelt den Kopf. Es gefällt ihm Rinke freundlich angesprochen, sagte der keine Angst vor mir. Diese Selbstherrlich- nicht, dass Mahler wieder in seinem Minister: „Keine Privatunterhaltung.“ keit bestätigt dann wieder Ströbele in sei- Leben aufgetaucht ist. Eine Niederlage So rüde geht Schily auch mit seinen Mit- ner Angst vor dem allzu mächtigen Staat. gegen den einstigen Gefährten, der sich so arbeitern um. Er ist ein Brüller, das In- Es gab für diese Geschichte zwei Ge- sehr ins Abseits gestellt hat, wäre beson- nenministerium eine Versammlung von spräche mit Otto Schily. Beim ersten war ders peinlich. Schily nimmt Mahler als An- Eingeschüchterten. Seine Mitarbeiter fan- er, für seine Verhältnisse, gelöst und in walt ernst. Doch mehr als Argumente den nicht den Mut, Schily frühzeitig über Plauderlaune. Das war vor der V-Mann- fürchtet Schily eine Umarmung. Würde ihn den V-Mann Frenz zu informieren. Affäre. Beim zweiten Gespräch, Anfang Mahler bei dem Prozess in Karlsruhe aus So kam eine Affäre in Gang, die Ströbe- dieser Woche, ist sein Gesicht aus Granit, alter Verbundenheit herzen, wäre ein Bild le „voll und ganz“ darin bestärkte, miss- vollkommen erstarrt. Schily sitzt reglos in in der Welt, das an jenes von 1972 trauisch gegenüber dem Staat zu sein, zumal seinem Sessel. anknüpft. ™

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